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Die Zukunft, 29. Dezember, Bd. 33.

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Berlin. den 29.Dezember 1900Y

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Prozeß Sternberg.

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CeinstdunklerdieMenschenliebeAbend;der drittedenMenschengeborenvorderWiederkehrwordenderWeihnacht,sein soll.in derKein Weihnachtwetter;dasLichtspiegeltsichinPfützenundeingräulicherDunst steigtvondennassenStraßen auf, durchdiedichteSchaaren sichgeschäftigvor- wärtsschieben.Unddochsiehtman mehr vergnügteGesichteralssonstin der mürrischenSpreestadtzeinAufleuchtenderaltenJullust erhelltdenstern- losenAbend.Jeder trägt sicheineFreude heim,dieerVerwandten, Freun- den, Dienern amKrippentagebereiten will, Jeder fühlt sich,alsdenBe- scherer,heute froherundbesserals imhastigenDrangderAlltäglichkeitund stampft,imzufriedenenSinn dieWirkungdergewähltenGeschenkeerwä- gend,mitseinenPacketen durchdenWindunddassachteRegengetropf.Ists vondenHeilandswunderndaskleinste,daßderChristnachtNahen nachneun- zehn Jahrhunderten nochdieMenschen aufStunden wenigstens giitiger stimmt, siedesGebens Seligkeit wieder empfinden lehrtundaus harten HerzensogardieMitleidensfähigkeitvorlocktP..VomSüdwesten her,aus demHauptquartierderSchwarzen Kunst,kommenRufe näher,Männer, KnabenquetschensichdurchdasWagengewirrunddieFußgängerschaarund heisereStimmen schreien,vomBrummbaßbis zumschrillstenDiskant, auf unsein: »Das UrtheilimSternberg-Prozcß!«Niewardein bedrucktes BlattdenHändlerngierigerausderHand gerissen.AchtWochen fastwährt nun dieSpannung. DenMeistendauerten diePlaidoycrs schonzulange.

KeineprokuratorischenundadvokatorischenRedenmehr:denRichterspruch wollenwir! WieansestlicherTafeldieungeduldigeJugendmurrt: Keine Toaste mehr,—- wirwollenjetzttanzen! Endlichwar essoweit, endlich

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526 DieZukunft.

sittsamerEmpörungdasOpfer gefallen.KaumirgendwoeinAuge,dasnicht ingrimmigem Behagen heller glänzte,daesnun las: Sternberg muß zwei JahreimZuchthause sitzenundihm sind für fünf Jahredie bür- gerlichenEhrenrechteaberkannt. DasfeuchteBlattwird zwischendieWeih- nachtpacketegeschobenunddieZahldervergnügtenGesichterwächst.Der ,,Jude« deralsChrist geborenwurde—- mußalso wirklich»’rin«,wie esderSchutzmannStierstädterschonso lange gewünschthat. Christenund Juden, fromme Dualifienund allemMythos feindlicheMonisten finden einanderin demselbenGefühl.O Duselige...!EinMenschwirdausder FülledesGlücks,vonderHöhemoderner Macht herabin denGerichtssaal gezerrt, Wochen,MonatelangandenSchandpfahl genagelt und, nachdem jeder ekelfteWinkelseineswirrenSexuallebensvorallemVolkegrell beleuchtet ist,in denKäfig gesperrt,woereinDing,eine Nummer sein,mitgeschore- nemHaupt,ein mitdemBrandmal aus derMenschengemeinschaftVer- ftoßener,lebendigimGrabhausen wird, unddieZuschauer jauchzen, alsseieinNachtalbvonihrerBrust gelöst.Sindsieplötzlich,diesichsooft lächelndmitdemUnrechtabfandenunddieunsaubereHanddesRecht- brechers drückten,vonfanatischerLeidenschaftfürdieIdeederGerechtigkeit ergriffen worden, schwärmensie wieder,mitHegel,fürdieStrafeals Ne- gationderNegation,alsAsfirmationdesRechtes?Odersehensie,imSinn Beccarias,einen mitJubelzubegrüßendenAkterfolgreicherNothwehrda- rin, daßHerrAugustSternberg unschädlichgemacht ist?Jn finsterer Zeit dachteBossuet,derdochso strengwie derstrengsteKirchenvater sein konnte, mitleidig, so ofterzurHeiligenJungfraudenBlickhob,derUnglücklichen, die in den Kerkernseufzen,und in der WeltDoftoiewskijsundTolstois ist derVerbrecher,dendieStaatsgewaltineisernenKlammern hält, heutenoch derUnglückliche,nach dessenSchuldKeinermehr fragen,denKeiner mehr mitfeinemHaßpeitschendarf. Jn Westeuropa istdieMassenpshchegrau- samergeblieben.DasgiebtihrKraft, giebt ihrdieRücksichtlofigkeit,ohnedie derharteKampfmitdem Leben inSansaranichtzum Sieg führenkann.Wer WelthandelundWeltpolitiktreiben will, mußseinHerzgegen die den Eroberer- muth lähmendeNazarenermilde waffnen,sein OhrdemRufdesMitleidigen verschließen:Misereor Superturbaml Immer noch giltdasWort des BischofsvonMeaux,diePolitikJesu Christi stehezu der imReichderWelt- lichenherrschenden,in unüberbrückbaremGegensatz.Auchdieselige,Gnaden bringendeWeihnachtzeitkann über dieKluftkeine Brückeschlagen...»Zwei IahreZuchthauslDer Kerlhatsreichlichverdient!Schnell nochzuWertheim,

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Prozeß Sternberg. 527 ehegeschlossenwird!«UngefährimTonfalldesDons,derinfroherEr- regungseinerDamezuruft: »ZweiTote in der Quadrilla! Ich laufenur raschnochinsKaffeehaus,umdenBerichtüber die Corridazulesen.«Bei- denklingt,in Berlinwie inMadrid, schonleisesBedauern in dieFreude;

dasKampfspiel hattedieNerven einWeilchenausderSchlaffheit gereizt.

DochvielleichtstammtdiesmaldasWohlgefühlauseiner reineren Region. Leibnizsagtinseiner Theodicee:Il ya- une eertaine sorte de punitionsquin’apointpourbutl’amendement,ni1’exemple,ni meine lareparationdu mal. Cettejusticen’estfondee quedans Iaconvenanee quidemande une certaine satisfaetion pour1’expia.- tion d’unemauvaise action Cette justicepunitive quiestpro- prementvindieative ...esttoujour fondee dans un rapport de convenance quicontente non seulement1’oii’ense,maiseneore les sag-esquila-voyent, comme une bellemusiqueouune bonne ar- chitecture eontente lesespritsbienfaits. Dasmagessein:derästhe- tischeGenußan einemschönen,lautzumMassenempfindensprechenden Werk,eindurchdielange FurchtvordemMißlingennochgesteigerterGenuß.

Dawarein MannmitvielenMillionen dunklenUrsprungs,einMann,von demman seit Jahren munkelt,ersei, ohne daßihmdieWimper zuckte,über Leichenhinweggeschritten.AusGoldfädenhatereinNetz gesponnen, hinter demersichganzsicherwähnt,eindichtesMetallgewebe,dasden Armdes Rächers abwehren soll. Doch dieserArmiststark:erzerreißtmitkräftigem Ruck dasGespinnstundgreiftmit dem SünderdieHelfershelfer,derenun- geduldigeGier dieglitzerndenMaschengelockerthat.DieHybrisdesMillio- närsglaubte,Alles wagen zudürfen,Alleskaufenzu können. Einunvor- sichtigerSchritt wenigerund einRuchloferstandamZielseinesEhrgeizes.

NunhatihneinStreich gefällt,vondemersichniemehr erholenlann.Das Kameelging nicht durchdasNadelöhr,derReichekam nicht in den erträum- tenHimmeLDesSchauspiels Schluß tröstetedieArmen,die unter dem Christbaumnun sich selbstunddenNächstendiegutealteWeisheit auf- bauenkonnten, daßKeinerGottsammtdemMammon zu dienenvermag.

Daswar dochdieschönsteWeihnachtbescherung,dieman sichnurwünschen konnte. Ein Millionär kommtinsZuchthausund nocheinLichtam grünenBaumderHoffnung! vierungetreueBankhäuptlingefindaus der Sonne derGunstund derEhren hinter SchloßundRiegel gebracht.

DieMenschensind sehredelgeworden.DerSiegdesRechtes freut ihre Seele,wieguteMusikihr Ohr,feineBaukunst ihr Auge freut.Man

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528 Die·Zukunft-

hatte bisherdieZahlDererunterschätzt,die nur,weilihre Handzurein, ihreLebensaufsassungzuvornehmwar,nicht achtzehnMillionenzusammen- rafften.Jetzterst zähltman dieHäupterderHehrenzundsehet:dieZahl ist Legion.Das neueJahrhundert, dessenBeginndiesmalnichtderBundes- rath,sonderndieVernunftdekretirt, konntenichtherrlich-ereingeweihtwerden.

Baldwird derTiger friedlichneben dem Lämmleingrasen.

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I

UeberdenachtwöchigenProzeßwäre einganzes Buchzuschreiben.

Nicht etwa,weilserungeahnteUnsittlichkeitenenthüllthat-—schonvorhun- dertJahren hat Pierre Bayle,derdenSueton unddensPentateuch,die Kirchenväterund dieGeschichteKarlsdesNeunten kannte,denewigenVor-

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-wurfwachsenderUnzuchtverspottet—,sondern,weilerin dieverschiedensten Gebieteunserer staatlichenundgesellschaftlichenKultur erhellendeStrahlen sandte.Esistimmer wichtig,zuprüfen,wie eineGesellschaftgegen den- BruchderKonvention,diesieRechtsordnungnennt,reagirt.Und wirhaben merkwürdigeSymptomederZerriittung,derUnreife undFäulniß gesehen.

EinadeligerPolizeidirektor,derNeffeeinesMannes,dereinstKommun- deur desGardecorpswar, nimmtvoneinemunsauberen, mißachtetenSpe- kulantenDarlehenundGeschenkean,fördertheimlichmitseinerAutorität Leute,derenSchuldnererist,undschleichtfich schließlichschamhaft,viel- leichtvonderAngst-vorderEntdeckungnochunbekannter Fehltritte gejagt, ausdemLeben. EinKriminalkommissardrängtdenFreundeneinesschwe- rerDelikteAngeklagtenseine verbrecherischenDienste ausundbenutzt ihm untergebeneBeamtezuErmisttelungenimInteressederihn überreichlichbe- soldendenPartei. EinSchutzmann,derseinen persönlichenHaßgegen den Angeklagtennicht verbergen kann, unterhältmitBelastungzeuginnenregen Verkehr, versprichtihnen,sich,wenn fiebravbeiderWahrheitbleiben,später beiwohlthätigenAnstaltenfür siezuverwenden,undsättigtsichanden feistenLeibernzweierFrauenzimmer,«gegendieeramselbenTagin einer Kuppeleisacheamtlich vorzugehen hat. Jm BewußtseinsolcherThatenund imGefühleinerUnbestechlichkeit,die inPreußenbisher nichtalsbesonderes Verdienst galt, stelltervor GerichteinenVertheidiger barschzur Rede und verkündet,ohne Widerspruchzuwecken,nur diePolizei habedasRecht,Per- sonen,dieihr verdächtigsind, durch ihreehrenwerthenAgenten beobachten zulassen.Und überdiesenSchutzmannwirdvoneinemStaatsanwaltdas

nichtnur alssiilistischeLeistungerstaunliche Urtheil gefällt,ersei

»wieder-PhönixausderAschegestiegen«.DerselbeStaatsanwalt, dersich

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Prozeß Sternberg. 529 während-derBeweisausnahme geschicktundenergisch zeigte, hatte vorher zweibeimLandgericht zugelasseneRechtsanwälteschwerbeleidigt;die eine Beleidigung revozirteerglatt, fürdieandere,die denVorwurfderUnwahr- haftigkeit enthielt, verweigerteerGenugthuung,weil derVorwurf ,,nicht persönlichgemeint gewesensei«. Jn seinem Schlußvortragparodirteerdie Sprechweisedesabwesenden JustizrathesSello,"dieGeberden und diehohe StimmlageeinerAngeklagten.Alsergeendethatte,sagte sein Chef,erhabe inseinemLebenselten, vielleichtnie einglänzenderesPlaidoyer gehört.An diesesLobschloßsichdieBehauptung,dieStaatsanwaltschaft seidie»ob- jektivsteBehördeimStaat«,sie·sammlemitabsolut gleichemEiferdas ent- lastendeunddasbelastendeMaterial,eineAusnahme seidemOberstaats- anwalt dersichübrigenstaktvollbenahm niebekanntgewordenUnd die Stellung dieserBehördeseinach unserer Strafprozeßordnungauch nichtim Geringsten günstigerals diederVertheidigung Wirklich?..DieZuschauer blickten einander verwundertan.Wochenlang hatten siedensteten Verkehr zwischendemGerichtshofunddemStaatsanwalt gesehen,dieaus gleicher Höheso dicht zusammen sitzen, daßderforensischUnerfahrene siegarnicht unterscheidenkann.BaldhattederStaatsanwalt, dernicht ausstand,wenn erZeugenbefragteodersonstin dieVerhandlung eingriff, sichauf seinen Spazirgängenüber denStuhleinesRichters gebeugtund demAufhorchen- den EtwasinsOhr geflüstert,baldhattederihm benachbarteLandgerichts- rathden Vertreter der.Anklagein einleises Gesprächgezogen.Manchmal wareinRichter,derin einer anderen SachedieUntersuchungführte,in den Saal getreten und, nach kurzerVerständigungmitdemStaatsanwalt, zumVorsitzendengegangen. JedesmalwurdedieSitzungdannfürein paar Minuten unterbrochen;undmanwußteschon:jetztkommteinGeständniß, einegegenfrüherveränderteZeugenaussage.DieVertheidiger forderten EinblickindieUntersuchungalten,derenInhalt jagegenihrenKlienten verwerthetwerde;dieAnträgewurden abgelehnt,dieHauptzeuginund derHauptvertheidigerwährendderVerhandlungvordenUntersuchung-- richter gerufen,dersieStunden lang vernahm. Jeden Tagkonnteman er- warten,dieserRichterwerdeauchdenAngeklagtenrufenlassen,ihnviel-»

leichtin einemVorverfahrengegen dieKupplerin GreteFischer-als Zeu- genvernehmenunddurchdenHinweisaufdenMeineidparagraphenzum Geständnißoder·zuüberführendenRetizenzensbringen.Dasgeschahnicht;

immerhinwurde in for-oschondieFrage erörtert,obdieVertheidiger ihren Mandanten für unschuldighielten—.nächstensmüssensieinsolchemFallda-

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rübervielleichtalsvereideteZeugenaussagen undwelchesHonorarihnen Wißenfei.Der Untersuchungrichterverhörte,konfrontirteundprotokolirte; dasErgebnißfeinesBemühenslegteerdannsofortdemStaatsanwaltvor,der esnachBelieben imSchwurgerichtsfaalverwendenkonnte.DieVertheidiger erfuhrennicht,wiediesesErgebnißentstandenwar,durftendie Akten nicht sehen. Nach solchenVorgängenwar eswirklichrecht schwer,derAnsichtdes Oberstaatsanwaltesbeizustimmen.SelbftOttoMittelstaedt,derJahrzehnte langeingefürchteterStaatsanwalt war,hat,alserin derMaskedesNu- merius NegidiusdieProkuraturgegenheftigeAngrifseinSchutz nahm, nicht behauptet,dieStellung dieserBehördeseinicht günstigeralsdie der Vertheidigung;erhatsogardenWunschangedeutet,»eineReformdesStraf- rechtsingroßemStil«mögedie ausFrankreichstammende Einrichtungbe- seitigen.DenVertheidigernwurdegesagt,ihre »mehroderminderseierlichen Erklärungen-«machtennichtdenmindestenEindruck,denSachverständigen, siehätten,,dasVergnügen,hierWochenlangsitzenzudürfen,derVertheidigung zu dankenundschließlichwurdederJuftizrathSello,derbisheralseinbeson- derswürdigerVertreterseinesStandes galt, derBegünstigungverdächtigtund vomVertheidigertifchweggetrieben,weilseineAussagevonder desKriminal- kommissarsThielabwich,derfichfrüher-HerrnLuppadringendzurBestechung empfohlenundsichjetztdesschwerstenVerbrechensim Amtschuldigbekannt hatte.So wurdedemAngeklagtenderVertheidigergenommen, derihmder werthvollsteschien.DochschlimmeralsdieseSymptome,diezeigten,wieun- sicherdieBestimmungderdenanderRechtsprechungMitwirkenden gezogenen Grenzen nochimmerist,war derAnblick,den dieBeweisaufnahme täg- lichbot;aneinemSchulbeispiel sahman da, daßeszwischenMenschen,die demselbenVolkangehören,dieselbeSprachesprechen,demselben Gesetz unterthan sind,keineMöglichkeitderVerständigunggiebt.Die ingetrenn- tenKaftenbezirkenWohnendenkönnennichtzu einanderkommen. Daser- klärt diemeisten Konflikte,erklärtauchdieharten Worte,dievomGerichts- tischaufdenAngeklagtenherniederprasselten.JnLändern miteinheitlicher KulturhatderBeschuldigte,haben seineVertheidigereinenbesserenStand.

Jsteswirklichnöthig,einemMenschen,dermitletzterKraftumseinLeben kämpft,jedes Zufallswörtchen,dasernichtganzvorsichtigwählte,sodick anzukreiden,einenWehrlosen barschzuschelten?DieAusgabe,dieunsere StrafprozeßordnungdemVorsitzendenstellt,iftkaum zubewältigenund es muß füreinenvondieserBürdeBedrücktensehr schwersein,immerruhig zu bleiben. Unddoch darfergeradegegendieseschwerstePflichtniemals

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Prozeß Sternberg. 531

fehlen; nie,unterkeinenUmständen,darfer, der imGerichtssaalallmächtig ist,demwaffenlos, hiflos, schutzlosvorihm Stehenden billigeNachsichtver- sagen.EinalterRichter,dersichJustusClemens nannte,hateinmalge- schrieben, »derVorsitzendeerscheinebeiuns äußerlichnichtals Unparteiischer, sondernalsMitkämpferdesAnklägers.«Umso forgsamer müßteauf diesemPlatz jedesWortvermiedenwerden,dasdemAffektentstammt.Der Mensch,der denMenschenrichtet,soll—schonShekidanhatandiesePflicht erinnert selbstimZürnenstets mild undfreundlichbleiben.

DerSatiriker,der demMinisterium Pitt founbequemwar,riefeinstim Parlament: Legal guiltmust beestablished by legal proof. Die ReichsstrafprozeßordnunghütetsichvordemdunklenBegriffeines»gesetz- lichenBeweises«; sie sagt: »UeberdasErgebnißderBeweisaufnahmeent- scheidetdasGericht nach seiner freien,ausdemInbegriffderVerhandlung gefchöpftenUeberzeugung«.Jm ProzeßSternberg hatdieBeweisauf- nahmeeinen ganzungewöhnlichenUmfang erreicht.Währendunsereüberbür- derenRichter sonstmit derZeit geizen,wurden hier Tage langZeugenver- hört,dienurandererZeugen Glaubwürdigkeitstützenodererschütternsollten; Zeitungartikel,die mitdemBeweisthemanichts zuthunhatten, wurden verlesenundumständlichkritisirt;anonymeBriefe führtenzuneuen Vor- ladungenz oftkonnteman glauben, nicht SternbergundGenossen, son- dernderenBertheidiger säßenaufderAnklagebank;Hintertreppenklatschund Kleinbürgersentimentalitätnahmen nicht seltenlangeStunden inAnspruch; ernsthafteLeuteprüften ernsthaftdieFrage,ob einRechtsanwalt wirklich denaberwitzigenPlanausgeheckthabe,bei einemStrafsenatdesReichsge- richtseinenBestechungversuchzumachen;FriedaWoydawurdemindestens fünfzigmalermahnt, ihre entlastendeAussage zurückzunehmen,,,derWahr- heit dieEhrezugeben«,,,andietoteMutter zudenken«;unddie,,Geständ- nisse«derDirnen,die ebennochfrech gelogenundsichinihrerganzenHalt- ungalshybride Geschöpfegezeigt hatten,wurden alslöblicheRegungen einernach LäuterungstrebendenNatur ohneBedenkenhingenommen.Alle Sachverständigen,alteundneue,erwähnendieUnwahrhaftigkeitals einen wichtigenWesensngderProstituirten.DersanftmüthigeParent-Ducha- teletsagt: »DerHangzurLügeistbei denDirnen allgemeinverbreitet;bis zum BeweisdesGegentheils mußman ihre Angabenimmerfür unwahr halten; sie lügen oft ohne jedenGrundundZweck«.Carlier: »Berlogenheit isteinBerufsmerkmal derProstituirten.«Lombroso:,,DieseFrauenzimmer habeneineunwiderstehlicheNeigungzurLügeundkommen,inihrer steten

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Furchtvorirgendeinersie schreckendenAutorität, endlich dahin,in den kleinstenwiein dengrößtenDingen unwahrzusein.« Tarnowskij: »Eine mitunter ganzgrundlose,reinkrankhafteVerlogenheit isteinGrundfehler dermeistenProstituirtenzdeshalbglaubten schondie Römer weder demWort nochdem EidsolcherZeuginnen.«Die berlinerRichterwaren andererMei- nung: ihr Urtheil beruht aufdenAussagenzweierStraßendirnennieder- stenRanges. Dashatten Sternbergs Vertheidiger gefürchtet;sie sagten sich:Diese schonvonNaturunzuverlässigen,haltlosenMädchenwerden,weil siehoffen, sichbei der überihrem Geschickwie einemystischeMacht thronen- denPolizei dadurchbeliebt zumachen, ohne GewissensbedenkendenAnge- klagtenbelasten,werdenwenigstens,umden Millionär zukirren,zunächst

»gegenihn aussagenund dannwarten,bisfürihrZeugnißeinannehmbarer Preis gebotenwird.DeshalbsolltenDetektivesundAgentinnendasVor- leben der zurBelastung asufgebotenenDirnen, KupplerinnenundAbsteige- quartierwirthinnendurchschnüfseln,derenkleine undgroßeSünden vorder HauptverhandlungansLichtziehenundsodasganzeGesindelalsunglaub- würdigausdemWegeräumen.DerMüheblieb derErfolg versagt.DasReich derProstitutionistdemGraukopfin derRichterrobeeineallzu fremdeWelt.

Als eine derzugänglichenJungfrauen behauptete, sie habedenNameneines Herrn,derösterszuihr kam, nicht gekannt,wurdederVorsitzendeärgerlich.

»Sie scheinendenGerichtshof für grenzenlos leichtgläubigzuhalten.Sie sagendochselbst,derHerrseimehralseinmalgekommenl»Ach,HerrPräsident, mich besuchensovieleFreunde!«»Aberdie NamenmüssenSiedochwissen!«

AndereMädchenwurdenandiegöttlicheWeltordnungerinnertundaufge- fordert,insichzugehenundihr »besseresSelbst« sprechenzulassen. Folgte solcherErmahnungeinebelastende Aussage,dannhattendieRichtergewiß dasguteBewußtsein,eine verirrteMenschenseeleaufdenPfadzum-Heilge- leitet zuhaben. DasDirnlein abersaßfünfMinutendanachnebeneiner FreundinundkichertemitnochverweintenAugenüberirgendeineZoten- geschichte.Wiesolleinehrbarer BürgersichinsolcherpsychopathischenWirrniß zurechtfindenPDaisteinMann,demdiewidrigsten Sexualverirrungen nachgewiesenunddessenFreundebei denVersuchen ertapptwordensind, Zeugenzubeeinflussenoderdirekt zubestechen,diedann erst durchwarnende oderdrohendeRedezum Geständnißgebrachtwerdenkonnten.FriedaWoyda bleibtzwar beimWiderruf ihrer belastenden Aussage, dochdenRichtern drängt sichderAnalogieschlußauf, auchdeleinde seiGeldgegebenoder versprochenworden.DasGerichtentscheidetnachseinerfreienUeberzeugung,

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erklärt dieAusfagenderWoydaund derFischerfiir falsch,die derCallies undderSchnörwangefür wahrundschicktdenAngeklagteninsZuchthaus.

Mancher hat sich selbstwohldieFrage gestellt,ob derBeweisaus- reichend,derAngeklagtenicht geradein denFällen,dieihninsZuchthaus bringen, unschuldigwar. AmEndehatdieWoyda dochin dererstenVer- handlung,umSternbergs Börsezulockern,gelogen,in derzweitendieWahr- heit gesagt;amEndewarderBrief,der demGerichtshofdasBekenntniß einerreuigenSeeleschien,wirklichnureinErpressungversuchderdickenFischer.

AufGrundsolcherZeugnifseZuchthausstrafe?..Dochdie Bedenkenwährten nichtlange. »DerKerlhatsreichlichverdient !«Wennnichtjetzt,sodochfrüher;

wennnichtdurchgeschlechtliche,sodochdurchgeschäftlicheSünden.Undlauter alsjedesandereGefühlregte sichdieFreudeüber dieNiederlageMammons.

ZweiPolizeibeamtekonnten derVersuchungnicht widerstehen.Aber dieMög- lichkeitsolchertraurigen Vorgängefoll,wie derEiferderOffiziösenmeldet, schnellundfürimmerbeseitigtwerden.UndschließlichistderStaatskörperja gesundundJeder mußnun merken,daßmanmitGeldnochnichtAlleser- reichenkann. DerMillionärwurdegehaßt,dieVernichtungdes Millionärs wirdbejubelt. Gierig hattederHaufe sichanihngedrängt,feinTheilchen desgüldenenHorteszu erbeuten gehofft. AllehabendengroßenTrügerbe- trogen.SeineDetektives habenihnmit albernem Geklätschbedient, seine Dirnen waren widerihnzumErpresserwerkverbündet,derbestocheneKri- minalkommissargab für schweresGeldwerthloseAuskunfte. Fast hätteder Mann,denseinProzeßvieleHunderttausendekostet,ohneVertheidiger auf derAnklagebankgesessen.Eswar dieTragikomoediedes Millionärs. Und jetztzeigtsich,daßdieZatherer Legionist,die nur, weilihre-Handzurein, ihreLebensaufsassungzuvornehmwar,nichtachtzehnMillionenerwarben.

Il- Di-

Il-

ZwischenWeihnachtenundNeujahr gehtesobenstetseinBischen lebhaftzu.GroßreinmachenundInventur. ZweiPutten,diesichschonaufs Baumplündernfreuen, begegnen einandervoreinerWolkenspalte.

»Was istdenninDeutschlandwieder los?EinFest?«

»Nein.EinProzeß.«

»EinsvonBeidenmußteessein. Aber weshalbder Lärm P«

»Eswaren sounsittlicheSachen. Nichts fürKinder. Unddochvon Kindern. Keinerhatte sowas für möglichgehalten.«

»SindDiejetztso tugendhaft

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»Undder Sünderwar einfurchtbar reicherMann und den Leuten verhaßt,weilernicht nachderevangelischenLehregelebthatte.«

,,SindDiejetztso fromm?« «

,,Müssenwohl. Jch hatteuntenzuthun.Ueberallwar davondie Rede und meinHerzfreute sichderWorte,die meinOhr vernahm.Wie das WaltenderVorsehungsichoffenbart habe.WiewenigeinSchatz,denRost undMottenfressen,demHeilderSeelezuträglichsei.Wienothwendigdie strengsteStrafewar. DieMenschensindimGrundedochvielbesser,als wirhierobenglauben,weil zuseltenEinerin denHimmelkommt. Der Herrhatfreilichganzsonderbar gelächelt,alsichmitmeinemBerichtvor ihn hintrat,und danndenMichael rufen lassen.Aberichdenkedoch..

VomOlhmpkamauf seinemWagen Plutus hergejagt.Erwarfdem KnabendieZügelzu,lachteimhellstenTenorundrief, währenderabstieg:

»NunwirdsichgleicheinGräulichstesereignen;

HarinäckigwirdesWeltundNachweltleugnen:

Duschreibestreulichin DeinProtokolll DerGoethe,dermichsoredenließ,warnichtganzdumm.Daswäre wasfür ihn gewesen.DieHeuchlerhatteerseinLebenlang besondersgern.

WißtIhrs schon,Kinder? Jm deutschenLandhaben siemichentthront.Die GottheitdesReichthumswirdnichtmehranerkannt. KalokagathielUnge- heureHaussein edlenGefühlen.Meldetmich rasch,damitichberichtenkann, wieauchichnun vom Nazarener besiegtund ausdemErbe vertriebenbin.

MerktEuchdasDatum. Esist keineKleinigkeit.Ebennoch hießes,anallen Altären werde zu mirgebetet,dasReich,dieMachtund dieHerrlichkeitseien mein,dieZeitendesgoldenenJudenkalbes übertroffen.NunistAllesaus.

Denkt dran: 1900 wars,imDezember...Undwenn ichEuchnachhernicht mehrsehensollte:Profit Neujahr, Jhr gläubigenKinder !«

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Sonderbare Erwerb-Ismeng 535

Sonderbare Erwerbszweige.

Mc

ErwerbssinndesMenschentreibtoftsonderbare Blüthen.Seine normale BefriedigungerlangterdurchdieAusübungeines der allbe- kanntenherkömmlichenBerufe,wobeiesfreilich schonVarianten genuggiebt unddieThätigkeitbaldmehrersinderischundspekulativausfällt,baldmehr

anderRoutine klebt;danebengiebtesaberauchErwerbsgattungen,die mehrimVerborgenengedeihenunddahernurWissendenzugänglichsindoder sonstetwas Apartesansichhaben, seiesdurchdieNeuheitdesObjektes, dieArtdesBetriebes odersonstwas immer. Siesind ofteindeutlicher Beweisdafür,wieersinderischderErwerbstrieb macht,unddieMenschen, diesieausüben,gleichenhäufigdenPflanzen,die dasunscheinbarsteFleckchen Erde, die dünneSchicht aufeinemFelsenvorsprungausnützemumWurzeln zuschlagenunddort NahrungundExistenzzusuchen.Wir sehendabei aberauch, welchenweitenSpielraumin derErwerbswirthschaftdieSpekulation einnimmt,diewahrlich nichtblosimgroßen Geschäftslebenzusinden ist;

auch armsälige,kümmerliche,mittellose Individuen habenihreGedanken und stellenihre Beobachtungenan,woeinbesonderer Verdienst herauszuschlagen ist,woman erntenkann,ohnevielgesätzuhaben.

Paris,diegroßeWeltstadtmitdemvielen Glanzund demvielen Elend,giebteinenvortrefflichenStoff für solcheBetrachtungenüber Seiten- wege undNebenpfadeab, die dermenschlicheErwerbstrieb einschlägt.Es ist daher auch nicht auffällig, daß sichhäusigschon französischeAutoren mit derSchilderung solcher EigenthümlichkeitendesErwerbslebens beschäftigt haben. NochKeinemaberwar esvergönnt,sieauchnur einigermaßener- schöpfendzuerfassen. VielleichtsindeinigeMittheilungenüberAelteres undNeues ausdereinschlägigenLiteratur vonallgemeineremInteresse.

Eineehrenvolle ErwähnungsolldabeizunächstPrivat d’Anglemont sinden. Privatwar einSchriftstellerundJournalist,derEndederfünfziger JahreinParisstarb; inihm stecktevielvoneinemBohemienundmit dem DrangeeinessolchennachNeuemund Ueberraschendemdurchwanderteund durchforfchteerParisbisindieentlegenstenWinkel. VonseinenArbeiten, diemeistFrüchtedieser pariser Streifzügesind, gehörtvornehmlichdiehierher, die den Titel»Lee-industries jnoonnues« trägt;sieschilderteineReihevon Persönlichkeitenmitmehroder minder anormalen Erwerbsverhältnissen.

Privatwar beiseinenDurchquerungenvonPariszu demAusspruch gelangt, daß,wenn man ihmsagte,inirgendeinerentfernten Straßelebe einMann davon,ausdenalten Monden Messergriffezumachen,eresglaubenwürde.

EinbemerkenswertherTypus isteineFrau,derenSchicksaleruns vorführt.

JhrMann,derKenntnissein derChemie besaß,hatte ihr einmal,alssie

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