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Die Zukunft, 12. März, Jahrg. XXIX, Bd. 112, Nr 24.

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XXIX. Jahrg. Berlin, den 12

.

März 1921 Nr. 24

Hie Sukunft

Herausgeber

Maximilian Harden

INHALT

Seit«

Aus dem D i a r i u m ... ... 307

Herbst auf der I n s e l ...307

Londoner N e b e l ... . 315

Americana. Von E d u a rd G o ld b e c k ...331

Dichter und Richter. Von F ritz G r ü n s p a c h ... 335

N achdruck verboten

Erscheint jeden Sonnabend

rlich

22

M k., das einzelne!

B E R L I N

V erlag der Zukunft

SW47, Großbeerenstraße 67 [ 1921

(2)

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H M 1 * zw lsch. M itte l - u. D o ro th e en str.

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Berlin, den 1*2. März 19*21

A u s dem Diarium

H e r b s t a u f d e r I n s e l

\ 7on Renans Kaliban, den ich vor acht Tagen erwähnte,

’ möchten Sie mehr hören? G ern erfülle ich den W unsch;

wir rutschen noch allzu schnell in die Betrachtung des A ll­

tagselends. „Für mich ist auf diesem Gartenfest (des auf den Thron zurückgekehrten Herzogs von M ailand, Prosperos) kein Platz. Viel mache ich mir nicht daraus. Hinschlendern, herschlendern: sehr ergötzlich kanns nicht sein. Ich würde vorziehen, den Tag in einem kühlen Keller, vor einem offenen Fasse zu verbringen. Ists aber gerecht, mich auszuschließen?

Die Menschenrechte sind für Alle gleich. D a hier Vorrecht ist, m uß auch Vortheil ’rausspringen; und ists auch nur nach ihrer Auffassung, nicht nach meiner, ein Vortheil, so habe ich doch G rund, mich beleidigt zu fühlen. Von Tag zu Tag wird mir tiefer bew ußt, daß ich Bürger bin und die W ürde des Bürgers zu wahren habe. All das Gesindel mästet sich vom Schweiß des Volkes. W ir werden ausgebeutet. D er Meister, bei dem D u in der Lehre warst und jetzt Geselle bist, verdient an Deiner Arbeit. Ist Das Gerechtigkeit? D u arbeitest und er steckt den Gew inn ein. U nd wer trägt die Schuld? D ie Re»

girung, natürlich 1 Alle M enschen sind gleich; und man muß verbieten, für Einen mehr als für den Anderen zu thun. Den Starken, der einem Schwachen was wegschnappen will, m uß

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3 0 8 Die Z ukunft

das Volk, im Nam en der Brüderlichkeit, bändigen; und wer nicht brüderlich sein will, gehört an die W and.“ Als M ann des Volkes ist Kaliban, natürlich, gegen die Klerikalen; und der von der Heiligen Inquisition bedrohte Prospero stellt sich lächelnd unter seinen Schutz. Dem H erzog Kaliban von M ai­

land bringt, in die Karthäuserkirche von Pavia, der Päpstliche Legat den G ru ß des Heiligen Vaters, der ihn aufruft, wider die Sarazenen das Schwert zu ziehen und zugleich aus Italien, der Heim ath, das U nkraut der Ketzerei zu jäten. „D er Papst ist Fürst; versteht sich also, daß ich ihn schütze. Ich denke, G o tt wird mich, wenn ich so viel für ihn gethan habe, gut behandeln. A ber gegen Prospero will ich nicht vorgehen Ich bin der Erbe seiner Rechte und muß ihn drum verthei*

digen. Er ist mein Schützling und muß, mit seinen Philo*

sophen und Künstlern, unter meinem Patronat in Ruhe ar*

beiten können. Sein Ruhm mehrt den Glanz meiner Herr*

schaft. Ich beute ihn aus: so wills das Gesetz unserer W elt.“

D er Karthäuserprior, der dem Gespräch des Herzogs mit dem Legaten zugehört hat, blickt aus seinem Kirchenstuhl himmelan und betröpfelt sein Brevier mit Sätzen, deren milde Skepsis an den Ekklesiastes, das Buch des Predigers Salomon, erinnert. „D ie W elt, die zu verlassen W eisheit mir rieth, ist eine ewige Illusion, eine Komoedie von unbegrenzter Akt*

zahl. W as ich voraussah und N iem and doch glauben wollte, wird Ereigniß: Kaliban erweist sich als entwickelungfähig.

G ew iß war alle Civilisation bisher das W erk der Aristokratie.

Sie hat die Gesetze, M oral, Vernunft, grammatische Sprache ge*

schaffen und, durch die härteste Behandlung oder das Schreck*

mittel des Aberglaubens, die niederen Rassen Zucht gelehrt.

D ie sind zunächst den Civilisirern durchaus nicht dankbar und schimpfen sie nach A bschüttelung des Joches Tyrannen, A usbeuter, Betrüger. Enghirnig Konservative träumen dann von der M öglichkeit, die verlorene M acht zurückzuerlangen.

Klarere Köpfe finden sich mit dem neuen Regime ab und begnügen sich mit dem Recht, es zu bewitzeln. Schließlich wirkt die ewige V ernunft sich durch M ittel aus, die einan*

der geradezu entgegengesetzt scheinen. D en Geistigen wird am Ende Kalibans Budget mehr N utzen als das des Maecenas

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A u s d u n 1 ) i a r i i i i n 3 0 9

bringen. D er sauber gewaschene, sorgsam gekämmte Kali#

ban wird recht ansehnlich sein und einesTages wird man viel­

leicht auf M edaillen le se n :,Kaliban, dem Schützer der W issen­

schaft, Kunst und Literatur/ Alle Demokratie ist argw öh­

nisch und eifersüchtig. W er sich aber bescheidet und nicht ins Licht vordrängt, kann trotzdem Allerlei thun.“ Prosperos Zauber und dessen W erkzeug Ariel wirkt nicht mehr, weil dem (einstweilen noch in Kaliban verkörperten) Volk der G laube fehlt, der W under gebärt. D och was gestern Pöbel hieß und Revolution „machte“, ist heute, in Machtbesitz, bereit, Ruhe und O rdnung, Eigenthum und Rang, sogar das überlieferte Recht der Kirche zu wahren und genau so selbstsüchtig träg, so unedel geistlos zu schalten wie das „fluchwürdige alteRegime.'*

(Braucht mans uns zu beweisen?) D ie zweite Dialogenfolge,

„L’eau de jouvence“ (Jungbrunnen),zeigt die beginnende Ge*

genrevolution des milaneser Adels, der Prospero zum zweiten Mal auf den Thron zurückführen will. N icht, weil ihm dieser H erzog Bücherwurm behagt, sondern, weil er keinen A n­

deren hat, den der N im bus des „angestammten Herrschers“

umflimmert. Auch hier ist allerlei Nettes, Zeitgemäßes zu notiren. „Eurer H oheit getreuer Adel kennt keine Schwankung im Rechtsgefühl. W ir protestiren gegen die gegebenen That- sachen; und bleibt unser Schwert auch, bis herzoglicher Befehl es lockert, in der Scheide, so fechten wir doch täglich wider die ungeheuerlichste Treulosigkeit des Jahrhunderts. Bei Er­

wägungen falscher H um anität halten wir uns nicht auf, ordnen Alles dem heiligen Interesse unserer Grundsätze unter und dü r­

fen schon gewaltige Ergebnisse verzeichnen. Im ganzen Reich gehen die Geschäfte schlecht und bald wird das hungernde Volk gegen die Regirung aufstehen, die es, mit Recht, derSchuld an seinem Elend zeiht. Brot kann es nur von uns bekommen und wird sich deshalb der gesetzlichen Regirung Eurer H oheit unterwerfen. D ie beste Seite der Republik ist, daß sie selbst im­

mer die Waffen liefert, mit denen man sie angreifen kann. D as für unsere SacheWichtigste ist derBe weis, daß Volksvertretung niemals die O rdnung verbürgt. D ie stören wir: und beweisen dadurch, daß sie nicht ist. LeichteTaktik. In jeder Versammlung machen wir Höllenlärm, heben dann die Arme gen Himmel

22*

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3 1 0 Die Zukunft

und schreien, im C hor mit den entsetzten friedlichen Bür*

gern, solches Treiben sei ein Skandal. W ir müssen heimlich auch zu Gewaltthaten drängen. Diese Aufgabe erschwert uns, leider, Kaliban. Seit er in der M acht sitzt, zeigt der Affe sich als Schlaukopf und enttäuscht unser Hoffen auf alltägliche Tollheitstreiche. A uf die Länge sind Ausschreitungen aber un»

vermeidlich; und wenn Eure H oheit uns freie H and lassen, sind Sie in drei M onaten wieder H erzog.“ Prospero weigert sich, zu Verschwörung gegen sein M ailand mitzuwirken; nur, wenn des Volkes freier W ille ihn ruft, will er auf den Thron zurückkehren. U nter falschem Namen haust er in D unkel und braut einen Trank, der H erz und H irn, Sinne und Kräfte in neue Jugend auf blühen läßt. Sehnsucht fleht den Wunder»

verheißer an alle Höfe. Papst Klemens will ihn zum Kar»

dinal ernennen. Auch Deutsche kommen. Einen haben Pom»

merns Schulmeister gelehrt, die germanische Rasse habe jede andere überflügelt, weil sie nicht lachen könne, nie das Be»

dürfniß empfinde, fröhlich zu sein. A ntw ort: „N och haltet Ihr Eure Leute dadurch in Zucht, daß Ihr die Unterthanen»

tugend mit Logenbillets fürs Paradies bezahlt. W enn sie aber merken, daß diese Billets nicht mehr werth sind als Aktien von Silberminen im M ondgebirge, wird sie N iem and noch nehmen und als einziger H alt des Volkes wird seine Heiter»

keit, seine gute Laune erkennbar werden. Ein Staat soll nicht nur gerecht, soll auch liebenswürdig sein. D a alles Hoffen auf eine andere W elt in Bankerot verleitet, ists doch gar zu hart, die armen Leute für nichts und wieder nichts ein Hunde»

leben führen zu lassen.“ In dem Laboratorium, das der Papst ihm in Avignon eingeräumt hat, empfängt er den anderen Deut»

sehen. D er spricht im A uftrag Seiner M ajestät des Königs von Germanien; kann also lachen. „Ich war einmal ein verträumter Idealist. N u n sehe ich ein, daßE delm uth lächerlich ist. Meine Kollegen von der Diplom atie sind, alle, Ochsen. Jeder von ihnen ist das größte Rindvieh in Europa. Bin ich nicht geist­

reich? M ein allergnädigster H err läßt sich nur von den G rundsätzen reinster Gerechtigkeit leiten. A ber die Staats*

nothw endigkeit stellt ihre Forderungen. D a ist die Burg von Kniephausen. M ein H err braucht sie zu voller A usübung

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A u s i l i - m I ) i ; i i ' i uni 3 1 1

seiner Souverainetät. D er Besitzer ist zwar sein Freund; aber D u verstehst, daß Kleinigkeiten uns nicht, wie irgendeinen sentimentalen Narren, auf unserem W eg hemmen. D er König muß einen Rechtsanspruch haben. D u wirst ihn uns schaffen.

N u r keine Gefühlsduselei! Im Kriege gilt keine Schonung. Alle D örfer verbrennen, alle M änner aufhängen: Das bleibt die beste Abwehr von Vertheidigung. H öflich bis zur letzten Sprosse der G algenleiter; aber gehenki muß werden. Alles wird von den Leuten verdorben, die mit ihrer Menschlichkeit Ruhm angeln wollen.“ N eben dem Papst und dessen üppiger Freun*

din steht an Prosperos letztem Lager Herzog Kaliban. „Ich will Dir, Prospero, nicht undankbar scheinen. Als unsere Demokraten vom Päpstlichen Stuhl Deine Einkerkerung for*

derten, bin ich selbst heimlich hergeeilt, um Dich an einen sicheren O rt zu bringen. D er Umsturz, der mir Deinen Platz gab, war unvermeidlich. U nd in ihren Anfängen hat jede Revolution Leidenschaft; auf dem Schlachtfeld giebts keinen Unparteiischen. H eute aber bekennen wir gern: Durch Dich sind wir, was wir sind. U ndank ist Sklavenlaster.“

M it Shakespeares hell, dunklem Sturmdrama hat dieses gestaltlose Tändelspiel feinen Skeptikergeistes nicht mehr Ge*

meinschaft als Brownings „Kaliban auf Setebos“ und als der Jammergreis Prospero, den H err H auptm ann in ein blut#

rünstig wirres Indianerspektakel gestellt hat. (Sehet, für eines Augenblickes Dauer, ihn in Shakespeares Schatten. „N ein, nein, es ist nicht wahr. N ichts ist hier Täuschung; denn Blut ist Blut und Brot ist Brot und M ord ist M ord: das ist nicht Täuschung, nein, es ist so; und so wäre denn Dies Täuschung, daß die W elt nur meines Zaubers Täuschung war: und Dies ist W ahnw itz! N ein! Zwei Augen leuchten mir im Nebel. O Tehura! O reine Priesterin, nimm weg die W elt und schenke mir das N ichts, das mir gebührt. Ich fühle Dich, ich sinke in Dich! N ichts!“ W enn der unge^

mein W ürdige Sauerbrei hieße, wäre nichts dagegen zu sagen;

daß, er Prosperos Namen schimpfirt, ist nicht nett). W arum aber wurden so oft gerade aus diesem Drama Gestalten zu Trägern fremder Ideen erw ählt? W eil das G edicht einem Palimpsest ähnelt, dessen Deckschrift den Leser kaum noch

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3 1 2 Die Zukunft

straff fesselt und dessen U rtext dem Auge noch nicht wie­

der klar erkennbar geworden ist. Des Bruders Verschwör­

ung gegen den Bruder, Neapels Streben nach Suzerainrecht auf M ailand, der Schiffbruch, M irandas Entdeckung jung*

männlichen Reizes, die Begnadigung der Verschwörer und die Verschwägerung zweier Kleinfürstenhäuser: dieses ganze A ußen hält den Puls andächtigen Aufmerkens nicht lange wach. W ir hören weise W orte über Staatseinrichtung und Freiheit, die Kraft des einsam reifenden Geistes und den ge*

schäftigenTrug der Schein weit, über den hohen Seelen frucht- bar entströmenden Segen un d den fortzeugenden Fluch, der die ungebändigten Sinne roher N atu r straft. Dieser Brite, denken wir, ist doch der wahre Allumfasser. Eben erst ist aus der Kolonie Virginia, die noch nicht achthundert Sied»

ler herbergt, den Zuschnitt neuartigen Lebens andeutende Kunde gekommen: und dieser Einzige vermag schon die Atmosphäre der Frühsiedlerwirthschaft zu erzaubern. G iebt seinem Kaliban die kindische Knechtsbosheit, die moralin- lose Brunst, die W ildlingslyrik des in uns ferne Zone „Ein*

geborenen“ und läßt ihn den Stiefel des Kellners lecken, der ihm die W onne des Alkoholrausches, die edelste Spende des

„K ulturpioniers“, kredenzt. D er in Ehrfurcht vor großen Dichternamen G edrillte zwingt sich in Kirchenstimmung. D er U ngebildete, also Unbefangene, wartet auf das Drama, das ihn in seinen D onnergang mitreißen werde. W artet verge­

bens. D aß aus Fernando und M iranda ein Paar wird, sieht ein Blinder voraus; und ob A ntonios Kumpanei verreckt oder heil an Bord geht, ob Alonso oder Prospero über M ai­

land herrscht, ist Thoren und W eisen gleichgiltig. W ie aus einer M uschel summts; und feines O h r ahnt wohl, daß die­

ses Geräusch innigen H orchens werth sei. W er aber deutets?

Das vermag, vor tausend bunt gesprenkelten Seelen, die dem klügsten Kommentator unzugänglich sind, nur die Bühne.

N u r ihr starker Lichtstrom kann den U rtext, das vom D ich­

ter Gewollte, den Bekenntnißgehalt des Dramas, so hell be­

strahlen, daß er durch die Deckschrift schimmert. N och hat unsere Bühne das W erk nicht erworben; besitzt es noch nicht.

H err Reinhardt hat sich, nicht lange genug, darum bem üht

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Aus dem Diarium 3 1 3 und immerhin einen Theil seines Zaubers erfühlt. In die edle Sprecherkunst des H errn W üllner, deren milchiger Fluß nur manchmal Prosperos Reden zerweichte, war eine vibrirende Harfe gut eingestimmt, der Sphärefiton Ariels, dem Frau Fein {ein persönliches Temperament, dessen Erlösung aus dicker Fehlerkruste noch lohnen würde) aus Klängen ein Körper*

chen schuf. In das allzu windstille O ratorium rülpste ein zu alter, zu aufdringlich verfratzter Kaliban. U nd die schön ge*

staltete Szene zeigte das Bild des Frühlings, niqht des Herb*

stes. H ier (wie in dem zarten Violadrama von „W as Ihr w ollt“) war die schöpferische Phantasie Reinhardts in die Irre ge*

gangen. A uf Prosperos Insel ist H erbst. N u r Herbstgewächs wird erwähnt. Um den M agus und in seinem Herzen ists herbstlich; wird schon des W inters N ahen spürbar. Melan*

cholie des Alterns, bew ußte A bkehr von Kunstmeisterung, die nur noch wiederholen könnte, Sehnsucht nach der Rast in gemächlich thätigem Leben ohne die Pflicht, die marty*

rische Künstlerpflicht zu immer neuer W eltgebärung aus wundem, mählich ermüdenden Schoß: Das wird erst, wenn am Straßensaum die Vogelbeere gilbt und braune Blätter un*

ter dem Fuß des W anderers rascheln. Shakespeares Abschied von der Bühne, von seinem G lobus: „N u n , dächt’ ich, müßte ein groß Verfinstern sein von M ond und Sonne, m üßte von Entsetzen die Erde breit aufklaffen.“ Sie bebt nicht. Hier ist Herbstmärchen, wie zwischen den H öfen der Theseus und O beron Sommernachtstraum, aus dem Gezischei um Her*

mione „W inter’s Tale“ wurde. An diesem W erk, auf nie noch würdig besiedeltem Eiland dürfte ein Regiemeister sich aus*

toben. M üßte. N icht kitschig; m uß mans sagen? D er Schiff*

bruch darf nicht, wie bei Irving oder Beerbohm in London, ein die Menge heranwinkendes Schaustück, aber auch nicht durch armsäliges Gestöhn von Raaen und durch ein paar M eter geblähten, dann verschiappenden Segeltuches „inarkirt“ wer*

den. So wars im berliner Staatstheater. Dessen niemals leicht*

fertiger Regisseur, H err D r. Berger, schien mir diestnal allzu pedantisch; dem Homunkelmacher ähnlicher als dem D oktor Faust, der aus dem geheimnißvollen Buch den M uth zu Auf*

flug ins Gefild hoher Ahnen schöpft. Einem G edicht, dem

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3 1 4 Die Zukunft

der Reiz bunter, aufwühlender H andlung fehlt, m uß unver*

kümmerte, unverschüchterte Sinnlichkeit das Kleid weben.

Aus matt bepinselter Schlacke, die in Pappwülsten auf der Bühne lagert, wird kein Gewand. D er Kaliban des jungen, von Theaterblutsfülle strotzenden, nur schon ein Bischen zu selbstgefällig sicheren H errn K ortnei ist nicht unheimlich, nicht aus dem von Teufelssamen befruchteten Hexenbauch, doch (mit dem N asenring unenträthselbarer H erkunft) ein ergötzlich stämmiges missing*link zwischen Affe und Nigger.

D er Glanz und die Lust der Aufführung, deren Achse er mit dem angestemmten Fettpolster seiner Schulter verschiebt.

Die Gefährten, Stephano und Trinkulo, nähren sich redlich von den Bleibsein der Rüpelkomik, die von den Waß* und Diegelmännern seit Jahren aufgetischt wird. G önne, Regie»

D oktor, Shakespeares Foppern und G efoppten, endlich ein*

mal, andere Jacken, Kappen, Pritschen. Bescheide Dich nicht darein, daß ein Fräulein, dem nach emsigem Polterabend*

spiel den Verwandtenschwarm zujubeln dürfte, Ariel ins Puckchen einer Schülerbühne verniedlicht und daß Dein Pro*

spero aus dem Antlitz der Frau Cosima W agner feierlich from*

men Berserkerschwall rinnen läßt, dessen wir eher aus dem M und eines (dreigliedrigen) M odetheosophen gewärtig wa­

ren. Saubere A rbeit und löbliche W ortpflege; doppelt löb*

lieh, weil sie auf unseren Bühnen selten geworden ist. W o aber blieb das Märchen, das Meer, die Insel, die Zauberwelt der Bücher, der Sturm, A ufruhr und Schwichtigung der Eie*

mente, der D uft fernen Landes, das vielstimmige Leben ungern dem M enschen unterthaner N atu r? W eshalb spricht Prospero auf hohem, an den Schnürbodengrenzenden Holzgestell, hinter dünnem Pappgesträuch, weitab von unserem O hr und Auge die gewaltigsten W orte des Dramas, den A bschied von Stab und Buch des Zauberers? U nd welcher D rang nach Selbstherr»

lichkeit verleitete Dich, Spielgestalter, durch A enderung des Schlusses die M ajestät des G enius zu beleidigen? Dies ist Totsünde. Prospero läßt Ariel und dessen Genossen als Ceres, J u n o , Iris auftreten, dem Brautpaar ein Maskenspiel vor*

führen, dessen rednerischem Theil ein Tanz von N ym phen und Schnittern (im September „vom A ugust m üden“) folgt,

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Aus d em D ia rium 315

*und spricht dann zu dem Eidam: „D as Fest ist nun zu Ende;

unsere Spieler, wie ich Euch sagte, waren Geister und sind aufgelöst in Luft, in dünne Luft. U nd wie das leere Schau»

gepräng, wie dieses Scheines lockerer Bau verblaßte, so wird all unser G ebäude, der wolkenhohe Thurm ; Palast und Tempel, der große Erdball selbst mit Allem, was darauf ist, spurlos vergehen. Aus dem Stoff des Traumes sind wir gemacht und dieses kleine Leben um faßt ein Schlaf.“ D er Regisseur des Staatstheaters streicht das M askenspiel (das auf Rein*

hardts Lenzinsel ein lieblich tönendes Bild von arkadischer A nm uth war, aber entbehrlich ist) und läßt die ihm folgen»

den Verse nach dem Ausklang des letzten Aktes, statt der unmöglich gewordenen Bitte um Beifallsgunst, von Prospero zwischen den Falten des Bühnenvorhan^es ins Publikum rufen. iDiese Um stellung ändert den Sinn. Des Gedichtes Körper, nicht die M ummenschanz, das Spiel im Spiel, heißt n u n „leeres Schaugepräng“ und die in dünne Luft aufge»

lösten Geister schminken sich hinten schon ab. Auch der protestantische Calderon, der in Shakespeares herbstlicher, an den Rändern von U ndank verhärteter Seele seltsame Wun*

der wirkt, verliert unter diesem Streich den Kopf. Ein H eld oder Kerl, der im Vorhangsschlitz, dicht an der Rampe, H errn O mnes irgendwas zuschmettert oder zuraunt, zerreißt die M agie der Schaubühne. D er ist das Sturmdrama noch nicht erworben. Aufrecht nur Kaliban; von verwegener Jugend mühlos zu packen und, wie jedes grelle U nholdbild, stets von Zwerchfell und H änden belohnt. In Meerestiefe ruht Prosperos Buch. A uf unserer Erde grunzt die Freiheit, die Kaliban meint.

L o n d o n e r N e b e l

Dreimal ist schon im Februar hier an die Pflicht ge*

m ahnt worden, dem pariser „K onkordat der fünf M ächte“

(so nennen sie jetzt die „Propositions“ vom neunundzwan*

zigsten Januar) mit einem vernunftvoll einleuchtenden Ent*

schädigungvorschlag, nicht wieder mit N egation und Wuth*

geheul, zu antworten. „W eil in Deutschland der G laube genährt wurde, alles Ungemach sei schon Folge des versailler Paktes, schien jedes Verlangen nach Entschädigung der W ucheraufschlag eines Erpressers. W ar durch offenbare Ab*

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3 1 6 D ie Z ukunft

kehr von unsittlicher Politik und zeitwidriger W irthschaft der Vergangenheit draußen Vertrauen erworben, dann m ußte, zuerst, der Nachweis des Schadens, für den wir ersatzpflichtig sind, erbeten und danach ein Plan zu Tilgung unserer Schuld vorgelegt werden. A us Berlin kam nie solcher Vorschlag;, bis ins Jahr 21 stets nur die Betheuerung, alles Verlangen sei unerfüllbar, übersteige die Leistungfähigkeit des Besieg*

ten. W er W irkung davon erwartet, daß er die M inister Briand, Jasper, Ishii, Lloyd George, Sforza W ahnsinnige, Ver*

brecher, Narren, raubgierige Schurken schilt, wird auch durch den G edanken an Oberschlesiens Schicksal und an die inter*

nationale Bedeutung der nahen Preußenw ahl nicht in das Klima kühler Vernunft zurückzurufen sein. W ir brauchen t nachprüfbare Schadenberechnung; eine von den Westmäch*

ten verbürgte amerikanische Anleihe von mindestens zwei M illiarden Dollars, die uns auf drei Jahre Schuldtilgung ohne mörderischen Valutaverlust ermöglicht; ehrliche Entwaffnung und republikanisch friedliche Politik, die uns von (dann un*

nöthiger) Fremdbesatzung befreit und deren ungeheure Kosten dem Zweck der Entschädigung zuweist; Wirtschaft* und Le*

bensform, an der die Trugm är von Deutschlands Reichthum zerschellt.“ (Fünfter Februar.) „Frankreich wäre ohne zuläng*

liehe Entschädigung verloren. Deutschlands wärs, wenn ihm Last aufgebürdet würde, die ihm irgendwie beträchtlichen Ein*

kauf aus Fremdland wehrt. Ein großer Theil des Januarplanes ist unausführbar. Strafbarer Leichtsinn, daß ihn, der jetzt kom*

men mußte, die Reichsregirungthatlos,sorgenlos ab w arteteund dann den Schimpfschlauch ausströmen ließ, der ärgeres U nheil athmete, als zwanzig abgehandelte M illiarden ersetzen können- W as ist,noch vor der londoner Konferenz, zu fordern? Ermit*

telung des Schadens in Frankreich und Belgien, der Leistung*

fähigkeit deutscher W irthschaft durch unbefangen Sachver*

ständige. W as ist wie Pesthauch zu meiden? D er Verdacht,.

D eutschland wolle erfüllbarer Pflicht, gerechter Sühne ent*

schlüpfen. H ier,nicht mit dem Rechnerstift, wird Ehre gew ahrt oder verloren.“ (Zw ölfter Februar.) „Vergeudet war im Auswärtigen M inisterium jede D ienststunde, in der nicht d er Frage die A ntw ort gesucht w urde: W elchen annehm baren Schadensersatz können wir den Siegern bieten? N un ist die

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A us dem D ia rium 317 Gesammtzeit für die Berathung der Sachverständigen: acht Tage. U nd die Schuldverpflichtung ist zwanzig M onate alt;

die T i’gung m ußte aber von Gewissens wegen seit dem Tag des W affenstillstandes besonnen werden. D arf ein so leicht«

sinniger Schuldner wohlwollendes Vertrauen fordern? Nach dem unklugen Gelärm, das die in den W ahn von Vernicht«

ungwillen Eingesponnenen noch immer .patriotisch* dünkt, wird gewichtige M ilderung der Bedinge schwer zu erlangen sein; und die Verrückung unserer W irthschaftgrenze können die D onnerwetterer selbst nicht leicht nehmen. Schimpfen schadet, Fintstöße werden hurtig parirt und die Trommel, die nach der ,Einheitfront4 ru ft, wirbelt uns in Gelächter.

N u r ein ganz neuer Plan vermag die G efahr zu bannen, de*

ren fortzeugendes U nheil die W estmächte eben so klar wie bei uns der W achste erkennen.“ (N eunzehnter Februar ) Die von H ohn und Schimpf gekränkten Vormänner des Gläubi*

gerausschusses reisen schon mit gerunzelter Stirn über den Aermelkanal. D ie Preußenw ahl hat die M onarchisten be*

trächtlich gestärkt. Zwei nach London berufene Botschafter erzählen, wie es in Berlin aussieht. In allen Banken thurm*

hohe Haufen deponirten Papiergeldes. (D ie leeren Lager großer Industrien und Handelshäuser, deren A usverkauf die*

ses Zettelgebirg schichtet, sehen sie nicht.) Bälle, Schlemmerei, Luxusparaden, planlose L o tterw irtschaft, unverschämte Ein*

fuhr des Entbehrlichsten. In der Staatlichen Akademie der 'Künste, gegenüber der Französischen Botschaft, eine Aus*

Stellung, zu der Künstler von Ruf sich den ansehnlichsten M odefirmen verbündet haben. D ie kostbarsten Stoffe, nur aus Reihern geformte H ü te, ein schillerndes Gewoge von Brokat; feinere Pracht, als die Rue de la Paix zu Augen*

weide bietet. H inter dem Rücken fronender oder in Müßig*

gang gezwungener A rm uth nur düifte eine in üppigster Zins*

fülle schwelgende Bourgeoisie sichs, heute noch, gestatten..

Im Lande des Schuldners, der sich dem G läubiger als Ha*

benichts zeigt, begünstigt es der Staat, dessen Kunstakade*

mie sich für die „umsichtige“ Bereitung solchen W erkes öf*

fentlich loben läßt. „ N u r ein Symptom, H err M inister; und nicht etwa nur ein berlinisches. Bis in die kleinsten Nester finden Sie ähnlichen .Betrieb*. W enn unser General von den

23*

(14)

318 D ie Z u k u n ft

Eindrücken spricht, die er, fast jeden A bend, aus dem Skala«

Restaurant heimträgt, glaubt man, Bericht aus den Glanz«

nächten des Cafe de Paris zu hören. K ohle? Viel mehr, als gebraucht w ird ; wenns auf G eld noch ankäme, wäre längst die Senkung des Preises erzwungen. A ber die Leute zahlen hier blind, was verlangt wird. Stabeisen, Eigenprodukt, ist, zum Beispiel, ums Zweiundzwanzigfache gestiegen. Dagegen ist die G oldw erthsteigerung Bagatelle.“ D a merkt man, was von dem Geseufz des Schuldners zu halten ist. „W issen Sie denn auch, daß die Sachverständigen nur zu A bw ehr un«

serer K onkordatsforderungen, nicht zu A usarbeitung positi«

ver Vorschläge, berufen w urden?“ U nglaublich. „A ber wahr.“

D ie N eugier schwillt. W ährend der Führer der Deutschen Delegation sein A ngebot locker begründet, zeichnet der Bre*

tone Briand einen langmähnigen, breitschaftigen Fischer, der, weil nichts zu fangen ist, die Angelschnur flattern läßt; und schreibt darunter: „In verblüfftem Staunen lauscht ein Klein*

bretagner dem Vorschlag der D eutschen.“ W idm ung an den G roßbretagner Lloyd George. D er sieht die M illiarden schneller als in Märzsonne Schnee schmelzen. Schon sinds nur noch fünfzig; zahlbar in dreißig Jahren. D avon gehen zwanzig ab, die D eutschland schon gezahlt zu haben behauptet. (D er ewig zuversichtliche H err Erzberger hat, als W erth der aus*

gelieferten Handelsschiffe, eine Summe eingesetzt, so rund, wie er damals noch war. Poveretto!) D er G läubiger soll für eine A nleihe sorgen. N u r fünf Prozent Zins erhalten, doch dem Schuldner acht gewähren. Die Ausfuhrabgabe verschwin*

det spurlos; hinterläßt nicht einmal den Ruch der Hoffnung auf irgendwelchen Ersatz. (Rieth dazu wirklich H err Sthamer, hamburgischer Senator und D eutscher Botschafter, dann ge*

b ü hrt ihm der Heimathwimpel.) Dem Präsidenten der Kon­

ferenz wird schwül. Dem wackeren deutschen Juristen mit dem blanken Treuauge traut er die K artenkunst eines Volte*»

schlägers nicht zu. D er W eißkopf blickt rechtswärts, links*

wärts; räuspert sich; und spricht dann mit kratziger Stimme:

„D ie H erren verkennen ganz und gar die Situation.“

Keine Kritik heute; die taugt nicht in die Kladde. W as will der G egner? D ie Rede des H errn Lloyd George, die mit der A nkündung der „sanction“ (des Strafvollzuges) schloß,

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Aus dem D ia rium 319 lehrt es jeden nicht Befangenen erkennen. D a sie hastig über#

setzt und, nach der Kriegsmode, in drei getrennten Portionen uns aufgetellert wurde, mags nützlich sein, sie in leidliche*

rem Deutsch, als ein Ganzes noch einmal zu lesen.

„D en Vorschlag, den H err Dr. Simons hier im Namen der deutschen Regirung gemacht hat, empfinden die Ver#

bündeten als offene V erhöhnung der G rundbedingungen, auf denen der Versailler Vertrag beruht; und dieses Emp*

finden m uß in der Behandlung des Vorschlages ihren Aus#

druck finden. W as wir in Paris vorgeschlagen hatten, hielt sich zwar auf der Lijiie des in Boulogne und Brüssel Ver#

einbarten, minderte aber, auf den Gebieten der Entwaffnung und der Entschädigung, die Gesammtsumme des im Frie#

densvertrag Geforderten und zeigte den W illen zu Nach#

giebigkeit, deren Ziel eine freundschaftliche Verständigung mit Deutschland sein sollte. Die deutschen Gegenvorschläge sind der reine H ohn auf den Friedensvertrag. N icht nur durch ihren Inhalt wird diese Auffassung den Verbündeten aufgezwungen, sondern auch durch die Reden, die, nach unseren pariser Vorschlägen, H err Dr. Simons in Deutsch#

land gehalten, und durch die A rt des Beistandes, den er da#

bei, besonders in der deutschen Presse, gefunden hat. Eine seiner wichtigsten Erklärungen steht in einer Rede, die er, wenn ich nicht irre, in Stuttgart hielt. D a bestritt er jede Verantwortlichkeit Deutschlands für den A usbruch des Krie#

ges: und diese A bleugnung w urde von einem bis zum an#

deren Ende Deutschlands mit Beifall aufgenommen. Das ließ uns ganz klar erkennen, wie Deutschland zu dem Vertrag steht. In unseren A ugen ist die Thatsache der deutschen Verantwortlichkeit das Fundam ent des Vertrages; auf sie ist er gebaut, und wer sie leugnet, entkräftet ihn und macht ihn hinfällig. D ie V erbündeten müssen also damit rechnen, daß Regirung und Oeffentliche M einung in D eutschland die eigentliche Grundlage des Vertrages nicht mehr anerkennen.

D ie unvermeidliche Folge dieser neuen H altung sind Vor#

schlage, wie H err Simons sie uns hier hören ließ. Sie ver#

rathen den Geisteszustand, in dem D eutschland an die Er#

füllung seiner vom Vertrag umschriebenen Pflichten geht.

Deshalb muß mit schärfster D eutlichkeit ausgesprochen wer#

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3 2 0 D ie Z ukunft

den, daß ein rechtskräftiges U rtheil die deutsche Verant*

wortlichkeit für den Krieg über allen Zweifel hinaus fest*

gestellt hat. W eil Deutschland von Frankreichs U nrecht über*

zeugt war, forderte der Frankfurter Friede von 1871 nicht nur Entschädigung von Verlust, sondern Ersatz der ganzen Kriegskosten. Niemals hat und hätte D eutschland dem unter*

legenen G egner die A nfechtung dieses Urtheiles erlaubt. Das jetzt, nach dem großen Krieg, gefällte ist in Einklang mit der U eberzeugung fast aller civilisirten M enschen; und wir müssen darauf bestehen, daß es anerkannt und geachtet werde.

Ehe sich D eutschland nicht dazu entschlossen hat, seiner Lage bew ußt geworden ist und in diesem Bewußtsein ihm Pflicht*

erfüllung Bedürfniß wird, ist von Konferenzen nicht viel zu hoffen. D ie in Deutschland gehaltenen Reden und gedruckten Artikel, die ich mit ernstester Aufmerksamkeit gelesen habe, zwingen mich, zu meinem großen, sehr großen Bedauern, zu dem Schluß, daß D eutschland sich, noch immer, durchaus über das wahre W esen der Forderungen täuscht, denen es gerecht werden soll. M an sucht das deutsche Volk in den G lauben zu verleiten, diese Forderungen seien das W erk feindlicher Verschwörung und bestimmt, durch unerträglichen D ruck Deutschland zu vernichten. G estatten Sie m ir, in voller A ufrichtigkeit auszusprechen, daß nach unserer festen U eberzeugung die europäische Civilisation ein freies, in ge*

sichertem W ohlstand zufriedenes Deutschland gar nicht ent*

behren kann und von einem unzufriedenen, versklavten und dadurch dem Erdtheil als Last anhängenden Deutschland mit Lebensgefahr bedroht würde. N ie hat uns der leiseste W unsch gestreift, das große deutsche Land zu erdrücken u nd sein großes Volk in Knechtschaft zu schmieden. W ir verlangen nichts Anderes von ihm als Dieses: daß es die Schäden tilge, die der unter der Verantwortlichkeit seiner Kaiserlichen Regirung begonnene Krieg erw irkt hat. Dazu hat es sich durch U nterschrift verpflichtet. Im Frankfurter Frieden hat es selbst die A nerkennung des G rundsatzes ge*

fordert, der für den Kriegsausbruch Verantwortliche müsse die Kosten zahlen. So weit gehen wir nicht. W ir verlangen nicht einen Shilling, nicht einen Pfennig von unseren Kriegs*

kosten zurück. D ie sind so ungeheuer hoch, daß die Z u;

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Aus dein Dia rium 321 m uthung, ein einzelnes Land solle Ersatz leisten, gar nicht auszudenken ist. W enn jedes Land seine eigenen Kriegs«

kosten zu tragen vermag, ist schon die höchstmögliche Leistung erreicht. Um den Krieg führen zu können, haben wir, Alle, uns mit so schwerer Schuldenlast bebürdet, daß wir jetzt unter quälendem Steuerdruck stöhnen. D er Versuch, diese Last auf einen Einzelnen abzubürden, wäre fruchtlos. D er Versailler Vertrag fordert denn auch keinerlei Kriegskosten«

«rsatz; nicht eine einzige Papiermark wird dafür von Deutsch«

land verlangt. W as wir zu A bw ehr des deutschen Angriffes -ausgeben mußten, zahlen wir selbst. U nd was soll Deutsch*

land zahlen? M ir scheint höchst wichtig, daß seine Oeffent«

liehe M einung darüber klar werde; denn offenbar ist sies noch nicht. D eutschland soll das Civilvolk von dem durch den Krieg bewirkten Verlust entschädigen und zum Lebens«

unterhalt der Kriegsopfer, auch der Krüppel, beitragen. N ie haben wir mehr verlangt. N ie können wir weniger fordern.

Deutschland irrt vollkommen, wenn es glaubt, ihm solle mehr G eld abgepreßt werden, als zu Entschädigung der Ver«

lustträger nöthig ist. N icht um eingebildeten oder aufge«

bauschten Schaden handelt es sich. W ir Verbündete tragen Lasten, unter deren Gewicht wir auf die Länge zusammen«

brechen m üßten. N ehm en Sie Frankreich allein: außer Rie«

sensummen für Pensionen braucht es in diesem Haushalts«

jahr zwölf M illiarden Francs zum A ufbau der verwüsteten G ebiete; und diese Beträge müssen auf lange hinaus, min«

destens für zehn Jahre, gesichert werden. W o ist eine dieser Last, unseren ungeheuren Lasten vergleichbare im deutschen B udget? Ich bin gewiß, daß Deutschlands Volk nicht ahnt, welche Fülle von Verwüstung die Folge des H andelns war, zu dem seine Kaiserliche Regirung sich im A ugust 1914 ent«

schloß. D aß es den U mfang dieser Ver wüstungen genau kennen lerne, ist aber nothwendig, weil es, wie ich zuversichtlich glaube, durch solche K enntniß in andere Gemüthsverfassung geführt werden, nicht länger in dem W ahn, wir wollten ihm über den Bedarf hinaus G eld erpressen, beharren und so

«ine ehrliche Verständigung ermöglichen wird, auf die sonst ja nicht zu hoffen ist. Deshalb will ich ein paarZahlen nennen,

<lie den Umfang der Schädigung bezeichnen. In Frankreich

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3 2 2 Die Z ukunft

sind fast 21000 Industriestätten zerstört worden (in Osf preußen warens 623); im N orden alle Bergwerke (die frühstens in zehn Jahren wiederhergestellt sein werden). Alle Fabriken der Metall#, Werkzeug* und E lek tro in d u strie sind vernich*

tet, 4000 Textil» und 4000 Nährstoff-Fabriken zerstört oder ihres Geräthes beraubt worden, das man entweder sofort zer*

schlug oder nach Deutschland verschleppte. Vom Erdboden weggewischt w urden 1699 Gem einden; 707 w urden zu drei Vierteln, 1656 zur H älfte zerstört. H äuser: 630000 (ganz o d er zum T heil); 8000 Kilometer Eisenbahngleis; 4875 Brücken;

12 Tunnels; 3800000 H ektar Land w urden verwüstet, davon waren 1740000 H ektar in K ultur gewesen. Frankreichs Berg*

bau liefert nur noch die H älfte des Ertrages aus der Vor*

kriegszeit. Ich .bin selbst durch die verwüsteten Gebiete ge*

fahren, habe fast den ganzen Umfang des Schadens gesehen und stand entsetzt vor diesem Schauspiel. D er Erdboden sogar ist umgewühlt und der H um us verschüttet worden. M anches wird durch G eschoßw irkung und andere Kriegshandlungen erklärlich. D aneben aber bleibt ein ungeheuerlich großerTheil vorbedachter, muthwilliger Schadensstiftung. M an wollte die M ittel zur Produktion zerstören. W ie in Belgien, wo der Generalgouverneur Von Bissing am neunzehnten Juli 15 zu der deutschen W irthschaftm ission sagte, sie müsse vorsor*

gen, ,daß Belgiens Industrie, wenn sie sich erhole, der deut*

sehen nicht sofort wieder lästige Konkurrenz mache4. N u r deshalb w urden große Fabriken zerstört, wesentliche, erst nach langer A rbeit ersetzbare Maschinentheile herausgenom*

men, dem ganzen technischen A pparat W unden geschlagen*

H ochöfen, Brücken, Fundamente gesprengt. Belgiens und Frankreichs Industrie sollte verkrüppelt und außer Stand ge*

setzt werden, nach Kriegsende sich in W ettbew erb mit Deutsch*

land zu wagen. W enn die Deutsche Delegation es wünscht, kann ich ihr eine lange Reihe solcher Fälle nachweisen. In vielen anderen Fällen war D eutschlands Metallmangel die Ursache d«r Zerstörungen; man brach aus Einrichtung u n d M aschinen, was man zu Haus brauchte. Frankreichs wich*

tiger Flachsbau ist fast völlig vernichtet, das nordfranzö­

sische M ontangewebe auf Jahre hinaus aller Betriebsmög*

lichkeit entzogen worden. Ich wiederhole, daß ich viele Fälle,

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Aus dem D iarium 323 aus Belgien und Frankreich, anführen und erweisen kann*

in denen Gewerbestätten nur zu Abwehr künftiger Konkur#

renz so gründlich, bis in ihre Erdfundamente, zerstört wor*

den sind, daß die W iederherstellung in Brauchbarkeit Jahre erfordert. Deutschlands H äuser undFabriken aber sind (wenn ich von dem relativ geringen Schaden in O stpreußen ab»

sehe) unversehrt und in der ersten Stunde nach Friedens*

Schluß konnte Ihr Land wieder an die A rbeit gehen, W aaren fertigen, der W elt anbieten und verkaufen, ohne vom Wett#

bewerb mit den N achbarn belästigt zu werden, deren Ar#

beitgeräth es zerbrochen oder sich angeeignet hatte. Belgiens M inister bezeugen, daß hundertfünfzigtausend belgische Ar#

beiter, weil sie ,arbeitlos‘ seien, von der deutschen Militärbe#

hörde, deren Zerstörungeifer diese Arbeitlosigkeit doch selbst verschuldet hatte, nach Deutschland deportirt wurden. H ätten wir ni<^it das Recht, Entschädigung von all diesen Verlusten zu fordern, dann würde für die Z ukunft der G rundsatz ver#

kündet: D ie Last der Niederlage trägt der Sieger und dem Geschlagenen fällt die Frucht des Sieges in den Schoß.

M it allem Gesagten habe ich doch nur einen Theil des von der Kaiserlichen Regirung angerichteten Schadens um#

grenzt. N u r Proben gab ich; weder für Italien noch für G roßbritanien die Ziffern der vernichteten W erthe. U ns, die wir mehr als irgendein anderes Volk von der Schiffahrt abhängig sind, wurden acht M illionen Tonnen Frachtraum und Ladung versenkt. D as Schlimmste aber, das Bitterste ist der Verlust an M enschenkraft, die T ötung oderVerkrüppe#

lung ungeheurer Schaaren blühender M änner. Frankreich hat 1 400 000, England 1 000 000 M ann verloren; Frankreich

•muß 3500000, England 1700000 Menschen Unterhaltsgelder zahlen. Die Ziffern für Italien und Belgien habe ich nicht hier. Diese furchtbaren Verluste an M enschenkraft mindern nicht nur die produktive Fähigkeit unserer Länder: sie be#

lasten auch unseren Jahreshaushalt mit der schweren Pflicht,

^ür die hilflos H interbliebenen und die durch Verstümme»

lung der Erwerbsfähigkeit Beraubten zu sorgen. D er dazu nöthige Betrag ist für Frankreich und für G roßbritanien, ich meine: für jedes der zwei Länder allein, in jedem Jah r um das beinah Dreifache höher als Alles, was D eutschland

(20)

3 2 4 D ie Z ukunft

jetzt, als Gesammtsumme jährlicher Entschädigung, den Ver*

bündeten anbietet. G ew iß hat auch D eutschland durch den Krieg gelitten. D och sein M enschenverlust ist, im Verhält«»

niß zu den Kopfzahlen der Völker, viel geringer als der Frank*

reichs und sein einziger G üterverlust, der in O stpreußen, ist dem französischen gar nicht vergleichbar. W as wird, nach so entsetzlicher U nrechtshäufung nun der Französichen Re*

publik angeboten, deren reichste Provinzen in W üsten und Trüm merstätten verwandelt sind, was dem Frankreich, das nach fünf Jahren gräßlichsten Kriegsschadens Verzweifeln*

den Heime schaffen, das Fabriken bauen, in Landwirthschaft und Industrie die W iederaufnahm e der Produktion ermög*

liehen m uß und unter der Last der Fürsorgepflichten, der W itw en, W aisen, Krüppeln zu zahlenden Pensionen erbebt?

W as wird dem tief verschuldeten, mit ähnlicher Fürsorge*

pflicht bebürdeten G roßbritanien als Ersatz der Verluste an­

geboten, die es erlitt, weil es einen Staatsvertrag (über Bel*

giens N eutralisirung) vertheidigte, den es mit dem König von Preußen geschlossen, den dessen Thronerbe aber ge*

brochen h at? W as bietet man Italien und Belgien zu Er*

leichterung ihrer Pflichtenlast? N icht einmal den vierten Theil des zu Entschädigung nothw endigen Betrages. U nd dieses Viertel sollen die Geschädigten in ihrer eigenen Tasche suchen; sie, die auf ihren M ärkten kaum noch das vom drin*

gendsten Staatsbedürfniß geforderte G eld finden können, sollen dem Deutschen Reich unter besonderen Gunstbedin*

gungendas zu dieserTheilentschädigung nöthigeG eld leihen.

So sieht das deutsche A ngebot aus. Ich kann die Psycho*

logie, die dazu geführt hat, nicht fassen; nicht begreifen, daß die Vertreter des für den gräuelvollsten aller Kriege verant*

wörtlichen Landes hierher kamen, um den O pfern dieser G räuel und Schrecken in der feierlich ernsten Stunde der Konferenz solche Vorschläge zu machen. Jeder Vorschlag, der den aufrichtigen W illen zu U nrechtstilgung und Pflicht*

Erfüllung bezeugt hätte, wäre von uns mit unerschütterlicher G edu ld angehört und mit dem Streben nach unbefangener G erechtigkeit geprüft worden. H ätte die deutsche Regirung gesagt, zweiundvierzig Jahre seien eine zu lange Verschuld*

ungzeit, sie kenne auch eine bessere M ethode zu Feststell*

(21)

A us dem D ia rium 325 ung der deutschen Zahlungfähigkeit u nd empfehle drum, statt der langen Frist und der A usfuhrabgabe, einen anderen,schnei«

ler und sicherer ans Ziel führenden Weg, dann hätten wir uns mit den deutschen Delegirten an diesen Tisch gesetzt, ehrlich ihre Vorschläge geprüft und in ruhiger Verhandlung eine vernünftige Einigung zu erlangen gestrebt. Aus dem jetzt wieder angefachten Streit entsteht eine A tmosphäre des M ißtrauens und der Zwietracht. W ie soll daraus Friede wer*

den, den die W elt doch haben m uß, um, endlich, wieder die Pflichten ihres Alltagslebens erfüllen zu können? W ir er*

kennen diese N othw endigkeit, waren zu Nachgiebigkeit be*

reit und sind heute noch willig, den schwierigen Verhältnissen, unter denen das deutsche Volk, wie jedes vom Krieg zer*

fleischte, leidet, Rechnung zu tragen. A ber die deutschen Vorschläge sind beleidigend und können uns nur erbittern.

Das sagf ich gerade heraus; und als ein nach wahrhaftigem, alle Völker umfassenden Frieden sehnsüchtiger M ann bedaure ich tief, daß solche Vorschläge hierher gebracht wurden. Denn sie lassen uns fürchten, daß Deutschland seine Pflichten nicht erfüllen, sondern umgehen will; und doch reicht die H öhe dieser Pflichten nicht annähernd an die 1871 von D eutschland bestimmte, die wir als M uster nehmen und der wir unsere Be*

dingungen angleichen konnten. H ätte die deutsche Regirung zu rechter Zeit ihrem Volk eben solche Steuern auferlegt wie die V erbündeten ihren Völkern, dann wäre sie heute in bequemerer Lage. A ber auch auf diesem G ebiet wollen die Besiegten es besser haben als die Sieger. Die deutsche Staatsschuld ist zwar nominell sehr hoch, ist im G runde und im Verhält*

niß zur Volkszahl aber nicht einmal so groß wie die britische.

England hat, im Krieg und zu Führung des Krieges, drei M illiarden Pfund Sterling Steuern erhoben. D eutschland hat sich nicht so angestrengt. U n d heute hat das Sinken seines Geldwerthes seine riesig scheinende Schuld fast auf den Be*

trag der Vorkriegszeit herabgedrückt. U ngeheuer hohe di*

rekte Steuern lasten dort auf dem Besitz; aber man sagt mir, daß sie meist nur auf dem Papier stehen und durchaus nicht immer eingezogen werden. D eutschlands indirekte Steuern aber, also die von der breiten Volksmasse getragenen, sind im Vergleich mit unseren lächerlich niedrig. Das können ein paar

(22)

326 Die Zukunft

Beispiele beweisen. Ich rechne dabei so: 1 M ark G old = 10 M ark, 4 Francs Papier, 14 Shilling Sterlingwährung. Diese U m rechnungart ist gewiß nicht unbillig; ich bin aber be*

reit, auch jeden anderen M aßstab anzunehm en, den H err Simons empfiehlt. Das deutsche Budget fordert als Zuschuß für Eisenbahn und Post 20, für Nährmittelanschaffung 10 Mil*

liarden; das englische Budget hat auf diese Zuschüsse ver*

zichtet und dem Volk selbst die ganzen Kosten für Eisen*

bahn, Post, Telegraph, Telephon, Nährstoffe auferlegt. Die deutschen Zuschüsse sind eine mittelbare H erabsetzung der Steuern und eine dem Gewerbe bewilligte Subvention. In D eutschland tragen Bier und W ein Steuern im Betrag von 20, in Frankreich von 27, in England von 40 Prozent des Klein*

handelspreises. Andere Spirituosen bringen in Deutschland 80, in Frankreich 316, in England 2392 G oldm ark vom Hekto*

liter. Das Kilo Tabak bringt in D eutschland 2, in England 13 G oldm ark Steuern. Für hundert Kilo Zucker, Kaffee, Thee sind die Ziffern: 14, 15, 23 in D eutschland, 44, 28, 138 in England. D aß man die deutschen Steuern nicht auf die H öhe der von uns beschlossenen gebracht hat, ist an sich schon eine Verletzung des Versailler Vertrags; und ehe es nicht dieser Ver*

tragspflicht genügt hat, darf es nicht behaupten, von den pa*

riser Vorschlägen werde ihm Unerschwingliches zugemuthet.

D a reifliche U eberlegung uns nur in der Erkenntniß be‘*

stärkt hat, daß die deutschen Gegenvorschläge keine Grund*

läge zu ersprießlicher V erhandlung bieten und die Beschäfti»

gung mit so kränkenden, den Ingrimm herausfordernden A ngeboten für uns Alle fruchtloser Zeitverlust wäre, habe ich Ihnen nur noch anzukünden, was die V erbündeten, im Hin*

blick auf die Gesammtlage, beschlossen haben. Vor bald zwei Jahren wurde in Versailles der Friedens vertrag unterschrieben.

Mehrfach schon hat die deutsche Regirung wichtige Vor*

Schriften mißachtet; ich erinnere an das Verfahren gegen die von uns des M achtmißbrauches im Krieg Beschuldigten, an die Entwaffnung und die Zusage, 20 M illionen G oldm ark, bar oder in W aaren, zu zahlen. Das sind ein paar der ver*

letzten Bestimmungen. W ir bestanden nicht etwa starr auf dem Buchstaben unseres Schuldscheines; wir haben Fristen verlängert und manchmal sogar unsere Forderungen in We*

(23)

Aus dem D ia rium 3 2 7

sentlichem geändert. D ie deutsche Regirung aber hat immer neue Ausflucht gesucht. Trotz der Unterschrift in Versailles und der feierlichen Betheuerung in Spa ist gegen die von uns Angeklagten noch nicht verhandelt w orden; trotzdem seit M onaten Beweismaterial in der H and der deutschen Re*

girung ist. In allen Theilen Deutschlands sind, am hellen Tag oder heimlich, militärische N eugebilde entstanden und mit Waffen gerüstet worden, zu deren Ablieferung Deutsch»

land verpflichtet war. A uch auf dem G ebiet der Entschädi­

gung wären wir gern entgegengekommen, wenn die deutschen Vorschläge den aufrichtigen D rang offenbar hätten, nach Menschenmöglichkeit das entsetzliche Leid zu sühnen, das der von der Kaiserlichen Regirung unternommene Angriffs»

krieg bew irkt hat, und die vom Rahmen des Versailler Ver»

träges utaspannten Schäden zu ersetzen. D och leider ist uns hier die Ueberzeugung aufgezwungen worden, daß die deutsche Regirung entweder ihre Vertragspflichten nicht er»

füllen will oder nicht stark genug ist, um einer kurzsichtigen, von Selbstsucht blinden O pposition den Entschluß zu den unvermeidlichen O pfern abzuringen. Verhindert ihn Deutsch»

landsO effentliche M einung, dann wächst die Gefahr der Lage und zwingt uns, die Stimmführer dieser M einung vor un»

zweideutige Thatsachen zu stellen. Zuerst vor die Thatsache, d aß wir zwar stets bereit sind, vernünftiger Darstellung des deutschen N othstandes G ehör zu schenken, nicht aber, noch länger das Feilschen um Vertragsbestimmungen zu dulden oder Umgehungm anövern ruhig zuzuschauen. D ie Verletzungen des Vertrages, das Streben ihn wegzudeuteln, die hierher ge»

brachten Vorschläge und die offiziellen Erklärungen, die ihnen vorangingen: Alles drängt uns den Verdacht auf, daß die deutsche Regirung mit vorbedachter A bsicht der Erfüllung übernomm ener Pflicht ausweichen will. Deshalb m ußten wir uns zu H andlung entschließen.“

Schmal ist das Gelände der Hoffnung, den Strafvollzug als Vertragsbruch zu erweisen. In dem Vertrag steht unge»

fähr Alles, was je Gläubigers Begehr werden kann; und das Recht, den bösen oder säumigen Schuldner in Pflichterfüll»

ung zu zwingen, sollte in dem von schlauen Geschäftsmen»

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