X X IX . Jahrg. Berlin, den 12. Februar 1921 Nr. 20
W i
ie ISukunfit
Herausgeber
M axim ilian Harden
INHALT
S e i t r
F e b r u a ... ... ... . ...1 7 7
D er Rothe Peter ... ...1 7 7
A n die P h ilip p e r ... ... 182
N ach A scherm ittw och ... . . . . ^2
Gespräch mit einem A m e r i k a n e r ... 200
B öcke als G ä r t n e r ... . . . 202
Ekelpause ... . . . . 205
Nachdruck verboten
E r s c h e in t j e d e n S o n n a b e n d
Preis vierteljährlich 22 Mk., das einzelne Heft 2.00 Mk.
BERLIN
Verlag der Zukunft
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Berlin, den 12. Februar 1921
Februa
D e r R o t h e P e t e r
T ^ \ i e Blätter der K om m unisten m eldeten gestern, K rapotkin
*^^^sei gestorben. Ists, wie m an nach der Q uelle verm uthen darf, wahr, dann ist er fast achtzigTahre alt gew orden; einund«
vierzig davon h a t er im Exil, fü n f im G efäng niß , einund*
d reiß ig in L on d o n verlebt. D ie K rapotkins rühm en sich der A bstam m u ng von R urik, dem H a u p t der skandinavischen W arjaeger, die ins R ussenland gerufen w urden, um O rd n u n g zu stiften. A eltester, vornehm ster A del also. In dem geistigen W esen des Prinzen, des Fürsten Peter K rap otkin w ar Nach*
W irkung des germ ano*norm annischen B lutes nicht sp ü rb ar;
d aß er im H erzen Britaniens heim isch w urde, unterscheidet ihn ja nicht von der Schaar reinb lü tig er Russen, die der Sturm revolutionären T rachtens w estw ärts w ehte. U n s d ü n k t das A ntlitz seiner V orstellung u n d seines W illen s durchaus sla*
wisch. D e r K nabe sieht aus entsetztem A uge die graue Q u al der Leibeigenen; w ird im Pagencorps zum O ffizier ausge
bildet, der frü h als A d ju ta n t des Statthalters nach Transbai*
kalien geht. D e r Fünfundzw anzigjährige tritt aus der A rm ee u n d stu d irt N aturw issenschaft; a u f einer Reise nach E uropa erw acht sein Interesse an der A rbeiterbew egung; die von Ba*
k u n in geschaffene Internationale zieht ihn in ihren m agischen Kreis; der H eim gekehrte w ird A nhänger N ikolais Tschai*
178 Die Zukunft
kow skij, der durch den R ückfluß der in d en Städten dem G ed an ken sozialer R evolution gew onnenen A rbeiter das D orf, den M u sh ik diesem G ed an k en erobern w ill; w ird 1874 ver*
haftet, flieht nach zwei Jah ren aus dem Lazaret der Peter» Paul*
Festung, w ird in Frankreich, weil er im Z w eiten Anarchisten*
k o n g reß in G e n f u n d in d er P ropaganda fü r B akunins Lehre ans Licht trat, zu fü n f Jah ren G efän g n iß verurtheilt, nach drei Ja h re n b eg n ad ig t u n d geht 1886 nach L ondon. N o c h w ar er in d er W issenschaft n u r d urch orographische Studien ü b e r Asien b ek an n t; der grö ßere G eo g rap h u n d dam als auch als M ärtyrer d esA narchokom m unism us berühm tere Elisee Re*
clus hat seine Schrift „Paroles d ’un rev olte“ eingeleitet, kom*
m entirt und herausgegeben. D er fünfundsiebenzigjährige F ürst kam nach R u ßlan d zurück; sah die Scherben, die Steinsplitter des Z arth u m s u n d a u f den T rü m m ern : Lenin. N o c h einm al standen, in n ich t m ehr geradlinig reiner U rgestalt, B akunin u n d M arx einander gegenüber; ein sehr alter, gesänftigterBa*
k u n in einem slaw ischen, doch m it k o n stru k tiv er K raft reicher als m it eigentlich schöpferischer b eg ab ten u n d in Regirer*
praxis gereiften M arx. D en Krieg, d en Lenin geendet hatte, w ollte K rapotkin fo rtfü h re n : denn ihm w ar er, wie dem streng*
gläubigen M arxisten Plechanow , d er K am pf für eine feinere ci vilisatorische Form gegen den R ückdrang in H errschaft ro her G ew alt. D asS ireb en nach dem M axim um zw in genderG ew alt m u ß te in M o sk au jed en M uskel straffen. U n d diesen Staat, diesen vom M acht willen festgeram m ten Status hatte K iapotkin sein Leben lang verw orfen. D e r M arxism us w ar ihm im G ru n d e im m er ein G räuel; in ihm sah er (aus viel stum pferem A u g e als sein Lehrer B akunin, d er M arxens Wissenschaft*
liehe Leistung nie verkannt, für H erzens „G lo ck e“ das Kom*
m unistischeM anifest übersetzt hat u n d d a s„K a p ital“ zu über*
setzen begann) stets n u r die W ied erh o lu n g alter Staatskollek*
tivistenlehre u n d sagte ü b er seinen F reund Lavrow : „Seine um fassende B ildung u n d der philosophische G ru n d z u g seines W esen s verboten ihm den A n sch lu ß an die deutsche Sozial*
dem okratie m it ihrer engen G eschichtauffassung u n d ihrem Ideal eines centralisirten K om m unistenstaates.“ Bibel u n d K ategorischen Im perativ, physische M acht u n d geistige Auto*
Februa 179 rität: all D as h a t K rapotkin abgelehnt. Sein „anarchistischer Sozialism us“ , den er von P ro u d h o n u n d G u y a u ableitete, soll dem Individu alism us eben so fern wie dem C entralism us b leib en ; soll w irklich An*Archie sichern: freie M enschen*
vereinung ohne G ew alt u n d H errschaft irgendw elcher A rt.
„Ist in einer G ru p p e von In d iv id uen , die sich zu A u sfü h ru n g eines U nternehm ens vereint haben, n u n aber ein U nordent*
licher u n d A rbeitscheuer: was m acht m an m it ih m ? Soll m an deshalb die G ru p p e auf lösen o d er ih r einen V orsteher geben, der Präsenzm arken vertheilt u n d Strafen verhän gt? N ach Kra*
p o tk in sollen die G enossen zu dem Schädiger des Unterneh«
m ens s p re c h e n :,Lieber Freund, w ir m öchten sehr gern m it D ir arbeiten; weil D u aber sehr oft au f “D einem PJatz fehlst u n d , w enn D u da b ist, ohne die nöthige Sorgfalt arbeitest, m üssen w ir u n s trennen u n d D u m u ß t D ir G enossen suchen, die bereit sind, sich D ir anzupassen.* Sehr lieb ; aber kindisch.
,K»11 w ith kind ness4 (U m b rin g en , aber, bitte, recht freund«
lieh), w ürde Lenin sagen.“ D as schrieb vor zw ölf Ja h re n Ma«
saryk; ohne zu ahnen, wie die zwei M änner, deren N am en G edankenszufall gesellte, einander begegnen w ürden, noch, d a ß er, als P räsident der Czecho«Slowakischen R epublik, im K rankenzim m er des prager H rad sch in die K unde vom T o d K rapotkins lesen w erde. „V om M arxism us scheidet K rapotkin sich besonders durch die A n erk enn u ng d er M o ral; zwar ver«
w irft er die alte, aber sein S tan d p u n k t ist n icht am oralisch, w eder im Sinn von M arx»Engels noch in dem N ietzsches.
Er w ill, wie B akunin, eine neue M o ral schaffen u n d n en n t gut, was d er G esellschaft n ützt, schlecht, was ih r schadet.
Er ist rationalistischer U lititarier u n d lehrt, die natürliche Sym pathie des M enschen genüge als G ru n d satz der M oral u n d sichere, als G efü h l der Zusam m engehörigkeit, von selbst die richtige O rganisation der G esellschaft. M oralsinn ist ihm eine N atu rg ab e wie Geruchs» u n d T astsinn, brauche deshalb nicht du rch V erpflichtung o d er S trafdrohung erzw ungen zu w erden. ,U n e m orale sans o b ü g a tio n ni sanction*, sagt G u y au . D ie natürliche N eig u n g erklärt das H a n d eln des M enschen;
jed e r b ehandelt die anderen so, wie er von ihnen b ehandelt w erden will. D as Leben in vollkom m ener G leichheit, das
13*
180 D ie Zukunft
A llen nach dem selben M aß e z u m iß t, v erp önt K rapo tkin ; ein so graues, pflanzenhaftes D asein, oh n e tiefe E indrücke, große Freude, gro ßes Leid, ist ihm Sein in einem faulen Sum pf.
Sei stark, ru ft er dem N äch sten zu; unser Streben m u ß sein, viel m ehr zu geben, als w ir em pfangen, viel G rößeres, Scho«
neres, G ew altigeres zu schaffen. Im G anzen: ein M ensch, m it dem m an Sym pathie em pfinden m u ß, aber kein starker D en k er.“ Professor M asaryk, d er dieses U rth eil fällt, lehnt auch K rapotkins Buch ü b er die Französische R evolution, das die K om m unisten des pariser G em einderathes u n d die Schü*
rer des A graraufruhres hoch ü b er die berühm teren T rib u n e n heb t, als eine in ihren A n g ab en vielfach ungenaue Tendenz*
schrift ab. D ie flecklose P ersönlichkeit des G entlem an» Re
v olu tion ärs bleibt. N a h bei M o sk au soll er zuletzt an einem W e rk ü b er E thik gearbeitet haben. D as w ird w ohl die E thik G u y a u s bis in o d er w enigstens an die M ü n d u n g in M utu*
alism us w eiter entw ickeln. D ie uralte E rde bebt, an allen K üsten verglim m en die Leuchtfeuer, eine W elt viel w eiteren U m fanges als die 1793 in K räm pfen liegende geht u nter:
u n d in der H eim ath sitzt, in eines Landstädtchens o der Dor*
fes Enge, der G reis u n d rafft die letzte K raft, dem E thos n eu w erdender W e lt den W e g zu ertasten. D as ist K rapotkin.
V or einem Ja h r sprach er zu E uropas P roletariat; rieth ihm m it starker Stimme zu A b w eh r jedes m ilitärischen Ein*
griJffes in R u ß lan d s Schicksal. D e r Bannfluch gegen den Le*
ninism us, der g ro ß e V ehm ruf,den M ancher aus diesem M u n d erw artet hatte, w urde nicht h örbar. D ie Sowjets ähneln m ehr als jede andere R egirungform den von K rapotkin ersehnten Vereinen u n d V erw altergruppen; das ihm W idrige, Centra*
lism us u n d G ew altherrschaft, k ö n n te erst m it dem seit 1914 fast ohne Pause herrschenden K riegszustand schw inden. V or zw ölf Jah ren hat K rapotkin (dessen B ruder, auch ein O pfer zari*
stischer „Justiz“ , durch Selbstm ord sich der Pein des Gefangen*
seins in Sibirien entzogen hatte) die G räuel der „Schreckens*
herrschaft in R u ß la n d “ en thü llt; n u r aus der Z e it nach dem O k tob erm an ifest von 1905, das die „G ru n d re c h te “ des Vol*
kes sichern sollte u n d w ollte. W ie sind \yir ü b e r all diese V orgänge, gar die U n te rg rü n d e belogen w orden! Seit 1832
hebrua 181 stan d im Staatsgrundgesetz vornan der Satz: „ D e r Kaiser des ganzen R ussenlandes ist ein u n b eschrän kt selbst herrschen*
der M o n a rc h ; seiner O b erg ew alt nicht n u r aus Furcht, son*
d ern auch aus G ew issensdrang zu gehorchen, befiehlt G o tt.“
N u r a u f das verstärkende W o rt „u nb esch rän k t“ w urde 1906 verzichtet; u n d der H au p tsatz lautete n u n : „ D e r Kaiser des ganzen R ussenlandes ist selbst herrschender In h ab er der ober*
sten G ew alt.“ D as T reu g elü b d e der in die R eichsdum a Ab*
geordneten galt „Seiner M ajestät dem Kaiser u n d allrussi*
sehen Selbstherrscher“ . D ie G egen rev o lution u nter N ik o lai A lexandrow itsch erneute den Schrecken aus den schlimm*
sten T agen N ik olais Paw low itsch. D e r dritte A lexander, der sich doch nie für einen M o d ern en , einen Sapadnik, W estler, ausgab, stets ein altrussisch from m er Bauer scheinen w ollte u n d niem als auch n u r G espräch ü b e r nützliche Schm älerung der A u to k ratie duldete, ließ in dreizehn Ja h re n sechsundzw anzig C iv ilistenh iniich ten. Sein Söhnchen, N ik i, den w ir sanften Ge*
m üthes glauben m ußten, in vier Jah ren m ehr als zweitausend*
fü n fh u n d e rt.D az u kam en unzählige O p fer der Ju den po grom s, schändlicher M iß h a n d lu n g in Staatsgefängnissen, kam en Ge*
legenheitm etzeleien, deren eine, an der Lena, d reih u n d ert stri*
kende A rb eiter tötete, zw eih u n dert verw undete u n d fü r de*
ren G ed eih en d er „V erband echt russischer M än n er“ u n d die
„Partei des aktiven Kam pfes gegen die R ev o lution“ m it ihren Schwarzen H u ndertschaften sorgte. U n s h at alles seit zw eijah*
ren in der,.freisten R epublik d e rW e lt“ G eschehene an schreck*
lichere M ordziffern gew öhnt. W e r aber K rapotkins Bericht (d er ja m it T o lsto is „Ich k ann nicht schw eigen“ u n d m it A ndrejew s „E rzählu ng von den sieben G ehängten“ in eine S ym phonie des G rausens zusam m enw ächst) gelesen hat, w ird begreifen, d aß selbst dieser Feind aller G ew alt nach der Heim*
kehr aus trauerndem zwar, doch nicht aus staunendem A uge R othen dem W eiß en T e rro r folgen sah. Z u frech war, nach dem lenzlichen H erbst, das V olk betrogen,zu ruchlosgegendieM en*
sehen gew üthet w orden, die 1917 d an n die G ew alt erlangten.
Starb der alte F ürst K rapotkin, so erblickte sein brechendes A u g e das G elob te Land (aus dem , freilich, Lenins von ver*
haltenem Lachen schütternde Stimme ihm zugerufen hatte:
182 Die Zukunft
„Ich habe gethan, was D u n u r m altest!“) L ebt er noch, dann m ag ihm Lenins Sieg über T rotzkijs Streben nach Verstaat*
lichung der G ew erkschaften eine Etape au f dem langen W eg in das Eden gew altlos, herrnlos vereinter M enschen scheinen.
A n d i e P h i l i p p e r
Peter A lexeje witsch K rapotkin, das H a u p t der G laubens*
gem einschaft, die W ilhelm in seinen Briefen an den lieben N ik i„ S c h u fte “ ,„B estien “ , „A bschaum der M enschheit“ schalt u n d deren Verjagung aus E ngland, E insperrung in Irrenhäuser od er H inrich tun g, nach dem W u n sch dieses gem üthvollen
„K o n tin en talp o litik ers“, d er Z ar in London erzw ingen sollte, Prinz Peter ist den W e g des B u dd h a gegangen: hat, seit er die H ö rig k eit un d Q u al des M enschen, das W eh des A lterns u n d Sterbens sah, allem G lanze sich entiü ckt, das V orrecht des hochadeligen R urikssprossen, den blitzenden B rustpanzer d er H o fg u n st u n d die Schärpe des A d ju ta n te n abgelegt un d ist rüstig den schm alen, steil abw ärts füh renden Pflichtpfad ins enge T h al der M ü hsal geschritten. N ich t, wie T o lstoi, in einem behaglichen Jasnaja Poljana, als persönlich besitzloser G a st seiner Frau u n d Bauerspieler, h a t er gelebt, m it zornig gerunzelter Stirn allen dem A lter noch beköm m lichen K om fort genossen u n d vo n A n d eren die Streckung ins höchste Ideal strengerSittlichkeit gefordert. D aß zwischen K rapotkins Leben u n d Lehre kein Spalt, d a ß er sich selbst kein m ilderer Richter w ar als G efährten u n d G egnern, schuf ihm den W e rth , der d en E rtrag seines Forschens u n d sein k o n stru k tiv es Hirn*
verm ögen hoch übersteigt. Z ufallslaune will, d aß neben das B ild des aus seinen „M em oirs o f a rev o lu tio n ist“ weithin bekannten Russen der m eistgenannte deu tsch e,.R ev o lu tio n är“
sich räkelt. H e rr P hilipp Scheidem ann hat (im Parvus*SkIarz*
Verlag für Sozialw issenschaft) ein Buch veröffentlicht, das er
„ D e r Z usam m en bru ch “ nennt. G em eint ist nicht der Zusam*
m enbruch der deutschen Sozialdem okratie, dessen Auswirk*
un g ja d urch den un b ed ach t w üth en d en Eingriff d er Sinow*
jew tschina gehem m t w ordenist,sonderndesD eutschenR eiches.
H ie r spricht Einer, der v on u n ten , aus du n k ler Kleinbürger*
schicht, kam , nie zu verlieren, stets n u r zu gew innen hatte
Februa 183 u n d dessen „A ufstieg " drum eine angeheftete V erlagsannonce preist. Bürgerschule, Setzer, R edakteur in G ießen, N ü rn b e rg , Offenbach, Kassel, M itglied des Reichstages, W ilhelm s Staats*
sekretär, „V olksbeauftragter“ in der Sozialistischen R epublik, R eichsm inisterpräsident, O berbürgerm eister der G e b u rtsta d t Kassel. Z usam m enbruch, der auf so hübsch m öblirte H ö h en hebt, ist zu ertragen. H e rr Scheidem ann klagt schon im Fe*
b ru ar 1917 ü ber „dreijährige H u n g erleiderei“ , über das „w ahre Elendsdasein, das er m it seiner Fam ilie führte, da er unbe*
din g t an dem G ru n d satz festhielt, keine Lebensm ittel ohne M ark en zu beschaffen“ ; u n d schreibt in sein T agebuch, als G ast einer w o hlhab enden Fam ilie habe er sich „seit langer Z eit zum ersten M al w ieder sattessen k ö n n en “ . Lang, lang ists her. Eines P arteiführers T a g e b u ch , in das D utzen de ähnlicher „E reignisse“ verzeichnet w erden, ist fast so merk*
w ü rd ig wie ein Verlag fü r Sozialwissenschaft, der sich zu A nnahm e dieses nicht n u r von W issenschaft, nein, auch von den schlichtesten G ru n d fo rm en literarischer D arstellun g un*
erm eßlich fernen Buches entschließt. Eines Buches, das uns wie ein hastig gepackter Koffer anblickt u n d dessen Ent*
stehu n g zwischen den üp p ig en Festen im Parvusschloß auf Schw anenw erder zu w ittern ist. K antige Stiefelleisten zeibeu*
len den steifenH u t.dessenK o p fm elo n e nur d urch verschw itzte Strüm pfe vor dem S toß d«*s H olzes geschützt ist, u n d aus dem H em d der letzten H o teln ach t d u fte t das gestern er*
handelte B utterpacketchen. Alles seit zwei Jah ren verhökerte M em oirengem üse schm eckt der Z unge, die diese M ittelstands*
konserven aus schw ärzester K riegszeit gekostet hat, wie fein*
ster Felix P otin. N ach langathm iger E rzählung aus Hert*
lin g sZ e it sp ring t der putzige T agebuchführer, ohne ein W arn*
w ort, in die A era B ethm ann zurück. K ein V organg, w eder die logische noch w enigstens die zeitliche Folge der Ereig*
nisse w ird durchsichtig k lar; u n d alles U nb eq uem e verschwie*
gen oder flink überhüpft. Ein paar Perlm uscheln sind, dennoch, von der verschlam m ten Bank zu fischen. A m d ritten A u g u st 14:
„ Ich hatte das G efühl, d a ß der K anzler m ir die H a n d auffällig fest u n d lange drückte; u n d als er dann sagte: .G u te n M orgen, H e rr Scheidem ann 1‘, da w ar m ir, als hätte er m ir zu verstehen
184 D ie Zukunft
geben w ollen: ,D u , jetzt ist unser herköm m licher Krakeel vorläufig hoffentlich v o rü b er.1 Es w ird von ihm selbst ab*
h än g en l“ K am pf des Sozialistenführers, d er eine „internatio*
nale, revolu tio n äre“ P aitei v e rtritt, gegen d en kaiserlichen Kanzler war also: „herköm m licher K rakeel.“ ( N e tt ist, d aß in d er selben Schicksalsstunde H e rr E rzberger nach der N ovelle zum D iätengesetz fragt. „H aase u n d ich verständigten uns d u rch einen Blick u n d w iesen, noch bevor ein A n d erer das W o rt nehm en k on n te, ,in der jetzigen Situation jed e Ent*
Schädigung ab.4 N ic h t A lle m achten gute M iene zu dieser W e n d u n g .“ G em eint ist: jed e ü b er die bisher gezahlten Di*
äten hinaus gehende E ntschädigung, also verfrühten Kriegs*
theuerungzuschlag. U n d da Z w ei sich du rch „einen Blick“
verständigten, ist die V erm uthu n g erlaubt, d a ß er aus H aases A uge kam .) A m n eu nten M ärz 15 w ird ins T ag ebu ch ein*
getragen: „D er K anzler em pfing uns sehr freundlich u n d offerirte C ig a rre n ; ich qualm te d rau f los.“ D as w ächst n u r a u f unserer Erde. Lieb V aterland, m agst ru h ig sein. Im De*
zem ber des selben Jahres stö h n t d er K anzler: „Ich beneide die A bg eo rd n eten imm er, weil sie h in ter dem hohen P u lt reden können. D a kön n en sie doch ihre N o tize n hinlegen u n d benutzen. A u f m einem Platz k ann ich D as nicht; u nd , ach, das M em oriren m acht eine furchtbare A rbeit, k ostet viel Z eit u n d m an w ird auch im m er älter!“ D em Rath des Ab*
geordneten, das M an u sk rip t in die H a n d zu nehm en, ent*
gegnet er: „ N e in , D as geh t n icht; w enn ich zu viel ab*
lese, ist es eben keine Rede m ehr.“ Ist aber eine, w enn er sie m ühsam ausw endig gelernt hat u n d im Reichstag Impro*
visation aus leidenschaftlicher A ugenblicksw allung erheu*
chelt. Echter B ethm ann (d en der ihm kongeniale H err Si*
m ons dem deutschen V olke als V o rb ild em pfiehlt). D er Qual*
m er antw ortet, er könn e ausw endig gelernte Reden nicht hal«
ten jv e rrä th aber an m ancher Stelle, d a ß auch er R edenentw ürfe m acht u n d , nach B esprechung m it G enossen, ausarbeitet. So u ngew andt in dem seit Jahrzehnten getriebenen M undw erk hatte ich m ir diese Leute nicht vorgestellt. U e b e r einen seiner Z eitungartikel, der, im M ärz 17, fü r P reu ß en das Reichs*
W ahlrecht forderte, schreibt P hilippus, er „habe die Regir*
Februa 185 ungvertreter in eine geradezu unbeschreibliche (d ru m be=
schriebene) A ufregun g versetzt u n d historische B edeutung e rla n g t“ ; u n d trägt, nach dem ihm folgenden G espräch m it dem Kanzler, ins T agebuch ein: „Ich m ag es nich t nieder*
schreiben, will es aber als gew issenhafter C h ro n ist doch ih u n : Ich hatte zeitweilig den E indruck, als sei er der ehrliche M ann nicht, für den ich ihn gehalten habe u n d fernerhin gern halten m öchte.“ D er selbe „ P o litik e r“ hatte am dritten A u g u st 14
„B ethm ann m it seinem V orgänger B ülow verglichen u n d sich gesagt: Ein G lü ck im U nglück, d a ß B ülow jetzt nicht Kanz*
ler ist. Ich habe doch im Lauf der Jahre die A ugen offen gehalten u n d bin dabei zu d e rU eb erzeu g u n g gekom m en, d aß m an B ethm ann viel U n rech t gethan u n d ihn falsch einge#
schätzt hat, weil m an sich du rch Bülow s Schwätzereien hatte irreführen lassen.“ D u ah nungvoller Engel D u! D en beleben*
den Z eitvertreib des Krieges, der D ich ins Partei», ins Minister*
Präsidium, „in historische B ed eu tu n g “ und O berbürger*
m eisterspfründe tru g , hätte F ürst B ülow D ir gew iß nicht bereitet. Fast eben so schm ackhaft wie scheidem ännisches Eigengew ächs ist ein vom Staatssekretär Zim m erm ann wieder#
ho lter A usspruch des Feldm arschalls H in d en b u rg . „A ls im K riegsrath auf die M öglichkeit eines Krieges m it der Schweiz hingew iesen w urde, hat der alte H e rr gesagt: D as wäre nicht schlim m ; dan n könn te m an von d o rt aus die französische F ro n t aufrollen.“ D er ältere D on P hilipp hätte gerufen: „Ich sehe m ich in fürchterlichen H ä n d e n !“ U nserer stim m tm it dem Staatssekretär in der M ein u n g überein, „d aß die Situation ein*
fach verzw eifelt ist“ (im Jan u a r 17,M itb ü rg er!); u n d m arsch irt d ann zwanzig M onate lang weiter m it Fritze an der Spitze des Dran# u n d D urchhältercorps. Im Ju li 17 hören die H erren E bert, Erzberger, M ayer, Scheidem ann aus dem M u n d e des G enerals L u dendorff den Satz: „D ie A m erikaner fürchten w ir n ich t; sie w erden Flugzeuge u n d Flieger liefern; für u m fan greicheT rupp en tran sp orte istT o n n ag e kaum da.“ D rei W ochen zuvor h at der Zim m erm ann des A usw ärtigen A m tes grim m ige Klage ü ber „die D um m heit der O bersten Heeres#
leitun g“ , der offiziell täglich vergotteten, ins O h r Philip pi geflüstert. Im Septem ber sitzt auf dem ro th en Sofa im
14
1 8 6 D i e Z u k u n f t
schönsten Z im m er des A usw ärtigen A m tes ein and erer Staatssekretär. D er, H err R ichard von K ühlm ann, spricht zu dem A bgeo rdn eten: „ In drei bis vier W o ch en sind, wie ich bestim m t versichern kann, V erhandlungen zwischen England u n d uns ü b e r die belgische Frage im G ange.“ N ic h t einen T ag lang gab es für E ngland eine „belgische Frage“ un d nie w ar darü b er V erhandlung m öglich. „A ls ich H e rrn von K ü h l
m ann gelegentlich nach den englischen V erhandlungen fragte, zuckte er die A chseln. H o rn b e rg e r S chießen!“ N ein , h olde E infalt: in H o rn b e rg war im m erhin Alles für ein Schützen#
fest vorbereitet, n u r aus dem ganzen K inzigthal kein P ulver aufzutreiben; die „V erhan dlun g m it E ng lan d“ kam aus der D ü te m it H aagsche H o p jes, die der L aodikaier K ühlm ann aus der R esidenz W ilhelm inens m itgebracht hatte. M erkens*
w erth, do ch dem K undigen keine U eberraschung, ist auch die A ngabe aus G esprächen m it dem G rafen Brockdorff*
R antzau. (D e r, sein V etter Bernstorff u n d F re ih e rr von Eckard*
stein sind dem Falkenblick des H errrn Scheidem ann die w eißen Raben deutscher D iplo m atie; n u r sie, die m it rührendem Eifer um seine G u n st w arben, b e w u n d e rt er enthusiastisch. Auf«
richtiges Beileid.) D e r D eutsche G esan dte in K openhagen, den der A b g eordnete „im m er“ (als einen dem D r. H elphand- Parvus befreun d eten M an n ) besucht u n d trotzdem fü r einen G egner des T auchbootkrieges hält, „steht in der auswär- tigen P olitik durchaus in einer Linie m it uns (Sozialde- m o k raten ); m acht aus seinem H erzen keine M ö rd erg ru b e, drü ck t sich besonders ü b er die W ilh elm straße sehr d e u t
lich aus, flucht ganz v olksthüm lich“ (ü b e r den Staatssekretär Jagow , m it dem er, was ein P arteiführer wissen m ußte, p er
sönlichen Z w ist g ehabt hatte) u n d „hat sich die g rö ß ten Ver*
dienste um gute B eziehungen zu D änem ark erw orben; wir schieden von einander wie alte F reunde.“ D as g rö ß te Ver
d ien st, hier ist an der W issenschaft P h ilip pi kein Zw eifel m öglich, erw arb sich d er ältere F reun d Parvus: durch die K oh len k ö d eru n g d er dänischen G ew eikschaften. D änem ark konnte, m it o der ohne den M inister Scavenius, im Krieg nicht anders h andeln, als es gehandelt h at; u n d d aß es nach D eu tsch lan d s N ie Jerlag e so fo rt die R ückgabe N o rd sch les
w igs forderte, h at den W e rth der in den K riegsjahren „er*
hebrua 187
w orbenen Sym pathien“ herrlich offenbart. A ber ist der Ein*
blick in den Pfuhl dieses G ezettels u n d G elü ges, elender Eitelkeit u n d scham loser V erdächtigung V orgesetzter, heim*
liehen G em ächels d er von H o fh u ld A ufgepäppelten m it den international revolutionären V ölkerbefreiern nicht lehrreich?
So sah es hin ter den C oulissen aus, vor denen das blu tend e, darbende, bis ins d ritte G lied sein Leid vererbende V olk T ag vor T ag erm ahnt w urde, in selbstloser E intracht der heiligen Sache des V aterlandes freudig das schwerste O p fer zu bringen.
M u ß te dieses verpestete T ru g g eb äu d e nicht Schutt w erd en?
A m fü n fte n ju n i 19schreibt der R eichsm inisterpräsident in sein T agebuch, Seine Excellenz der H err Reichsw ehrm inister N oske habe die A nnahm e des Friedensvertrages gefordert u n d dreim al geschrien: „U n serV olk ist national u n d m oralisch so verlum pt, d a ß w ir unterzeichnen m üssen 1“ N ach diesem U rth eil kann E in e f bei uns M inister bleiben u n d O b erp räsid en t werden.
D ie Lüderlichkeit der Buchm ache (die, zum Beispiel, aus einem H a rb o u einen H aarb au m wachsen läß t u n d dem Bot*
schafter B ernstorff als falsch erweisliche A ng aben zuschreibt) sei hier n u r auf einem G ipfelchen beleuchtet. D em Beth*
m ann , d er ihm aus einem R edeentw urf einen sanft gegen den A b g eordn eten Scheidem ann gerichteten Satz, zu gefälli
ger K enntniß nah m e vorgelesen h a t, antw ortet der freund*
liehe V o lk strib u n : „ W en n Sie w ünschen, d aß ich Ihn en Ge*
legenheit gebe, D as sagen zu können, bin ich gern bereit, weil ich m ir dabei nichts vergebe.“ A bgem acht. (Seite 31.) N ach d er R ede: „ D e r K anzler sprach sogar die Partie gegen mich, die ganz gegenstandslos w ar; o b w o hl ich ihm schon Sonntag gesagt hatte, d a ß ich gar nicht die A bsicht habe»
davon zu sprechen, sprach er seine A ntw o rtsprü chlein doch genau so her, wie er sie sich skizzirt h atte.“ (Seite 35.) So salope Schreiberei, der nicht m inder schlum pige K o rrek tu r folgt, d arf m an nicht ernst nehm en. M ir aber w u rd e , in einer von zornigem G ram ü ber den Rückfall unserer Amts*
p olitik in den ruchlosen Frevel der Kriegszeit um d en Schlaf gebrachten N acht, das Buch A pokalypsis. N ic h t n u r Offen*
baru ng P hilippi. H ie r spricht ein V ordergrundspieler aus dem letzten A k t des deutschen M ilitärm achtdram as, ein M ann, d er viel erw irken, m ehr noch h in d ern k on n te: und jede Seite*
14*
1 8 3 D i e Z u k u n f t
fast jed e r Satz seines Buches lehrt, d a ß dieses M annes ganzes W issen von P olitik, von W erd en u n d Sein der V ölker u n d Staaten, d a ß sein ganzer B ildu n gh o rt aus der Z eitu n g kom m t u n d sein „D e n k e n “ au f dem Leitartikelgleis läuft. Von „platter*
d in g s“ u n d „tragischer B lin dh eit1* bis zu dem „bew egten A ch ero n “ u n d der „in Satyrspiel um schlagenden T rag o ed ie“ : is Alles da. N ich ts A n d eres; gar nichts. Er hat nie geirrt, Alles richtig vorausgesehen; u n d saß er im falschen Boot, so hatte ihn die seiner W a rn u n g taube F raktion hineinge*
drängt. H u n d e rt m aulflinke Barbiere haben in der „großen Z e it“ genau so sachkundig gesprochen, w ährend sie Schaum schlugen u n d m it den B artstoppeln abkratzten. „Figaro hier, Figaro d o rt, Scheidem ann, Scheidem ann!“ Kassel ist nicht Sevilla, der H o fd em o k rat Brockdorff in keinem W esenszug dem Standesgenossen A lm aviva ähnlich u n d selbst das sklarz»
isch kultivirte Berlin nicht Voltai>es Paris. U n ser ungem ein beredter Schaum schläger ist viel harm loser, als ich ihn m ir vorstellte; „ d o o f“ , nicht n u r „jerissen“ . D a ß er die G e nossen E bert u n d B auer, weil sie den von ihrer „eie*
m entaren E m p öru n g ohnegleichen“ als unann ehm bar ver*
w orfenen Friedensvertrag annahm en, in Spott ausliefert, mag h in g ehen ; düm m er ist schon, d a ß der Führer der für die Un*
terzeichnung h auptverantw ortlichen Partei ro c h jetzt drucken läßt, n u r den G eg nern der V ertrag 'an nah m e „könne nach seiner festen U eberzeug u n g die politische Z u k u n ft geh ören“ . Er m erkts nicht. A uch nicht, wie u n k lu g u n d zugleich häß*
lieh sein hämisches Bem akeln Liebknechts, H aases (d en er als verlogenen Feigling zeichnet) un d Eisners, dreier von N ied ertrach t G em ordeten, ist. A u f zw eihundertfünfzig Sei*
ten steht n icht ein ernstes, aus breiter D istanz ru h ig erwo>
genes W o rt ü b er den M ein un g streit, dessen Folge die Partei*
Spaltung w urde. N u r als R uhestörer u n d bösartige Schwätzer m arschiren die U nabhängigen auf. E r fü h lt die Erbärmlich*
k eit dieses V erfahrens nicht. „Manchmal dachte ich, w enn der im Innersten U nselbständige nicht von arm säligen D utzend*
Journalisten geleitet, von gewissenlosen P ostenklebern u n d C arrierestrebern um schm eichelt w orden wäre, hätte er einen anderen W e g gew ählt o d er w enigstens nach dem Einsturz des Lügenpalastes sich in das B ekenntniß aufgerafft: „ W eil
l e b r u a ' 189 w ir belogen waren, haben w ir falsch gehandelt.“ D e n Irr*
thum d ie s e s V erm uthens h at erst das Buch m ir bewiesen. N ic h t ein W o rt zeugt darin von E m pfinden u n d W ollenfleines So*
zialisten. D e r Schreiber war niem als M arxist; kaum je Re*
publikaner. N o ch am zw anzigsten O k to b e r 18 will er „die M onarchie als Staatsform erhalten“ , will n u r den „W echsel an der höchsten Stelle des Reiches“, also den R ücktritt des Kaisers, das in dieser Stunde (w ie ich dam als in der ber*
Iiner Philharm onie T au sen d en zu klären versuchte) Thörich*
teste: den n vorausblickende V ern un ft g ebot n un , erst nach d erW affen stillstan d sv erein b aru n g d en zu lange Ertragenen die T h ü r ins Freie zu öffnen u n d der einer kindhaften V olkheit furchtbar gefährlichen B ehauptung vorzubeugen, die V ertreter alter G ew alt h ätten günstigere B edinge erhandelt. D er Jam m er schim pflicher R eaktion blieb uns, m it der N a ch w irk u n g ins Internationale, erspart, w enn, im A uftrag Seiner M ajestät, Mar*
schall H in d e n b u rg den V ertrag von C om piegne unterschrieb.
H e rr Scheidem ann rüh m t sich, „seit dem achtzehnten Lebensjahr d er Sozialdem okratischen Partei anzugehören.“
D eren Sprache spricht er geläufig, hat ihre ganze Termino*
logie am Schnürchen u n d kann, eine V iertelstunde nach Er*
w eckung aus festem Schlaf, gegen K apitalism us, Säbelregi*
m ent, A u sb eu tun g , fü r die proletarische Internationale Kilo*
m eter lang reden. W ie oft hörten Reichstag u n d Volksver*
Sammlung ihn w ettern 1 D a E rnst w ird , blättert das ro th e K rüstchen schnell ab u n d aus dem W o rtb e h an g kriecht ein
„bis in die K nochen“ nationaler u n d patriotischer Klein*
b ü rg er, der au ßer der Sorge für D eutschlands E hre u n d D eutschlands V ortheil n u r noch die fü r sicheren U n terstand der Partei kennt. D e r kann vo n einem A grarier „einen hal*
ben Sack K artoffeln“ als G eschenk annehm en u n d m it Ge*
heim agenten des G eneralstabes Jah re lang T heile der u n ter dem Schirm dieser d uftigen T h ätig k eit erw orbenen M illionen verschm ausen. Er ist ohne V o ru rth eil; diesseits von G u t u n d Böse. N ach H o c h to u re n in den D olom iten (in der nachher
„d reijähriger H ung erleid erei“ zugezählten Z eit) liest er an der Isar das w iener U ltim atu m an Serbien, „em pfindet es als U ngeheuerlichkeit, ist starr vor E m p öru n g u n d sich vollstän*
dig im Klaren, d aß O esterreich den Krieg w ill“ . A m sieben*
190 Die Zukunft
undzw anzigsten Julim org en ist er in Berlin. H ier versucht e r m it der h u n d ertk öpfigen F raktion gew iß alles zu Friedens
w ah ru n g E rdenkliche, fordert, wie Jaures in Paris, alltäglich Einsicht in die A kten des A usw ärtigen A m tes u n d d rü ck t in d er ersten Stunde die A nzeige durch, die Partei w erde m it allen gesetzlichen M itteln A u sb ru ch u n d F ü h ru n g des Krieges h in d e rn , w enn ihr nicht haarscharf bew iesen w erde, daß D eu tschland ih n zu U eberfallsabw ehr führen m üsse? M it schlotterndem U nterkiefer m u ß te der B ethm ann danach das U nterschlagene ins Licht liefern: den O esterreich am fünften J u li ü bergebenen Blankocheck, die seitdem leis betriebene Kriegs V orbereitung, D u tzen de flehender V erm ittelungvor
schläge aus L on don , Petersburg, Paris, die unerträum ten D i
plom aten triu m p h verbürgenden D epeschen G reys u n d N ik o lais, das M arginalgehetz W ilhelm s u n d den Befehl, Frankreich, w enn es in N e u tra litä t neige, durch A b fo rd eru n g v o n T o u l und V erdun in K rieg u n d G eiselm artyrium zu zwingen. D an n war das Spiel leichtfertiger Prestigesucht, der from m e M oloch»
dien st ehrlich tölp eln d en M ilitaristenglaubens aus; und die Sozialdem okratische Partei D eutschlands um leuchtete für A eonen der R uhm , E uropa, die M enschheit von A b g ru n d s
rand gerettet zu haben. Sie durfte die W a ch t auf dem Reichs
wall für sich ford ern u n d kein Kaiser, kein G eneral des den T ru g schling en en tk nüp ften H eeres w ar stark genug, ih r das R egirerrecht zu weigern. D o ch in welche W o lk e n h ö h e ver- schw ebt E uer W ä h n e n ? D e r P arteivorstand blieb „ a u f dem B oden der gegebenen T h atsachen“ . W u rd e den edelsten G lie d e rn unserer G eistesw elt erhabenes M uster. „ W ir rechneten m it sehr thörichtem V orgehen der B ehörden, also auch m it d er Schutzhaft.“ U n d m it der K onfiskation o der Sperre des Partei* u n d G ew erkschaftverm ögens. D esh alb m üssen „E bert u n d B raun im P arteidienst nach Z ürich abreisen“ . N ic h t d er schüchternste V ersuch zu Entschleierung der W ahrheit w ird gem acht. Keine dem K anzler peinliche Frage gestellt.
(„M ensch, m einste etwa, d a ß unse R egirung lü g t? N a ja, sow as h at m an früh er m al angedeutet, aber in E rnst . .!“)
„H aase u n d L edebou r suchten fü r die A b le h n u n g der Kriegs
kredite Stim m ung zu m achen, schienen aber fro h zu sein, d a ß sie in der M in d erh eit blieb en .“ A ls, am d ritten A ugust,
F e b r u ü 191
d e r drei Tage zuvor nach Paris entsandte H e rr H erm ann M üller zurückk eh rt, ist G enosse Scheidem ann „sehr besorgt;
je nachdem er berichten w ürde, m u ß te die F raktion sich ent
scheiden“ . U n d welches U nglück, w enn sie, noch jetzt, gegen den Krieg entschied! „ W ird M üller der Situation vollkom m en gewachsen s e in ? “ D e r Situation, die ih n nu r in w ahrhaftigen Bericht verpflichtet. D iesen Bericht lernen wir, leider, n icht kennen; n u r einen sieb enM o n ate danach geschriebenen („au s dem G e d ä c h tn iß “, sagt H err M üller, jetz t K anzler a. D .,
„w eil angesichts der prekären S ituation w ährend der Reise N otizen nicht gem acht w erden k o n n ten “ . H m .. . U n d nach der A n k u n ft? ) D ie französischen Sozialisten beku nd en, H err M ü ller habe sie b ü n d ig versichert, d a ß die deutsche F raktion die K redite ablehnen oder sich der A bstim m ung enthalten werde. Er selbst will n u r von wahrscheinlicher E n thaltung ge
redet hab en; u n d beleuchtet sich in d e m e b e n s o langen w ie u n klaren Bericht als „der Situation vollkom m en G ew achsenen“ . Ein Eckpfeiler des M arxistendom es ist die U eberzeugung, K lassengem einschaft sei stärker als V olkgenossenschaft u n d der P roletarier m üsse drum dem Proletarier aus Frem dland m ehr glauben als dem B ourgeois seiner H eim ath o der gar deren Re#
girung. O h n e diese U eberzeug u ng wäre Internationale elender Schw indelkram . D en k t H err Scheidem ann d a ra n ? N ich t eine Sekunde lang. H err M ü lle r? D a ß die R enaudel u n d Sem- b at betheuern, nach D urch leu ch tu n g jedes W ink els im Bau der D iplom atie seien sie des friedlichen Regirerw ollens erz
gew iß, n u r von D eutsch lan d also, dessen M achthaber den Sozialisten nie A kteneinsicht gew ährten, könne Krieg drohen, hallt am O h r des G enossen vorüber. D e r Botschafter d e u t
scher Sozialdem okratie k ü n d et als „unsere feste U eberzeugung, d aß W ilhelm u n d B ethm ann aufrichtig für die E rhaltung des Friedens a rb e ite n ;“ kom m e der Krieg, so verschulde ihn d ie P olitik „kapitalistisch-im perialistischer E xpan sion“ . D a
bei b lieb s; von dieser Schallplatte k lin g t vier Jahre lang das selbe Lied. So lange auf Beute zu hoffen ist. V on Recht u n d U nrecht, anständiger u n d schändlicher K riegsführung ist erst die Rede, als schon ein verschnupftes Schulm ädel den M orgennebel der N iederlage riecht. Bis dahin w urde auch H aases G efolgschaft wie eine N arren sch aar behandelt, die
1 9 2 Die Zukunft
au f die falsche K arte gesetzt h ab e; der G edanke, sie seien von G ew issensdrang zu Scheidung von a b trü n n ig U nsau b eren bestim m t w orden, schien „einfach lächerlich“ . D ie M änner d er M eh rh eit w aren, wie Ju n k erssö h n e in die Arm ee, in d ie S ozialdem okratie eingetreten („w eil sichs vo n selbst ver*
stan d “ ); hatten aber vom G eist des Sozialism us nie einen H auch gespürt. D e r F ührer dieser M illionenpartei, die ein ganzes Beam tenheer als „unabk ö m m lich“ reklam iren durfte u n d von dem hem m unglosen T au chb o o tk rieg, dem brester und b ukarester Frieden, der ungeheuerlichen V erw üstung, Plün#
derung, M enschenknechtung auf Ost* u n d W esterde n ic h t zu A b k e h r vom Schandpfad Kaiserlicher R egirung getrieben w urde, w agt, jetzt n o c h , die B ehauptung, ihres H and elns N o th w e n d ig k e it sei „ n u r zu sehr“ erw iesen w orden. Am E nde g lau b t ers schon. W ir w aren b lin d u n d ta u b ; haben von der D istel, die eines schäum enden Beckens u n d M aules Schw inger als R ebe anpries, T ra u b en erw artet. D er Mit*
w irker zu D eutschlan ds Z usam m enbruch w ar nie ein Fuchs»
stets ein im R oth kittel vergnügt grasendes Böcklein. R innt eine T h rän e in seinen Bart, d ann fließt sie „d er Schändung des N am ens u n d der Ehre des deutsches V olkes“ .
N a c h A s c h e r m i t t w o c h
D ie T hrän e quillt, die G enetive paaren sich w ieder. U n d aberm als lesen wir, der N am e, die Ehre des deutschen Vol*
kes sei geschändet. V on wem u n d w o d u rch ? V on dem Q uin*
tett B riand, Jasper, Ishii, L loyd G eorge, Sforza; durch die H ärte des pariser S chuldtilgungplanes. W ü rd e durch eines G läubigers übertriebene F o rderu n g der Schuldner e n te h rt?
N e in . D essen Ehre ist nicht in A n d erer H a n d ; ist im Bereich dieses R echtsverhältnisses n u r von ihm selbst zu gefährden:
du rch seine W eigeru n g, erwiesenes U n recht zu sühnen, u n d d u rch jed en Versuch, von beschw orener Pflicht listig sich w egzudrücken. In verruchter Leichtfertigkeit ist du rch die V erschiebung eines m it nüchternem W irthschafterernst zu führen d en G espräches au f den klirrenden Strang der Ehren*
nothw ehr dem R uf D eutsch lan d s geschadet w orden. H ä tte n die F ü n f sich in das V erlangen vam pyrischer W ucherer er*
frecht: ihre Ehre, nicht unsere, w ürde davon befleckt. U n d
blitzte des G läubigers F o rd eru n g so jäh aus heiterem H im - mel, d aß den Schuldner das überru m p eln de Flam m engezack aus eingezäunter V ern unftbah n schleudern m u ß te ? V or einem J a h r erschien, u n ter dem T itel „D eutschlands finanzielle V erpflichtungen aus dem Friedensvertrag“ , eine kleine Schrift des ham burger B ankiers D r. M elchior, den vier berliner R egirungen als sachverständigen B erather erkoren. A us dieser Schrift w ill ich ein paar Sätze anführen. „Sobald die Com*
m ission des R eparations zusam m engetreten ist, besitzt das D eutsche Reich n u r noch den Schein, aber nicht m ehr das W esen eines u nabhängigen Staates. Bei B erücksichti
gu n g der gesam m ten (v o n u ns) an erkannten F orderungen der G egner w ürd e ein Betrag herauskom m en, der das ge»
sam m te deutsche V olksverm ögen um ein Vielfaches übersteigt.
V oraussichtlich w ird also theoretisch festgestellt werden, was D eutsch land an sich zu zahlen haben w erde, danach aner
kannt, d a ß es diese Summe nicht zahlen kann, u n d dann w ird m an die Sum me bestim m en, die D eutschland im Laufe von dreißig Jah ren zu verzinsen u n d zu tilgen hat. D er E n t
schädigungausschuß kann die gesam m ten steuerlichen Eins künfte D eutschlands zunächst fü r den D ien st der Kriegs#
entschädigung heranziehen. A u s deutschen F abriken dürfen M aschinen, M o ntiru n g theile u n d ähnliche G egenstände, doch nicht m ehr als drei Z ehntel, zur W ied erh erstellung in natura herausgerissen w erden, w enn -kein V orrath sonst verfügbar oder verkäuflich ist. W as bei rücksichtloser H a n d h a b u n g dieser Bestim m ung aus vielen deutschen In d u strien w erden könnte, liegt au f der H a n d . Jed e in G o ld m ark ausgedrückte V erpflichtung ist nach W a h l der G läu big er in P funden, D o l
lars, G oldfrancs oder G o ld lire zu erfüllen. D ie feindlichen G läub ig er kö nnen sich also stets die für D eu tsch lan d u n günstigste B erechnung aussuchen; bei den auf lange Z eit zu erw artenden gew altigen V alutaschw ankungen lie g th ie rin eine ungem eine V erschärfung der an sich schon unerträglichen B edingungen. A llein die F o rd e ru n g Frankreichs nach dem Friedensvertrag hat der französische Finanzm inister auf 476 M illiarden Francs geschätzt, w ährend das deutsche Verm ögen vor dem Krieg auf höchstens etw a 300 M illiarden G o ld zu veranschlagen war. M itdem Schein des Friedensvertrages in d er
h e b iu a 193
194 D i e Z u k u n f t
H a n d kann der E n tschädigungausschuß wie ein ins G roteske gesteigerter Scheilock vor das deutsche V olk treten, um nicht n u r sein erstes, son dern auch sein letztes P fu n d Fleisch zu for*
d e rn .“ So w ar,nach dem U rth eildesE rsten F inanzdelegirten,der du rch D eutsch lan d s U ntersch rift bestätigte Z u stand. H a t der E n tschädigungausschuß dem D eutschen Reich n u r den Schein eines un abhängigen Staates gelassen, die ganze Steuereinkunft in Beschlag genom m en, M aschinen u n d anderes Fabrikgeräth herausgerissen, 140 000 M ilchkühe u n d für die Jahre 1920 u n d 1921 je 40 M illio nen T o n n e n K ohle gefordert, Schuld*
zahlung in D ollars verlangt, das letzte P fu nd Fleisch beg eh rt?
N ein . H e rr D r. M elchior rieth am Schlüsse seiner Schrift, den A u ssch u ß die G renzen deutscher L eistungfähigkeit kennen zu lehren, zu H au s jed e K o rru p tio n u n d unsaubere Lebensauf*
fassung zu bekäm pfen, die jun g e D em okratie zu kräftigen u n d so „w ieder V ertrauen zu erw erben, dam it unseren A ngaben auch G lau b e geschenkt w ird “ . Ist von A lledem Etwas ernst*
lieh versucht w o rd en ? N ein . Sind die im J a n u a r 21 verkün*
deten T ilgu ng b ed in g e h ärter, als sie nach dem Friedens*
vertrag zu erw arten w aren? N ein . K önnen w ir V ertrauen, unserer A ngaben G lau b en d ad urch erw erben, d a ß wir w ieder aufschreien wie ü b er U nerhörtes, von keinem M enschenhirn V erm u thb ares? Zw angsjacke, M o rd p lan , Schurkenstreich, T o d esu rth eil, Vernichtung.: D as war schon. U n d danach hat U n terschrift D eutsch lan d verpflichtet.
„ D e r B eschluß, alles der In n en ru h e D eutschlands, nichts der N e u b ild u n g eines deutschen Kriegsheeres Förderliche zu gew ähren, k ann uns nu r nützen, nicht schaden. U m fanget ihn freudig, statt vor ihm zu schaudern. A m or fati! Kann ich, was mich zu zerm alm en verm öchte, ungefährdet um*
arm en, so bin ich geborgen. D e r A nblick eines groß en Reiches, das, ohne H eer, ohne ein einziges Regim ent, n u r u n ter der H u t von G em einde wehren in friedlicher A rb e it erstarkt, w ird allen V ölkern schnell Beispiel u n d M u ster. W e r diesesDeutsch*
land angriffe, hätte alle M ächte, w ägbare u n d unw ägbare, gegen sich; u n d rascher noch als in E ngland 14, in A m erika 17 erstünde dem angegriffenen Land ein V ertheidigerheer, dessen W affenbedarf aus dem A rsenal des V ölkerbundes ge*
deckt w ürde. Ein Reich, das n u r zu w ahren ist, w enn Söldner*
F e b r i u i 195 schaaren m it den abscheulichsten K riegsm itteln, die je ein M enschenblick sah, heute in N o rd , m orgen in Süd ,R uhe u n d O rdnung* erm etzeln, sinkt m ählich in den R ang ver
achteter H ordenstaaten. A uch die U m schieichung der W irth*
schaftfragen d arf nicht länger w ähren. D e r T riasbeschluß v on San Rem o sagt: ,W ir ersuchen die H ä u p te r der deut- sehen Regirung, bei der geplanten Z usam m en ku nft uns klare u n d genaue Vorschläge zu m achen. W ird ü b er alle stre iti
gen G egenstände (H e e r u n d W affen, Kohle, A u fb au , Be
satzungskosten) ein befriedigendes A bkom m en erreicht, dann w erden w ir m it den deutschen G ästen gern Alles erörtern, was die O rd n u n g D eutschlands u n d das G edeihen seiner W irth sch aft zu sichern verm ag.4 D as alltägliche G estöb er deutscher P rotestnoten, die aus allem Land zw ischen Flens- b ürg un d Eupen, M em el*O ppeln u n d K aisersw erth*D arm stad t n u r W o rtb ru ch , Tücke, Schurkenstreich m elden, w ird d rau ß e n kaum noch beachtet. W äre jede einzelne N o te fest in Recht b egründet, so bliebe, selbst dann, die H ä u fu n g aus*
b ü n d ig e T h o rh e it; u n d die eitle Sucht, d urch V eröffentlichung von B eschw erde, die im D u n k e l leichter w irksam w ürde, d er K undschaft Eifer zu zeigen, zerrt den R u f des an der Staatsstüm perei unschuldigen Landes au f dem M arktschreier
karren im m er tiefer in Spott u n d Schande. N ach Spa tau g t w eder G epfauch noch G ew im m er. W ir m öchten w ohl, aber w ir kö nnen nicht, D ies ist zu h art u nd Jenes au f unerschw ing
licher H ö h e: solches H erum gerede ist A llen zu Ekel gew or
den. D ie Frage hallt: W as kann D eu tsch land zu A u fb au u n d E ntschädigung der W estm ächte leisten? D e r Frage, wes
halb nicht längst in N o rdfran k reich H u n d e rtta u sen d e D e u t
scher arbeiten, w ird prom pt im m er die A ntw ort, die pariser R egirung wolle diesen Z u z u g gar nicht. D a ß sie einen ver
n u nftv o ll w eitsichtigen Plan ab leh nen , ihm auch n u r aus
biegen könne, ist u n d en k b ar; u n d wäre der A m tserbe des H errn Loucheur th ö rich t genug zu solcher A u sflu c h t, so w ürde er du rch die V eröffentlichung des deutschen V or
schlages schnell zur A nnahm e gezw ungen. N o ch aber ist G ru n d zu der Zw eifelsfrage, ob ein P lan , der sich sehen lassen darf, entw orfen u n d bis in Spitze un d K anten d u rc h gearbeitet w urde. D eutschland hat ein G ew im m el A rb e it
196 Die Zukunft
loser u n d dichte Schwärme kräftiger M änner, die in Büttel#
u n d Schergendienst nicht den L andsleuten noch sich selbst gefallen. In Frankreich hinein! D ie G ew erkschaften m üßten A usw ahl u n d A rb eitb ed in g u n g en international regeln. Acht*
stündige A rb e it vo n zw eihu nd erttausen d M ann w ürde das D eu tsch e Reich täglich ungefähr acht M illio nen M ark kosten ; aber in einem H a lb ja h r auch dieses A ufw andes W erthes schaf*
fen. Militär» u n d M arinefiskus, Stadt» u n d Landgem einden w ürd en von der Pflicht en tb ü rd et, Söldnern, Entlassenen, Ar*
beitlosen groß e Sum m en zu zahlen. D ie ersehnte V e rstä n d e gung, V ersöhnu n g der N ach b arv ö lk er k ö n n te nichts A nderes so w irksam fördern wie solche A rbeitgem einschaft. U n d ge»
lin gt in den von pflichtgem äßem , M eth o de gew ordenen MUi»
taristenw ahnsinn verw üsteten Bezirken der A u fb au m oderner M usterw irthschaft, so verhallen nicht nur die C höre, die das W e rk technisch verfeinerter Barbarei wie E rlöserthat rühm*
ten, sondern D eu tsch lan d erntet, als A nrainer neu u n d schöner aufb lüh end en Landes, daraus einen nicht geringen Nutzens*
theil. D enn vergesset, Schicksalsbereiter, niem als, daß in E uropa das Sehnen n ach E in u n g heute viel heller n o c h b re n n t a lsin d e n Tagen, da N ietzsches Prophetenseele es entglim m en sah. U n d bedenket, nach der H eim keh r in N ü ch tern h eit, ferner, d a ß D eutschland n u r m it seiner A rb eit u n d aus dem Sparhort fest eingeschränkten Staatslebens, doch nich t aus leichtfertig auf Papier ersonnenen u n d von Parteisucht bew illigten Steuern, zu zahlen verm ag. W ill u n d k ann Frankreich fü r die A ufbau*
arbeit v ierhu nderttausend M an n einstellen: auch sie sind zu haben. Beträchtliche E rsp arn iß w ird e rst gew iß, w enn Reichs»
w ehr u n d a n d e re T ru p p en k ö rp e r,a lte u n d n eu e, .restlos4durch G em eindew ehren ersetzt werden. D a n n aber brauchen,in einem Land ohne H eer u n d W affen, die W estm ächte die A u sfü h ru n g des V ertrages nicht m ehr d urch G ebietsbesetzung zu sichern:
u n d ihnen fließen, als Raten zu A b zah lu n g unserer Schuld, fortan auch die Sum men zu, die w ir jetzt für N a h ru n g u n d L öhn un g der B esatzungheere auf bringen m üssen. ( N u r von hier aus w ird auch die nahe L ösung des gro ßd eutsch en Pro*
blem es m öglich: der heerlosen, entw affneten, als A ngreifer nicht m ehr zu fü rchtenden D eutschen R epublik w ird die Auf*
»ahm e O esterreichs nicht eine S tunde länger versagt.) M ein ins