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Berlin, den U. Juni x898.
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Wahlwehen.
WrinitatismorgenDiestädtischeMenschheitströmtDerersteganzhelleaus undderdumpfenEngewarme SonntaginSchaarenimJahr.
frühschoninsFreie.An denkühlenPfingsttagen fürchteteman sichfröstelnd nochvordenneuen Lenzkleidern;Wolkendrohten, irgendeinFalb hattege- warnt undabendswürdeesgewißwinterlichwerden«Heutelag Heiterkeit in derstillen,beimersten KlangderKirchenglockenschonerwärmtenLuft, keinWölkchenstandamHimmel,dieSchwalbenstiegen hoch: auchdie ängstlicheStadtjugend durfte sichsorgenlosindielichtenGewänder wagen.
Zu FußundzuRad,inKremsernundDroschken gehteshinausundin denBahnhofshallenwindetdieMenge sichwohlzum bunten Knäuel.Hinter dichtenRollladen undverhängtenFensternnur wirdnochgearbeitet, hastig, dennauchdieNachzüglerwollen in den Waldoder ansWasser,wollenmög- lichstfrühausdemGeschäftinsVergnügen.Nebenauläßtein alterMann sichausderBibelvorlesen.DieWandist dünn,undwenn mandasFenster schließt,kannman jedesWort hören.EinescharfeFrauenstimme, die, einverwitterter,müderDiskant, ohneinnereTheilnahmezulesen scheint.
Zuerst kommt, streng nachdempreußischenVibelwegweiser,Moses,dann JesaiaandieReihe;dasKapitelausdemTodesjahrdesKönigs Ussia,da derHerr aufdemerhabenenStuhl saßundseinSaum denTempel füllte, SeraphimmitjesechsFlügelnüberihm standenunderden treuenPro- pheteninsJudäerlandmit derWeisung sandte:,,VerstockedasHerzdieses
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Volkesundlaß ihre Ohrendickseinundblendeihre Augen, daß sie nicht sehenmitihren Augen noch hörenmitihren Ohren noch verstehen mitihrem Herzenundsichbekehrenundgenesen.«DannausdemJohannes- evangeliumChristi GesprächmitNikodemusvomWegezumewigenLeben.
Seltsam,wiefremdeFrömmigkeitaufdenLauscherwirkt,wiedurchdie den BlickhemmendeWand einheiligerSchauer schlüpftundlängstentschlummerte Erinnerungenaufscheucht. Faust hateserfahren,daerin derOsterfrühe denAuszugdertötlichfeinen Kräfteim reinenKristallandieLippesetzte;
nichtdasDogmatische, nichtderinJahrhunderten gewandelteundmäh- lich erstarrteInhalteinerausAsiens heißerLuft stammenden Sittenlehre locktihnvom Todeswege:dasMenschenkindergefühlhält ihnmitden Klammern derHoffnungundderErinnerungvomletzten,ernsten Schritt zurück;undnichtdemHimmel gehörtderinsMagierlandverirrte Ma- gisterUndDoktor nun: dieErdehat ihn,dieKindheitstätte,wieder. Das Auge,dasnur derWindhauch fremder Glaubensgluth berührt,dasdie TrägerdesfrommenEmpfindens nichtkörperlichsieht, suchtumso eifrigerin derLegendedenMenschen.WerdenktamTrinitatismorgendesStreites zwischenArianern undAthanasianern,derbeidenGregorvonNyssaund Nazianz,derSynodenvonNicaeaundArles ? DieBilder deraltenPropheten, dieso gut, soausderFülleliebenderHerzen,hassenkonnten,und desstarken, streitbarenunddochsomildenBringersderfrohenBotschafttauchendem rück- wärtsgewendetenBlickaufund nebensiestiehlt sichaus leisen Sohlenkor- rektenSchrittesHerr Nikodemus, »einObersterunter denJuden«.Den kennenwirganz genau ;erschleicht»beider—Nacht«zumHerrn,denerMeister nennt,demerinDemuthundEhrfurcht huldigt, undlebtamTage behaglich undgeehrtunter PharisäernundSchriftgelehrten;imLagerderAlten, imBesitzrechtWohnenden, hater sich weichgebettetUndmöchtedoch auchmitdemNeuen, Nahenden sichdieMöglichkeiteinerVerbindung sichern,möchteinjedemFeuer,im wärmendenund imverzehrenden,einEisen haben.Einpfiffiger Herr, dessenSamesichseitdenGaliläertagenüber alle Kulturländerverbreitethat;derfeinste,modernsteBourgeoistypusimNeuen Testament...DraußenschwilltderStrom,die Sonnestehthöherundhastiger nochalsvorhereiltAlles nun ausdemGeschäftinsVergnügen.DerBrief- träger geht seinen letztenSonnta-gsgang;erbringteinenWahlausruf,den drittenseitgestern.Wenn inJerusalemdasallgemeine,gleiche,direkte und ge- heime Wahlrecht gegolten hätte,wäre Nikodemus gewißein Kandidat der gesammeltenOrdnungparteien gewesenundvom Hohen Priesterundvom
Wahlwehen. 457
LandpflegermitrühmendemWort und Empfehlungbriefen unterstützt worden;erhättesicherbessereWahlaussichtengehabtals derallzu impetuose, allzu stürmischeNazarener,derdie Lauennichtliebte undohne Rücksicht auf herrschendeVorurtheileimmerdasschärfste,äußersteZornwort sprach.
Nebenau istdieschrilleStimme derVorleserin verstummt. Unten,.im ersten Stock,übt eine Dameihre Fingeran einembanalen Klavierstück.
Dis- st-
sie
Nachmittags sinddieStraßen fastleer.DieDienstmädchen,deren Herrschaftspätundlange getafelt hat, sputen sich,um rechtzeitignochden Platzzuerreichen,woderLiebstewartet; danngehts nachHalensee,Treptow oderGrünau,wirdgetanztundgetrunkenundzwischenzwei Küssender Haus-klatschdurchgehechelt.Ein paarPortierkinder,derenEltern nicht fortdürfen,spielenGreifenoderVerstecken.Ab undzunur rolltnocheine DroschkeodereinMiethwagen vorüber,denendievereinsamten Wohnung- hüterausdenFensterndann wehmüthignachblicken.VierUhr.Dakeucht ein Mann imeinst weißenKittel heran;erträgteineBlechbiichseaufder Brustund klebtmitschnellerHandeinrothes PapiermittenaufdieAnschlag- säule,gerade aufeinenTheaterzettel,deraußerdemSchauspielnochGarten- konzertundFeuerwerk verheißt.DiePolizei verkündet,einearmsäligeProsti- tuirte deruntersten RangklasseseinachtsinihrerDachstubeermordetworden- Dergrellrothe Zettel, derwie einBlutfleckzwischendenLockrufenderBer- gnügunglokalehaftet,wecktzuerstdieNeugierderKinder,die allesPolizei- lichemitdemReizdesGeheimnißvollen,Verbotenen anzieht; siev7r- sammeln sichvorder Säuleund dasAeltestebuchstabirtdenWortlaut der Bekanntmachungherunter,derenwesentlicheAngabendenAufhorchenden unverständlichsind.DerkleineSchwarm ruftErwachseneherbeiunddie emordeteFrauBerthaSinger bildetbalddenGegenstanderregterGespräche.
DiePhantasie guter Bürger beschäftigtsichgarzu gernmit dendunklen, schmutzigenEcken desGesellschaftgebäudes;unddaman sonstvorkeuschen OhrenvonderProstitution nichtredendarf,mußman diedurcheineMord- geschichtegebotene Gelegenheit gründlichbenutzen.Nun könnteman bei solchemAnlaß fragen,wieeswohlkommenmag,daßeinFlickschneider, dessensechsKinder ineiner engen Kammer hausen,die nebenan liegende HöhleankontrolirteDirnen vermiethenmuß,umfür achthungrigeMäuler wenigstensdienothdürftigsteNahrungzuschaffen,undweiter,obdiese DingenichtetwanurdeshalbvonschweigendemWohlwollengeduldetwerden, weilsonstdieHausbesitzernicht ihre hohen Miethen hereinbringenkönnten.
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458 DieZukunft.
Solche Fragen sindaberunbequemundstillendasSensationcnbedürfniß nicht; liebersprichtmanmittugendsamer EntrüstungvonderwachsendenSit- tenlofigkeit,vonderNothwendigkeit,dieProstitution endlichzukaserniren,auf daßsiefernernichtmehrdie reineSphärederanständigenBürgerverpeste,und vonderschändlichenUnfähigkeitderPolizei,derdie Dirnenmörderfastimmer entwischen·Keinerdenktauchdiesmaldaran, daßaufdenSchleichwegenanden dunklen Rändern dessozialenBereichesdaseinzelneVerbrecheneinesDeklass- irtenbeinaheunentdeckbarwerdenmuß,daßdievogelfreierklärte Dirnebei ihrem jammervollenBerufin jederStunde vonderBrunstwutheinesausden gebahnten Wegennormaler LebensführunggeworfenengeilenBurschenbe- drohtistunddaßmansich-,stattmitunüberlegtemWortdiePolizeizuschmähen, wundern sollte,wennesüberhauptje gelingt,einen Dirnenmörder zufassen.
Nur ein kleinesMädchenfindetvordemSäulenanschlagdierechteSpur,daes mitaltklug ernsterMienezuder Muttersagt: »Wieunvorsichtigaberauchvon
derarmen Frau,Mama, nach zehn Uhr noch Besuch mitzunehmen!
Oder war DermitdemSchnurrbart unddemStrohhut ihrMann?«
DieentsetzteMama ziehtdieklugeKleineschnellvondergefährlichenEcke hinweg. DiePortierkinder bleiben,kauernsichaufdiewarmen Steine undlau- schenmitgierig aufgesperrtenAugendemGruppengesprächderErwachsenen.
Mitunter hemmtdieSchauermärvonBertha Singer sogareinrüstigaus-
schreitendesDienstmädchenauf seinem Sonntagswegin dieFreiheit;der LiebstehatdenrothenZettel gewißauch schon gelesenundwirdbegreifen, daßdieTraute ein paarMinuten an der Säule vertrödeln mußte- UnterderMordanzeige klebt,inmilderem röthlichenTon,dieEin- ladungzu einerWählerversammlung.BeiBier undCigarrenqualm sollen dieQuiriten sichversammeln,umweiseRedeausdem Mundedes Manneszu hören,derumihreStimmen wirbt. EswirdsicherkeinCoriolan sein;kein Schamgefühlwirdihn hindern,dieWunden zuzeigen,die erimDienst des Volkesempfangen hat,undrühmendvondenThatenzureden,dieerschon vollbrachteundkünftigvollbringenwird. Erwird dieFingerderWähler selbstüber die Narben führen,ausführlicherzählen,durch welcheglänzenden GabenerdieMitbewerber übertrifft— dieseunfähigen,würdelofenHeuch- ler,die dasarme Volknur betrügenwollen—, und mitergebenem Lächeln diesüßenStimmen dermajestätischenMengeerbetteln. Undindieser MengewerdendieLeute,dievordemMordplakat ihresozialeSeeleent- deckten,dieMehrheit habenunddieFeinsten, Gebildetstenwerden vom Stamme des Nikodemus fein..·Habendie Männer amEndedochRecht,
Wahlwehen. 459 dievonderMassenwahlderGesetzgebernichts wissenwollen undderen langeReihevonTaine bis zuPobedonoszew,vondenmoralinfreienDarwin- istenbiszu denasketischenDogmengläubigenreicht?Was sollaus den Ländernwerden,derenpolitischesLeben derblindeHödurbeherrschtP Alles,wasklugeGegner des allgemeinenWahlrechtesseiteinemJahr- hundert vorgebrachthaben, ist unbestreitbar, ist durchkeinedialektischeKunst zuwiderlegen;undfüralleirgendeiner derwechselndenFormendesParla- mentarismus erschlossenenLändergilt noch heutedasWort,dasPreoost- Paradol sprach,eheerausderHeimathüber das Weltmeer zog:uminFrank- reichzumAbgeordneten gewähltzuwerden, müsseman sichentweder mit Haut undHaarderRegirung vorschreibenoder einehoheRentehabenodersich ohneMurren zu denschnödestenDemagogenkniffenbequemen. InderHitze desWahlkampfes siegt nichtdieVernunft, nichtdieeinsichtigeErkenntniß derNothwendigkeit,zuderimBereichdesMöglicheneineinziger,meistschmaler Weg führt, sonderndieLungenkraft,diemitLärmphrasenwirthschaftende Skrupellosigkeit,die denHörerndasBlaue vomHimmelverspricht,unddie Rednergabe,diesichmiteinergeschicktenGruppirung angeblicheroderwirk- licherThatsachenüber alleFährnissehinwegzuhelfenvermag.DieVerfasser der dreiLöschpapierflugblätter,dieseit gesternaufdenSchreibtischgeflattert sind, täuschensichnicht darüber,daßeingroßerTheil ihrer Bersprechungen unerfüllbarist, daß sie Einzelheitenkeckverallgemeinern,dieAbsichtender GegnergröblichentstellenundeintrügendesZerrbildderpolitischenLage geben.Abermachtes vondenParteien,diesie aufLeben und Todbekämpfen wollen,eine anders? Jede erklärt,nur sievertrete selbstlosdasGemein- wohl, jede sucht durchdieFüllederpopulärenVerheißungendieemsige Nachbarinzu überbieten. So war esseitKleons Tagen,wirdesstets bleiben, so langeinöffentlichenMassenwahlendieheiligendeWeihedes Ab- geordnetenverliehen wird,undallegroßenund kleinenMittel, selbstdie vondenKlügsten,vonTocquevillebis zuSchaeffleundBenoist, dagegen empfohlenen,werdenausdieLängeunwirksam sein.DerGeschichtschreiber deramerikanischenDemokratie sahRettungundHeilin der indirektenWahl und sagte:Lesliommes ainsi elus representent toujours exerzie- ment lamajoritede lanation quigouverne; mais ilsn«re- präsentent que les penseeselevees quiont eours au milieu d’elle,lesinstinets genereuxqui 1’animent,etnon lespetites passions quisouvent Pagitent etlesvjees quiladeshonorent.
Jevois dans le double degre eleetoral le seul moyen de
460 DieZukunft.
mettre l’usagedelaliberte politjqueä»laporteede toutes les classes dupeuple.Erberiefsichfür seineAnsichtaufdasBeispieldesamerikanischen Senates,derausindirektenWahlen hervorgeheund,wieJeder sehenmüsse,an Würde undFähigkeitdasRepräsentantenhausweitübertreffe.WennTain e, dersichvonTocquevillesMeinung stimmen ließ,inWashington heutedie in denDienstderelendestenJobberinteressenerniedertenSenatoren anderkor- rumpirendenArbeitsähe,würdederGlaube andieallheilendeWirkungderin- direktenWahl ihm schnellschwinden;schoneinVergleichderIntelligenz- summen,diesichinPreußens LandtagundimDeutschen Reichstagver- körpern,könnteihn wohlaus seiner ruhigenSicherheittreiben. Gewiß istesschlimm,daßderWählerdenStimmenwerber nichtausderNähekennt, daßder Landmann ihnkaumje,der Städter nichtimalltäglichenWandel siehtundin denletztenWochenvordemEntscheidungtageersteinbisher fremderNamemitDampfbetriebin dieHirneundSinne gehämmertwird,
— einName, auf dessenTrägerdannflink alleEhrenqualitätengehäuftwer- den und derimGrundewahrscheinlicheinerwinzigenNullgehört,einemMit- läuferimHecrdentrabderPartei.Wirdaber derplötzlichmit derKürpflicht bebürdeteWahlmannetwaanders aussehen,werdendieerhabenenGedanken undedlenJnstinkteinihm mächtigerseinalsdie kleinenLeidenschaften desTages? GeradedieseLeidenschaftenbestimmen fast stets jadenAus- gang desParteienstreites.DervonderthörichtenHoffnung,mitQuaksalber- rezeptendieGesindenothderLandwirthelindern zukönnen,diktirteErlaß, der denEisenbahndirektionenbefiehlt,wenigstenswährendderErntezeitAus- länder dendeutschenArbeiternvorzuziehen,stacheltdieGeisterder aufTage- lohnAngewiesenenmehrals dasvonfern herhallendeEchodergroßenpoli- tischenVorgänge;und derWahn,diePolizeimüsseinspätestensachtundvierzig Stunden den MörderderFrauBertha Singer fassen,erregtdieassoziativen KräftederMengemehrals daschinesischeAbenteuer,dessenFolgennochder vondenFreudenschüssenaufgewirbelteNebelumhüllt.Von einemVolk,das imKollektivempfindenimmerkindlichbleibt, solltenuraquebensfragen,deren Wesen auchderdumpfesteSinnklarerkennenkann,eine Antwort gefordert werden ;läßtmanesüber ein verwickeltesGewirrvonDetailfragen abstimmen, danndarfman sichnichtwundern,wennJederausdem Knäuel dasihm nächste Fädchenherauszerrt,andassein Interesse geknüpftistoderscheint.Undje mehrdieKraft, große,zündendeStichwortezuersinnen, weicht,umsogeringer muß auchdie QualitätderLeutewerden,diesichden inWahlschlachtenge- bräuchlichenSchmutzschleudernaussetzenmögen;derfeinerGearteteerduldet
Wahlwehen. 46 l dieKothklümpchen,so langealsPreisdesTreffenseingroßerGegenstand winkt,abererrettetsichausdemSumpfkleinerAlltagssorgen schnellaufden festenundsauberenBodenbeträchtlichererArbeit.DieVerpöbelungderPar- lamentewarnichtzuhindern, seitdiePolitikeinGeschäftwurde,bei demdie einzelnenKlassenderVourgeoisieeinanderzuüberlistensuchen. Jn jeder NiedergangszeiterfülltsichdasbiologischeGesetzandenVolkheitorganismen;
wieamAusgangderseudalenEpochedaseinst soherrlich prangende Para- dies dergekröntenPatriarchenverwelkt war,so mußtederHerbst auchdem Wundergarten tagen,in demfrommer Wahn Jahrzehnte langdenGlauben anden anonymenHerrnvonheute gepflegthatte. Welchesneue Eden die verblühtePracht ersetzensoll? Ach,wirsind sehr skeptischgeworden, spähen nicht mehr,wieMilton, nachderbestenStaatsform allerZeiten undZonen ausundwissenlängst,daßausden moderndenRestendesalten immer ein neuerAberglaubeerwächst.DieGebildetentrösteteinstweilenderfesteGlaube andie vorwärts führendeMachtderEntwickelung;unddie Anderensindin ihrerBedrängnißfroh,wenn anFeiertagendie SonneausdemGeschäftins Vergnügenlockt undsieimFreien nochmit demSchatzoderschonmit Weib und KindeinsicheresPlätzchenundeinengutenTrunk haschenkönnen.
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EbenkehrensieausderSonntagsfreiheitzurück,schwitzend,müde und zärtlich; dennesistAbendgewordenundAlkohol,MassendunstundBlech- musik haben ihre Wirkung geübt.Undesistlehrreich,zusehen,wieschlau undzäh aufdemBahnsteigundan denHalteplätzenderDroschkenund PferdebahnenJederumseinLebensrecht zukämpfenversteht. Nochimmer beherrschtFrauBertha SingerdasGesprächund dieheimwärtsPilgern- den,dieerst jetztdieblutrünstigeSensationdesTages erfahren, rüstensich zuumständlicherErörterungderFrage,obauchdieserMordungesiihntblei- ben wird.Wo aber einVortheilzuerlisten, auchnur derkleinsteVorsprung dem Nebenmann abzugewinrienist,dafinden sichraschAllezurechtund kein Qualmgewölkblendetmehrdaslauernde Auge.Sowar esgewißauchin demVolk, dessenHerzenderHerrdenPropheten verstockenhießunddessen feinsteBürgerblüthesichspäteramNikodemusstammdemSonnenlichter- schloß.KeineStaatsformwird diedreieinigeKraftausrottenkönnen,die im Wahn,imInteresseund in derVergnügungsuchtihreWurzeln hat.Wenn- der Streit aberum wichtigeProfitfragen tobt,wirdjedexVolksklassedurch dieSchleier jeder Staatsformden zumVortheil führendenPfaderkennen.
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462 DieZukunft-
DaS Ungeheuerin der Kunst
Vorein paar Monaten hatman densiebenzigstenGeburtstagBoecklins gefeiert.Eswar ein kleinesWeltfest.-DiegedämpftentreuenWorte
»der altenFreundeund manches frühenBekenners undFörderersmischten sichhalbverlorenindenanspruchsvollenUebereiferderVerspätetenundin denlautenBeifallderMasse,diesichwiedereinmalselbstschmeichelnkonnte, unter dem Vorwande, das Genie zuehren.DieHeimathbot dieherzlichsten Huldigungen,Berlin,Basel undHamburg veranstaltetenglänzendeAnsstellungen, diePresse that ihr MöglichstesundselbstdiegekröntenHäupterEuropas—- einseltenerAnblick,—hattensich nach des Meisters eigenemBerichtmit Glückwiinschenfast vollzähligeingefunden.Jn demHeimderFremde,in derVillabeiFlorenzanjenemAbhange,derwundervoll vonFiesolezu den Uferndes Arno hinabgleitet,war dieFamilienfeier.Erhebende, rührende, heitere,ja erheiterndeZügeimEinzelnen,— imGanzeneinwehmüthigesBild.
Dereinsame Schweizerhatte gesiegtundsein festerGlaube,daßauch
erein Kind seiner Zeit "«seiunddaß diese endlicheinmalsich selbstinseinem Werkewiedererkennenmüsse,warbestätigt.Erhat reichlichgesiegt,aber,ach, so spätwiejeder ehrlicheKämpfer,— undum denPreis seinesLebens, wie jeder KämpferdesGeistes.Aberwenn nun auchdieAbendsonneherscheint, soragen dochdieGipfel seines Tagewerkesso hoch, daß sie noch langever- goldetbleiben,wenn ThalundEbene unddiebequemenHügel längstim Dunkel liegen.
Erhätteesleichterhabenkönnen. Erhättesichnurzubegnügenbrauchen.
Seine glänzendeKraftderWirklichkeitgegenüber,das stupende Gedächtniß, dietreue undfeste Hand,derkalteBeobachterblick,derihmdieDienstedes FernrohrsunddesMikroskops zugleichleistete,derFleißunddiefließende Erfindung hättenihmeinenschnellenundbreitenErfolg gesichert,wiemancher Tagesgröße.Abererwolltenichtblosnehmen.UndDas, wasergeben wollte, injedem seinerWerkegab,war eineZuthat,mitderer,derZeit voraus, die Mitwelt nachsichziehenmußte,— einlangwierigesundundank- baresGeschäft,aberdaseinzige,dasdenschöpferischenGeist reizenkann.
Was mußteerMenschlicheshinter sichlassenundin die Elementevordringen, weiteralsirgendEinervorihm? Konnte esihm nichtalsSchwächeoder alsArmuthausgelegtwerden? Oder alsBeides? Mußte seine Sprache nichtnothwendigzudenalten,starren Formelngreifen,zu denseelenlosen Elementalen,denPanen, Faunen,Nixen, Dryaden,Eentauren und Tritonen,
DasUngeheuerinderKunst. 463
zudenUngestalten,derenjedenur eineneinzigenTonwiedergiebt,da,wo einemenschlicheSeele in einervollenSymphonie erklänge? Gewiß,das Ungeheuerwar schon längstdasletzteundäußersteAusdrucksmittel desZeit- geistes geworden,abernicht seinUngeheuer,dasreinliche,dasSymboldes Elementaren,mitdem errüstigenSchrittesderWiederbeseelungderWelt zuschreitet, sonderndasleichtbegreisliche,unverbesserlicheundunabänderliche glatteScheusaldergemeinen menschlichenAlltäglichkeit,daserniemitden Fußspitzenberührthat.
Angefangen hatdieSache eigentlichschonalsReaktion gegendie HumanitätseligkeitderKlassikerzeit.DiewindelweicheundwindelwarmeSen- timentalitätRousseausmitihrem durchdringendenUebergehaltanAnthropin stiegallenkräftigerenNaturen indieNase.Goethe,derunerschütterliche Abstands-, Luft-undLichtfreundhatam Stärksten protestirt.Erverlegte zuerstwiederdiewiderlichenGerüchean ihrenOrt. Mephisto,dieThiere derHexenküche,desBlocksberges,dievereinigtenUngeheuerderheidnischen undchristlichenWeltsindlauterBestienvon eigenem,bestimmtem,sich scharf abhebendem Gestank,derkeinenZweifel läßt. Schonbalddaraufaberbe- gannmanwieder,diese DeutlichkeitzunnterschätzenUnddieRomantiker mußman direkt alsdieWegweiserindieheutigeAbstumpfungderGeruchs- nerven anklagen.Dann entwickeltesichdas moderneLeben. Dieneuen Ver- kehrsmittelerweckten demEinzelnendastäuschendeGefühlderAllgegenwart undAllwissenheitund dieErwartungderAllmacht.DieWirkung zeigte sichnaturgemäßzuerstindenKöpfenderDenker. Mit einpaarSätzen waren sieamEnde, FeuerbachundStrauß, MoleschottundVogt, Tyndall undHuxley,Renan undComte. JmFlugewar man zu dereinmüthigen Ueberzeugunggekommen,daßdie WelteingrandioserUnsinnsei,in dem zum Glück derMenschalleinnochgenugVerstand übrigbehalten habe,umdiese Wahrheit einzusehen.AlleinbereitsSchopenhauerempfanddieNothwendig- keit, diesem Nichtswieder einige handlicheEigenschaftenbeizulegen.Der WillewirdzumWeltengrundernannt. Nur einWeltwille und nur ein böserWeltwille konntedemMenschen sovielausgebreitetesGlückzugleich zeigenundversagen.DieErnennungerwies sichalsdieSpiegelungdes Gemüthszustandeseines phantasie-und temperamentvollenUnzufriedenen, desscnLebennur eineBestätigungseiner Lehreenthielt,indemersein hübsches ererbtes VermögenzuGunstenderFüsiliereund nichtetwa derHinter- bliebenen derMärzgefallenentestirte.
Unbefriedigterfand Hartmannein anderesUnthier,dassichzum Um- fangdes Weltalls ausspannen ließ.DenweiterenRückzugabersetzteNietzsche mitRiesenschrittenfort. Er istmitderAnthropomorphisirungdes Welt- wesens schonbiszu demUebermenschenmitsehr reduzirtemUngeheuergehalt
464 DieZukunft.
emporgekommen.Du Prelnimmt bei denGespensterneinen etwas langen Aufenthaltundbekennt eineunsterblicheSeele— vorläufigdesMenschen—:
einhalbtrauriger, halb komischerAnblick, wiedasfeinsteundgebildetste DenkenderEinzelnen,indemessichvondemDenken derGesammtheit,der Menschheit,entfernt,immerwiederüber dasAbsurdezujenem allgemeinen Denkenzwangsweisezurückgeführtwird. SoistdieBahn festgelegt,derFort- schrittderGeisterin dereingeschlagenenRichtung vollzieht sichmitzu- nehmenderGeschwindigkeitWonur immer irgendeinemenschlicheBe- ziehunginderVorstellungderBeschauerdie FormdesUngeheuersange-
nommen hat, Furcht, EntsetzenundVerzweiflungverursachend,dabeginnendie
starren ZügedesBildes allmählichzuerweichen,zuverblassen,zuver- schwinden,nachundnachvertrauteren, beruhigenderen,tröstenderenPlatzzu machen.Immer klarerunddeutlicherundkräftigerentfaltet sichdieEinsicht, daßdie letztenVorstellungenüber dieDinge nichtüberbestimmte, durchdie geistigeVerfassungderGefammtheitgezogeneGrenzen hinausgehen dürfen, ohne daß fich’dasWeltbild imGanzenwieimEinzelnenalsUngeheuer derVorstellung aufzwingt.Die weitere Einsicht folgt, daß solche Auf- fassung,würdesieallgemein,denBestanddermenschlichenGesellschaftaus- schlösse,aberauchbeibeschränktererAusbreitung bedrohenmüßte. Vonselbst vollzieht sichderUmschwung.WirbeginnenwiederdenlWeltgrundzuan-
thropomorphisiren,— nichtetwaaus tieferer ErkenntnißderWahrheit, jener Wahrheit,von derbeisolchenBetrachtungenimmer dieRedezuseinpflegt, obwohlessichdarum niehandeln kann, sondern,weilwirmüssen,zum ZweckderSelbsterhaltung.
Unsere gestaltendeKraftdemChaos gegenüberfängtwiederan,langsam zuzunehmen.Wirlernen wiederdieWeltnach unseremBildundGleichniß zuformen, stattuns von einemsinnlosen Phantombetäuben undlähmen zulassen· Das giltaberfreilichnur von demVortrab. DieMenge, so weitsiedenZusammenhangmit derVergangenheitverlorenhat, hält nochbei KraftundStoff.Auch ihr führtdasmoderneLebendenschwerfälligenund stumperBlicküber den ganzen Erdkreis hinundbreitet ihrer Sehnsucht unfaßbareSchätzeaus undeinJeder findet seinenAntheilzu kleinbemessen.
Mit denErfolgenderWissenschaftundTechnik,desHandelsundderJn- dustriestiegenüberalldieMißerfolgederStaats- undRegirungskunstinder Entwickelungdersozialen Lage,wiewenn siealsUrsacheundWirkungmit einanderverbundenwären. Jn Deutschland hinterließenobendreindieFreiheit- kriege,dasJahr1848,dieKriege1866 und1870 inbreitenVolksschichten einetiefe Enttäufchung.DieallgemeineMißstimmungsollmit demHinweis aufdienähergerücktenBarbaren undaufdenGewinn, derbeiihnenzu holen sei,wie imalten Romgebanntwerden.Alleinder BlickfürdieAbstände