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Die Zukunft, 12. Dezember, Bd. 45.

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Academic year: 2022

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Berlin, den f2.Dezember 1905.

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Die Krankheit des Kaisers.

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neunten November lasen wir, zweiTage vorher seiausdemKehl-

«kondesKaiserseinweiches,vonPlattenepithel überzogenesBinde- gewebeentferntworden. EinStimmlippenpolyp, hießesimerstenoffiziellen Bericht.Der AusdruckklangdemLaienfremd;dieAerztescheinendie1iga- menta glottidis,diewahren Stimmbänder,umBerwechfelungenmit den Taschenbändernzumeiden, jetztStimmlippeunennen zu wollen.Professor Orth, Virchows SchülerundNachfolger,hatte,unmittelbar nachder ,,ganz glatt verlaufenen«Operation,dasGewebe milrofkopischuntersuchtund dasErgebnißin denunzweideutigenSatzgefaßt:»Es handelt sichumeinen durchaus gutartigenbindegewebigenPolypen«. Danachwarnichtder ge- ringsteGrundzurBesorgniß.Seit baldnach derGeburtdesregirenden Kaisers CzermakzumerstenMalKehlkopfpolypensichernachgewiesen hat,sindunzähligeFälle behandelt worden, meist sogar ambulatorisch.Die Operation istwederschwierignoch schmerzhaft.VorvierzigJahrenbe-.

schriebPaulViktorvonBruns »dieersteAusrottungeinesPolypenin der- KehlkopfhöhleohneblutigeEröffnungderLuftwege«;ermußtedenPatienten- seinen Bruder, acht Wochen langmitVersuchen plagen,bis der erkrankte KehlkopfdendurchdieEinführungdesMessersbewirktenReiz ertrug.Heute hatderArzt feinereInstrumente, Pincetten,galvanokaustischeSchlingen, und dieSchleimhautwirddurchCocainunempfindlichgemacht.Seitdem hältman Stimmbandpolypen,·so lästigsie seinkönnen,nicht mehr fürge- fährlich;dieGefahrdesErstickens entstehtinnicht vernachlässigtenFällen seltenund dieBeseitigungderkleinenGeschwülftewird kaumnochzu den

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ernsthaftenOperationen gerechnet.Diesmal aberglaubtennurWenigean dieUnbeträchtlichleitderSache. TrotzdemvonallenSeitenbeschwichtigende Bulletins kamenund derOperateur recht redseligBeginnundVerlaufder Erkrankung schilderte,bliebdieMeinung:Dawirdvertuscht. Füreine Kleinigkeithätteman nichtdengroßenApparat aufgeboten,derschlimmeGe- rüchtebegünstigenmußte.BieroffizielleBerichteamerstenTag;undvor- herAllesverheimlicht.JnMerseburg hatteesangefangen.DieHeiserkeit wolltenichtweichen.DerLeibarztDr. Jlbergwurdeunruhig. DieKaiserin unterbrachihreReise.DerGeheimrath Moritz SchmidtwurdeausFrankfurt gerufenunderklärte,manmüsseabwarten;werdeeineOperationnöthig,so könnenatürlicherstdiemikroskopischeUntersuchungdenBefund feststellen.Nie- manderfuhrEtwas;auchals derfrankfurterLaryngologezumzweitenMalbe- rufenundunerkannt imNeuenPalaisangelangtwar,ahnte selbstdienächste Umgebungnochnichts.DenFlügeladjuiantenvomDienst fielnur auf, daß amnächstenTagedervoneinemSpazirgang heimkehrendeKaiserimSchloß einen anderenWeg nahm,alsergewöhnlichpflegte.Ergingin einZim- mer,wofürdieOperationAllesvorbereitet war,undnochamselbenTag konnteProfessor Orth sein Gutachten einsenden.DieAbsichtwar gut.Die ThatfachederErkrankung sollte erstbekanntwerden,wenn zugleich auch dieGefahrlosigkeitverbürgtwerden konnte. Dochdarfman den Völkern verdenken, daß sieoffiziellenBerichtenausderKrankenstubeeinesKönigs nachgeradedenGlaubenversagen?HumanitätundPolitik zwingenzur Un- wahrhaftigkeit.DaßeinMonarchinLebensgefahrschwebt,wirdmeist erstzu- gegeben,wenn das-Koma begonnenhat.Undwürdeeinerfahrener Spe- zialistvorAerzteneinLangesundBreites über eineOperation erzählen,die jederFachmannalsnichtderRedewerthkennt? Würden dieKollegen ihm huldigen, ihn für solcheDutzendleistungfeierlichzumEhrenmitglieder- nennen? DieHeldenderreinenWissenschaftsind dochnichtservil.So wurde geflüstert.Immerhinkonnteman denZweiflerndasvondenHerrenLeuthold, SchmidtundJlbergamneunten November unterzeichneteBulletin ent- gegenhalten,dassagte:DieentzündlicheReaktion läßtbereits nach;das Allgemeinbefindenist gut;bis zurHeilungderkleinen Wunde können aber noch acht Tage verstreichen.Gewißhattendie dreiAerzteeine überihrEr- warten hinausreichendeFrist gewählt; mitsolcherSicherheitwürdensienicht reden,wenn auchnurdieMöglichkeiteinerEnttäuschungvorhandenwäre.

DiePrognostik hat sichnicht bewährt.VierWochennachdemneun- tenNovember war die Wundenoch nicht völlig geheilt,konnte derKaiser

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seineStimme nochnichtwiedergebrauchen.Manhatte verkündet,erwerde in denersten Dezembertagen schonkleineReisenunternehmenundselbstden Reichstag eröffnen:erblieb imNeuenPalaisundderKanzlerverlas die Throntede.AusPotsdamkam dieMeldung,derKrankeseheschlechtaus undsei auffälliggealtertzderZustand müssesichverschlimmerthaben,denn dieSprechversucheseienwiederaufgegebenworden undderKaiser schreibe Alles,wasermitzutheilen wünsche,aufZettel. Daßin derThronredevon der»Heilung«deserstenBundesfürstengesprochenwurde,wirkteeherun- günstigalsgünstig;einStimmloser ist ja nochnichtalsgeheiltzubetrachten.

Ein paarTage danach mußtedenn auch zugegebenwerden, »daßdie-Heilung normalverläuft«,alsovorschreitet,nichtvollendetist.AllesosfiziöseBemühen halfnunnichtmehr;wermag aussolcherQuelleschöpfen?Das Auslandhielt Wilhelm den-ZweitcnfüreinenverlorenenMannunddieZeitungpsychologen durchforschtenschondiePersönlichkeitdesKronprinzen. AuchinDeutschland wuchs ringsumderGlaube,es könnesichnichtum eineleichteErkrankung handeln. Diplomaten stecktendieKöpfezusammenundberichtetenihrerRe- girung, publicopinion zweifleanderWahrheitderoffiziellenAngaben.

Großindustriellefragten unruhvoll,was ausihren Plänenwerdensolle, wenn demLebenihres höchstenProtektorseinnahesZiel gesetztsei. Nüch- ternePolitiker meinten,nurwer denDeutschenfiir unmündigundkindisch hilflos halte,könnefürchten,die ganzeHerrlichkeitwerdeverbleichen,wenn zweiAugen sichschlossen.DerFehlerderPrognose rächtesich.Ueberallwa- renZweifel erwacht, auch aufdenHöhenderBeamtenschaftund derArmee;

unddurchdieerregteVolksphantafiehuschtendunkleGespenster.Sohatsbeim KronprinzenFriedrich auchangefangen; fastgenauso.ZuersteineHeiserkeit, dieallenHeilmittelnwiderstand.Monate langoffizielleundoffiziöseBeschwich- tigungen.AmneuntenJuni1887VirchowsGutachtemdasexstirpirteStück hatdieKennzeichenderPachydermie,isteindurchausgutartigesGewebe. Eine ReisenachItalien;auchWilhelmderZweitesoll,wie esheißt,nächstensja nach dem Südengehen. Endlich auchaneinem neunten NovemberMackenzies Erklärung,erstimmederKrebsdiagnosezu; dieTracheotomieund das Leid derletztenvierLebensmonate. Orths Wissenschafthat nochnicht sovielKre- dit wie dieVirchowszund derweltberühmteCellularpathologe hatdamals majestätischgeirrt. Großmutter,Vater,Mutter desKaisers findamKar- zinomgestorben.JnallendreiFällenwurde dieBösartigkeitderNeubildung bis in dieletzteZeit bestritten. WissenSie dennnicht, daßKrebserblichist?

Werweiß,obnichtschondasOhrenleidendeshohen-Herrn... Manbraucht 31If

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nichtzu den Bewunderen desKaiserszugehören,brauchtdenWerthderMon- archenpersönlichkeitfürdieEntwickelungmoderner Staaten nichtzu über- schätzen,umsolchesGeraun schädlichzufinden.MagEinersichnoch soent- schlossenzumökonomischenDeterminismus bekennen:geradederDeutsche hat, nichtimmerfröhlichenHerzens,erfahren,waseinEinzelnervermag.

DasDeutscheReichwürdeauchdendrittenKaiserüberleben;fürunser ganzes politischesLeben aberists wichtig,zuwissen,obman mit derWahrscheinlich- keit einesnahenThronwechselsrechnen muß. Dochwoist Sichereszu erkun- den?Die zurBehandlung berufenen Aerzte dürften,selbstwenn sie wollten, nichts Ungünstigessagen;unddieanderen,die das BildderErkrankung nicht sahen, sindaufBermuthungen angewiesen.Jch habe Schweningerge- fragt. ErhatdieLeidensgeschichteFriedrichs miterlebt,denKronprinzen überredet,sichmit demKehlkopfspiegeluntersuchenzulassen,unddieSektion derLeichedesKaisers so dringend empfohlen, daßWilhelmderZweite sie, gegen denWunschseinerMutter,anordneteunddadurchdendeutschenAerzten dieMöglichkeitdesnachprüfbarenBeweisesgab,daßihreDiagnosevonAnfang an,trotzMackenzicsWiderspruch,richtig gewesenwar. Schweningerkannte dieEltern,kenntdie Kinderseit-manchemJahrundkonntesichnach osfiziellen undgeheimenBerichten vielleichteinUrtheilüber denFall gebildet haben.

»EinUrtheil?Nein.Dazu müßteichgesehen,nichtnur gehörthaben.

MehralsVermuthungenkannichJhnen nichtbieten. Wer mitunfehlbarer Mieneüber krankeMenschen daßichdenBegriff ,Krankheit«ablehne, wissenSielängst—, derenZustandundAussichtenurtheilt, ohne siegenau zukennen, isteinSchwindler.DieHerren,die,mit oderohneDiplom, ,an Wunsch auch brieftich«behandeln, haben doch wenigstensdiesubjektiveDar- stellungdesKrankenvorsich.Also nichts Sicheres.Dashat übrigensselbst derbehandelndeArztvielseltener,alsmangewöhnlichglaubt,in derWesten- tasche.Wasichaberleseundhöre,giebtmir, nachderErfahrungeinerdreißig- jährigenPraxis,garkeinen Grund zurBeunruhigung.Heutzutagemuß AllesgleichKrebssein.Erinnern SiesichnochandieErkrankungEduards desSiebentenP DenhattedieöffentlicheMeinung schonbeinahe beerdigtund ich galt füreinenSchönfärber,weilich sagte,mirsprechekeins der bekannt gewordenen Symptome fürdenKrebsverdachyundvorläufiglebtderKönig ja nochganzvergnügt.BeimKronprinzen Friedrich lagdieSacheanders .

DerwarsechsundfünfzigJahrealt und bekamplötzlicheineHeiserkeit,gegen die nichts half,dieauchinEms nicht weniger lästigwurde. Damußte wohl etwas Ernstes vorliegen;undichsagtemeinemFürsten sehr früh,der Ge-

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dankeanKarzinom seinicht abzuweisen. (Die blödsinnigeBehauptung,der Fürst habe jedieAbsichtoderdenWunschgehabt,denSohn seinesalten HerrnalsunheilbarKrankenvonder Thronfolgeauszuschließen,braucht jetzt nicht mehr widerlegtzuwerden.)Als derKronprinzdann aufeinemBall ungefährdreiViertelstundenüberseineHalsbeschwerden mitmirgesprochen hatte,war dieVermuthung ziemlicheGewißheitgeworden.«

»UndvielspäterkamdochBirchowsunrichtigesGutachten.«

»Warum mußesdennunrichtig gewesensein? Erstenskannauch der geschicktesteOperateurinsolchemFalldanebengreifenundein Stückher- ausholen,dasfürdie Art derErkrankungnicht typischist.Undzweitens ist derMikroskopikernicht unfehlbar. AusdemGewebestehtja nicht:Diesist krebsig!DerBefund mußgedeutetwerdenundläßtgarnicht so selten mehr als eineDeutungzu.Birchow sprachvonPachydermie.Der alsLaryngologe äußerstgewandteMackenzie,demmanaberwohlnichtUnrechtthut,wennman ihm nachsagt,erhabedieSachevonderpolitischenSeitegenommen, könnte demPathologischenAnatomen absichtlicheinfalschesStückgelieferthaben.

Dasbrauchtmanaber garnichtvorauszusetzen.Warum sollennichtauchbös- artige GeschwülsteStellenhaben,dienichtschlimmeraussehenalsdicke,schwie- ligeHaut?Birchows Diagnosekann vollkommenrichtiggewesensein.Sie hatmichdamalsnichtüberzeugt;undebensowenigwürdeichheuteausOrths Gutachten schwören,trotzdemichihn natürlichalsausgezeichnetenForscher anerkenne.Meinetwegenals,Autorität«.Nursollman die Autoritätennicht für allwissendeGötterhaltenundnicht außer sichvorVerwunderung sein, wenn auch siemalvonderEntwickelungwiderlegt-werdenDahinten auf demFeld isteinweißerFleck.DasAuge,dasFernglas hältesfürSchnee;

wenn wirhinkommen,istsvielleichteinBlattPapier. WirAerzteschaden unsselbst,wennwirthun,alskönntenwirausSymptomenundanatomischem BefundunterallenUmständendie NamensämmtlicherKrankheitemablesen.

Undkönntenwirs,sowärenwirauch nichtvielklüger;dennNamensind Wörter und WörtersindzwarfürLehrbücherundMuseen gut," nützenfürdie Praxisaber verdammt wenig. Auch,Krebs«istschließlichnur einWort;der Begriff ist durchaus nicht so unbestreitbar fest,wie derLaiesichvorstellt.

VonHippokratesbisaufHeister,vonGalenbisauf Bichatundweiter,das ganzeneunzehnteJahrhundert hindurch, hatdieDefinition geschwankt;und wirstehennochnichtamEnde. Das wäreauchtraurig. WaldeyersErklärung:

,KrebsisteineatypischeWucherungderepithelialenZellgebilde«wirdvermuth- lichnichtdasletzteWortderWissenschaftbleiben ;eherschonBillrothsklarer

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undbescheidenerSatz:,Krebsberuht aufeinerDiathesef Selbftdasinunserer Zeit sobeliebteWort,Neubildung«sollteman miteinigerVorsichtanwendcn;

dieHäufungentarteter TheilewärenichtalsNeubildungzubezeichnen.Noch bunter alsinderAetiologie istsin derTherapie hergegangen;baldhieß eshippokratisch:Nolimetangere, bald wurdegalenischgerathen,dasKar- zinom auszufchneiden,utnulla supersitradix. Seit dieChirurgenzur Herrschaftgelangt sind,wirddasSchneiden bevorzugtundimRadikalis- mussoweitgegangen,daßaufeinem derletztenGynåkologenkongresseschon wiederKetzerstimmenlautwurden. Manoperirt radikal, nochradikaler und möglichstimFrühstadium.UeberdieNützlichkeitkannman streiten; nicht aberdarüber,daßderKrebsnichteineursprünglichlokale, erst späterdurch MetastaseweitergeschleppteErkrankungist, sonderneineAllgemeinerkrankung desOrganismus,dienicht einfachdurchdieBeseitigungeinesSymptomcs zu,heilen«ist. NachmeinerUeberzeugungleidennichtAlleanKarzinom,die alskrebsigetikettirtwerden;zusichererDiagnosegenügenhier,wie dieErfah- runglehrt, anatomischeundhistologischeMomente nicht: VerlanundEnde derErkrankung erst lieferndiewichtigstenKriterien. Deshalb istkeinGrund, sofortzuverzweifelnodernachdemMesserzugreifen,wenn wirdieseDia- gnosehören. Nicht nachdemNamen derKrankheit sollenwirfragen son- dernprüfen,wasdaserkrankteIndividuum nochzuleistenvermag,welche Ressourceneshatund wiewirsiesammeln,vermehrenundnützlichverwen- den können.PrognoseundDiagnose: Wörter;derKrankehat nichtDia- gnoseundPrognose»von unszuverlangen, sondernHilfe,Rath, Pflege,die ihnzumWiderstand fähigermacht.Wo essichumhoheHerrschaftenhandelt, will dieöffentlicheMeinung freilichimmerschnelleinTrostsprüchleinhaben.

Dochwirsehenja jetztwieder, welcheUnannehmlichkeitendaraus entstehen können. DiekleineStimmbandwunde desKaisers heilte,wieesscheint,etwas langsamer,alsman gehoffthatte...DaskannverschiedeneUrsachenhaben, beweistaber-nichtsfürdieGefährlichkeitdesFalles. Vielleichtkommen die Be- schwerdenauchnurnochvonder Narbe.Wäre derleisesteKrebsverdachtaufge- taucht,dannhättendiebehandelndenAerztenichteinStückchenexstirpirt.Ent- wederradikalschneidenoderinRuhe lassen,l)eißtheutedieLosung;ListersMay- nung,erkrankteGewebenicht durchmechanischeEingriffe zuinsultiren, istnicht vergessen.WarumauchKrebsPDasLebensalter desKaisers sprichtnichtdafür.

MitdemModepopanzderErblichkeitist nichts anzufangen.Erstens wissenwir ganz undgarnichts Bestimmtesüber dieErblichkeitdesKrebses (denman auchschonfür sicheransteckendgehalten hat, bisman einesBesserenbelehrt

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wurde).BererbtkannwohleinZustand werden,einMinus anKraft;aber einProzeß?Jchwürde einen Krebsselbstdannfür genuin halten,wennich wüßte,daßVateroderMutter desErkrankten amKarzinoma gestorbenist;

derSohnkannihnebenso,unterähnlichenLebensverhältnissen,erworben habenwiederVater: durch parasitäreErreger,durchUeberernährung,allzu reichlichenFleischgenußodersonstwie, ohne daßSpermaundEi der Eltern zurErkrankungvderzelligenGebildebeigetragenhaben. Zweitens sind sicht- barwenigstensdieKrebssymptomederElternerst Jahrzehnte nachderGe- burtdesjetzigenKaisers geworden;1858 hielt JederdenKronprinzenund dieKronprinzessinvonPreußenfür kerngesundundsie selbsthieltensichauch dafür.An keinemihrerKinderhatirgendeinArzt bisher etwasKrebsverdäch- tigesentdeckt.DerVerdacht ist wohlaufgetaucht, aber, soweitWissenschaft undKunst dazuimStande sind,von ChirurgenundJnternistenwiderlegt worden. Damit könnteman sicheigentlichberuhigen.DieAerzte,die den Kaiser behandeln, haben jaaucheinen Namen zu verlieren.«

»Abersiedürfennichtimmeraufrichtigsein.«

»Brauchensieauch nicht.NurseinemGewissenistderArzt Rechen- schaftschuldig;die,Oesfentlichkeit«kannnicht verlangen, daß sie stetsdie Wahrheit erfährt.NichteinmalderKrankeselbst;alsichin einemenglischen Spitalneben denBettenauf einerTafeldie Worte,unheilbareKrebskranke«

las,nannte ichdiesVerfahreneineBarbarei. NureinStümperwirdsich nichtvorjedemSchritt fragen,wieeraufdiePsychedeserkranktenMenschen wirken könne.Wonun garnochpolitischeErwägungenmitins Spielkommen, kannauchdersonstGläubigsteleichtVertuschungen fürchten.Jn unserem Fall scheintman abervonvorn herein eherzuschwarzals zurosiggemalt zuhaben.Wennwir dasAngstgespenstderErblichkeitwegjagen,bleibtnicht derallergeringsteAnlaßzurFurcht. Ich weißnicht,ob derPlaneinerReise nach Italienoder insMittelmeerWahrheitoderDichtungist;abereswäre ganznatürlich,wenn einhoherHerrnachsolcherBelästigungein milderes Klima aufsuchteundprocul negotiis seineNervenausruhte.Daskönnte keinenvernünftigenMenschenerschrecken.Ebenso wenigkannsdieThatsache, daßderKaiser noch nicht spricht.Solches Stimmlippchen istwieeine win- zigeSaite;die kannschondurcheinStäubchentonloswerden. WennSie sichaus diesemkleinen undfeinen Dingeine Narbe vorstellen,können Sie ahnen,wielästigundlangwierigdieSachewerdenkann. Darum bleibtsie doch alltäglichundungefährlich.Vleibts, auchwenn neuePolypchen nach- wachsen.Daskannsichunter Umständensehr oft wiederholen.Es wäre der

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größteUnsinn,dannjedesmalzuschreien:Rezidiv, alsoKrebsl Ein Un- rechtgegen denKranken;undeine Dummheit,an dernur dieFeindedes DeutschenReiches ihre Freudehätten.Außer ihnen vielleichtnochdie An- hängerdesWortaberglaubensin derMedizin.Diesindandem ganzenLärm mitschuldig.Hüttenwir uns nichtvonihnenverleitenlassen,dannwürde dieMeldung genügen:Hieristein erkrankterMensch, dessenZustandaber ungefährlichscheint.Ietzt fordertmanWörter.Und esgiebtAerzte,diediesen Wünschenweitentgegenkommen;sogar solche,dievorderschlimmstenDia- gnosenichtzurückschreckemumso größeristdann derRuhm,wenn die,-Hei- lang«gelingt. ,DaswareinKrebsfall,denunser früherEingriff gerettet hat

SokönnenStatistiken entstehen...Aberichdarf hier nichtmein Stecken- pferd reiten,sondernnur sagen,wieichdenFall ansehe.SehrvonWeitem.

NurVermuthungen.Darübersindwirdocheinig, nicht wahr?«

Ganzeinig. Immerhinmag esManchen beruhigen,zuhören,daß einunbefangenerPraktikerin demöffentlichkontrolirbaren VerlaufderEr- krankungnichts Aufsälligesfindet, nichts,was Grundgäbe,dasLeben des Kaisers bedrohtzuglauben.EherberuhigenalsdieallerneuftenBerichtege- schäftigerOssiziösen,die mitneidenswertherZuversichtschonwiedermelden, invierzehnTagenwerdedie Stimme desMonarcheninunverminderterKrast gebrauchsfähigsein,derKaiserwerdenächstenszuJagden fahrenund den preußischenLandtag »sicher«selbsteröffnen;voneinerReisenachItaliensei nichtmehrdieRede.Verzögertirgendeinnicht vorauszusehenier Umstand dennochdieGenesung,dannhatdieKlatschsuchtwiederfreienRaum.

JneinemausländischenBlattwurdeneulichmitungemeinemTief- sinndieFrage erörtert,wasausdemDeutschenReichwerdenmöge,wenn Wilhelm derZweitenicht mehrlebe.Daßessofortauseinanderfallen, durch katholische,welfische,überhauptantipreußischeTendenzen gesprengtwerden müsse,schiennoch nichtganzsicher.Umso sicherer,daßdernächfteKaiserden bösenAgrariern,derendunklesTrachten jetzteineeiserneFaust niederzwinge, insGarngehenwürde.Dannwäre es mit der industriellen Weltmacht,mitder imperialistischenExpansionbald vorbei... DieHerrendürfensichberuhigen.

Nach MenschenermessenkannderKaiser nochJahrzehnte lang regiren.Aber find unsereMeinungmachernichtmitschuldigandemdummenGerede?Mit ihrem Byzantinismus, ihren stetenBrunstschreiennach»starlenMännern«

und,,festerZügelfiihrung«haben sieesdahingebracht,daßmandraußenall- mählichvergaß,andasWichtigstezu denken: andasVolk, dessenmündige Kraft sichselberdenWerth schuf,nurselbstsichseinGlückschmiedenkann.

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FormenderWeltgeschichtschreibung. 399

Formen der Weltgeschichtschreibung.

Wie

frommenVäter, dieunter denSeelenhirtendernenspanischenReiche imWestenzuerst sich mühten,OrdnungundUebersichtindieVer- gangenheitvonTahuantinsuyuzubringen, haben wunderlicheMittel ange- wandt, um dieZeitrechnungderihnenanvertrauten Volksgefchichtenach ihrem Wunsch einzurenken·Siehaben ManchemderJnka erstaunlichlange RegirungzeitenzugemesfenundschließlicheineHerrscherreihevonJahrtausenden ausgerechnet.Fragtman, warum dies wunderliche Kartenhaus aufgebaut wurde, dasauchdemleisestenHauch wirklichenForscherdrangesnichtStand hält, so findetman zuletzt, daßdieUrheber dieses harmlosen Trugesnur wünschten,dieJnka:Reihe so lang auszurecken,um siemitdemvermeintlich sicherenZeitpunktderbiblischenUeberlieferungvom ThurmbauzuBabel inUebereinstimmungzubringen.Wir lächelnwohldesnutzlosenSpieles einerkindhaften Forschung.Und doch:wiesehrwürden wirihr Unrecht thun,wollten wirdenguten, tief berechtigtenTriebverkennen,dersiezu«fo verkehrtemBeginnen führte!Voreineneue,um TausendevonMeilen ent- ferntgelegene,deraltenWeltganzunähnlicheStaats- undGeistesbildung gestellt, verzichtetendiepriesterlichenGeschichtschreiberdoch nicht darauf, so- gleicheinegeistigeEinheit fürdenaltbekannten unddenebenerworbenen BesitzihrerWissenschaftherzustellen.UndsofalschdasMittel war, das sie wählten, ihr Zweckwar imSinn hoher Forschungheilig:esgalt,einebe- täubende Fülleneuen WissensstoffesmiteinemSchlagezubemeistern, geistige HerrschaftübersiezugewinnenundsichnichtandasGetümmelvontausend neuen befremdlichen Einzelthatsachenzu verlieren. DiegeistlichenHerrenbe- währten eineKraft, dienichtjedesderfolgenden Zeitalter geschichtlicher Wissenschaft aufzuweisen gehabt hätte,amWenigstenetwa dasderzweiten HälftedesneunzehntenJahrhunderts Das hätte vielmehr staunendund voll frommerScheudieköstlicheMengeneuer Königreihen,Schlachten,Kriegeund Reichstheilungen,die da zugewinnenwar, zuPapier gebrachtundzu vielen älterenWirrsalen unübersichtlicherThatsachenmasseneinneues geschaffen.

Werheute versuchenwill,sichüber dieGesammtgefchichtederMensch- heiteinen Ueberblick zuverschaffen,wirdvor ähnlicheFragen gestellt,wie sieden gutenPriestern aufgestoßensein mögen:nur istdieZahlder Schwierigkeitenheute unvergleichlichvielgrößer.Denn seitderErweiterung desBlickfeldesüber den Erdball istdieReiheder zubewältigenden,räumlich, zeitlich unendlichweitauseinander strebenden Volksentwickelungenum ein Vielfacheslänger geworden;mitderAusdehnungdesArbeitgebietesderGe- fchichtschreibungüber alleBezirkedesgesellschaftlichenundgeistigenGeschehens ist innerhalb jeder einzelnenVolksgeschichtedieStoffmassevielleichtverzehnfacht

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worden,gegenübereinerZeit,dergenügte,dieäußereGeschichteundeinzelne auffallendeWendungenderinneren GeschichteeinesVolkeszubuchm-

DreiMöglichkeitenweltgeschichtlicherZusammenfassungbietensichheute dar. Dieerste istdiealthergebrachtezeitlicherOrdnung:eineDarstellung- weise,dievon derZeitrechnungalsgrundsätzlicherRichtschnurausgeht.Der einzige kecke,abertrotz allerVorläusigkeitseiner Forschungweiseverdienstliche VersucheinerwirklichenErdballgeschichte,dermeines Wissens überhauptvon einemEinzelnen gemachtist, Wirths Büchlein»VolksthumundWeltmacht«, hat diesenWeginderThat eingeschlagen.Doch ister,wiemir scheint, auf ihm nichtzuZielen gelangt,die zurNachfolgelocken. DerGrundsatz zeitlicherEintheilung ist so äußerlich,daß ihndieEinzelgeschichteeinesVolkes, wenn auch nicht ohne schwereSchädigungen,aufrecht erhaltenkann. Sobald abermehrereBolksentwickelungenzusammengefaßtwerden sollen, führter zueinem äußerstenMaßvon UnübersichtlichkeitoderaberzuGewaltsam- keiten. Diezweite Gefahr liegt eigentlichgarnicht aufdemWege dieser Darstellungweise.Niemand vermag aber heuteihrefolgerichtigeDurch- führungam eigenenLeibeauszuhalten,diezum Jahrbuchundaufdie geistigen Höhender PlötzschenTafelnzur Weltgeschichteführt, essei denn, dieEwig-GestrigeninunsererZunft gingen auf ihrem Wegevon Ranke zuThukydides nächstensüberHerodotzu denLogographen zurück underklärten inschönemWechseleinmalderenForschungweisefürdie allein seligmachendeundwahrhaft rechtgläubige.Undso ist Wirth,dervielZukunft- sinn insich hat,zurZusammenfassungvon Zeitalternvorgeschritten,die, wieesnichtanders seinkann,sachlicheZusammengehörigkeitenvoraussehen.

Erhat unerhörteAnstrengungen gemacht,um vorderasiatische,griechisch- römische,chinesische,indischeDingeunter dieBezeichnungeinesZeitalters zusammenzufassen.Aber wiewunderlich wechselndanun dieBegriffs- richtungen, nachdenen diese Bezeichnungengewähltsind! Mesopotamische Zeit, also erdbeschreibenderGesichtspunkt; klassischeZeit, hergenommen doch wohlvon derGeistesgeschichte,ZeitalterderDoppelbildungen,deräußeren Staatsentwickelungentlehnt, ozeanischeZeit,wiederum vomStandpunkteder Erdbeschreibung.Dazu sinddieGrenzen dieser Zeitalter soweitgesteckt, daß sie eigentlichjeder zusammenfassendenKraft ermangeln.Die klassische Zeit,von 1300 vorbis224 nachBeginn unserer Zeitrechnung reichend, umspannteineReihevonJahrhunderten,derenJnhaltanThatendesGeistes unddesHandelns so ungeheuerundzugleichso mannichfachist, daßman denEindruck hat,eshandlesichbei derWahl ihrerBezeichnungum einen AuswegderVerlegenheit. Schlagkräftigscheint hiernur dieNebeneinander- stellungdesrömischenund deschinesischenWeltreicheszum Schlußdes Zeitraumes, eineAehnlichkeit,mitderdoch, schautman sievom Gesichts-

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