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Die Zukunft, 2. Dezember, Bd. 29.

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Berlin, den 2.Dezember 1899.

h Als A

Zwei deutscheFragen.

Manhatmireinmal gesagt,dieLeser seienmeinerpolitischenArtikel

«« überdrüssig,weilichdarinimmer dasSelbe wiederholte. Daß ich michwiederhole, ist richtig; daßesaberdieWiederholung ist,wasmichden Lesernunangenehmmacht, glaube ichnicht.Denn ich bin,wieichzu meiner Unehre gestehenmuß, seitvielenJahreneinfleißigerZeitungleser her- vorragende GeistermeidendieZeitunglecturealsZeitverlust—und ich finde, daßalleZeitungen ohneAusnahme jahraus, jahreindasselbeLiedsingen,mages nun dasLiedvondenJunkernundPfaffenoder dasvomgottlosenUm- sturzundvon derBegehrlichkeitdesverrohten Arbeiterstandesoderdasvon der einenreaktionärenMassederbürgerlichenWelt sein.Undich finde, daßdieLeser nicht durchdas ewige Einerlei,wohlaberdurchjedenTon verstimmtwerden, dernichtzuderaltgewohntenMelodiepaßt. Also nicht dieWiederholungmeiner Ansichten dürftendenLesern mißfallen, sondern dieseAnsicht selbst.Esgiebtaber gar keinsichereresKennzeichenfürdieWahr- heiteiner politischenAnsichtundfür dieNothwendigkeitihrerAussprache alsdieses: daßsie allgemeinenUnwillenoderWiderwillen erregt.

DerKernmeinerlästigenAnsichtist derSatz,daßzurZeitdieArbeiter- frageinihrenbeidenVerzweigungendiewichtigsteFrageder innerenPolitik istunddaß imVergleichdamitKanal-undFlottenfragengleichgiltigeKleinig- keitenfind. VoraussichtlichwirdsichderjetzigeReichstag auch nachderAb- lehnungderZuchthausvorlage noch mehrfachmitdenverfassungsgemäßen RechtendergewerblichenLohnarbeiterundauchmitdemSchwundderLand- arbeiterschaftzubefassenhaben,obgleichervielleichtnichteinsehenwird,daßindiesen Problemen seinewichtigstenAufgabenliegen.WasnundiegesetzlicheStellungder gewerblichenLohnarbeiter betrifft, sowürdeesnachAllem,wasdarüber ge-

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362 DieZukunft.

schriebenwordenist,undnamentlichnachdenklasfischenAusführungenBren- tanos inder»SozialenPraxis«undinseinergöttingerRede,Holzinden Waldtragen heißen,wollteich nocheinmalausführlichbeweisen, daßmit demZuchthausgesetzdieKoalitionfreiheitaufgehobenunddieHörigkeitmittelbar wiederhergestelltwordenwäre,ohnedieHerrenmit denderHörigkeitentsprechen- denPflichtenzubelasten. Dagegenhalte ichdieFreiheitundGleichberechtigung derLohnarbeiterkeineswegsfüretwasSelbstverständlichesFallsman sichnicht zu einerVerfassungänderungverstehenmag, fordereauch ichdieseFreiheitund Gleichberechtigung,eben,weilsiein derVerfassungausgesprochenist,undfordere, daß-manmit dereinzigenForm, inderdieseFreiheitundGleichberechtigungfür diebesitzlosenLohnarbeiterverwirklichtwerdenkann, mit derunbeschränktenKna- litionfreiheit,Ernst mache,binauchüberzeugt,daßsichdieseFreiheitbeiunseben sounschädlichundungefährlicherweisenwirdwieinEngland.Aberich halte wederdenfreien Arbeitvertragund denungezügeltenLohnkampffüreinen Jdealzustand noch fürdiedefinitiveZukunftgestaltunserer Gesellschaftordnung.

Seitbeinahe zwanzig Jahren predige ich, daß allgemeine gleicheFreiheit gleichbedeutendseimitallgemeinergleicherBeschränkungundnur in der Form des Kommunismus gedachtwerden könne; daßdieFreiheitderEinendie KnechtschaftderAnderen voraussetze; daßessichinderPolitikniemals um dieAlternative: FreiheitoderUnfreiheit handle,sondern immer nur um dieEntscheidungdarüber,welchesMaßvonFreiheitundwelchesMaß undwelcheArtvon Bindung fürdieverschiedenenStände imAugenblick angezeigt sei; daßdieAufhebungderStandesunterschiedeeineJllusion sei unddaßwahrscheinlichnichtsAnderesübrigbleiben werde, als diethatsächlich vorhandenen Standesunterschiede aufsNeue zulegalisiren. Jchverkenne nichtdieUebereinstimmungderliberalen GrundsätzemitdenForderungen derphilosophischenEthikunddesEhristenthumes,nichtdenSegen,dendie BefreiungderHörigendurchdieEntfaltungvonMillionen achtungwürdiger kleinerPersönlichkeitenundFamiliengebrachthat;verkennenicht, daßdie ungeheure Volkskraft,dieDeutschlandindenletzten Jahrzehntenentwickelt hat,undderverhältnißmäßighoheGradvonWohlstand, dessenwiruns zur Zeit erfreuen,dergrundsätzlichanerkannten,wenn auch thatsächlichvielfach beschränktenFreiheitallerLandeskinder zudankenist,undich verhehlemir nichtdieungeheuren Schwierigkeiten,indieunsjeder Versuch,den Stände- staatgesetzlichwiederaufzurichten,verwickelnwürde. Aberich sagemirauch, daßdieverfassungsgemäßeFreiheitderBesitzlosenkeineAussicht auf thatsäch- licheVerwirklichunghat, daßdasfreieEngland seinem Lumpenproletariat heute nochgerade so rathlos gegenüberstehtwievorfünfzigJahrenunddaß dieAnsichtder Alten,wonachdie GötterdieEinenzumHerrschenunddie Anderen zurKnechtschaftgeschaffenhaben, heut noch so richtig istwievor

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Zwei deutsche Fragen. 363 dreitausend Jahren. Esgiebt unzähligeMenschen,diefleißig,gehorsam, treu wieHunde,zujeder ihre Kräfte nicht übersteigendenArbeit willig,ge- nügsamundmitihrerSklavenstellungzufrieden sind,dieaberuntergehen, wenn man sieauf ihre eigenenFüße stellt,weilihnendie zumfreien Kampf ums DaseinerforderlichenEigenschaftenfehlen: Energie, Spontaneität,Um- sicht,Wirthschaftlichkeit,Findigkeit,dieFähigkeit,sichneuen Lagenraschan- zupassen; Für Solche isteinHerr, natürlicheinvernünftigerundhumaner, diegrößteWohlthat,derZwangzurFreiheitnur Grausamkeit;undesist nicht einzusehen,worin derFortschritt bestehensoll,wenn einfürbeideTheile wohlthätigesVerhältnissaufgehobenwirdunddurchdieBefreiungdesKnechtes HerrundDienergleichmäßigzu Grundegerichtetwerden. Ueberdieswerden diegünstigensittlichenWirkungenderFreiheit durchdieungünstigenaufge- wogen. Alledieschönensittlichen Verhältnisse,diederPatriarchalismus unddasPatronat zwischenHerrenund Dienern stiftet,werdenvernichtet undanihreStelle tritt dasSchachernumVortheile zwischenzweiKontra- henten,die,stets darauf bedacht,einanderzuübervortheilen,undvorUeber- vortheilung aufderHut,einander mitArgwohn,Neid,Verachtungund Haß gegenüberstehen.

So halte ichdenndieFreiheitund GleichberechtigungdesArbeiter- standes fürdenGegenstandeinesungelösten,offenenProblemesundbin weit entferntdavon, denUnternehmernesübel zunehmen, daß sie nachWieder- herstellungderHörigkeittrachten.Wasich verwerfeundverabscheue,istdie heuchlerischeVerleugnung diesesStrebens undderVersuch,dieHörigkeit ausSchleichwegenwiederherzustellen,durchdenMißbrauchderJustizund, wiegesagt, ohne daßman sichdie derHörigkeitderArbeiterentsprechenden Herrenpflichtenauferlegt,derenWichtigstedochist,denHörigenauchdannzu herbergen,zunährenundzukleiden,wenn man keine Arbeitfür ihn hat.

WasdenMißbrauchderJustiz anlangt, sowillich ihndurcheinBeispiel erläutern,—- einsvon hunderten,dieichgesammelthabe.Der»Vorwärts«- vomsiebenzehntenSeptemberd.J.erzählt:Währenddes dresdenerMaurerstrikes revidirtGenosseFallenbeckStrikeposten, trifftdenpolnischenMaurer Sassin, wieerdieArbeitunter denaltenBedingungen aufnehmenwill, und redet ihmab. DaSassin höhnischantwortet, sollihm Fallenbeck ausden Fuß getreten undeinenleichtenStoßvor dieBrust versetzthaben. Fallenbeck leugnetBeides; einzigerZeuge ist Sassin,dergesteht, daßerkeinenSchmerz empfundenunddieSache nicht ernstgenommen habe. Fallenbeckwirdzu fünfMonaten Gefängnißverurtheilt; zweiMonate haterinUntersuchung- haft gesessen,einerdavonwirdihmangerechnet.Dagegen halteman folgende dreiBestrafungenvon Brutalitätverbrechen.Jn derselbenNummer des

»Vorwärts«wirdgemeldet:EinTechnikerschlägteinenAnderen ohnejede 2577

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364 DieZukunft.

VeranlassungmitseinemSpazirstockundbringt ihmeineklaffendeWundeam Kopfebei. Strafe: vierzigMark. JnderNummer vomneunundzwanzigsten September:EinenHerrnG.hat seineGattin mit demHausfreund,einemDr.

Cohn, betrogen.G.begiebtsichmitderHundepeitschezu einerAussprachein thns Wohnung. thn ist stärkeralser,zertrümmert ihmmit einem FaustschlagdasNasenbein, wirft ihnzuBoden,knietaufihmundbearbeitet seinen KopfmitFaustschlägen,währendauf sein GeheißseineWirthschafterin aufdenUnterkörpermiteinemStocklosschlägt;zuletzt haut CohndenG- nochmitdemHausschlüsselaufdenKopf; blutüberströmtundschwerverletzt verläßtderRächer seiner EhredieWohnungdesEhrenräubers. Strafe für diesen:500Mark;imNichtbeitreibnngfallehundertTage Gefängniß;

derStaatsanwalt hatte was sehrcharakteristischit nur 300Mark beantragt.EndlichinderNummer vomzehntenOktober: Lehrer Käferin Kochalle,wegen»UeberschreitungdesZüchtigungrechtes«vorbestraft, istder unmenschlichenMißhandlungenvonvierzehnSchulkindern angeklagt;erhat zumBeispieleinMädchenandenHaarenindieHöhe gehobenunddann aufdenBoden fallen lassen;einem anderen Mädchenhatereineunheilbare VerletzungdesHüftgelenkesbeigebracht. Strafe: fünfzehnTage Gefängniß undfürdieEltern des zumKrüppelgemachtenMädchenseineEntschädigung von fünfhundertMark. Freilich,einUnterschiedmußbeiRoheitverbrechen gemachtwerden: abernatürlichzuGunstenderAngehörigenderniederen Stände. Für ungebildeteLeute, diesichmitgrobenArbeiten plagen müssen undsichdabeioftgenugVerletzungenundWunden zuziehen,hateinStoß, einSchlag,eineHantschürfung,aucheingrobesSchimpfwort natürlichnicht dieselbe BedeutungwiefürdenhöherGebildeten,dergeistigarbeitet, oder füreineDame,dieeinengroben Gegenstandnur mitHandschuhenanfassen würde. Dieser Unterschied istdenn auchstetsbeachtetworden und wird unter Umständennoch heute beachtet;bei einervornehmen Frau gilt schon eineOhrfeigealsScheidungsgrund,beieinerTagelöhnerfraueineTracht Prügel noch nicht.BeiFallenbeck,derwunderbarer Weise»wegeneinfacher Körperverletzung«verurtheiltworden ist, laggarkeinRoheitdeliktvor. Die beiden körperlichenBerührungendesAnderen,wenn sieüberhauptstattge- fundenhaben, sindnichtderRede werth.Er istalsoblos verurtheilt worden, weilerdenSassinvonderArbeitabzuhalten gesucht, also,weiler Etwas gethan hat,dasschlechterdingsgethanwerdenmuß,wenn dasden Arbeitern gesetzlichzustehendeKoalitionrechteinenSinn haben soll.Wenn

erdabeietwas heftig gewordenist, sowar esnicht schlimmer,alswenn cinUnternehmerdemanderen,denerfüreinKartell gewinnenwill,etwa aufdieSchulter klopfteundsagte: »SeienSiedoch nicht so halsstarrig!«

WiekleinereUnternehmer,dieihre UnabhängigkeitdenUnternehmervcrbänden

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Zwei deutsche Fragen. 365 gegenüberzuwahrensuchen,zuDutzendenruinirt,wiedurchdieSchwarzen ListenarbeitwilligeArbeiter zuHundertenumArbeit undBrot gebracht werden,istbekannt genug. Hat sichaber insolchen FällenderStaats- anwalt je verpflichtetgefühlt,zumSchutzderArbeitwilligeneinzuschreiten?

Undglaubtman wirklich,beisolcherRechtspflegedieRechtsordnungim Staate aufrechterhaltenzukönnen?Zweierlei Maß,wenn esGesetzundVerfassung vorschreiben:meinetwegen;aberzweierleiMaß,wenn GesetzundVerfassung· Gleichheitvorschreiben:Dasgeht nicht, ohne daßbei denherrschendenKlassen- Rechtsgefühlund Wahrheitsinn vernichtetwerden und ohne daßdiebe- herrschtenKlassendasVertrauen zumStaat undzurRechtspflegegänzlich verlieren. Willman bei derbisherigen Praxis verharren,somußman für dieLohnarbeitereinbesonderes Standesrecht schaffen,dasihnenausdrück- lichalle zurBesserung ihrer Lage dienlichen Mittel,die denUnternehmern erlaubtsind, verbietet.

Diezweite großeFrage,der SchwundderLandarbeiterschaft,bildet sozusagendenKern derAgrarfrage. Abweichendvom Herausgeberder

»Zukunft,«vermagicheineAgrarkrisisimSinne desBandes derLand- wirthe nichtanzuerkennen. Jch beklagenichtdieLandwirthe,denenesim GroßenundGanzengarnichtübelgeht, sonderndievon derLandwirth- schaftAusgesperrtemdiefünf-bissechshunderttaufendKinder,diealljähr- lichimReicheüberschüssiggeborenwerden unddie niemals einenQuadrat- fußvaterländischenBodensihrEigennennen werden, ausgenommendie paar Jahre,woihr LeichnamineinemGrabemodert. Dagegenerkenneichan, daßdererstindenletztenJahren unerträglichgewordeneMangelanländ- lichemGesindeundseßhaftenTagelöhnerneineernstlicheKrisiserzeugen kann undbeilängererFortdauererzeugenmuß.DieUrsachendiesesUebelshabe ich wiederholt,amAussührlichsteninmeinerSchrift »WederKommunismus noch Kapitalismus«,erörtert. Mit demFreiherrnvon derGoltzundder MehrzahlderSachverständigenstimme ichdarinüberein,daßdie innereKolo- nisationdas einzige Heilmittel ist,dasvorläufig angewandtwerden kann undangewandtwerden sollte:aberich versprechemirkeinendurchschlagenden Erfolgdavon. Um einen vollkommen gesunden Zustand herbeizuführen, müßteman indenGegenden,wodieLatifundienvorherrschen,Tausendevon Bauerndörsern gründenund inallen schonjetzt bestehendenund neu zu gründendenBauerndörsernHunderttausende, vielleichtein paar Millionen von Arbeitern mitRentengütchenausstatten. DazuwürdenMilliarden gehören, die wirimheutigenMilitär- undMarinestaat nicht erübrigenkönnen,unddie, selbstwenn sieerübrigtwerden könnten,von derindustriellgesinntenMehr- heitderVolksvertretungcnwahrscheinlichnicht bewilligtwerdenwürden.Also wirdcsbei einerzwarunumgänglichen,aberdurchaus unzulänglichenFlick-

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366 DieZukunft.

arbeitbleiben. Jndichtbevölkerten Ländern mithoherKultur undhohen Bodenpreisen sind bisher BauernansiedelungengroßenStiles niemals vorge- kommen. Italien war in derZeitdersullanischenundjulianischenKolo- nisationen durchinnereKriege stellenweiseentvölkert;solcheKolonisationen erfordern freien Boden, fürdenhöchstenseineRekognitiongebührzuzahlen ist. Daher ist jetztkommtdieberüchtigtstemeiner»Schrullen«—dieAgrar- krisis,wieich sie verstehe,nur durcheinenZuwachsan freiemoderwenig- stensganzwohlfeilemBoden zumStaatsgebietzuheben. Fürdie Bauern, wenn ihreGüternichtzugroß sind, ergiebt sichdann folgendeLage.Sie arbeitenmitihrenKindern undmit denalsGesindebeiihnendienenden heranwachsendenKindern der Bauern,die entweder überschüssigeKinderoder ganzkleineAckerstellenhaben.Diemündiggewordenen überzähligenKinder werdenohne erheblicheBelastungdesAnerben imKolonialgebieteversorgt;

auf dieseWeise läßt sichfürStaat undBauernstandeinGleichgewichtszu- stand herstellen.DenRittergüternaberist,wenn sieerhaltenbleibensollen, schlechterdingsnichtanders zuhelfenalsdurch WiederherstellungderHörig- keit. DasGroßgut ohne robotpflichtigeBauern isteine infrühererZeit niedageweseneBildungundbestehtjetzt erst achtzigJahre; ja, seitderBe- seitigungderletzten Restevon Hörigkeitsind noch nicht fünfzigJahrever- flossen.EshateinpaarJahrzehnte hindurch bestehenund beihohenGe- treide-,Raps-,Woll- undViehpreisen hohen Ertrag abwerfenkönnen, weil ihmdieBauernbefreiungderSteinundHardenberglandloseArbeitergeschaffen hatte,denenvorläufignichts übrig blieb,alsaufdenRittergüternzutage- löhnern,wenn sie nicht verhungernwollten. VonderZeitab,woihnendie IndustrieeineZufluchtdarbotunddieBervollkommenungderVerkehrsmittel dieAb- undAuswanderung erleichterte,war esdamitvorbei, undistes fürimmer! Arbeiterrentengüterkannman schaffen,wenn auch nichtin einem demBedürfniß entsprechendenUmfang.Aber wenn denJnhabern dieser Güter undihrenNachkommendiePflicht, aufdemRittergutezuarbeiten, nicht gesetzlichauferlegt,Das heißtalso:wenn die Robot nichtwiederher- gestelltwird,sokanndieStrebsamenunter diesenAckerhäuslernNiemand hindern, sich durch ZukaufenoderPachtenvon Ackerparzellenvom Zwange zumTagelöhnernzubefreien,unddemRestkannNiemand-verwehren«in dieFabrikzugehen, stattzuHofe; FabrikenaberundHausindustrien,die dieLeute im Sommerundim Wintergleichmäßigbeschäftigen,stellensichbekannt- lichüberall ein,woes,,billigeArbeitkräfte«giebt.Esfehlt nichtanguten Menschen,die meinen, dieSachewerde ohne Hörigkeitschon gehen,wenn dieGutsbesitzerihreChristenpflichtgegendieArbeiterbesser erfülltenundsie durcheinwohlwollendespatriarchalisches Regimentan sich fesselten.Aber was dieKircheinachtzehnhundertsiebenzigJahrennichtfertig gebrachthat:die

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Zwei deutsche Fragen. 367 Selbstsucht durch PflichtgefühlundNächstenliebezu überwinden, Daswird siejetzt nicht plötzlichfertig bringen,blos zu demZweck,diepreußischeAgrar- krisiszubeseitigen.Mit dempatriarchalischenVerhältnißaberistessowie mitdemBauernstande: siezuzerstörenwar leicht; sie wiederherzustellen, wosiezerstörtsind, ist schwer,wenn nicht unmöglich. Uebrigens ist Patri- archalismus ohne Hörigkeifeinecontradiotio inudjeota Wosie besteht, dakannauchdiepatriarchalischeGesinnungimgutenSinne desWortes entstehen:beimHerrndasväterlicheWohlwollenund dasGefühlder Ver- antwortlichkeit fürdasWohldesHörigen;beimHörigendieGefühleder Dankbarkeit,Anhänglichkeitund Treue. UnddasHörigkeitverhältnißistder einzigeBoden, worindieseEmpfindungenwurzelnundgedeihenkönnen. Wo nichtbei beidenTheilendieUeberzeugungfestsitzt, daßdieHerrschaftder EinenunddieKnechtschaftder AndereneinunabänderlicherBestandtheil-der göttlichenWeltordnung ist,dastellen sich jene Empfindungen nichtein.

Gewiß:esgiebtunter unsern Gutsbesitzernnoch patriarchalischGesinnte;

abersoweitdürftedasWohlwollennicht leichtbei Einem geschweigedenn bei derMehrzahl gehen, daßerseineTagelöhnerdenWinter hindurch füt- terte,woernichts für siezuthunhat,undgeradedarinstecktdasWesent- lichstedespatriarchalischenVerhältnisses.DergewöhnlicheGutsbesitzer, auch schonderBauer, denktundhandeltganz modernundliberalkapitalistisch;

ersiehtinseinenArbeitern nur »Hände«undnichtalsPersonen, sondern alsProduktionwerkzeugekommensiefür ihninBetracht.Er will denfreien Arbeitvertragso entschiedenwie derFabrikant.Dasheißt:erwillunbeschränktdie Freiheit haben,dieArbeitkraft,dieerbraucht,aufdemwohlseilstenMarkteinzu- kaufenundkeinenTagüber diebedungeneZeitzubezahlen. Natürlichhält ihnDasso wenigwie denFabrikantenab, zufordern, daßdieFreiheitdes anderen Kontrahentenüberall daeingeschränktoderaufgehobenwerde,wosie ihm unbequem ist. Selbstverständlichentspricht dieser GesinnungdesHerrn die desKnechtes,undselbstwenn sichderHerr Anhänglichkeitverdienthaben sollte, läuft ihmderArbeitermitteninderErntefort,wenn irgendwoein Groschen mehr Lohnwinkt. DiegrundsätzlichanerkannteFreiheitAllerführt ebenunausbleiblichzurAufhebung jeder RücksichtnahmeEbenso wenig läßt sichdieVerstädterungrückgängigmachen,derunsere ländlicheBevölke- rungdurchdieLeichtigkeitdesVerkehrsmitderStadt verfallen istunddie demmännlichenTheil durchdenMilitärdienst sogar aufgezwungenwird.

BeimweiblichenTheilewirktdieEitelkeitunwiderstehlich.Gebt einerVieh- magddieAussicht,wieein Fräulein gekleidetzugehen—- und der heutige Verkehr eröffnet diese Aussichtebenüberall und kein Strick undkeine Kettewirdstarkgenugsein,sie aufdemDorfezurückzuhalten- Beimdienenden TheilderländlichenBevölkerungistdieAnhänglichkeitan

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368 DieZukunft.

Acker,Wiese, ViehundlandwirthschaftlicheBeschäftigungenvollständigge- schwunden.BeimBauern istsienoch vorhanden,abersie wirdnatürlichin demGradeschwächer,alserselbsteinStadtherrwird,seineKinderstädtisch erzieht, nicht mehrmitPflugund Dreschflegel,sondernnur nochmitder SchreibfederarbeitetunddieLandwirthschaftnichtmehrmitLiebeundals seineLebensarbeit betreibt,sondernsienur nochalsdieRentenquelleaus- faßt,dieihmdieMittel zu einemstädtischenLeben liefert. UnsereSoziologen mögendarineinenFortschrittderMenschheit sehen. Ich sehedarinetwas Anderes. Möglich,daßdieAbneigunggegendasDorflebenunddie land- wirthschaftlichenArbeitenheute schon so stark ist, daß,wenn wireinaus- reichend großesKolonisationgebiethätten,uns dieKolonisten fehlenwürden.

Jedenfallswürde einsolcherGebietszuwachsaberdurchEntwerthungdesheimi- schenGrundbesitzesdie innereKolonisation erleichternundbefördernunduns davorbehüten,ein reinerIndustrie-undHandelsstaatnach englischemMuster zu werden. VondemZeitpunktab,woderGrund undBodeneines Landes vollständigvertheilt,inPrivatbesitz übergegangenundangebaut ist,kann bei fortdauerndwachsender Bevölkerungdas GleichgewichtzwischenIndustrie undLandwirthschaftnur durch stetige,demBevölkerungzuwachsentsprechende VergrößerungdesStaatsgebietes erhaltenwerden. Unterbleibt diese, so muß deralljährlicheBevölkerungzuwachsinderIndustrie untergebrachtwerden, dieländlicheBevölkerungmachteinenimmer kleinerenProzentsatzderGe- sammtbevölkerungausundschrumpftzuletztzu einerquantitenågligeable zusammen.DieBerechnungderZeit,da wirDeutscheden reinenIndustrie- undHandelsstaat habenwerden,isteine ganzleichte arithmetischeAufgabe.

Sollte alsoderpolitischeZustandder WeltdieErweiterung unseresStaats- gebietesin demangegebenenSinneunmöglichmachen,dannhättenwirunseben aufden reinenIndustrie-undHandelsstaateinzurichten.Jn diesemFalle würde dannallerdings auchdieFlottenfrage auftauchen;daß, dieseFrage stellen, sie etwaauchbeantworten hieße,dürftendiehamburgerKaufherrenkaumzugeben.

Werdendiese Zeilen Beachtung finden? Jch hoffe, wenigstensdieauf dasKoalitionrecht bezüglichen.Denn hier hateingeschlossener,mäßigzahl- reicherStand zuentscheiden, dessen Mitgliedervon gleichartigerBildung sind:derRichterstand.DiedeutschenRichter daran ist nichtzuzweifeln wollendieStützenundnichtdieVerderber desRechtes sein«Wasdagegen diezweite Frage anbetrifft, sowirdwohl erstdienächsteHandelskrisisdie prekäreLagedesIndustrie-undHandelsstaatesAllenfühlbarmachenmüssen, eheman sichallgemeinentschließenwird, ihrinsGesichtzusehen.

Neisse. Karl Jentsch.

CI

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·Dasgroße Haus. 369

Das große Haus.

In einergroßenStadt wie andereHäuser auch,vonNachbarnum- schlossen,vieleTreppen hoch,mitSchaufensternundeinerschlechten, modernisirten Fassade stehteinGebäude,dassichfrühereinbildete,etwas Besondereszusein. Jetzt ·istesvon demWahn vollständigabgekommen undseine Besitzerin,eineehemaligegroßeDame,wohntineinerDachkam- mer undhatschwereArbeit,dieZinsenallerHypothekenzuschaffen,mit denendasHausüber undüberbelastetist.Die Dameheißt,,Poesie«.Und in derStraßewürdewohlNiemand aufdasgroße,altmodischeThor auf- merksamwerden,wenn derStaat nichtvon Alters hereinemerkwürdige

Patrouilledortaufgestellthätte .

Tag fürTag geht nämlichindieser StraßedieöffentlicheSittlich- keitossiziellspaziren,dieaus einemkatholischenundeinemprotestantischen Geistlichenundaus einerdienstthuendenHofdamezusammengesetztist. Diese dreiwürdigenPersonen habendenstaatlichenAuftrag, sichmoralischzuent- rüsten,und, alseineFolge dieses Auftrages,einerechtverdorbenePhantasie, mitdersiedieLeuteauf harmlose Dinge aufmerksam machen,diesichunter Umständen natürlichwerdenauch diese Umständeerwähnt unsittlich entwickeln könnten.DieAblösungderPatrouillewird·voneinem altenSchul- meisterangeführt,der einegroßeBrilleträgtund immermit demKopf wackelt, alsoberVersfüßeabzählenwollte.

Also diese Patrouille gehtvor demHause aufund ab. Siewirft manchmaleinenscheuenBlickaufeineversteckteThür,diein dasSou- terrain führtund deren kleine, ausgetretene TreppeamAbendvon einer rothenLaternebeleuchtet ist. DenTheildesHauses,zu demdieserEin- gangführt, hatdieBiermuse gemiethet,diemehr üppigalsschönistund vollVerachtungmitdemdickenBauche wackelt,wenn einNeuling zufällig einmal inihremLokalnachderPoesie fragt. Sumpfnymphenmitgemei- nen GesichternundwatschelndemGang sie sindalleschon mehrfachin denKunstausstellungenalsEva zusehen gewesen kredenzendasbegei- sterndeBierunddieGäste,aus allerleiVolkbestehend,dassich mangels anderer Beschäftigungauf irgendeine unglücklicheKunst geworfen hat, schreienundlärmenund liebkosenmitklatschendemSchlagdiegewaltigen RückseitenderNymphen.DiePatrouilleaber merktnichtsvonAlledem, denn ihr suchenderBlickdarfvonAmteswegen dieHinterzimmermitseparatemEin- gangnichtbeachten:habensiedochmit deröffentlichenSittlichkeitnichtszuschaffen.

Wennin dunklerNachtdieBiergeister ihre Pflichten erfüllt haben, danntanzenNymphenundKünstlereingrausiges Bacchanal,indemeine ungraziöseBewegungdie andereablöstund dasaussieht,als obOchsen

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