xx. Jahrg. zunu, m 22.Junime. sk.as.
nlmnft
Heraus-geben
Maximilian Bari-en.
Inhalts
Seite
Kinekvsiwp ..........................;..875
Unsterblichkeit VonHugo Salus ..................401
pas RechtderSchauspiel-m VonHermannvahr ......v.....402
EinBrief. VonKarl Jentfch ....................405
Tantieme. Voncadon .......(............·...406
Unchdruck verboten.
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Erscheint jedenSonnabend-
Pceievierteljährlitb5Rath dieeinseerNunme- 50Pi.
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Berlin.
Verlag der Zukunft Wilhelmftraße3,a.
1912.
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Berti-» den 22.Juni 1912.
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Kinetofkop.
Titanomachie.
«as vorachtTagenhierüber Leben und Tod desWeißftern- dampfers»Titanic« Veröffentlichte hatmirallerleiVriefe eingebracht;zuftimmendeundwidersprechende.Aberglaube(der auchimKopfeinesin derHumaniftenfchuleErzogenen niftenkann) fragt,obderUebermuthfrechenMenfchenwitzes nichtfchonindem Schiffsnamen fühlbarwurde. »BeiderTaufeeines zurMeer- wanderungVeftimmten andieTitanen erinnern: einbösesOmenI « Ruhig fchmatzende Weltbürger,deren letztesStrebensziel der Civilverforgungfchein istundderen Stiernacken drumjede herr- schendeOrdnung ftützt,warendievonUranos imSchoßder Gaia Gezeugten freilich nicht. JhrHäuptling,dervonder Mutter auf- geftachelte Kronos, hatdenVater entthrontundentmannt; und dieganze Sippe hatdieBeihilfezudieserKronprinzenthatim Tartaros gebüßt.DochinderTitanomachiehalfderUranide Okeanos (andenderWhiteGar-Täufer eherals anJapetos undHyperiongedacht habenmuß)demfür Rechtund legitime Ordnung fechtendenZeus,demRächerdesvon derMachtzinne geftürztenAhnherrn.UndVriareossAigaiomderaufPofeidons Ruf,um denftarkenZeuszufeffeln,ausdemMeeresgrundftieg,
wardas Abbild destosenden,die Stimme desbrüllendenWellen- gebirges,aberkein Titan, fondernvomStamm derHekatoncheiren,
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376 DieZukunft-
deren hundertHändemitderKyklopenfaustdenSiegüber die rebellischenUranoskinder entschieden hatten.JstdieTitaninThes misnichtzurSchützerindesRechtes,zurPatronin allerGerechtig- keitfabriken geworden? Name ist Schall undRauch. An«den Griechenolympoder einenNömerimperator,anGeorgeWashings tonoderAugusteVictoria erinnert ein modernes Masseneilschiff wohl noch wenigeralsaneinen Riesen,dermithundertArmen dieElemente zubändigen trachtet.BlicktindieMaschinenhölle (»Aufond d’unefournaise on voitvaguement desätres tånåbreux marcher dansdesnuåes«:BictorHugo),indenschwarzenAbgrund derVunker: niedrangvomHimmelslichteinStrählchenindiesen engen Schacht. Tartaros, Titan, AigaiomErinnerungleiteri
Zustimmungkam ausdenKojenderSchliffsoffiziere»Tai-nd- licheinmal für unserenStand einfreundlichesWort! Unsere Zahlistklein(immerhin größeralsdie derTheaterleute, die ein Sondergesetz verlangen und,wieesscheint, erhalten); wirsind selten auch,wenn fürdenReichstag gewählt wird,inderHeimath und könnendenKandidirenden keinStimmenhäufleinversprechen.
UnsereinskommtfastniezurAusübungdes,wichtigstenVürger-s rechtes«.NatürlichkümmertsichalsoNiemand umuns.DieMann- schast hat,mitdemBeistand derSozialdemokraten, inder See- mannsordnung allerlei Wesentlichesdurchgesetzt.Wo aber ist derAbgeordnete,dersichunserer Sache annimmt? Schlechtgenug gehtsuns. Undwenn JhrWort bewirkt, daßman sichin Berlin einmal mitunsererNoth beschäftigt,wärseinGlückfürdenStand unddas ganze Schiffahrtgewerbe.GüterimWerthvonachtbis zehnMilliarden werden injedemJahr unter unsererFührung ausundnach Deutschland gebracht.FürguteLadung, Ankunft, Löschung sindwirverantwortlich;haben alsokeinunwichtiges, keinleichtesAmt. Darfman abereinem Vater rathen, seinen Jun- genindiese Laufbahnzuschicken? Hatte Arbeit, geringer Lohn, unsichereZukunft:so ist unser Schicksal.DerKnabe hat seinen Marryat verschlungen,träumt von Abenteuer undSeeheldens that, liestvielleicht auchdieSchilderungendesSchulschiffvereins und läßt sichvon demanAdelsdrill erinnernden Titel ,Kadett«
locken.Und derHerr Papaweißnicht, daßseinBengel,wenndas RhedergeschäfteineWeile nicht geht, trotzdemschönenTitelohne langesFederlesen weggeschicktwirdundnoch froh sein muß, auf
Kinetoskop. 377 einemKohlendampferUnterschlquzufinden. DaßerdiezumAmt desSchiffsoffiziersnöthigeFähigkeiterworben habe,wirddem jungenHerrnbescheinigt,wenn ervierJahregefahren ist,neun Monate dieNavigation gelerntunddieSchlußprüfungbestan- denhat. NachderMilitärzeit isterfür SegelschiffeundFracht- dampfernun leidlich reif-Willer,nachabermals zweiJahren, höher hinauf,dann mußernachderQualifikationzumReserve- offizier streben, ohnediebeidengroßenGesellschaftenaufBe- förderung seltenzuhoffen ist.UndhaterdieAnwartschaftaufdas Porteepee undistglattdurchsKapitänsexamengekommen,dann wird er,wenn nichtgeradeeineSchiffahrtkrisisdenPersonal- bestand verringert, Vierter Offizier.Ueberall können Siehören, daß auchbeiGroßrhedereienderSechsunddreißigjährigenoch nichteineFamilie anständigzuernähren vermag. Nach zwanzig Dienstjahren hatdervom GlückVegünstigteviertausend Mark- Vierhundertungefähr kostet ihnaufPassagierdampfern die vor- geschriebeneUniform; diekaiserliche,wenn ercsReserveoffzierist, aucheinen hübschenPosten. Daß Mancher, nach langerFahrt,,
imHafenmal über dieSchnur haut, ist wahr.Aberwas bleibt selbstdemsolidenMannvonvierzigJahrenfürFrauund Kinder?
EinenfestenBertraghaternicht;kann,ohneAngabedesGrundes, entlassenwerden. Als Erster,demoftdie ganze Betriebsleitung anvertraut ist, mußteermitzweihundertzehnMark fürden Mo- natanfangen. Nur derSparsamekommtohne Schulden durch.
Daßerin einem Kabinchen lebt, dessen EngediePassagieremit offenemMund anstaunen,und sichbeiTagundbeiNachtganz demDiensthingeben,mitdemSchiffuntergehenmuß,verstehtsich vonselbst.MüßtemandentäglichvonEntlassung,Berkrüppelung, TodVedrohten nicht auch reichlicherlohnenund mitseinemInter- esse festerandenDienstbinden? DertüchtigeArbeiter hats, ohne Kleiderpflichtund Standeszwang, imLeben bequemer. Aus Nächstenliebewirdman füruns wohl nichtvielthun.Das Un- glückbeimKapNace hataberallzu deutlichgezeigt,wieviel, für Verfrachterund Fahrgäste,von derLeistung,derWachsamkeit undUmsichtderSchiffsoffiziere abhängt.DieLeiterdergroßen GesellschaftenunddieMitgliederderKommission,dieVetriebss besserungenvorschlagensoll,müßtenbedenken,daßDeutschlands wachsendeHandelsflottegutenMenschenstoffbrauchtundaufdie
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878 DieZukunft.
Dauer nur erlangen kann, wennsie unseremStand einehalbwegs sichereundzulängliche Basis gewährt. Noch hatersie nicht«
Das Schicksaldes,,Titanic« lehrtwieder erkennen,welche ungeheureVerantwortlichkeit aufdemLenker einesOzeanrenners lastet;was einesEinzelnen HandelnundUnterlassenda wirken kann. Nur desKapitänsZ Das glaubt mancher Laie;undbe- denktnicht, daßderKapitän,derihmSinnbild undInbegriffder Schiffshoheit ist, selbstals eindemStamm derHekatoncheiren Entsprossener nichtüberallseinkönnte unddeshalbdieBrücken- dienstpflicht ihm Untergebenen anvertrauen muß. Auchinder Sterbestunde desWeißsterndampfershattederErsteOffizierdas Brückenkommandozmitihm wachteeinjüngererKamerad. Wa- rum (wirdineinzelnen Brieer gefragt) wichderKapitänvon seinem Posten,daerdochvor Eisbergengewarntworden war-
undwarum ließerinsolcherFährnißzonenichtmithalber Kraft
fahren? Jchweißesnicht;unddaKapitänundErsterOffizier totsind,wird nieeinTribunal denThatbestandso ,,feststellen«, daßZweifelihn nichtverrücken kann.AursolldasFestlandshirn sich erinnern, daßeinAutomobil demshinderniß behenderaus- weichtalseinePferdedroschke,alsoaucheinschnellrennendes Schiff nicht schwererzu lenkenistalseinlangsamtrabendes; und soll nicht wähnen,dieWarnungmüssesichdemKopfdesSchiffs- führers tief eingedrückthaben. Der wußte ja, daßerim Nord- atlanticEisberge treffen werde; hatsiehundertmalgetroffenund istvonderWarnungnichtimMindestenüberraschtworden«War- nung wovor? Vor Eisbergen,dieernoch nicht sieht,derenDa- sein ihmaber längst gewiß istundmit denen schonbei derBor- schriftderFahrtliniegerechnetwurde? Soll ereinem Bergaus- weichen, der,viele Stunden zuvor, aneiner anderen Stelle des fastdreizehn Längengradeumfassenden Eisgebietes von einem anderen Schiffausgesichtetworden war? Jhm istdieWarnung nichtungewöhnlicherals irgendeineWettermeldung,dieglaub- hafteAnnahmebestätigt;und erkannnurvon demEisbergweg- steuern,den derAusguckerseinesSchiffesgemeldet hat.Dicker Nebel muß ihnTagelang auf derBrücke halten;dieAnordnung eines Ausweichmanöversdarfer,mag sichsum einentgegen- kommendes SchiffoderumeinenEisberghandeln,inhellerNacht getrostdem zumVrückendienstberufenenOffizier überlassen.
Kinestoskop. 379 ,,Getroft?DieEltern,Kinder, Geschwisterder Ertrunkenen werdenandererMeinung sein.«Sicher;habeninihremLeidauch nichtdiePflichtzunüchternerWägungdesWirklichkeitweltge- räthesundbedenken,trotzMalmslätt,kaum,wievieleMenschen alljährlichaufderEisenbahnze-rquetscht, zerrissen,von Gasgif getötetwerden. Vielleicht thatderAusluger dieAugenzuspä auf; gab derVrückenkommandant falschen Vefehloderwurde vom Bediener desSignalapparates mißverstanden.Das konntege- schehen, auch wennneben dem Mann amNuder einMusterkapi- tänstand.Das bleibt, leider,möglich, so lange Menschenhirne nichtinjederSekundemitderZuverlässigkeiteinergutenMafchine arbeiten. MankönntedenAusguckdiensteinemälterenOffizieran- vertrauen; durch internationale Vereinbarung, um dieWettbe- werbsgefahrzumindern, dieFahrgeschwindigkeitvorschreiben;
FlößemitaufrichtbarenStahlpsählenfordern,andie,imNothfall, diePassagierezubinden sind. DochwiederVergmannin einem starkenFörderseildiebesteSicherheitbÜrgschaftsieht,foistdemSee-
mann dieKerngesundheitseines Schiffes wichtigeralsallervom Grünen Tisch verfügteKrimskrams Vielleicht entschließtman sichbald,dieSchotten, mindestensin denStockwerken unter der Wasserlinie,für immer, nicht fürFährnißstundennur, dichtenzu lassenunddenVerkehrüberTreppchenoderFahrstühle zuleiten.
SinddieSchiffstheile durch unzerbrechliche Schrankenvoneinan- dergetrennt,dann brauchtderRumpfsichnichtaneinerFlankens wundezuverbluten,dervorn lecke oderim Seitenrivpenbezirkvom Wasser überschwemmteRiese nichtzusinken.Unbequemerwird
«
dann dasLeben anBord. Mußesdennsobequemseinwiebei Ritz, Waldorf,Adlon? JstwirklichdieHauptpflichtderRheder, mithunderttausendBlendmitteln dieSchiffsgästevergessenzu lehren,- daß sie aufdemOzeanfind? DieHerrenAftor, Vruce, Guggenheim,Noebling, Strauß,derenGesammthabeaufandert- halbMilliarden geschätztwurde, hättenesnicht verlangt;auch die Thalbewohneraus demMillionenland nicht.DiereichenLeute wollen auf jederSeite diebestenOberdeckplätze,lustigeKabinen mitbreiten Betten,geschütztenNaumfür ihreAutomobile (näch- stens wohl auch für eigeneRettungbootemitProviant, Funken- telegraphenundWärmapparat)undzahlen dafür jeden Preis.
Wollen aber weder überfüttert nochmitKamelritten, Tennis-
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spiel, KonzertoderTingeltangelergötztwerden. Vewegungmög- lichkeit, schmackhafte Speiseund denderGesundheit nützlichen Komfort heischen sie.Alles UebrigeistfürsPlakat,dasdesNach-- bars überschreiensoll. Noch nahteKeinem derWunsch,überden Sitzwagenund derLokomotive einesSchienenzugesLaubengänge anzulegen,in denen dieFahrgäste zechen, aufMaulthieren reiten, nachKegeln schiebenodermit einerDamenkapelle schäkernkönn- ten.UnsinnigerFrevel,würde demEmpfehlerzugebrummtzwir müssenuns hüten,dasPersonal zuzerstreuenund diePassagiere inZuchtlosigkeitzu locken.Die MannschaftderPrunkschiffeumtollt einewigesFest.Und wirds jäh unterbrochen,dann soll sie fürdie beneideten,diegehaßtenPrassersterben,als habeihrSame sie einst gezeugt,alsseien sielebend dieihrNächsten gewesen.
Von Staates wegen, durchneuenVureauzwang, denNhes dereien dasLebensauerinachen?NutzloseScheererei.(Und:cha- rjty begjnsat home! ThutdennderStaat, derseineZügenochim- mer mitGas beleuchtet,im Stadt- undVorortverkehr täglichohne Skrupel überfüllen läßtundandenVersuch drahtloferStrecken- verständigung nochgarnichtzu denkenscheint,allesvon derSi- cherungpslicht Gebotene?) Ein Niesenfchiffkann nichtdie zur BergungTausender nöthigenVoote mitschleppenzundwer bürgt dafür, daß sie heil aufs himmelangebäumteWasserkämen und diezurBedienungbrauchbareMannschaftdem gefährdetenSchiff undseiner Fracht jetzt just entbehrlichwäre? Eben sosinnlos ists,vom sicheren Portaus dieGeschwindigkeitund die Navi- gation vorzuschreiben.Vielleicht ließ Kapitän Smith sein Schiff schnelldurchsEisgebietlaufen,um diehelleNacht auszunützen undnichtin Nebel zugerathen, derimNordatlantic keinselte- ner Gast ist.VorsolcherFachgewissensfragehilftkeine General- anweisungzuerlösenderAntwort. Wenns nachdemWillen dek Nhederginge,würdedieSchiffsschraubenicht allzu hastigge- drehtundnicht jeder Kesselgeheizt.WeilderKonkurrenzdrang siehindert,dieStundenleistung unter zwanzigMeilen zusenken, bauen sie großeSchiffe,derenNaschheit nicht sotheuerwirdwie diekleinererGeschwister.DieLeiter großerGesellschaften gleichen nichtdenHeldenderJudenanekdotevon derPolicelist.Erster:
»Warum siehstDuso vergnügtaus?« Zweiter: »Ichhab’ mich heute versichern lassen; gegenFeuers undHagelschaden.«Erster:
Kinetoskop. 381
»Wie machstDuHagel?«DieNhederwerden jetzt manchmalbe- handelt,als,,machten«sieEisbergeundSchiffbrüche;alsgrinsten sie pfiffig,wenn einversicherter KahnindieTiefe sank.Alberner Kram. Kehrt aufdieSchanzen derVernunft zurück,Amerika- fahrer!Fragtnicht,obvonDover bisnach SandyHook nochein paarStunden abznknausernwären.SchämtEuchderSchwimm- protzereiund lebtanBord so, daßderfeiner Scholle entrissene Bauer,derdarbende ArbeitsucherausdemSchiffsverließ,indas ergepfercht ist,ohne EkelgrimminEuerEdenhinaufschielenkann.
Wedekind-Spiel.
Jm Deutschen Theater hat, nacheinem an Freudearmen TheaterjahrHerrFrankWedekind einpaarseinerälteren Dramen aufgeführt. Diese Dramen bietennichtsvonAlledem,was sonst insTheaterlockt;wedereinestarke,dieWiss ensgier spannende HandlungnochMenschen,diederDurchschnittszweifüßleraufden erstenBlick alsSeinesgleichenerkennt; nichtvielVuntheit, noch wenigerKlarheit. DieseDramen gefallen auchderMasse noch nicht.UndvonzehnTheaterbesuchernwußte sicherkaumeinerzu sagen,was eigentlich ,,gemeint war«,woerdas Hauptthemazu suchenhabeundwelchenEindruck erl heimtragensollte. Dennoch gingendieLeutehin; zweiWochen lang. HerrWedekind wurde beschwatzt,alshabeerdenBerlinern den»Großen König«oder die»Großen Nosinen« geschenkt.Einmerkwürdig polyglottes Talent nannte ichvorzehn Jahren dennur imZunstkreisBe- kannten; eins,dem dielustigstenVänkelsängeunddiewüstesten Melodramenstimmungen gelingen.Erscheintalle Kulturcentren deralten Europazukennen,inallenPerversitätendenKursus durchschmarutztzuhaben,inderhöchstenHochstaplerweltheimisch
zusein.NichtsvonderKammerdienerehrfurcht,garnichtsvon derMoralpredigerwuth,die dendeutschenSchriftsteller sonstbeim Eintritt indiegroßeWeltanwandeln. Einrespektloser Kerl,der unsdasmoderne Hofstückschreibenkönnte, nichtnurdiebillige Sere·nissimusschnurre.Amoralisch;»DasLeben isteineNutschs bahn«:dasSchlußwortdesMarquisvonKeithkönnteüberseinen sämmtlichenWerken stehen.Unlogisch;was erdarstellt, mußte nicht,konnte abersosein.Deshalb, da wirdieunlogischenTra- goediennun einmal, mitArcher,Melodramen nennen, eigentlich
382 DieZukunft.
immer,wenn erErnst macht,melodramatisch.Und indenMitteln niewählerisch; manchmal glaubtman, voreiner amerikanischen show zusitzen,wodiegrassesteSensation dieschlaferNerven- bündelaufpeitschen soll;vorBarnums Gräuelsammlung.Dann wieder ganzunverzerrte,ungeputzteNaturz und einePsychologie, derGenieblitzevorwärts leuchten. AuchdasTempo istamerika- nisch.EinAntipode desumständlichtrödelnden Naturalismus, mit demerdoch aufwuchs.Schnell,schnellznurnichtlangeweilen!
EineLeiche?Weiter,ehesie kaltwird. EineFamilienkatastrophe?
Weg, eheuns derGestankin dieNase steigt.Was liegtdaran?
Das Leben isteine Nutschbahm Oder einTollhaus Oderein Brunstrevier, woHysterieundSatyriasis sichpaaren. Das Ein- fache,Normale scheint für diesen Dichter nichtvorhanden.Was
eraber sieht, sahkein anderes Auge je so.EinExcentrickünstler.
EinSerpentinedramatiker? Nichts fürunschuldigeKinder noch für schlichte Seelen, dievon keuscherHeimathkunstundanderen philistrischeanealen träumen.AuchkeinAlltagsfutter, von dem Einer sich nährenkann. Dochwiegeschaffen,um müden,über- reizten Weltstädternmitverruchten KünstendieZeitzukürzen.
DerRegisseur schamloser Vacchanalien, dersich selbstund die ehrenwertheFestgenossenschaftunbarmherzig höhnt.Dabei ein Dialog,der anPaganinis Hexentanzundmoto perpetuoerinnert ; undeinhellerTheaterinstinkt,derunmöglichScheinendesmög- lich macht.Sein ,,Erdgeist«wirktnichtderGottheit lebendiges Kleid. EinFrauenzimmer, das alsWaiseinNachtkaffeehäusern barfusz Streichhölzer verkauft,auf gerademWeg in dieniedrigste Nuttenprostitution geräth,entdeckt, gewaschen, parfumirt, möblirt, alsModell benutzt,alsValletstern gezeigt,geheirathet,geschieden,
wieder geheirathetwirdundmitseinem gemeinenWeibchenreiz Alles ansichzieht, GreiseundKinder,Künstler undHochstapler, Prinzen undGauner,Jdealisten undLesbierinnen.Jhre Männ- chentötensichoder werden vonihr getötet; ihreTribaden müssen zusehenundwarten, bissieZeithat. JhrenEntdecker undQuäl- geistknalltsie selbst nieder,daersie bedroht,nennt ihndann den ,,Einzigen,denichgeliebt«,und bietetsich,vor derLeiche, seinem Sohnan: wenn ersievordemSchwurgerichtbewahrt,kanner,,ver- langen,was erwill.«Siehatnur ineinerMünzezahlengelernt, inder überallgiltigenWährung,diehübschenProletarierinnen
«Kinetoskop.- 383 leichtvorwärts hilstzundweilsie stets zahlen kann,stets zuzahlenbe- reitist, demLiftboy,demschmutzigstenStrolch,wenn sieihn braucht, und weilsihranKundschaftniefehlt,verliert sienieganzihreRuhe.
Heuteeine Robe für sünfzehntausendMark,morgen inLumpen:
einerleizübermorgen beißtjawieder einGoldfischan. JederLieb- haber heißtsie,siehtsieanderszundjeder hielt dochdasselbe Lust- fleischimArm, hatdasselbeZugpflasteraufderbrennendenStelle.
Erdgeist?DerTitel klingteinVischenzutiefsinnig fürdie bitter- böseMär vonderkleinenBabylonierin.Die Fortsetzungträgtden passenderen (und witzigen)Titel »DieVüchsederPandora«. Lulu, dieerdgeistlicheAeffinaus dem LandeNod,wirdvonihrer sap- phischenFreundinaus demZuchthausgeschmuggelt, fliehtmit einemAthleten nachParis, vermiethetsichdortfür Wochen,Tage, Stunden,kuppelt, spieltundläßtspielen,wirdvonErpressern de- nunzirtz flüchtetnachLondon undendet,alssyphilitischeWinkel- prostituirte,in einer Leichenkammerunter demLustmördermesser
JacksdesAufschlitzers,derendlichAdam, endlichanEvarächt..,
Das riechtEuchnach denMüllhäufchenderHintertreppe2 Mag sein;dochdiezwingende GewaltderkurzenVisionen,die Lebenså fülle dieserWelt tragikomischer,mitunerschütterlichernsthafter Miene am Marionettendraht gelenkterFiguren, denungebros chenen Schöpferwilleneiner imEngsten frohundfrech einher- flatternden Phantasieund dieGrazie,diemitPriapeienjonglirt:
dasAlles muß jeder moralinfreieKenner bewundern. Sosahich denmitBewußtseiannderlichen,bevor dieMärchensatire »So istdasLeben«,dasSchauspiel »Hidallaoder SeinundHaben«
unddieTotentanzszenen veröffentlichtwaren. DieserDichter-, sagteich,blieb langeunbeachtetund wollte sicham Ende als Schlangenmensch,EakewalktänzerundFeuerfresserAufmcrksam-»
keiterzwingen.Das gelang ihm.Vielleicht besinntersichnun, da erdieWirkung,dieWirkensmachtdesaufgeführtenDramas er- lebthat,undfindet, daßesderDarstellungwürdigere (womitnicht gemeintist: moralischwürdigere)GegenständegiebtalsSatyriasis undHysterie,Abenteurerstreiche,StrolchzunftkniffeundDirnen- wirthschaft.Erbraucht nicht länger mehralsArtist umVeifallzu buhlen.Kann Künstler seinund dieYankeehumorezumTempel hinausjagen. Laß sieindieSäue fahren, HerrderHoffnungen!
Der»Erdgeist«war eineSensation,einBauchtanz dertotamulier.
384 · DieZukunft.
DerErdgeistdichterist robusteralsAlle,dieringumnachdem selbenKranz langen,und,in seinemVezirk, nichtärmeralsOskar Wilde, der,nach parodistischenSchwänken,HerodesundSalome zuschaffenvermochte.DenDeutschen hatnieein Moliåre gelebt, derimPossenspieldiedunkelstenKlüftederPsyche,dietiefsten SchluchtendesMassenbewußtseinsmitweithinloderndenFeuer- garben bestrahlte. Erwuchs erihnenimLandederNiedersachsen2 HerrWedekind wirdjetzt gehört.Was haterzusagen?
»UnterMoral verstehe ichdasreelleProdukt zweier imagi- närenGrößen.Dieimaginären Größen sindSollen undWollen.
Das Produkt heißtMoral und läßt sichinseinerRealität nicht leugnen.«(Frühlings Erwachen.) »Es giebtkeineIdeen,seien sie sozialer,wissenschaftlicheroder künstlerischerArt,die etwas Anderes alsHabeundGut zumGegenstand hätten.Undglauben Sienicht, daßsichdieWelt hierinändert. DerMenschwirdab- gerichtetoderhingerichtet.«»Sünde isteinePathetische Bezeich- nung für schlechteGeschäfte.GuteGeschäfte lassen sichnur inner- halbderbestehenden Gesellschastordnung machen.« »Ich habe meinLeben daran vergeudet,denhohenErwartungen, dieman inmich setzte,gerechtzu werden« »Ein Unglückist für micheine günstige Gelegenheitwiejedeandere. Unglückkannjeder Esel haben;dieKunst ist, daßman esrichtigauszubeuten versteht.«
»Warum sollman denn durchaus einnützliches Mitglied der menschlichenGesellschaftwerden?« »AufdieFrage,obichGott liebe,habe ichallebestehendenReligionengeprüftundfandnir- gends einenUnterschied zwischenderLiebe zu Gott und der Liebe zusichselbst.DieLiebezu Gottistüberall immer nur eine sum- marische,symbolische AusdrucksweisefürdieLiebezureigenen Person« »Das einzig richtige Mittel, seine Mitmenschenaus- zunützen,besteht darin, daßman siebeiihren gutenSeiten nimmt.
Darin liegtdieKunst,geliebtzuwerden,dieKunst, Rechtzu be- halten.« ,,DasLeben isteineRutschbahn.«(Marquis vonKeith.)
»Der Durst nachSchönheitisteinnichtminder göttliches Gesetz inuns als derTrieb zurBekämpfungderErdenqual.« ,,Sind meine Gedanken unrichtig,dann beseitigtmichdieWeltinihrer Unerbittlichkeit, ohne sich nachmirumzusehen.Nimmt aberdie Menschheit meine Gedanken auf,dann gebührtderMenschheit dasVerdienst, nichtmir.«»Ichwollte dieMenschen verleiten,