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Die Zukunft, 23. Dezember, Bd. 29.

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Berlin, den 23. Dezember 1899.

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Die Weisenvom Morgenland.

BeorsSohn Bileam,demdurchdesHerrnGnade im Lande der Moa- biterOhrundAuge geöffnetward, hattegeweissagt,ausJakobwerde ein Stern ausgehenunddiesesSternes weithin leuchtender Strahlwerde Jsraels geeintenStämmen denWegzurWeltherrschaft weisen. DieWelt, die derekstatischePolitikervorseines Geistes Auge sah,war nochklein und eng.Sokam es,daßBileams VerkündungaufdenLippenderWanderer und in den Staubwsolken derKarawanen bisandieserwinzigenWeltfernste Grenzen drangundvondenAhnen sichaufdie Enkel vererbte. Ein Stern sollte, so hattendie Vätergelehrt,mitseinemScheineinerneuen Weltmacht WiegedemsuchendenBlickenthüllen;dieSöhne starrtengenHimmelund harrten,inFurchtoderHoffnung,desverheißenenstarkenLichtes.Es wollte nicht leuchten.Midianiter undAmoriter wurden besiegt, sechzigbefestigte Städte,die ganzeGegend ArgobimKönigreichOgszuBasan fielin die Händerraels,dasauchindemgutenLandKanaanherrschte.Undjedesmal, so oftvon einemneuen ErfolgderJudäerwaffendie Kunde kam, fragten VesiegteundSieger,ob dieZeitnun ersülletseiundderTagderWeltherr- schaft Abrahams Söhnen nahe. DochdesHimmelsNachtbildbliebun- verändert, keinseltsames LeuchtenflammtedemSpäherblickauf,undob diePropheten auchinzweifelndenundbaldverzweifelndenSeelen den Glauben andesHeilesAnkunftzustärkensuchten:derStern ausJakob zeigte sichnichtundmählichverblaßteauch Jsraels Glanz. Wohl wurde, unter pomphaften Ceremonien, oft nochder alteBund mitJahwe,dem SchützerundZüchtigerder aus derWirrniß erwähltenStämme,erneut;

dochdierechteZuversichtfehlte,dieErbenreichenBesitzeshattenzuernster 34

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SelbstzuchtnichtmehrdieKraft, sie gingen,imDienst desGoldenenKalbes, denAlltagsgeschäftennachundwähnten,ihre Kultpflicht seigethan,wenn sieeinSchaugeprängeherrichtetenundimFeiergewandzum LobedesHerrn denMund vollnahmen. Auchzwang dasHandelsinteressesie, sichin die SittenderunterworfenenVölker zuschicken,diesieals Kundenbrauchten, undsichfachtvonderWurzeldesStammeswesenszulösen.DasGespenst desVürgerkriegesschlichsichinsHebräerlandundregteunterdemröthlich fahlenKleid lautunddräuend die dürren Glieder. WenndieWeisfagung trog?WenndenedlenEiferdesWüstenseherseinThorenwahn entzügelt hätteundderEwige spöttischnur aufdasirrendeMühenkleinerMensch- heit herniederlächelte?...AllgemachentschwanddemHäufleinderErnsten, die überdienächsteStunde hinaus dachten,dieHoffnung.Schon hatteder Edomit Herodes,densein HofgesindedenGroßennannte, inIsraelge- wüthetzschonwar,nachdes BedrückersTode,derjüdischeEinheitstaatin Tetrarchienzerfallen; schon hatte, nebendemausGoldundMarmelstein gethürmtenPrunkbaudesjerusalemitischenTempels,RomseineFeldzeichen aufgepflanzt, derheidnischeRiese,denkein demGläubigen funkelnder Stern aufdiesteileHöhederWeltmacht geleitet hatte.DieHeroenzeitdes einstvom Sinaifeuer erleuchtetenVolkeswar dahin,war längst schonin nächtigeSchatten getaucht.Werwagte noch,zuerwarten,Bileams stolze Weisfagungkönneje sichtbare, greifbareWahrheitwerden?

Ein paarWeise wagtenes. Die imzerstückeltenVolkdurch Reich- thum Mächtigensannen,wiesiedieKraft so stählenkönnten,daß siedem Gedanken anWeltherrschaftwiedernahen durften;dennWeltpolitik,das Trachten nachdemHerrensitzaufdemErdkreis,dünktesiedasVorrechtder bisandieZähne Gewafsneten.Mit denFelozeichenund derfreierenSitte war aberauchvon derBildungderkultivirtesten TheiledesAbendlandes mancherKeim in denlange abgeschlossenenOrientgedrungenundhatte hier stillunterdemwinterlich schlummerndenErdreichfortgewirktKein inJsrael Großermerkte es, keinVerweserdesfernen Caesars gab sichdieMühe,vom weichenPfühlindiedunkleTiefe herabzusehen,wounbemerktnuneinFeuer entfachtward. Gierig lauschtediejerusalemitischeJntelligenzdenPlatonikern und BekennernderStoa, jedeaufrüttelndeWunderlichkeit,dieirgendein

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Philon, Hillel oderApolloniusvonTyanademdarbendenSinnbot,wurde ineifernderBetriebsamkeitweiterverbreitet und die Kundevonneuem Wer- den,vondererstenBefruchtung,derfchmerzlicheWehenfolgenmußten,flog auf ängstlichumwickeltenSohlenbisnachSamaria, PeraeaundGalilaea.

Siemußtefichhüten,daßvondenMachthabernKeiner siehörte;sie mußte sichsputen, daßsiekeinesWilligen Ohrschonverschlossenfände.Undsiekam,.

ohneaufgehaltenundin den Kerkergeworfenzuwerden,ansZiel.Diesyri- schenProkuratorenlächeltenüberlegen,wenn einAufmerkender ihnenvon derwachsendenUnruhedergeistigRegsamen sprach; sollten siedamitihre BerichteanTiberius ausfüttern?Diesesganze Getriebewar ja, solange dieRömermachtungebrochen ragte, nicht ernstzunehmen; vielleichtwäre esnützlich,denärgstenSchwarmgeisterndenDaumen fester aufs Augezu

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drücken: dann würdesichbald AlleswiederzuraltenOrdnung fügen.Die politischeBeamtenfchaftkonntenichtahnen, daßunterderOberfläche,dieihr hastig schweifenderBlicküberflog,einGedanke zumLichtempordrängte,der eine neue, dienächstenJahrhunderte beherrschendeVorstellungwirkensollte.

Jn tiefer Nacht hobendieWeisendasHauptzumHimmel.Dastand, herrlich strahlend,Bileams Stern. SiewinktendieNachbarn herbei, daß siemitihnen sichdeshimmlischenZeichens freuten.DieNachbarnaber waren nüchterneLeute undhatten fürdieErneuerer alterWeissagungnur losen Spott. DasLichtleindaobensolltedervonBeorsSohn verheißene Stern sein,derWegweiserzurWeltherrschaft?Du lieberGott:imHebräer- landesahesjetztauch gerade nach Weltherrschaftaus!Eheman sichsolcher Hoffnunghingab, mußteman ganz andersbereitet,ganzanders gerüstet sein.Träumerhatten nochnie eine Welterobert,waren oft voneinemIrr- lichtinSümpfeundAbgründeverlockt worden. Doch keinSpottundkeine Warnungkonnte die innereGewißheitderWeisen entwurzeln.Siehatten des altenGlaubens genug,umnichtzuzweifeln, daßausBileamsMund in derMoabiterhauptftadteinesHöherenStimme gesprochenhabe; undfie warenvonderblindenBegrenztheitder unterderUeberlieferunglaftKeuchen- denfreigenug, umzufühlen,daßauchderEwige je nachdenUmständen dieWahl seines Wegesändernkönne.Sofolgten fie getrosten Muthes demGebotfesterUeberzeugungundmachten sichaus ihrem Morgenland auf,in derNähedasWunderzuschauen,dasdesSternes Leuchtenverhieß.

AlsweifeMännerwollten siegernvordem werdenden Großendas Kniebeugen. Doch auchdarinwaren sie weise,daßsiesichgernandieheute nochherrschendenMachthaberhielten.GenJerusalemlenktenfiedenSchritt

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undsorschtenschüchtern,wodesGroßenWindelnzusehen,zufühlenseien.

DasvernahmderTetrarch,demgesagtwordenwar,ausBethlehetnwerde ihm Unheilkommen. PriesterundSchriftgelehrie hattenesihmausver- gilbtenBücherngekündetzWeise hatteernichtinseinemDienstunderselbst war nichtvonDenen,die Sterne sehen. Wohlaberwußteer,daßeines MächtigenMachtnochwächst,wenn esihm gelingt,AndererWeisheit seinen Zweckennutzbarzumachen.Deshalb ließerdieSternseherzusichentbieten, wiessienachBethlehemundbat,wennsiedieGeburtstättedesHeilbringers gefunden hätten,auch ihnzu dem Kindleinzuführen,demer,wie sie, huldi- gen wolle.Und derStern gingvorihnen hinundleitetesieundhemmteerst über einemarmsäligenHüttchenseinenLauf.Sietraten ein undfandeneine Mutter mitihrem Neugeborenen, das,weilin derdürftigenHerbergekeine Kinderbettstattwar,in derKrippe lag.Allessah ärmlichundelendaus;

gerade überderKrippeaberstand nochimmerBileams Stern. Unddie Weisenknietenum denhellen FleckundspendetendemKindederArmuth, wassieanGold, WeihrauchundMyrrhen besaßen.Denn siehattenaus demzweiundsiebenzigstenPsalm,demSalomos, gelernt,demVerheißenensei dasGoldausReich-Arabienzugeben,undausJesaias Wort,denMessias müsseWeihrauch umduften. Was sieaberaus keinesPredigers noch ProphetenMundlernenkonntenunddennochwußten,warDieses: daßes nicht gut ist,einemheutenochAllmächtigendie Stättezuzeigen,woderHerr- fcherkünftigerTage hiflosingrobenWindeln ruht.SieprelltendenTe- trarchen,derfiemitkluggesetzterRede zu ködernversucht hatte,umdieer- beteneAuskunftund zogenauseinemanderen,ihmundseinenReisigennicht zugänglichenWege beglücktundfriedsam heimwärts,insMorgenland.

pl- sc

Siehattenzuerst,vorallenAnderen,demKind in derKrippe gehal- digt, hatteninArmuthundNiedrigkeitdenGesalbtenerkanntundihn, für dennur derStern überseinerLagerstatt zeugte,vordenSchergendes argen Feindes gerettet.Wennsiezu demMachthaber hielten,genJerusalem kehr- ten undRedestanden,war dasKleine verloren. Sounglaublich schieneiner inMachtanbetungerzogenenZeit ihr muthiges Unterlassen, daß sieden Weiseninihr Gedächtnißden Eintritt wehrte.Weil dieMänner,diezuerst vordemHeilanddas Kniegebeugthatten,mitGold undMyrrhen gekommen waren,wurden sievondergeschäftigenVolksphantasiezumorgenländischen

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DieWeisenvomMorgenland. 491 Königenerhöht,die dannfreilichnichtvoreinemHerodeszuzittern brauchten.

Undweil dasEcho ihrer ErkenntnißundihresGebetes nichtbis zurHöhe drang,wodieGewaltigen wohnen, entstanddieLegende,dieerstenBeterim bethlehemitischenStallseienarmeHirten gewesen,derenWeihnachtfreudeins engeThalundins DunkelgebrechlicherHüttengebanntblieb.

DenKindernaber,denennebenLustweckendenGabenauch nützliche Lehreunter demhellenChristbaumbefchertwerdensoll,wird derErwachsene sagen:DieMänner,die demStern folgtenundanderKrippeknieten,waren Weise, wassonstauchihrStandundRang gewesenseinmag.Sieließen inihrem starkenGlaubensichnicht durchdieAermlichkeitderäußerenHülle beirren,fragten, dasiedasKindleinsahen, nichtängstlicherst nachdesVaters Namen undArt, nachder Mutter Wandel, nicht,obfrüherauchfchonAlles hübschkorrekt inHausundWirthschaftzugegangensei,undfühlten,beim LeuchtendesSternes, daßmandieWindelndesGeniusdemlegitimenHerr- schernichtzeigendürfe.Undauchdarinwaren sieweise,daßsiewohlwußten:

nichtmitWehrundWaffennur,nein,auch durch geistigeKraftkann über einewiderstrebendeWeltdieHerrschafterstrittenwerden. Währenddieim zerstückeltenVolkdurchReichthum Mächtigensannen,wiesie, ohne selbst allzuharte Opferzubringen,dieWehrkraft so stählenkönnten,daßsiedem GedankenandieverheißeneWeltherrschaftwiedernahen durften,lag,von RomsKaiserundProkuratoren,vondenKönigenundKönigischenimJu- däerlandunbeachtet,imStalltrogderGeist,der dasbuntbepinselteGebälk derRömerherrlichkeitausdenAngeln hebenundeineneue,bis aufdiesenTag ungebrocheneWeltmachtbegründensollte. NichtdasalteIsraelzwar:nur die zuwohlthätigemWeiterwirken bildungfähigenElementedesisraelitischen Wesens führteerzumSieg.Den Männernaber,die denweitenWegzu ihm nicht scheuten, durcheineschmutzigeFlur schrittenundinmittender StallstreudasKniebeugten, diesen erst Verlachtenund dannVergessenen gebührt,weilsiedesbethlkhemitischenWunders frühisteGläubigewaren, derRuhm bescheidener,muthigerunddemüthigerWeisheit.

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Kulturphilosophie.

WerAnfangdesneunzehntenJahrhunderts standunter demZeichender NaturphilosophieundanseinemEndebefindet sichunser Jahrhundert unterdemSternbilde derKulturphilosophie. Jm Jahre1799 kamSchel- lings»ErsterEntwurf einesSystemesderNaturphilosophie«undimJahre1800 sein ,,Systemdestransszendentalen Jdealismus« heraus.An derletzten JahrhundertwendewarderSatz Schellings: »Die unendlicheWelt ist nichts Anderes alsunserschaffenderGeist selbstinunendlichen Produktionenund Reproduktionen«dasphilosophischeStichwortdesTages.Die Naturwurde durchgängigvergeistigt.Aus dererkenntnißtheoretischenEntdeckungKants, daß NaturgesetzesichamletztenEndeinnur subjektivgiltige Denkgesetzeauf- lösen lassen,zogenSchellingundmitihmdieNaturphilosophendenlogisch unzulässigenSchluß, daßdieDenkgesetzein der Natur verwirklicht,vergegen- ständlicht(objektivirt)seien.EindialektischerWirbelwind erfaßtediedeutsche PhilosophieundrißinseinerGewaltselbstdieerlesenstenGeistermitsichfort.

MantaumeltephantasietrunkenvonKonstruktionzuKonstruktionundmanver- kündeteinselbstvergötterndemDünkel,manhabedasWeltgeheitnnißrestlosenthüllt.

DieErnüchterungaus diesem RauschderSpekulationtrat erstum dieMitte des-Jahrhunderts mitLudwig Feuerbachein. Seine berüchtigte ,,Umwerthung«desGottesbegriffes, wonach nichtGott dieMenschennach seinemEbenbild,sonderndieMenschen ihreGötternach ihremBildege- staltethabenslegtezugleichdieAxtan dieWurzelallerNaturphilosophie.

Denn sprachman mitderFormel Spinozasvon Gott oder derNatur (deussivenaiura), wie DasdieNaturphilosolphenmitbesondererVorliebe thaten, solagdieVersuchungnahgenug, andieUmwerthungdesGottes- begriffeseinesolchedesNaturbegriffes anzugliedern.Esist durchausder selbe Anthropomorphismus,obman mitSchelliiigdieNatur odermit Aristotelesetwa Gottvergeistigt Durch subjektiveVerdoppelungwirddie Eigenschaft,die derMenschansichselbstamHöchstenschätzt,hier auf Gott, dortaufdie Natur hinüberprojizirt.So langedenGriechendiephysische KraftdenhöchstenWerthungmaßstabmenschlicherTugendenbildete,stand

,

HerkulesimVordergrundihres Mythos.Alssieaber seitdemperikleischen Zeitalter immerausgesprochenerdenGeistalshöchstenSchätzungmaßstab desMenschen anzuerkennensich anschickten,wich allgemachdieVerehrungder rohen KraftderdessublimenGeistes. HerkulesundTheseus büßenihre Vorherrschaftein,Zeuswirdimmerabstrakterundgeistiger,bisendlichbei AristotelesdieBegriffeGottundGeistganzzusammenfallen.

Dieselbe Entwickelungkannman anderNaturphilosophiederersten

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Kulturphilosophie. 493 Hälfte unseres Jahrhunderts beobachten. Schelling sahdieTendenzaller Naturwissenschaftdarin, von »der Natur aufs Jntelligentezukommen.«

Erstwenn esihr gelänge,die ganze Natur in eineeinzige Intelligenz auf- zulösen,wärederletzteZweckallerNaturwissenschafterreicht.DerfeinsteKopf unter denNaturphilosophen, LorenzOken,ließgar allePhilosophienur soweitgelten,wiesieNaturphilosophieist,unddefinirt sieals dieLehrevon der»ewigenVerwandlungGottesindie Welt«. Danämlichdie»Natur« seit denPhysiokratenundRousseau inihrem gemeinsamen,derchnisch:stoischen Moralphilosophie entlehnten Refrain ,,Kehren wirzurNatur zurückl« höchsterWerthschätzungmaßstabgewordenwar, wirdjetztdieNatur ebenso anthropomorphisirt,wiedieGriechen einstdie Göttervermenschlichthatten.

Undsowie bei denGriechenGottzuletztalsGeist begriffenwurde,sowird beidenNaturphilosophendes scheidendenJahrhundertsdieNaturimmer mehrundimmerbewußterzumGeist umgestempelt.Ebendamithabendie NaturphilosophenKant aufdenKopf gestellt·Kants kopernikanischeEnt- deckunglautete, daß unsere Erkenntnißsichnicht nachdenGegenständen, sondern daßumgekehrtdieGegenständesich nach unserer Erkenntnißrichten, kürzergefaßt: Naturgesetzesind bloßeDenkgesetze,alsonur subjektiv giltige JnterpretationenderMannichfaltigkeitdesNaturgeschehensineinemEinheit- aktdesBewußtseinsDieNaturphilosophen behauptetennun abergenau umgekehrt: Denkgesetzesind Naturgesetze.EinemKant war dasDingan sich,Dasheißt:dasobjektiveWesenderNatur,unerkennbar. Diegroßen MetaphysikerverkündenunsaberinentzücktenHeureka-Rufen,sie hättendas Unerkennbareerkannt, dasUnaufsindbare gefunden,dasUnbegreiflichebegriffen.

Schadenur, daß Jedervon ihnenetwas Anderes gefunden hat: Fichtedas Ich, SchellingdieabsoluteJdentitätvonSubjekt- Objekt, HegeldieSelbst- entwickelungdesLogos, HerbartdasReale,SchopenhauerdenWillen, HartmanndasUnbewußte,NietzschedenWillen zur Macht,Wundt den Willen zumGeist, RiehldenWillenzurPersönlichkeit,LotzedieMonade, FechnerundPaulsendieAllseele.

WärenalledieseDenkeraufdiegleicheLösungverfallenundhätten sie unabhängigvoneinander diegleicheFormel gefunden, sokönnte

man einem auffälligenconsensus begnadeterGeisterwissenschaftlichesGe- wichtbeimessen,wenn man freilicheinemsolchenimmernochnicht genügende Ueberzeugungskraftzubilligendürfte.Wäresomit ihrallgemeinerKonsens noch keinentscheidendesArgumentfür dieRichtigkeitihrer Lösung«so scheintmir dagegenihr allgemeinerDissenseinschwerwiegendesBedenken gegen dieRichtig- keitjeder dieser Lösungenzusein.DadieWahrheitnur eineseinkann, dermetaphysischenLösungenaber mehrere vorliegen, so scheintmirKants AblehnungallerdefinitivenAntwort aufdieGrundfragenderMetaphysik

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undNaturphilosophieheute nochganzso berechtigtwiean derWendedes vorigen Jahrhunderts. Undso sehe ichdennin derAbkehrvonderNatur- philosophieundunserer ZuwendungzurKulturphilosophieeinheilsamesMittel fürdieGesundung unseres philosophischenDenkens.

Geben wiruns keinerSelbsttäuschunghin. Unser hochentwickeltes KultursystemkannaufdieDauer ebenso wenig ohneeineherrschendePhilo- sophieauskommen wieohneReligionoderohneKunst.So gut unsere Gefühlsfaktorenihre Befriedigungin Religionenundunsere Phantasie- thätigkeitihre AuslösungimkünstlerischenSchaffenoderGenießenfindet, bedarf auch unserDenkprozeßeinereinheitlichenRegelungund einer demwissen- schaftlichenGewissenderZeit adäquatenAusdruckleihendenphilosophischenEin- heitformel. Diese Einheitformel schmiegtsicheben eng demwissenschaftlichen Grundton einesZeitaltersan.So gewann diePhilosophiein Descartcs, Newton SpinozaundLeibnizeinvorwiegendmathematischesGeprägeundihre Lehrsätz, mußtendahermore geometrico demonstrirtwerden, weil dieherrschendeWissen- schaftdesZeitaltersdieMathematikwar. AusdemselbenGrunde gabdie schellingfcheNaturphilosophiezuBeginndesneunzehntenJahrhunderts philo- sophisrhdenTonan,da dieNaturlehre (PhysikundAstronomievoran)dieherrsch- endeWissenschaftgewordenwar. MandenkeanLavoisier, Lagrange,Lalande, Laplace,Dalton,Kant. VonderMitte unseresJahrhundertsabgewinnen diebiologischenWissenschaften,denenzuBeginndesJahrhunderts Lamarck, Cuvier, Bichat,K.E.vonBaer,GoetheundErasmus Darwin dieBahnge- brochenhatten, durch EharlesDarwin sosehrdasUebergewicht,daß sieim MittelpunktedeswissenschaftlichenInteresses stehen. Sogleich stellen sichdie Philosophenein, diediesemFrontwechselRechnungtragenund diephilosophischen Gedanken inbiologischeFormelnkleiden:AugusteComtenachderSeiteLamarcks, Herbert SpencerimAnschlußanEharlesDarwin, endlichinDeutschland Ernst Laas, Ernst HaeckelundRichardAvenarius. Diezweite Hälftedes abschließendenJahrhunderts endlich ist durchdasallmählicheErstarkendes sozialen Gewissens gekennzeichnet.An derWende unseresJahrhunderts stehenebendiesozialen ProblemeimVordergrunddeswissenschaftlichen Interesses,genausowievor einemMenschenalterdiebiologischenundvor zweiMenschenalternetwa diephysikalisch-chemischen(Berzelius, Wöhlert, Liebig, Joule,Robert Mayer, Helmholz, Elausius).

NatürlichmußtejetztdiePhilosophie diesemneuen Stimmungumschlag derWissenschaftRechnungtragen. Wiesie sichfrüherdarumbemühte,die physikalisch-chemischenErrungenschaftenin denEinheitbauderGesammt- wissenschaftharmonischeinzugliedern,undwiesie später biologischeFormeln fand,um die neugewonnenen Einsichtenin dasWesenderLebenserscheinungen mitderGesammtheitallesWissensinEinklangzusetzen, sosucht sichdie

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Kulturphilosophie. 495 Philosophiean derWende desJahrhundertsdem,,NeuenHerrn«,der Sozialwissenfchaft,anzupassen.DieNaturphilosophietrittimmermehr zurück, umderSozial-undKulturphilosophie Platzzumachen.ComteundSpencer habeneineSoziologie geschaffen,abererstMarxundNietzschehabendas Jnteresse für dieseProblemeaufsHöchstegesteigert.DasletzteJahrzehntdes Jahrhunderts gehört wissenschaftlichdenvon Marx nachderfozialistischen, von Nietzschenachder individualistischenSeite insExtrcm ausgebildeten Theorien.Natürlich sind durchdas Vorwiegendersozialenund kultur- ellenProblemedieübrigenwissenschaftlichenInteressennichtzumStillstand gekommen; sie schwingenvielmehrnur etwas leiseralsfrühermit. Wie esnämlichimJndividualbewußtseineinPhänomengiebt,daswirseitHer- bart ,,EngedasBewußtseins«nennen eshabenebennicht mehrals zehnbiszwölf VorstellungengleichzeitigineinemBewußtsein Platz, so daßalleübrigenVorstellungenander,,SchwelledesBewußtseins«harren—,

so hat auchdaswissenschaftlicheBewußtseineinesZeitalterseinegewisseEnge.

Jede Generation hateinvorherrschendeswissenschaftlichesJntercsse,dasihr jeweiligesBewußtsein ausfüllt. Währenddieser Borherrschaft verharrendie übrigenWissenschaftenanderSchwelledesphilosophischenZeitbewußtseins.

AnunsererJahrhundertwende istnun daswissenschaftlicheZeitbewußt- fein offenkundigvon sozialen, weiterhinvon Kulturproblemen ausgefüllt.

Deshalb habe ichmeinenvor Kurzem erschienenen,,VersucheinerKultur- philosophie«als philosophischesStimmungbildderJahrhundertwendebe- zeichnet.Den UmschlagundallmählichenUebergangvon derNaturphilo- sophiezurSozial-undKulturphilosophiekennzeichneichdort(S.229f.)wie folgt: »UnserePhilosophie ist augenblicklichineinerUmformung begriffen.

Siebeginnt endlich, sichauf ihre Aufgabenzubesinnen. Das Universum ist heute nicht mehr ihrcentrales Forschungobjekt.ObderKosmos sich ausAtomen oderEnergien (Kraftcentren) zusammensetzt;obJchundWelt, SubjektundObjekt, logisch vollziehbareScheidungen darstellenoder im Absoluten identisch sind;obdieSpaltungderWelt inPhänomenaund Noumena,wie sieKant vornahm,das letzte GeheimnißallesSeins und Denkens enthülltoderderethischePantheismusFichtes,dernaturalistische und ästhetischeSchellings,der logische Hegelsdas letzte Wort aller Philosophiebedeute: diese Fragen stehen heute nicht mehrimBrennpunkt allerPhilosophie.Methaphysikund Erkenntnißtheorie diesenichtsweiter alseinenachinnen gekehrteMetaphysik beherrschenheute nicht mehr,wie nochvor einemJahrzehntetwa,diephilosophischenKathedermitmonopoli- yrender Ausschließlichkeit.Das Sollen, dieEthik, steht vielmehr aufder philosophischenTagesordnungundnicht mehr,wievoreinemMenschenalter, dasErkennen und,vorzwei Menschenaltern,dasSein.

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496 DieZukunft.

DastheoretischeInteresse weicht aufder ganzen Linie demprak- tischen.DiePhilosophie vermochte diesem ZugderZeit nichtzuwider- stehen.Dermoderne Menschwill von derPhilosophie heut nichtblos erfahren, welche Beziehungformenden Kosmos beherrschen(Metaphysik), aberebenso wenignur, welcheBeziehungformendeninneren Kosmos,die Welt desGedankens, regeln (Erkenntnißtheorie),sondernundvor Allem, welche BeziehungformendasZusammenwirkenvon Menschen bestimmen, also gleichsamdensozialenKosmos konstituiren(Svoziologie).

DasProblemdermenschlichenGesellschaftistineinakutesStadium getreten. EspochtanjedeThürundwecktauchdenverschlafenstenspeku- lativen Träumer aus seinen Phantasien. Man harrt ungeduldig ausAnt- wort. DiePhilosophie darf nicht zaudern,willsienicht Gefahr laufen- inZukunft überhauptnicht mehr gefragtzu werden. Uudsobildetsiesich

anderWendeunseres Jahrhundertes offensichtlichum. DiesozialenProbleme rücken in den Vordergrund. DerMensch ist endlichwiedernach zwei Jahrtausendenbeisich selbst angelangt,zurphilosophischenErforschung, Beleuchtungundstreng wissenschaftlichen nichtreligiösen,auch nichtblos ethischen,sondern mathematischgenauen FormulirungseinerBeziehungen zur sozialenUmwelt, zu seinen Mitmenschen zurückgekehrt.Wirerleben augenblicklicheineRenaissancedes Anthropocentrismus. Nur stehtder heutigenPhilosophiederMensch nicht mehr,wiederfrüherenanthropocen:

trischenWeltanschauung,imMittelpunktdesUniversums, sondernnur im Mittelpunktdes philosophischen Interesses. NichtdieWelt, sonderndie menschlicheGesellschaftwird,wenn nichtalleAnzeichentrügen,dascentrale Problemderphilosophischen,Moderuen«,der ,Jungen«.Das zwanzigste Jahrhundert wird unter denAuspizieneinerinvollständigerUmwälzung begriffenenPhilosophie einsetzen. Für dasheranwachsendeDenkergeschlecht istderSchwerpunktdesdialektischenFürwitzes verschoben;erheißtnicht mehrWelt,sondernMensch. Wir stehenmit einemWorte unter dem ZeichenderwerdendenSozial-undKulturphilosophie.«

Jn meiner Sozialphilosophie »Die soziale FrageimLichteder Philosophie.« VorlesungenüberSozialphilosophieundihre Geschichte, Stuttgart, Enke,1897,792S. gebe ich diesem Umbiegungprozeßder PhilosophiefolgendenAusdruck: Es giltvorAllem,diesozialenTen- denzenunseresZeitaltersauszuspürenundsolchergestaltunserer suchenden, selbstzweiflerischen,ansichirregewordenen Zeit ihre stillen, unausgesproche- nen Gedanken von denLippenzu lesen.WerdieZeichenderZeitzu deuten versteht,Der weiß,daß derKampfumeinenneuen Lebensinhalt entbrannt ist;es handeltsichum einRingen nacheinersozialenWelt- anschauung. DieseWeltanschauungmöchtenun der ebenerschienene»Ver-

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