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Die Zukunft, 30. Dezember, Bd. 29.

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Berlin, den Zo.Dezember 1899.

H III Æ

Defilircour.

Walaeophron

undNeoterpehatten sichfürdieSylvesternachtmit einander verabredet. Das warmanchesJahrnunschonbeiihnen soSitte.Zwei einzelneLeute,erein leidlosalternder RentiermitbehaglichemAuskommen, sieeinMädchenin denDreißigen,daseinBischenmalte, einBischen schrieb und in einembescheideneWünscheerfüllendenBerufslebenmerkwürdigfrifch gebliebenwar:damochtemandieScheideftundedesJahres dochnicht gräm- lichzuHausvertrauern. Dielangen zwölfMonatehindurch sahensieein- anderseltenzersaßbeiseinen geliebtenBüchern,dieernacheigenerAngabe von einemuraltenHandwerksmannaltmodischeinbinden ließ,sie stand obenin derNationalgalerieanderStaffelei und kopirtemoderneFran- zosenoderschriebdaheimwildeSachenüber dieBefreiungderFrauen vonKnechtfchaftundSchmach. Fürdiesogenannte Geselligkeit,dievonder berlinischenArt,mitLachs, FiletoderRehriicken,süßerSpeiseund dreier- leiWeinen, hattenBeidenichts übrig.DieSylvefternachtaberverlebten sieimmergemeinsam;unddanngings stetsmunter zu,—nichtfo steifund auchnicht fo stacheligwie bei denAhnen,die 1800 aufderweimarischen Bühne gehadertundsicherstaufGoethes Geheißversöhntund derHerzogin Amaliegehuldigthatten.Manaßausführlicheralssonst, trankeinenguten Tropfen, rauschteüber dieErlebnisseundEindrücke derentschwindenden ZeitspanneernsteundheitereRedenausundbliebdann beieinemPvünsch- leinsitzen,bis derSylvefterlärmin derFerneverklang Diesmtahdaauf wohlweifenBeschlußweltlicherundgeistlicherBehördensogarein neues Jahrhundert begann, durfteesnichtanders sein.NurdieWahldesStell-

«dicheinortes machtediesmal besondere Schwierigkeiten«Philharmonie:zu 37

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geräuschvoll-parvenupolitanisch.Bristol:zu vielPlutokratieumdenelek- trisch erleuchtetenWeihnachtbaum. Dressel: ohne RudolfkeineHeimstätte fürMenschen.NacheinigemHinundHerhatten sie sichgeeinigt.Siewür- denbeiHilleressen,in einer derstillenHinterstuben,unddann ins»Ka- sino«pilgern...Kasino?DasFräulein,daskeineAltjungsernscheukannte, hattedenNamennochniegehört-;wohlirgendwasNeues ;jedeWochebescherte denBerlinern janeue SpeisehäuserundKaffeepaläste.HerrPalaeophron, der gern den Lebemannalter Schule markirte, lächeltehöchstverschmitzt,als dieFreundin ihnbeiPücklerundPommery danachfragte;ersagegarnichts:

siewerdeschonsehen.Siewar nicht ängstlich;denAnblick nackter Gemein- heitwürdederWohlerzogeneihrnichtzumuthenzundimUebrigen:Donner- wetter siesagte,wieFrauNoraHelmer,gern»Donnerwetter« man ist dochkeinKind,kennt das Leben undhat längstdie albernenDamenvor-

·

urtheileabgestreift.Erwar nichtRath erster Klasse,Generalmajoroder Contreadmiral, sie gehörtenichtzumdiplomatischenCorps;eine Verab- redung fürdenWeißenSaal warsolchenkleinen Leutenalso nicht möglich.

Warum nicht Kasino,daderkeuscheGalan esempfahl?

»SehenSie,« sagtedasFräulein, währendsie nachdemEssenin die Taubenstraßewanderten, »ichhängeanJhremArmundlassemichintiefer NachtvoneinemJunggesellenmitbeträchtlicherVergangenheitin einun- bekanntesLokalschleppen.DortwerdeichsogareineCigarette rauchen,eine Queen,alsduftiges ZeichenmeinerBurensympathie.Und dabei binich einanständigesMädchennndkönnte,wennichLust hätte,in denbesten Fa- milienverkehren.Daswäre inIhrer berühmtengutenaltenZeit dochnicht möglichgewesen.BekennenSiewenigstens, daßeseinFortschritt ist?«

»Ein·Fortschritt? Achnein. Siesind bohåme,liebeNeo,und würden,wennIhr jetzigerWandelbekanntwäre, sichernichtin diebesten Familien geladen.Odervielleichtdoch.SiesindjaKünstlerin.Dasheißt:

SiehabeneinpaarKopien gut verkauft. Schreiben außerdemfürJournale.

Danimmtmans nicht sogenau. AlsbilligerTafelaufsatzzuverwerthen.

Abernur bei kleinenGesellschaften;beigroßenmußesschoneinramponirter StaatssekretärodereinevoneinemKonsortium emittirteSchauspielerin sein;

allenfalls aucheinStückeschreiber,der dreimaldurchgefallen istundseitdem alsDichter servirtwird. Sonst!...Na, daßwirin einerEpoche lächer- lichster PruderieundekelhaftesterHeucheleileben,werdenselbstSienicht leugnen. Fortschritt!Derbestündedochhöchstensdarin, daßman früher fragte,wasEinerinnerlichbedeutet,währendman heutevorallenDingen

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Defilircour. 537 herauskriegen muß, welchenTiteler·hatundaufwelcheSteuerstufedie Deklaration ihn weist-·Und gar inSachenderZimperlichkeitlDenken Sie gefälligstmalandie Damen desDirectoire,an dieBeauharnaisunddie Dings...die Tallien oder,wenn dieIhnenzuexotischsind,andie Tita- nide,dieVulpius,Bettina,das ganzeHeerderStellabewunderinnen. Die wärendochnocheinhübschesStückchenweitergegangenals bisinsKasino.

Nein, imGegentheil:daßesschoneinefürchterlicheSacheundeinemu- thigeBravourleistung,derSiesichrühmen,sein soll,wenn Sie mit einem injedem SinnaltenFreundeeinGlas Weintrinkengehen,geradedarin seheicheinZeichenunsererverdrehtenZustände.«

»Erlauben Sie, würdigerGreis! DieDamen,dieIhre Anspielung trifft, gehörenzueiner anderenSorte. Ich meintenatürlichdieanständigen.«

»Ach,liebes Kind...DieseGrenzensind jain dergemeinenWirk- lichkeitgarnichtsofest,wieIhre Unschuldträumt!«

»Das istseben.Darin erkenneichdenSchwärmer fürs achtzehnte Jahrhundert DieseGrenzen sind sehr fest.Unddaßsie sehr fest sind, dankenwirunsererverfeinertenSittlichkeit, unserer höherenKultur, die denreinen MenschenundbesondersdasreineWeibmimosenhaftvorder Berührungmit dem Unreinen erschaudernläßt«

»So?...PassenSiemalauf-«

EingroßerSaal im StilhellenischerTempelbauten. WeißerMar- mor. Sehrhell. Viktorien,deneneineallzu spinatgrünePatan ange- tünchtist, halten goldeneSiegerkränzemitelektrischenLämpchen.Ein langer, recht behaglichaussehenderSchänktischAlles inunechtemMaterial;

aberwenigberlinischeGeschmacklosigkeit.Die Kellnerinschneeweißen,die Musikanten,derenFiedeln gedämpftklingt,inrothseidenenIackenDasGanze wirktangenehm, weltstädtischundärgertdasAuge dochnichtmit densonst üblichenbuntenBarockprotzereien.Nureine zum Erbarmen schlechteKai- serbüstefälltstörendauf.DaseigentlichInteressanteist hierdas Publikum.

IungeHerren,fehrsoignirt, englischeStiefel,Shlipse undWesten, mitihren Freundinnen,von denenmanchedie intimeBekanntschaftmit derSitten- polizei nicht verleugnen kann,kaumverleugnenwill. HoheHüte,viel Schmuck;und im UmkreiseinsüßlicherSchminkegeruch.Daneben korrekte Ehepaare,alleinoderinRudeln. Börse, Hausindustrieunternehmer,Fa- brikanten, HandelsleuteundTalentpächterjeglicherArt. Nichtdieerste, aberso ungefährdiezweiteQuadrille derhauptstädtischenKalbtänzer.Sie findhergekommen,umin derNähedasLasterzuriechen,dasmanierliche,

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gutgekleidete,parfumirte,dasnicht mehrimGeringstenstinkt.DieNach- barschaft bringtdenDamen einleises Frösteln,eineGänsehautzaberes kitzeltdochangenehm: somittendrin zusitzen.Ein Seitenblick schleichtin scheuerNeugierandenNebentisch,wogekichert,geschwatztundgeäugeltwird undeineHoldehinterdem RückenihresEintagsmannesdemschmuckeren Gefährtenheimlichzutrinkt.Dasalso istdieWelt,von derm aninguter Gesellschaftnicht spricht,die derOrgien... Sollten dieBewohnerinnen dieserWeltamEndeVerwechselungenfürchten?Essieht fast so aus; sonst würdensiedieGrimasseihres Beruses weniger deutlichzeigen.Ab und zu schlenkertEinedurchden ganzen Saalundwiegt sichdabeiin denHüften, als wolltesiedenVerdachtwegräumen,sie gehörezu denunnahbaren.

»Na?«DeralteHerrzwinkertebeinahe faunischvon derEstrade herunter. »Na, Miß Neo,wassagenSie zudieserherzigenVerbrüderung zweiersonst streng getrenntenWelten?«

,,VerbrüderungscheintmirnichtdasrichtigeWort. Zuerstwar ich jaetwasgenirt.Manwird ebendie albernenVorurtheile nicht so leichtlos;

und derAnblicksolcherGeschöpfeerregtmirimmerGrauen. EineMischung vonMitleid undFurcht. Jedesmal.Ia, reißenSiedieAugennur auf!

»

Auch Furcht.Manist dochdasProduktderVerhältnisse,desMilieus.

Siewissen,ichbinleidenschaftlicheDeterministin.Wennman einesTages nichtszuessengehabt hätte,vielleichteinKind zuernähren,dieErinnerung aneineheißeStunde ...!Ach,dasAlles ist sehr komplizirt.Undichglaube, vonsolchenGefühlensind auchdieFrauendaunten erfüllt.Wo Sienur Perversitätundungesunden Kitzelsehen,spüreicheine allerdingsinun- gewöhnlichenFormen auftretende Regung sozialenMitleids. Dasaber istmir eine dererfreulichstenAeußerungenunsererZeitstimmung. Mußman dieElendennicht erst kennen, eheman ihnenmitleidigeLiebeschenkt?«

»JGottbewahre!DiewachsendeErkenntnißverscheuchtja geradedas Mitleid.WarumsollichMenschenbemitleiden,vondenenichweiß:siewurden, wiesiewerdenmußten,und werdensichso auchweiterentwickeln ?-Ja,wenn ich«sieunter eineGlasglocke setzenunddadeterminiren könnte! Undselbst vonsolchemWunschsinddiehonettenDamen hierweitentfernt.Erinnern SiesichderEmpörung,alsneulichEineschamlosgenugwar,einKolleg überProstitutionzuhören?Kennen lernen! Dasfehlte ihnen.Würde übrigensauchschlechtzu demmimosenhaftenErschaudernstimmen.Sozialcs Mitleid! DasWortmagneumodischsein;aber dieSache!Siehaben doch sichervonRousseau,Mirabeau undderenAnhang gehört. Schwache Jn-

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Defilircour. 539 dividuenundGruppen habenebenGewissensbisse,fürchtenausderHöhe ihresGlückes den Neid derGötter,werdenzärtlichundzimperlich.Uralte Geschichte,diesichvon ZeitzuZeitinneuem Kostüm wiederholt,bei der abernochnie Etwasrausgekommen ist.«

DasFräuleinrührtenervösinihrem Eierpunschglas. Dann,als ersieheraussordernd ansah, stießsiedenUntersatz ärgerlichweg.»Lieber Freund,heute wenigstens solltenSiemichnichtmitParadoxen bewirthen.

GriesgramundGelbschnabel,HaberechtundNaseweis sind nicht mehrbei uns,wirsindälter undkühlergewordenund könnenals-verständigeLeute miteinander reden. WollenSiedanun imErnst behaupten undIhr Geplänkelzielt doch nach dieser Richtung—, daßwir in derfeierlichen Stunde desScheidensvoneinemJahrhundertunssagen müssen,die ge- steigerteArbeit einersolangenEpochehabenichts fürdieMenschheiterreicht?«

»Dawären wiralsobeimIahrhundertende! WissenSie, daßmir der ganzeZauber gräßlichist? Erstwar Jahre lang jede Eseleiundjede Unverschämtheitfin-de—Siizcle. Mir wurdeübel,wenn ichslas. Undnun istdieScheidestunde,diegroße,gekommen. Eigentlich ist sies noch nicht;

dennda dasersteSäkulum nichtneunundneunzigIahre hatte, müßtenwir unsnoch zwölfMonate gedulden.AberGeduld..heute..imDeutschen Reich!Meinetwegen;eineguteGelegenheitzuneuen Postkarten sür Sammler undzuiähnlichemRummel Ich habe nichts dagegen, daßEiner am WochenschlußdieRechnung machtoderseinen Geburtstag fürein höchstwichtigesDatum hält,woerdieBilanzeinesAbschnittes schließt.

Nursollten erwachseneLeute dieGeburtstagsfeiern nicht allzu ernstnehmen.

Bei uns ist jetztAllesAnlaßzu Trara und Bumbum KrankhafteSucht, Periodenzuschließenundneue zueröffnen,Entwickelungenzukonstatiren undweltgeschichtlicheEreignissezubetoasten.Und dannregelmäßigzusrüh;

siehe Tuberkulin, Nordostseekanal,zwanzigstesIahrhundert. Was heißt dennJahrhundert? Dadurch, daßwirvonmorgenan1900 schreiben,ist dochnichts geändert.DenGefallen,dieEtappenandieKalenderabschnitte zulegen, thutunsdieVorsehung nicht;oderdieNatur;oder wieIhrmo- dernerGeistdieMaschineriedaobensonstnennen mag.Die wartet. .

»Natürlich.Daßunsmorgen keineneueWeltausderSchachtelaus- gebaut wird, wissenwirBeide. Immerhinblicktman zurückUnd voraus.

Undichfinde,wir könnenmitstolzerGenugthuungzurück,mitfroherHofsnung vorwärts blicken,wirDeutschenbesonders.WollenSiedieAntwort umgehen?«

»Durchausnicht. IchbinjakeinHanswurst.Dermüßteich sein,

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umzuleugnen, daßManches geschehenist.Nurwill meinemaltmodischen Sinn nichteinleuchten,warum wirso furchtbar stolzsein sollen. Nichtein- maldiegroßenMännerseheich heute, aufdiesichdie Kleinen sonstgern waseinbilden. Dievorige Scheidestunde sah Bonaparte,einneuer politi- scherGedankewargeboren(vielleichtauchschonwiedervomKorsenerwürgt?), inDeutschlandsaßenGoetheundKantund... na,ichwillnichtinsAuf- zählenkommen.Heute?WissenSievielleichtEbenbürtige?«,

»UnterdenLebenden :«nein. AbergehörenBonaparte, Kant, Goethe etwanichtinsneunzehnteJahrhundert? Undmitihnenwars dochnicht aus. WirsahenEavour undBismarck Geschichtemachen,Moltkeder Strategie, VirchowundKochderMedizinneueBahnen weisen. AufKant folgtenHegel,Feuerbach,Schopenhauer,Nietzsche,aufGoethedieRomanti- ker,RealistenundNaturalisten. WelcheinWeginderMusikvonHahdnund Mozartbis zuWagnerundRichard Strauß,in derMalerei nochvon Cornelius unddenDüsseldorfernbis zu Boecklin und Stuck! Darwin hat unsgelebt, SpencerundHaeckelhabeninseinemSinne gewirktundso ist eineneue WeltanschauungentstandenundderEthikeineneue Grundlage geschaffenworden. DenkenSieandiegroßenBiologen, Mathematiker, Chemiker,Techniker,die unsdiesesJahrhundert gab.An dieFortschritte derGeschichtwissenschaftvonVoltaireundHerderüberRankebiszuTreitschke, BurckhardtundLamprecht.An dieVerbreiterungderSchicht,in dieBildung dringt.An diefabelhafteHebungallerVerkehrsmöglichkeiten,dieSteigerung des-Wohlstandes,dieNiederreißungderKlassenschrankenLiegtderalte,aus AsienstammendeGlaubenichtin denletztenZügen? Siegt nicht,imBunde mit derNatur,die Demokratie aufder ganzen Linie? WarenMänner wie Stuart Mill,wie DavidStraußundKarlMarxderMenschheitnicht Wohlthäter,RuferzuneuerGlückseligkeit,magmanimEinzelnenauch ihre Lehrebestreiten?Undichnannte nurein paar Nament«

. »HolenSieeinenAugenblickAthem,ma mie! Daswar jaeine ganzegedrängteUebersicht.Und dabeihabenSienoch Telephon, Fahrrad, billigesPorto,Bartbindeund andereErrungenschaftenvergessen.DieHaupt- sachesogar;wenigstens,wasichdafürhalte:dieGebur t der modernen Groß- industrie.Aberich möchteJhnen auf diesenWeg nicht folgen.Dassteht vielvollständigerin denschönenJahrhundertbüchern,von denenesjetzt wimmeltunddie alledenZweckhaben,zubeweisen,wie wir esnun so herr- lichweitgebracht. Daher habenSiewohl auchall die wundervollen Kapu- lirungen unvergleichbarerGrößen; KantundHegel:darüberhat sichschon

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Schopenhauer lustig gemacht,derletztedeutschePhilosoph fürdieWelt,an demichGeschmackfinde.Ortund Stundewären zurErörterungkosmischer Problemeübelgewählt;dereinfacheMenschenverstandaberfindethier leicht manches Beispiel. LassenSiemich,wieSie,inStichwörternreden. Mir scheint,daßdermehrfacherwähnte-HerrvonGoethenichtganzunklugwar,- alserschrieb,diesogenanntenZeitalterblieben einanderstetsgleichundseien, obihreWuth sichnun gegenHußoder gegen Sokrates wende,immer der alte ErzfeindderStarken,diesichgegensieftemmen.Erhats einBischenanders gesagtz thut nichts. In unseremZeitalter odermeinetwegenJahrhundert- seheichnun manchegute Leistung;aberichsehenicht, daßdieGlückssumme größergeworden ist. AufdenerstenBlick könnte mans freilichglauben;

die LeuteessenundtrinkenbesseralsvorhundertIahrenzundsovielegut gekleideteMenschen,wiehierin demeinenSaalsitzen, hättenSienoch1870 aufdemlangen Wegvom GroßenStern bis zuKranzler nicht getroffen.

Schautman abergenauerhin,dannentstehenüber dieSegnungen dieses berühmtenFortschrittesZweifel.WasheißtüberhauptFortschritt?DieKleine danebenIhnen sah ichneulichin einerOperettez siebildetemitdreiDutzen- den eiusdem farinae einenHaufen,dervordenAktschlüssenvomHinter- prospektbisandieRampemarschirte und-entschuldigenStel— dieBeine zeigte.Daswar dochsicherlichFortschritt; imponirthats mirnicht.Und eine ähnlicheEmpfindung habe ich oftbeiunserenheutigen Kulturparaden.Bis indiefünfzigerJahre hinein hattenwir bedeutendeFinder,dieaufdenver- schiedenstenGebietendieGrenzen unserer Erkenntnißerweiterten. Dann kamsachtdieHerrschaftderIndustrie herauf,die alleVerhältnisserevolu- tionirtezundseitdemhabenwirSpezialisten, Distributeure, Kolporteure, Regisseure,Importeureundso weiter,aber dasRiesengeschlechtscheintaus- gestorben. Manhatte entdeckt,daßdienützlichsteThätigkeitdesMenschendoch darinbesteht,Geld zu verdienen. Geldistbesserals eineAhnengalerieundgilt mehrals alleWeisheitundTapferkeitderolympischenGötter. Der Boden der Gesellschaftwurdeumgepflügtzund der WillezurMachtführtedenPflug- schar.DabeidieErweiterung Dessen,wasIhrmitaufgeblasenenBäckchen Oeffentlichkeitnennt. Die misera plebs, die, statt aufdenAcker,in die Fabriken getrieben wurde, mußtebessereKenntnisse mitbringen, schreiben undlesenkönnen undfürmanuelle Verrichtungen jeglicherArtfähig sein.

Aber derMann,denIhr lesen lehrtet,lasauch wirklich.Und was?Welche FehlerundDummheitendieRegirenden machen;wiedieMachtdasRecht beugt; für welcheInteressen KriegegeführtundHunderttausendegeschlachtet

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werden;wieanfechtbar draußennatürlichnur, nichtin derHeimathl

dasThun manches Kronenträgersist;undwelcheGenüsseden unter günstigerenSternen Geborenensichhieniedenbieten.Erlas, verglich,war zumMißtrauen gestimmtundwurdeunzufrieden.Dasisternoch,wird ermitjedem Tage mehr.Hatervonseinem Standpunktaus nichtRecht?

Erwird alsKanonenfutterundMaschinenrädchenverbrauchtundhat von Eurenglorreichen Kulturerrungenschaftengarnichts.Sieschütteln denKopr Ja,erfindet, daßernichtsdavonhat, daßernur Kulturdünger ist und auf seinemRücken dasSpielderMächtigengespieltwird.Zu ihm kommen Leute undslüsternoder brüllen:Warum DerundnichtDu? Er will sichnicht länger ausnützenlassen;ausbeuten nennt mans jetzt ja.Keiner willsichmehrausbeuten lassen; nichteinmal dieFrau,dieJahrtausende langgeduldigimJoch ging. Jeder undJede forderteineneigenenLöffel,ein separatesRecht auf SelbstbestimmungDasistderheutigeJammer.Und deshalb machtman sichallmählichandiegelben,braunenundschwarzenBrü- derundSchwestern·Die werdensichnocheinehübscheWeileausbeuten lassen.

Und die Natur scheintzulehren, daßesohne Ausbeutung nicht geht. Auf alsoin die weiteWelt,um neues arbeitwilliges Lastviehunter dieFuchtel zubringen!...Wollen wirKasfeetrinken?«

»soii:.UndwennAlleswahr wäre,wasSiesagen Sieglaubens selbstnicht—: bietet unsdieseBefreiungdesJndividuums, dieseVeredlung deseuropäischenMenschenbeiderleiGeschlechtesnicht geradeeinschönes Schauspiel? Jstesnichterhebend,zusehen,wie diebisherGeknechteten,die FrauundderArbeiter,unterOpfernumihrMenschenrechtkämperPDieser Kampf wirdundkannnicht mehr enden,bisderSieg erfochtenist.Das Ziel ist näher,alsSieglauben.Undwenn ein Volkfreier Jndividualitäten, derFesselnledig,ausunblutigerobertemBodensteht,wenndieZwingburgen undFrohnvestendesWahnes gefallensindundjedemsittlichempfindenden MenscheneinSonnenstrahlleuchtet,dann werdenSiesogar rufen: Esisteine Luft,zu leben !Einstweilenbleibtuns derTrostdesVorderfatzes:DieWissen- schaften,dieKünste blühn!Undnocheinanderer,denSieebenso wenig wegscheltenwerden: Das Reich, aucheinGeschenkdieses Jahrhunderts, steht aufrechtUndschicktsichan,alsWeltmachtdenPlatz einzunehmen,den dieBriten nicht mehr behauptenkönnen.SehenSieauch darin,indiesem Erbgange,keinZeicheneinerJahrhundertwende?« «

»Es ist tiefin derNacht,schöneTräumerin,undichbinnichtmehr jung genugfürdenEhrgeiz, aufdemHeimwegdieBäckerburschenzutreffen.Wir

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Defilircour. 543 werdenuns nicht einigen.UndanpolitischerProphetie habe ichnieFreude gehabt. SiesehendenbritischenLöwenschonin derHundehütteundhocham Weltenhimmel unseren Kaiseraar.Hieundda,sagtman, istesauch schon anders gekommen. UngefährheutevorhundertJahren drangindieDiplv- matenkanzleiendieKunde,Bonaparte habezuWeihnachtenseineWohnung in die Tuilerien verlegt.Weltwende! Dieses Säkulum, hießes,gehörtden SöhnenderGroßenRevolution! GesegneteMahlzeit.1815 wardie ganze Herrlichkeitvorbei mitunseren Verkehrsmittelnwürde esschnellergehen und Sie konntendasWeltreichNapoleonsmitderLaternesuchen.Dabeiwar dieserBonaparte docheinKerl. SindSie ganzsicher,daßBismarcksWerk nicht Episodebleibt? Ich nicht;aberich hütemichvordemProphezeien.

Ihre blühendenKünste! Gewißwerdenmehr Bilder, Verse,Statuen und Dramen gemachtalsfrüher.FabrikbettiebzbloßeFingerfertigkeit;Folgeder industriellenEntwickelung.Ein Unternehmer möchtewas drucken,aus- stellen, ausführen,vermiethen; ersucht auf seinerAdressenliste,welcherLiefe- rantdieSache wohlamBestenundBilligsten machenkönnte. Soentstehendie blühendenKünsteund dievielbändigenJubelliederauf das-Jahrhundert Liegt unsfeines KunstgefühlnichtvielferneralsdenLeutenvonanno dazumal?

UeberhauptfeineHumanitätundsichererGeschmack?SehenSiesichnur um. EinWeimaraner von1800hättezwischenLachlustund Ekelgeschwankt, wenn erindiesemRaum dieseGesellschafterblickthätte.Heutzutageaber istseinegesuchteSensation,in einemTalmitempelderNile mitechtenber- linischenProstituirtenundneugierigenEhesträflingenChampagnerzu trin- ken. EinenetteBarbarei. Unddie paarLeute,die denTanz nichtmit- machenwollenund zu alten Altärenzurückrufen,dieNietzsche,Tolstoi,Rus- kin,werdenals Reaktionäre undKulturmörder verhöhnt.Kultur! N i dieu nimait1«e,—unddabeifromm aufKommandoundmonarchischbis in die Knochen.Alles hohl, künstlich,faul;einprachtvollbemaltes Heuchelge- bäude,dasderersteSturm umwehen muß!«

,,Alles? Gewiß fehltderWeltanschauungderbreitenMassen noch dieEinheitlichkeit;der Monismus konntesichnicht so schnell durchsetzen, Gespenster spuken noch umher.Aber Alleshohl? Auchdasmonarchische Gefühl,das,vondemnationalen Gedankengetragen, somächtigerstarkt ist?

WofindenSiedennnoch Republikaner? Kaumin derSozialdemokratie Jeder fühlt,wasdergekrönteVertrauensmanneinesfreienVolkeswerthis..«

»So langeerihmdensicherstenSchutz für seinenGeldschrankliefert;

nichteine Sekunde länger.Alles unterminirt. HörenSienur dieWitze.

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544 DieZukunft-

EsiftwiemitderReligion; Proteftantismus undKonfiitutionismus habendieselbenErfolge aufzuweisen.Der alte Landesvater hatte, auchwenn seineHandhartwar,festenBoden unterdenFüßen. Jetzt:VonGottes Gnaden,Verfassung,Darwin undMarx:essiehtin denKöpfensobunt undwüftauswiehierimSaal; ganzAltesundAllerneueftes durchein- ander...Doch,liebesKind,genugvon diesem Kapitel.MitMephisto, meinemLiebling,möchteich sagen:Esist so schwer,denfalschenWegzu meiden..Sie GlücklicheglaubenanfreieVölkerundähnlicheChosen.

Siehaben ja nocheine Streckezulaufen.Warten Siesab!«

Neoterpe hattedenKampf aufgegeben.Das Jahrhundertwar ja dahin; sie empfandzumodern,umfürTote zufechten.Sieschlürftelang- samdenkaltenKaffeerest,nickte demnörgelndenFreundmit müdemSpott zu und deklamirte:

,,Andere schauen DeckendeFalten UeberdemAlten Traurigundscheu- Aberunsleuchtet FreundlicheTreue- Sehet:dasNeue Findetunsneu.«

AuseinemNeujahrsgedicht; auchvonIhremGoethe.KommenSie,Gries- grams würdigerSchutzpatron!«

DurchdieStraßeUnterdenLinden rolltennochdieWagenderHof- fähigen.SchutzleutebildetenSpalier. Verhallende Militärmusik;kam ein RegimentvoneinerMitternachtparadeoderwarzurBegrüßungdesneuen JahrhundertsdieGarnisonalarmirt worden? PalaeophronundNeoterpe schritten schweigenddahin.An derEharlottenstraßehemmteeindichter MenschenknäuelihrenWeg.Jnder MitteeineDroschke.DerFahrgaftim Streit mit einemschlankenPolizeilieutenant.Erbrauche nichtzu warten ; wasihndenn dieHofwagenangingen?Er wolle undmüssenachHause,so- fort.DasseidesSteuerzahlersMenschenrecht;undwennman ihnhindere, werdeerdieöffentlicheMeinung anrufen.

»Schnell!«sagtedasFräulein. »DieserAusbruchmännlichenBür- gertrotzes soll heutemeinletzterEindrucksein.WassagenSienun

»Ich?Derarme Teufel ist schwerbezechtundwirdsichmorgenfrüh aufderRevierwacheinschmerzlichemStaunen dieAugenreiben.«

Z

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DasneueJahrhundert. 445

Das neue Jahrhundert

Wer

Beginneinesneuen Jahrhunderts istimBölkerlebennur ineben dem Sinne einAbschnitt,wieesderGeburtstagoderdasNeujahr im LebendesEinzelmenschenist.Ein StückseelischerErhebung knüpftsich daran,vielleichtauch nochein guterVorsatz.OderdochnochEins: Esistdie Zeit,woderFußeinenAugenblickinnehält,eheerweiterschreitet,wodasAuge einenBlickzurückkvirftaufdie unmittelbare Vergangenheit,einenBlickdes Bedauerns undderWehmuth,und einenBlickhinaussendetin diedunkle Zukunft,einenBlick vollHoffnungodervollFurcht.

GlücklichdasKindunddasKindesalter,dasimmerNeues,Großes, SchönesvonderZukunfterwartet, vorAllemNeues,immer Neues. Bis heute sahdieWelt grauaus, morgen aber,morgen undimmerdar von morgenan, wirdderHimmelinbeständigemGoldglanzeerstrahlen. Solches Kinderhoffennennen wirthöricht.AbergiebtesnichtauchunterdenErwachsenen unseresVolkesMillionen,die dawähnen,daßinZukunftmitHilfe weniger ganz kleinersozialerVerschiebungendasTausendjährigeReichanbrechenwerde?

Dürfenwirihre Kreise störenundihneneingrausamesNeinund Nimmer- mehrentgegenhalten?Oderistesweiser, sichüberhauptnichtmitderFrage zuquälen:Was wirddieZukunft bringen?Dem, der dieZukunft nachder Zukunft fragt,wirdsiedie Antwortauf seineFrage schuldigbleiben. Fragen wiralsodieGegenwart nachderZukunft,genauwiewirunslängstgewöhnt haben,dieVergangenheit nachderGegenwartzufragen. Waswillinder Gegenwartwerden? Gelingtes, zu erkennen,wassichin derGegenwartan

wichtigenWandlungen vollzieht,dannistein EinblickindieZukunftundin dasneue Jahrhundertgewonnen.Handeltessichdochimwirthschaftlichen GeschehenumVorgänge,denengegenüberderEinzelwilledesMenscheneben so kraftlosistwie gegenübermächtigeNaturerscheinungen.

JnderVölkergeschichtegiebteskeinenStillstand. Völker, Stämme, RassenundArten entstehenundverschwinden.Am Baum derMenschheitist eseinewigesKnospen, Blühenund Verblättern. DaslehrtalleGeschichte, undwenn Demnicht sowäre,gäbeesüberhauptkeineGeschichte.Wenn aber Allesvergeht,wasüberdauert dann?

TiefinderBrustdesMenschenwohntderDrang nach Glück,und esgabeineZeit,daesalsdasvornehmsteJdealdessozialenDenkensgalt, dieMenschen glücklichundzufriedenzumachen.Daswar am Endedes vorigen Jahrhunderts-,dereigentlichenBrutzeitallersozialistischutopischen Träume. DieMenschen sollten freiwerden: freivomHerkommen, freivon Vorurtheilen, freivondenFesselnderKultur unddenSchranken,dieder Staat seinen Bürgernzieht,undgleichinpolitischen sozialer, wirthschaftlicher, geistigerundsittlicher Beziehung.

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die Häufung entarteter Theile wäre nichtalsNeubildung zu bezeichnen.Noch bunter als in der Aetiologie ists in der Therapie hergegangen; bald hieß es hippokratisch: Noli metangere,

aber es ist so mit Dir verbunden, arme Seele, wie es mit keiner anderen möglichist; hilf mir, Das, was mir vom Leben noch übrig bleibt, richtig verwenden, und ich will Dir auf

Lazarus citirt einen Ausspruch Euckens: ,,Sobald nicht mehr der hoch- gebildete und wohlhabende Athener, sondern der Mensch als Mensch den Maß- stab der Schöpfung gab, war die

die Europäisirung des Amerikaners im täglichenLeben. Wo ist da die Lieb- lingsoorstellung Washingtons geblieben, daß die Vereinigten Staaten die leuch- tende Hochburg der

wird nicht der Mensch, sondern gewissermaßen der Tod selbst vor seine eigene Vernichtung gestellt. Ein gelehrter Professor, Theologe,glaubt, den unum- stößlichen Beweis für

Auch die Berliner Packetsahrtgesellschaft, die ihre Pflichten immer lässiger erfüllt,leidet, wie esfcheint, unterTodesahnungen. Siedementirt zwar dieNachricht, daß sie am ersten

auf dieseWeise läßt sichfür Staat und Bauernstand ein Gleichgewichtszu- stand herstellen. Den Rittergütern aber ist, wenn sieerhalten bleiben sollen, schlechterdingsnicht anders

UnsereAnsichten sind eben alle naturgemäß verschieden, genau so wie keine Persönlichkeit der anderen gleichist. Jst es nun nicht eine Thorheit, zu sagen: dieser Baum ist falsch