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Die Zukunft, 16. Juli, Jahrg. XVIII, Bd. 72, Nr 42.

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xVIlL Jahrg. Berlin,den16.Juli1910. ye.42.

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Rachdrnck verboten.

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Erscheint jeden Sonnabend-

Preisvierteljährlich 5 Mark, die einzetneNummer 50

Berlin.

Verlag der Zukunft.

WilhelmstraßeZa.

1910.

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Berlin, den 16.Juli 191o.

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Nesidua.

Allensteiner Lehren.

usderKriminalkommissiondesNeichstageskommtunerfreu-

licheKunde. DieLiberalen, heißts,könnensichwieder mal nichtentschlieszen,liberalzusein.TrotzdemihreAhnen,seitSteins Zeit,vom Boden desRechtesdieschmackhaftesteNährfruchtge- erntet haben.HerrLandgerichtsrath Gräber,der demAngeschul- digten stärkeren Rechtsschutzzuschaffen strebt, fühle sicheinsam undhebe,fastschonverzweifelnd,dieHändeüber denAlamannen- barthimmelan. Von derPressedarferHilfenicht hoffen.Ein Abgeordneter, derinöffentlicherSitzungvon Saubengeln ge- redcthatt Ueberhaupt: einCentrumsmann! AlleLandwehrleute, die mit derStahlfeder prode0,regeetpatrja kämpfen,wenden sich mitGrausen vonsolchemFliegengott. Jhr evangelisches Bewußt- sein ist, auchwenn sieeserst etlicheJahrzehnte nachdenSteck- kissentagenerworben haben,vonmimosigerEmpfindsamkeit;und imTiefstennun zurauh verletzt,alsdaß esihnen gestatten könnte, füreinenLutherfeindaufdieSchanzezu treten. Ganzschön; nur dürftendie Liberalen dann von ihrer nützlichstenTradition nicht wanken noch weichen; müßteHerrNechtsanwaltBassermann sich fürdieFortsetzungdesvondenWaldeck,Gneist,Laskerbegon- uenen Werkes nichtzugutdünken undseineforensischeErfahrung, seinen hellen Verstand inderJustizkommissionleuchten lassen.

StrafgesetzbuchundStrafprozeszordnungdesDeutschenReiches sindrascherModernisirungbedürftig:undwerdieZeichenderrevo- lutionärenZeit,die wirerleben,zu deutenweiß,wirdbaldmerken,

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70 , DieZukunft.

wie weitundbisinwelcheWurzelschichtdiedeutsche Rechtskrank- heit fortwirkt. Schonvordreizethahren hatReichsgerichtsrath Mittelstaedt hier gesagt: ,,Planlos undwillkürlich,wiedieKom- positionunsererStrafgerichte,istdieZuständigkeitderverschiedenen OrdnungenundderZugderRechtsmittelvonder einenzur anderen Instanz. WirsteckenebennochindemNiederschlagderverschie- denartigenNechtsbildungenundRechtsgedanken,wiesieeinstvom deutschen Partikularismus inNord undSüd, OstundWestun- sererGaue gezeitigtworden sind.AusallerleiKompromis senzwi- schen denpopularenundgouvernementalenPostulatendieseroder jenerHerkunft istamEndeDas geworden,was sichzurZeitdeut- sche Strafgerichtsverfassung nennt.« Erhaltenward sie durchdie MachtderGewohnheit, von dergedankenloseRoutine sichnie- mals freiwillig lossagt; immer wieder gestütztvonden krummen Rücken derEwig-Gestrigen,diedenSatanasselbstnichtso fürchten wiedasEndebequemerHandwerksgewöhnungEvinculis ratjoci- nantur;heutewie inderAera deserstenKulturkampfes Alsinder vomBundesrath berufenen Kommission »angesehenerJuristen«, dieimReichskanzleramttagte,derAntrag,diegeheimeVor- untersuchung durcheindemenglischen Muster nachzubildendcs Verfahren zuersetzen,von einem Hyperkonservativen mitdem Schreckbilddes allgemeinenStaatsumsturzes bekämpftworden war,schobFriedberg(derspäterinPreußenJustizministerwurde) demStaatsanwalt Mittelstaedt einenZettelhin, ausdenerge- schriebenhatte: ,,AlleswiederholtsichnurimLeben!Alswir 1846 (ichalsjungerAssessor)dieVerordnungüber dieEinführungdes öffentlichenmündlichenStrafverfahrens beimKammergerichtbe- riethenund dieAbschaffungder absolutio ab jnstantia beschlossen hatten, fordertemein alterPräsidentvon Kleistinflagrantiseinen Abschied,weil esja jetztmit allerStrafrechtsvflegeaussei.Der König verweigerte ihmdenAbschied,Kleistbliebaberbeiseinem Entschlußund lebtedannnoch langeJahrehierals Pensionär.

BeieinerVegegnungimJahr1850 fragteermich:Habeich nicht Recht gehabt?«Sofestwar erüberzeugt,daßdieMärzrevolution desJahres 1848nicht gekommen wäre,wenn wir1846nichtdie absolutio abinstantia abgeschaffthätten!« Noch ist dieser Typus nichtausgestorben. DaßdiesichtbarstenExemplareheute nicht mehraltpreußischeNamen tragen,mindertihreSchädlichkeitnicht

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Residua. 71 Und wenn HerrGroeber ihnen,dieFreisinnnur heucheln,die Schwabenschulternentgegenstemmt,verdient erdeutschenDank.

WoderSchuh drückt,lehrtdieAlltagspraxis deutlicherals graue Theorie.DieinderReichstagskommissionVereintensollten dieBerichteüber denallensteiner Prozeß aufmerksam nachlesen:

in einer Nußfchale hätten sieda eineSammlung derGebrechen vor demAuge,an denenStrafgesetzundProzeßordnungkranken.

VordenostpreußischenGeschworenen standeinederAnstiftung zumMord Beschuldigte.Paragraph 48des Reichsstrafgesetz- buchessagt:»AlsAnstifterwirdbestraft,wer einenAnderen zu dervonDiesembegangenenstrafbarenHandlungdurch Geschenke oderVersprechen, durch Drohung, durch Mißbrauch desAnsehens oderderGewalt,durchabsichtlicheHerbeiführungoderBeförde- rung einesJrrthums oderdurchandereMittel vorsätzlichbestimmt hat.DieStrafe desAnstifters ist nach demjenigen Gesetz festzu- setzen,welchesaufdieHandlung,zuwelchererwissentlichange- stiftet hat, Anwendungfindet.«FrauvonSchoenebeck mußtezum Todverurtheilt werden,wenn ihrdieAnstistung zumMordnach- gewiesenward. Konnte sie ihrabernachgewiesenwerden? Jst solcherNachweis, so bündigundlückenlos,wiestrenger Rechts- sinn ihnfordert,je denkbar, so langederAnstifterdemTheilnehmer gleichgestellt,seinThunnichtalsselbständigeWillenshandlung gewogen wird? Goeben hatdieUeberlegung geleugnet;sichnur

derTötungschuldigbekannt.DieUeberlegung, sagtKaerinding, derfeinsteundtapferste Kon imNeich deutscherStrafrechtslehre, ,,beziehtsich nicht wesentlich aufdieMittel zurTötung (diebe- rechnet auchderTotschlägeroftmitgroßerGenauigkeit), sondern aufdasGewichtderAbhaltungsgriinde. Siewerden erkannt,ge- wogenundzuleichtbefunden. DiessetztdieFähigkeitungetrübter Verstandesfunktion voraus, deshalbdieAbwesenheit (zwarnicht jeder Gemüthsbewegung, aber) jederErregung,derenHeftigkeit dieFähigkeitderAbwägungbeeinträchtigt.«JmZustandsolcher geistigenVeschaffenheitwarHugovonGoeben gewißnicht,alserin das-Saus desMajors schlich;selbstwenner,nach derAnnahmedes einzigennamhaftenPsychiaters,derihnuntersuchthat,nicht durch Geisteszerrüttungdes freienWillens beraubt war. Jneiner Hauptverhandtung konnteerbetonen, daßWesentlichesanders gewesenwar,als ers erwartet hatte.DieFenster,dieeroffen

«.

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72 - DieZukunft.

glaubte,waren geschlossenundderMajor tratihm wachund be- waffnet entgegen.Dawar derNachweis derUeberlegungkaum denkbar. OberauchdenWillen zumMord insein Bewußtsein aufgenommen hatte?MancheJury hätteesdem Mann zuge- traut,derseinemLiebchenfürdasMahldesMajors Giftver- schafft hatteundnachts, nach viermaliger Umkehr,imBürgerrock undmiteiner MensurpistoleinsSchlafzimmerSchoenebecksge- klettertwar,demerdieEhefrau,die Mutter zweieralsehelichan- erkannten Kinder,abtrotzenwollte. Immerhin blieben Zweifel möglich.Und derVersuch, jetzt noch, sechsundzwanzigMonate nachGoebens Tod,zuerweisen, daßermitUeberlegung gehan- delthabe, zeugtvonbetrübenderThorheitDiehättesichnichtins Unerweisbare vorgewagt, wennTheorieundPraxis dieAnstift- ungalsselbständigesDelikt(dasdesintellektuellen Thatbewir- kers) gelten ließen.Dann hättederNichternur dasThunderAn- geklagten zuprüfen gehabt, nichtdasEines,derirdischer Gerichts- barkeitlängst entzogenundvondessenSchuldumfangdasSchick- salderüberlebendenFraudoch abhängigwar;dannkonnteman einen Fallkonstruiren,indemderAnstifter mitUeberlegung, der Thäter,imDrangüberraschenderUmstände, ohne Ueberlegung gehandelthatte.Jetzt?Dieconviction intime derGeschworenen ist an keineParagraphenvorschrift geknotet;ihr Spruch ist, nachder evangelischenLehre, Jaoder Nein und braucht nicht begründet zu werden. Einnur aufdasSentiment gestütztesUrtheil hätte abernichtvieleErnste befriedigt.EinFreispruchgardashitzige .Volksempfinden inEmpörung getrieben.Weil die imhöchsten

Grad wahrscheinlicheSchuld nichthaarschars nachzuweifenWar- solltedieFraustraflosbleiben,ohne derenMitwissen,Niitschuld Goebens Thatundenkbar bliebunddiederBeschuldigte nachder ersten VernehmungsofortvonUmfangundEinzelheitenseiner Aussageunterrichtethatte? Jnjedem wegendesDeliktes derAn- stiftungeröffneten VerfahrenkannderallensteinerFall sichwie- derholen; auch da,wonebendemAnstifter derThäter aufderSün- derbank sitzt.Jntellektualurheberschaftist nicht mehr so seltenwie inderZeit derberen Fühlens;Mancher,derselbst dieHemmung nichtzuüberwinden vermag, suchtundfindetein zurThat taug- lichesWerkzeug. JustizkommissionundReichstag dürer sichTM demachtundvierzigstenParagraphennicht scheuvorüberdrücken.

Jhre beste LeistungwäredieErlösungvon demAktenalben,

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Residua 73 derunseremGerichtswesenLuftundAthemraubt. Mündliches Verfahren: heißtdieLosung; dochdemmündlichengehtdasschrift- liche,demöffentlichendasgeheime Verfahrenvoran. Undeheder RichterzurerstenFrageden Mund aufthut, hatereinenAkten- bcrgerklettert, ProtokoleundSchriftsätzeverschlucktund»sicheine Meinungüber dieSachegebildet«.Werje genöthigtwar,seinen Namen untereinGerichtsprotokolzu setzen,vergis3tsnicht sobald.

Seine Aussagemagnoch so einfach,magvöllig negativ sein: auf einebeträchtlicheZeitspannemußersichgefaßt machen.Was er inlebendigerRede rasch vorbringt, wird indenaltfränkischen Pomp derGerichtssprachegekleidet. ,,Derselbe«;,,Letzterer«;

,,einerseits «,»andererseits«:ohne solcheabgegriffeneSpielmarken gehts selten;auchdarfdieJnversionnachundjanichtfehlen.»Ve- klagtererklärtesichbereit,demKläger denVetragzuzahlen,und schienLetzterer nichtdieAbsichtzuhaben, denselbenzu übervor- theilen.« Das Protokol muszallesErdenkliche,,berücksichtigen«; sonstwirdesdemAmtsrichter oderAssessorzurErgänzungzu- rückgegebenund dieScherereihatkein Ende.Ausnahmen kommen vor(dasjunge Richtergeschlecht suchtsichausdequst zuheben); meistaberkostetdasMühen,diewohlüberlegteNuancederAus- sage aufsgelbeAktenpapierzubringen, einenhartenKampf. Und inneun vonzehnFällenbleibtderVernehmende Sieger.Er meints so gut, quältsichsoredlich,die Laienrede inseingeliebtes Juristen- deutschzuübertragen,undkennt schließlichdenZweckderUnter- suchungamVesten;Sollman demGeplagten,vor dessenThürein BäckerdutzendBeschuldigteroderZeugniszpflichtigerwartet,das Amtsleben nochmehr bittern2Manläsztslaufen,unterschreibt:und ist fürZeitundEwigkeitfestgelegt. WehJedem,der in derHaupt- verhandlung um einesHaaresBreite vonderprotokolirtenAus- sage abweicht!DerPräsident hatdieAkten vormAuge, vergleicht undfindetinderwinzigsten AbbiegungGrundzuernstemZweifel

anderWahrhaftigkeitdesZeugen.DeristvondemVewußtsein, ,,mitdemGerichtzuthunzuhaben«,argeingeschüchtertzwagt vielleicht inDemuthaberdieAntwort, seitdenTagender Voran- tersuchung habeerAllerlei erfahren,dasihmdieDinge,die Men- scheninetwasanderemLicht zeigen mußte.,,Ja,wennSiesowet- terwendigsind!Dann können Sieübermorgenjawieder einean- dereMeinung haben! Hier habenSie überThatsachenauszu- sagen;welche Schlüssedaraus zuziehen sind,werden wirschon

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7-’; - Die Zukunft-

allein wissen. Jch mußSiedringend ermahnen,unterJhremEid hierbeiderWahrheit zu bleiben.«Manchem ist aufgefallen, daß inAllensteindieAussage einzelner OffizierewieeineVerherr- lichungGoebens klang.Sind wir inunseremHeer so weit, daß einMann, der mitderFrau eines Kameraden undGastfreundes inGeschlechtsverkehrstand,diesenKameraden ein Jahr lang schmählichbetrogenfunddann tückisch,nacheinem Einbruchins verschlosseneHaus,getötet hat,vonpreußischenOffizierenwie das JdealeinesMannes gepriesenwerden kann? So wurdegefragt;

undvergessen, daß dieseOffiziereschonim erstenQuartaldesJah- res1908 vernommen worden waren. Damals wußten sienur,daß einstiller, tüchtiger,beliebter Kamerad durcheinschlimmesWeib um EhreundLeben gekommenwar; sieglaubten,daß ihn nicht Mordabsicht,sondernder tolleDrangnacheinemungestörtenund ZeugenlofenDuellins Majorshaus getrieben habe;und dasMit- leidmitdemUnglücklichenmußte ihr UrtheilÜber Goebens Cha- raktersärben. Andiese Aussage warensiefortangekettet; wenn der bürg«’-1«licheRichterihnen,,Widersprüche«vorhielt, hatten siemor- geneinen Fettfleckinder Conduite. Vielleicht hatten sie aufeine dienstlicheFrageaucheinmal geantwortet, ihnen seivonunziem- lichem VerkehrGoebens mitFrauvonSchoenebecknichtsbekannt (haltbare BeweisesindinsolchemFall nichtleichtzuerlangenund zweiDuellen setztderTanerste sichnur aus,wenns nichtanders geht):dann waren sie zwiefachgebunden.Nur solche Umstände könntenerklären,daßfastalleZeugenbehaupteten,von demTreib en derMajorsfrau nichts gewußtzuhaben. JneinemGrenznest,wo dieGarnisoneinummauertesStädtchen bildet,hatKeinergemerkt, daßdieFraudes Majors vomStabe ihren Hausschlüsselinder Runde kreisenließ,mit demTaschentuch ihrenBuhlenFensterslag- gensignalegab,imSchlaszimmerihnenMahlzeiten servirte,mit ihneninKönigsbergundinHaffbädern zusammenwohnte,ander AlleinKattunkleidundKopftuchSexualabenteuersuchte.JnBerlin

warsiealsleichterraffbareWaarebekannt;hattedieChristgeschenk- einkäuferinvoreinzelnenStundenbesitzernsogardieNamensmas- kegelüstet.JnAllensteimkeineAhnung.Dassind unvermeidliche FolgendesVoruntersuchungsystemsMußessobleiben2Müssen unsere Richterunter derSchreiblast,derLesepflichterlahmen,die Zeugenan denRahmendesGedächtnißbildesgenageltwerden, dasfreilichfrischist,ostabernurdieMängeldesflüchtighinwischen-

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Nesidua. 75

denJmPressionismus erkennen läßt?Warum bleibtderPapier- stoß,derum keinentbehrliches WörtchenundBlättchen zumehren, indennur derknappsteVerhörseindruckdesUnters uchungrichters aufzunehmen wäre, nichtimBereichderStaatsanwaltschaft und wirdvon ihrnur derKammer vorgelegt,die dasHauptverfahren zueröffnen hat?Dann wäre derVorsitzendeundderNeferent in derHauptverhandlungunbefangen; könntejederZeugefreivon derLeberreden;stündedieNechtsgarantie desmündlichenVer- fahrens nichtnurim BuchderGerichtsordnung;hättenwirkürzere ProzesseundNichter,dienichtunter derSchreibfron welk,unter demsteten Gewirbel grauen Aktenstaubes mürrischgeworden sind.

Heute?»Das ist jaganzneul« WiezornigesStaunen kamsvon derLippedesallensteinerSchwurgerichtspräsidenten,wenn etwas noch nicht»Aktenkundiges«vorgebrachtwurde.GanzNeues indie Hauptperhandlungtragen:unerhört.Dadrohtdemmühsamgebil- detenVorurtheilja Gefahr.Daßerversuchen müsse,Alleswieein ganzNeues zusehen, hattederbiedereGeheimrath nicht begriffen.

DieserVorsitzende ähneltenichtdem ersten KaiserFerdinand,

von demJulius WilhelmZincgresinseinen »Apophthegmata«

erzählthat:»Esware jhm dieseNedsehr gemein: DzNecht muß seingang haben,undsoltdieWelt drüber zugrund gehen!««Der allensteinerAllmächtigewollte,«inlöblicherMenschenliebe,»nicht noch mehrExistenzen vernichten«;wollte,alsguterBürger,»die Oeffentlichkeit aufklärenundvorMißverständniszbewahren«.Er verlas und erörterteSchmähbriefe,dieerempfangenhatte.Ließsich täglich langwierige Vorträgeüber denGesundheitstandund die NachterlebnissederAngeklagten (derenHotelzimmererauch selbst fürunzulänglicherklärte) halten, statt solcheExpektorationenmit derFrage abzuschneiden,obdieFrau verhandlungfähigseioder nicht.Erlaubte Stabsosfizieren VorträgeundGlaubensbekennt- nisse,die mit demProzeßstoffzwarnichtszuthunhatten,nach seiner Meinung aber»auswarmem Herzenkamen«.Gewährte, trotzdem AusschlußderOeffentlichkeit,einem Petenten Einlaß,weilihm

»derWunsch,so berühmteVertheidigerzuhören,begreiflich«sei.

Verschwiegnicht geizend,waserimFranzosenkriegerlebtundan Kopfschuszwundenbeobachtethabe.HeischtemitWort undWink Anerkennung seinerObjektivität(die sich,wieallesMoralische, vonselbstverstehen müßte).Und schienkeinehöherePflichtzu ken- nen alsdie,derNation undallem aufderErdfesteKribbelnden

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76 ,- Die Zukunft.

zukünden,warum erDies thueundDas unterlasse. UnserGe- richtssystembürdet demVorsitzendeneineLast auf,die derstärkste Mann nicht langezutragenvermag.

«PölligerZusammenbruch könnteimmerhinaber vermieden werden«DaßeinRichtervon demMann,defsenMordplan diePoraussetzungderAnklage und desHauptverfahrens war,der denKameraden undVorgesetzten heuchelnd betrogenundvondererstrebten Ehe offenbar auchPer- mögenszuwachsgehofft hatte,Tagelangwievon demhehrften derArtnshelden sprach,war am Endenicht nöthig.(Tagelang; allmählichverdüstertesichaufdemGoebenbildnißder Grundton fo- daß selbstdesSchwärmers frommer Glaube vonSkepsisan- genagt ward.Glauben undTaktik habenindiesem Prozeßja auch diePertheidigergewechselt: ihre Mandantin, derenWahrhaftig- keit in denerstenWochendas NothlügengespinnstdesHaupt- mannes zerfetzen sollte,alseineseitJahren geistig Schwerkranke zärtlichins Jrrenasyl befördert.Nur derAnkläger hatinallen PhasendienüchterneRuheund dasrichtigeAugenmaßbewahrt-) UmdieOeffentlichkeit,der,mitseinerZustimmung,der Saal ge- sperrt,deren pünktlicheBelehrungdurch Neporterkunst aberge- sichertwar,hattederPräsident sichnichteineMinute langzu küm- mernzunddieVekämpfungdesMißverstandesanderen Jnstanzen zuüberlassen.SeinePflichtwar nur,die Wahrheitzusuchen.Die konntenicht durchdenNachweis gefunden werden, daßGoeben indenErzählungenaus seinerKriegszeit einBischengeflunkert habe(-DasthutmancherSoldat,derimWesentlichendennochwahr- hastig ist); nochgardurchdieWeisung,imJuni1910Kleider und Strümpfezuuntersuchen,die derHauptmannimDezember1907 getragenhat.AnTheatereindrückewirdderVetrachterinjedem Schwurgerichtssaal erinnert. AlleandemProzeßMitwirkenden spieleneinStück,dasderPräsidentfürdenTag derAufführung (Hauptverhandlung)mitungeschmälertemNegierechtvorbereitet hat;undmühen sich,essozuspielen,dieEffekte soanzubringen, daß ihrzwölfköpfigesPublikum zufrieden ist.Das nur hat jazu entscheiden; ohneBegründung:wievor demSchaugerüstdie größere Schaar. »Wir sind hier nichtimTheaterl«Soruft, rief oft schoneinwüthenderSchwurgerichtspräsident;undverbietet strengdieVerwendungvonOperngläsern.Warum? Aussolchen Gläsern,derenZufallsname längstnicht mehrdenGebrauchs- zweckbegrenzt,blicktman aufeinziehendeFürsten,Thronredner,

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Nesidua. 77

manöverirende TruppenundSchiffe,PriesterundFlieger,Mi- nisterundGenerale,Rennpferde undSchwätzer.Undgeradedem ernstenPsychologenists wichtig,dieAffektsPiegelungaufder Ant- litzflächedesBeschuldigtenzusehen.WirsindimTheater;das ja nichtimmer unernste Aufgabenzubewältigenhat. Möchten just hieraber nicht merken, daßderRegisseureitelnach Beifall lechztundsichinseinem Wahn fürden Nabel desWeltalls hält.

Das BuchderAerztewillich heute nicht nocheinmal auf- blättern. Nur einenNachtragzu dem vor achtTagenGesagten verzeichnen.Am zweitenJuliwurde ineinemAttestderSachver- ständigen gesagt,SchoenebecksWitwe sei»gemeingesährlichgei- steskrank«,sei ,,eine Gefahr für ihreUmgebung«und ,,bediirfe deshalbdringendderAufnahme ineinegeschlossene Anstalt«.

DiesesAttestbewirktedievorläufigeEinstellungdesVerfahrens.

Amzwölften Julimorgen saßdie ausderVrovinzialirrenanftalt Kortau'nachneuntägigemAufenthaltentlasseneDame inderchar- lottenburgerWohnungihres zweitenMannes ; undwirlasen,.

daß siebald ineinePrivatheilanstalt übersiedelnwerde. Fürs Erstein eineinländische; wenn Madame Antoinette Lust hat,kann sieabermitoderschonvordenSchwalbensüdwärtsziehen.Mehr alsdenVerlust ihrerkleinenKaution hatsiedabei nichtzufürch- ten;an dieWiedereröffnungdesVerfahrens wirdnicht gedacht unddieinAllensteinalsSachverständigezugelassenen Herren ha- ben,gegen dasGutachtendesberlinerNervenarztes Dr.Placzek,.

erklärt,dieAngeklagte seinicht haftfähig.Vielleichtgiebtman ihr nächstens auch noch ihr GeldausderGerichtskasse zurück.Nach demBeschlußvomzweitenJuliist ihre Ehemitdem,,Satiriker«

(dervorderKnüpfungdiesesVandes denOffenbarungeid geleistet hatte) nichtig. Paragraph 1325desVürgerlichenGesetzbuchessagt:

,,EineEhe ist nichtig,wenn einerderEhegattenzurZeitderEhe- schließunggeschäftsunfähigwarodersichimZustandederBewußt- losigkeitodervorübergehenderGeistesstörungbefand.«Jstwenig- stens dafürvorgesorgt, daßnichtTheiledesSchoenebecksKindern gebührendenErbgutesverschleudert werden?Odergiltdievielge- liebteTonurdemStrafrichter,nichtderEivilgerichtsbarkeitals in GeistundWillenGestörteZDaßsiekrankist,wäreauchohnedenMit- leidsüberflußschwatzhafterNeporterglaublichWelchereinesKa- pitalverbrechens AngeklagtevonverzärtelnderLebensgewohnheit stehtdennalseinGesundervorseinemNichter?DerRobustestemag

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78 DieZukunft.

überlegen,wieihm zuMuthwäre,wenn ihm, nach Wochen wäh- render Qualgrausamer Wes ensenthäutung,derToddurchsHen- kerbeil oderlangeZuchthausstrafedrohte. Und imallensteiner Fallkam zu denhysterischen Stigmaten undzu derErwartung- neurosevordemSpruchderJury noch dasBewußtsein, durchdie tiefsteGeschlechtsschmachzuwaten, dieje einemWeibe beschieden war. Sichert forensische Krankheitvor derStrafe,dann mußder Staatan dieAhndungderVerbrechen,die derAnklägersozial verwöhntenLeuten zugeschrieben hat,allgemachverzichten.Wie wäreeine Fabrikarbeiterin, diesichimEhebett hundert Schlaf- burschen hingegebenunddemLetztenaus dieser Schaar, nachder Ueberzeugung derAnklagebehörde,bei derErmordungihres Ehe-

mannes geholfen hätte,vorGerichtbehandelt,wiewäre gegen sie verhandelt worden? Jn der Krankenabtheilung des Unter- suchungsgefängnisses hätte sie,derdaszurMiethung von Gut- achternNöthigste fehlte,Zeit gehabt, derFrage nachzudenken,ob nichtdasschrecklichsteEnde demendlosenSchreckenvorzuziehen sei. FrauAntonie sitzt gemächlichinderHardenbergstraßeund kannsich,wenns ihr paßt, denAmphibienwestlicherNachtkaffees häuser gesellen. BegreiftJhr wirklich nicht,warum derArme nicht von demGlauben loszuhakenist,diegröbsteFormderKlassen- justiz seiimAlltagsgebrauch? »Selon quevouz serez puissantou misårable,lesjugementsdecour vous rendront blanc ounojr«: diese Verse hatJean deLaFontaine geschrieben. JnderrechtlosenZeit derLilienkönige-VorFrankreichsRevolutionSeitdemsind Men- schcnrechte, Verfassungen, Gerichtspsychiatererfunden worden.

·

KeinKönig ist,keinKaiser nochin Europaheutes omächtigwie derRichterinseinemBereich. (AuchimSchwurgerichtssaaLWer weißdenn,ob diezwölfOstpreußenanPsychoseundSelbstmord- absicht glaubtenoderentschlossenwaren, dieSchuldsragezu be- jahen? Ehe ihr Stichwort fiel,war ihrerWillenssphäredie An- geklagte entrückt;und sie durftendieUeberzeugung,daß diese Frau, mitund ohneGutachterschein, gemeingefährlichsei, nicht zulautem Ausdruck bringen-)DaJhrdenRichtergottähnlich wollt,alssouverainen HerrnüberEhre,Freiheit,LebenseinerMit- bürger: beugt ihnniemals unter dieTyrannis dervonWohlhaben- dengemietheten Aerzte;undgewährtihmdenRangund denSold, deransplTheAmtshöheheranreicht.Dasmußauchinarmen Staa- tenmöglich sein.Wenn derpreußischeFinanzministerdenHaus-

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