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Die Zukunft, 26. Februar, Jahrg. XXIX, Bd. 112, Nr 22.

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(1)

X X IX . Jahrg. Berlin, den 26. Februar 1921 Nr. 22

lie llu k u n ft

Herausgeber

Maximilian Harden

IN H A L T

Seite

Reden, Briefe und S t i m m e n ...237

G e s p e n s t e r p a r a d e ... ...237

A l l o t r i a ...242

V or dem M ä r z f e l d ...249

R eligion des sozialen W oh les. Von A u g u s t F o r e l . . . . 255

Kleine A gnete. Von H a n s v o n H ü l s e n ...264

Nachdruck verboten

E rscheint ied e n S on n aben d rlich

22

M k., d a s einzelne t

B E R L IN

Verlag der Zukunft

SW47, Großbeerenstraße 67 1921

(2)

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lelcgram m c: SiefltnartU« Berlin - JltarfiffO Ööltlltura / Senfrum 9153,9154,5088,925,8026

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Berlin, den ‘26. Februar 1921

rt3 r : ~

Reden, Briefe, Stimmen

G e s p e n s t e r p a r a d e

7V/I ein V olk hat sich selbst, seinen G o tt u n d mich verrathen,

^ schon w ährend des K rieges; dafür sorgten die Sozial­

dem okraten. D ie sind an erster Stelle schuldig. Jeder deutsche S old at, der w ährend des Krieges nach seiner H eim ath zu Frau u n d K indern m it kurzem U rlau b w iederkehrte, w urde system atisch bearbeitet, geistig verdorben. So kehrte er un ter falschem , niederträchtigem E influß zurück an seine A rb eit;

ab er er war kein Soldat m ehr. D an n versuchte er, seine treuen K am eraden zu bearbeiten, u n d n u r zu oft ist es ihm gelungen. N ie hätten w ir den Krieg verloren, w enn mein

\ o!k sich selbst treu geblieben wäre. H u n g e r u n d N o th hatten wir schon überw unden, auch tro tz der bitteren That*

sache, d a ß Am erika unserem ewigen Feinde Britanien die H a n d reichte. D er V errath D eutschlands bedeutete dasTodes#

urth eil; u n d achten Sie d arau f, wie G o tt die ganze W e lt geißelt! Alles Böse rächt sich hier au f Erden. N u r G o tt, der A llm ächtige, könnte helfen. V on der nächsten Z u k u n ft erw arte ich nicht viel. D ie W e lt sieht m it jedem Tage dunkler aus u n d sie war vom Frieden nie so w eit entfernt wie jetzt.

D ie ganze W e lt hat G o tt verleugnet. N ich t n ur m ein V olk hat seinen G o tt verleugnet. Sechsundzw anzig schwere Jahre habe ich allein den K am pf geführt, um meinem V olk den Frieden zu erhalten. D a w urde m ir von m einen besten Freun*

den das Schwert des Friedens aus der H a n d geschlagen.“

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2 3 8 D ie Zukunft

D iese Sätze sprach zu einem holländischen Lehrer im Schloß D o o rn der M ann, der d reiß ig Jah re lang D eu tsch er Kaiser sein d u rfte; sprach sie in unserem Februar. „E r ü b e r­

w ächst uns schon an m ächtigen G liedern, w ird treuer Pflege Lohn reichlich erw idern. W ir w urd en frü h entfernt von Lebe*

chören; doch D ieser h at gelernt: er w ird uns lehren.“ Am sechsundzw anzigsten O k to b e r 18 h at er den G eneral Luden*

dorff in A bschiedsgesuch gezw ungen, um sich „m it dem Bei*

Stande d er Sozialdem okraten ein neues Reich aufzubauen ‘.

D ie h a t er n u n als niederträchtige V erräther erkannt; und v o n ihnen, lallt er, ließ das ganze V olk sich vergiften. Sprach je, gar vor Frem den, ein E n tk rö n ter so von der Landsmann*

schaft? N icht' einm al M ilan O brenow itsch. D o ch staunet nicht.

Ist ja der Selbe,der, in denB riefen a n N ik i, dieF ranzosen.w eil sie nicht auf seinen K öder bissen, „ein ehrlos sterbendesV olk“

un d d en unbeugsam en Bismarck einen „scham losen V erräther von niedrigem C h arak ter“ schalt. D eutschlands V errath er­

w irkte, verdiente das T o d esu rth eil; das von G o tt, dem All*

m ächtigen, gefällte, den die ganze W e lt verleugnet u n d der, dennoch, von allen g ro ß en V ölkern n u r dieses eine m it der S k orpionengeißel b lu trü n stig geschlagen hat. Eines Laffen W e ltb ild ? D e n h a b t Ihr, tausendm al G ew arnte, drei Jahr*

zehnte lang auf dem T h ro n des Schicksalsgestalters g ed uldet.

D en h ö ret Ihr, heute noch, von K athedern, Kanzeln, Tribü*

nen als from m en, edlen, von U n d a n k um krächzten D u ld er rühm en. Er schim pft das deutsche Volk, heischt m it der selben Lügenzunge von ihm ein M illionengebirg: u n d w ird wenig*

stens den G ru n d sto c k erlangen. D eu tsch lan d ist nicht zu T o d v eru rth eilt u n d w ird nich t sterben. D a rf es von der W elt aber A ch tu n g fordern, w enn sein sonst nach U ebelsvergeltung lech*

zender W ille sich n icht in un w iderruf bare V erdam m niß eines reulo s Erbärm lichen aufzuraffen verm ag?

Ein anderes F ebruarbild. Z u T aufe u n d Stapellauf eines g roß en H andelsdam pfers hatte H err Stinnes den Feldm arschall H in d e n b u rg (als P ath en ) u n d den G eneral L udendorff an d ie W esergeladen. Z w eiT age lang waren inBrem en die Schulen ge*

schlossen; prangten die H an sestad t u n d das W erftstädtch en Vegesack in Flaggenschm uck; standen von früh bis spät Tau*

sende vor dem G asthaus, das die Feldherren herbergte u n d

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R e d e n , B r i e f e , S t i m m e n 2 3 9

an dessen Pforte ein D o p p elp o sten d er Reichsw ehr die W a ch t hielt; standen, sangen, jub elten . A u f der schw arzw eißrothcn Schleife eines für den U m fang breiter Schultern, nicht eines Schädels, gew undenen Lorberkranzes funkelte der W illkom*

m ensgruß: „D em unbesiegten H e ld e n .“ A us der A nsprache eines O berprim aners, der einen J u g e n d b u n d führte:

„ W ir sind uns der g ro ß en A ufgabe b ew u ßt, w ir wissen, was für schwere Z eiten noch vor uns liegen, aber es fällt uns leichter, sie zu überw inden, w enn wir solche groß e Vor*

bilder haben, wie Sie, verehrter H err G eneral, uns eins ge*

geben haben. In diesem G eiste w ollen w ir Weiterarbeiten, bis D eutschland w ieder in alter G rö ß e dasteht, bis die Ost*

mark, Elsaß* Lothringen un d O berschlesien, falls es polnisch w erden sollte, w ieder einm al dem deutschen V aterlande ein*

verleibt* sind, so d a ß w ir uns w ieder der gefallenen H elden erinnern k ö n n e n , die im W eltk rieg für uns gefallen sind.

Ich fordere Euch auf, m it m ir einzustim m en in den R uf: H err G eneralfeldm arschall v o n H in d e n b u rg H u rra ,H u rra ,H u rra !“

D e r G efeierte gab kurze A n tw o rt:

„ H a b e n Sie herzlichen D an k für die freundlichen W o rte, die Sie an mich gerichtet haben. M eine V erdienste sind ge*

ring gew esen; ich habe n u r m eine Pflicht u n d Schuldigkeit gethan. W e n n es uns u n ter G o ttes Segen anfänglich g u t ge* gangen ist, so danke ich es au ß er G o ttes G n ad e der G n ad e meines Kaisers u n d m einem M itarb eiter u n d H elfer H e rrn G eneral von L udendorff, der hier neben m ir steht, u n d ferner

u n se r e m treuen H eer, das bis zum letzten A ugenblick seine S chuldigkeit gethan hat, bis ein Theil auf Irrw ege kam. D as w aren aber nicht die H eld en vo n T an n en berg un d von der Somme, sondern andere Elem ente. W ir w ollen den M u th nicht sinken lassen. Ich sehe, d a ß der nationale G eist noch nicht eingeschlafen ist, er w ird uns besseren Z eiten entgegen*

führen. N ich tsw ü rd ig ist die N a tio n , die n ic h tih r Alles setzt an ihre Ehre. N un vorw ärts m it G o tt, er w ird uns nicht verlassen.“

D e r Kaiser hat das G esuch des im R uh estand w eilenden G enerals, ein C o rp s ins Feld zu führen, abgew iesen, später ihn, als N o th am M ann war, gerufen, den ü b er N a c h t aufgeschossen nen R uhm des alten H errn wie n iederdrückende Last getragen u n d sich erst b em üht, den G ro ll gegen „die beiden K erls“

17*

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240 D ie Zukunft

zu bergen, seit au f d er Fahrt nach Posen seine Frau, die ihren W ag en nachts heim lich dem K aiserzug ankuppeln ließ, ihn in die N o th w e n d ig k e it ü b erred et hatte. D e r H err von D o o rn zeiht die V olksm asse niederträchtigen V errathes, d er F eldm an schall n u r einen kleinen H eerestheil des A bfalles von der Pflicht. D ie L eistung der N a tio n erw ähnt er nicht. ZuV ertre*

tern der brem ischen Presse hat er dann deutlicher gesprochen.

„V or A llem brauchen w ir jetzt Einigkeit in unserem Volk.

D e r Parlam entarism us ist un sin n ig in einem Lande wieDeutsch*

land, das in etw a siebenzehn Parteien gespalten ist. Ich freue mich darüb er, d a ß jetzt die E rk en n tn iß d er N othw endig*

keit des Zusam m enschlusses im m er m ehr in unserem Volke Platz greift. U n d besonders erfreut w ar ich über den be*

geisterten Em pfang in Bremen, der m ir zeigte, d aß m an hier, wie in M ünchen, ü b er die schlimm ste Z eit undeutscher Stimm»

ung hinaus ist. U n d ich freue mich, zu hören, d aß , wie im übrigen D eutschland, so auch in Bremen der alte deutsche Fleiß u n d die uns allein rettende A rb e itlu st w ieder stark im W achsen begriffen ist. U nser Streben m uß darauf hingehen, eine R evision des V ersailler V ertrages, der ein P ro d u k t der

■Lüge u n d des Betruges ist, zu erw irken. Frankreich ist ja noch im m er von H a ß gegen uns erfüllt, der seinen H erd vor A llem in der A rm ee hat. A b er in A m erika wachsen un«

sere Sym pathien u n d w erden besonders durch die Soldaten, die an der französischen F ro n t gestanden haben, genährt.

D ie Leute haben die N ich tig k eit des französischen Cha*

rakters kennen gelernt u n d w ährend der Besatzungzeit den Franzosen m it dem D eutschen vergleichen können. Ich habe Briefe von ju n g en A m erikanern gelesen, in denen die Ueber*

zeugung ausgesprochen w urde, die A m erikaner hätten gegen die falsche F ront gekäm pft. D ie R egirung sollte n u n endlich auch M änn er hin ü b er schicken, die befähigt sind, das am e­

rikanische Volk ü ber unsere Lage aufzuklären. Frankreich hat A ngst vor uns, erstens wegen der d auernd en A bnahm e seiner B evölkerung u n d zweitens, weil es den T ag kom m en sieht, an dem es von den E ngländern fallen gelassen wird.

D ie F urcht Frankreichs vor einem deutschen Revanchekrieg ist natürlich unsinnig. A n einen Krieg den kt bei uns Nie*

m and u n d kann auch N iem an d denken, denn wir können

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R e d e n , B r i e t e , S t i m m e n ' 241 ja gar nichts gegen die ungeheuren M aterialm engen ausrich- ten. Für unsere östliche Provinz, fü r O stp reu ß en , sehe ich vertrauensvoll in die Z u k u n ft. N u r um O berschlesien bin ich in Sorge, nicht, weil ich für das E rgeb n iß der A bstim m ­ u ng fürchte, sondern, w enn ich daran denke, wie viehisch sich die Polen d o rt benehm en. D ie neuen F orderun gen d er Entente sind unannehm bar. Ich hoffe, d a ß die Regirung nun, endlich, fest bleiben w ird. D en n w ir m üssen doch einmal M u th u n d W ü rd e gegenüber dem F ein d bu nd zeigen.“

Parlam entarism us, ein W esensstück deutscher Verfassung, ist U nsinn . D e r Friedensvertrag von Lug u n d T ru g erzeugt.

(„D ie A n tw o rtW ilso n s fo rdert die m ilitärische K apitu lation :“

A rm eebefehl des Feldm arschalls vom vierundzw anzigsten Ok*

to b er 18. „ In der deutschen N o te bekannten w ir uns zur K apitulation. D ie neuen G ew althaber u n d ihre bürgerlichen M itläufer verzichteten auf jed en W id erstan d u n d unterschrie»«

ben ohne Rechtstitel unsere K apitulation au f G nad e u n d U n- gnade einem unerbittlichen Feinde. D eutschland ist durch eigenes V erschulden tief gebeu gt.“ D rei Sätze aus dem Buch des G enerals Ludendorff; der in dem Vertrag also die u n ­ verm eidliche Folge deutscher H a n d lu n g sieht.) D ie Fran*

zosen, deren H altu n g im Krieg doch selbst d er unterlegene Feldherr preisen dürfte, haben „nichtigen C h arak ter“ , E n g ­ land w ird sie nächstens fallen lassen, A m erika h at sich von ihnen ab», uns zärtlich zugew andt; die V ertragspartner heißen noch immer „der F e in d b u n d “ , jededeutsche R egirung h at sich ihm feig u n d w ürdelos gezeigt, doch die Söhne der N eu en W e lt bereuen, nicht gegen ihn m it D eutschland gekäm pft zu haben. D as w ird, Alles, lau t ausgesprochen u n d au f H o lz ­ papier in die W e lt geschickt. N u r, weil gegen die unge­

heuren M aterialm engen des F ein db u nd es nichts auszurichten wäre, d en k t in D eutschland N iem and an Rachekrieg. N ie ­ m an d ? V on welcher A rt soll denn die A rb eit sein, die Posen, W estpreuß en,E lsaß ,L oth rin g en w iederdem Reich einverleibt?

D a ß M illionen solchen Reden zujauchzen,giebtihnenG e wicht;

sie sprechen nichtE in zelm ein u n g au s, sondern, „was ist“ . U n d sie stählen in W esteuro p a den W illen, das gefährliche V olk, dem n u r die F urcht vor U eberm acht neuen Krieg w ehrt, u nter hartem D ru ck zu halten u n d ihm Z u zu g aus H absbu rgs Erb»

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242 D ie Zukunft

land zu sperren. W e itab vom G elärm des H e rrn D au d et, w eit sogar von der starken P oincare-F ront stehende F ran­

zosen, die beiden Ländern das F rü h ro th freundlicher Ver- n u n ft ersehnen, schütteln die Köpfe. „W elcher H o h n stöbe aus Ihrer Presse, w enn H e rrn Foch ein H u n d e rte l des Jubels um brauste, der den deutschen Feldherren zwei Jahre nach der K apitulation (so nennen sies selbst) au f jedem W eg ent*

gegentönt; welcher w üthende S pott ü ber die O ffenbarung unseres M ilitarism us! U n d w arum zü rn t m an, da w ir Ent«

Schädigung von dem V erlust ford ern , den der m ilitärisch er*

traglose Befehl des N ation alh elden erw irkt h a t? “ A l l o t r i a

(N ach Briefen eines Lehrers)

Sie tru g eine hellblaue gestrickte Z ipfelm ütze, ein grün*

liches W interm äntelchen, dem anzusehen war, d aß sein Stoff schon eine andere Seite nach auß en gekehrt hatte, m ehrfach geflickte Stiefel; u n d fiel m ir, in der Straßenbahn, auf, weil sie, der die M u tte r w ohl, aus Versehen, eine auf allen acht Feldern du rchlochte Fahrkarte m itgegeben hatte, in tiefster V erlegenheit vor dem Z ah lu n g fo rdernden Schaffner stand.

D en n sie hatte keinen P fennig bei sich; u n d au ßer dem Be»

am ten (hier fü h lt selbst der rothe Straßenbahnschaffner sich als Beam ten) sahen auch die U m sitzenden, U m stehenden in der gefüllten H erin g to n n e sie m it Blicken an, die zu fragen schienen, ob dieses verruchte G esch ö pf etw a w irklich geplant habe, d urch erlistete Freifahrt das D efizit der städtischen Straßen*

b ah n ,d as ohn eh in schon w ieder e in eT ariferh ö h u n g erzw ingt, noch m ehr zu steigern. A us dieser N o th w ar leicht zu helfen.

D a ß nich t von allen Seiten diese H ilfe angeboten wurde, beweist, d a es sich um achtzig lum pige Papierpfennige han- delte, nur, wie erschrecklich die Jah re des Krieges, des M an ­ gels u n d alltäglichen Kam pfes um s D asein die H erzen ver- härtet haben; wie von rau h er A rb eit die H än d e, so haben von ewiger R eibung an rauhem Schicksal die Seelen Schwielen bekom m en. D as ungefähr vierzehnjährige M ädchen nahm d e n n auch die kaum der Rede w erthe G efälligkeit wie be*

glückende W o h lth a t auf, dankte m it überschw änglicher H e rz ­ lichkeit u n d beschw or mich dann, ih r m einen N am en u n d

(9)

Reden, Briete, Stimmen 2 4 3

»

W o h n o rt zu nennen, damit sie das Geld, das sie von einem fremden Herrn doch nicht als Geschenk annehmen dürfe, mir zurückschicken könne. W eil alles lächelnde Zureden nicht half und die Straße, die sie als die ihrer Elternwohnung nannte, nicht weitab von meinem W eg lag, schlug ich ihr schließlich vor, mitzugehen und dadurch schnell die Gelegen*

heit zu Tilgung der ungeheuren Schuld zu bieten. Das blasse,

magere Gretchen athmete auf; und erzählte mir unterwegs,

ihr Vater sei Expedirender Sekretär in einer Prinzenkanzlei gewesen, wäre bald Kanzleirath geworden, habe durch „die gräuliche Revolution“ seine Stellung verloren und müsse nun nach jeder Zufallsbeschäftigung haschen, Akten abschreiben, Rechnungen nachprüfen, sogar als Lohndiener bei Diners die Schüsseln herumreichen. Zu H aus werde es immer knapper, die M utter besorge heimlich Flickschneiderei und Wäsche*

bügelarbeit, sie selbst, die doch ins Lyceum gehe und eigent*

lieh Lehrerin werden w ollte, müsse sich um eine Laden*

Stellung bem ühen; am Meisten aber sei ihre kleine Schwester zu bedauern, denn: „D ie ist noch nicht neun Jahre alt und weiß gar nicht, wie H im beerbonbons.Chocolade und Schlag­

sahne schmecken; ist Das nicht gräßlich?“ M it ernstem Eifer m ußte ich die Frage bejahen. Zum G lück sahen wir gerade

«inen Leckereiladen und einen W agen mit Orangen, konnten ansehnliche Papiersäckchen mit süßer W aare einhandeln; und kletterten mit diesem Gepäck die steile, hohe H oftreppe zur W ohnung des Herrn Expedirenden Sekretärs empor.

Er war nicht zu Haus. U nd seine Frau fuhr entsetzt zurück, als sie neben ihrem Kind einen Fremden in der T hür stehen sah; bat dann, als die Ursache dieser seltsamen Be»

gleitung ihr hastig erzählt war, verlegen um Nachsicht für die U nordnung des Zimmers, räumte das Plättbrett und die feinen Hemden weg, nahm ein Tuch um die dünne Blouse, bo t einen Stuhl an und bestand darauf, daß der Herr, der ihrem verträumten M ädel so freundlich geholfen und oben*

drein noch solchen Umweg gemacht habe, zunächst „eine Tasse Thee“ mit ihnen trinke. N icht im steifenTon der prinz*

liehen Kanzlei, doch mit so guter H altung und Frauenwürde, daß nur der dümmste H ochm uth sich zu A blehnung ent*

schlossen hätte. Geschwind standen ein paar Tassen, altes

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feines Porzellan, auf dem mit schneeweißer Leinwand fce*

deckten Tisch; und als Gretchen den Thee holte, benutzte die kleine Schwester die G elegenheit,mit einer halben Orange und einem H albdutzend Bonbons glückselig sich in das Dun»

kel der Küche zurückzuziehen. „Zucker“, seufzte die Fraur

„kann ?ch Ihnen, leider, nicht vorsetzen. Für Konditorwaren und Schaumwein haben sie ihn, auch Milch genug, um über»

all zu Riesenpreisen Schlagsahne zu verkaufen. Unsereins aber m uß schon froh sein, wenns immer für Brot,Kartoffeln, Kohl»

suppe reicht und ein* oder zweimal in der W oche noch zu einem Stückchen Fleisch. Kein W under, daß die Kinder aus*

sehen, als könne jeder heftige W indstoß durch ihre Backen blasen.“ N u n folgte das alte Lied, das seit Jahren aus hundert»

tausend Häusern dieses armen Landes schallt. Den Industrie»

arbeiter hat Organisation und Solidarität der Masse vor der äußersten N o th bew ahrt; auch in sein schmales Budget reißt jede Stiefelanschaffung ein tiefes Loch, er kann sich keinen W intermantel, der Frau und den Kindern kein H em d kaufen, doch sich wenigstens leidlich nähren. Das, was man hier

„M ittelstand“ nennt, die kleinen Einzelexistenzen, geht in Stille und D unkel, unbeklagt, zu G runde. N och einmal höre ich die Litanei. D er älteste Sohn, die H offnung des Hauses, im Feld gefallen. D erN othpfennig, die Sparkasseneinlage von fünfzehntausend Mark, so schnell aufgezehrt wie Schnee in der Sonne. In der Zeit der G oldw ährung wars ein kleines Ver»

mögen; nichts, seit Papierwährung draus wurde und die Preise so unsinnig hoch stiegen, daß jede Kinderkrank»

heit Katastrophe wird. „Vor zwei Jahren sah es anders bei uns aus; nicht so kahl wie heute. Den Teppich, das Leder*

sofa, zwei Polsterstühle, Kissen, Alles gute Stücke noch aus meinem Elternhaus, m ußten wir verkaufen; und froh sein, daß es so theuer bezahlt wurde. Kupfer und das Bischen Sil*

ber hat man schon im Krieg hingegeben. W ird morgen Eins von uns ernstlich krank, danh bleibt nichts mehr zuzusetzen.“

Ins Aschgrau der Klage tobt Gretes älterer Bruder. Fast sechzehn Jahre; dürr, aber mit festen Knochen. D aß es heute

„richtigen“ Thee giebt (sonst ists ein Trank dunkler Her*

kunft, doch ähnlichen Aussehens), wird zu stiller W onne.

D er Knabe glüht. U nd als mir, endlich, gelungen ist, seine

2 4 4 Die Zukunft

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Reden, Briefe, S tim m e n 245 M utter, die ihn durchaus zur Ruhe weisen will, zu über*

zeugen, daß auch ich seine Erzählung sehr gern hören werde, beschenkt er mich mit einem dankbaren ßlick. Also . . .

„Ein Jugendbund hatte Schulfeier. Ich bin nicht drin.

A ber VC illy, dessen Vater (Ihr w ißt doch?) Feldwebel mit Eisernem Kreuz Erster war und jetzt in der Schutzpolizei viel zu sagen hat, quälte so lange, versprach so W underbares, d aß ich schließlich mitging. Das fünfzigjährige Bestehen des D eutschen Reiches sollte, nicht gerade auf den Tag, gefeiert werden. Vater sagt zwar immer, das Reich sei tot; aber W illy lacht darüber und spricht: ,Das meint er anders; komm nur mit, dann wirst D u Alles verstehen!* D er Saal war überfüllt; das Podium mit der Fahne Preußens und Deutschlands, mit der Kriegs* und Marineflagge geschmückt. Dazwischen Gewinde aus Tannennadeln mit patriotischen Aufschriften. In der M itte stand die Büste des Kaisers. Ja, denkt nur, die rieh«»

tige Büste unseres Kaisers, die seit zwei Jahren nicht mehr zu sehen war! U nd das erste Stück, das die Kapelle spielte, hieß ,Kaisermarsch* von Richard W agner. Dann wurden neue schwarzweiße und schwarzweißrothe Fahnen hereingetragen und die Jungen, die sie trugen, marschirten so stramm wie unsere Feldgrauen früher. Die Fahnen wurden vor der Kaiser*

büste niedergelegt. Alle sangen zur M usik: ,W ir treten zum Beten vor G o tt den Gerechten*; womit es ja in der Gar»

nisonkirche auch immer anfing, nicht wahr, M utter? W ie dort, kam auch hier nun ein Pfarrer mit Eisernem Kreuz. D er erzählte, wie herrlich das Deutsche Reich gewesen sei, daß die ganze W elt uns um die Hohenzollern, besonders umSeineMa«

jestät, den Friedensfürsten, beneidet und daß nur N eid und H aß zur Verschwörung gegen das friedlich blühende Reich geführt habe. Das habe der Allmächtige als eine Prüfung über uns verhängt, weil einzelne Theile des Volkes vom rech#

ten W eg abgewichen und von dem niederträchtigen Juden*

geist vergiftet worden seien. N u n schrie der Pastor furcht«

bar. Lüge sei die Behauptung, unser H eer sei irgendwo be#

siegt oder geschlagen worden. W ährend es von Sieg zu Sieg eilte und den Endtrium ph über alle fünf Erdtheile dicht vor seinem Auge sah, wurde es durch den verrätherischen Dolch#

stoß in seinen Rücken niedergeworfen. N u r dadurch w urde

18

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246 Die Zukunft

der infame Friede, der gemeinste Betrug, und die Judenre«

volution, die niedrigste Schandthat der Weltgeschichte, mög«

lieh. Bald aber werde das Reich in verjüngter Pracht auf«

erstehen und unerbittlich mit all seinen Feinden, auch den nu r von Geldgier über den Ozean getriebenen, abrechnen.

Gerade in diesen Tagen müsse Deutschlands Jugend in An*

dacht zu seinem erhabenen Monarchen aufblicken, der, wie der Heiland, still und stumm sein Kreuz auf sich nahm, auf den ersehnten H eldentod verzichtete und, nur um seines Volkes hartes Schicksal zu erleichtern, in die Fremde zog.

Die deutsche Jugend aber wird ihn zuiückholen und, wenn sie auch alle uns geraubten Landstücke zurückerobert hat, durch doppelt treuen Gehorsam ihm alles Leid vergelten.

D er Pfarrer wischte sich den Schweiß und die Thränen ab und rings um mich w urde laut geschluchzt. D ann spielte das Orchester ,H eil D ir im Siegerkranz, Herrscher des Va«

terlands, H eil Kaiser Dir*; und Alles sang stehend mit. N ach Gedicht« und Liedervortrag, sogar von einer Sängerin der Staatso^er, ermahnte uns ein anderer Redner, in die Jugend*

wehren einzutreten, denn das Vaterland werde bald Krieger brauchen, und schrie noch einmal, jedes Auge blicke jetzt auf das stille H aus in D oorn, wo der edle D ulder der Stunde harre, die den Felsblock, wie einst von der H öhle des Joseph von Arimathia, fortwälzt und den von Heim tücke des Fein«

des Gekreuzigten zur Auferstehung ruft. (H abe ich mir nicht Alles gut gemerkt, M utti ?) Danach wurde gesungen, Deutsch«

land, D eutschland über Alles in derWelt*, ,Ich bin ein Preuße, kennt Ihr meine Farben*; und in Parademarsch zogen die Fahnenträger wieder ab. Bis auf die Straße schmetterten die Jungen das Preußenlied. Ich sah Frauen weinen.“

„U n d von der Republik und ihren friedlichen Aufgaben hat kein Redner, kein G edicht oder Lied ein W ort gesagt?“

D er Knabe, aus dessen Bericht die lauterste Wahrhaftig«

keit gesprochen hatte, sah mich ein Bischen ängstlich, ein Bischen mißtrauisch an. Erst, als die Schwester von ganz ähnlicher Mädchenschulfeier, „nur ohne M usik, aber auch mit Kaiserbüste“, berichtet und die M utter gemahnt hatte:

„So antworte doch dem Herrn, Fritz“ , kams stockend heraus.

Ja, die Republik sei auch erwähnt, aber wie eine abscheu*

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Reden, Briefe, S tim m en 2 4 7

lieh schmutzige Sache behandelt worden, die das deutsche Volk, weil es „bis- in die Knochen christlich»monarchisch sei und in seiner ruhmreichen Geschichte niemals Pöbelherrschaft geduldet habe“, schnell wieder abschütteln werde. Die Pause, die diesen W orten folgte, benutzte ich zu Verabschiedung.

A uf der Treppe schöpfte ich tief Athem. Ein winziger Zufall hatte mich hierhergebracht und vor das grell beleuch­

tete Bild unseres Innenzustandes geführt. So weit sind wir nun, siebenundzwanzig M onate nach der Niederlage und dem U m sturz alter Staatsordnung. Um einen von M ond zu M ond breiter sich dehnenden Elendssumpf ein ewiger Foxtrott oder Jazz vergnügungsüchtiger Parasiten, deren aus unsauberem Q uell strömendem Reichthum nichts zu theuer ist und Alles deshalb käuflich scheint. D avor, dahinter die Renaissance unechten, drum prahlerisch sich spreizenden Nationalwahnes, der, seit er Rache schnaubt, tausendmal gefährlicher ist als in der Zeit des immerhin satten Imperialismus. Die alten Märchen, die alte Selbstüberhebung, die sich, hier wie anderswo, für Patriotismus ausgiebt. Dazu neue Motive, die stärksten: das Sehnen, das in Schuldknechtschaft niedergetretene Vaterland zu erlösen, darbendem Stadtvolk, endlich, wieder zuläng*

liehe, menschenwürdige N ahrung zu schaffen und sich den von dem Gemeinschaftband deutscher K ultur abgeschnittenen Volksgenossen aufs Neue, fester noch zu vereinen. W as soll aus der Jugend werden, deren Köpfe und Herzen die Luft solcher „Feiern“,wie Fritz und Gretchen zwei geschildert haben, einathmen und die alltäglich Lehrer, Verwandte, Pfarrer in diesem W ahn bestärken? W as aus dem kranken Erdtheil, der M enschheit, wenn diese Jugend reif und mündig ge­

worden ist und sich in G estaltung des ihren H irnen vorge- gaukelten W eltbildes entschließt? W as aus dem Hoffen auf reinere Sittlichkeit, tiefer wurzelnde und höher sich wipfelnde Kultur, wenn ein in irgendwelche N atipnalfärben gekleideter, von Trommlern und Pfeifern, Schwergeschütz und Tanks umgebener Rachegott, die Karikatur blutrünstiger Heiden*

gottheit, die wir längst vermodert glaubten, die Vorstellung von Menschen des zwanzigsten Christenjahrhunderts be­

herrscht? M üßte nicht der H eiland, der Dieses sähe, auf die Frage nach dem Ziel seines W eges wieder antworten,

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248 D ie Zukunft

er gehe, noch einmal sich kreuzigen zu lassen, da das erste O pfer zu Entsühnung der M enschheit nicht genügt habe?

D ie trug selbst nun Jahre lang das Kreuz, konnte durch eigenes Leiden geläutert w erden: und enttäuscht durch noch häßlichere Züge jetzt all unser H offen; auch zu H aus . . .

A uf der Straße pfiff ein heftiger Athem hinter mir her.

D er Fritz war mir nachgestürzt. Erstens wegen des Fahrgeldes, das anzubieten die M utter schließlich doch zu schüchtern gewesen war; dann aber . . . „O ben konnte ich ja nicht bis zu Ende erzählen. D a war noch Einer gewesen. D er Klavier*

Spieler. Ein Ju de: denken Sie! In Rußland hatten sie ihm, nur, weil er kein Christ war, alle Zähne herausgeschlagen und das N asenbein zerquetscht. Seitdem lebt er hier, schon acht Jahre, in einer Dachkammer, in die er uns, den W illy und mich, mitgenommen hat. So eng! U nd überall N oten, auf dem Bett, dem Fußboden, überall N oten. Er spielt in Kaffeehäusern, Kinos, auch bei Bällen, um sich zu ernähren;

und ein Stück von ihm, Sonate nannte ers, ist neulich in einem großen Konzertsaal von richtigen Künstlern vorgeführt worden. H eute war er im letzten Augenblick für einen er*

krankten M usiker eingesprungen, ohne zu wissen, was für eine Feier da sei, hatte von seinem Flügel aus Alles gehört und gesehen; und schüttelte sich,daß seine Knochen klapperten, vor Lachen, als er uns Jungen ausmalte, wie der Pastor und die ganze Festversammlung die A ugen aufreißen und von W u th gelbbraun werden würde, wenn sie erführe, daß ein russischer Jude den ganzen Zauber m iterlebt und, wo nicht Orchesterbegleitung vorgeschrieben w ar, zu ihren Bock*

Sprüngen dieM usik gemacht habe. Zauber und Bocksprünge:

so schalt ers. U n d sagte, es sei ein Frevel und Gotteslästerung, jungen Menschen vorzulügen, der Zimmermannssohn aus Galilaea, der den Nächsten zu lieben, ihm M issethat und Peinigung zu verzeihen, zu dem abverlangten Kleid noch den M antel hinzugeben befahl, habe den V ölkerhaß gewollt und gefördert. Kaiser, Könige, Kriegsherren, meinte er, paßten nicht mehr in unsere Zeit; und wenn sie dann noch der Ge*

fahr, die sie selbst geschaffen haben, entlaufen, sich in be*

hagliche Sicherheit bringen und ihr V olk im Elend sitzen lassen, dann m üßte man, statt sie zu verherrlichen, sie . . . .

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Reden, Briefe, S t im m e n 249 ..Aber D as bringe ich gar nicht über die Lippen. Danach

erzählte er, wie schön nächstens die ganze W elt blühen werde.

Kein H err und kein Knecht, alle Menschen Brüder, keine Grenzen und G itter, A llen gehört Alles, was wächst und durch Gemeinschaftarbeit Aller hergestellt wird. Bald sei es so weit. W ie W tihnachten war uns zu Sinn . . .“

D ie Backen des Knaben brannten; sein Auge flackerte.

O b die Bergpredigt aus der Dachkammer in ihm haften w ird?

Diese W elten athmen neben einander, fließen täglich, stündlich mit lauter Brandung in und gegen einander. W erden sie für die D auer sich zu neuer Eintrachtströmung mischen oder wird eine die andere nach furchtbarem Zusammenprall mit blutrothem G ischt wegspülen? Da hebt sich die dunkle W elle einer Schicksalsfrage. U n d nicht D eutschland allein wird die Folgen der A ntw ort spüren.

Als ich den Jungen beruhigt und mit dem Versprechen, ihn nächstens zu mir kommen zu lassen, heimgeschickt habe, biege ich in eine H auptstraße und höre A bendblätter aus«

rufen. „Acht U hrl Amtliches Ergebniß der Preußenw ahll“

Fünf M illionen, noch eine Viertelmillion monarchistischer Stimmen; wenn ich die für Centrum, W irthschaftpartei, De«

mokraten abgegebenen nicht mitzähle. M indestens ein D rittel aller W ähler setzt sein Vertrauen auf Königische (Luthers un«

ersetzliches Bibelwort). Im dritten Frühling nach der „Re«

volution“, die zwei D utzend Throne umschmiß. N ach dieser Entlarvung des letzten M onarchen. „So treu wird Keiner wie die Preußen sein.“ W er w eiß? Im ganzen Reich kanns mor«

gen ungefähr eben so werden. U nd die Kommunisten sind im ersten Anlauf ins dreizehnte H underttausend gekommen.

D ie zwei W elten, die Fritz im geschmückten Schulsaal und in der Dachkammer desjüdischenM usikanten kreischen hörte.

Schlußseufzer des Briefschreibers: „Ach, H err H arden, wie soll ich nun die Jungen deutsche Geschichte lehren?“

V or dem M ä r z fe ld

„Seit ihrer G ründung hat die Demokratische Partei jeden erdenklichen Fehler gemacht und jeden, wenn aus ihren Reihen Rüge kam, bockig geleugnet. U nter siebenzehn M onaten ist sie für allen U eberm uth und Praß der Aemter, für die

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250 D ie Zukunft

hoch gehäuften Rechtsbrüche, M ißbräuche, M orde, für eine selbst in subtropischen Republiken nicht mehr erträgliche Hochstaplerwirthschaft m ithaftbar geworden. Ihre Reichs­

ökonom ik war die rückständigste; ihr zäher Versuch, die ab­

getriebenen Gäule aus dem baufälligen Freisinnsstall H aup t­

rennen laufen zu lassen, empörte sogar die ihr in Trainer­

dienst Verpflichteten. Diese Partei wechselt oft das Namens­

kleid, doch niemals die Lebensart. U nd nie, scheint es, lernt sie den M uth zu Selbsterkenntniß. W ieder will sie die Ver­

antw ortung für ihren Sturz, für ihr Leid jetzt auf Andere abwälzen. A uf die Rivalen, deren Tücke sie von hinten er­

dolcht habe (w er bei uns nicht wie W ilhelm spuckt, räus*

pert ‘sich wie die Oberste Heeresleitung und deren selige Erben); auf die blinde Thorheit des Volkes, das Zaunkönige dem Adler, G aukler dem treuen W ächter vorziehe. Irrthum, laß los der A ugen Bandl Die Fortschrittliche Volkspartei hat 1912 in der H auptw ahl nicht einen, in der Stichwahl, auf geliehenen Krücken, vierzig Kandidaten durchgebracht.

Eben so w arsl907. O rkan rast, wirbelt das Unterste obenauf:

und die Zahl der aus bürgerlicher Demokratie Abgeordneten bleibt genau, wie sie zuvor war. Etwas mehr als ein Zwölftel der Sitze im Reichstag; ein winziges, kaum sichtbares H äuf­

lein in der Jammerecke des berliner Rathhauses, wo die Partei doch manches Nützliche geleistet hat, Jahrzehnte lang auf unerstürm barer Schanze thronte und nun von allen Haupt«

Parteien, sogar von den National-Antisem iten, himmelhoch überflügelt, von einem gestern geschaarten G rüppchen fast erreicht wird. D arum die mühsame A ibeit eines Heeres ernster M änner, der M illionenaufwand für die Partei, das pomphafte K lubhaus, das Geschachtei der Bezirksvereine? Um hundert Gramm auf die Wägschale legen zu können, die nur Kilo­

gewichte senken? Die zwiefach Gewarnten, rauh aus kind­

licher Selbsttäuschung Aufgerüttelten müssen, endlich, sehen lernen, was ist. Ideologen träumen von bürgerlicher Demo­

kratie, der die gemeine W irklichkeit unserer Klassenkämpfe und Interessenwettrennen nie eine Scholle fester W urzelerde bot. Die selben guten Kinder, denen eine mit Schlagwörtern (Freiheit, Reaktion, Rassen- und Klassenhaß, Alldeutsche, liberales Bürgerthum in Stadt und Land) gestopfte Fibel das

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Reden, Briefe, S tim m en 2 5 1

G rundbuch deutscher Machtdränge, ein Feuilleton das blanke Spieglein deutschen Wirthschaftrechtes scheint, ließen sich in den W ahn lullen, mit den Sozialisten zu spaziren, werde noch lange ehrenvoll sein und der bürgerlichen Linken' Ge«

winn bringen. H ätten sie Marx, Engels, Lassalle, Henry Ge«

orge, auch nur die Kathedersozialisten und Fabier, Bebel und Kautsky, Laveleye und Masaryk gelesen und sich in den U rtrieb des Sozialismus eingefühlt, dann wäre die Seifen*

blase vor ihrem Pfeifchen geplatzt und der G laube zerron«

nen, das bewegliche Kapital sei mit den ihm zu Mehrwerth«

und Dung-Lieferung Hörigen in die ,Interessenharmonie4 zu rahmen, auf deren H urendiele ein paar Genießer» Genossen sich räkeln und alles Angegeilte oder schon Gepaarte neppen möchten. U nd dieses bewegliche Kapital, das dem Industrie«

Sozialismus noch weniger als dem städtischer Profitsucht feind«

liehen G rundbesitz sich verbünden kann, war immer die Amme des Liberalismus, der gestern die Larve der Demokratie zeit«

gemäß fand, und wird immer dessen N ährborn, aber auch Bakel sein. Losung: Jede Freiheit, die dem Geschäft zinst, keine, die es schmälert; erste Bürgerpflicht ist, ,Ruhe undO rd«

nung1 zu wahren. Eine kleine Partei leidenschaftlich Geistiger, die, ohne M arxens D ogm a und Lenins Paulineriehre zu be«

kennen, für die Internationale des M enschenrechtes, der M enschheitwürde ficht und unverrückbar noch auf der um«

brandeten Klippe kühnen Denkens und granitenen W ollens steht, ist möglich. Die auf einen H ort, auf .Beziehungen* und Organisation angewiesene Kapitalistenpartei wird stets dem von Bankdirektoren, Kommerzienräthen, Syndicis und ande«

ren Rechtspfründnern beherrschten Dem okratenklub ähneln, von dessenTenne nach dem D rusch (Vortrag) und der Spreu«

auskehr (D iskussion) kein nahrhaftes Korn zu lesen ist. Die Finanzirer und Patrone der Demokratischen Partei wollen durchaus nicht, was die Ethiker, Salonsozialisten, Tribunat«

erstreber, Zeitungschreiber wollen, und wären schon, sämmt«

lieh, ins Nachbarlager entlaufen, wenns da nicht noch ein Bischen nach Pogrom („Rassenhaß“) stänke. Anderer Unter«

schied wird nur vorgeflunkert. Die Noske«Geßler* Demo«

kraten fordern die Rückkehr in allgemeine W ehrpflicht, ver«

fluchen den , Schmachfrieden und die Vergewaltigung des un«

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252 Die Zukunft

besiegten, ium den Ertrag freiwilliger W affenstreckung infam betrogenen Vaterlandes4, weisen Kommunisten in Mordbren*

nergemeinschaft, haben nicht einmal mit dem Hauch ihres M undes für Schuld Strafe, Schutz der U nschuld, Sühnung niederträchtig feigen Gemetzels verlangt; und von zehn Vor*

männern wären mindestens sieben beklemmenden Alben*

druckes ledig, wenn eines schönen M orgens wieder die H uppe des Allerhöchsten H errn ertönte und die Republik ein un*

holder Traum spuk gewesen wäre. N ach der ärgsten Wahl*

niederlage, die je irgendwo eine im Fett sitzende Partei erlitt, bleibt den noch immer nicht zu Liquidalion, die vernünftig und reinlich wäre, Entschlossenen nichts übrig als Anschluß*

versuch. Links: war einmal und wird, haltbar, nicht wieder.

Also rechts. W arum soll der Schiffer im kleinen Kahn nicht ins altgewohnte Gewässer zurückrudern, H err Petersen nicht mit anderen patrizischen W asserkantianern, der Diskonto*

fischer mit Ost* und W estbankiers sich verständigen, H err D ernburg nicht, wie einst im kalten Mai von Deutsch» Luxem*

bürg, das Erstgeburtrecht des Allumfassers Stinnes anerken*

nen? Diesen Dem okraten blüht nirgends noch Hoffnung.

Sollen redliche M änner sich für ein Phantom w eiterplagen?

Links waren sie Bremse. Rechts können sie Sporn werden.44 V ordem Bilanztag der letzten W ahl schrieb ichs. Neues, von anderem Urtheilston Gefärbtes käme auch heute nicht von der Lippe. Einundvierzig Sitze, fast zwei Drittel, ver*

loren; unter sieben Fraktionen die kleinste im Preußenland#

tag; dreißigtausend Stimmen weniger noch als die Kommu*

nisten, G ebild von gestern. So fiel das Los den Eiben der Vincke, W aldeck, Ziegler, Richter; den über die wichtigsten Preßprovinzen gebietenden Herren. Um den schmalen An*

hang aus der W u th allzu schlimm Enttäuschter zu raffen, hat*

ten die Croupiers zuerst geschrien: „Etsch! Die Volkspartei verliert auch einen Zettelhaufen.44 Sie hat fünfunddreißig Sitze gewonnen. N och aber bleibt, noch immer, ein T rost: „D er Koalition ist die M ehrheit im Landtag gerettet.44 Im vorigen Landtag standen 304 gegen 97; im März wird die Wägschale zwischen 217 und 197 wippen. Irgendein D ing, das wie Re*

girung aussieht, läßt sich so lange drehen, wie Centrum, So*

zialisten und Demokratenfähnlein alles ihrem Parteithum We*

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Reden, Briefe, S tim m en 253 sentliche sorgsam verbergen.Ob derN othgurtsolcherK oalition um ein paar Löcher geweitet wird, dünkt höchstens die Nichts*

alsparlamentarier, Bureaukraten aus Volkswahl, wichtig. Jede Bürgerpartei begehrt fürs Erste die Mithaftpflicht, M itschuld der Gewerkschaftsozialisten: und Die brauchen sich, als den Unabhängigen umsVierfache Ueberlegene.nicht mehr zimper*

lieh vor dem Gang in die Bürgerlaube zu sträuben. Sie haben den H aupttheil der leidlich gelöhnten und der vom Alltagszank deutscher Bolsch» und Menschewiken angewiderten Arbeiter;

werden von W ahl zu W ahl aber mehr die neue, national» sozia*

listische M ittelstandspartei, deren schweres Stimmengewicht den kleinen Beamten, Kaufmann, Lehrer, Handwerker herbei*

lockt. Diese Entwickelung wurde vorausgesehen und (auch hier) vorausgesagt, seit Moskaus Bannstrahl über die Saale hin zuckte. U eber Erwarten schnell keimt die Saat der Kommu*

nisten; ihre dreißig M ann werden den hundertelf Ebertinern und achtundzwanzig Crispienern das Leben sauer machen.

Allen Kleinkram überragt der Sieg der zwei Monarchisten*

heere, deren Banner zu Rückkehr in das „fluchwürdige alte Regime“ ruft. Seine W erbekraft wird sich, besonders im Cen*

trum, das auch (vergaßet Ihrs?) Grafen, andere Erzmillionäre und ihnen versippte Geheimräthe, nicht nur stegerwalder So*

zialchristen, hat, wohl erst in der Zeit der Lindenblüthe be*

währen. Jetzt wird ja „Einheitfront gegen Feindbund“ er*

strebt. Die Verschmitztheit braver Knaben wispert oder tutet:

„In London m uß Eintracht gemimt, Volksthümlichkeit ge*

deichselt werden; ’n Schuß republikanische Demokratie kann nur nützen. Breite Regirungbasis also für Preußen u n d ’s Reich -y aber ein Bischen plötzlich, Jungs!“ W er nach dieser Probe kindhafter H arm losigkeit noch von „Cam ouflage allemand“

zetert, D er blickt aus dickerem Klotzkopf als der klobigste Boche in die W elt. U nd die zuTäuschung, selbst einer Bauers*

magd, untaugliche Mummenschanz war nicht einmal nöthig.

In Verkennung der Pflicht, die Deutschland, sich, nicht An*

deren, zu Heil, erfüllen m uß, sind in Reichs* und Landtag ohne Rütlipose fünf Sechstel aller Abgeordneten eben so einig wie in kommerzialistischer W irthschaftwerthung.

Im März wird in London Verständigung des Schuldners mit den Gläubigern oder W eitung des Spaltes, der Deutsch*

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254 Die Zukunft

land vom W esten scheidet; wird H err H arding das Regirer*

haupt der Vereinigten Staaten; werden die Oberschlesier zu W ahl zwischen Deutschland und Polen gerufen. Lasset Ame*

rika aus flinkem Vermuthungspiel; je weniger darüber laut gesagt und gedruckt wird, desto besser. (N icht mehr, des*

halb, auch hier heute davon.) Seil in Oberschlesien, wie Hoff*

nung im vorigen Heft andeutete, die Abstimm ung für Ein*

heimische und Abgewanderte auf einen Tag gelegt wurde, ist wohl auch amtlich verbürgt, daß die Stimmen der Kömmlinge, deren Reise und A ufenthalt die Staatskasse bezahlt, nicht etwa hinterdrein entkräitet werden. Da eine große Schaar britischer Truppen den Landfrieden schirmt, dürfen selbst gebrechliche Frauen getrost hinfahren. W as in drei W ochen noch geschehen kann, m uß geschehen. Jedem Oberschlesier werde G ewißheit, daß seine Provinz ein selbständiger Glied*

staat der Deutschen Republik, polnische Kultur und Sonder*

art redlicher als zuvor geachtet, hitzige Parteinahme für Polen nicht von Rachsucht geahndet wird. Jeder höre aus glaub wür*

digem M und, wie Posen und W estpreußen jetzt aussieht: und bedenke danach, ob der von Preußens O rdnersinn und Tech*

nik in G roßm achtrang gehobenen W irthschaft seines Landes die Einfügung in Polens gedunsenen Leib frommen könne.

In London würde zähes Kleben an Negation nur schädlich.

D eutschlands Sprecher müssen sich in das Empfinden des Volkes einfühlen, das vier Jahre lang feindliche Heere auf seiner Erde sah und nach dem Sieg vor Reichsbankerot zittern lernt; dürfen nicht vergessen, daß sogar die thurm hohe Januar*

rechnung nicht den winzigsten Theil der staatlichen Kriegs*

kosten decken würde. Die Pfeiler des Kabinets Briand sind früh morsch geworden; und kein Folger hielte mit halbleerer H and sich im Getümmel. Einen Tilgungplan, nicht kniff*

lieh noch patzig, der aus nüchternen Kaufmannsköpfen Be*

jahung erzwingt; und als wuchtigste Abwehrwaffe den Satz des Herrn Lloyd G eorge: „Steigert D eutschland seinen Ex*

port so, daß es Beträchtliches zu zahlen vermag, dann ver*

vernichtet es dadurch Englands und Frankreichs H andel.“

(21)

Religion des sozialen W o h le s 2 5 5

R e lig io n d es s o z ia le n W o h le s

I

n ihrer Geschichte ging die M enschheit einen krummen Weg.

W ährend die Fortschritte der Erkenntniß, derW issenschaft, die auf der induktiven Methode der Beobachtung und des Experi­

mentes beruht, sie für ihr W ohl höher entwickelten, bewirkten, in Verbindung mit den Sprüngen und Halluzination einer auf unterbewußten Träumen aufgebauten Phantasie, die Leiden­

schaften, die Trägheit, der Luxus, die Unwissenheit und der Aberglaube zu allen Zeiten den Zerfall und den Rückschritt.

Kann Das anders werden? Den Pessimisten und dem Weltkrieg, zum Trotz, sogar im Vertrauen auf die W irkung dieses Krieges antworte ich bestim mt: „Ja". D afür aber ist die schleunige Anstrengung eines starken Willens zu künftigem Sozialwohl und ist ein allgemeiner Völkerbund nöthig.

In den Jahren 1879 bis 1898 führte ich, als Vorsteher der Irrenanstalt Burghölzli und Professor der Psychiatrie an der Universität Zürich, ein m it Arbeit überlastetes Leben. Dabei aber leiteten viele Beobachtungen, Experimente und Ueber- legungen mein G ehirn in allgemeine Synthesen, die aus meiner wissenschaftlichen Thätigkeit erwuchsen. Heute reifen diese Syn­

thesen und drängen gebieterisch zur That. Entweder dro h t unserer Kultur rascher Ruin oder sie muß gründlich, auf inter­

nationaler, ethischer und gerechter Basis für Alle, als Völker­

bund oder Vereinigte Staaten der Erde, reform irt werden. Kurz möchte ich hier die Vernunft- und G em üthsgründe zusam m en­

fassen, die damals schon mich dazu gebracht hatten, solche T hat vorzubereiten.

Immer tiefer wurde in m ir ein Zwiespalt zwischen der reinen Lust und Freude an den Funden der Forschung und dem von meiner M utter ererbten Pflichtgefühl, das mir sagte:

,,Du hast höhere Pflichten als die, Ameisen zu beschreiben und zu beobachten oder neue Zusam m enhänge von Fasern und Zellen im G ehirn zu suchen." W elcher Art aber diese höheren Pflichten waren, ergab sich immer klarer für mich aus den Kenntnissen, die ich der Evolution des Lebens, insbesondere der des menschlichen G ehirnlebens verdankte.

Im Innern hatten Glück und O ptim ism us meinem früheren Pessimismus Platz gemacht. Meine liebe Frau entwickelte sich zum Muster einer verstänglnißvollen,, liebevollen G efährtin, in deren bescheidenem Wesen eine rastlose Arbeitkraft sich h a r­

monisch mit dem ganzen Zauber 'd e r Kunst verband, die sie

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2 5 6 Die Zukunft

in Allem' beseelte und m it der sie auch das tägliche Leben zu schmücken verstand. Aus ihrer stillen, fast unmerkLchen Thätig- keit ström te Güte für die Kranken, für unsere Abstinenten, für ihre Kinder, für Aerzte und A nstaltpersonal; fhr immer heiteres W esen wirkte, den Frieden wortlos gebietend, mächtig auf mich, auf Alle; nicht ohne G rund hatte man sie ,,die kleine M utter" genannt.

Draußen jedoch, zunächst in der kleinen Außenwelt der Irrenanstalt, ström te noch viel m ächtiger der Jammer, der Streit und das Unglück um die Menschen, ein wilder, trüber Strom, dem gegenüber die Augen zu verschließen mir feig und fast gemein vorgekommen wäre, selbst wenn nicht schon meine Pflicht als Irrenarzt mich zur T h at aufgefordert hätte.

D araus ergab sich die Richtung, die meine Thätigkeit in den folgenden Jahren nahm . W enn auch, sagte ich mir oft, die herkömmliche Praxis der Medizin durch den Kultus des M ammons in Folge unseres modernen Kapitalism us bis ins innerste M ark korrum pirt ist, so ist D as kein G rund, dieser Korruption nachzugehen, sobald m an sie erkannt hat. Eine A hnung dieser Erkenntniß hatte mich instinktiv schon getrieben, eine feste Staatsstellung anzunehm en, um der Praxisjagd zu e n t­

gehen. Zugleich w urde m ir immer klarer, daß (abgesehen von einigen praktischen Fächern, besonders der Augenheilkunde und der Chirurgie, doch' zum1 Theil auch in diesen) der alte Spruch der Hygiene: „Vorbeugen ist besser als H eilen" viel m ehr in den V ordergrund unseres Strebens treten müsse. Dieser Spruch wird zwar laut gepredigt, aber seh r selten rationell und aufrichtig in die T h at um gesetzt; und doch werfen die Syn­

thesen der Lebensevolution einen Strom von Licht auf diese W ahrheit, deren allgemeine V erkennung mich immer im Inner­

sten em pört hat. Daß nicht nur Theologen und verknöcherte Ju ­ risten, sondern auch die naturw issenschaftlich denkenden Aerzte so gern im alten Schlendrian fortfahren, schm erzte mich tief.

Und gerade bei ihnen ist noch heute das Uebel am Aergsten.

Die Ameisen hatten m ir Verständniß für die Evolution des sozialen Lebens und Stoff für die vergleichende Psycho­

logie gegeben. D urch Thierexperimente hatte ich selbst diese W issenschaft weiter zu führen geholfen und m ir geschworen, der Erforschung der Ameisenwelt niemals untreu zu werden.

Diesen Schwur hatte ich bis jetzt treu gehalten und th at es auch fernerhin. Solche Studien waren fast der einzige erlaubte Leckerbissen meines reinen Egoismus.

Cytaty

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