DIE NATURWISSENSCHAFTEN
Z w ölfter J a h rga n g 3 1. O ktober 1924 H eft 44
Die Grenzen der Liebigschen Agrikulturchemie.
V o n Ad o l f Ma y e r, H eid elb erg . L i e b i g w a r ein M eister im G eb iete seiner
W issen sc h a ft u n d zu g leich eine gen iale K r a f t für die V e rte id ig u n g seiner E in sich ten , a b er die B reite seines S ta n d p u n k te s lä ß t zu w ü n sch en ü b rig.
D a ru m geriet au ch die w eitre ich e n d ste S ch ö p fu n g seines energisch en G eistes, seine A g rik u ltu rc h em ie , w o h l in d er za u b e rh a fte n R a s c h h e it ih rer E n t w ic k lu n g ; ab er die U m sich t, m it w elch er d er erste P la n a u sg e a rb e ite t und z u n ä c h st v e rw irk lic h t w u rd e, w a r u n zu reich en d .
D a w ar zu n ä ch st die V e rn a c h lä ssig u n g des vo lk sw irts c h a ftlic h e n E in sc h lag s, m it w elch em die L a n d w ir ts c h a ft als w ertsch a ffen d es G ew erb e d och ebenso zu tu n h a tte w ie m it d er W issen sc h a ft ih rer n a tü rlich e n G ru n d sto ffe , w a s zu w e ittra g e n den F eh lsch lü ssen V e ra n la ssu n g g a b . L i e b i g k a n n te sie n ich t, o b w o h l die b e treffen d e W issen s c h a ft sch on w e it e n tw ic k e lt w ar.
D a z u k a m eine u n gen ü gen d e E in sic h t in die ih m allerd in g s b e k a n n te n R e s u lta te der großen G en fer F o rsch e r, in erster L in ie S e n e b i e r u n d T h e o d o r d e S a u s s u r e , d eren E rg eb n isse in b e zu g a u f d ie A n e ig n u n g sb ed in g u n g en des K o h le n sto ffs, des a lle rw ic h tig ste n E lem en tes, au s d em d as o rg a n isch e R e ic h sein en K ö rp e r b a u t, v o n L i e b i g n ic h t in ih rer v o lle n T ra g w e ite g e w ü rd ig t w ord en sind.
D e n n die B e d in g u n g zu dieser A n e ig n u n g is t d o ch sch on n a c h den E rg eb n issen d ieser L i e b i g ein v o lle s M en sch en alter vo rsch re iten d en F o rsch e r das V o rh an d en sein u n d die M itw irk u n g des S onn en
lichts. A b e r d a ra u s zie h t der S ch ö p fer der A g r i
k u ltu rch e m ie g a r k ein e F o lge ru n ge n , u n d die K o h le n sä u re, die n a tü rlic h e Q u elle des K o h le n sto ffs, d ie er als N ä h rs to ff s c h ä tz te u n d an die S te lle des H u m u s setzte , lä ß t er in u n b eg ren zten M engen zu r V e r fü g u n g steh en , b lieb ab er den B e w eis d ieser A n n a h m e sch u ld ig.
D a m it s te h t im Z u sa m m en h an g, d a ß der F o rsch er, der d as la n g e z u v o r e n td e c k te G esetz d er E rh a ltu n g des S to ffs so fo lg e ric h tig a u f die P ro b lem e des A c k e rb a u s a n w a n d te, kein e k la re B e zie h u n g g ew an n zu d em en g d a m it ve rsch w ister- ten , ab er erst zu seiner Z e it e n td e c k te n G esetze d er E rh a ltu n g d er E n erg ie, die d o ch als V e r a ll
g em ein eru n g jen es so n ah e zu lieg en sch ein t.
A lle rd in g s h a t L i e b i g , d em D ra n g e d er Z e it fo l
gen d, a u ch e in m a l eine V o rle su n g ü b er diesen G eg en sta n d g eh a lten . D en n o ch w a r er n ic h t v ö llig in denselben ein ged ru n g en . N o ch w en ige J ah re v o r seinem T o d e, in sein em g ro ß en A u f sä tz e „ Ü b e r G ä ru n g u n d M u s k e lk ra ft“ su c h t er sich den F o lg e ru n g e n , die aus jen em G esetze fü r d as M essen der E n erg iem en g en aus den V e r
b ren n u n g sw ärm en d er b e treffen d e n S u b sta n zen sich ergeb en w ü rd en , zu e n tzieh en u n d g e b ra u ch t d a fü r die ih m als ge istreich em M anne zu r V e r fü g u n g steh en d en V ersu ch serg eb n isse v o n sch ein b a r fern liegen d en E x p e rim e n te n m it b e w u n d e ru n g sw ü rd iger D ia le k tik , der es geleg en tlich a u f ein ige S op h ism en n ic h t an k o m m t.
S o lch e V ersü n d ig u n g L i e b i g s d em G ese tze der E rh a ltu n g der E n erg ie gegen ü b er h a tte a b er die w eitg e h e n d sten K o n se q u e n zen in b e zu g a u f sein e A g rik u ltu rc h em ie , in d em die g a n ze A n s c h a u u n g des a lle rw ich tig ste n p h ysiolo g isch en P ro zesses d er g esam ten P fla n z e n w e lt, der A ssim ila tio n d es K o h le n sto ffs seines b e d eu te n d ste n In h a lts b e ra u b t w u rd e u n d a u ch so n st d ie w ic h tig s te n E in sic h te n in die U m fo rm u n g sm ö g lich k eite n des erst g e b il
d eten o rg an isch en S to ffe s ausgesch lossen w aren , die sich bei Z u g ru n d eleg en jen es G esetzes g a n z v o n selb st ergab en .
W o h l w u rd e die ric h tig e F o lg e ru n g au s den V ersu ch e n der G en fer P fla n zen p h y sio lo g en g e m a ch t, d a ß die K o h le n sä u re die H a u p tq u e lle d es K o h le n sto ffs der in d er P fla n z e erzeu g ten o rg a n ischen S u b sta n z sei. A b e r die große R o lle d es S o n n en lich ts als E n erg iesp en d erin fü r d as ge
sam te P fla n zen le b en w u rd e n ic h t d e u tlic h d u rc h s c h a u t od er w en ig sten s in ih ren F o lg e n n ic h t v o ll g e w ü rd ig t. A b e r au ch in b e zu g a u f die ü b rigen e lem en ta ren B e sta n d te ile d er P fla n z e w a r d ie E in sic h t L i e b i g s u n vo llk o m m en , u n d dies n ic h t b lo ß in b e zu g a u f das, w a s erst sp ä ter e n td e c k t w u rd e, sondern v o n vo rn h erein m it V o ru rte ile n b e la s te t. D e r S tic k s to ff w u rd e ga n z w illk ü rlic h — d enn e in w an d freie V ersu ch e h ierü b er g a b es n och n ic h t — a ls atmosphärischer, in gen ü g en d er M enge vo rh a n d e n er N ä h rs to ff b e h a n d e lt u n d d a s g an ze S ch w e rg ew ich t der la n d w irtsc h a ftlic h e n F ü rso rg e au f die A sc h en b e sta n d te ile geleg t. L i e b i g s A g rik u ltu rc h e m ie w a r n ich ts anderes als eine leid en sc h a ftlic h e V erteid ig u n g sre d e fü r d ie un- v e rb ren n lich en S to ffe , v o n denen p ra k tis c h e ig e n t
lic h n u r zw e i in B e tr a c h t kam en , d a die anderen m eist gen ü gen d im B o d en v e rtre te n sind u n d kein er b eson d eren F ü rso rg e der Z u fu h r b e d ü rfe n : P h o s
phor u n d K a liu m . Z w a r gesch ah in dieser H in sich t in d en sp äteren A u fla g e n der organ isch en C h em ie usw . en tsch ied en eine W e n d u n g zu m B esseren, d a n u n a u ch d em A m m o n ia k eine R o lle u n ter den bei d em E rs a tz in B e tr a c h t kom m en d en N ä h rsto ffe n e in g e rä u m t w u rd e. A b e r dieser S c h r itt w a r ein d e u tlich es Z u rü ck w e ich e n in b e zu g a u f die zu erst v e rte id ig te n L eh rsätze, ein Z u r ü c k w eich en , d as n u r sehr u n v o lls tä n d ig d u rch d ie
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906 Ma y e r: Die Grenzen der Liebigschen Agrikulturchem ie.
A u sre d e g e d e c k t w u rd e, d a ß j a a u ch d as A m m o n ia k ein a n o rgan isch er N ä h rs to ff sei, gen au w ie die A sc h en b e sta n d te ile. D a s is t j a so, ab er:
„ v o r T isc h e las m a n ’s an d ers“ . D a w aren eben d ie A sc h en b e sta n d te ile, die fre ilich der a n o rgan - n isch en C h em ie angeh ören , a b er sich m it deren G ren zen kein esw egs d ecken , Z e tte l u n d E in sc h la g d e r n eu en L eh re gew esen.
D e r säch sisch e G en era lse k re tä r la n d w irts c h a ft
lic h e r V erein e, R e u n i n g , ein er d er ersten , die m it B e g e is te ru n g der L ie b ig sch en N e u eru n g e n tg e g e n k a m e n , soll im m er k o p fsc h ü tte ln d v o r seinen V e r su ch sfeld ern g e stan d en h ab en , w en n die P a rze lle n m it A m m o n ia k d ie b esten E rtr ä g e lieferten , und d er M eister selb er e n tsch u ld ig te sp ä te r dies u n e rw a r te te E rg eb n is m it der A u sred e, d a ß m an m it dem S tic k s to ff g ew isserm aß en n u r Z e it g e w ön n e, d a ß ab er in W a h r h e it die A sc h e n b e sta n d te ile die ein zigen d a u ern d n o tw en d ige n N ä h rsto ffe d a rs te llte n . D a d u rc h w u rd e ab er, w ie es b ei sin n fä llig e n B ew eisen gegen ü b er v o rg e fa ß te n M ei
n u n g en zu gehen p fle g t, der B ew eis gew isserm aß en n u r in eine and ere D im en sio n versch o b en .
D a ß es en d lich b ei d em L ie b ig sch en U n g e stü m d es V o rg eh en s n ic h t an d erb en S ch n itzern feh len k o n n te , v e rs te h t sich v o n selb st. H ie rzu rech n e ic h a u ch w en ig er d en v o n C o n r a d gefu n d en en , die V erw ec h slu n g d er w ü ste n rö m isch en C a m p a g n a m it der a n tik e n P r o v in z C am p an ien , d er ein stigen K o rn k a m m e r Ita lien s, d ie in fo lg e des R a u b b a u s a n P h o sp h o rsäu re diese tra u rig e V e rä n d e ru n g er
fa h re n h a b en so llte . D e n n d as ist. so u n v e rz e ih lic h d er Ir rtu m (u n g efäh r so, als w o llte m an B la u b eu ern m it d em K ö n ig re ic h B a y e r n verw ech seln ) e rsch e in t, d o ch n u r ein B e isp ie l d er m ehreren, d essen W e g fa ll n ic h t v ie l an d er S a c h la g e v e r ä n d e rt. A b e r d a ß L i e b i g die K ö rp e rlä n g e d er e n g lisch en R e k r u te n u n b ed en k lich der A u s fu h r d e u t
sch en K n o ch e n m e h ls n a c h E n g la n d zu sch rieb , d as e rsch e in t a ls ein s ta rk e s S tü c k v o n k a u m v e rz e ih lich e r L e ic h tfe r tig k e it.
B e i w e ite m d as W ic h tig s te a b er w a r d er vo n uns zu erst g e n an n te P u n k t, der ab er e rst n ach d e m H in zu g e fü g te n in sein er g a n zen T ra g w e ite e rk a n n t w erd en k a n n , d a ß L i e b i g m it seinen R a t s ch lä g e n fü r die L a n d w ir ts c h a ft b e g an n , ehe er ü b er die B e d in g u n g en des P fla n z e n b a u s ein dem S ta n d e der N a tu rw is se n s c h a ft sein er Z e it e n t
sp rech en d es k la re s U r te il gew on n en h a tte . E r k a n n te den V o rg a n g d er E rz e u g u n g des o rg a n i
sch e n S to ffs in der grü n en P fla n z e , ja w o h l, er w u ß te vo n der M itw irk u n g des S o n n e n lich ts d ab ei, h a t so g a r in seinen p o p u lä ren V o rle su n g en u n d sein en ch em isch en B rie fen a llerlei F o lg e ru n g e n a u s d ieser T a ts a c h e g e m a ch t, ab er d a ß dies S o n n en lic h t w ed er in u n b eg re n zter M enge v o rh a n d e n w a r, n o c h w ie d ie D ü n g e sto ffe n a ch B e lieb en h in z u g e fü g t w erd en k o n n te , d as w a r seinem S c h a r fb lic k e n tg a n g en . D ieser U m sta n d is t es a b e r, der der L a n d w i r t s c h a f t i h r e g a n z e ig en tü m lic h e S te llu n g g ib t. D e m P r a k tik e r is t dies V e r
h a lte n b e k a n n t u n te r d em N a m en v o n Orund-
rente; u n d ohne m it d er G ru n d ren te R e c h n u n g zu h a lten , k a n n d em A c k e rb a u ü b e rh a u p t kein w eit- tra g e n d e r R a ts c h la g gegeb en w erd en . D em N a tu r
w issenschaftler aber lag es ob, diese Grundrente zu zerlegen in die m ateriellen oder energetischen Elem ente ihres Zustandekom m ens.
O d er a u f den F a ll A sc h en b e sta n d te ile a n g ew en d e t: Ü b e r die M enge ein em A c k e r zu zu fü g e n d e r P h o sp h o rsäu re w a r n ich ts B e stim m te s a u szu sagen , also a u c h ih r v o lle r E r s a tz n ic h t als P o s tu la t e in zu stellen , ohne m it d em G ra d e der Intensität des A ck e rb a u b e trie b e s, d. h. ins N a tu rw isse n sc h a ft
lich e ü b ersetzt, m it d em V e rh ä ltn is v o n N ä h r
sto ffe n zu der g leich b leib en d en M enge S o n n en lich t R e c h n u n g zu h a lte n . U n d d as w u rd e eben v o n L i e b i g n ic h t ein geseh en oder v e rsä u m t, u n d so g e la n g te er tr o tz sein em h ö c h st folgereich en F in g e r
zeig in d er g u te n R ic h tu n g zu einer g ä n zlich fa lsch en „ D ü n g u n g s p o litik “ , d eren ü b le F o lg e n n u r d u rc h d ie T r ä g h e it des m en sch lich en G eistes, d er d em kü h n en N eu erer n ic h t in seiner rasch en F a h r t zu fo lgen ve rm o c h te, in e rträ g lich e n G renzen g e h a lte n w u rd en . F re ilic h b le ib t m it dieser w ill
k ü rlic h e n B e sc h rä n k u n g die L ie b ig sch e N eu eru n g n och w ic h tig gen u g, ersten s w eil d a d u rc h p rin zip iell m it der a lte n E m p irie der S ta llm is tw irt
s c h a ft u n d d em D o g m a v o m allein seligm ach en d en H u m u s geb ro ch en , u n d zw eiten s, w eil die A n g e leg en h eit au ch n u r fü r P h o sp h o r u n d K a liu m eine so e m in en t w ic h tig e w ar, d a ß u m sie allein g ro ß e w isse n sch a ftlich e S ch la ch te n gesch lagen w erd en d u rfte n . V o n d em Z e itp u n k t der A u f s te llu n g d er n eu en L eh re b e g a n n die D a rste llu n g d er S u p e rp h o sp h ate im gro ß en S til u n d ein ige Z e it sp ä te r die V e rw e rtu n g d er S ta ß fu rte r S a lze a u f K a li, d ie zu n ä c h st n u r a u f K o c h s a lz g em u te t u n d ü b rig en s a u f d em A b ra u m g e la g ert w ord en w aren .
A lso z u sa m m e n fa sse n d : die L ie b ig sch e A g r i
k u ltu rch e m ie w a r w e it m eh r ch a ra k te ris ie rt d u rch die E in d rin g lic h k e it ih rer P ro p a g a n d a als d u rch F o rtg e s c h r itte n h e it ih res w isse n sch aftlich en B e stan d es. D a rin lie g t ih re S tä rk e u n d zu g leich ihre S ch w ä ch e ; w a s sie b e h a u p te te , w u rd e allgem ein b e g riffen . D ie Z e it des V erstän d n isses w a r reif, ü b e rreif fü r sie. A b e r gerad e w e il der V o rsto ß m it so u n geh eu rer W u c h t gesch ah , g esch a h er au ch ohne g ro ß e B e d e n k lic h k e it. D ie la n g sa m er fo l
gende K r it ik h a tte es leich t, L ü c k e n und U n vo llk o m m en h e ite n fe stzu ste llen . E s w a r d a m it, w ie m it d em V o rs to ß eines u n gestü m en R e ite r
gen erals, d em d er b esin n lich e G en era lsta b feh lte u n d e rst n a c h trä g lic h a m Z eu ge flic k te .
D ie M itlä u fe r L i e b i g s w aren en tw ed er F a c h ch em iker, d ie n i c h t s v o n L a n d w i r t s c h a f t v e r s t a n den, od er ein w en ig u rteilsfä h ig es, sen satio n s
lu stig e s L a ie n p u b lik u m ; d a zu die ju n g e n C h em ik er an d en n u n ü b e ra ll b e g rü n d e ten V ersu ch sstatio n en , v ie lfa c h w isse n sch a ftlich h a lb g e b ild e te A p o th e k e r, d ie u m b illig e s G eld die A n a ly se n m a ch ten ; die G eg n e r: die g a n ze k o n s e rv a tiv e L a n d w irtsc h a ft, die a b er w ied e ru m in ih ren chem isch en K e n n t (" Die N atur
wissenschaften
Heft 44. 1
31. 10. 1924J Ma y e r: Die Grenzen der Liebigschen Agrikulturchem ie. 907
nissen zu k u rz ka m , u m n ic h t w en igsten s in den H a u p tp u n k te n d en k ü rzeren zu ziehen. So er
w a rb die neue L eh re b a ld eine a u sgeb reitete A n h ä n g ersch a ft, die n och d u rch die L ieb igsch en ch em isch en B rie fe, die ä u ß e rst anregen d ge
sch rieb en w aren u n d in einer der gelesensten Z eitu n g en D e u tsch la n d s und sp ä ter au ch als B u c h in m ehreren A u fla g e n erschienen, sehr g e steige rt w u rd e. E s g in g w ie m it der D a rw in sch en T h eorie.
E s w a r b a ld gefäh rlich , and erer A n s ic h t zu sein.
M an tru g die k o n ze n trierte D ü n g u n g eines A c k e r la n d e s in der H osen tasch e, u m freilich — w ie die v e re in ze lte n G eg n er m ein ten — die E rn te in der and eren n a ch H au se zu tra g e n . A b e r die K r itik w u rd e d u rch diese a llg em ein v e rb re ite te freu d ige S tim m u n g n ic h t d au ern d au f die S eite geschoben, u n d d a S ch reib er in dieser G eg en b ew eg u n g eine gew isse R o lle sp ielt, die d a rg e ste llt w erd en m uß, u m der G esch ic h te g e re ch t zu w erden , so sei es ih m g e s ta tte t, in dieser D a rs te llu n g in d er ersten P erso n zu reden, n ic h t aus E ite lk e it, sondern u m d a d u rc h die E rz ä h lu n g a n zu k ü rzen u n d d rastisch er zu g e stalten . W ird ja d o ch b ei d em h ohen L eb e n s
a lte r d em E rz ä h le r d u rch den n a tü rlich e n L a u f d e r D in g e b a ld d as en d g ü ltig e S ch w eigen a u f
e rle g t sein.
A lso , u m zu b egin n en . Ich , A d o l f M a y e r , im Jah re 1843 geboren, v o n M u tters S eite h er einer a lte n F a m ilie an geh örig, d ie sich beson d ers in d en N a tu rw isse n sch a ften h e rv o rg e ta n h a tte , E n k e l v o n L e o p o l d G m e l i n , d em V erfa sser des groß en H a n d b u ch s, u n d selb st v o n K in d esb ein en an diesem W issen zw eige zu gen eigt, w a r d u rch eine gan ze R e ih e v o n äu ß eren U m stä n d en g ew isserm aß en d a zu vo rh e rb e stim m t, d er K r itik e r d er D in g e zu w erd en , die h ier zu r V e rh a n d lu n g stehen.
M ein L e b e n s la u f u n d S tu d ie n g a n g bis zu r B e a rb e itu n g m eines L eh rb u ch s im Jah re 1869, in dem eine E rw e ite ru n g d er A g rik u ltu rc h e m ie bis zu ih rem n atü rlich e n U m fa n g u n d eine B e sc h n e i
d u n g d er L ieb igsch en E in se itig k e iten v e rs u c h t w u rd e, w a r k u rz der fo lg en d e: S tu d iu m zu K a r ls ru h e u n d n a ch der W e n d u n g zu r C h em ie, zu w e l
ch e r ic h am P o ly te c h n ik u m n u r die A n fa n g s grü n d e leg te, in H eid elb erg zu r Z e it des h ö ch sten G la n ze s des D reig estirn s B u n s e n , K i r c h h o f f und H e l m h o l t z . P ro m o tio n b ei den b eid en e rst
g e n an n te n und dem M a th em a tik e r H e s s e 1864;
d a n a c h ein kü rzeres S tu d iu m in G e n t bei K e k u l e , d e r ab er in seiner d a m alig en D epression als ju n g e r W itw e r kein en en tsch eid en d en E in flu ß a u f m ich ü b te . D a n a c h ein v e rfe h lte r V ersu ch in der b e l
gisch en T e c h n ik und 1865 eine Ü b ersied lu n g n ach H a lle, w o m ir b e i H e i n t z eine A ssisten ten ste lle a m ch em isch en L a b o ra to riu m in A u s s ic h t stan d , d ie ich am 1. J an u a r 1866 a u tra t.
In H a lle nun en tsch ied sich m ein S ch ick sa l d u rch h o sp itieren d en B esu ch am la n d w irts c h a ft
lich en In s titu t. Ic h w ard a n g ereg t d u rch den D ire k to r desselben, J u l i u s K ü h n , h ö rte die V o r lesu n gen des A g rik u ltu rc h em ik ers S t o h m a n n , eines A n h ä n g e rs L i e b i g s , der m it dem M eister d u rch
d ic k u n d d ü n n gin g, u n d die des V o lk s w ir ts c h a ft
lers G u s t a v S c h m o l l e r , dem n och eine g ro ß e L a u fb a h n b e v o rs ta n d . D iesen dreien v e rd a n k e ich v ie l u n d h a b e ih n en au ch in D a n k b a rk e it die erste A u fla g e m eines o ft ge d ru ck te n L eh rb u ch s zu g e eig n e t.
Z u d er L a n d w ir ts c h a ft h a tte ich bis dah in ü b e rh a u p t kein e B e zie h u n g e n g e h a b t. Ic h w a r ein ech tes S ta d tk in d , m ein e F a m ilie „o h n e H alm und A r “ . K a u m d a ß ich die g ew ö h n lich en F e ld frü c h te k a n n te. M eine E lte r n h a tte n M iets- oder A m tsw o h n u n g e n ohne G a rte n od er a u ch nur V e r a n d a b ew o h n t, B o ta n ik od er Z o o lo gie h a tte ich nie g e h ö rt, k a u m ein b iß ch en B lu m e n zu c h t am F e n ste r getrieb en . Ic h w a r 14 Jah re a lt, als ich d as S ch n eeg löck ch en k e n n en lern te. A b e r der neue G eg en sta n d p a c k te m ich im G e g e n sa tz zu r chem ischen F a b r ik , die m ir v o n G ru n d v e rle id e t w ar. D ie F lu c h t in die P h y sio lo g ie , w elch e die P h a n ta s ie so m ä c h tig an reg te, n a ch d em b loßen S to fflic h e n im L a b o ra to riu m . D en n ich w a r n ic h t b lo ß v o n M u tters S eite her erb lich b e la s te t m it der N e ig u n g, allen n a tü rlich e n D in g e n a u f den G ru n d zu k o m m en , sondern h a tte a u ch vo n V a te rs S e ite her, der aus ein er k u n s tb e g a b te n F a m ilie sta m m te u n d s e lb st ein S tü c k D ic h te r w ar, e tw as F o rm sin n m itb ek o m m en , der in d em b lo ß e n Z e r
leg en u n d Z e rp flü ck e n k ein G en ü gen fan d , und b is zu m A u fb a u in der C h em ie selb er w a r ich n o c h n ic h t v o rge d ru n g en , w eil m ich K e k u l e als M ensch e n ttä u sc h t h a tte .
U n d d a h a tte K ü h n m it sein er e h rfu rc h t
geb ieten d en P e rsö n lich k e it, m it seinem u n erm ü d lich e n S treb en , d as dem sch w in d sü ch tigen K ö rp e r g e b o t, m it ein em U n terrich tsg eg en sta n d , der v o n d er d u m p fen ch em isch en K ü c h e a u f d as freie F e ld h in au sfü h rte , u n d m it seiner L eb e n sa u fg a b e, d as ä lte ste , n a tü rlic h ste u n d n ü tzlic h ste a l l e r G ew erb e zu n eu em A u fs tie g zu verh elfen , einen großen u n d b leib en d en E in d ru c k a u f m ich gem a ch t.
J u l i u s K ü h n w a r b e g eistert fü r sein F a c h , v ö llig a u f d er H öh e v o n allen seinen th e o retisch e n und p ra k tisc h e n F o rd eru n g en , ein M ik ro sk o p ik er, der E n td e c k u n g e n zu ve rze ic h n en h a tte , u n d zu g leich ein tre u e r k o n s e r v a tiv e r p reu ß isch er B e am te r, w ie m ir im W esten , w o m an alle D in g e leich ter nah m , n och k ein er u n ter die A u g e n g ek o m m en w ar.
U n d d a fan d e n sie sich n u n zu sam m en , alle die B e sta n d te ile , die a u ch den b is d ah in d er g an zen A n g e le g e n h e it F ern steh en d en a u srü ste te n zu einer tie f ein sch n eid en d en K r itik des b is d ah in in der A g rik u ltu rc h e m ie F eststeh en d en . N ein, n och eines k a m h in zu , a b er etw as, d as m ir gerad e in dem H a llesch e n K reise a u fstie ß , in d em K reise dieser den la n d w irtsc h a ftlic h e n In teressen zu g ew a n d ten N a tu rw isse n sc h a ft. D ies w a r die L e k tü re der als 4. B a n d d er H o ffm eistersch en B o ta n ik ersch ie
nen en P fla n ze n p h y sio lo g ie vo n J u l i u s S a c h s . In d iesem B u c h e wrar, w ie ich glau b e, zu m ersten M ale d ie a u slän d isch e L ite ra tu r ü b er diesen G eg en sta n d , n am en tlich die A rb e ite n v o n S e n e -
Ma y e r: Die Grenzen der Liebigschen Agrikulturchem ie. T Die N.'itur- Lwissenschaften b i e r u n d d e S a u s s u r e , v o ll zu ih rem R e c h te
geko m m en u n d stre n g w isse n sch aftlich u n d d och zu g le ich in p ack en d e r, leserlich er D a rs te llu n g v o r
ge tra g e n . D ie d eu tsch e P h y sio lo g ie w a r b is d ah in rü c k s tä n d ig und gerad ezu in m y stisc h e r N a tu r p h ilosop h ie b efa n gen .
D a s p a c k te m ich , w eil ich in dieser P fla n z e n p h y sio lo g ie G ele g e n h eit fan d , zu r sch m erzlosen A n a ly s e u n d S e k tio n des L eb e n s selber, dieses geh eim n isvo llen , die P h a n ta s ie an reg en d en G e schehens, d as m ich w e it m eh r fesselte a ls die S ch eid e k u n st des to te n S to ffe s.
W ie S a c h s z u seiner glä n zen d en u n d fesseln den D a rste llu n g sw e ise ge lan g te , is t m ir im m er ein R ä ts e l geb lieb en . S ein u n re g e lm äß ig er S tu d ie n g a n g in d er b ö h m isch en H a u p ts ta d t is t n irgen d s ga n z d e u tlic h d a rg e s te llt. E r soll als g e w a n d ter Z eich n er in d er V e rsu c h ssta tio n sk a rrie re rasch in die H ö h e gek o m m en sein, w a s a u f eine u n gew ö h n lich e B e g a b u n g d e u te t. E r h a t b e k a n n tlic h s p ä te r als P ro fesso r in W ü rz b u rg eine große S ch u le u m sich v e rsa m m e lt. D e r H o llä n d e r d e V r i e s h a t sich in dieser h e ra n g eb ild e t. M it g ro ß em E h rg e iz w u rd e ü b er den R u f derselb en g e w a c h t u n d A n g riffe g rau sam zu rü ck g e sch la ge n . D e r W ie n e r B o ta n ik e r B ö h m h a t sp ä te r S a c h s im m er n u r den P a p s t v o n W ü rz b u rg ge n an n t.
G le ic h v ie l b ei sein em A u fs tie g u n d in den ersten seiner n ic h t im m er gleich w ertig en L e is tu n gen w ar S a c h s h e rv o rra g e n d , u n d w as er gab , w a r ein e w illk o m m en e E rg ä n z u n g v o n L i e b i g s A u f
fa ssu n g des P fla n zen le b en s, in der sich alles b lo ß u m d ie A sc h e n b e sta n d te ile d reh te.
E s m a g d a ra n erin n ert w erd en , d a ß d ie ga n z k o rre k te n S ch ü ler L i e b i g s , d ie m it ih m d u rch d ic k u n d d ü n n gin gen , sch lie ß lich g la u b te n , m it der A sc h e n a n a ly se eines G ew äch ses a u c h dessen g an zes E rze u g n is, a u c h d er Q u a litä t n ach , in H ä n d en zu h ab en . So a n a ly sie rte n (oder ließ en an alysieren ) B l a n k e n h o r n u n d R ö s l e r in ein em k o stsp ie lig e n U n tern e h m e n , d as n u r au s d em E r t r a g v o n h e rv o rrag e n d en R e b g ü te rn fin a n zie rt w erd en k o n n te , a lle R e b so rten d er W e lt in der M einun g, d a ß m a n d u rc h die K e n n tn is ih rer A sc h e n b e sta n d te ile A u fs c h lu ß ü b er d ie Q u a litä t der e rzie lten W e in e erh a lten w ü rd e, u n d die R e s u lta te dieses U n tern eh m en s w u rd e n in einer b esonderen Z e itsc h rift, d ie d en g e leh rten T ite l
„ A n n a le n der Ö n o lo g ie “ erh ielt, a u sfü h rlic h v e r ö ffe n tlic h t. D ies is t eines d er B e isp iele d a fü r, w ozu die ein seitige L ie b ig sch e A g rik u ltu rc h e m ie , die a u f v ie l zu sch m aler B a sis a u fg e b a u t w ar, u n k ritisc h e G eister, die d o ch den a u fric h tig ste n W ille n h a tte n , der W e lt zu n ü tze n , u n d d enen au ch ich in an d rer H in sic h t w irk lic h zu D a n k v e rp flic h te t bin , v e rfü h re n k o n n te.
D e r ein geh en d en B e sc h ä ftig u n g m it P fla n z e n p h y sio lo g ie, die in D e u tsc h la n d bis d ah in h in ter der des T ierk ö rp e rs a u ffa llen d zu rü ck g e b lieb e n w a r (da fü r diese die au sged eh n ten m edizinischen F a k u ltä te n so rgten ), v e rd a n k e n m eine eigenen V o rlesu n gen , d ie ich w en ig e J ah re sp ä ter a u sa rb ei
te te , d as V erm ö gen , d as d u rch L i e b i g g estö rte G le ic h g e w ic h t h erzu stellen , so d a ß n u n die h o c h w ic h tig e A n e ig n u n g des K o h le n sto ffs neben der d er A sc h en b e sta n d te ile ih re geb ü h ren d e S tellu n g erh ielt.
D ie B e v o rz u g u n g der le tz te re n h a tte b ereits w eitere K reise gezo gen u n d b eh errsch te die L e h r
b ü ch er selb st ü b er die G ren zen v o n D e u tsch la n d h in au s. So h a t der v ie l gelesene, ab er eines eigenen U rte ils g ä n zlich e rm an geln d e H e y d e n die K o h le n säu re au fn ah m e im m er als ein e stets v o r sich geh end e S e lb stv e rstä n d lic h k e it b eh an d elt, a u f die d as G ese tz des M in im um s g a r n ic h t a n w en d b ar sei, w o g eg en B o r n e m a n n noch in unseren h eu tig e n T a g e n reagieren m u ß te , als er seine schönen V ersu ch e ü b er d ie E rfo lg e einer k ü n stlich e n K o h le n säu re zu fu h r, an die w ir je t z t in der Z e it der N o t e rn stlich d en k en m üssen, v e rö ffe n tlic h te . M an ersieh t h ierau s, w ie eine falsch e, d u rch gro ß e A u to ritä te n g eh eilig te E in ste llu n g n och lan g e ihre v e rd erb lic h en K re ise zieh t.
D ie b e k a n n te ste F o lg e ru n g L i e b i g s ab er w a r die L eh re v o m Raubbau, jen es S ch reck en sgesp en stes des allgem ein en V e r fa lls der K u ltu r eines L a n d e s in fo lg e der V e rs ü n d ig u n g a m regelm äß igen u n d ä n g stlich e n E rs ä tze d er m it d er E rn te w eg g efü h rten A sc h en b e sta n d te ile. H ier w aren es m eine eifrigen u n d m it L ie b e au fgen om m en en S tu d ie n der N a tio n a lö k o n o m ie b ei d em H allen ser P ro fesso r S c h m o l l e r , die sp ä te r in eifriger L e k tü re R o s c h e r s und J o h n S t u a r t M i l l s fo rt
g e setzt w u rd en , die m ich in sta n d setzten , L i e b i g einen F eh lsc h lu ß n ach zu w eisen , w as d an n in der 1869 ersch ienenen B ro sch ü re „ D a s D ü n g e rk a p ite l u n d der R a u b b a u “ gesch ah . D a rin w u rd e g ezeig t, d a ß d er R a u b b a u e ig en tlich im m er n u r eine P h ase der herrsch en d en w irts c h a ftlic h e n Z u stä n d e sei, die v o n selb st dem v o lle n E rs ä tz e od er g a r der A n h ä u fu n g v o n D ü n g esto ffe n im B o d e n P la tz m ache, so b ald die U m stä n d e zu g rö ß erer In te n s itä t der W ir ts c h a ft d rän g ten .
S c h m o l l e r w a r einer jen er gru n d gesch eiten , beson n en en S ch w a b en (m it den ersten F am ilien des L a n d es ve rsc h w ä g e rt), die eine so große R o lle in d er E n tw ic k lu n g des d e u tsch en w isse n sch aft
lich en G eistes spielen. E r w a r in ric h tig er W ü r
d ig u n g seiner u n gew ö h n lich en B e g a b u n g sehr ju n g au s d er B e a m te n la u fb a h n h erau s n ach H a lle b eru fen w ord en u n d h a tte m ich d o rt seines p er
sö n lich en U m g a n g s g e w ü rd ig t. U n d J . S t . M i l l w a r ü b e rh a u p t ein er d er L e itste rn e m eines L eb en s, d u rch seine V o lk sw irtsc h a ftsle h re sow ohl als d u rch seine L o g ik , d ie ich b a ld m it E ife r stu d ierte und die m ich , w ie ich glau b e, v o r d en Irrw eg en der d eu tsch en P h ilo so p h ie b e w a h rte . V o n den V e r
tre tern d ieser m u ß ich n u r den N e u k a n tia n e r Fr. A . L a n g e m it D a n k b a rk e it nennen, dem ich w ied eru m d as V e rd ie n st zu sch reib e, d a ß ich m ich ' v o n d em den N a tu rw isse n sch a ften so n ah elieg en den M ateria lism u s a b w a n d te u n d au ch n ich t gan z u n d g a r in d en M ill-S p en cersch en U tilita rism u s v e rs a n k .
Ma y e r: Die Grenzen der Liebigschen Agrikulturchem ie. 9 0 g H e ft 44. 1
3 1. 10. 1924J
G ro ß e N a c h te ile h a b en der L ie b ig sch en L eh re au ch dessen n ic h t p rin zip ielle, d o ch (infolge n ich t vo llstän d ig e n E in d rin g e n s in die Lehre) ta ts ä c h lich e V erleu g n u n g des G esetzes der E rh a ltu n g der E n erg ie g e b ra ch t, d as d o ch au ch a u f ch em isch e V o rg ä n g e B e z u g h a b en m u ß te . In diesem P u n k te w a r ich schon d u rch die H eid elb erg er A tm o sp h ä re , au ch d ie B e rü h ru n g m it dem schon gen an n ten gro ß en D reig estirn zu einer R ic h tig s te llu n g dieser A n sch a u u n g en a n g ereg t w orden. B u n s e n w a r u n ter den drei G en an n ten der origin ellste, K i r c h - h o f f der e x a k te s te und H e l m h o l t z der u m fassen d ste K o p f, u n d w u n d erb ar e rgä n zten sie ein an d er. D e r G ed a n k e der U m k eh ru n g der leu ch ten d en S p ek tra llin ien in die F rau n h o fersch en S c h a tte n w a r als G e d a n k en b litz b ei B u n s e n e n t
stan d en , ab er K i r c h h o f f a rb e ite te denselben m a th em a tisch d u rch u n d fan d den k ü h n en W itz in allem E rn ste a n w en d b a r; u n d w en n m a n in der K le m m e w ar, so g in g m an zu H e l m h o l t z , der fü r alles R a t w u ß te u n d in allen S ä tte ln g e rech t w ar.
E in id eales Z u sam m en leb en u n d S ch affen ohne jed es E ig en in teresse.
H e l m h o l t z h a t au ch d as G ese tz vo n der re s t
losen U m w a n d lu n g d er versch ied en en K r ä fte b ei b leib en d er Ä q u iv a le n z , also die U n ze rstö rb a rk e it aller K r ä fte als G an zes, n ic h t zu erst au sgesp roch en , ab er a m m eisten gefö rd ert. In dieser A tm o sp h ä re leb te u n d a tm e te m an in den sech zig er Jah ren in H eid elb erg , u n d m ein n och leb en d er F re u n d A u g u s t H o r s t m a n n , der sich gegen E n d e dieses J ah rzeh n ts an der d o rtig en U n iv e rs itä t u n gefäh r g le ic h z e itig m it m ir h a b ilitie rte , w a r d a m it b e
sc h ä ftig t, fü r die U m w a n d lu n g der E n erg ie b ei ch em isch en U m se tzu n g en G leich u n g en a u fzu stellen .
W ie w a r es n u n ab er an g esich ts dieser G e se tz m ä ß ig k e ite n m ö glich , d a ß L i e b i g u n b ed en k lich un d ohne en tsp rech en d en G e w ic h tsv e rlu st K o h le n h y d r a te im T ierk ö rp e r sich in F e t t v e rw a n d e ln ließ ? A lso v e rsu ch te ich diese B e d en k e n in die G ru n d fra g e n der A g rik u ltu rc h e m ie ein zu fü h ren u n d b ei der tierisch en u n d d er P fla n z e n a tm u n g sow ie b ei d em P ro ze ß der a lko h o lisch en G ä ru n g die B e d in g u n g en au fzu fin d en , u n ter denen solche Ü b e rg än g e m ö g lich w ären . D e r G ä ru n g w a r a u ch m eine im Jah re 1868 erschienene H a b ilita tio n s s c h rift gew id m et.
B e i L i e b i g stan d en die F e tte den K o h le n h y d ra te n d esh alb besonders n ah e, w eil sie b eid e n u r aus d rei E lem en te n zu sam m en g e se tzt w aren , u n d den s tic k s to ffh a ltig e n E iw e iß sto ffe n gegen ü b er jen e d ie wärmeerzeugenden, diese die plastischen N ä h r
sto ffe . W ie sch ief d as w ar, m u ß te b a ld an den T a g kom m en , u n d au s d em G esa gten w ird d e u t
lich , w a ru m ich au ch gerad e h ier zu m W id e rsp ru ch a n g e re iz t w erd en m u ß te .
A b e r a u c h h in sich tlich der V ern ach lä ssig u n g des S tic k s to ffs a ls w ic h tig stem N ä h rsto ff, d er n ic h t h in reich en d in der A tm o sp h ä re in b ra u ch b a rer F o rm vo rh a n d e n ist, fü h lte ich m ich b eru fen , und z w a r in diesem F a lle exp erim en tell m it a n zu g rei
fen, in d em ich w en ige Jah re sp äter m it m einem S ch ü ler, d em B o ta n ik e r L u d w i g K o c h , die A m m o n ia k a u fn a h m e d u rch die P fla n zen b eh an d elte, sie m ö glich , a b er zu u n b ed eu ten d fan d . B e k a n n t
lic h h a t erst H e l l r i e g e l 1886 diese F ra g e v ö llig g elö st. A b e r m e rk w ü rd ig , so groß w a r L i e b i g s A u to r itä t u n d d es erfo lg reich en V ersu ch sa n stel- lers rü h ren d e B esc h eid e n h eit, d a ß H e l l r i e g e l n och einen T e il seines R u h m e s a u f den M eister zu ü b e rtra g e n su ch te, in d em er d as, w a s u n ter gan z b eson d eren U m stä n d en u n d n u r fü r die S ch m et- terlin g sb lü tig en ric h tig w ar, als d as d u rch L i e b i g s v o ra u sb lick en d e s A u g e E rs c h a u te h in ste llte. U nd d as is t k ein esw egs der ein zige F a ll solch er b ein ah e h y p n o tisieren d e n E in w irk u n g . A u c h B ü c h n e r , der E n td e c k e r d er Z y m a se als w irk sa m er a lk o h o l
e rzeu g en d er B e sta n d te il der H efezelle, sah ein M en sch en alter sp ä ter diese au fseh en erreg en d e E n t d ecku n g , die ih m den N o b elp reis e in tru g , gew isser
m aß en n och als eine A r t v o n B e s tä tig u n g der a lte n L ie b igsch en G äru n gsth eo rie an, w elch e d o ch die O rg a n isa tio n des F erm en tes als e tw a s W e s e n t
lich es ü b e rh a u p t ge leu g n et h a tte . So s ta r k w a r d ie P ie t ä t des jü n g e re n G esch le ch ts gegen ü b er d em alles m it sich fo rtre iß e n d e n G en ie, a u ch w o sich d asselb e ein m a l re c h t g rü n d lich v e rh a u en h a tte .
D ie eben erw äh n ten B eisp iele b rin g en m ich zu g le ich a u f eine w eitere G e g n e rsc h a ft m eines ü b e ra ll gerne au s eigen en A u g e n sch a u en d en Ich s gegen den b erü h m ten B e g rü n d e r d er A g r ik u ltu r chem ie, eine T a ts a c h e , die h ier e rw ä h n t w erd en m ag, w eil die G ä ru n g th e o retisch so w o h l w ie p ra k tis c h m it ins B e re ic h u n serer W issen sc h a ft geh ö rt. N a c h d em S tu d iu m d er s o rg fä ltig e n u n d o rig in ellen S tu d ie n P a s t e u r s w a r ich ein ü b e r
z e u g ter V it a lis t a u f d iesem G e b ie t gew o rd en u n d h a tte die E rg eb n isse des fran zö sisch en F o rsch ers d u rch eine seh r v ie l ein geh end ere U n te rsu c h u n g des N ä h rsto ffb e d a rfs des H efep ilzes fo rtg e s e tzt.
M eine H a b ilita tio n s s c h r ift w a r w ie g e sa g t diesem G eg en sta n d gew id m et.
A b e r L i e b i g v e rs te ifte sich a u f sein e rein ch em isch -m ech an isch e E rk lä r u n g und le h n te den G eb ra u ch des M ik ro sko p s in G ä ru n g sfra g e n a b u n te r d em V o rw a n d e , d a ß m an sich d o ch n ic h t ein b ild en solle, U rsach en sehen zu w o lle n . A ls ob n ic h t alles, au ch d as C h em isch e, m it unsern sin n lich en E rk e n n u n g sm itte ln e r fa ß t u n d b e o b a c h te t w erd en m ü ß te u n d erst n a c h tr ä g lic h in u n serem G eiste als u rsäch lic h , fo lg e m ä ß ig oder n eb e n sä ch lich g e w e rte t w erd en m ü ß te . D a s w ar also n u r ein d ia lek tisch e s K u n s tstü c k c h e n , ein M ätzch en , w ie m an h e u tzu ta g e sa g t, d as aber n ich tsd esto w en ig er d a m a ls in w eiten K reisen B e i
fa ll gen oß .
So fa n d ic h m ich in vie len , vie len S tü ck en dem fre ilich im g ro ß en u n d g a n zen v e rd ie n stv o lle n M anne als W id e rp a rt gegen ü b er u n d h ie lt es fü r m eine P flic h t, m eine eigen e M einu n g zu sagen u n d , so w e it ic h selb er seh en kan n , w a r diese m eine M ein u n g ü b e ra ll eine w esen tlich e R ic h tig s te llu n g .
Nw. 1924. 120
g i o Ma y e r: Die Grenzen der Liebigschen Agrikulturchem ie.
W a ru m ? A n ch em isch em K ö n n e n , an gen ialer B e g a b u n g w a r ic h ein K in d n eb en ih m . D er F o rts c h r itt ü b er ih n h in au s k a n n also n u r in der b re iteren U n te rla g e m eines an u n d fü r sich gar n ic h t seh r reich en W issen s gefu n d en w erd en . U n d d as festzu ste llen is t gerad e w isse n sc h a ftlic h b e la n g re ich , w äh ren d die ü b len p ersö n lich en F o lge n , w elch e diese au sgesp roch en e G eg n e rsc h a ft fü r m ich h a tte n , ein allg em ein eres In teresse n a tü r
lic h n ic h t w e ite r in A n s p ru c h n eh m en d ü rfen . V o n allgem ein er B e d e u tu n g is t h ie rv o n n u r, d a ß A u t o r it ä t m it allen ih ren A u sw ü ch sen d a m als in u n serem lieb en V a te rla n d e n och einen seh r großen R a u m ein n ah m . So w u rd e z. B . eine größ ere A b h a n d lu n g ü b er „ G ä r u n g “ v o n m einer H a n d seiten s d er R e d a k tio n der „ A n n a le n “ , die n a c h dem T o d e Li e b i g s fü r im m er dsseen N am en tra g e n so llten , zu rü ck ge w ie sen u n d m u ß te sich in die v o n Po g g e n d o r f f flü ch te n , w eil Ko p p, d em die E n ts c h e id u n g o b lag , m ein te, d em b e rü h m te n F re u n d e diese S tö ru n g sein er K re ise ersparen zu m üssen, u n d s c h lie ß lich w u rd e m ir die fernere K a rrie re in D e u tsc h la n d n ah ezu u n m ö g lich ge
m a c h t. B is m ich d an n d as A u s la n d h o lte, w o ein e freiere D e n k u n g s a rt in b e zu g a u f w isse n sc h a ftlic h e G e g n e rsc h a ft h errsch te. D e r R e s t is t S ch w eigen .
D a s ab er is t ein w isse n sch a ftlich w ic h tig e s E r gebn is dieser D in g e , d a ß fü r die A g rik u ltu rc h e m ie ein e b reitere G ru n d la ge, als die w ar, a u f die sie L ie b i g ge stellt, d u rch a u s erfo rd erlich w ar. Z u m a l fü r a n g e w a n d te W issen sch a fte n m üssen n a tü r lich alle D in g e, die a u f den G eg en sta n d ab zielen , v o lle B e rü c k s ic h tig u n g fin d en . P fla n z e n p h y s io lo gie w a r bei L i e b i g rü c k s tä n d ig geb lieb en , V o lk s w irts c h a ft g ä n zlich v e ra b s ä u m t. D ies alles zu ergän zen , is t die n a cli-L ieb ig sc h e A g r ik u ltu r ch em ie re d lich b e m ü h t gew esen. D ie ersten H ilfs k r ä fte an den V e rsu c h ssta tio n en w aren n och v ie l
fa c h ju n g e A p o th e k e r u n d b lo ß e A n a ly se n m a ch er, d ie n u r g a n z im engen v o rg e ze ich n ete n R a h m e n w irk te n . F re ilic h g a b es h ier sch on A u sn a h m en . E m il W o l f f , v o n u n b eu gsam em , n ied ersä ch si
sch em S ta m m e, sch on in ju n g e n Jah ren n a ch H o h en h eim b eru fen , leistete ein zeln en Ü b e r
tre ib u n ge n L ie b i g s v o n vo rn h erein energisch en W id e rsta n d . D a n n is t h ier n a m e n tlich H e n n e b e r g zu erw äh n en , d er eine ga n ze S ch u le v o n a u s
gezeich n eten M änn ern an seiner W een d er S ta tio n h e ra n b ild e te, selb st vo n E in sic h t u n d ed ler G e sin n u n g u n d d a zu fäh ig, T ü c h tig k e it in A u fs tre b e n den zu erkenn en. A u s d ieser S ch u le is t Mä r c k e r
h erv o rg e g a n g en , der aus v o rn eh m er F a m ilie w ar, m it den G ro ß g ru n d b e sitzern a u f gleichem F u ß e v e rk e h rte u n d selb st ein b ed eu ten d es O rg a n i
s a tio n sta le n t b esaß , u n d au s dessen S ch u le w ied er vie le tü c h tig e M änn er en tsp ran g en . M it ih m w a r E . Sc h u l t z e, H e n n e b e r g s A ssite n t, d er sp ä ter a ls P ro fesso r in Z ü ric h die E iw eiß ch em ie der P fla n z e so e rfo lg reich b e trieb , d a ß er in d ieser R ic h tu n g als V o rg ä n g e r E m il F i s c h e r s u n d A l b r e c h t K o s s e l s ge lten k o n n te. A u c h der n och
[
Die Naturwissenschaften leb en d e Fl e i s c h e r, der h o c h v e rd ie n te la n g jä h rig e D ire k to r d er B rem e r V e rsu c h ssta tio n fü r M oor, S u m p f u n d H eid e, h a tte seine A ssisten ten ja h re bei He n n e b e r g h in te r sich, is t s p ä te r in B e rlin zu den h ö ch ste n W ü rd e n a u f gestiegen . E b en so w äre h ier Gu s t a v Kü h n zu nen nen als ä u ß e rst u m s ich tig e r u n d g e w isse n h after F o rsch e r au f d em G e b ie t der T ie re rn ä h ru n g , u n d d a zu als ein M ann v o n den v o rzü g lic h ste n C h a ra k te re ig e n sch a ften .
A u c h Pa u l Wa g n e r, d er u n erm ü d lich e A u s a rb e ite r des e x a k te n D ü n g ev ersu ch s im klein sten M a ß sta b e , w äre h ier zu nennen u n d m an ch er a n dere, w en n es m eine A u fg a b e w äre, jed e m V e r d ien ste g e re ch t zu w erd en .
D e r jü n g e re n K o lle g e n erw äh n e ic h ab sich tlic h n ich t. D ie n a c h uns leb en , w erd en über uns sch reiben, w en n sie es d er M üh e fü r w e r t h a lten , u nd die T o te n sollen n ic h t ü b er die L eb en d en zu G e ric h t sitzen . So m a g es h ie rm it g en u g sein, d a es eben ge n u g ist, u m die T a ts a c h e zu erh ärten, d a ß d ie d eu tsch e A g rik u ltu rc h e m ie ihren W e g g e m a c h t h a t. A m d e u tlich sten a b er sp ric h t h ie r
fü r, d a ß diese W isse n sc h a ft v o n D e u tsc h la n d aus sich ü b er d ie g a n ze g e s itte te W e lt v e rb re ite te . Zu E n d e des 19. J a h rh u n d e rts saß en ü b e ra ll an n eu errich teten V e rsu c h ssta tio n en u n d la n d w irts c h a ft
lich en L e h r a n s ta lte n A g rik u ltu rc h e m ik e r, die e n t
w ed er D e u tsc h e w a ren oder A u slän d e r, die in D e u tsc h la n d ih re L e h rja h re g e m a c h t h a tte n .
W a s m ich selb st b e tr ifft, n u r n och dies W e n ige.
Ic h fa n d m ein a lte s H eid elb erg , als ich 1868 n ach m ein er A ss is te n te n ze it an d er K a rlsru h e r V e rs u c h s s ta tio n als D o z e n t d a h in zu rü ck k e h rte , in m a n ch er H in s ic h t re c h t v e rä n d e rt vo r. He l m- h o l t z b e re ite te sich sch on v o r zu seiner Ü b e r
sied elu n g n a c h der B e rlin er U n iv e rs itä t, in der er, der a u f v ie len S ä tte ln g erech te, den L e h rstu h l fü r P h y s ik ü b ern ah m . U n terd essen w ar zu r U n te r s tü tz u n g Bu n s e n s, d er n u r seine ein zige a n o rg an isch e E x p e rim e n ta lc h e m ie v o rtru g , Ko p p au s G ieß en a n g estellt, eine m eh r sch riftstellerisch e und die S c h ä tz e an d erer zu sam m en trag en d e K r a ft, d a zu e tw a s sch u lm eisterlic h , der seine T ü c h tig k e it n a ch den v ie len S tu n d en zäh lte , d ie er am S ch re ib p u lte z u b ra c h te . F ü r die A g rik u ltu rc h e m ie h a tte er g a r k ein H erz, m ein te sie v ie lm e h r m it dem S to ß , den ih r sein B u se n freu n d Li e b i g gegeben , e n d g ü ltig erled ig t. M ir rie t er, a n s ta tt m ich diesem F a c h e zu w id m en , zu r O b er leh re rla u f bah n . W e iß G o tt, w ie sich diese d er eig en tlich e n F o rsch u n g frem d e Seele u n ter die N a tu rw isse n sc h a ftler v e r
ir r t h a tte . F re ilic h Li e b i g h a tte ih n sein erzeit n ö tig als B e ra te r in leh rb u c h m ä ß ig e n D efin itio n en , die an d en F in g ern h e rzu zäh len seine sch w ach e S eite w ar. U n d u m seiner B r a u c h b a r k e it w illen in g e sch ä ftlich en und litera risc h en D in g en gew an n er a u c h s p ä te r d as e tw a s ta u b e O h r Bu n s e n s und g ro ß en E in flu ß in d er n atu rw issen sch a ftlich en F a k u ltä t, z u m a l sich a u c h sp ä te r Ki r c h h o f f, ein em g lä n zen d en R u fe F o lg e leisten d , der d e u t
sch en H a u p ts ta d t zu w a n d te .
Kr o n e n b e r g: Goethes Naturanschauung. 9 1 1 D e r V ersu ch , in H e id e lb e rg selber eine la n d
w irtsc h a ftlic h e A b te ilu n g an der H o ch sch u le zu b egrü n d en , m iß la n g v o lls tä n d ig w egen feh ler
h a fte r O rga n isa tio n u n d u n geeig n eter D o ze n te n w ah l. D ie S ü d w e ste ck e D e u tsch la n d s h a t diesen F eh lsc h la g d e u tlic h g en u g g esp ü rt d u rch R ü c k stä n d ig k e it ih rer d u rch die N a tu r d o ch so sehr b e v o rz u g te n L a n d w ir ts c h a ft den m eh r d u rch W issen sch a ft geseg n eten ändern T e il D e u ts c h la n d s gegen ü b er. So h a b e ich fü r die gan zen J ah re m einer S c h a ffe n s k ra ft m einem V a te rla n d e den R ü c k e n keh ren m üssen.
E in e u n ve rg än g lich e E rin n eru n g an H e id el
b e rg b lieb es m ir doch, d a ß es m ir besch ieden w ar, in dem selben n a c h S ü d en gelegen en R a u m e des G eb äu d es „ D e r R ie se “ , in w elch em ein st K i r c h h o f f die ü ber dem G aisb erg e steh en d e Son ne b e n u tz t h a tte , deren S tra h le n a u f die ih r eig en tü m lich en E le m en ta rb esta n d teile zu a n a ly sieren, die ein zig e b ed eu ten d ere e xp erim en telle
H eft 4 4 . 1
3 1 . 1 0 . 1 9 2 4 J
E n td e c k u n g zu m ach en, die m einem gerin gen H a n d g e sc h ic k gelan g, die A b sc h eid u n g v o n S a u e r
s to ff b e i E n tz u g der K o h len sä u re bei den sog.
F e ttp fla n z e n od er S u c cu len ten . Ic h b in n och je t z t d er festen Ü b e rze u g u n g, d a ß diese w en ig b e a c h te te, o b w o h l h in reich en d b e stä tig te E r s ch ein u n g n och e in st d en S ch lü ssel liefern w ird zu r n äh eren K e n n tn is des gew öh n lich en A ssim i- la tio n s- od er (wie ic h ih n lieb er nenne) P ro d u k tionsp rozesses, des K e rn p ro b lem s des gan zen P fla n zen b a u es, b ei w elch em V o rg a n g zu r Z e it nur ein ige w en ige P ro ze n te d er zu r V e r fü g u n g steh en den Son nenen ergie a u s g e n u tz t w erd en . E in e g ro ß e tro stre ich e H o ffn u n g fü r d ie Z u k u n ft und a u f w elch em G eb ie te sch on d er O rg a n ik e r W i l l s t ä t t e r , der j e t z t den L e h rs tu h l L i e b i g s in n eh a t, m it seinen S ch ü lern die ersten S c h ritte g e ta n h a t.
M ö ch ten b a ld and ere fo lg en zu m W o h le unseres arm en, in seinen E rn ä h ru n g sm ö g lic h k e ite n so h a r t b ed ro h ten V a te rla n d es.
Goethes Naturanschauung.
V o n M. K r o n e n b e r g , B erlin . D ie n atu rw issen sch a ftlich en U n tersu ch u n gen
u n d F o rsch u n g en G o eth es b ild en einen sehr w ic h tig e n u n d b ed eu tsa m en T e il seiner g esam ten g e is ti
gen L eb e n sa rb e it, u n d d ie litera risc h en E rzeu gn isse, in denen sie n ied e rg ele g t sind , u m fassen sch on dem b lo ß en U m fa n g e n a c h ein en gro ß en u n d w ich tig e n T e il sein er S c h rifte n ü b e rh au p t. D a b e i h a n d e lt es sich n ic h t u m N e b en - od er S eiten w ege geistig er A rb e it, w ie sie w o h l a u ch ein G en ie ein m a l m ehr oder w en iger d ile ttie ren d b e tr itt, sondern G o eth es n a tu rw issen sch a ftlich es G esa m tw e rk b ild e t einen d u rch a u s in te g rieren d en T e il sein es L eb en sw erk es ü b e rh au p t, is t m it d iesem in sein er G esa m th eit, vo r allem a lso au ch m it d em d ich te risch e n S ch affen , in n erlich , m it ta u se n d F ä d e n a u fs en g ste verb u n d en , vo n ih m u n ab tren n b a r, und s c h lie ß lich is t v o r a llem G o eth es W e lt- u n d L eb e n sa n sc h a u u n g in ih rer E in h eit, die den B e g riff d er N a tu r im tie fste n Sin ne zu ih rem M itte lp u n k te h a t, n ic h t zu versteh en , w en n n ic h t der N a tu rfo rsch e r G o eth e die g leich e W ü rd i
g u n g fin d e t w ie der K ü n s tle r u n d D ic h ter.
N a c h a lle d e m is t es u m so m erk w ü rd iger, d a ß diese W ü rd ig u n g G o eth es a ls N a tu rfo rsch e r so w e it h in ter dem zu rü ck g e b lieb e n ist, w as m an b e
re c h tig te rw eise h ä tte e rw arte n kö n n en u n d sollen.
V o r a llem in der Z e it der H o c h flu t der G o eth e -L ite - ra tu r w a r diese W ü rd ig u n g g a n z u n zu lä n g lic h u n d sp ie lte n u r ein e u n terge o rd n ete R o lle gegen ü b er a ll den su b tilen und ö fte r a u c h sk u rrilen U n te r
su ch u n gen , die m an so n st allem , w a s G o eth e b e traf, zu w id m en p fle g te . E rs t in der jü n g ste n V e rg a n g en h e it is t dies and ers gew orden, m an is t in im m er m ehr zu n eh m en d em G ra d e d a ra u f a u fm erk sam gew orden , d a ß u n d w ie seh r G o eth e die N a tu re rk e n n tn is bereicK ert und g e fö rd e rt h a t, u n d m an w eiß je tz t, un d in and eren F ä lle n a h n t m an es w en igsten s, d aß er n ic h t n u r sein er eigen en Z eit, sondern a u ch der seitd e m so g e w a ltig v o ra n g e sch ritte n e n u n srig en
in vie le rle i B e zie h u n g e n v o ra u sg e e ilt w ar, neue W e g e u n d Z iele gew iesen, u n d d ies eb en sow oh l d u rch m a n ch erlei e x a k te F orsch u n g serg eb n isse w ie v o r a llem d u rch w ic h tig e G ru n d - und R ic h t
lin ien allg em ein erer N a tu re rk e n n tn is.
In eben d iesem letzteren P u n k te lie g t n u n fre i
lich zu n ä ch st ein H a u p terk lä ru n g sg ru n d fü r die u n zu län g lich e u n d sp äte W ü rd ig u n g des N a tu r forsch ers G o eth e : jen e a llg em ein eren G ru n d - und R ic h tlin ie n spielen b e i ih m d u rch w eg eine w ich tig e und en tsch eid en d e R o lle. N ic h t in dem Sinne, als ob d a d u rch die e x a k te F o rsc h u n g und B e o b a c h tu n g gan z oder zu m g rö ß ten T e il g eh em m t oder zu r N eb en sach e h e ra b g e d rü c k t w ord en w äre. V ie l
m eh r is t eben beid es, d as E in ze ln e und d as A llg e m einere, b ei ih m s te tig zu u n lö sb arer E in h e it v e r k n ü p ft, w ie m an d enn ü b e rh a u p t sagen k a n n , d a ß in d ieser u n tren n b aren V e rb in d u n g v o n T a ts a c h e n w e lt und Id ee n w elt, vo n g rö ß ter E rd g e b u n d e n h e it un d h ö ch ster G eisteserh eb u n g w o h l d as am m eisten en tsch eid en d e K en n zeich en u n d d as tie fs te G e h eim n is gerad e dieses G en ies zu fin d en ist, — gan z allg em ein gesprochen, also n ic h t b lo ß fü r die N a tu r erken n tn is gelten d , sond ern eben so a u c h fü r die G e sa m th e it seines k ü n stlerisch en u n d p o etisch en Sch affen s. V o n d er S e ite der Id ee n w elt, v o n der stetig en R ic h tu n g zu r h ö ch sten G eisteserh eb u n g b e
tra c h te t, w eist also a u ch die N a tu re rk e n n tn is G o eth es einen d u rch au s p h ilo sop h isch en G ru n d zu g auf, w en n m an d as W o r t n ic h t im engen und b e sch rän k ten S ch u lsin n e n im m t, sondern in seiner w ah ren u m fassen d en B e d eu tu n g . W eitreich en d e p h ilo sop h isch e Id een u n d G ed a n k en v erb in d u n g en bed ü rfen ab er zu n ä c h st eines längeren Z eitrau m es, ehe sie d u rch d rin g en u n d ih re e ig en tlich e W ü rd i
g u n g fin d en k ö n n e n ,— o ft is t selb st ein J ah rh u n d e rt in d ieser H in sic h t k ein allzu gro ß er Z e ita b s ta n d : m an d en k e an K a n t u n d S p in o za, o d er g a r an P la to
9 1 2 Kr o n e n b e r g: Goethes Naturanschauung.
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Die Naturwissenschaften u n d A ris to te le s u sw . V o n d ieser S eite h er e rk lä rt
sich denn a u ch u n sch w er die so lan ge v e rzö g e rte W ü rd ig u n g G o eth e s a ls N a tu rfo rsch e r, u n d z w a r eb en so w o h l v ie le r seiner e x a k te n F o rsch u n g s
ergeb nisse a ls sein er allg em ein en Id een u n d G e d a n k en zu sa m m en h än g e, seiner N a tu rp h ilo so p h ie, w ie m an in d iesem Sin ne a u c h sag en kan n , m it der jen e eb en in n e rlich u n tre n n b a r v e rk n ü p ft sind.
V o r a lle m is t in dieser H in s ic h t ein P u n k t v o n gru n d leg en d er u n d e n tsch eid en d er B e d e u tu n g : G o eth es e rk e n n tn ism ä ß ig e E in ste llu n g zu den P ro b lem en oder, g e n au e r gesproch en, zu den E r sch ein u n gen selb st, w elch e die N a tu r u n d d as N a tu r leb en d arb ieten . D iese E in ste llu n g is t in ga n z ü b e r
w iegen d em M aße, ja in gera d ezu b eh errsch en d er W eise, n ic h t eine solch e d er d isk u rsive n , sondern der intu itiven E rk en n tn is. G o eth es F o rsch en , B e o b a c h ten und E rk en n en d er N a tu r is t N a tu r-y ln - schauung im Sin ne des g e istig en S ch au en s.
D a s W esen der g e istig en A n s c h a u u n g oder In tu itio n lä ß t sich in d er K ü r z e am b e ste n b e stim m en d u rch H in w e is a u f d as E n tg e g e n g e se tzte . D ieses is t ein m a l zu n ä c h st die sin n lich e A n sch a u u n g . B e id e A rte n des A n sch a u en s, sin n lich e u n d geistige, kö n n en n a tü r lic h in v ie lfa c h e r W e ise zu sam m en geh en u n d sich w ec h se lseitig u n terstü tzen , und n a m e n tlic h b e i G o eth es N a tu ra n sc h a u u n g is t das im a u sg e d eh n teste n M aß e der F a ll; ab er dem W esen n a ch is t b eid es g ru n d versch ied en , j a e n t
ge ge n g ese tzt, w ie sich v o r a lle m d a ergib t, w o ein sinn lich es A n sch a u en u n m ö g lich u n d g ä n zlic h a u s
gesch lossen ist, z. B . b e i den P ro b lem en des k o s m isch en Seins, erst re c h t b ei den m eisten P r o b lem en des g e istig en L eb en s, der W e lt der F r e i
h e it usf. S od an n ab er is t die ge istig e A n sc h a u u n g od er In tu itio n v o r a lle m a u ch e n tg e g e n g e se tz t d er r e fle x iv e n o d er d is k u rs iv e n B e tra c h tu n g s - u n d E rk e n n tn is w eise. W e n n m an h ie rb e i den A u s d ru c k r e fle x iv g e b ra u ch t, so k a n n m an es in d em Sinne, d a ß b e im r e fle x iv e n B e tr a c h te n u n d E rk en n en , w ie es d as W o r t r e fle x iv d e u tlic h z u m A u s d ru c k b rin g t, d er B e tra c h te n d e od er erken n en W o llen d e sich b e stä n d ig h erü b er und h in ü b er b e u g t zu m O b je k t und w ied e r z u rü c k zu sich selb st, dem S u b je k t, so d a ß also im m er zw isch en b eid en eine ge
w isse S p a n n u n g u n d D iffe re n z b e steh en b leib t, w äh ren d die g e istig e m it der sin n lich en A n sc h a u u n g d a s gem ein h a t, d a ß diese D iffe re n z m eh r oder w en ig er g a n z v e rs c h w in d e t und, w ie m an in b eid en F ä lle n zu sagen b e re c h tig t ist, d as S u b je k t in das O b je k t ga n z „ v e r s u n k e n " od er „ v e r lo r e n “ ist. N o ch m eh r v e rd e u tlic h t w ird a b er d as W esen d er S ach e d u rc h den A u s d ru c k „ d is k u r s iv e “ E rk e n n tn is.
D e n n d as W o r t „ d is k u r s iv “ — d as la te in isch e W o r t d iscu rrere = d u rch la u fen b e ze ic h n e t dies ja sch o n d e u tlic h — b rin g t zu m A u s d ru c k , d a ß m an eb en d a s b e treffen d e O b je k t n ic h t als T o ta lit ä t , in sein er E in h e it v o r A u g e n h a t, sondern in sein en T eile n , die m an eb en d u rc h lä u ft, d a ß m an v o n e b en diesen T eile n , als T eile n , a u sg e h t u n d d a d u rc h das G a n z e zu g ew in n en su ch t. D ie In tu itio n d agegen , d a s geistig e A n sch a u e n h a t stets das G an ze im
A u g e , g e h t v o n ih m n u r aus, u n d s o w e it es sich a u ch h ier um T e ile h a n d elt, k a n n sie diese au ch n u r aus dem G an zen zu g ew in n en su ch en .
W esen und B e d e u tu n g der In tu itio n sind erst in der jü n g ste n V e rg a n g e n h e it v o n n eu em tiefe r g e w ü r
d ig t u n d in den M itte lp u n k t d en k en d er B e tr a c h tu n g g e s te llt w ord en , d e ra rt, d a ß N a m e u n d B e g riff la n g sa m a n g efan g en h ab en , a u ch dem G eb ild e ten e in ig erm aß en v e r tr a u t u n d g e lä u fig zu w erd en . E s is t u. a. n a m e n tlic h a u c h d as V e rd ie n st B ergson s, d as V e rstä n d n is n ach d ieser R ic h tu n g besonders er
w e c k t zu h ab en , u n d z w a r v o n V o ra u ssetzu n g en aus, die in d er w isse n sch a ftlich en A rb e it unserer Z e it lieg en , die in sb eson d ere a u ch gegeb en sind in d er n a tu rw issen sch a ftlich en E rk e n n tn is. A lle m A n sch e in n a ch b e k u n d e t sic h d a rin ein sch arfer G eg en satz gerad e zu dem D en k er, d er in den le tz te n J ah rzeh n ten , im B lü te z e ita lte r d er N a tu rw isse n s ch a fte n , den g rö ß ten E in flu ß a u s g e ü b t h a t, zu Ka n t. A b e r eben n u r d em A n sc h e in n ach . K a n t k a m fre ilich her vo n der r e fle x iv e n oder d isk u rsiven E rk en n tn isw e ise, die er a ls solch e im e ig en tlich en S in ne a llein a n e rk an n te — ab er gera d e er h a t sie t r o tz a lled em a u ch k la r u n d sc h a rf v o n der in tu i
tiv e n a b zu g re n ze n g e w u ß t, in d em er n ä m lic h die E n td e c k u n g m a ch te, d a ß es n eben d er N a tu r im engeren Sinne, d. i. der W e lt der sin n lic h fa ß b a ren u n d g reifb a ren D in ge , n o c h ein e zw e ite W e lt gebe, v o n der er an n ah m , d a ß sie vo n jen er v ö llig u n a b h ä n g ig w äre, eigen en G ese tzen fo lg e u n d gew isser
m a ß en lo sg e lö st v o n a lle d e m b e stä n d e , w a s in der sic h tb a re n u n d sin n lic h fa ß b a re n W e lt der N a tu r sich v o llz ö g e : die W e lt d er F re ih e it v o r allem , der S ittlic h k e it, R e lig io n usw . a b e r eben so a u ch die d er o rg an isch en N a tu r, der K u n s t usw . N u r is t ih m eben diese zw e ite W e lt unerkennbar. D e n n K a n t w a r ü b e rzeu g t, es geb e n u r ein e A r t der E r k en n tn is, d iejen ig e n ä m lich (die d isk u rsive ), w elch e d u rch die T e ile h in d u rch im m er w ied e r au ch d as G an ze zu g ew in n en su ch t. U n d d a n u n T e ilu n g in diesem Sin ne im m er v o r a lle m R a u m - u n d Z e it- B e zie h u n g e n b e d eu te t, d ie W isse n sc h a ft vo n diesen le tz te re n ab er die M a th e m a tik is t, so h a b en v o n je h e r d iejen ig en , d ie d u rch d ru n g e n w aren , v o n der A lle in g ü ltig k e it der d isk u rsiv e n E rk en n tn is, die M a th e m a tik a ls P r o to ty p a lle r E rk e n n tn is ü b e r
h a u p t b e tr a c h te t, u n d in d iesem S in ne s a g t a u ch K a n t gera d ezu , in je d e r W is s e n s c h a ft gebe es so v ie l w ah re W issen sch a ft, als in ih r M a th e m a tik sei. D a h er is t fo lg e ric h tig da, w o M a th e m a tik v ö llig a u s
gesch lossen ist, w ie b e i d er o rg an isch en N a tu r, a u c h E rk e n n tn is in d iesem e ig en tlich e n w issen sc h a ftlic h e n Sinne n ic h t m ö glich . In der „ K r i t i k der U r te ils k r a ft“ s a g t K a n t a u s d rü ck lich , es sei u n g e re im t zu h o ffen , d a ß n o c h ein m a l d iesera rt a u c h n u r das W esen eines G ra sh a lm es b eg riffen w erd en k ö n n e. U n d w en n m an d em g egen ü b er a u f die in tu itiv e E rk e n n tn is a r t h in w e ist, so e rk lä rt eben K a n t diese fü r u n m ö glich , d er m en sch lich e V e r s ta n d sei n ic h t in tu itiv v e ra n la g t, u n d es sei n u r gew isserm aß en ein A b e n te u e r der V e rn u n ft, a u f in tu itiv e E rk en n tn is au sgeh en zu w ollen.
