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Die Naturwissenschaften. Wochenschrift..., 12. Jg. 1924, 6. Juni, Heft 23.

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DIE NATURWISSENSCHAFTEN

Z w ö lfte r J a h r g a n g 6. J u n i 19 2 4 H e ft 23

Die Bedeutung neuer Triebkräfte für die W eiteren tw ick lu n g der Photographie,

Von K a r l Gu n d l a c h und Mo r i t z v. Ro h r, Jena.

N ach w irtschaftlich bedeutenden Erfindungen schlagen nicht selten Ausbau und Durchführung sehr eigentüm liche W ege ein; man h at in solchen Fällen von dem Gegensatz zwischen Am ateuren und berufsm äßigen Arbeitern gesprochen, aber dam it wohl kaum die K larh eit der Vorstellungen gefördert. Bei der so beabsichtigten Erw eiterung unseres W ortschatzes ist vielleicht eine unvoll­

ständige K enntnis der tatsächlich vorliegenden Verhältnisse m it im Spiele gewesen. D er Gegen­

satz zwischen ,,amateur“ und „Professional“ , der hier gemeint ist, stam m t aus dem englischen Sport­

leben, wo die Ausführung bestim m ter, weite Kreise anziehender Ü bungen einem jeden freisteht, wo man aber sehr wohl berechtigt ist, den L ieb ­ haber dem (fachm äßig ausgebildeten) B erufs­

bewerber gegenüberzustellen. Man sucht dort den entscheidenden Unterschied darin, daß der eine eben seine gesam te Z eit gegen Bezahlung der (fachm äßig überlegenen) Ausbildung für diese Übungen w idm et, während sie der andere nur aus Liebhaberei betreibt.

A u f dem Gebiete der Erfindungen liegen die Verhältnisse doch m erklich anders: hier werden die Anforderungen, die der A usbau eines neuen Gedankens stellt, nicht im m er oder sogar ziem lich häufig nicht von den V ertretern der nächstliegen- den alten Berufe erfüllt, sondern neue K räfte springen in die Bresche, treten dann aber sehr häufig in den Arbeitskreis ein und erweitern ihn dam it oder lassen andere an ihrem Gedanken für sich arbeiten, so daß man jenen grundlegenden Gegensatz von der unbezahlten (minderwertigen) Liebhaberei und der bezahlten (höherwertigen) B eru fstätigkeit nicht anwenden kann. Man m üßte denn im Sinne jener Bereicherer unserer M utter­

sprache Männer wie P e t z v a l und A b b e als Am ateuroptiker bezeichnen, denen man etw a die Berufsoptiker V o i g t l ä n d e r und Z e i s s gegen­

überzustellen h ätte; doch ist das eine Auffassung, die der Mehrzahl der heutigen W issenschafter auf optischem Gebiet w enig treffend erscheinen würde.

W enn ja auch J o s e p h F r a u n h o f e r den B e ­ weis geliefert hat, daß sich ein im alten Z u n ft­

brauch ausgebildeter H andwerksbursche in ver­

hältnism äßig kurzer Zeit und m it bewunderungs­

würdigem Erfolge die H ilfsm ittel der W issenschaft zu eigen machen kann, so ist der E ntw icklungsgang bei der E rfüllung der obigen Forderungen in der Regel doch ganz andersartig: es bildet sich eine Arbeitsgemeinschaft aus der neuen Triebkraft und

dem die ältere A rt vertretenden Fachm ann, und durch ihr Zusam m enwirken können Leistungen erzielt werden, die jedem einzelnen von ihnen unmöglich gewesen wären.

W endet man sich nun zu der photographischen E ntw icklung im einzelnen und beschränkt man sich zunächst auf die Aufnahm e- und B etrach tu n gs­

linsen, so muß man etwas w eiter ausholen, da die photographischen Hand- und Standkam m ern ohne weiteres auf die Zeichenhilfe des tragbaren D unkel­

kastens zurückgehen und hier schon frühzeitig Erfinderarbeit geleistet worden ist.

Insofern es sich um eine Steigerung des B ild ­ winkels handelte, wurde das B ild in dieser Zeichen­

hilfe schon 1719 von J. G. Leu t m a n n dadurch verbessert, daß er einen Meniskus als Aufnahm e­

linse vorschlug. D er Erfinder w ar dam als Pfarrer in Dabrun bei W ittenberg, ist aber bald als P ro­

fessor für M echanik und O ptik nach St. Petersburg berufen worden, so daß man ihm bestim m te Fachkenntnisse nicht w ird absprechen können.

W eitergreif enden E rfolg h at er kaum gehabt, sondern sein Gedanke blieb sozusagen einbalsa­

m iert in D ruckerschwärze liegen, bis er, durch wichtige Überlegungen zur Strahlenbegrenzung erweitert, 1812 neuerdings von dem erfindungs­

reichen Londoner A rzte W . H. Wo l la st o n auf­

genommen wurde. E s ist bem erkenswert, daß die F ach o p tik durch einen ihrer w ichtigeren V ertreter einen sehr hartnäckigen Einspruch gegen solche unberufene Einm ischung der W issenschaft erhob, allerdings ohne die V erbreitung dieser Menisken hindern zu können. Übrigens wurde etw a 15 Jahre danach durch G. B . Ai r y und seinen Fortsetzer H . Cod d in g to n eine m athem atische Begründung für die W ollastonsche Linse gegeben.

Ein weiterer folgenreicher Gedanke tritt, aller­

ding beschränkt auf die als bloße Schauräum e dienenden, fest eingebauten dunklen Kam m ern, mindestens um 1760 auf, stam m t vielleicht aber aus der entlegenen Zeit, da die O p tik nam ent­

lich von den Angehörigen der M önchsklöster ge­

fördert wurde. Man setzte die Aufnahm elinse aus zwei Einzellinsen verschiedener Brennw eite zu­

sammen und h atte so in der Doppel- und jeder Einzellinse drei verschiedene Brennweiten zur Verfügung. Es handelt sich also schon sehr früh­

zeitig um einen Linsensatz, dessen Einführung in das photographische R üstzeug fast ein Jahr­

hundert auf sich w arten lassen sollte.

Später, 1842, h at man sogar für den D unkel­

kasten als Zeichenhilfe eine Linsen Verbindung

Nur. 1924. 59

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446 Gu n d l a c h u. v. Ro h r: Die Bedeut, neuer T riebkrälte f. d. W eiterentw ickl. d. Phothographie. T Die Natur­

w issenschaften

vorgesehen, die es erlaubte, innerhalb gewisser Grenzen den M aßstab des Bildes auf der Zeichen­

fläche beliebig zu wählen. Man erkennt also, daß auf diese Zeichenhilfe und ihre Linse eine nicht unbeträchtliche Erfinderarbeit verw andt w or­

den ist.

D ie Erfindung der verschiedenen photographi­

schen Verfahren ging zugestandenerm aßen von dem W unsche aus, das auf dem Z eichenblatt des Dunkelkastens entstehende, tatsächlich ungemein reizvolle B ild festzuhalten, und man h at sich dabei besonders gern des W ollastonschen Meniskus be­

dient. A u ch nach der Farbenhebung, die man ziem lich früh durchgeführt zu haben scheint, war das Ö ffnungsverhältnis dieser Linse ziem lich klein, etw a 1 : 14, und es genügte nur zur W iedergabe gu t beleuchteter, ruhender Aufnahm egegenstände, während zunächst Bildnisse in der photographi­

schen K am m er nicht gelangen. Man stellte eben ganz unbefangen und ohne tiefere Erkenntnis an die aus derZeichenhilfe entw ickelte photographische

K am m er wesentlich höhere Ansprüche.

Man sollte bei dieser Forderung, Bildnisse m ittels des neuen Verfahrens sozusagen selbst­

tä tig zu erhalten, ein wenig verweilen. Die T ä tig ­ keit des Bildnism alers kam in der ersten H älfte des 19. Jahrhunderts für ziem lich ausgedehnte Kreise in B etracht, und sie m ag n icht selten einigerm aßen handw erksm äßig ausgeübt worden sein. E in deutliches, wenn auch vielleicht ein wenig verzerrtes B ild von einem kaum d urchschnitt­

lichen V ertreter dieses Berufs gab Ch. Dic k e n s 1838/39 in Nich o las Nic k l e b y von der B ildn is­

m alerin La Cr e e v y; in unserem Sprachgebiet werden am ersten wohl Briefsam m lungen (bei­

spielsweise die Briefe Wilh e lm s v. Kü g e l g e n siehe seinen B ericht über seinen A u fenth alt zu A n fang 1842 zu Münster i. W . — ) gute Beweise dafür liefern, daß der Bildnism aler dam als von Kreisen beschäftigt wurde, die später — auch vor dem K riege — an solche Ausgaben nie gedacht haben w ü rd e n : so vö llig h at die Bildnisaufnahm e die alte, für bescheidenere M ittel arbeitende B ild ­ nismalerei abgelöst. Auch m ag daran erinnert werden, daß bei den Vorarbeiten für die E rm ög­

lichung von Bildnisaufnahm en zwei Bildnism aler,

C o l l e n und Is e n r in g, eifrig beschäftigt gewesen sind: so klar w ar es offenbar einem jeden F ach ­ manne, daß hier eine besonders lohnende A nw en­

dung der neuen E rfindung vorlag.

Aber die optischen Fachleute konnten das H andw erkszeug nicht schaffen, wiewohl in London und Paris, in E dinburg und in N ew Y o rk eifrig an dieser A ufgabe gerabeitet wurde und man die M ittel sowohl der Brechung als auch der Spiegelung heranzog.

E in glücklicher Zufall brachte den jungen W iener M athem atikprofessor J o s e p h P e t z v a l

an diese A ufgabe, die ihm von einem Kollegen auseinandergesetzt wurde. E r w andte darauf die H ilfsm ittel der A nalysis an und w ar schon um die M itte des Jahres 1840 so weit, die Einzelheiten

der Anlage dem 28jährigen W iener O ptiker

F r . V o i g t l ä n d e r zur A usführung zu übergeben.

Nach einigen Abänderungen, w orauf wir hier nicht einzugehen haben, erhielten die beiden Arbeitsgenossen ein in hohem M aße befriedigendes Ergebnis, und die P etzvalsche Bildnislinse konnte ihren Siegeslauf durch die photographierende W elt antreten. Sie wurde überall begeistert aufgenom ­ men und bedeutete, mindestens zunächst, das Ende für jene Versuche der wissenschaftlich un- beratenen O ptik, da sie den K am p f m it dem E r­

zeugnis der W iener Arbeitsgem einschaft nicht au f­

nehmen konnten. Verständlicherweise zeigte sich die Anerkennung der frem dländischen O ptiker hauptsächlich in der w irtschaftlich unerwünschten Form der N achahm ung ihrer Erfindung, da darauf die beiden Genossen, des P atentrechts der verschiedenen Länder damals gänzlich unkundig, keinen Schutz nachgesucht hatten.

Leider löste sich die unter so glücklichen Zeichen begonnene Arbeitsgem einschaft nach w enig mehr als 2 Jahren über dem jäm m erlichen S treit um die E ntlohnung der neuen T riebk raft auf, und wieder hatten die V ertreter der alten K u n stfertig­

keit freies Spiel. An E rfindungsgabe wurde von ihnen nicht viel verlangt, denn man w ird wohl das R ich tige treffen, wenn man sich vorstellt, daß die M ehrzahl der Photographen jener Zeit m it der lichtschw achen Landschafts- und der lichtstarken Bildnislinse noch auskamen.

E in schöner Anlauf, den 1843 ein uns leider nur undeutlich bekannter am erikanischer Mechaniker, A. S. W o l c o t t , nahm, führte zu keinem nach­

haltigen Erfolge, da der E rfinder starb, ehe seine S aat aufgegangen war. W enn er allem Anscheine nach in den m athem atischen W issenschaften auch w eit weniger ausgebildet w ar als P e t z v a l , s o h atte er, nach den küm m erlichen, noch erhaltenen Resten seiner Arbeiten 7.u schließen, eine so glü ck­

liche A nschauung von dem in der Aufnahm elinse vo r sich gehenden Strahlengang und ein so ein­

gehendes Verständnis dafür, daß man von ihm viel würde haben erwarten können, nam entlich im H inblick auf die E ntw icklun g einer neuen, zur N achbildung ebener Darstellungen dienenden A n ­ lage. Wrie die Dinge nach seinem Tode lagen, ließ diese E rw eiterung des photographischen R ü st­

zeugs durch eine Linse m it größerem Bildw inkel noch Jahrzehnte auf sich warten.

Die N otw endigkeit einer solchen Bereicherung der H ilfsm ittel des ausübenden Photographen ergab sich als unbestreitbar, als seit dem Beginn der 50er Jahre das Leben in den photographischen A rbeitsgesellschaften Englands kräftiger wurde und gleichzeitig in jenem Lande die Fachpresse eine weitere V erbreitung fand. Hier ziem t es sich wohl, auf die B edeutung dieser Zeit etw as näher einzugehen, schon aus dem Grunde, weil in ihr die ausübenden K räfte in m ustergültiger Weise in dem rechten Gebrauch ihres H andwerkszeugs geschult werden. W ährend in unserer H eim at dam als mindestens von einer solchen Größe wie

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Heft 23.1 Gu n d l a c h u. v. Ro h r: Die Bedeut, neuer Triebkräfte f. d. W eiterentwickl. d. Photographie. 447 6. 6. 1924J

P e t z v a l — und er war unter den Gelehrten w eit­

aus der Sachverständigste in diesem Fach — kaum etw as in dieser R ich tu n g geschehen war, stand in jenem englischen Kreise die Belehrung von urteilsfähigen M itgliedern der Fachgesellschaf­

ten im M ittelpunkt der Bestrebungen, und man brachte die Ergebnisse der Bem ühungen so vo ll­

ständig zu öffentlicher Kenntnis, wie es durch die willige M itarbeit einer ungemein rührigen und be­

wundernswert hochstehenden Fachpresse nur m ög­

lich war.

Man kann wohl verstehen, daß bei einer solchen einträchtigen und gut zusam m enstim m enden A r­

beit fähiger Meister xind williger Lehrlinge auch die Leistungsfähigkeit desR üstzeugs besprochen wurde, ja, man tra t sogar der A ufgabe näher, selber an dessen E rw eiterung zu arbeiten. Fachoptiker, gelehrte und ungelehrte Liebhaber der P h oto­

graphie, Ingenieure und Herausgeber von F ach ­ zeitschriften beteiligten sich in einer uns m it unserer vö llig andersartigen E ntw icklu n g zwar frem dartig, aber doch sehr reizvoll anmutenden Forschungsgem einschaft an der E ntw icklun g einer verzeichnungsfreien Linse von weiterem Gesichts­

feld. Namen wie J. R o i h w e l l , T h . G r u b b , T h . S u t t o n , R . H. B o w , T h . R o s s , J. H. D a l l - m e y e r und G. S h a d b o l t treten auf, und sehr wichtige Gesetze werden auf diese W eise gefunden.

Das Endergebnis ist zw ar nicht über allen Tadel erhaben, indem wahrscheinlich infolge des Mangels m athem atischer D urcharbeitung die vorgeschlage­

nen Anlagen nicht auf ihre endgültige Form ge­

brachtw erden, aber die überraschend w eit reichende Anregung durch diese Bestrebungen steht außer aller Frage. E s ist nur eine einzelne Folge davon, daß in N ordam erika eine eifrige A rb eit auf diesem Gebiete anhebt; sie bringt es allerdings — einiger­

maßen an Äußerlichkeiten haftend — nicht zu einem vollen E rfolg, ist aber neben anderem ernsthaft bestrebt, den alten Satzgedanken in den Gebrauch der Photographen einzuführen.

Für die E ntw icklu n g der Linse m it weiterem Felde war es w ichtiger, daß die W ellenkreise dieser A n ­ regung bis nach D eutschland reichten, wo, wie wir sogleich noch deutlicher sehen werden, die E rw eiterung der photographischen H ilfsm ittel einen neuen und sehr nachhaltigen Anstoß er­

halten sollte. H ierm it m ag der Hinweis auf das Verdienst der englischen Arbeitsgesellschaften um die Schaffung eines verzeichnungsfreien W eit­

w inkels abgeschlossen sein.

Als eine A rt N achblüte dieser Z eit gründlicher B elehrung kann man die in die 60er und 70er Jahre fallende T ä tig k eit des schottischen Astronom en

C h . P i a z z i S m y t h ansehen. Diese liebenswürdige Persönlichkeit war in vielen Sätteln gerecht und jederzeit zu H ilfe bereit. Man verdankt ihm w ichtige Anregungen für den B au von H andkam ­ mern kleinster Ausm aße, für B etrachtungsgeräte zu ein- und beidäugigem Gebrauch, für die G e­

winnung stereoskopischer H albbilder unter be­

sonders schwierigen Um ständen. E r beschäftigte

sich auch m it der alten Aufgabe, das Feld pu n kt­

m äßiger A bbildung zu ebnen, und er brachte auch w irklich im Jahre 1874 eine sehr vollkom m ene Lösung zustande, obwohl er sich damals doch nur der üblichen alten Glasarten bedienen konnte.

Es ist hier besonders zu bedauern, daß sich kein befähigter optischer Fachm ann m it genügendem W agem ut fand, um m it ihm eine Arbeitsgem ein­

schaft einzugehen. D a das nicht geschah, so gerieten seine schönen Arbeiten in Vergessenheit.

E rst etw a 25 Jahre später hat sich die optische G eschichtsforschung dam it beschäftigt, ihm auf seinen W egen nachzugehen, wo frische Kunde davon leider nicht mehr zu erhalten war.

Bei anderen Bestrebungen aber, an denen sich ebenfalls die englischen Arbeitsgesellschaften und zu einem beträchtlichen Teil auch dieselben Männer beteiligten, müssen w ir hier noch verweilen, da sie zu einem wahren Verständnis der Leistung der Aufnahm elinse nicht wohl zu entbehren sind.

Sie umfassen die E ntw icklung einer Lehre von solchen B etrachtungsgeräten photographischer A u f­

nahmen, daß dabei die Täuschung erhöht wird.

G ewiß w ar schon die dam alige Zeit m it der be­

reits beginnenden Ü berfütterung durch technische H ilfsm ittel und der ihr so häufig mangelnden Freude an gründlichem Verständnis einer frucht­

baren Beschäftigung m it diesen Fragen nicht eben günstig, aber um so höher sollte man das V er­

dienst jener um die Belehrung ihrer A rbeits­

genossen bem ühten Meister anschlagen. Die Zeit, da sich diese Bestrebungen im wesentlichen abspielten, sind die 60er Jahre des vorigen Jahr­

hunderts, wenngleich sich hier und da schon früher ansprechende Äußerungen zu dieser A u f­

gabe finden.

Ein so frühes A uftreten ist auch kein W under, da die photographischen B etrachtungsgeräte mehr oder minder eng an die alten Guckkästen ange­

schlossen sind, die um den Ausgang des 18. Jahr­

hunderts in unserem V aterlande ein ungemein be­

liebtes und verbreitetes U nterhaltungsm ittel für weite Volksschichten gebildet haben; in den w est­

lichen Ländern w ird dieser Stand der E n tw ick ­ lung schon einige Jahrzehnte früher eingetreten sein. W enn man nun beachtet, daß eine verzeich­

nungsfreie photographische Aufnahm e nichts w ei­

ter ist als eine m it Bündeln von endlicher Ö ff­

nung entworfene ebene Perspektive, so kann man sich nicht wundern, daß die gleichen alten H ilfsm ittel für die B etrach tu n g der Lichtbilder anzuwenden sind. Diese h atte man eben zur E r­

leichterung der Beschauung einfacher Perspek­

tiven ersonnen, d. h. solcher, die w ie Kupferstiche und Gemälde m it einfachen Strahlen oder B ün­

deln verschwindender Ö ffnung entworfen zu denken waren. Die Anlage der Betrachtungsgeräte m ußte dabei so getroffen werden, daß der K u p fer­

stich oder das Lichtbild unter den gleichen W inkeln vorgeführt wurde, unter denen die Aufnahm e er­

folgt w ar. Im Vorübergehen sei auf die ungemein reizvollen, m it Sachkenntnis und liebevoller V er­

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448 Gu n d l a c h u. v. Ro h r: Die Bedeut, neuer Triebkräfte f. d. W eiterentw ickl. der Photographie. [~ Die Natur- Lwissenschaften

tiefu ng erdachten Anwendungen des Bildw erfers für diesen Zw eck hingewiesen; man erkennt aus ihnen so recht die erziehliche W irkun g der A rbeits­

gem einschaften, wo die B eurteilung von M it­

gliedern m it genügender Sachkunde geliefert wer­

den konnte.

W ichtiger waren indessen die als Augenhilfen dienenden Geräte. In den Graphoskopen sind uns heute noch H ilfsm ittel erhalten geblieben, die aus jener Zeit stam m ten; besser geplante V o r­

kehrungen, wie etw a das Bowsche G lasbildgerät, sind wieder in Vergessenheit geraten, hauptsäch­

lich wohl, w eil sich auch hier keine Arbeitsgem ein­

schaft zur A usbeu tung dieser gu t durchgearbei­

teten Vorschläge fand. W em an einer V erfolgung der einzelnen Vorschläge dieser reichen Z e it liegt, der sei auf die D arstellu n g1) eines der beiden Verfasser hingewiesen.

Doch müssen w ir hierm it diese Z eit verlassen, die einen erfreulich großen W ert auf die Belehrung gescheiter Liebhaberphotographen legte; wir wen­

den uns wieder dem deutschen Sprachgebiete zu, das zum zweiten Male für die E n tw icklu n g der Aufnahm elinse von besonderer B edeutung werden sollte. Zunächst allerdings konnte m an sich hier noch keinen besonders groI3en Hoffnungen hin­

geben; das Voigtländersche H aus stellte zwar Linsen nach P f . t z v a l in guter Ausführung her, erreichte aber m it eigenen A bänderungsvorschlä­

gen keinen besonderen Erfolg. P e t z v a l selber arbeitete in dieser Z eit noch m it dem österreichi­

schen O ptiker C. D i e t z l e r zusammen, und er scheint sich nach späteren (um 1906 an seinem N achlaß angestellten) Forschungen ernsthaft und recht erfolgreich m it der E bnung der Fläche punktm äßiger A bbildung beschäftigt zu haben.

A ber wenn diese ziem lich wahrscheinliche Annahm e auch das R echte treffen m ag, so h at er dam als von seinem Funde nichts verlauten lassen, und der R u f dieser Arbeitsgem einschaft w ar nicht besonders ausgezeichnet. In München h atte der bedeutende P hysiker C a r l A u g u s t S t e i n h e i l wenigstens das notwendige H andw erkszeug ge­

richtet, indem er seinen Sohn H u g o A d o lp h von dem auf optischem Gebiete eifrig und ungemein erfolgreich tätigen Astronom en L u d w ig S e i d e l nach einem von diesem ersonnenen Verfahren schulen ließ. Ohne R ü cksich t auf die Ausdehnung des R echenwerks konnten dam it sogar schief auffallende Öffnungsbündel auf ihrem W ege durch die Flächenverbindung verfo lgt werden, da die Rechenanlage auch zur Achse windschiefe S trah ­ len um faßte.

Dieses leistungsfähige W erkzeug wurde bereits 1866 der Prüfung an einer w ichtigen A ufgabe unterzogen, wo H. A. S t e i n h e i l m it einem bel­

gischen, dam als in W ien tätigen Fachm ann, D. v a n M o n c k h o v e n , bekannt wurde. Dieser führte ihn in die Aufgabenstellung und die Ver-

!) Über perspektivische Darstellungen und die Hilfsmittel zu ihrem Verständnis. Zeitschr. f. Instru- mentenkunde 25, 293 — 305; 329 — 339; 361 — 371. 1905.

suchsergebnisse der englischen A rbeitsgesellschaf­

ten ein, von denen oben die Rede gewesen war, und brachte ihm die A ufgabe nahe, eine verzeich­

nungsfreie Aufnahm elinse m it größerem B ild ­ w inkel zu schaffen. E r löste diese A ufgabe recht bald in einer sehr vollkom m enen W eise durch die von ihm als Aplanat bezeichnete sym m etrische Doppellinse, die sich in der F olgezeit einer ähn­

lichen V erbreitung erfreuen sollte wie die B ildn is­

linse P e t z v a l s . Sie wurde von ihrem Schöpfer später den besonderen Zw ecken der Gruppen­

aufnahm e, der N achbildung ebener D arstellungen und der eigentlichen W eitw inkelaufnahm e an­

gepaßt. D ie große Sonderbegabung des Rechen­

meisters der Steinheilschen W erk stätte — sein B ruder widm ete sich dem kaufm ännischen V er­

triebe der W aren — sicherte dieser A n stalt einen w eiten Vorsprung vor ihren M itbewerbern, und m an kann wohl ohne Ü bertreibung sagen, daß alle w ichtigen Verbesserungen der Aufnahm elinse bis etw a zum Jahre 1885 hin auf H. A . S t e i n h e i l

zurückgehen. F ü r die lichtstärkeren Form en be­

vorzugte er unsym m etrische Linsenverbindungen, und in den hierher gehörigen späteren Bauarten

— sie wurden als Antiplanete eingeführt — hat er auch seinerseits die vielum strittene A ufgabe zu lösen gesucht, die Fläche punktm äßiger A b b il­

dung zu ebnen.

H. A . S t e i n h e i l s letzte Lebensjahre fielen m it der A usw irkung eines in die E ntw icklun g der tech ­ nischen O ptik besonders tief einschneidenden E r­

eignisses zusammen, näm lich m it der Eröffnung des Jenaer Glaswerks.

Ern st Ab b e hatte, in der von Fra u n h o fe r

niedergelegten R ich tu n g optischer V ervollkom m ­ nung fortschreitend, nach langjähriger V orberei­

tu n g auch die E rzeugung optischen Glases beein­

flussen können, und das auf seine A nregung und unter seiner M itw irkung gegründete Glaswerk von Sch ott & Gen. stellte seit dem Jahre 1885 den optischen W erkstätten neuartiges G las in reicher A usw ahl zur Verfügung. D arunter befan­

den sich auch Glasarten, die man, einem Hinweise Pe t z v a l s folgend, in sehr bequem er W eise zur Streckung des Feldes punktm äßiger A bbildung verwenden konnte, wenn man sich auf Bündel verschwindender Ö ffnung beschränkte. D erartige Versuche wurden auch tatsäch lich — besonders Irüh von dem in London tätigen H am burger

H u g o Sch rö d er — angestellt, fanden aber nicht viel Anklang, da diese Form en andere A bbildungs­

fehler außer acht ließen und im allgem einen nicht auf der Höhe der älteren Aufnahm elinsen standen.

Die neuen, in der G lasw ahl liegenden M ittel wurden also für die hier in B etrach t kom menden Zw ecke in den 80 er Jahren nicht so verw andt, daß den Photographen bessere Linsen angeboten wurden.

U m diese Z eit beabsichtigte A b b e die G rund­

lage seines bisher im wesentlichen allein für das M ikroskop arbeitenden U nternehm ens dadurch zu erweitern, daß er auch andere optische V orkeh ­ rungen in sein A rbeitsgebiet auf nahm ; zunächst

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Heft 23. l Gu n d l a c h u. v . Ro h r: Die Bedeut, neuer Triebkräfte f. d. W eiterentwickl. der Photographie. 449 6. 6. 1924J

richtete er dabei sein Augenm erk auf die A u f­

nahmelinse. A uch er entw ickelte für das neue R echenwerk besondere, und zw ar bequemere Formeln, ohne zu wissen, daß diese schon 1829 von H. Co d d i n g t o n verö ffen tlich t worden waren.

F ü r die voraussichtlich große Rechenarbeit ver­

w andte er den jungen, von ihm selbst in den R echenverfahren geschulten M athem atiker Pa u l Ru d o l p h, der, wie alle Fachleute wissen, den neuen G lasarten den W eg zu um fangreicher V er­

wendung in den nunm ehr von den verschiedensten Bildfehlern befreiten Aufnahm elinsen öffnete.

H ierm it können w ir unsere Ü bersicht schließen;

denn es ist für unseren Zw eck nicht nötig, auf die einzelnen E ntw icklungsstufen der neuzeitigen Aufnahm elinse, des Anastigmats, w ie man sie anfänglich nannte, einzugehen. H eute steht es unbezw eifelt fest, daß brauchbare Linsenverbin­

dungen nur nach vorhergehender sorgfältiger R echenarbeit hergestellt werden können, daß also eine Arbeitsgem einschaft notw endig ist. Und wenn man allerdings grundsätzlich die M öglichkeit zu­

geben muß, daß ein neu auftretender, vor der ge­

w altigen Mühe nicht zurückscheuender R echen­

m eister eine vorteilh afte Anlage finden mag, so bieten die vorhandenen größeren W erkstätten den leitenden W issenschaftern, die über beson­

dere, in den R echenverfahren geschulte H ilfs­

kräfte verfügen, eine solche Erleichterung, daß mindestens tatsächlich die regelm äßige H er­

stellung w ichtiger Linsenform en ebenso w ie die Auffindung neuer Anlagen auf bestim m te ein­

zelne Arbeitsgem einschaften beschränkt bleibt.

A us dem D rang und dem Streben, Gegen­

stände zum Schutze des Lebens und in der Folge zur B efriedigung von w irklichen und eingebildeten Bedürfnissen herzustellen, haben sich Alchem ie und Chemie entw ickelt. E ine langsam ansteigende Treppe füh rt vom Steinham m er über das Bronze­

beil und das Eisenschwert, von der durchbohrten Schm uckm uschel des Vorfahren zum R iesen­

geschütz und zum billigen M assenschm uck aus hauchdünn vergoldetem B lech m it dem ,,Sem i­

em ailleporträt“ des heutigen ,,K ultur''m enschen.

Die Anw endung der Chem ie für die m echani­

sche A bbildung der U m w elt finden w ir erst auf den obersten Stufen der Treppe.

D ie Spuren auf den tieferen Stufen — B e ­ obachtungen des A ltertu m s über die Zerstörung und B ild u n g von Farben am L ich t, des Einflusses des Sonnenlichtes auf Pflanzen und Tiere — haben m it der Photographie w enig Zusam m en­

hang.

Selbst der photochem ischen B eobachtung des deutschen Professors der Medizin Jo h a n n He i n­ r i c h Sc h u l z e (geb. 1687, gest. 1744), daß der Schlam m , den er beim Übergießen von K reide m it einer Lösung von Silber in Salpetersäure er­

hielt — verm utlich also kohlensaures Silber bei G egenw art von freiem Silbernitrat und K reide und aus der K reide stam m ender organischer

Nw. 1924.

Substanz — hinter Schablonen, die an die W and des N iederschlagsgefäßes m it W achs an geklebt waren, nicht geschw ärzt wurde, fehlen trotz ihrer B edeutung zwei wesentliche Kennzeichen der Photographie, einm al der des Bildes und dann das der E rh altu ng des Bildes.

Gleiches gilt für den italienischen Physiker

Be c c a r i u s, den E ntdecker der Lichtem pfindlich­

keit des Chlorsilbers (1757), w ie für die Engländer

We d g w o o d und Da v y (1802). Zw ar verwendeten beide schon die Cam era obscura und das Sonnen­

mikroskop als M ittel zur A bbildung, aber es ge­

lang ihnen weder die E ntw icklun g des lich t­

schwachen B ildes in der Cam era obscura noch die Trennung des Belichteten vom Unbelichteten.

Man muß über das L etzte besonders erstaunt sein, da die L öslichkeit des unbelichteten Chlor­

silbers in Am m oniak gegenüber der U nlöslichkeit des belichteten von dem hochbedeutenden Stral- sunder Apotheker und Chem iker Sc h e e l e bereits im Jahre 1777 erkannt worden w ar und auch seine W erke seinerzeit sehr verbreitet waren.

E rst die A rbeiten der beiden Franzosen

Jo s e p h e Ni c£p h o r e Ni e p c e (geb. 1765, gest. 1833) und L o u is Ja c q u e s Ma n d£ Da g u e r r e (geb. 1787, gest. 1852) führten zu den Verfahren, die w ir als photographische bezeichnen. Es ist schwer fest­

zustellen, wem von beiden der größere A nteil an der E rfindung der Photographie zusteht, um so mehr, als die von beiden im Jahre 1829 eingegangene Arbeitsgem einschaft nicht dazu beiträgt, die B eantw ortung der Frage zu erleich­

tern. A ls A m ateure weder im üblichen Sinne noch in dem der obigen A uffassung können w ir beide n icht betrachten. Ni e p c e besaß eine für seine Zeit bedeutende technische B ild u n g und verfügte über gute chemische Kenntnisse. Sein B estreben w ar nachdrücklich darauf gerichtet, druckfähige P latten auf m echanischem W ege m it H ilfe des Lichtes herzustellen, und es waren für seine T ä tig k e it sicher n icht wissenschaftlich-lieb- haberische Beweggründe m aßgebend, w ie w ir sie später z. B . ausgesprochen finden bei dem A m eri­

kaner Ca r e y Le a, dem ausgezeichneten Bearbeiter der Photohaloide.

F ü r Da g u e r r e, der ursprünglich Zeichner und M aler von Panoram en war, dürfte der G e­

danke ausschlaggebend gewesen sein, die A rbeit des Malers durch das in der Cam era obscura fest­

gehaltene B ild zu ändern. D aß dafür im beson­

deren auch für das Bildnis ein ausgesprochenes Bedürfnis vorlag, können w ir aus der bereits oben hervorgehobenen „einigerm aßen handw erks­

m äßig ausgeübten B ildnism alerei" jener Zeit er­

sehen, wie auch an der w eiten Verbreitung des Silhouettenbildes im A n fang des 19. Jahrhunderts, das für die weniger kap italkräftigen Kreise — es sei nur an die studentischen erinnert — einen E rsatz für das wesentlich teurere K ünstlerbildnis bedeutete.

D aß die Photographie, die in der G estalt der D aguerreotypie schon in einer recht vollendeten

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450 G u n d l a c h u . v . R o h r : Die Bedeut, neuer Triebkräfte f. d. Weiterentwickl. d . Photographie. [ Die Natur- Lwissenschaften

A rt au ftrat — im Gegensatz zu m anchem auf photographischem Gebiet in heutiger Z eit — - rasch eine ungem eine B edeutung und V erbreitung fand, ist deshalb n icht wunderbar.

Ihren Erfindern kam zudem der bedeutende A ufschw ung der Chemie in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts sehr zu statten. E s sei nur daran erinnert, daß 1811 das Jod, 1826 das B rom entdeckt wurde, daß 1828 W ö h l e r als erste organische V erbindung den H arnstoff künst­

lich darstellte.

D er D aguerreotypie hafteten, so technisch gut entw ickelt sie w ar und so künstlerisch sie gehand- habt wurde — übernahm sie doch einen großen Teil des Erbes der Malerei u n terstü tzt von den Malern selber — zwei N achteile an.

E in m al w ar es der der U nem pfindlichkeit des Verfahrens und dann der, daß im m er nur ein B ild erzeugt wurde.

D ie M inderung des ersten konnte auf zwei W egen erfolgen, einm al durch die Steigerung der L ich tstärke der Aufnahm elinsen, dann durch die Erhöhung der E m pfindlichkeit der A ufnahm e­

schichten. B eide W ege wurden m it E rfolg be­

schritten.

D ie B ehebung des zw eiten N achteiles, der U nm öglichkeit, die B ilder auf einfachem W ege zu vervielfältigen, erforderte recht viel A rbeit, obwohl bereits zur Z eit der V eröffentlichung der D aguerreotypie hierfür bem erkenswerte Versuche des Engländers W i l l i a m H e n r y F o x T a l b o t

(geb. 1800, gest. 1877) Vorlagen, und es ist zu beachten, daß noch in der M itte der 50 er Jahre des verflossenen Jahrhunderts die D aguerreotypie ausgeübt wurde. Ü ber die B elebung der O ptik durch den W unsch nach lichtstarken A ufnahm e­

linsen wurde im ersten T eil des A ufsatzes ge­

handelt.

Die Änderungen im chemischen Gebiete der Photographie erfordern ein Eingehen auf die von der allgem einen E ntw icklu n g der Chemie vielfach abhängige Chemie des lichtem pfindlichen Körpers als solchen und des Schichtträgers, die in ihren gegenseitigen Beziehungen bestim m end auf die W eiterentw icklung der Photographie günstig, aber auch ungünstig eingew irkt haben. U ngünstig insofern, als m an m it der A bkehr von der D a ­ guerreotypie ein an sich übersichtliches, wissen­

schaftlich für die D eutung der photographischen Vorgänge dankbares G ebiet verließ, günstig in der Weise, daß durch A nw endung neuer B ild träger eine große R eihe m eist em pirischer F ortschritte der Photographie erzielt wurden, deren technische V erw endung ungemein erfolgreich war, deren w issenschaftliche D eutung aber zum großen Teil bis je tz t noch nicht restlos erfolgt ist.

D a g u e r r e h atte Jodsilber als lichtem pfind­

lichen K örper benu tzt. Schon 1840 wurde von dem E ngländer G o d d a r d und offenbar unab­

hängig von ihm von dem Österreicher K r a t o c h - w i l a beobachtet, daß bei der E inw irkung von Jod, Brom und Chlor neben oder hintereinander auf

die Silberplatte deren E m pfindlichkeit w esentlich erhöht wurde. N ach M a r t i n 1) erforderte eine nur m it Jod behandelte Silberplatte m it der lichtstärksten Voigtländerschen K am era (mit dem P etzvalschen P o rträ to b jek tiv 1 : 3,4) für eine B ildnisaufnahm e eine B elichtung von 1 bis 3 M i­

nuten, während eine m it B rom nachbehandelte P la tte die gleiche Aufnahm e in 2 bis 3 Sekunden erm öglichte.

E s liegen hier unzw eifelhaft w ichtige B eob ­ achtungen von Benutzern des neuen Verfahrens vor, denen w ir schon m it R ü cksich t au f die N eu­

heit des Verfahrens und auf ihre sonstige T ä tig ­ keit — G o d d a r d w ar Zeichner an der Adelaide- G allery in London, K r a t o c h w i l a B eam ter der H ofkriegshaltung in W ien — an sich n icht die B ezeichnung berufsm äßiger Fachleute zuerteilen können, Beobachtungen, die zur allgemeineren A usbreitung der D aguerreotypie sicher viel bei­

getragen haben.

U ngefähr gleichm äßig m it N i e p c e und D a ­ g u e r r e h atte der bereits erw ähnte T a l b o t sich m it photographischen A rbeiten beschäftigt. A u f seinen Reisen h atte er Cam era obscura und Cam era lucida zum N achzeichnen von L andschaften zu benutzen versucht, w ar aber anscheinend dam it nicht recht vorw ärts gekommen. S ta tt N ach ­ zeichnens m it der H and benu tzte er m it K och salz­

lösung getränktes, getrocknetes und dann in Silbernitratlösung gebadetes Papier als lichtem p­

findliches M ittel zum F esthalten der Bilder. Z u ­ nächst scheiterten seine Bem ühungen an der U n ­ em pfindlichkeit derartiger Papiere für die un­

m ittelbare Bilderzeugung.

E rst die W ahrnehm ung, daß Gallussäure zu­

sammen m it Silbernitrat die F äh igkeit besitzt, das unsichtbare (latente) B ild zu kräftigen (physi­

kalisch zu entwickeln), führte ihn zu wirklichen Erfolgen. Zum P ap ier negativ und zu positiven A bzügen waren es dann nur noch wenige Schritte.

W ir können die Erfindungen T a l b o t s , der aus wohlhabender Fam ilie stam m te und über gute naturw issenschaftliche Kenntnisse verfügte, in gewissem Sinne als die eines A m ateurs bezeichnen, obwohl er sich der geschäftlichen B edeutung seiner A rbeiten offenbar durchaus bew ußt w ar und seine Erfinderrechte zu wahren verstand.

D ie Anregungen, die D aguerreotypie und T a lb o ttyp ie der photographischen B etätigu n g gaben, führten zu einer derartigen Fülle von neuen Beobachtungen auf photographischem G e­

biet, daß deren eingehende Behandlung viel zu w eit führen würde.

W ir können nur auf einzelnen Stufen der Treppe der E ntw icklu n g der Photographie etw as länger verweilen, um einzelne besonders w ichtige F ortsch ritte näher zu betrachten.

E s sind dies vo r allem drei, einm al die E in ­ führung der G lasplatte als U nterlage für die lichtem pfindlichen Schichten, und dann die An-

x ) M a r t i n , Handbuch der Photographie. 2. Aufl., Wien 1851. S. 56 und 57.

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Heft 23. ] Gu n d l a c h u. v. Ro h r: Die Bedeut, neuer Triebkräfte f. d. W eiterentw ickl. d. Photographie. 4 5 1 6. 6. 1924J

wendung des Collodiums und der Gelatine als Träger der lichtem pfindlichen Körper.

Die E inführung der G lasplatte im Jahre 1847 verdanken w ir N i e p c e d e S a i n t V i c t o r , einem V etter von N i c e p h o r e N i e p c e . D urch sie ge­

wannen die K opierverfahren erst ihre Bedeutung.

Die Verdrängung der D aguerreotypie erfolgte jedoch erst durch die B enu tzung des Collodiums, der alkoholisch-ätherischen Lösung der 1845 von

S c h ö n b e i n dargestellten Schießbaum w olle als Träger der lichtem pfindlichen Silbersalze.

A u f die M öglichkeit ihrer Verw endung wies als erster der französische Maler G u s t a v e l e G r a y

hin, während der Engländer F r e d . S c o t t A r c h e r

zuerst für das Collodium verfahren w irklich brauch­

bare Vorschriften veröffentlichte. E s ist vielleicht nicht allgem ein bekannt, daß sowohl das sog.

,,nasse Collodium verfahren" wie auch die B rom ­ silberkollodium em ulsion noch heute in der R e ­ produktionstechnik eine ausgedehnte Verwendung finden, teils wegen der Schärfe der m it ihnen zu erzielenden Bilder, teils wegen der M öglichkeit der Selbstherstellung der A ufnahm eplatten und des raschen A rbeitens m it ihnen.

A m entscheidendsten für die allgem eine A u s­

breitung und A nw endung der Photographie w ar jedoch die H erstellung der ersten Brom silber­

gelatineplatten durch den englischen A rzt R i c h a r d L e a c h M a d d o x (geb. 1816, gest. 1902). M a d d o x

wird gemeinhin als Am ateurphotograph bezeich­

net, die T atsache aber, daß er für seine M ikro­

photographien verschiedenfach Preise erhielt, spricht dafür, daß er in der zu jener Z eit wesent­

lich schwieriger als heute zu beherrschenden H andhabung der Photographie gu t beschlagen war. A us seiner Veröffentlichung im B ritish Journal of P h otograp h y vom 8. Septem ber 1871 geht hervor, daß sein Bestreben offenbar darauf gerichtet war, das Brom silberkollodium , das nicht nur in der Form des nassen Verfahrens, sondern auch in G estalt von T rockenplatten damals m it V orliebe verw endet wurde, durch die weniger leicht verletzliche Brom silbergelatineem ulsion zu ersetzen. In der H erstellung seiner Emulsion lehnte er sich stark an das nasse K ollodium verfah­

ren an, vor allem insofern, als er das Auswaschen der U m setzungssalze zwischen Silbernitrat und dem von ihm verw endeten Cadm ium brom id unter­

ließ.

E r benutzte seine Brom silbergelatineplatten, die er m it Pyrogallussäure entw ickelte, in erster Linie zur H erstellung von Lichtbildern, nicht für unm ittelbare Aufnahm en, für die ihre E m p find­

lichkeit jedenfalls nicht genügte. D as Auswaschen der U m setzungssalze erfolgte erst durch J . K i n g 1),

und zw ar nicht durch W aschen der erstarrten Emulsion, sondern durch D ialysieren in geschm ol­

zenem Zustand.

W esentliche Bedeutung kom m t dem Hinweis

J o h n s t o n s 2) z u , einen Überschuß von Brom salz

*) Brit. Journ. of Phot. 1873, S. 542/45.

2) Brit. Journ. of Phot. 1873, S. 544.

zu verwenden. A uch ließ er die Em ulsion er­

starren, zerschnitt sie und wusch die Em ulsions­

stücke aus.

K i n g em pfahl noch die Selbstherstellung der Emulsion, aber schon am 25. Juli 1873 finden wir eine B em erkung im B ritish Journal of Photography, daß ,,B u r g e s s an artist residing in P eckham “ einen ganz neuen Emulsionsprozeß en td eckt habe und T rockenplatten von der Em pfindlichkeit der nassen P latten zum V erkau f bringe. Zu einer Arbeitsgem einschaft zwischen M a d d o x , dem sicher das Verdienst der H erstellung der ersten, wenn auch noch unvollkom m enen Brom silbergelatine­

trockenplatte zukom m t, und dem ersten Trocken­

plattenfabrikanten ist es aber nicht gekommen.

D as B ritish Journal of P h otograp h y schreibt an der Stelle der Erw ähnung der neuen Em ulsion von B u r g e s s : „W e congratulate Mr. B u r g e s s ,

who is an artist rather than a photographer, upon the bold and h igh ly successful step he has taken in seeking to escape altogether from the tram m eis of collodion“ .

Dieser G lückwunsch ist im Grunde genommen die G rabschrift für die E rfin dertätigkeit des E in ­ zelnen auf w eiten Gebieten der Photographie.

Vom Einzelnen ging von je tz t an m it unauf­

haltsam en Schritten die H erstellung der lich t­

em pfindlichen Schichten über auf die A rbeits­

gem einschaft der F abrik.

A n B reite h a t die Photographie durch diese U m stellung ungemein gewonnen, ob an Tiefe, scheint zw eifelhaft.

D er Photograph der älteren Zeit m ußte m it seinem A rbeitsgerät vertrau t sein, w ollte er w irk­

lich Gutes leisten, er konnte A rbeitsgerät und W erk von sich aus ändern und bessern; der Photograph der N euzeit h a t dann nur noch wenig Gelegenheit und Veranlassung, seitdem ihm die Industrie seine H ilfsm ittel in der Form von fabrikm äßig hergestellten P latten, Film s und Papieren in kaum übersehbarer Fülle liefert.

D as Einw irken außenstehender Triebkräfte auf wesentliche Förderungen photographischen F o rt­

schrittes ist im m er geringer geworden, und die T ä tig ­ keit des Liebhabers ist je tz t nahezu ausschließlich auf das künstlerische G ebiet verschoben.

Einzelne Kopierverfahren, zum größten Teil auf der L ichtem pfindlichkeit m it Chrom aten ver­

setzter organischer Substanz beruhend, wie G um m i­

druck oder Öldruck, sind im Grunde genommen die einzigen Gebiete, auf denen noch R aum für eine freischaffende T ä tig k eit verblieben ist.

D ie Lösungen der Aufgaben, die der P h oto­

graphie noch geblieben sind — es sei hier nur z. B . gedacht an das sicher lösbare Problem der feinkörnigen hochempfindlichen P la tte — werden sehr w ahrscheinlich nur erfolgen können auf rein wissenschaftlichem W ege unter Zuhilfenahm e aller M ittel der heutigen Technik.

In noch stärkerem M aße gilt das oben Gesagte für ein Sondergebiet der Photographie, die Farben ­ photographie.

(8)

452

Man kann hier von den unm ittelbaren V er­

fahren, dem der Farbenphotographie durch ste­

hende L ichtw ellen und dem der Farbenanpassung absehen, da diese kaum über den Stand des V er­

suches hinausgekom m en sind und bis je tz t zur W eiterentw icklung w enig beigetragen haben.

W esentlich anders liegen die Verhältnisse bei den m ittelbaren farbenphotographischen V er­

fahren, denen der Dreifarbenphotographie.

A u f Grund der Theorie von T h o m a s Y o u n g ,

daß die Farbenem pfindungen erzeugt werden durch Einzelreizung blau-, grün-, rotem pfindlicher Nervenfasern des Auges, kam M a x w e l l z u der Ü berzeugung, daß die Ü bertragung dieser A n ­ schauung au f die photographische K am m er zur farbigen Photographie führen müsse. E s gelang ihm im Jahre 1861, den praktischen Bew eis hier­

für zu liefern dadurch, daß er die hinter B lau-, Grün-, R o tfiltern aufgenom m enen Einzelbilder eines farbigen Gegenstandes w ieder rückw ärts zum farbigen G esam tbild vereinigte. A n V o ll­

kom m enheit w urde er dadurch gehindert, daß die von ihm benutzten photographischen Schichten jener Z eit so gu t wie unem pfindlich für die weniger brechbaren Strahlen waren.

Diesen M angel beseitigt zu haben ist das große Verdienst H . W . V o g e l s (geb. 1834, gest. 1898), Professors der Photographie an der K g l. G ewerbe­

akadem ie zu Berlin. E r fand bei der U ntersuchung englischer K ollodium trockenplatten im Spektro- graphen, daß sie n icht nur für die blauen, sondern auch für die grünen Strahlen des Spektrum s em pfindlich waren, und er wies nach, daß diese G rünem pfindlichkeit ihren U rsprung einem den

[

Die N atur­

wissenschaften

P latten zur Verhinderung der Ü berstrahlung zu­

gesetzten F arb stoff verdankte. E r untersuchte eine ganze R eihe von Farbstoffen auf ihre „sen ­ sibilisierende“ W irku n g und gab dadurch den A nstoß zur raschen W eiterentw icklung der Farben ­ photographie.

Die B eobachtun g V o g e l s , die als eine der w ichtigsten in der E ntw icklu n g der Photographie überhaupt bezeichnet werden muß, erm öglichte den Franzosen L o u is D u c o s d u H a u r o n und

C h a r l e s C r o s unabhängig voneinander die ersten gu t gelungenen D reifarbenphotographien und D reifarbendrucke herzustellen. A u ch die heute verbreitetste A rt der Farbenphotographie, die m it Farbrasterplatten (Autochrom platte von Lum iere, L yo n — F arben platte der A ktiengesell­

sch aft für A nilinfabrikation, Berlin) wäre nicht m öglich ohne die Sensibilisierungsfarbstoffe, die in w eiterer V erfolgung der Vogelschen B eobach ­ tu n g vorw iegend von deutschen chemischen F ab ri­

ken her gestellt wurden.

A u f farbenphotographischem G ebiete machen w ir die gleiche W ahrnehm ung wie auf dem der gewöhnlichen Photographie, daß die von neuen T riebkräften ausgehenden Anregungen ihren A u s­

bau m eist finden in der Arbeitsgem einschaft des Industrieunternehm ens, häufig ohne unm ittelbaren N utzen für die ursprüngliche Triebkraft.

D ie Sum m e w issenschaftlicher und technischer Erfahrungen, die der A rbeitsgem einschaft der F ab rik zur V erfügung steht, verkörpert eine M acht, die es dem Einzelnen im m er schwerer m acht, ganz für sich die Früchte seiner A rbeit zu pflücken.

M e r t o n : Die verschiedenen Arten der Flimmerbewegung bei Metazoen.

D ie verschiedenen Arten der Flim m erbew egung bei M etazoen.

V on Hu g o Me r t o n, H eid e lb e rg .

W ohl die auffallendste E lem entarfunktion aller Lebewesen ist ihre F äh igkeit, ak tiv e Bewegungen auszuführen. A ls ursprünglichste B ew egungsart w ird die sog. Protoplasmabewegung angesehen, bei der im allgem einen keine geordneten B ew egun­

gen zustande kommen, was daran zu erkennen ist, daß hier die Bew egungen n icht von besonderen Zellbestandteilen ausgeführt werden, sondern daß das gesam te Protoplasm a einer Zelle — allerdings in sehr verschiedener W eise — an der Bew egung teilnim m t. H äufiger noch sind nur die peripheren P artien oder nur das zentrale Plasm a einer Zelle an der B ew egung beteiligt.

D ie beiden anderen aktiven Bew egungsarten tierischer Organismen, die Flimmerbewegung und die Muskelbewegung, kom m en durch geordnete Bew egungen zu stan de; sie sind viel allgem einer verbreitet, und zw ar ist die Flim m erbew egung stets an die Zelloberfläche, die M uskelbewegung ursprünglich im m er an das Zellinnere gebunden.

B eide werden als geordnete Bewegungen bezeichnet, w eil sie an besonders ausgebildete, bleibende B e ­ standteile der Zellen gebunden sind, deren G rup­

pierung und S tru ktu r für den A b lau f der B e ­ w egung bestim m end ist. Flim m erzellen können nur an Oberflächen w irksam sein, die an ein flüs­

siges M edium grenzen; sie besitzen W im perhärchen, die in gleicher R ich tu n g und in einem bestim m ten R h yth m u s schlagen. D ie M uskelzellen brauchen zu ihrer B etätigu n g beiderseits Anheftungspunkte, Bedingungen, die sich ihnen nur im Innern des K örpers bieten, und ihre m orphologisch sicht­

baren Differenzierungen bestehen vor allem in M uskelfibrillen im Innern der Zellen; sie haben die F äh igkeit, sich zu spannen und zusam m enzuziehen und dadurch Bew egungen zu bewerkstelligen.

Entsprechend können beim vielzelligen Organism us Flim m erzellen nur K örperbedeckung oder Organ­

auskleidungen bilden, während die M uskelzellen in der Tiefe sitzen und nirgends die Oberfläche erreichen. So sind beide Bew egungsarten räum lich bedingt, infolgedessen auf verschiedene Teile des Körpers beschränkt und an spezifisch-differenzierte Zellen gebunden.

A iif Grund dieser verschiedenen räum lichen V erteilung kann m an die ursprüngliche und eigent-

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