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Unterrichtsblätter für Mathematik und Naturwissenschaften, Jg. 7, No. 4

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Academic year: 2022

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J a h r g a n g V I I . 1901. N r. 4.

U n t e i r i c h t s b l ä t t e r

fü r

Mathematik und Naturwissenschaften.

O r g a n d e s V e r e i n s z u r F ö r d e r u n g

d e s U n t e r r i c h t s i n d e r M a t h e m a t i k u n d d e n N a t u r w is s e n s c h a f t e n .

B egründet u n ter M itw irkung von B e r n h a r d S c h w a lb e ,

herausgegeben von

F . P i e t z k e r ,

P ro fe sso r am G ym nasium zu N ordhausen.

V e r l a g v o n O t t o S a l l e i n B e r l i n W . 3 0 .

R e d ak tio n : A lle fü r die R e d a k tio n b estim m ten M itteilu n g en und S en d u n g en w erden n u r an die A dresse des P ro f. P i e t z k e r . in N ordiiausen erb eten .

tV erein : A nm eld u n g en und B e itra g s z a h lu n g e n fü r den V erein (3 Mk. J a h re s b e itra g oder e in m a lig e r B e itra g von 45 Mk.) sind a n den S ch atzm eiste r, P ro fesso r P r e s J e i - f l h H annover, L in d e n e rstra sse 47, zu ric h te n . - '

N ach d ru c k d e r ehnaflneii A rtik e l ist, w enn ü b e rh a u p t n ic h t besonders ausgenom m en, n u r m it g e n a u e r A n g ab e d er Q uelle -— —---" u n d m it d er V erp flich tu n g d er E in s e n d u n g eines B elegexem plars an den V erlag g e s ta tte t.

I n h a l t : U cber G rundfragen des physikalischen U nterrichts. ‘ Von F . P o s k e , Schluss (S. 65). — Diskussion h ie rü b e r (S. 69). — D iskussion ü b er die G estaltung des U nterrichts in der darstellenden G eom etrie (S. 70).

— N ach sch rift zu der vorstehenden Diskussion. Von H a m d o r f f (S. 76). — A uflösung d er K reis- und der K ugelberührungsaufgaben durch die K reis- und die K ugelverw andtschaft. Von R. H e g e r (S. 77).

— V ereine und V ersam m lungen [73. V ersam m lung deutscher N atu rfo rsch er und A erzte zu H am burg]

(S. 80). — Schul- u n d U niversitäts-N achrichten [S chw albe-S tiftung; die neuen preussischen L ehrpläne]

(S. 80). — L ehrm ittel-B esprechungen (S. 81). — B ücher-B esprechungen (S. 81). — Z u r B esprechung eingetr. B ücher (S. 82.) — A nzeigen.

U e b e r G r u n d fr a g e n d e s p h y s ik a lis c h e n U n te r r ic h ts .

V o rtra g , g e h a lte n a u f d e r H a u p tv e rsa m m lu n g des V ereins zu r F ö rd e ru n g des U n te rric h ts in d er M athem atik und den N a tu r­

w issen sch afte n in G iessen.

V on F. P o s k e in B erlin.

(Schluss.)

Ich gehe nun zu dem ändern Beispiel über.

Sie alle kennen den vermeintlichen Beweis, der in den meisten Lehrbüchern für das H e b e l ­ g e s e t z gegeben wird. Man geht aus von der Zusamm ensetzung zw eier nicht paralleler K räfte, die in den E ndpunkten einer starren Linie an­

greifen, und die man vereinigt, nachdem man sie bis an den S chnittpunkt ih rer Richtungs­

geraden verschoben hat. Man geh t dann zu parallelen K räften über, indem man diesen Fall durch Hinzufügung von zwei gleichen und en t­

gegengesetzten K räften auf den vorigen zurüek- führt. Man zeigt, dass die starre Verbindungs­

linie durch den S chnittpunkt der Resultierenden im Verhältnis der beiden K räfte geteilt wird, und endlich, dass das System in Ruhe bleiben muss, wenn man diesen P u n k t fest macht.

M. H ., ich glaube, keiner von Ihnen wird durch diesen überaus künstlichen Beweis w irk­

lich befriedigt sein. U nter den mannigfachen

Einwänden, denen er ausgesetzt ist, hebe ich nu r den einen hervor, dass er unvermeidlich Verw irrung in Bezug auf die T ragw eite und den G ültigkeitsbereich eines Beweises hervor- rufen muss. Denn ein Beweis ist doch nur so lange gültig, als die Voraussetzungen, u nter denen er geführt ist, bestehen bleiben. Nun ist bei dem Beweise ein ausgedehntes starres System, oder wenigstens das Vorhandensein eines ausserhalb der starren Linie gelegenen und m it dieser fest verbundenen P unktes vorausgesetzt, in dem die Zusammensetzung der K räfte erfolgen kann. H andelt es sich also um den einfachsten Fall, um eine starre gerade Linie, so ist d er Beweis hinfällig.

Dass der Beweis sich bis heute in den L ehr­

büchern erhalten hat, h ängt wiederum m it der U eberschätzung zusammen, die der deduktiv system atischen Darstellungsform erwiesen zu werden pflegt. D er Beweis rü h rt von V a r i g n o n , einem Zeitgenossen Newtons her und ist also über 200 J a h r alt. V a r i g n o n h atte gleich­

zeitig m it Newton den Satz vom K räfteparalle­

logramm als ein allgemeines Prinzip erkannt, und glaubte darin eine Grundlage für die ge­

samte Mechanik gefunden zu haben. Seine

V e rla g : D er B e z u g s p r e i s fü r den J a h rg a n g von 6 N uram ern ist 3 M ark, fü r einzelne N um m ern 60 P f. Die V croinsm it- glied er e rh a lte n die Z e its c h rift u n e n tg e ltlic h ; frü h e re J a h r ­ g ä n g e sind d u rc h den V erlag bez. e in o B u c h h d lg . zu beziehen.

A n z e i g e n k o ste n 25P f. f ü r dio3-gesp. N o n p ar.-Z eile; bei A ufgabe h a lb e r od. g a n z e r S eiten , sow ie bei W ied erholungen E rm ässig u n g . — B eilag e g cb ü h ren n ach U eboroinkunft.

(2)

S. 6G.

U N T E R R i C H T S ß L Ä T T E R .

Jahrg . VII. No. 4.

Nouvelle Mécanique (1725) ist denn auch nichts anderes als ein Versuch, die S tatik auf diesem Prinzip deduktiv aufzubauen.

Ich habe auf diê tieferen Gründe, warum dieser Versuch unzulänglich bleiben musste, hier nicht einzugehen. Es dürfte dies damit Zusammenhängen, dass das P rinzip des K räfte­

parallelogram m es und das der virtuellen Ver­

schiebungen , das für das Gleichgewicht vor allem in B etrach t kommt, zwei von einander völlig unabhängige Prinzipien sind. Und auch abgesehen von dem F all des Gleichgewichts lässt sich bei der Zusammensetzung der K räfte nicht rech t um die hier vorhandenen »Schwierig­

keiten herumkommen. K einer scheint diese Schw ierigkeiten deutlicher empfunden zu haben als F ö p p l , der in seiner trefflichen Mechanik die entsprechenden fundam entalen E ntw icke­

lungen m it gewissen V orbehalten und E ntschul­

digungen begleitet. Eine befriedigende analy­

tische Lösung des Problem s kann ja nicht ohne B erücksichtigung der im starren System auf­

tretenden Spannungen gegeben werden, w orauf M a c h in seiner historisch kritischen D arstellung der Mechanik ausführlicher eingeht.

A ber m. H., angesichts dieser Sachlage, w ird es berechtigt erscheinen, wenn ich die F orde­

rung ausspreche : L o s v o n d e r L e h r b u c h ­ p h y s i k ! L o s v o n d e r U e h e r s c h ä T z u n g d e r s y s t e m a t i s c h - d e d u k t i v e n M e t h o d e !

Sie werden fragen: Ja, wie soll denn nun die Sache gem acht w erden? Das M ittel dazu ist immer w ieder dasselbe, ein Zurückgehen auf die grossen M eister der physikalischen W issenschaft, im vorliegenden Falle ein Zurück­

gehen auf den M eister aller M eister, auf den B egründer der P hysik als W issenschaft, auf Galilei.

In der Schrift D eila scienza meccanica (Band X I der A usgabe von Albèri) behandelt G a l i l e i das Hebelproblem in einer ■verblüffend einfachen W eise. E r sagt, die M echaniker irrte n sich, wenn sie meinten, dass der N atu r durch A nw endung des Hebels gleichsam ein Schnippchen geschlagen werde. Denn es könne auch ohne die Hülfe des längeren Hebelarmes m it derselben geringen K raft dieselbe W irkung hervorgebracht werden. E r sagt etw a so :

Man denke sich den längeren Hebelarm bei­

spielsweise 5 mal so lang als den kürzeren ; am kürzeren w irke eine L ast p, dann sei am längeren nur ein G ew icht ~ erforderlich, um

o

die L ast p zu heben. Man könne aber m it demselben Gewicht — auch an einem gleich-

o

armigen Hebel denselben Effekt hervorbringen.

Man brauche n u r die L ast p in 5 gleiche Teile zu zerlegen, und diese 5 Teile n a c h e i n a n d e r

zu heben, indem man jedesm al am ändern g l e i c h e n Hebelarm die K raft ^ wirken lasse.

o

Dann betrage freilich auch die H ubhöhe der K raft jedesm al nur Vs der früheren, komme aber bei 5 m aliger W iederholung der frühem gleich. Und es komme auf dasselbe heraus, ob man eine K raft fünfm al nacheinander auf einem gewissen W ege oder einmal auf einem fünfmal so grossen W ege w irken lasse.

Sie erkennen den grossen Vorzug der hier im Keiin angedeuteten B etrachtung vor der vor­

herigen. Die A ufklärung w ird nicht durch H erbeiziehen entlegener P rinzipien und k ü n st­

licher D eduktionen versucht, sondern w ird durch E indringen in die Sache selber gegeben. Zwei G esichtspunkte sind es, die für diesen F all von Galilei zu lernen sin d : 1) Die Z urückführung des statischen Problem s auf das entsprechende dynamische, und

2

) die E inführung des A rbeits­

begriffs in die B etrach tu ng des Vorgangs.

Selbst auf der U nterstufe kann man nach diesem Vorbilde das Hebelgesetz über eine roll em piristische F eststellun g hinaus zu tieferem V erständnis bringen.

Ich will w ieder nu r kurz andeuten, wie der Gang sein würde :

Am g l e i c h a r m i g e n Hebel seien zwei gleich grosse Gewichte von je 50 g r angebracht.

Angenommen es bestände kein Gleichgewicht, so w ürde bei einer kleinen D rehung das eine Gewicht etw a um 1 cm gehoben, die geleistete A rbeit wäre 50.1 Gramm cm. W ürd e eine gleiche D rehung in entgegengesetztem Sinn ausgeführt, so w äre die an dem ändern Gewicht geleistete A rbeit gleichfalls 50 Gramm cm. Da die A rbeit also im einen wie im ändern Fall gleich gross sein w ürde, so begreift m an, dass keine von beiden D rehungen ein tritt, sondern dass Gleich­

gew icht stattfindet.

Man sieht leicht, dass die B etrachtung sich sofort auf einen ungleicharm igen H ebel über­

trag en lässt, da bei gleich grösser D rehung die H ubhöhen sich um gekehrt wie die Hebelarm e verhalten. Man sieht auch, wie man so schon auf elem entarer Stufe zu dem B egriff der posi­

tiven und negativen A rbeit und zu dem Prinzip der virtuellen Bewegungen kommen kann. Dass dieses Prinzip auf einer höheren Stufe als das eigentliche G rundprinzip der S tatik aufgestellt werden muss, ist heute wohl allgemein aner­

kannt.

Es handelt sich hier auch nich t um eine D eduktion, sondern bloss darum, das allgemeine Prinzip i n dem besonderen Vorgang sichtbar zu machen. Dies Verfahren ist völlig im Geiste Galileis, von dem L agrange in einem oft citierten A usspruch gesagt hat, er habe i n den Erschei­

nungen das ihnen zugrunde liegende Gesetz

erschaut.

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1901. No. 4.

Ue b e r Gr u n d f r a g e n d e s p h y s i k a l i s c h e n Un t e r r i c h t s.

S. 67.

Ein solches Verfahren ist völlig verschieden von dem in neuerer Z eit öfter empfohlenen, das Gesetz von der E rhaltu n g der A rbeit als etwas unm ittelbar Gewisses hinzustellen und daraus die spezielleren Gesetze wie das Hebelgesetz a b z u l e i t e n . Das letztere Verfahren ist viel­

m ehr geradezu als eine V ersündigung an dem G eist und der Methode der P hysik zu bezeichnen;

diese W issenschaft w ird dadurch zu einer ab- s tra k t deduzierenden gestem pelt, w ährend sie in W a h rh eit induktiv zu W erke geht. A ller­

dings ist das W esen der induktiven Methode nicht in einer Zusam m enstellung von Einzel­

fällen, sondern in einer Analyse der Thatsachen, einem Eindringen gleichsam in das Innere der E rscheinungen zu suchen.

W enn es uns gelingt, den physikalischen U nterrichtsstoff durchw eg in solcher W eise zu behandeln, so w ird dadurch auch die von mir an den Anfang gestellte Frage, wie der Bildungs­

g ehalt dieses U nterrichts zu m öglichst voll­

kommener W irkung zu bringen sei, der Lösung näher geführt.

Ich finde mich auch hier in Ueberein- s.timmung. m itrProL E r n s t M a c h , der in seiner gedankenreichen S chrift über den B ildungsw ert der m athem atisch-naturw issenschaftlichen Fächer die Forderung erhebt, es sei der system atische U nterricht aufzugeben und vielmehr dafür zu so rg e n , dass jed er Schüler einige wenige m athem atische oder naturw issenschaftliche E n t­

deckungen so zu sagen m it erlebe und in ihren w eiteren Konsequenzen verfolge. D arin dass der physikalische U nterricht noch viel mehr als bisher vom system atischen B etrieb zum m ethodischen übergehen müsse, treffe ich auch m it dem Vorsitzenden unseres Vereins H errn Kollegen P i e t z k e r zusam m en, der sich in H annover 189S in gleichem Sinne hinsichtlich des gesamten exaktw issenschaftlichen U n ter­

richts geäussert hat. •—

Eine Frage, die m it dem Vorhergehenden aufs engste zusam m enhängt, ist die L e h r ­ b u c h f r a g e . F ü r diese ist bekanntlich in den preussisehen Lehrplänen von 1892 eine Regelung Vorbehalten worden. Da aber in den verflosse­

nen neun Jahren nichts w eiteres hierüber v er­

la u tb a rt ist, so ist wohl anzunehmen, dass man auf Seiten der obersten U nterrichtsbehörde an eingreifende Massregeln in dieser R ichtung nicht denkt. In der Tha-t könnte es nur von Nach­

teil sein, wenn man die freie Bewegung auf diesem Gebiet einschränken w o llte ; es stände dies auch im W iderspruch m it der ersichtlichen N eigung der Regierung, der individuellen Aus­

gestaltung des U nterrichts grösseren Spielraum zu gönnen. F ü r uns bleibt es indessen eine w ichtige Frage, wie das Lehrbuch am zweck- m assigsten einzurichten ist. Diese Frage ist bereits 1896 G egenstand der E rö rte ru n g von

Seiten der H erren S c h w a l b e und P i e t z k e r gewesen. Beide haben sich zu gunsten einer system atischen Anordnung des Stoffes im Gegen­

satz zur m ethodischen ausgesprochen. Man kann dies gelten lassen, wenn das System atische nicht ins einseitig D eduktive ausartet. W enn die Anordnung zu formal system atisch ist, so w ird der Gebrauch des Lehrbuchs bei und neben dem m ethodischen U n terrich t unbequem und die Schüler w erden in dem Buche nie rech t zu Hause sein (so ist es bis vor kurzem bei dem Jochm annschen Lehrbuch der F all gewesen).

Is t die Anordnung zu methodisch, so w ird dies leicht für den L ehrer eine Fessel und überdies fü r den U nterricht, der auch im Aufsuchen der richtigen Methode den Schein der F re ih e it wahren sollte, geradezu ein Nachteil. Am m eisten zweckentsprechend w ürde ein Lehrbuch sein, das den Stoff in übersichtlicher Anoi'dnung darböte und den m ethodischen Gang w eder zu genau vorschriebe, noch auch ihm allzugrosse Schw ierigkeiten in den W eg legte.

Ich bin übi’igens der Meinung, welche A rt von Lehrbuch man auch zur Verfügung hat, es sollte im U nterrich t selbst m öglichst w enig be­

n u tzt werden. Die alte S itte, P aragraph fü r P aragraph zu absolvieren, dürfte m ehr und m ehr einer freieren B ehandlung des Gegen­

standes weichen. Ich gedenke hierbei meines unvergesslichen Lehrers S c h w a l b e , der schon vor m ehr als BO Jah ren sich solcher A rt von Lehrbuch emanzipierte, was freilich eine v er­

m ehrte L ast an A usarbeitungen, wie w ir sie heute unsern Schülern nicht m ehr zumuten würden, zur Folge h atte — aber nicht durch­

aus zur Folge haben muss.

K e i n e L e h r b u c h p h y s i k , s o n d e r n l e b e n d i g e P h y s i k muss die Losung sein.

Die Lehrbuchphysik füh rt zu Dogmatismus, d. h. zu dem geraden Gegenteil dessen, worin der B ildungsw ert der P hysik besteht. In fast allen ändern Fächern lern t man aus dem L eh r­

buch, h i e r sollen die Schüler aus den Erschei­

nungen selber und aus der von L ehrer und Schülern gemeinsam vorgenommenen Bearbei­

tung dieser Erscheinungen lernen. Dennoch können w ir das Lehrbuch, w enigstens auf der Oberstufe, nicht entbehren, schon der syste­

m atischen U ebersicht des Stoffes wegen, die als Abschluss des U nterrichts nicht fehlen darf.

D er Schüler der Oberstufe w ird auch leicht im­

stande sein, die dem U nterrich t entsprechenden A bschnitte zu Hause selbständig durchzuarbeiten und darüber in der Klasse kurz zu berichten.

Man wird auch hinsichtlich mancher Ableitungen

sekundärer A rt auf das Lehrbuch verweisen und

dies überhaupt für den häuslichen Fleiss m ehr

heranziehen dürfen. Ich m öchte das Gesagte

kurz so formulieren, dass das Lehrbuch den

U nterricht begleiten, aber nicht beherrschen

(4)

S. 68.

Un t e r r i g h t s b l ä t t e r.

Jahrg . VII. No. 4.

soll. Ich könnte auch s a g e n : Ein Lehrbuch der P hysik ist nicht dazu da, dam it danach u n terric h tet wird. Gerade die irrige Meinung, dass dem so sei, h at dazu geführt, den U n ter­

ric h t lange Zeit allzu system atisch zu gestalten.

A ndrerseits haben die m ethodischen Lehrbücher, wie man auch über sie denken mag, das grosse V erdienst, einer Abwendung von dieser syste­

m atischen Form des U nterrichts den W eg ge­

ebnet zu haben. —

Noch auf eine w eitere Frage, die ich bereits mehrfach b erü h rt habe, möchte ich kurz einzu­

gehen m ir erlauben; es ist dies die F rage nach dem V e r h ä l t n i s z w i s c h e n d e m p h y s i ­ k a l i s c h e n u n d d e m m a t h e m a t i s c h e n U n t e r r i c h t . Diese F rage ist in unserm Ver­

ein wie in den Zeitschriften der beiden Fächer mehrfach erö rtert worden. Es ist im Sinne einer reinlichen Scheidung m it R echt gesagt w orden*), der P hysikunterricht dürfe keine M athem atik treiben, und andererseits is t die Bedeutung des physikalischen U nterrichts so hoch veranschlagt worden, dass sogar gefordert w erden konnte**), der m athem atische U nter­

rich t müsse auf der obersten Stufe in dem P h ysikunterricht aufgehen.

Nun, die vergangenen zehn Jah re haben uns in dieser F rage auch w eitere Klärung ge­

bracht. Die M athem atik h a t sich ihre selb­

ständige B edeutung im U nterricht gew ahrt, aber sie h at doch mehr und m ehr realistische E le­

m ente in ihren B etrieb aufgenommen, und all­

gemeiner Zustimmung sicher ist wohl der Aus­

spruch des H errn G eh.-R . K 1 e i n - G öttingen au f der Juni-K onferenz von 1900: Als Z ielpunkt des m athem atischen U nterrichts sei früher zu ausschliesslich dieser hingestellt worden — den Verstand zu sc h ä rfe n ; eine H auptsache sei doch auch, die Ueberzeugung entstehen zu lassen, dass richtiges Nachdenken auf grund richtiger Präm issen die A ussenw elt beherr­

schen lässt. Angesichts dieser Auffassung d a rf doch wohl gesagt w erden, dass es nicht nur für den P h y sikunterricht eine E ntlastung, sondern zugleich für den m athem atischen U nterricht einen Gewinn bedeuten würde, wenn gewisse D inge, die bisher zumeist in den Physikstunden behandelt wurden, in die m athe­

m atischen Stunden verlegt werden. Bei der geringen Stundenzahl, die dem P h y sikunterricht auf den Gymnasien (und relativ zu seiner Be­

deutung auch auf den Realgymnasien) zuge­

wiesen ist, kann auf solche W eise Raum dafür geschaffen w erden, dass der eigentliche, spezi­

fische B ildungsw ert dieses Faches einigermassen zur V erw irklichung gelangt. N icht als ob der

*) Noack, Zeitschr. f. (1. pliysik. Unterricht, IV.

1891, S. 162.

**) Pi e t z k e r , Zeitschr. f. d. pliysik. Unterricht, III, 1890, S. 110.

R u f: Die P hysikstunde gehö rt dem P hysiker, in so engem Sinn zu nehmen wäre, dass nun keine m athem atische Form el mehr in den P h ysik ­ stunden auftreten dürfte. Aber das w äre wohl als erstrebensw ert zu bezeichnen, dass n u r solche m athem atische Entw icklungen einfachster A rt, die für die P hysik grundlegend sind, oder die m it fundam entalen Problem en in unm ittel­

barem Zusammenhang stehen (ich denke an die Schw ungkraftform el, an die Schwingungsbewe­

gung und ähnliches) in den Physikstunden bei­

behalten werden. Anwendungen dagegen, wie die E ntw icklung der barom etrischen H öhen­

formel, die Diskussion der W urfkurve, die B e­

rechnungen am astronom ischen Polardreieck, die A bleitung des Newtonschen Gesetzes aus dem Keplerschen u. dgl. m ehr gehören in die m athem atischen Stunden. Es ist dann auch ge­

rechtfertigt, dass die m athem atische G eographie an den Realgymnasien schon läng st der M athe­

m atik zugewiesen is t; und es wäre wohl zw eck­

m ässig, wenn dies auch für die altklassischen Gymnasien vorgeschrieben w ürde.*)

Endlich m öchte ich in diesem Zusammen­

hänge an eine Forderung erinnern, die schon in den V erhandlungen der Dezember-Konferenz von 1S90 aufgetreten ist und in den preussi- schen Lehrplänen von 1892 B erücksichtigung gefunden hat, nämlich dass un ter die m athe­

m atischen Aufgaben für die Reifeprüfung an Gymnasien auch eine physikalische Aufgabe aufgenommen werde. Diese Forderung ist, so­

w eit sich aus den Program m en ersehen lässt, immer noch wenig beachtet, und doch wäre sie das einfachste M ittel, der P hysik zu einer gewissen Rolle bei der A biturientenprüfung zu verhelfen. Die weitergehende Forderung, die S c h w a l b e in seinem letzten G utachten aus­

gesprochen hat, dass P hysik und Chemie auch als solche in der A biturientenprüfung der Gym­

nasien eine Stelle finden m üssten, w ird freilich noch nicht so bald auf E rfüllung rechnen k ö n n e n ; aber vergessen darf sie nicht wieder werden, sie en tspricht durchaus der Bedeutung, die der P hysik im V erhältnis zu allen übrigen Gym nasialfächern zuerkannt werden muss. —

Ich knüpfe zum Schluss noch einmal an die F rage nach dem B ildungsgehalt des physika­

lischen U nterrichts an. W as man öfter als die hum anistische Aufgabe dieses U nterrichts be­

zeichnet hat, reich t w eit über alle Fachbildung, ja auch über die Grenzen exaktw issenschaftlicher E rkenntnisse hinaus. Im H inblick auf die ober­

sten B ildungsziele sollten w ir danach streben, unseren G egenstand in Beziehung zu setzen zu den höchsten und allgem einsten F rag en , die das m enschliche Gem üt bewegen, und nach

*) Z u s a t z des V e r f a s s e r s : Dies ist in den neuen

preussischen Lehrplänen von 1901 geschehen.

(5)

1901. No. 4.

Ue b e r Gr u n d f r a g e n d e s p h y s i k a l i s c h e n Un t e r r i c h t s.

S. 69.

deren K lärung die Schüler unserer Oberklassen besonders lebhaft verlangen. Dies sind die Problem e des geistigen Lebens, sofern es sich auf dem m ateriellen aufbaut und m it diesem zusamm enhängt, es geh ö rt hierher alles das, was man kurz m it dem W o rte W e l t a n s c h a u u n g bezeichnet. D er P hysiku n terrich t h a t nicht nur ein Recht, sondern sogar die Pflicht, diesen P räg en nicht aus dem W ege zu gehen.

Ich will dies an einem Beispiel kurz er­

läutern. W ir lehren unsern S chü lern , dass K lang auf Schwingungen der L uft, und Licht auf Bewegungen im A ether zurückzuführen sei.

A ber b e s t e h e n K lang und L icht deshalb in solchen Bewegungen, sind diese Bewegungen das eigentlich Reale, und sind die B ew usstseins­

vorgänge, die als Em pfindungen in uns auf- treten, nur Begleiterscheinungen dieses Realen?

Is t das menschliche Geistesleben demnach über­

haupt nur etwas Sekundäres, machen seelenlose V orgänge in der A ussenw elt das W esen der W e lt aus, und sind unsere Empfindungen, Ge­

danken, Gefühle nichts als eine A rt W ieder- schein dieser V orgänge? Oder ist um gekehrt die ganze AnssCnwelt nur die P rojektion eines Innern, S ubjektiven? — Es w ird ja von der philosophischen Stellung des Einzelnen ab- hängen, wie er diese Fragen beantw ortet. Nach m einer U eberzeugung ist es so, dass gerade erst im menschlichen Gemüt die Dinge da draussen ihre letzten und feinsten W irkungen entfalten, so dass geradezu gesagt werden muss:

Im M enscheninneni erst kommt das W esen der W e lt zu seinem vollkommensten Ausdruck.

Dann ist auch, was w ir als Klang- und L ich t­

w irkung empfinden, gewissermassen das aller­

realste an den Vorgängen. Ein Hinweis auf solche Anschauungen, die m it den tiefsten philo­

sophischen Ergebnissen des letzten Jahrh u n d erts Zusammentreffen, d arf meines E rachtens dem physikalischen U nterricht als Abschluss nicht fehlen. Zu erinnern w äre auch daran, wie in dem vor kurzem erst gefeierten Gustav Theodor F echner die strengste physikalische F orschung sich m it einer alles P l^ sik a lisc h e w eit über­

steigenden WTeltansicht vereinigte — und wie vor Jah rhu nderten schon in Giordano Bruno die U eberzeugtheit von der neuen Lehre des Ko- pernikus sich m it einer nicht minder innigen U eberzeugtheit von der B eseeltheit der W elt und einer überschw englichen Begeisterung für die Schönheit dieser W elt verband.

Ich muss mich m it diesen Andeutungen be­

gnügen ; und ich gebe zum Schluss der Hoff­

nung A usdruck, dass m it dem w eiteren Ausbau unseres P hysikunterrichts in den bezeichneten R ichtungen dieser selbst sich immer m ehr als ein B ildungs- und Erziehungsm ittel allerersten Ranges erweisen wird.

An den vorstehend wiedergegebenen V ortrag schloss sich eine kurze D iskussion; in dieser bem erkte zunächst F i s c h e r (Technische Hoch­

schule, München), dass man in E ngland nach m ehrjährigen und sehr eifrig gepflegten E rö r­

terungen Uber Zweck und Ziele des naturw issen-

j

schaftlichen U nterrichts allgemein den Stand-

| pun k t vertreten, den P o s k e auseinandergesetzt

| und dass man d o rt den H auptw eg zur E rfüllung der erzieherischen Aufgabe des P hysik- und Chem ieunterrichts in der „heuristischen“ M ethode Und in Schülerübungen finde; ihre N otw endigkeit sei in den letzten Jahren durchw eg anerkannt w orden und alle guten realistischen Schulen besässen in England einfach ausgestattete Schülerlaboratorien; gerade zur Einführung in die naturw issenschaftliche Denkweise und zur E ntw icklung der Grundbegriffe halte man Schülerversuche für sehr w ichtig; der U nter­

rich t an F o rtgeschrittene sei m ehr theoretisch.

F i s c h e r b a t, daran anknüpfend, um M ittei­

lungen über die in D eutschland m it Schüler­

übungen gem achten Erfahrungen und insbesondere darüber, ob sich im Sinne der P o s k e ’sehen Ziele m e s s e n d e Schülerversuche oder m ehr q u a l i t a t i v e Experim ente besser bew ährten, ob die durch sie bedingte S toffbeschränkung erheblich sei und ob man die eventuell nötige V erringerung des Lehrstoffes für einen Nach­

teil halte.

N o a c k (Giessen) w eist darauf hin, dass die F rage der Schülerübungen das Them a seines für die nachfolgende A bteilungssitzung ange­

setzten V ortrags bilde, die Versammlung sieht demgemäss von der w eiteren E rörterun g dieses Gegenstandes ab.

II u p e (C h arlo ttenbu rg): Es lässt sich vieles ausführen, wenn Geld da ist. W enn w ir durchw eg das Experiment, zu Grunde legen wollen, dann müssen überall auch entsprechende Anschaffungen gem acht werden. Sehr in te r­

essant wäre eine Zusam m enstellung über die Höhe, die der E ta t an den einzelnen A nstalten besitzt. Ich möchte gerne eine Liste auflegen und zirkulieren lassen. W ichtig ist auch die Beschaffung einer Hilfe für die äusseren D ienst­

leistungen. W ir brauchen einen Laboratorium s- Diener. Das ist auch eine G eldfrage, das könnten w ir auch bei den Schülerübungen be­

sprechen.

P r e s l e r (Hannover) schlägt vor, ein F o r­

m ular aufzustellen und zu versenden, dam it man erfäh rt, wie es bei a l l e n A nstalten ist.

D er Verein kann das im Anschluss an die Schülerübungen w eiter verfolgen. Die F rage der Schülerübungen muss für nächstes J a h r au f die Tagesordnung gesetzt werden.

P i e t z k e r (Nordhausen) bem erkt, die von

j H errn H u p e gegebene Anregung sei nicht neu,

j schon im Jah re 1897 habe die R edaktion des

(6)

S. 70.

Un t e r r i c h t s b l ä t t e r..

Jalu-g. VII. No. 4.

V e r e in s o r g a n s e in e ä h n lic h e A u f f o r d e r u n g a n a lle F a c h l e h r e r g e r i c h t e t ( J a h r g . I I I , S . 7 5 ), d e r i n d e s s e n in so g e r i n g e m M a s s e e n t s p r o c h e n w o r d e n s e i , d a s s v o n e in e r V e r w e r t u n g d e r e in g e g a n g e n e n M i t t e i l u n g e n a b g e s e h e n w e r d e n m u s s te . D a s s e i j a b e d a u e r l ic h , a u c h d e s w e g e n , j w e il d ie N i c h t b e a c h t u n g d ie s e r A u f f o r d e r u n g \ m a n n i g f a c h a ls Z e ic h e n e i n e r g e w is s e n I n d o l e n z | a u f g e f a s s t w e r d e n m ü s s e . — I m U e b r ig e n j m e in e e r in d e s s e n , d a s s d ie b is j e t z t z u r S p r a c h e 1 g e b r a c h t e n P u n k t e m e h r in d a s G e b ie t g e w is s e r , w e n n a u c h a n s i c h w i c h t i g e r A e u s s e r l ic h k e i t e n d e s U n t e r r i c h t s g e h ö r t e n , d ie d e r V o r tr a g e n d e g e r a d e a u s d r ü c k l i c h a u s s e in e m V o r t r a g e a u s ­ g e s c h lo s s e n h a b e . Fm m ö c h t e d ie D e b a t t e a u f d ie F r a g e n d e r in n e r l i c h e n G e s t a l t u n g d e s U n t e r ­ r i c h t s , d ie R o lle , d ie d e m E x p e r im e n t z u z u w e is e n s e i, u . d g l. z u r ü c k l e n k e n .

S c h o t t e n ( H a l l e ) : E in e s o lc h e Z u s a m m e n ­ s t e l l u n g h a t a u c h i h r e G e f a h r e n , e s g i e b t a u c h B e h ö r d e n , d ie s i c h b e i B e m e s s u n g d e r D o t a t i o n f ü r d ie v o n ih n e n z u u n t e r h a l t e n d e n S c h u le n n a c h d e n s c h l e c h t d o t i e r t e n A n s t a l t e n r i c h t e n .

T h a e r ( H a m b u r g ) : E s i s t v o r g e s c h la g e n w o r d e n , P h y s i k u n d C h e m ie a u c h in d a s E x a m e n d e s G y m n a s iu m s h in e i n z u b r i n g e n . E s w ä r e d ie s d a s s i c h e r s t e M i tt e l, d ie E r t e i l u n g d e s U n t e r ­ r i c h t s in d e m v o n P o s k e e m p f o h le n e n S in n e z u e r s c h w e r e n ; d e m U n t e r r i c h t w ü r d e d a d u r c h d ie F r e i h e i t g e n o m m e n . D e r L e h r e r , d e r d a s E x a m e n , u m e t w a s z u e r r e ic h e n , n ö t i g z u h a b e n g l a u b t , d e r b r i n g t m i t ih m e b e n s o w e n ig w ie o h n e d a s s e lb e e tw a s v o r s ic h . D a v o n h ä n g t d ie B e d e u t u n g d e r W i s s e n s c h a f t n i c h t a b . I s t D e u ts c h e in N e b e n f a c h , w e il m ü n d l ic h n i c h t g e p r ü f t w i r d ? I n H a m b u r g i s t in E r w ä g u n g g e z o g e n w o r d e n , o b m a n a n d e r O b e r r e a l s c h u le n i c h t a u f P h y s i k u n d C h e m ie im E x a m e n v e r ­ z i c h t e n s o lle . E s i s t a l l e r d i n g s n i c h t d a z u g e k o m m e n .

N o a c k m ö c h t e o h n e N a c h t e i l f ü r s F a c h s c h o n r e c h t g e r n a u f e in E x a m e n v e r z i c h te n .

P o s k e : I c h b in a u c h d ie s e r A n s i c h t g e - Avesen. E s i s t a b e r w e r t v o l l , d a s s e s e in o ff iz ie lle s Z ie l g i e b t , d e s s e n E r r e i c h u n g d u r c h e in e P r ü f u n g n a c h g e w ie s e n w ir d . D ie B e f ü r c h ­ tu n g , d a s s d a d u r c h d e r U n t e r r i c h t s b e t r i e b v e r - ä u s s e r l i c h t w e r d e , te i le ic h n i c h t . D a s B e is p i e l d e r M a t h e m a t i k z e ig t , d a s s d a s E x a m e n k e in e n L e h r e r h i n d e r t , g e r a d e in d e m , w a s e r d a r ü b e r h in a u s l e i s t e t , s e i n B e s t e s z u g e b e n . W i e s o l le n w i r z e n s i e r b a r e L e i s t u n g e n v o n d e n S c h ü l e r n e r l a n g e n ? S c h w a lb e h a t t e e in e U n t e r ­ r i c h t s a r t , b e i d e r e r d a s H ö c h s t e a u c h o h n e E x a m e n l e i s t e t e , in d e m e r a ll e S c h ü le r h e r a n ­ z o g . D a s i s t a b e r n i c h t je d e r m a n n s S a c h e , f ü r d ie M e h r z a h l d e r L e h r e r w i r d d ie E r f ü l l u n g d e r i h n e n g e s t e l l t e n A u f g a b e d u r c h d ie E i n ­ r i c h t u n g e i n e r P r ü f u n g e r l e i c h t e r t .

S c h m i d t ( W u r z e n ) : S o v ie l m i r b e k a n n t

i s t , i s t a u c h in P r e u s s e n d ie P h y s i k n i c h t H a u p t ­ f a c h . W e n n w i r d a r n a c h s t r e b e n , d ie P h y s i k a ls H a u p t f a c h a n e r k a n n t z u s e h e n , d a n n w ä r e d e r E r f o l g d a : K e in E x a m e n , a b e r A n e r k e n n u n g d e r P h y s i k a ls H a u p t f a c h . —

E in e B e s c h lu s s f a s s u n g e r f o l g t e n i c h t .

D is k u s s io n

ü b e r d ie G e s ta ltu n g d e s U n te r r ic h t s in d er d a r s te lle n d e n G e o m e tr ie

a u f d e r H a u p t v e r s a m m l u n g i n G i e s s e n . * ) E i n l e i t e n d w e i s t P i e t z k e r ( N o r d h a u s e n ) a u f d ie B e h a n d l u n g h in , d ie d ie F r a g e a u f d e r v o r j ä h r i g e n V e r e in s v e r s a m m l u n g i n H a m b u r g e r f a h r e n h a b e , d e n v o n ih m s e l b s t d a m a ls e r ­ s t a t t e t e n B e r i c h t u n d d ie Z u s a m m e n s t e l l u n g d e r d ie s e n B e r i c h t z u G r u n d e g e l e g t e n G u t a c h t e n , ( A b d r ü c k e d ie s e r A e u s s e r u n g e n w a r e n in g r ö s s e r Z a h l u n t e r d ie V e r s a m m lu n g s te i ln e h m e r v e r t e i l t w o r d e n ) . E r w olle, f ü r s e in e P e r s o n n u r d a s e in e b e m e r k e n , d a s s d ie v o n ih m in H a m b u r g a u f g e s t e l l t e n , e r s t w ä h r e n d d e r V e r s a m m lu n g s e l b s t f o r m u l i e r t e n T h e s e n n i c h t a ls G r u n d l a g e f ü r e in e E in z e l a b s t i m m u n g h ä t t e n d ie n e n s o lle n , s o n d e r n n u r a ls e in m ö g l i c h s t k n a p p e r u n d ü b e r s i c h t l i c h e r A u s d r u c k d e s v o n ih m e in g e ­ n o m m e n e n S t a n d p u n k t s . D ie V e r e i n i g u n g d e s U n t e r r i c h t s in d e r d a r s t e l l e n d e n G e o m e tr ie m i t d e m Z e i c h e n u n t e r r i c h t h a b e a u c h e r n u r a ls w ü n s c h e n s w e r t, n i c h t a ls n o t w e n d i g b e z e i c h n e t ; d a s s d i e s e r W u n s c h e in f a c h n i c h t e r f ü l l b a r s e i n w e r d e , g l a u b e e r a u c h .

H u p e ( C h a r l o t t e n b u r g ) s p r i c h t s i c h m i t g r ö s s e r E n t s c h i e d e n h e i t g e g e n d ie M e i n u n g a u s , d a s s d ie d a r s t e l l e n d e G e o m e tr ie n e b e n h e r im s t e r e o m e t r i s c h e n U n t e r r i c h t g e l e h r t w e r d e n k ö n n e . E t w a s w i r k l i c h N ü tz li c h e s s e i a u f d ie s e m W e g e n i c h t z u e r r e ic h e n . E r e x e m p lif i­

z i e r t d a b e i a u f d e n S a t z , d a s s d ie P r o j e k t i o n e i n e r e in e E b e n e s c h n e i d e n d e n a u f e i n e r G e r a d e n in d ie s e r E b e n e s e n k r e c h t e n G e r a d e n e b e n f a l ls a u f d ie s e r G e r a d e n s e n k r e c h t s t e ll e u n d d ie m i t H ilf e d ie s e s S a tz e s z u b e w i r k e n d e B e s ti m m u n g v o n S p u r e n u n d P r o j e k t i o n e n e i n e r G e r a d e n a u s e in a n d e r . E r k ö n n e n i c h t e r k e n n e n , w ie z . B . d ie s e d o c h g a n z u n u m g ä n g l ic h e E i n z e l h e i t a u s d e n E le m e n t e n d e r d a r s t e l l e n d e n G e o m e tr ie im s t e r e o m e t r i s c h e n U n t e r r i c h t u n t e r z u b r i n g e n s e i.

T h a e r ( H a m b u r g ) : D a s W o r t „ D a r s t e ll e n d e G e o m e t r i e “ i s t in d e n b i s h e r i g e n s c h r i f t l i c h e n u n d m ü n d l ic h e n V e r h a n d l u n g e n in e in e m w e i t e r e n S in n g e b r a u c h t w o r d e n . O h n e d ie R ü c k s i c h t a u f d ie h i e r d u r c h m i t b e r ü h r t e n F r a g e n a u f z u g e b e n , e m p f ie h lt e s s ic h d o c h z u d e r b e s c h r ä n k t e n V e r w e n d u n g d ie s e r B e z e ic h n u n g z u r ü c k z u k e h r e n , u m M i s s v e r s t ä n d n i s s e z u v e r m e id e n . E i n e e r s t e T h e s e , d ie i c h d e s h a l b s t e l l e , s c h e i d e t d a s a u s , w a s w o h l v o n d e r V e r s a m m lu n g a l l g e m e i n v e r -

*) S. U nt.-B l. V I I , 3, S. 55.

(7)

1901. No. 4.

Di s k u s s i o n Ob e r d i e d a r s t e l l e n d e Ge o m e t r i e.

S. 71.

langt w ird : 1. „A n a l l e n L e h r a n s t a l t e n i s t d i e k o r r e k t e H e r s t e l l u n g d e r i m m a t h e m a t i s c h e n U n t e r r i c h t b e n u t z t e n F i g u r e n z u l e h r e n u n d z u ü b e n . S o ­ w e i t d i e s n i c h t i m Z e i c h e n u n t e r r i e h t g e s c h e h e n k a n n , m u s s d e r m a t h e m a ­ t i s c h e U n t e r r i c h t u n t e r Z u r ü c k s t e l ­ l u n g a n d e r e r A u f g a b e n d i e s e e r f ü l l e n “ . W as die eigentliche darstellende Geometrie be­

trifft, so empfehle ich, um einerseits die Mög­

lichkeit, sie zu lernen, an allen L ehranstalten zu bieten, andererseits eine Ueberbiirdung der ohnehin stark genug belasteten Schüler und des sonstigen m athem atischen U nterrichts zu ver­

h ü ten , den U nterricht an den R ealanstalten fakultativ zu belassen, am Gymnasium ihn in gleicher W eise einzuführen, dafür aber den U nterricht im Freihandzeichnen an den R eal­

anstalten sow eit fakultativ zu machen, dass der Schüler, wie es in H am burg der Fall ist, nur an zwei Stunden Zeichnen obligatorisch teil­

nehmen m u ss, während am Gymnasium das fakultative Freihandzeichnen wie bisher be­

stehen bleiben kann. Dies findet in der These A usdruck:

2

. „ S y s t e m a t i s c h e r U n t e r ­ r i c h t i n d e r e i g e n t l i c h e n d a r s t e l l e n ­ d e n G e o m e t r i e i s t i n d e n d r e i O b e r ­ k i a s s e n i n z w e i f a k u l t a t i v e n S t u n d e n v o n e i n e m M a t h e m a t i k e r z u e r t e i l e n .

S c h ü l e r , d i e a n d i e s e m U n t e r r i c h t

t e i l n e h m e n , k ö n n e n d a f ü r B e f r e i u n g v o m F r e i h a n d z e i c h n e n b e a n s p r u c h e n “.

Endlich halte ich es nicht für möglich, dass die Versammlung sich für einen der aufgestellten Lehrpläne, so zw eckentsprechend sie für die einzelnen A nstalten zum teil erscheinen, ent­

scheidet. Bei der F ülle anderer Aufgaben glaube ich aber, dass wir die Frage trotzdem auf dieser Versammlung zu einem gewissen Abschluss bringen müssen und empfehle die R esolution; 3. „ F ü r d i e G e s t a l t u n g d e r L e h r p l ä n e s i n d d i e i n d e n U n t e r ­ r i c h t s b l ä t t e r n v e r ö f f e n t l i c h t e n B e ­ r i c h t e u n d G u t a c h t e n a l s w e r t v o l l e s Material zu benutzen“.

C. H. M ü l l e r (F ran k fu rt a. M.): Ich muss mich entschieden dagegen erklären, dass die darstellende Geometrie an hum anistischen Gym­

nasien blos als w a h l f r e i e s Fach eingeftihrt wird, wie soeben vorgeschlagen und auch be­

reits an verschiedenen A nstalten (Gymnasium- D arm stadt, Lessing- G ym nasium -Frankfurt) ge­

schehen ist. Die P rojektionslehre sollte viel­

mehr der gemeinsame Besitz a l l e r Schüler der P r i m a werden, von der Obersekunda will ich absehen. D adurch erst, dass a l l e teilnehmen, w ird der m athem atische U nterrich t gehoben und g efördert derart, dass man leichte Auf­

gaben aus dieser M aterie für die Reifeprüfung stellen kann. In der T h at w erden die Aufgaben

fü r Stereom etrie in der Provinz Hessen-Nassau an einigen hum anistischen Gymnasien (natürlich erst recht an R ealanstalten) aus der Projektions- Lehre genommen. Ich habe die Projektions- Lehre schon seit 10 Jahren, und, wie ich glaube, m it befriedigendem Erfolge, am Königl. Kaiser- Friedrichs - Gymnasium zu F ran k fu rt a. M. im Einverständnis m it der Vorgesetzten Behörde betrieben und keine Schw ierigkeiten dabei ge­

funden. Andere hum anistische A nstalten in der Provinz Hessen-Nassau und auch sonst in der preussischen Monarchie sind gefolgt. Im Jah re 1894 w urde von mir auf B etreiben K r u m m e s auf der W iesbadener Versammlung ein V ortrag gehalten (vergl. B erichte der 3. Versammlung), worin ich den o b l i g a t o r i s c h e n B etrieb durch den M athem atiker der A nstalt forderte.

Damals wurden meine sieben Thesen, die sich z. T. auch auf R ealanstalten bezogen, durch die eine P i e t z k e r s e rsetzt: „In dem stereo­

m etrischen U nterricht des hum anistischen Gym­

nasiums ist das konstruktive Elem ent mehr als bisher zu betonen. Die zu w eit in den Vorder­

grund geschobene rein mechanische (rechnerische) Behandlung muss mehr zurückgedrängt w erden“.

In der T hat ist die o b l i g a t o r i s c h e E in­

führung der Elem ente der darstellenden Geo­

m etrie nur möglich, wenn Anderes fällt, nam entlich die stereom etrischen, langatm igen K örperrech­

nungen "(Durchdringungen, Schwimmaufgaben und dergl.), die meist nicht einmal einen realen H intergrund haben. Mit der genannten These stand in Zusammenhang P r e s l e r s V ortrag in W iesbaden „über die Ausbildung der M athe­

m atiker im Zeichnen“, eine Frage, auf die w ir wohl heute noch zu sprechen kommen werden.

— Bis zur Versammlung in H annover 1899 w ar die Sache der stillen A rbeit überlassen. Da tra t Kollege H i l d e b r a n d t - B raunschw eig m it seinen bekannten zwei Thesen auf, deren Niederschlag die hier gedruckt vorliegenden G utachten bilden. Die H am burger Versamm­

lung m ochte sich über diese G utachten nicht entscheidend äussern tro tz ih rer gründlichen Zusammenfassung durch P i e t z k e r . J e tz t aber ist die Sache reif und zwar ü b e r r e i f , nam ent­

lich aber für das hum anistische Gymnasium, wenn es sich bei seiner jetzigen schwierigen Stellung nich t ganz an die W and drücken lassen will.

P i e t z k e r freut sich, m it C. H. M ü l l e r in den H auptgesichtspunkten einig zu sein, allerdings scheine ihm M ü l l e r in der Be­

messung dessen, was auf Gjnnnasien zu treiben sei, erheblich über das Mass dessen hinaus zu g e h e n , was auf der grossen Mehrzahl der A nstalten erreicht werden k ö n n e ; bei den An­

stalten, auf denen die E rfahrung M ü l l e r s

beruhe, lägen offenbar die Verhältnisse besonders

günstig. Den von H u p e aufgestellten Behaup-

(8)

S. 72. Un t e r r i c h t s b l ä t t e r.

Jahrg . VII. No. 4.

tungen gegenüber h ält er seine A nsicht aufrecht, es sei — wie er selbst aus persönlicher E rfahrung heraus m it B estim m theit sagen könne — sehr wohl m ö g lic h , dem stereom etrischen U nter­

rich t soviel von der darstellenden Geometrie einzuflechten, dass auch der die technische Hoch­

schule beziehende A biturient davon einen w esent­

lichen Nutzen habe. Der von H u p e angeführte Satz gehöre ohnehin in den Kanon des stereo­

m etrischen U nterrichts, die Bestimm ung von Spuren einer Geraden aus ihren P rojektionen und um gekehrt nehme er regelm ässig durch, wenn auch in etw as anderer, als in der von H u p e angegebenen W eise, er sei auch nie um die Anknüpfung hierfür in Verlegenheit gewesen.

A u g . S c h m i d t (W iesbaden): Ich m öchte zunächst die mehrfach anderw ärts und auch heute hier laut gewordene B efürchtung ent­

kräften, als ob durch Annahme meiner Thesen d er Hochschule etw as vorweg genommen würde, was ihr gehört. W ir können an den M ittel­

schulen (Gymnasien, Realgymnasien, Oberreal­

schulen) ja nur die E l e m e n t e der darstellen­

den Geometrie lehren, auf denen dann die H ochschule ebenso w eiter baut, wie auf den Elem enten der reinen M athem atik. Dass aber diese Elem ente vorher festgelegt werden, ist für die künftigen B esucher der Hochschule geradezu eine N otw endigkeit. A lle, welche ohne eine solche V orbereitung in die Vor­

lesungen über darstellende Geometrie kommen, stehen dieser Disziplin lange Zeit ratlos gegen­

über und verlieren viel kostbare Zeit, manche kommen aus dieser R atlosigkeit überhaupt nicht heraus und zeichnen mechanisch.

Nun w ird man ein wenden: „Unsere höheren L ehranstalten sind aber doch nicht nu r Vor­

b ereitungsanstalten für die T echniker“ ! Ganz gewiss nicht. A ber der U nterricht in der dar­

stellenden Geometrie kom m t nicht nur den Technikern, er kom m t a l l e n S c h ü l e r n ohne Ausnahme zu gut, weil diese Disziplin, wie keine zw eite m athem atische Disziplin, das R a u m - a n s c h a u u n g s v e r m ö g e n e n t w i c k e l t . Sie ist in dieser H insicht e i n e n o t w e n d i g e E r g ä n z u n g des sonstigen m athem atischen U n terrichts unserer neunklassigen Schule. Dieser ei'streckt sich fast ausschliesslich über die ebene G eometrie und wo er einmal zum Raume über­

geht, wie in der Stereom etrie und in der sphä­

rischen T rigonom etrie, da wird die Rauman­

schauung durch arithm etische Rechnungen in den H intergrund gestellt. Die darstellende Geom etrie dagegen zw ingt den Schüler unab­

lässig aus ebenen Gebilden die .Raumgebilde und aus Raumgebilden ebene Gebilde herzuleiten.

Das aber ist von der grössten W ichtigkeit, denn das Leben fordert durchw eg in erster Linie das räumliche Denken und nicht das D enken in der Ebene heraus — eben w eil die

Dinge im dreifach ausgedehnten Raume und nicht in der Ebene existieren. Die Forderungen aller Zweige der N atu rw issen sch aften , der Medizin, sogar der R echtsw issenschaft und erst rech t die F orderungen der technischen und rein praktischen B erufsarten reden hier eine deutliche Sprache. K urz: Der U n terrich t in der darstellenden Geometrie erm öglicht dem m athem atischen U nterrichte die Lösung einer seiner H auptaufgaben, nämlich die E r z i e h u n g d e s D e n k e n s z u m r a s c h e n E r f a s s e n a l l e r r ä u m l i c h e n B e z i e h u n g e n d e r D i n g e z u e i n a n d e r .

Noch auf einen P u n k t m öchte ich Ih re A uf­

m erksam keit lenken. Man sieht in der W a h l­

freiheit des freien Zeichnens für die drei oberen Klassen häufig eine B eeinträchtigung der ästhe­

tischen Ausbildung der Jugend. Aber, meine Herren, ich denke, w er bis zur Obersekunda, das ist w ährend eines sechsjährigen U nterrichts w eder T alent noch L ust zum freien Zeichnen gezeigt hat, der w ird nach beiden R ichtungen hin auch in den letzten drei Klassen kein e w esentliche B esserung zeigen. E r w ird für L eh rer und M itschüler eine drückende unnütze L ast sein und bleibt besser weg. W er aber T alent besitzt und F reude am Zeichnen hat, der w ird die ihm durch die W ahlfreiheit ge- gebotene Gelegenheit zu seiner W eiterbildung gern ergreifen.

Auch m öchte ich noch darauf hin weisen, dass der Schönheitssinn in der darstellenden Geometrie nicht ungepflegt bleibt. Die saubere A usführung der K u rv e n , die m athem atische A bbildung zusam m engesetzter K örper von h ar­

monischen G rössenverhältnissen der Teile, end­

lich die W iedergabe der Licht- und S ch atten­

verhältnisse einzelner K örper und der Kombi­

nationen von K örpern üben Auge, H and und Schönheitssinn ohne Unterlass.

Darum b itte ich Sie, meinen Thesen zuzu­

stim m en; es ist meine Ueberzeugung, dass Sie dam it der harmonischen A usbildung unserer Jugend einen guten D ienst erweisen.

Provinzial-Schulrat K a i s e r (Cassel) möchte jedenfalls vor allen Beschlüssen w a rn e n , die eine Verm ehrung der Schülerbelastung zur Folge haben würden, schon je tz t kämen auf dem R eal­

gymnasium alles in allem 41 W ochenstunden heraus, innerhalb deren die Schule den Schüler j in A nspruch nimmt. Auch er b efürw ortet ent- i schieden eine angemessene B erücksichtigung der j darstellenden Geometrie im U nterricht, für die

! indessen zugleich auch der erforderliche P latz

I

dadurch zu schaffen sei, dass anderw ärts m ehr

I

entbehrliche P artien des U nterrichts eine ent- I sprechende K ürzung erfahren.

D o b r i n e r (F ran k fu rt a. M.) schliesst sich

| den A usführungen des H errn P rov.-Schulrats

| Dr. K a i s e r an, dass aus unseren Beschlüssen

(9)

1901. No. 4.

Di s k u s s i o n ü b e r d i e d a r s t e l l e n d e Ge o m e t r i e.

S. 73.

über die descriptive Geometrie keine neue Be­

lastung der Schüler — die schon jetzt, besonders an den R ealanstalten, m it einer überreichen Stundenzahl bedacht sind — erwachsen darf.

Auch den Vorschlag des H errn D irekto r Dr.

T h a e r , die für das fakultative Linearzeichnen bestim m ten Stunden dem neuen Lehrfache zu­

zuweisen, dürfte den gleichen Erw ägungen ent­

springen.

Deshalb ist es unabweisbar, dass m it der Aufnahme der descriptiven Geometrie eine Aende- i rung in der Behandlung der übrigen mathema- J tischen L ehrpensa verbunden wird. Es darf sich nur um eine r e i c h e r e A u s g e s t a l t u n g unseres Lehrplans nach der e in e n , bisher zu wenig gew ürdigten Seite handeln und um eine gleichzeitige E i n s c h r ä n k u n g der über Ge­

bühr bevorzugten R e c h e n ü b u n g e n . Die m eisten Problem e gestatten ja sowohl eine rechnerische (analytische) als eine konstruktive (graphische) Behandlung. — An der neuzeit­

lichen E ntw icklung derlngenieur-W issenschaften sehen w ir, dass die g r a p h i s c h e n M e t h o d e n in der Praxis immer m ehr A nw endung fanden.

Diesem Um stande muss die Schule R echnung tragen, wenn sie nicht hinter den Forderungen der Zeit Zurückbleiben soll.

C. H. M ü l l e r : Ich denke, es ist am besten, wenn w ir die F rage des darstellenden geome­

trischen U nterrichts zunächst allein für das h u - m a n i s t i s c h e Gymnasium abhandeln, wie schon durch die H erren H a m d o r f f und S c h o t t e n vorgeschlagen worden. D er E inw urf des H errn P i e t z k e r , dass der in meinem G utachten ge­

gebene L ehrstoff viel zu umfangreich sei, ist im allgemeinen zutreffend; ich bestehe aber durchaus nicht darauf, dass dieser Umfang adoptiert werde. An meiner A nstalt herrschen nicht ungünstige Verhältnisse, die drei M athe­

m atiker der einfachen A nstalt arbeiten von Sexta bis Prim a einander in die Hand, und so ist es m ö g l i c h , den angegebenen Stoff durch­

aus ohne U eberlastung ’ der Schüler, w i e b e ­ h ö r d l i c h f e s t g e s t e l l t i s t , zu bew ältigen.

Ich erw arte aber durchaus nicht, dass dieser selbe Stoff an anderen Orten ganz durchge­

arbeitet w ird , möchte vielmehr denjenigen Kollegen, die den ersten Versuch machen, raten, nur in der P r i m a des Gymnasiums die E le­

mente der o r t h o g o n a l e n P rojektion in d e m Umfange etwa, wie ich sie in meiner A bhandlung „über stereom etrische K onstruk­

tionen“ *) d argestellt habe, zu betreiben. E rst später w ird man sehen, dass K ö r p e r s c h n i t t e sehr leicht anzuschliessen sind, wobei die Be­

trachtung der K egelschnitte eine wesentliche B edeutung gewinnen wird. W ill man dann noch D urchdringungen und Schattenkonstruktionen

*) 1893. V erlag von A uffartli, F ra n k fu rt a. M.

oder gar Elem ente der Z en tra l-P ersp ek tiv e nehmen, so h a t das jed er m it sich selber ab­

zumachen ; als f e s t e n Vorschlag m öchte ich das letztere n i c h t aufnehmen. Dass aber j e t z t nach den W iesbadener und B raunschw eiger Be­

schlüssen etwas geschehen muss, das geht aus den G utachten hervor, die vor kurzem m it den

„V erhandlungen“ der Ju n i - Konferenz (Halle, Verlag der W aisen - Häuser. 1901) im D ruck erschienen sind. H ier sagt S l a b y S. 381:

„Die grössten Schw ierigkeiten h atten säm tliche hum anistische Gymnasiasten in den Zeichen- und Konstruktions'-Uebungen empfunden. Man­

gelnde R aum vorstellung und U ngeübtheit im zeichnerischen Ausdruck waren für die m eisten nu r schwer zu überwindende Hindernisse ge­

wesen. Noch im

6

. Sem ester (nach dem „Ma- them aticum “) h atten sie m it diesen Schw ierig­

keiten am meisten zu kämpfen und m ussten auf die K onstruktions-U ebungen den weitaus grössten Teil ihrer Zeit verwenden, um den A nforder­

ungen zu entsprechen und m it den übrigen Kommilitonen gleichen S chritt zu h alten .“ Meine H erren, wenn w ir nun den hum anistischen Gym­

nasien die technische Laufbahn offen halten wollen — denn das verdienen sie, wie ich als R ealschulabiturient, der ich seit 20 Jah ren am hum anistischen Gymnasium th ätig bin, sagen kann — dann müssen w ir an die o b l i g a t o ­ r i s c h e E inführung der P rojektionslehre her- angeken, und ich m öchte die These vorschlagen, d i e E l e m e n t e d e r d a r s t e l l e n d e n G e o ­ m e t r i e (Projektionslehre) s o l l e n o b l i g a ­ t o r i s c h i n d e n s t e r e o m e t r i s c h e n U n t e r r i c h t d e r P r i m a d e r h u m a n i s t i - s e h e n G y m n a s i e n e i n g e f 1 o c h t e n w e r ­ d e n . — Sie w eicht im Umfange von derjenigen des Kollegen A u g . S c h m i d t nicht unw esent­

lich ab und h at deswegen wohl Hoffnung au f Annahme.

D o b r i n e r : Ich bedauere, dass durch die eigen­

tüm liche Fassung der zur Abstim mung gebrachten A nträge die Versammlung dahin gelangt ist, die Einführung der darstellenden Geometrie a u f K osten des F r e i h a n d - Z e i c h n e n s , das w ahlfrei werden soll, zu fordern. W ir dürfen nicht in einen Fehler verfallen, gleich dem an Philologen häufig getadelten — dass w ir näm­

lich alles nu r von dem G esichtspunkte des M athem atikers ansehen. Das Freihandzeichnen verdient aus den m annigfachsten Gründen die i liebevollste Pflege an unseren Schulen. Man

| kann m it den Zeichenlehrern vielleicht darüber i rechten, ob nicht im A n f a n g s u n t e r r i c h t e

| d a s g e b u n d e n e Z e i c h n e n eine geeignetere

Einführung abgäbe. In den o b e r e n K l a s s e n

h at aber das Freihandzeichnen Aufgaben, die

das geom etrische Zeichnen zu lösen, völlig ausser

Stande ist. Das freie Zeichnen stellt doch die

einzige k ü n s t l e r i s c h e B ethätigung dar, zu

(10)

S. 74.

Un t e r r i c h t s b l ä t t e r.

Jahrg . VII. No. 4.

der w ir unsere Schüler anhalten, und die E r ­ z i e h u n g z u r K u n s t ist auch eine Forderung, die je tz t von allen Seiten an die Schule heran­

tritt. Auch müssen die N a t u r w i s s e n ­ s c h a f t l e r u nter uns verlangen, dass die F ertig k eit in der bildlichen W iedergabe dessen, was w ir m it freiem Auge oder durch das Mikroskop wahrnehmen, auf der Schule aus­

giebig gelehrt und geübt werde.

N i e s (M ainz): Die Einfügung der d ar­

stellenden Geometrie in den m athem atischen U nterricht der Oberklassen würde, w enigstens in den R ealanstalten, doch nur dort zu empfehlen sein, wo dieser in der Hand eines Lehrers liegt, der auch w irklich theoretisch und praktisch m it der darstellenden Geometrie v ertrau t ist. W irk ­ lich gute R esultate werden nur d o rt erzielt w erden, wo der betreffende L ehrer auch die T e c h n i k des geom etrischen Zeichnens voll­

kommen beherrscht und darum w ird an A nstalten, an denen der U nterricht in der M athem atik in Oberklassen älteren Lehrern, die weder seiner­

zeit im Gymnasium noch auf der Hochschule Gelegenheit zur A usbildung in der darstellenden Geometrie hatten, anv ertrau t ist, der U nterricht in der letzteren besser etw a vorhandenen jüngeren entsprechend vorgebildeten Lehrern anvertraut werden.

C. H. M ü l l e r : D er H err Kollege N i e s h a t mit R echt bem erkt, dass die Vorbildung der L ehrer für den B etrieb der Projektionslehre von einschneidender B edeutung sei, indem augen­

blicklich zu wenig ausgebildete A kadem iker vor­

handen seien. Schon in W iesbaden (1894) ist H e rr Kollege P r e s l e r in seinem V ortrage

„über die Ausbildung der M athem atiker im Z eichnen“ dieser F rage näher getreten. Damals w urden seine Vorschläge in der R e c k n a g e l - s e h e n These zusam m engefasst: „Den Studieren­

den der M athem atik ist auf allen U niversitäten G elegenheit zu geben, sich diejenigen K ennt­

nisse und F ertigkeiten anzueignen, welche zur E rlangung der Lehrbefähigung im Linearzeich­

nen, insbesondere in der darstellenden Geometrie erforderlich sind “. Und seit dieser Zeit ist manches besser geworden. Das bew eist die neue preussische Prüfungsordnung, welche die Elem ente der darstellenden Geometrie zulässt und die M öglichkeit g e w ä h rt, dass mehrere Sem ester an einer technischen Hochschule stu ­ d iert werden düi'fen. In grösseren und kleineren S tädten h a t der M athem atiker G elegenheit (an K unst- und Gewerbeschulen) sich in Theorie und Praxis der Projektionslehre einzuarbeiten, und diese A rbeit h at ihren reichen Lohn in der lebendigen N eugestaltung des stereom e­

trischen U nterrichts. H ier im Süden sind wir sogar ziemlich gu t gestellt. H ören Sie, was L a m p e in seinem G utachten (Verhandlungen der Juni-Konferenz S. 3S7) sag t: Man sieht,

j dass in den höheren Schulen Süddeutschlands, besonders in den R ealanstalten, die darstellende Geometrie als v e r b i n d l i c h e s Fach von Lehrern der M a t l i e m a t i k g elehrt wird. Bei j uns (im Norden) ist das Linear-Zeichnen und I dam it die Projektions-L ehre ein wahlfreies Fach und w ird dem Zeichenlehrer überlassen. Dieser ist aber zum eist garnicht im stande, das m athe-

! m atische V erständnis zu v erm itteln, weil er

; selber es g arnicht besitzt . . . . Soll hier eine Besserung beliebt werden, so muss dieser U nter­

rich t an den M a t h e m a t i k e r ü b erg eh en ; derselbe muss sich auch nicht für zu v o r n e h m halten, um sich die nötigen K enntnisse und zeichnerische G ew andtheit zu erw erben“. W ir in der preussischen Provinz Hessen - Nassau haben das Glück, in dem W iesbadener Real­

gymnasium, dessen A b iturient zu sein ich die Ehre h a b e , seit 50 Jahren eine Pflanzschule für den B etrieb der darstellenden Geometrie zu besitzen, und unsere A usstellung zeigt, dass auch anderswo R ealanstalten existieren, die unter der Leitung von Akadem ikern ausgezeichnete R esultate gezeitigt haben. Ich schliesse m it den W orten H a u c k s (vergl. G utachten aus den Verhandlungen der Juni-K onferenz S. 392):

Es dürfte vor allem als ein v e r h ä n g n i s v o l l e r F ehler zu bezeichnen sein, die darstellende Geo­

m etrie, diese ih rer N atu r nach durchaus m a t h e ­ m a t i s c h e D isziplin, dem Zeichenlehrer zu überweisen. Es ist dringend nötig, dass dieser U n terrich t kü nftig als verbindlich erk lä rt und nicht vom Zeichenlehrer, sondern vom M athe­

m atiker erteilt werde.

S c h o t t e n (Halle a. S.) m acht ebenfalls au f die Aeusserungen aufm erksam , die Prof.

H a u c k * ) auf der Juni-K onferenz über die E r­

teilung des U nterrichts durch Zeichenlehrer an den verschiedenen A nstalten gem acht habe. Die thatsächliche V oraussetzung dieser Aeusserungen, dass nämlich der U n terrich t in der darstellenden Geometrie in der M ehrzahl der Fälle vom Zeichenlehrer e rte ilt werde, sei seines W issens hinfällig. Unzutreffend sei jedenfalls die An­

nahme, dass der L eh rer der M athem atik häufig nicht in der Lage sei, diesen U n terricht zu über­

nehmen.

*) Die h ier gem einte A eusserung findet sieh in den V erhandlungen ü b e r F ra g e n des h öheren U nterrichts.

B erlin 6.—8. J u n i 1900, au f S. 110 u nd h a t folgenden W o rtla u t: „ lo h h abe in m einem G utachten ausgeführt, dass es ein F e h le r sei, wenn d er U n te rric h t in der darstellenden G eom etrie vom Z eichenlehrer e rte ilt w erde, e r m üsse vielm ehr vom m athem atischen L e h re r gegeben w erden. D am it soll selbstverständlich n ich t ein M iss­

trauensvotum gegen die Z eich en leh rer ausgesprochen w erden. Ic h muss im G egenteil m einen vollen R espekt diesem hochachtbaren S tan d e d a rü b e r bezeugen, dass e r einen U n te rric h t zu erteilen im stande w ar, den (bis dahin) d er m athem atische L e h re r zu erteilen n ic h t in d er L ag e war.

(Anm.

d er R edaktion.;

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