• Nie Znaleziono Wyników

Die Zukunft, 9. Dezember, Bd. 29.

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Share "Die Zukunft, 9. Dezember, Bd. 29."

Copied!
46
0
0

Pełen tekst

(1)

J est .

,--

fo

(

s.

Z-:. «-’«-XII-Er s; «

Berlin, den 9.Dezember 1899«

h sjv IT

Als ichwiederkam ...

echs

Monate undeinenhalbenwar ich fort gewesen,verschickt,in die

« feuchteKaserne11derköniglichpreußischenFestung Weichselmünde eingesperrt.DieZeitwar mirrecht lang geworden.Und alsichnun, zu Fuß,um michdesAbendlebens zufreuen,vom Bahnhof Friedrichstraße kam,dablickteichneugierig nach rechtsundnach links,obsichnichtVieles veränderthabe.Ganzfrei, ohnediePflicht, sichbeimwachthabendenUnter- osfizierab- undanzumelden, sogarmit demMenschenrecht,bis in diespäte Nachthinein außerhalbdervier Wände zu bleiben: Herrgott,daließsichja dasAbenteuerlichsteunternehmen!Aber was ?...Essen, essen,wasman will,nicht,wasgeradein derKantine zuhabenist,undmünchenerBiervom Faßtrinken. DanndurchdieStraßen schlendern,ohne ängstlichallezehn Minuten nachderUhrsehenzumüssen;insHotelkamich frühgenugund derPortierkonntemichnichtwegenUrlaubsiiberschreitungderKomman- dantur melden. SeitJahrenwarichim«WeichbildederReichshauptstadt nichteinesolcheStreckegelaufen. Friedrich-, Leipziger-,Potsdamerstraße NichtvielNeues. IndenSchaufensternderBuchhandlungen lag nichtmehr derFuhrmannHenschel,sonderneinPrunksoliantvon Melchior Lechter undStesanGeorge,demneuestenEvangelistenderGanzmodernen.Die wippenden einsamen Mädchentrugen jetztetwasengereRöcke alseinstim Mai. Die üblichenWeihnachtausverkäufezubedeutend herabgesetzten Preisen,beiWertheimderalteschlimmeParvenupomp,derPotsdamerPlatz noch unpassirbareralsfrüher.Das ganzeStraßenbild wirrer, mehran London erinnernd. Unddie alteLustlosigkeitin denMienen;keinsichtbarcs, sühlbaresVolkstemperament,daseinheitlichwirkt und der Stadteine per-

28

(2)

402 DieZukunft.

sönlicheStimmung giebt. Ach...Berlin war nochimmerdie»schönste Stadt derWelt«,dieStadt desfürchterlichenStuckes,derPuppenalleeund der»monumentalenFassaden«.Allesmuß schreien,nichts darfdenEin- druck desstill organischGewordenen machen.VoreineRiesenschänkestellt man dasSteinbild desKaisersinAdmiralsuniform, Wurstfabrikantenver- packenihrefettigeWaareinbewimpeltePanzerkreuzerundhinterdenFenstern derSchneidergeschäftesiehtman auf ausgestopften Rossen wächserneReit- damendieKundenherbeiwinkcn. Alles,Alles wieeinst. SogardieBots- damerBrückestehtnochinihrer abscheulichenPracht,dieSaharet tanztim WintergartenundimOpernhauswirddieFledermaus ausgeführt.DieUeber- raschungenkamenerstspäter,inderGegenddesSavignyplatzes.Dort,onerr

vonPodbielski, derBringerdesKartenbricfes,alsOrganisatorvonVolksbe- lustigungendenerstenLorbergepflückthatte, isteine neneStadt entstanden.

StraßenundPlätzemitPrunkpalästenimmodernsten,schrecklichstenStil,ein neues,oorgeschobenesCentrum desberlinischenWestens.Woherkommennur alldieMietherfür diese»hochherrschaftlichenWohnungenmitelektrischemLicht, Centralheizung,BalkonundLoggia«?DieGeschäftegehen eben, derWohl- stand steigt,diereichgewordenen BewohnerderProoinzstädterücken im Ge- schwindmarschandieSpree. Daher auchdieZufriedenheitmit denpoliti- schenZuständen,dieAngstvoreinemIndustriekrach,derAlles ins Wanken brächte,die kaumnochderprofessoralen NachhilfebedürfendeMarinebe- geisterung.DieneueFlotte solldieerrafften Profitein densicherenHasen bringen.HabennichtschondieVerfasserdesKommunistischenManifestes vorausgesagt,diebourgeoiseGesellschaftwerde zu insichselbstzwecklosenAuf- wendungengezwungensein,umihreGewinnrate vordemSinken zuschützen?

Jetzt istessoweit.DieAusschwungsperiodemußunsumjeden Preis noch eineWeileerhaltenbleiben. DieRegirungmagruhig sein.Mit dem Strike- brecherschutzwar esnichts,aber denKanalund dieFlottewirdsiebekom- men; dennanKanal undFlottewirdaufJahre hinausingroßemStil verdientunddieZahlderLeute,die verdienen wollen,verdienenmüssen, bürgtfüreine zupatriotischenOpfernbereiteMehrheit.Esist docheinegute SacheumdenAnschauungunterricht.Dieneue hochherrschaftlichePalast- stadtlehrte michschnelldieWurzel derpolitischenZufriedenheit erkennen,die mirinmeinerWeichselmisereschwerverständlicherschienenwar. DerWohl- stand wächstin demWunderbau,dem derKaiser neulichdasReichverglich;

wozusichdenKopfüberDinge zerbrechen,diedochnichtzu ändernsind?

MitsolchenGedanken trat ichin einKoffeehaus.Die lieben alten

(3)

Alsichwiederkam ... 403

berlinerZeitungen, zehn,zwölf,ein ganzerStoß!-UndfrischausderMaschine, nicht erstmitvierundzwanzigstündigerVerspätung,die denfeinstenReiz sensationellerErfinderkünsteverblassenläßt.WelcheFülle nachlangemDar- ben! Damußteesjain klaren Lettern zulesensein,wiegutes unsgeht,wie weisewirregirtwerdenundwieherrlichweit wir esgebrachthaben.Alsich Abschiednahm,warderHaupttheilder Blättermitdem Dreyfuslärmgefüllt;

jetztliefertdersüdafrikanischeKriegdieTagessensation.MerciersSünder- rolleistaquhamberlainübergegangen.EineschönesittlicheEmpörungüber einVolk,dasdieSchmach auf sich lädt,um desBortheileswillenPolitik zu treiben.Aberplatonisch;wir wollen mitEngland,demHortdesLibera- lismus, guteBeziehungenunterhalten.Hates unsnichtebenerstdasSa- moagrüppchenüberlassen?Gefühledürfendie sorgsam ersonnenen Kreise staatsmännischerWeisheitnichtstören.Weiter...Staunend lasichdieLeit- artikel.Ein ganzfremder, seitBismarcksEntlassung,soschien«mirs,niever- nommener Ton. DawurdevondemChaos gesprochen,zu dem diedeutsche Politik geworden sei,undgesagt,wirständenimZeicheneiner Kabinets- regirung; sogarEtwasvonverhülltemAbsolutiscnuswurdegewispert.Es sei gefährlich,diePersondesMonarchenimmerindenVordergrundzu zerren. DerKanzler seizualt,nicht mehr thatkräftiggenug, dieRessorts arbeiteten gegen einander undso sei eineunerträglicheAnarchieentstanden, bei derenAnblick demBürger angstundbangwerde.DerschärfsteTadel, derschonunglosefteHohn.Staunend lasichs.Wiewarmir denn?Vor denGefahren,diehierverkündetwurden, hatteich ja seitJahrengewarnt undwardeshalbderEntstellung,derSchmähsuchtundallererdenklichen üblenEigenschaftengeziehenworden. Nunsollte plötzlichAllesanders sein;

selbstderwürdigeKanzler,dersonstalsvornehmer,nur vonbösenBuben bekrittelterPatriotvorgeführtwurde, trug jetztdieZügeeinesunzuverlässi- genHerrn.Ueberhaupt:keinVertrauen,zunehmende »Reichsverdrosscn- heit,«FurchtvorübereiltenEntschlüssen,JammerundNoth.Dasstandin liberalenZeitungen. Ichträumtewohlundwürdeerwachen,wennum halb sieben Uhr frühdieflinkeKantinenwirthinmit demKasseekam.

Ein Kcllner kam und batumdasBerliner-Tageblatt,dasverlangt werde. AcnNebentischkicherteeine dsckeBlondine,derenBegleiter sichdie AnnoncenseitederKreuzzeitungvorsGesicht hielt,einemunter bläulichen StirnschmissenhervoräugelndenCouleurstudentenzu. Ichträumte also nicht,warwirklichin.Berlin.Waswardenngeschehen,daßdiezweimaltäglich freiinsHausgelieferteösfentlicheMeinungsichsomerkwürdigveränderthatte?

28W

(4)

404

«

DieZukunft.

Eigentlichgarnichts.DerRespektvoreinerRegirung,die alleNieder- lagen gelassenhinnahmundimmerwiederaufAutoritätAnspruch machte, konnteja nichtgeradewachsen.Dasaberwardochnichts Neues; undfrüher hatteman solcheSchlappen verschwiegenoderinmoralischeSiege bescheide- nerSelbstüberwinderumgefälscht.DasBischen Oberhofmeistereikonnte esauch nichtsein; schonwurdeja abgewiegelt:derberliner Kommunal- verwaltung drohekeineGefahrundeines wundervollen Tageswerdeviel- leichtsogarHerrKirschner,wenn erfein fromm seiundsichnichteigensin- niggegen dasKirchhofsgitterftemme,bestätigtwerden.Die kamerunerSpeku- lationenderHerrenScharlachundSholto Douglas hatteim JunischonGraf ArnimimReichstagzurSprache gebrachtundNiemand hattedemOber- landesgerichtsrath,derunsere KolonialgeschäftebesorgtundWest-baldvon Ostafrikaunterscheidenwird,darob dasLebenerschwert.UndHerrSchwein- burg,derPrügelknabevonheute?DulieberGott: HerrSchweinburgge- hört seit manchemJahrzu denReichsinstitutionenzundwenn ermorgen geschlachtetwird,dann wirdübermorgeneinneuer Schweinburganseine Stelletreten,denHintertreppendienstunddenEnthusiasmusetwas unge- schickterbesorgenundvorläufignicht achtzigtausendMarknetto imJahrver- dienen. Unddoch: führtamEndenicht dieserNameaufeineSpur? Herr Schweinburg,derAllesmacht,giltals einverwendbaresWerkzeugdesFinanz- ministers.DerFinanzminister giltals derMann,der denBruchmit den Konservativen gemildertunddenSiegesngdesCentrumsgeh(mmt hat;

auch fürchtendieExportpolitiker,erwerdeaufdiekünftigenHandelsverträge einennach ihrerAnsichtunheilvollenEinflußüben. Ermußverdächtigt,un- möglichgemacht,beseitigtwerden. Dasgehtnicht soleicht,dennderSchlaue hatallerlei Eisenim Feuer. Deshalb mußmansichmitdemVersuchbegnügen, ihn nachundnachzuentwurzeln. Vorgestern mußtederFreiherr vonZedlitz dranglauben, übermorgenwirddieReiheanHerrnSchweinburg seinund schließlichwirdHerrvonMiquel einsamin den dunklenWinterhimmelragen, einschmählichentlaubterStamm. Diese langwierige, langweiligeArbeithat dieStimmung verdorben, nichtnur indenFraktionen undRedaktionen, nein:auchinMinisterienundReichsämtern.DerKundigemerktden gedruck- tenWehrufenan,daßmitunter einGeheimrathodereinnochhöhererManda- rinrechtoffenherzigmit einemZeitungschreibergeplauderthat.Alsoderalte KampfderBlauenundderRothen,deralteBruderzwistimHausedermehr oderminderfreiwilligoffiziösenPresse.Nichtsweiter. Wenn morgenHerrvon Miquel weggejagtwürde,wäreamnächstenTageAlles wieder inschönster

(5)

Alsichwiederkam ... 405

Ordnung; kein WortmehrvonReaktion, Kabinetsregirungundmangelndem Vertrauen. Die anderenWürdenträgersindjasämmtlichsotüchtig,so tapfer undtugendsam. BesondersdieauswärtigePolitik: dieseErfolge! Nochjetzt wieder,mitEngland.Wiegräßlichwäre esgewesen,wennsichgegenGroß- britannien eineeuropäischeKoalitiongebildethätte!DashatDeutschlands Weisheit verhindert. Ja, wennimInnern soklugundmuthig regirt würde, dannließesichsleben...Mirwurdeganzwirblig.WarichetwasechsJahre fort gewesen? DieseTönehatteich jaum pieSterbeftundedesCaprivis- musgehört.Oderwarsdamals gewesen,alsHerrStoeckerseine Scheiter- haufentaktikgegendenvonallen Seiten umzingeltenBismarck empfahl?

Damals warsErnst gewesen;aberheute?WoistderregirendeMann,dem beimScheidenverständigeDeutscheeineThräne nachweinen müßten?

AuchdieExcellenzenbrauchen sichnichtzubeunruhigen:Suntverba- etvoces. Wirleben nun einmalimZeitalterdergroßenGrimasse.Solange vielGeld verdient wird, gehtAllesseinen ruhigen Gang;dieschmerzliche Abrechnungkommterst später.Einstweilenwerdendiescheinbarsowilden politischenKämpfenur gespielt,wirdnur zumSpaßVaterland und Ver- fassung gerettet;undwenn irgendwoein Löwe überReaktion,Krypto- absolutismusundVerfassungbruchbrüllt, sollman immererst nachsehen, obnicht Zettel dahintersteckt,derWeber,derauf Verlangen auchdenLeun mimenkann. DieGeschäftegehenja,dieRegirung sorgt für gute Bilanzen,

undallesAndereist wirklichnicht wichtig.Um KanalundFlottewird noch einBischengebalgt werden,zumSchein,damitdieSacheeinAnsehen hatunddieLeser sich nichtgarzusehrlangweilen. ImGrunde aberist Alleslängstabgemacht.Dennandem KulturwerkundanderSeerüstung wirdriesigverdient;und derbejubelteHeldderDioslurenfirmaBlumen- thal8rKadelburg spricht auf deutschenBühnen allabendlichüberdiesePo- litik daserlösendeWort: »DasJeschäftisrichtig«

MitderStadtbahn zurück.Nochimmer werdenerwachseneLeute verhindert, nach demAbfahrtzeichenin denZugzuspringen. Nochimmer sindandenFensterwändenallerleiVorschriftenundWarnungen plakatirt.

DietrefflicheRegirung sorgt nichtnur für gute Bilanzen, sondern auch für dieSicherheitdesgehorsamenBürgers.Waswillman mehr?Nein: im preußischenDeutschenReich hat sich nichtsverändert.

W

(6)

406 DieZukunft.

Soziologische Geschichtauffassung.

Bald

heftiger,baldschwächertobt derKampfumdie»Geschichtaussassung«.

. EinEndeistnoch lange nicht abzusehen.WirdeinneuesSchlag- wort ausgegeben,dasaufeinerSeite denMuthderAngreifer hebt, so richten sichdiegiftigen PfeilederVertheidigerderaltenFestung so lange auf sie,bisihreReihen gelichtetsind.AlleAngriffe aufdie altefesteBurg heroistischerGeschichtauffassungnützenwenig.Denn sie hateinenmächtigen Verbündeten. Er haust tiefinderSeeledesDurchschnittsmenschen,des HerrnOmnes: es istderalteHangzumGötzendienst.Der Mensch ist

nämlicheinThier,dasGötzenanbetet, gleichviel,unter welcherGestalt.

Jstgar dieser GötzemitPurpur behangenundmitKroneundSzepter geziert, ach! dannistesdiehöchsteWonne diesesHerrnOmnes, auf dieKniezu fallen undanzubeten.Esmacht ihm Vergnügen;undweiles ihm Vergnügenmacht,wirdesimmerHistoriker-Bonzengeben,dieihm dieses Vergnügenbereitenwollen, zueigenemNutz undFrommen.

Leiderwaren dieBilderstürmer,diesolchesGebahren abschaffenwollten, bisherinihrenAngriffen nicht glücklich.DieAngriffewurden meistab- geschlagen. Marxens ,,materialistifcheGeschichtauffassung«war einsolcher Angriff. Danach sollte nichtderWillederHerren, sondernderHungerder MassendieTriebfederderGeschichtesein.Engels mußteseinem hartins GedrängegerathenenFreundzuHilfekommen. »Unsinn!«meinteer: »die materialistischeGeschichtauffassnngist keineswegseinelediglichdiemitth- schaftlichenTriebfedern berücksichtigende,denn sieberücksichtigtebensoalle geographischen,ethnischen,ja sogar ideologischenFaktoren; auchderEinfluß derJdeen läßtsichja nicht leugnenundspieltimGeschichtprozeßeineRolle.

UnddieBerücksichtigungalldieserFaktorenbeeinträchtigtdurchaus nichtdie materialistifcheGeschichtauffassung.«ObMarxdieSachenun so auffaßte odernicht:seineAnhängerveroollkommneten jedenfallsdieihm zugeschriebene

»materialistischeGeschichtauffassung«undmachten sienun gegen die Pfeile derGegneretwas fester.Sie zögerten nicht,die»materialistische«Trieb- federaller geschichtlichenEntwickelungals nichtblos,,wirthschaftliche«zu erklären,sonderndenBegriff materialistischindiesemFallaufallethat- sächlichund real wirkendeUrsachen auszudehnen. Daher auch allerhand Ideen,wie z. B.Glaube,Nationalität,Freiheitbedürfnißalsin derGeschichte konkretwirksamanzuerkennenund diese Anerkennungals mitdermateria-

(7)

Soziologische Geschichtauffassung. 407 listischenGeschichtauffassungkeineswegsunvereinbar,ja,nothwendigzuihr gehörenddarzustellen.

Aberdiese neueste allerdings sehrvervollkommnete undverfeinerte

materialistischeGeschichtausfassungübersiehtdieallermächtigsteTriebfeder alleshistorischenGeschehens,die immerundüberall denhistorischenProzeß inBewegungsetztunddiesehr wohlals dieHaupttriebfederbezeichnetwerden könnte, neben der allevorhin genannten Verursachungennur alsvonunter- geordneter Bedeutung erscheinen. JchmeinedieTriebfederdessozialen Antagonismus.

«

MagesderHunger sein,diewirthschaftlicheNoth,die eine Volks- masseantreibt,sichgünstigereSubsistenzbedingungenzuerkämpfen;mages religiöserFanatismus odernationaler Ehauvinisznussein,derdieMassen bewegtund siezupolitischenUnternehmungen aufstachelt: jedenfallsund immer sindsolche UnternehmungenundAktionen gerichtetvon deneinen Massengegenandere, seienesnun Nationen, Völker,Stämmeodersoziale Gruppen.Esgiebtkeine anderenpolitischenAktionen,esgiebtkeinhistorisches Geschehen,das nichteinensozialen AntagonismuszumInhalt hätte,das nichteinensolchenzumAusdruckbrächte.

DieHistorikerkönnenewigdarüberstreiten,obdieBauernausstände Folge wirthschaftlicherNothoderpolitischenDruckeswaren, ob siegeschürt wurden durch evangelischeAufwiegleroder, wie in denösterreichischenAlpen- ländern,vonnationalem Haß angefachtwurden: nur Einsunterliegtkeinem Zweifelunddarüber wirdunterHistorikernnie Streit bestehen,daßesBauern waren, die gegen»Psaffenund Adel«sicherhoben.Undebenso verhältes sichbeijedem historischenEreigniß.Ob diefranzösischeRevolutioneinWerk derEncyklopädistenzeineFolgederaufwiegelndenSchriftenVoltaires und Rousseauswar, wieman uns imGymnasium lehrte,obsiedurchNothund Hunger verursachtwurde, wieesHippolyteTaine beweist:darübermag esunter HistorikernimmerStreit geben.Aberüber dieThatsachekannes keinen Streit geben, daßder,,DritteStand« über diezwei höherenStände, über Adel und Klerus,hersiel.Meinetwegenmag darübergestrittenwerden,was dieUrsachewar,daßdieAmerikaner denSpaniernKuba unddiePhilippinen entrissen. MögendieEinenHandelsinteressen,dieAnderenFreiheitinteressen, die Dritten schmutzigeamerikanischeParteiinteressenalsdieUrsachenbezeichnen:

nurdarüber kannnichtgestrittenwerden, daßeseineangelsächsischeKulturgruppe war,die übereineromanischeNation herfiel, daßYankees sichaufSpanier stürzten,um ihneneinevon ihnen besessenegute Beuteabzujagen.

Welcher Meinung alsoimmerman bezüglichderTriebfedern geschicht- licher HandlungenundEreignissehuldigenmag: nieundnimmer kanndie Thatsachebestrittenwerden,daßallesgeschichtlicheGeschehenimmereinKampf

(8)

408 DieZukunft.

heterogenerGruppen,seiesnationaler oder sozialer,gegeneinander ist.

Wenn wirunter diesem GesichtspunktdiegeschichtlichenEreignissebetrachten, so gelangenwir zu einerAuffassung,dienicht materialistischundnicht idealistisch, sondern soziologischist. Esist einfachdieAuffassungallesgeschichtlichen GeschehensalseinesKampfesvon GruppengegenGruppen.Undwenn die induktive Methodedieeinzigeechtwissenschaftlicheist, sokann einesolche nur dannaufdieGeschichteAnwendung finden,wenn man dieGeschichte

soziologischauffaßt. .

Denn dieersteindieAugen fallende Thatsache,diesichbeijedem geschichtlichenEreignißzunächstkonstatiren läßt, istderKampfvonmindestens zweiGruppengegeneinander. DieUrsacheneines solchen Kampfes sind nicht mehr so klar; siekönnenverschiedenseinund sind nicht so leichtzu konstatiren;alsfeste Grundlageneiner induktivenForschungmethodekönnen sie nichtdienen. Dennwederindividuell:pfychologischenochauch wirthfchaft:

licheodergarandere allgemeineideelle Antriebe zuhistorischenHandlungen lassen sich unzweifelhaft feststellen:sieberuhenimmer nur auf mehroder mindersichererAnnahmeundstoßenimmerbei anderer subjektiverStimmung undAuffassungaufentgegengesetzteAnnahmen.Sogelangtman mit diesen

seiesmaterialistischenoderidealistischen Methodenniezusicheren, überallanerkannten Erkenntnissen.Freilichmag esjaeineAufgabeder Gefchichtforschungbleiben, all jenenindividuell-psychologischenundsozial- pfychischenUrsachen gefchichtlicherEreignisse nachzugehenund,soweites möglichist,dieMannichfaltigkeitsolcherUrsacheningewisseallgemeineFor- meln zubringen,dasgesetzmäßigeWaltensolcherUrsachenfestzustellen.Dochist esklar,daßalldiese auch nochso verfeinerte ,,materialistische«Geschicht- auffassunganSicherheitderFeststellungenundzugleichanWeitedesHori- zontesund daherauchanderMöglichkeitderAufstellungumfassenderall- gemeiner GesetzesichmitdersoziologischenAuffassungnicht messenkann.

Denndiese umfaßt jaalle dieGesichtspunktedermaterialistischenundidealisti- schenGeschichtauffassung,nur nimmt sieeinenvielhöheren,allgemeineren Standpunktein,ihrHorizont isteinweltumspannenderunddieGesetzeder Geschichte,die diesoziologischeAuffassungaufstellt, geltenimmerundüberall, für vorhistorischeZeitenwiefür unsere Tage, füralleRassender Welt,für gelbe, rothe, schwarzeundweißeMenschenwelten.

Denn diesoziologischeAuffassungdringt, ausgehendvon derkon- kreten undunbestreitbarenThatfachedesEwigenGruppenkampfes,vondiefem Punkt allmählichzurErforschungderUrsachen dieser ewigen Kämpfevor, um auf diesem WegezurAufstellungeinesallgemeinen Gesetzes,das alle diese Kämpfe beherrscht,zugelangen.DieallgemeineFormel, durchdie einsolchesGesetzausgedrücktwerdensoll,wird dann vollkommenunder-

(9)

Soziologische Geschichtauffassung. 409 schöpfendsein,wenn inihralleUrsachen,diebishervondermaterialistischen Geschichtauffassungalsbei allenGeschichtprozessenrealundwirksamerwiesen worden sind, ihren genügendenAusdruck finden.Die allgemeineFormel, dievondersoziologischenGeschichtauffassungaufgestelltwird,muß nichtnur allejeneTriebfedernderhistorischenAktionen umfassen,dievonder materia- listischenAuffassung bisher konstatirtwurden,sondern auchalleübrigen, derenUnkenntnißesverschuldet,daßdiematerialistischeAuffassungzurEr- klärungdesVerlaufesdergesammten historischenEntwickelungallerZeiten undallerWelttheile sichalsungenügenderweist.

Bevorwiruns aberaufdieSuche begebennacheinersolchenFormel, wollenwirzuerst noch unseren Ausgangspunkt prüfen,um zusehen,ober dennauchderrichtige ist,obesdennauch wahr ist, daßeskeingeschicht- liches Geschehenohne Gruppenkampfgiebt.

Jchkann hier unmöglichalledieBegründungenundNachweiseder Richtigkeit dieser übrigens augenfälligenThatsache wiederholen,dieich seit einemVierteljahrhundertin vielenSchriften vorgebrachthabe. Allerdings trugenmir dieseNachweiseundAusführungenallerhand Kosenamenein.

Aber Keinerder vielen Kritikerund Tadler konnte mirauchnur einegegen- theilige Thatsache anführen,zumBeweise, daßdortunddamals ohneZu- sammenstoßheterogenerGruppeneinegeneratio aequivoea historischenGe- schehenserfolgte, daß irgendwoderStrom derGeschichteaus einheitlicher Quelle entsprang.DiesenBeweis bliebenalle TadlerundKritikerschuldig;

undsie mußtenihnschuldigbleiben. Dennmagman auchnoch soweit und breitalldieGebietehistorischerThatsachenüberschauen,vonbekanntenWelt- theilenindieentlegenstenWinkel der OekumenemitEntdeckern undForschern vordringenzmag man dieherkömmlicheundüberkommene,,Weltgeschichte«

vondenältestenZeitenoderdieStaaten undReiche,die dieneuestenPapyrus- EntziffererundKeilinschriftenleservor unseremstaunenden Geistaus Ver- schollenheitundVergessenheitzuneuem Leben zu erweckenwußten,betrachten:

überall bietetsichunsdas selbeSchauspieldar. Nuraus demZusammen- stoß heterogenerethnischerElementeentstehendieStaaten undalleGeschichte istnur einKampf solchergegnerischenElemente. UndmagdieserKampf auchdieganzeStufenleitervon denrohestenbiszu denfeinstenFormen durchlaufen,vonprimitivemKanibalismus zu denverfeinertstenundraffinir:

testenFormenderAusbeutungder»Anderen«,so ist doch dieseErscheinung eineso allgemeine,alleZeitenundLänderumfassende,daßman nachaller menschlichenLogik hier getrostvoneinemallgemeinen Gesetzsprechenkann, dasallemenschlicheGeschichtebeherrscht.

Wenn nun aber diesesGesetz soklarundunwiderleglichist,dann darf auch gefragtwerden:Wirdesvon derheutigenWissenschaftanerkannt?

(10)

410 DieZukunft.

Stimmen dieheutigenGelehrteneinemso formulirtensoziologischenGesetz derGeschichtezu?Nun: esgiebtGegnerundAnhänger.Die Gegner bildendieMehrzahl.Esistdie ganzeosfizielleundzünftigeJuristereiund diemit ihrverbündeteKatheder-Staatsrechtlerei. Dieseganzemächtige Phalanx runzelt zornigdieStirn und wendet sich unwilligabvondieser ,,jeden juristischenSinnes baren«Lehre.Wassoll sie auchmiteinerLehre anfangen,dieMienemacht,allediegestrengenHerren Rechtslehreraus dem TempelderStaatswissenschafthinauszujagen?,,"21’ysuis etj’yreste··,sagt dieJuristerei;»dasStaatsrecht steht .anunseremBoden,wirlassenesuns nicht nehmen, hinausmitdenSoziologen!«

Doch»drei Namennenn’ich euch inhaltsschwer«:Wundt,Ratzelund Ratzenhofer.

Wundt giebtzu,daß dieZukunftderStaatswissenschaftin dersozio- logischenMethode liegt. Ratzel hatineinerReihevon Werken(zuletztin der,,PolitischenGeographie«)gezeigt,daßdiewahre ErkenntnißdesStaates ganz anderswo liegtalsausdemGebietedesRechtes; daßesFaktoren giebt,diegestaltenddenStaat beeinflussen,seine SchicksaleundWandlungen bestimmen, seinen Bestand bedingen,seinenZerfallbeschleunigen,Faktoren, von denen diegesammtebisherige juristischeStaatsrechtlerei sichnichtsträumen ließ.Und der Dritteim Bunde,Ratzenhofer,hateinenkühnensystematischen Bau aufgeführt,indemeruns dieGeschichtealsdasLebenderStaaten undimStaat alldiesozialenTriebfedern aufweist,dieseinen Lebensprozeß unterhalten. GeschichteundStaat tretenuns beiihm entgegenalsMakro- undMikrokosmos, indenen dieselben sozialen Kräftewirken, dieihrer Natur nachsichaustoben müssenund nur imewigen Kampfsichaus- tobenkönnen.

Vonzwei verschiedenenSeiten packen Ratzelund Ratzenhoferdas Probleman,JenervomBoden,DieservondensozialenGruppenaus,doch ergänzen sieeinander. Zusammen führen siedenNachweis, daß,was den Staat belebt unddieGeschichteinBewegung setzt,alles Andereeher istals derMensch.»Der Bodenists,dasgeographischeMilieu mit Allem,wasdrum und dranhängt«,sagt Rahel;»dieheterogenensozialenGruppen sinds,in denen Kräfte sichgeltend machen,die nicht individuelleVernunft, nicht menschlicher Wille,menschlicheUeberlegungsind«.sagtRatzenhofer.WasfangenJuristen,was fängtderjuristischeStaatsrechtlermitsolchenLehrenan,dieihre schönenKon- struktionenumstürzen?SietreibendiePolitikdesVogelsStraußundmüssensie treiben. Denn wenn andieStelledes,,sittlich freien«Menschen,derden Staat ,,gründet«und dieGeschichtemacht, »Kräste« gesetztwerden, die keiner,,Rechtskontrole«.sichbeugenundkeine anerkennen, dannist nachbe- schränktemJuristensinndasEndederWeltnicht mehrweit.

Cytaty

Powiązane dokumenty

auf dieseWeise läßt sichfür Staat und Bauernstand ein Gleichgewichtszu- stand herstellen. Den Rittergütern aber ist, wenn sieerhalten bleiben sollen, schlechterdingsnicht anders

UnsereAnsichten sind eben alle naturgemäß verschieden, genau so wie keine Persönlichkeit der anderen gleichist. Jst es nun nicht eine Thorheit, zu sagen: dieser Baum ist falsch

Alle juristischen Bedenken von Erheblichkeithat der Vertheidiger mit Sorgfalt zu eruiren, auch wenn ein moralisch Schuldiger dadurch der ver- dienten Strafe entzogen wird (zum

Wenn ein Neuerer auf die GrundgesetzemenschlichenKunstschaffens zurückgeht, so muß er keinen Vorwurf öfter hören als den, er verletze diese Gesetze in pietätloserWeise. So hat

hat! Wir sind mitder unvorsichtigenEinfalt eines Kindes, dasins Innere eines Dampskcsselskriecht, in die Sache hineingkklettert und haben uns noch der behaglichen Wärme des

Reden über die Zollfrage Gesagte geblieben ist. Eine Prinzipienerörterung von unerhörter Leidenschaftlichkeit war uns verheißenworden; die enttäuschende Wirk-

swahr in Bezug auf die Wiedergabe der Atmosphäre um Raffael und Rem- brandt, doch typisch für Das sind, was der mittlere Franzose der Periode svon Vernet und Gårdme in Bezug

Um wie viel gefährlicher sind da Tell und Stanffacheri (Rütliszene: »Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht« u. w.) Daß die Erduldung wirklichen oder vermeintlichen Unrechts Hitzköpfe