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Zeitschrift des Vereins für Volkskunde, 19. Jahrgang, 1909, Heft 2.

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Academic year: 2022

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(1)

ZEITSCHRIFT

des

Vereins für Volkskunde.

19. Jahrgang.

Begründet von Karl Weinhold.

Im Aufträge des Vereins

herausgegeben von

Johannes Bolte.

Heft 2.

Mit einer Abbildung im Text.

BERLIN.

B E H R E N D & C °.

1909.

1909 .

D ie Z e its c h r ift e r s c h e in t 4L m a l jä h r lic h .

(2)

I n h a l t .

S e it e

Das V aterunser als politisches K am pfm ittel. Von G ebhard

M e h r i n g ... 129— 142 D as V ogelnest im A berglauben. Von Theodor Z a c h a r i a e . . 142— 149 D ie iranische H eldensage bei den A rm eniern, N achtrag Von

B agrat C h a l a t i a n z (13. R ustam -Zal. 14. G ahram än Gathl.

15. D er König- X o s r o v ) ... . 149— 157 K leine M itteilungen:

V olkskundliches aus dem D anziger W erder. Von E. S c h n i p p e i . S. 158. — Die letzten Islän d er in Grönland, eine isländische Sage. Von M. L e h m a n n - F i l h e s . S. 1 7 0 .—

Angebliche U rahnen unsrer Festgebäcke. Von M. H ö f le r . S. 173. — Ü bertragung von K rankheiten auf Bäume. Von E H a h n . S. 174. — Predigtpwrodien und andere Scherz­

reden aus der O berlausitz Von C. M ü l le r (1 Die Traurede. 2. S pottpredigt beim L ichtengang. 3. Die Schusterpredigt. 4 Kauf au f der Insel vom guten Nichts. 5. Die Riesenbassgeige). S. 175. — W eiter« Predigtparodien (1—6). Von J. B o lt e . S. 182. — Zwei Satiren in Gebetsform auf Tököly und Ludwig XIV. Von P. B e c k . S. 18(> — Zwei deutsch-französische F lugblätter aus dem spanischen Erbfolgekriege Von P. B e c k (1. Die Schlacht bei Chiari, 1701. 2. Die Schlacht hei Ramillies, 1706). S. 188. — Ein Reim ­ gespräch zwischen Prinz Eugen und Villeroi (1702) Von J . B o lt e . S. 190. — Die si^ben- bürgischen Melodien zur Ballade von der Nonne. Von G B r a n d s c h . S 194. — Tiroler Volksm einungen über Erdbeben Von M. K e h s e n e r . S. 198. — Wachsvotive aus Kiedrich im Rhein au. Von K. W e h r h a n . S. 199 - U nterhaltung m it Toten. Von M. H ö f l e r (m it Abbildung). S 202 — Den Tod betrügen. Von K. A n d r e e . S. 203. Das polnische Herodesspiel in W estpreussen. Von H. M a n k o w s k i. S. 204. — Zum Lobspruch auf die deutschen S tädte Von J . B o lte . S. 20G. — Isländische Bezeichnungen für die H im m els­

gegenden. Von M. L e h m a n n - F i l h e s . S. 207.

B erichte und B ücheranzeigen:

Neuere Arbeiten zur slawischen Volkskunde 1: Polnisch und Böhmisch. Von A. B r ü c k n e r . S. 208. — N. uere Arbeiten über das deutsche Volkslied. Von J. B o lt e . S. 219. — F S. K r a u s s , Slawische Volkforschimgen (R. Petsch S. 234. W. U h l, W iniliod (J. Bolte) S. 23G. — E. K ü c k und H. S o h n r e y , Feste und Spiele des deutschen Landvolks (J. Rolte) S. 238 — B eiträge zur deutschen Volksdichtung, hsg. vou E K. B lü m m l (J. Bolte) S. 238. — J. S c h i e p e k , Der Satzbau der E gerläuder Mundart 1 —2 (H. Michel) S. 239.

N otizen:

Basset, Delehaye, Diels, D ingelstedt, F alk, Gaidoz, Galle, van Gennep, Gloede, H eld­

mann, Uellwig, Hiiochfel I, Hofmann. Lohmeyer, Mader, Neumann. Olrik, Prätorius, Reich­

hard t, Reinach, Reuschel, Salzberger, E. Schmidt, Sofie, Sppnce, Stack, M.Tevfiq, Tiedt,Vollmer.

Aus den Sitzungs - P rotoko llen des Vereins für Volkskunde

(K. B r u n n e r ) ... 245—248 B erichtigung zu S. 126 (K. L e m k e ) ... 248

B e i t r ä g e f ü r d ie Z e i t s c h r i f t , bei denen um deutliche Schrift auf Q uartblättern m it R and gebeten w ird, M i t te il u n g e n im I n t e r e s s e d e s V e r e i n s , K r e u z b a n d s e n d u n g e n beliebe man an die Adresse des H erausgebers, P rof. D r. Johannes B o l te , B erlin SO. 26, E lisabethufer 37, zu richten.

B ücher zur B esprechung in der Zeitschrift wolle man an die Verlags- B uchhandlung B e h r e n d & Co. (vormals A. A sher & Co.), B erlin W . 64, U nter den L inden 16, senden.

B eitrittserklärungen zum Verein nehm en der 1. und 2. Vorsitzende Prof. Dr. Max R o e d i g e r , Berlin W. 62, B ayreutherstr. 43, und Prof.

Dr. Johannes B o l te , sowie der Schatzm eister D r. Max F i e b e l k o r n . B erlin NW. 21, D reysestr. 4, entgegen.

D er Jahresbeitrag, wofür die Zeitschrift an die M itglieder gratis und franko geliefert wird, b e trä g t 12 Mk. und ist bis zum 15. J a n u a r an den Schatzm eister zu zahlen. Nach diesem Term ine wird er von den Berliner M itgliedern durch die P aketfahrtgesellschaft eingezogen werden.

V .

(Fortsetzung auf S. 3 des Umschlags.)

(3)

Das Vaterunser als politisches Kampfmittel.

Von Gebhard Mehring.

Es gehört zum W esen der P arodie, dass sie ihre W irkung zum grossen T eil aus der Bedeutung des Stückes nim mt, dessen Nachbildung sie ist.

.Je allgem einer dieses bekannt ist, um so grösser ist der K reis derer, an den sie sich wenden kann. So erk lä rt es sich, dass politische D ichtung, die tief ins Volk eindringen will, gern religiöse Stücke parodiert, K irchen­

lieder, B ibeltexte, ganz besonders häufig aber das V aterunser Von Parodien dieser A rt hat R. M. W e r n e r (Das V aterunser als gottesdienst­

liche Zeitlyrik. V ierteljahrsschrift f. L iteraturgeschichte 5, 1 — 49. 1892) eine stattliche Anzahl verzeichnet, dazu verschiedene u nb ekannte Texte in itg e te ilt1). Aber noch im m er liegt vieles in H andschriften da und dort verborgen, und es ist zu hoffen, dass w ir m it der Z eit auch noch von d o m e r s t e n Gebrauch einer deutschen V aterunserparodie K enntnis er­

halten. Im folgenden möchten wir als eine Art N achtrag zu W erners Sam m lung und als V orarbeit zu einer künftigen vollständigen Ü bersicht von einigen Funden M itteilung m achen, die sich als N ebenertrag v er­

schiedener historischer Studien ergeben haben.

Es lassen sich in der H auptsache zwei Typen unterscheiden. D er ältere ist im 15. Jah rh u n d ert zuerst nachw eisbar und erscheint zu Anfang des 17. Jah rh u n d erts noch vor dem dreissigjährigen K rieg zum letzten Mal (von einer Ausnahme besonderer A rt nachher). Mit den W orten des G ebets wechseln hier zeilenweise rein weltliche R eden ab, so dass

„gleichsam das L ippengebet und die weit davon abliegenden Gedanken des Betenden nebeneinander ausgesprochen w erden“. D as bekannteste Beispiel dieser A rt ist das sogenannte R eutlinger V aterunser von 1519, dem Herzog U lrich von W ürttem berg in den Mund gelegt. Ä lter ist das Uliner V aterunser von 1486, das in den ‘Geschichtlichen L iedern und Sprüchen W ürttem bergs’ (herausgegeben im Auftrag der w ürttem bergischen

1) [Vgl. noch Hans Salats V aterunser auf Zwingli (Salat, hsg. von Baechtold 1876 S.

1 3 ) ;

Urban, Zs. f. österr. Volkskunde 5, 273 nr. 3; Müller, Siebenbürg. K orrespondenz­

blatt 22, 25. 52. W eiter unten P. Beck, Satiren auf Tököly. — Zu den u n p o l i t i s c h e n Parodien des V aterunsers vgl Holte, In dulci iubilo (Festgabe an K. W einhold 1896 S. 106) und Zs. f. vergl. Litgesch. 7, 463. Blümml, Deutsche M undarten hsg. von N agl 2, 175.]

Z o itsch r . d. V e r e in s f. V o lk s k u n d e . 1909. q

(4)

130

Mehring:

Kommission für L andesgeschichte von K. Steiff und G. M ehring, Nr. 15) zum erstenm al abgedruckt ist, bis je tz t das älteste b ek an nte Stück, ln derselben Sam m lung (Nr. 68) steht noch ein zweites Beispiel, das B ruch­

stück eines V aterunsers von 1546 auf den Ausgang des Schmallcaldischen K rieges. D ie beiden P arodien aus dem Jah re 1607 vom S treit um D onau­

w örth scheinen die letzten V ertreter des älteren Typus zu sein. D enn das von W ern er (S. 7) vergeblich gesuchte Stück ‘Neugem achtes V atter- unser F riederich P faltzgrafen bey R h ein ’ von 1621 ist offenbar entw eder identisch m it dem H eideibergischen V aterunser vorn gleichen J a h r (W ern er, S. 15) oder steht zu ihm im V erhältnis von R ede und G egenrede, gehört also jedenfalls zum späteren Typus. Nur ein einziger F all aus sp äterer Zeit ist uns bek an n t geworden. In der ersten Num m er der von Ludwig- P fau in S tu ttg art herausgegebenen satirischen W ochenschrift ‘E ulenspiegel’

(1848, S. 3) steht das unten m itgeteilte Schweizer V aterunser. Es geht auf den Sonderbundskrieg und m uss, nach Zeile 6 und 8 gegenüber Zeile 4, zwischen dem 22. N ovem ber 1847, der E innahm e von Zug, und dem 24. N ovem ber, der Einnahm e von L uzern, gedichtet sein. An der W iederaufnahm e der alten, seit m ehr als 200 Jah ren verschollenen Form ist wohl W ilh. H auff schuld, der 20 Ja h re frü h er durch seinen L ich ten ­ stein das R eutlinger V aterunser berühm t gem acht h atte; an dieses knüpft der Schweizer P arodist offenbar an:

Schweizer Vaterunser.

V ater Unser Freiburg ist unser.

Der du im Himmel bist,

Zug m it einem Zug genommen ist.

s G eheiligt werde dein Nam,

D er Sonderbund ist schon an zwei Füßen lahm.

Zu uus komme dein Reich, Luzern das haben wir auch gleich.

Dein W ille geschehe wie im Himmel also auch auf Erden, io Die vier ändern machen uns n it m ehr viel Beschwerden.

Gib uns heute unser täglich Brod, W ir haben Geschütz für alle N oth.

V ergib uns unsre Schulden,

fremde Einsprach wollen wir n it dulden.

iö Wie wir unsern Schuldigem vergeben, aber die Jesuiten sollen zur Hölle schweben.

Führe uns nicht in Versuchung, denn Jesuiten gibts überall genung.

Erlöse uns von allem Übel deßwegen,

20

wir wollen gern selbst die Hände dabei regen.

Denn Dein ist die Kraft und die H errlichkeit und wir sind für unsere F reiheit zu sterben bereit In Ewigkeit. Amen.

D er zw eite H aupttypus, von dessen grösser V erbreitung wir zahlreiche

Zeugen haben (W ern e r S. 12ff.), verflicht die W orte des Gebets völlig

(5)

Das Vaterunser als politisches Kampfmittel.

131

in den Zusam m enhang des w eltlichen Gedichts, so dass sie dadurch oft einen ganz veränderten Sinn bekom m en. D er T ext besteht in der R egel aus Zw eizeilern, wobei jede zweite Zeile in ein W ort des V aterunsers ausgeht, so dass dieser „fortlaufende zusam m enhängende R efrain “ den ganzen W ortlaut des G ebets bildet. Das älteste Stück, das WTerner kennt, (w enn w ir von dem G edicht von 1599 absehen, das den lateinischen T ext des G ebets verw endet) ist das schon erw ähnte H eideibergische V aterunser von 1621. E ine ältere B earbeitung enthält ein Sam m elband der reich ­ haltigen U lm er S tadtbibliothek (A llerhand gedenkw ürdige M anuscripta I Nr. 87); die N iederschrift gehört noch dem 16. Ja h rh u n d ert an. D er T ext weicht m ehrfach von dem W ernerschen ab und zeigt durchw eg die ältere sprachliche F o rm ; dazu enthält er auch ein ganzes Stück m eh r, die letzten sechs V erspaare fehlen dem G edicht von 1621:

Was g estalt das niderländisch Kriegsvolk m it den arm en bawren und sie m it ihnen das V atter Unser betten.

W ann der Soldat zum B auren geht ein, grü eß t er ihn m it freundlichem Schein — Vatter.

Denket ihm darneben jed er F rist:

Baur, was du hast, das alles ist — unser.

5 Derowegen antw ort ihm der B aur:

der Teufel füehrt dich hecr, du Laur, — der du bist.

Sei gew iss, daß dich noch strafen würd

der H err, der oben auf reg iert — in dem Himmel.

Ich glaub, daß man kaum einen find,

io der aus disem verfluchten Gesind — gehailiget werd.

Ach Gott, kein Übel ist auf der Erd,

durch welches m ehr gelestert werd — dein Nam.

Ih r m aistes W ort ist jedesm als:

was der B aur hat, dasselbig als — zukomm uns.

15 Ach lieber Gott, wann sie nur künten,

zu blündern stets sich underw ünden — dein Reich.

Wann du sie w oltest all erschlagen,

so wiird die gmaine baurschaft sagen: — dein W ill gescheheI Wann wir quitt w urden diser Pein,

20

so künten wir recht frölich sein — wie im Himmel.

Ic h waiß nit, wo das Gsind hinghört,

im Himmel zu sein seind sie nicht w ert — also auch auf Erden.

Sie nemmen unser Gut und Hab

und schneiden uns vor dem Mund ab — unser täglich Brot.

25 Daß wir sie all zu diser N acht

mögen erschlagen m it aller Macht — gib uns heut.

W ir haben zwar alles woll verschuldt,

nimb uns H err w ider auf zu H uld — und vergib uns.

Dann wann die Leut lang bei uns pleiben,

30

so werden uns ins Elend treiben — unsere Schulden.

9*

(6)

132

Mehring1:

Groben Mutwillen wöllens treiben

und gleichsam ligen bei unsern W eibern — als auch wir.

W as nun anschawen das Aug ihr,

m ießen wir alles um bsonst schier — vergeben.

35 Yon heuslichen Ehren sie uns treiben,

m achen, daß wir stets schuldig pleiben — unsern Schuldigem . K ainer kann brauchen die Rößlin sein,

Ohn U nderlaß h aiß ts: Baur span ein — und führ uns!

In unsern H eusern ist vil Praßen,

40

g a r oft sie uns in d’ Stuben laßen — n it ein.

In unser Herz g ar schm erzlich dringt,

wann einer eim sein W eiblin b rin g t — in V ersuchung.

0 H err, all die solch Übel treiben,

Die laß in d’ L äng n it bei uns pleiben — sondern erlöß uns.

45 Die F raw en 1) aber spar gesund

und behüet sie auch zu aller Stund — vor allem Übel.

Mit ihnen gar nichtz zu handlen ist,

sie achten irnhr dos Teufels List — dan dein.

Unsere G üeter sein verpfändt,

so an allen O rten wir schuldig seind. — I s t das reich?

Sie schonen n it der Kindlein klein,

Das Mark saugens uns auß dem Bain — und die Kraft.

Kommen sie alsdan w ider zu Haus,

prachtieren sie und laßen herauß — die H errligkait.

55 Diß alles stra f H err m it Gewalt,

laß sie ängsten den Teufel a lt — in Ewigkeit.

D annit wir los sein von den Dingen,

so würd die ganze M ayerschaft singen: — Amen.

L eid e r war uns eine sichere D atierung des Stücks nicht möglich.

D ie H andschrift, der es entnom m en ist, enthält A k tenstücke, B rief­

abschriften, Zeitungen und anderes, gesam m elt von Dr. ju r. Joh. R udolf E h in g er von B alzheim zu Ulm im 16. Jah rh u n d ert. Das D oppelblatt m it dem V aterunser ist eingeheftet zu B erichten aus den Jah ren 1598 und 1599 ü b er die E reignisse im niederländischen K rieg. D er Sam m ler (voraus­

gesetzt, dass der Einband gleichzeitig ist, was nicht unm öglich erscheint) h at offenbar einen Zusam m enhang zwischen dem G edicht und den K riegs­

berichten andeuten wollen. W ir w erden trotzdem annehm en m üssen, dass beide nichts m iteinander zu tun haben. D enn in den B erichten ist nur vom spanischen K riegsvolk und seinen Ü beltaten in N iederdeutschland die R ede, w ährend die Ü berschrift des Gedichts von niederländischem K riegs­

volk redet. D as kann nicht zusam m enstim m en, und E h in ger ist hier durch den G leichklang zu einem Irrtu m v erführt worden. Abgesehen davon, dass in dem G edicht keinerlei niederdeutsche Sprachform en zu

1) Lies: Frommen.

(7)

Das Vaterunser als politisch es Kampfmittel.

133

finden sind, ist auch unzw eifelhaft niederländisches K riegsvolk so viel als

‘niederdeutsches’, wie es z. B. durch den schm alkaldischen K rieg nach Schwaben geführt w urde und in B erichten der Z eit m ehrfach erw ähnt wird. Auch der F ü rsten k rieg von 1552 brachte N iederdeutsche nach Schwaben, und zwar kam en sie beidem al vorzugsweise gerade in die Gegend von Ulm, wo E hin g er das G edicht aufbew ahrt hat. D e r Zusatz d er letzten 12 Zeilen m it der Doxologie setzt eine evangelische B evölkerung als P ublik um voraus, wie sie bei Ulm vorhanden war. Dazu kom m t, dass gerade der dem Sam m ler D r. E hinger untergelaufene Irrtu m der D atierung die Annahme verlangt, dass ein längerer Zeitraum zwischen dem Auftauchen des Gedichts und der erst in den letzten Jah rzeh nten des Jahrh u n d erts angelegten Sam m lung liege. So gelangen w ir dazu, wenigstens verm utungsw eise dieses V aterunser um die Mitte des 16. J a h r­

hunderts anzusetzen. N icht aber die E ntstehung des Ganzen, sondern n u r der letzten sechs V erspaare. U rsprünglich schloss das G edicht ganz natürlich m it Zeile 46. Das F olgende ist nur ziem lich lose angehängt, w iederholt zum T eil die G edanken, die schon vorher behandelt sind, ist ab er nicht ohne eigenen W itz, wie Zeile 49f. beweist. Auch der U nter­

schied von Zeile 58 m it der Bezeichnung Mayerschaft gegenüber Zeile 18:

B aurschaft ist zu beachten. E ndlich scheint noch der schwäbisch klingende R eim in Zeile 49f. auf einen Schwaben als Y erfasser hinzuweisen, wodurch w iederum die L ok alisierung in der Gegend von Ulm un terstü tzt wird.

W ann die älteren B estandteile des Gedichts, Zeile 1— 46, entstanden sind, darüber kann keinerlei V erm utung gew agt w erden. Sie müssen aus katholischer Gegend stam m en, wenn sie erst nach der R eform ation ent­

standen sind; dass wir in ihnen schon die Urform des Typus haben, ist nicht anzunehm en.

Auch das H i s p a n i s c h e V a te r u n s e r in einer aus N ürnberg stam m enden H andschrift von 1602, deren K enntnis ich H errn P rofessor D r. Bolte ver­

danke (A llerley sachenn D arin G eschriben Im Ja h r vnnssers H erenn vnndt H aillanndts Jesu Christi 1602 A dy 10. Augusto Inn N urm berg. Kgl. u.

Univbibl. K önigsberg Nr. 1918, Bl. 10), ist diese U rform nicht, obgleich es noch dem 16. Jah rh u n d ert angehört und die Doxologie nicht umfasst.

Als ein hochdeutsches V aterunser, das von Spaniern redet, gehört es wohl ungefähr in dieselbe Zeit wie das vom niederländischen K riegsvolk, ist aber gleich diesem nicht genauer zu datieren. D er T ex t ist offenbar durch m ündliche W eitergabe stark verändert und teilw eise verderbt, auch die N iederschrift nicht ganz korrekt. Von A bw eichungen ist b em erkens­

wert und neu:

17

Und so du sie all woist erschlagen,

da wurd der B aur und d’ Bäurin sagen: — dein Will geschehe!

31

Die H auptleut und ir Musterschreibcr,

die liegen stets bey unsern W eiber — als auch wir,

(8)

1 3 4 Mehring:

und m uesen dannoch wir zurhand

solch Gsellen diese Sünd und Schand — vergeben.

47 Die B lucttunbt (1.: B luethundt) aber all zugleich die füer der Teufel in sein Reich. Amen.

D ieselbe H andschrift enthält (Bl. 69) dieses V aterunser noch in einer F o rm , die der des niederländischen K riegsvolks näh er steht und nur geringe Abw eichungen zeigt, wie sie der U m lauf b ew irk te; auch h ier fehlt die Doxologie. F ü r eine D atierung b ietet der T ex t selbst, der n u r die Ü berschrift: ‘ E in Y a t t e r u n s e r r ’ träg t und keinerlei zeitliche, örtliche oder tatsächliche A ndeutungen enthält, gar keine A nhaltspunkte. E r steht in der H andschrift zwischen einer Z eitung aus V enedig vom 9. A ugust 1602 ü ber ein E rdbeben auf Cypern (Bl. 68 b) und ein er ‘T ragedia Unnd Gesprech wie es Bischoff N eydthardten zu B am berg In seinem A bsterbenn Erganngenn Vnd wo E r nach seinem T odt hinkom m en sey’ von 1599.

Es scheint kein G rund vorhanden, das V aterunser für älter als seine beiden N achbarn zu h a lte n 1).

E in w eiterer V ertreter dieses B auernvaterunsers, von dem W e rn e r 15 verschiedene F assungen aufzählt, ist das aus Sachsen stam m ende ‘V atter- unser der O berschlesisch-, Sächsisch- und B öhm ischen B aurschaft’ von 1756, das in einer oberschw äbischen K losterchronik im Staatsarchiv zu S tu ttg art (L ib ri P raelatorum des Kl. W eissenau bei R avensburg, Bd. 5, S. 245f.) steht. Es ist offenbar aus m ündlicher Ü berlieferung (n ur eben nicht in Schw aben) geschöpft und hat dadurch m anches abgeschliffen, auch einige W eiterbildun g erfahren. D ie ersten acht Zeilen sind dabei aus dem iam bischen in trochäisches Versmass übergegangen:

Wo der Preuß nu r kehret ein,

heiß t es zwar auf bloßen Schein: — V atter.

Sonstige Abweichungen vom oben m itgeteilten T ext sind nicht bedeutend bis zur vierten B itte (w ir erw ähnen Zeile 7 f . :

Es wird gew ißlich strafen dich, der sowohl rieh t dich als mich — in dem Himmel).

1) Noch ist aus derselben H andschrift eine V ariante des ‘V aterunsers w ider den P ap st’

zu erwähnen (vgl. W erner, Vjschr. 5, 4):

E i n V a t t e r u n s e r wieder.

B apst unser Feind, der du zu Rohm bist, ewieg w erd verdielgt dein Nam.

Dein Reich gew altig zerstört werd, welche du so prechtig fuerst au f dieser Erd.

Dein W il nicht m ehr geschehen soll au f Erden so oder in der H ell, darinen du ewig sietzen solt, weil du bleist ohn Reu und Buest.

V or deinen Ablos gieb du uns heut

den jhrlichen Zins zu einer Beut, auf daß wir zahlen in Geduld den Leuten hiem it unser Schuld.

Und fir uns nicht in deinen Ban, dam it du kulest m angen Mann.

Sondern erlöß uns, daß wir frey G ott dienen ohn Abgotterey.

Den dein Reich, K raft und H erligkeit

sich enden soll in kurzer Zeit. Amen.

(9)

Das Vaterunser als politisches Kam pfm ittel. 1 3 5

Aon Zeile ‘23 ab geht es w eiter:

Sie trucken uns ohne alle Maas m it schreyen ohne U nterlaß: — Gib uns!

Wann werden sie marchiren

und wie tolle H und crepieren? — heuet?

Sie nehmen unser G ut und Haab,

sie schneiden auch m it Waffen ab — unser täglich Brodt.

Dis alles haben wir verschuld,

darum w ir bitten ja um H uld — und vergib uns.

Sie thun uns sehr h a rt beschweren,

daß wir täglich je z t verm ehren — unser Schuld.

D ’ Mädel seind gleich den Sautreiberen — und schlafen oft bei unsern Weibern — wie wir.

Dis sehen unsere Augen hier, und dannoch müssen wir — vergeben.

Das m acht uns giosse Ungedult,

anbey wir zahlen unsre Schuld — unsern Schuldigem . Sein P ferd t j a n iem an l brauchen kan,

es heißt ja bständig, B aur spann an — und führ uns.

Im Gsicht w ir im m er thun erblassen, weils Gelt im Beutel wird gelassen — nit.

Das billich unser Herz durchtringt ,

und manchen guten Hausmann b ringt — in Versuchung.

H err lasse sie nit länger bleiben

und ihre Raubereyen treiben — sondern erlöse uns.

Mach doch dein H ilf uns allen kund erlöse uns zu diser Stund — von dem Übel.

Ach j a der Preussen thue n it gfahren, laß sie gschwind zum Teufel fahren. — Amen.

Gleich aus dem folgenden Ja h r stam m t das ‘Röm isch Katholische V atter U nser' von 1757, das in dem G edenkbuch des P farrers G. F . Bezolt von W ildentierbach, W ürtt. OA. G erabronn (1734— 1771. H andschr. des G erm an. Museums in N ürnberg G 9510b) überliefert ist. An Stelle des

‘Soldaten’ treten w ieder die ‘P reussen’, an die des Bauern der Sachse;

und w ieder w erden erst in der zweiten H älfte, von Zeile 25 an, die Ab­

w eichungen des T extes von dem oben m itgeteilten erheblicher:

25 Mach uns von diesen Schelmen frey,

dam it der Sachs auch frölich sey — gib uns heute.

0 Churfürst, wenn wir dieses Jah r

dir nicht gebn können Steuer dar, — vergib uns.

Denn durch die Pein und große Qual so bezahlen wir gnug allzum al — unsere Schuld.

Die Preussn ja die Töchter raffn

und frey bey unsern Weibern slaffn — also auch wir.

(10)

136

Mehring

Ob wohl wir dieses klagen an,

so müssen wir es doch sodann — vergeben.

35

Uns solche Gäste nicht gefalln.

der Teuffel hohl sie von uns alln — unsern Schuldigem . Wenn man kein Pferd m ehr haben kann,

so heist es: Sachs spann Ochsen an — und führ lins!

l)arzu sie uns noch übel klopffo

40

vorschonen g ar uns arm e Tropffn — nicht.

Bey ihnen th u t man Mägd ausspührn,

dazu auch fromm W eiber fiihrn — in Versuchung.

Bcy uns o Gott laß doch nicht bleibn,

die ein so gottlos Leben treibn, — sondern erlöse uns.

45 E rhalte doch uns arme Leut,

dam it wir werden bald befreyt — von allem Übel.

Darum o G ott ach führ geschwind

von hier nach Preußn das Lumpcn-Gsind. Amen.

E ine besondere Stelle nim m t das verw andte ‘Französische V aterunser' ein, das in Theodor G riesingers Schwäbischer F am ilienchronik 185'.', Nr. 7 Sp. 219— '221 mit der Z eitangabe ‘Aus dem J a h r 1761’ und ganz neuerdings in der B erliner ‘D eutschen Z eitung’ vom 8. Jan u a r 1908 fast ganz w örtlich übereinstim m end als Schelm envaterunser d er L eute am N iederrhein aus den neunziger Jah ren des 18. Jah rh un derts abgedruckt ist.

G erade die Zeile 31 f. und 37 f., die vom religiösen Standpunkt aus zum Anstössigsten in dem alten T ex t gehören, lauten hier besonders zahm und nicht ganz stilgerecht:

Langm üthig siehst o Gott die Pein,

doch endlich schlägst du zornig drein — also auch wir.

Ach H err laß bald das Stündlein schlagen,

daß wir den Hi-id’ von hinnen jag en — und führe uns.

Die B ehauptung einer redaktionellen A nm erkung bei G riesinger, dass

‘dieses alte L ied ’ damals in Schwaben vielfach, und zwar nach einer K irchenm elodie gesungen worden sei, ist nicht sehr glaubhaft. Die F ranzosen kam en ja dam als gar nicht nach W ürttem berg, zur V erbreitung des T extes im Volk oder aus dem Volk heraus war also keine Ver­

anlassung. V ielm ehr ist es wohl dam it wie m it den ändern Texten gegangen: sie w urden aus der F ern e m it sonstigen N achrichten über­

m ittelt und von C hronisten und Sam m lern aufbew ahrt. Gerade von den hier m itgeteilten T exten aus dem 18. Ja h rh u n d e rt dürfte kein einziger in W ürttem b erg grössere V erbreitung gehabt haben. Auch nicht das bei E rnst Meier, Schwäbische V olkslieder 1855 S. 181 f. abgedruckte B ruch­

stück, dessen vollständigen T ex t gleichfalls die vorhin zitierte C hronik

von K loster W eissenau (Bd. 6, S. 336) unter dem J a h r 1779 enthält m it

der Ü berschrift: ‘Das Bayrische B auren-V aterunser, so dieselbe für die

K ayserliche Soldaten b etten ’. Es stam m t also aus der Zeit des bayrischen

(11)

Das Vaterunser als politisches Kampfmittel. 137

Krbfolgekrieges. Die bei E. Meier nicht gedruckten Zeilen sind wohl der Mitteilung w ert:

Sie wollen auch gleich wie die Affen

30

sogar bey unsren W eibern schlafen — als wie wir.

T rift einer ein schöne W iirthin an, so wollt er lieber ihrem Mann — vergeben.

Sie machen uns viel Angst und Müehe,

ich wollt der Teufel höhlte sic — sam t unsren Schuldigem

35

W an einer nicht m ehr gehen kann,

so heißt es: B auer spann nur an — und führ uns.

Das müssen wir m it Schmerzen spühren,

Das sie all unsre Mägd verführen — in Versuchung.

0 Kayser, lindre diese Pein,

laß uns nicht gar gequält so scjrn — sondern erlöse uns!

F ü h r doch hinweg die K rieges-L eut,

so sind wir hier und dort befreut — von allem Übel.

Und wenn wir frey von diesen Plagen, so werden wir m it Freuden sagen: — Ainen.

Auf den bayrischen E rbfolgekrieg bezieht sich auch ein mit diesem Vaterunser zusammen üb erlieferter ‘O streichischer G laube’, der nach dem ­ selben Muster die W orte des A postolikums als fortlaufenden R efrain v er­

wendet, aber da er als Versmass den A lexandriner verw endet, nicht u n ­ m ittelbar auf ein altes Vorbild zurückgeht.

Offenbar hatte das Jah rh u n d ert der A ufklärung eine besondere Neigung zu solchen religiösen Parodien. W ir können zu den bisher m itgeteilten vier Beispielen noch drei w eitere aus dieser Zeit hinzufügen: ein zu den B auernvaterunsern zu zählendes von 17ü9 aus Bayern und zwei ältere von etwas anderer Art, davon das eine wiederum aus Bayern, das andere aus Sachsen stammt.

W as zunächst das Stück von 1769 betrifft, so steht es gleichfalls in der W eissenauer K losterchronik (Bd 6, S. 680). Dazu m acht der Chronist die B em erkung: C antilena hec ni fallor tangit electorem Bawarum, sed suo modo etiam applicari potest rusticis in confinibus nostris sub iugo A ustriae iniserabiliter g-ementibus.

©

Bayrisches Vaterunser. 1769.

Sobald ein U berrciter in ein Dorf eintritt, so spricht er gleich beim ersten S chritt: — V ater!

D er Taback ist ehrenw erth,

er ist aber ein geschw ärzter, der gehört — unser!

Der Schuster deukt in seinem Sinn,

der Teufel holl den Schelmen hin, — der du bist.

In den so trüben Jam m er-T ag en

wir es dem lieben G ott nur klageu — im Himmel.

Ich glaub nicht, daß man einen findt,

der von diesem Schelm en-G sindt — geheiliget werde.

(12)

138

M ehring:

N irgens auf der weiten E rden

w ird wie durch sie g elästert werden — dein Nähme.

Die Rapee Stangen eingebindt

wenn sie nicht versiegelt sind, — zukomme uns!

Ach Herr, wenn ein solcher Hund

zu visitieren sich unterstund — dein Reich!

H err wann du w olltest sie todtschlagen,

so würden B ürger und B auren sagen: — dein W ill geschehe!

Könnte kein Ü berreuther zu unB herein

so würden w ir ohne K ummer sein — wie im Himmel. y Ich weiß nicht, wo das Volk hinghört,

nirgens ist es ehrenw erth, — als au f Erden.

Sic wollen frey sein in allen Tagen,

dan sie „zu fressen und saufen“, sagen, — gib uns heut!

Sie bringen uns um Guth und Haab

und stehlen uns vom Munde ab — unser tägliches Brod, Ach C hurfürst, wenn wir dieses J a h r

kein Steuer können geben dar, — vergib uns!

Wan einst zu deiner H ilf uns alle K raft gebricht, so glaub, es seye wahrlich nicht — unsre Schuld!

Sie wollen hoch und nieder strafen

und in unsern H äusern schaffen, — als wie wir.

Sehen wir unser Elend an,

so sollen w ir ihnen noch voran — vergeben.

Ach Gott, was m achen sie für Qual,

den Rest ihnen der Teufel zahl, — unsern Schuldnern.

In die H ände dieser Bernheuter,

0 L an d s-F ü rst, annoch w either — führ uns nicht.

Sie bringen uns viel Schelmen herein,

die von ihnen überschickt sein — in Versuchung.

0 G ott laß sie nicht länger bleiben,

thue sie aus dem Land vertreiben — und erlöse uns!

Gib uns Taback nach Gelegenheit

bewahre uns zu je d e r Zeit — von dem Übel.

W ir bitten dich sam t Weib und Kind,

nimm hin das gottlos Spitzbuben-Gsind. Amen.

W ährend dieses Stück in F riedenszeiten entstanden ist, stam m en die beiden folgenden w ieder aus K riegsjahren. Sie sind u n tereinander nahe verwandt, behandeln ab er ihr T hem a nicht in A nlehnung an das B auern­

v aterunser. Das sächsische Stück steht in G. F . Bezolts G edenkbuch; es

entspricht der Lage Sachsens zu Anfang des siebenjährigen Krieges. Das

bayrische ist uns von H errn D r. M. v. R auch in H eilbronn m itg eteilt; es

w endet sich an den K urfürsten K arl A lbert von Bayern, setzt dessen W ahl

zum K aiser (1742) voraus und gehört in die Zeit des österreichischen

Erbfolgekrieges.

(13)

Das Vaterunser als politisches Kampfinittel.

D ieser zweite T ex t lautet:

Das Bayrische Vatter unßer.

C hurfürst du w ärest unser E h r 1),

wir sagen aber je tz t nicht m ehr — "Vatter unßer.

Denn wer die K inder lä ß t in Pein,

der ist ein V atter nur zum Schein — der du bist.

5

Du steiffest dich auf Frankreichs Macht, Theresia sucht bessre K raft — im Himmel.

Drum mach doch daß der Verbund

beschwohren durch dein’n eignen Mund — geheiligt werde.

Obschon dich Frankreich K ayßer schreibt,

10

so scheint doch schwer, daß dir verbleibt — dein Nähme.

W ir wünschen daß nach K rieg und S treit hinwiederum G lückseeligkeit — zu uns komme.

Wo nicht so sehn in Grämexi wir

verlohren gehen für und für — dein Reich.

15 Der U ngar und auch der Croat

will haben daß in keinem R ath — dein Will geschehe.

Die Römische Lande und die Krön

wird dir noch werden wohl zu Lohn — im Himmel.

In Ferdinandi Testam ent

20

B ist du zum König nicht ernennt — also auch auf Erden.

Der untcrspiclende S o ld at2)

rufft, tra c h t und schreyet, früh und spat: — gib uns heut.

S ta tt Goldes gibst du uns Papier,

Ach Gott, wie sparsam essen w ir — unßer täglich Brod.

25 W ir wollen gern seyn blind und stuin,

allein der Feind verhindert, drum — vergib uns.

Der Tam bour bis zum General

verm ehren täglich durch die Qual — unßere Schuld.

Is t dann in dießer ganzen W elt

30

ein C hurfürstthum so schlecht bestellt — wie wir?

Vor A rm uth laufft man hin und her,

der Himmel w ird cs nim m erm ehr — vergeben.

In zwantzig Jah ren w ird dein Land

zu zahlen nim mer seyn im Stand — unßere Schuldigem.

35 Erhör doch unser Angstgeschrey

und in die Französische Sclaverey — führ uns nicht.

Dann Frankreich h at dich schon so sehr

durchs Geld verführet m ehr und m ehr — in Versuchung.

Von der Panduren H and und Wuth 40 und der H ußaren Ü berm uth — [erlös u n s]3).

G ott reich dir seine milde Hand

daß du kommst w ieder in dein Land! — Amen.

1) E hr ist wohl Lesefehler der V orlage für HErr.

2) W ahrscheinlich ist zu lesen: Der m eisterspielende Soldat.

• >) Die Vorlage h at, offenbar unrichtig: von allem Übel. Es scheinen zwei Zeilen verloren.

(14)

140

M ehring:

D ie sächsische F assung ist durch folgende A bw eichungen gekenn­

zeichnet:

Z. 1 H err. Z. 5 O streichs Z 6 F riedrich. Z. 9 Ob man dich je tz t gleich König schreibt. Z. 13 m it Thränen. Z. 15 der preußisch ganze K rieges-R ath. Z. 16 in keiner Stadt. Z. 17 Der Sachsen Land und Pohlnisch Cron. Z. 19 K arl des

X I I t e n

z.

21

M eister-spielende. Z. 30 Fürstenthum . Z. 36 in Ö streicher Sclaverey. Z. 37 Ostreich.

Z. 3 9 f. Könnst du nur lassen O streichs Schein, so w ürdstu bald erlöset seyn — vom Übel.

Z. 42 daß du darfst bleiben in dein Land. Amen.

Noch sind zwei Stücke aus dem dreissigjährigen K riege zu erw ähnen, von denen das eine sich in den Aufzeichnungen des D eutschordensam t­

m anns J. L. B eringer in N eckarsulm , einer H andschrift des 17. J a h r­

hunderts im Staatsarchiv zu S tuttg art, findet. Es spricht im N am en d er böhm ischen Stände zum K aiser nach der Schlacht am weissen Berg. D e r in Zeile 43 genannte F ü rs t von L iechtenstein ist der S tatthalter, den der K aiser in Böhm en einsetzte. D ie vorgetragenen B itten entsprechen so sehr dem In h alt der von den Ständen an den K aiser gerichteten E ingaben, dass sich das G edicht als eine V ersifizierung dieser A ktenstücke, n atü rlich von gegnerischer Seite, darstellt.

Vaterunser, an Ihr Kaiserl. Majestät Supplikationsweis gemacht.

G nedigster K aiser, König und H err, wir bitten, du wollest noch sein der — Vater.

Mit deinen Augen auf uns Armen

gütig schauen und dich erbarm en — unser.

5 Laß es nit gelten unsern Hals,

kein m echtiger ist uit als — der du bist.

0 straf uns n it als wie es wol gebürt, G ott dir alles vergelten würd — im Himmel.

W ir wollen geben in einer Summ

io das geistlich Gut, daß es widerum — geheiliget werd.

So wir der B itt würden gewert,

so w ürd in aller W elt geehrt — dein Nam.

Zwar h at ein je d e r an der T hat

den Tod verschult, doch dein Genad — zukomme uns.

15 So wolten wir zu Fuss und Pferd

streiten, auf daß werde gem ehrt — dein Reich.

Hinfüro dienen m it Lieb und Freud

und sehen, dam it zue aller Zeit — dein W ill gesche.

Auf daß wir uns berühmen künden,

20

daß wir bei dir unverdiente Gnad finden — wie im Himmel.

B ehüt Gott, daß wir n it alle zugleich

verhaßt werden im Himm elreich — als wie au f Erden.

H at man uns doch schon alles genommen,

daß wir je tz t m it h a rte r Mühe bekommen — unser täglich Brot.

25 Ach Kayser, erfreue die Gemüter,

all unser gehabte G üeter — gib uns heut.

(15)

D as Vaterunser als politisches Kam pfm ittel.

141

Dan wir vernommen, daß man sie ausbit,

o frommer Ferdinand, auf dißm al nit! — vergib uns.

G ar fill m it uns interessirt sein,

30

dai\ das is t gew ißlich n it allein — unser Schult.

Sondern H ungern, Schlesien, Ö sterreich, Mähren uns eben theten gleich — als auch wir.

Die Sechzehner die wolten doch

dich fangen und du hast inen noch — vergeben.

35

Darumben laß uns auch Gnad bei dir finden,

auf daß w ir alsdan zahlen könden — unsern Schuldigem . Unsere Chlappi jezunder H erren sein,

Unser K einer d arf sayen: B auer span ein — und führe uns.

Solten sie dan erst freyledig werden,

40 so ließeus uns als ihre aigne Herren — nit ein.

Dörfen uns noch wohl m it Gewalt bezwingen

und vieleicht entlieh noch wohl g ar dahin bringen — in Versuchung.

Darum, frommer F ürst von Lichtenstein,

b itt den Kayser, kan es anderst sein: — Erlöse uns.

45 So wollen wir betten im m erdar,

daß euch G ott behüt und bew ahr — vor allem Übel.

Solches geb Gott, daß wir aus Noth

auf das ehest werden erlöst vom Tod. Aiuen.

Ganz eigenartig ist das Gedicht, das in der oben zitierten Sam m lung

‘Geschichtliche L ied e r und Sprüche W ürttem bergs’ u nter Nr. 113 ab­

gedruckt ist und die acht R eichsstädte Ulm, Memmingen, B iberach, L indau, Isny, L eutkirch , R avensburg und N ördlingen nach der Schlacht am Wfeissen Berg 1621 redend einführt. D ie erste R ede beginnt m it den Eingangs­

worten des Gebets, in jed e der sechs folgenden ist eine B itte des V ater­

unsers, bzw. in die siebente R ede die sechste und siebente B itte ver­

flochten, w ährend die letzte R ede m it der Doxologie endigt.

W ieder neue F orm en sind im 19. Ja h rh u n d ert aufgetaucht. So v er­

arbeiten das G ebet in P rosa zwei D em okraten des Jah res 1848, der eine in der radikalen H eilbronner Zeitung ‘N eckardam pfschiff’ Nr. 69 (D as neue V aterunser zur jetzigen Z eit), der andere in dem Sozialrevolutionären S tuttgarter Organ ‘D ie Sonne’ Nr. 187 (Das U nser V ater eines gefangenen R epublikaners). D ahin gehören auch die ‘Sieben B itten ’ aus der Zeit der V erfassungskärnpfe in W ü rttem berg (1817/18), die im Jah re 1832 der S tuttgarter ‘H ochw ächter’ wieder hervorholte.

Mehr eine poetische P araph rase als eine P arodie nach A rt d er seither angeführten ist dagegen das folgende Stück, das im R evolutionsjahr 1848, und zwar noch in der Zeit der ersten w arm en und hoffnungsreichen Be­

geisterung in zwei w ürttem bergischen Zeitungen (U lm er Schnellpost Nr. 158

vom 9. Ju li, S tuttg arter Neues T ag b latt Nr. 164 vom 15. Ju li 1848) abgedruckt

wurde. W oher es stam m t, haben w ir nicht feststellen können.

(16)

142

Zachariae:

V ater, fü r dein grosses W eltenreich liebst du Keines m ehr und Keines m inder, darum sind auf Erden Alle gleich.

Der du bist im Himm el! — Du bist Zeuge,

wie dein Volk in Schmach und Jam m er irrt, du bist weise und gerecht, drum zeige uns den Weg, der bald zur F reiheit führt.

0 geheiligt werde H err dein Name — nicht durch H errenlhum und Sclaverei, nicht durch Pfaffen, denn sie sind der Same der verstocktesten A bgötterei!

Zu uns komme bald dein Reich der L ieb e!

denn die Brüder h at der R ang getrennt, segne du die heilig reinen Triebe, die oft nu r das arm e Volk noch kennt.

J a dein Wille, grösser Gott, geschehe! — der den Menschen unabhängig schuf;

jed er Sclave fühle und verstehe seines Schöpfers Will und ernsten Ruf.

Wie im Himm el also auch auf Erden! — lieget vor uns der V ollendung Bahn;

V ater Unser! doch gelöst m uß erst die Fessel werden, eh der Geist vollkommen werden kann.

Unser täglich Brod gib uns auch heute! — wie einst unsern V ätern sorgenfrei,

dass der Arbeitsegen nicht die Beute von B etrug und schnödem W ucher sei.

Und vergib uns unsere Schuld! — Wenn rächend

wir erheben unsre starke Hand

und im Kam pf das Sclavenjoch zerbrechend blutig färben unser Bundesband.

Wie wir unsern Schuldigem vergeben! — die m it Hohu noch spotten der Geduld, dass nicht lange schon m it ihrem Leben büßen m ußten sie die alte Schuld.

Führe uns nicht in Versuchung, V ater! — wenn dereinst der grosse T ag erscheint, dass V erblendung an des Abgrunds K rater m it der Bosheit seine K räfte eint.

Sondern, H err, erlös uns von dem U ebel! — führe uns zum Siege durch den Streit, dass das U nkraut sam mt der giftgen Zwiebel untergehe bis auf Ewigkeit. — Amen.

D ie N euzeit ist bei uns einer derartigen V erw endung des V aterunsers nicht günstig. Sie hat in der P ressfreih eit ein sicherw irkendes M ittel gegen ein Ü berm ass politischer Spannung, und sie hat in gewissen G esetzes­

paragraphen die W affen, um den G ebrauch solcher K am pfm ittel zu v er­

hindern. D ass m an sich anderw ärts, in R ussland z. B. 1903, ihrer ge­

legentlich noch bedient, ergibt sich aus Zeitungsnachrichten.

S t u t t g a r t .

Das Vogelnest im Aberglauben.

Von T heodor Z ac h ariae . (Vgl. oben 11, 277. 279. 4 6 2 f.)

G. H ertel hat in dieser Z eitschrift 11, 272—79 aus zwei M agdeburger

H andschriften eine R eihe von abergläubischen G ebräuchen m itgeteilt. D e r

erste T ra k ta t, den H e rtel exzerpiert hat, führt den T itel ‘T ractatus de

superstitionibus et m iraculis’ und rü h rt von einem gewissen Johannes

W u s c h i l b u r g k h er; der V erfasser des zw eiten T ra k ta tes (P raecep ta

quaedam propter superstitiones) nen nt seinen Nam en nicht. Aus diesem

(17)

Das V ogeln est im Aberglauben.

143

zweiten T ra k ta te führt H ertel folgende Stelle an: ‘W enn man ein V o g e l ­ n e s t findet, die M utter wegfliegen lässt, die Jungen aber behält, so b ring t dies G lück und ein solcher wird lange leben’ (S 279). H ierzu hat H. Lewy b em erkt (oben 11, 462), dass dieser A berglaube — dessen r i c h t i g e Fassung wir alsbald kennen lernen w erden — offenbar auf einer B i b e l s t e l l e (D eut. 2*2, 6. 7) beruhe, und dass nicht das F in den des N estes oder das B ehalten der Jung en die H auptsache sei, sondern das F l i e g e n l a s s e n d e r M u tte r . D em gegenüber sei zunächst darauf hin­

gewiesen, dass die V erknüpfung des V ogelnestaberglaubens m it der B ibel­

stelle Deut. 22, 6 keinesw egs neu ist. Im Jah re 1835 gab Grimm im Anhang zu seiner Deutschen Mythologie S. X L IV einige Auszüge aus einem T ra k ta t des Nicolaus Magni de Gawe über Superstitionen, und hier findet man, auf S. X LV ( = D. M .4 3, 414), den V ogelnestaberglauben und z u g l e i c h einen Verweis auf D eut. 22. Man vergleiche je tz t Adolph Franz, D er M agister N ikolaus Magni de Jaw or (F reib u rg 181)8) S. 171.

F ern e r gab F r. P an ze r 1855 in seinem B eitrag zur deutschen Mythologie 2, 256—62 einen Auszug aus der Schrift ‘D e preceptis D ecalogi’ des Nicolaus von D ünckelspühel. D ieser A utor handelt, wie andere, ältere oder gleichzeitige S ch riftsteller1), ausführlich über abergläubische Vor­

stellungen und B räuche bei der E rk läru n g des e r s t e n Gebotes und erw ähnt bei dieser G elegenheit auch den V ogelnestaberglauben (s. P an zer 2, 261) in V e r b i n d u n g 2) m it dem göttlichen Gebote D eut. 22, 6.

Je tz t handelt es sich darum , die richtige F assung des V ogelnest­

aberglaubens festzustellen. D ie Fassung, die H ertel oben 11, ‘279 m it­

geteilt hat, kann unm öglich richtig sein. V ielleicht ist die von H ertel exzerpierte, als ‘schwer lesbar und zudem nicht ohne F e h le r’ beschriebene H andschrift (oben 11, 273) grade an der fraglichen Stelle fehlerhaft. Um zu der richtigen F assung zu gelangen, haben wir ein vorzügliches H ilfs­

m ittel, näm lich den eben genannten T ra k ta t des Nie. von D ünckelspühel über die zehn Gebote. W er die Auszüge, die P an zer 2, 257—62 aus diesem T ra k ta t gegeben hat, m it H ertels Auszügen aus der zweiten M agdeburger H andschrift vergleicht, u n ter H inzunahm e der wenigen Sätze, die sich im P rogram m des M agdeburger Domgym nasium s von 1880 S. 54f.

1) Siehe Joh. Geffcken, Der Bilderkatechism us des 15. Jahrhunderts (Leipzig 1855) fe. 54, u n i vgl. die Auszüge, die Schönbach in dieser Zeitschrift 12, 8 —14 aus dem T raktate De deccm praeceptis des T h o m a s E b e n d o r f e r v o n H a s e l b a c h gegeben hat.

2) Der V ogelnestaberglaube wird auch von dem D i s c i p u l u s (Joh. Herolt) bei der B ehandlung des ersten Gebotes erwähnt, aber o h n e einen Verweis auf Deut. 22. N ach H erolt ist es eine V orbedeutung des Glücks und der F ruchtbarkeit, ein Vogelnest m it den Eiern, Jungen und der M utter darauf brütend, zu f in d e n . So richtig Joh. Geffcken, Bilderkatechism us S. 55 Im O riginal wird noch hinzugefügt: ‘Huic [nido] autem tantam tribuebant virtutem i n t e g r e r e s e r u a t o quod scilicet fecunditas et prosperitas a domo in qua c u s t o d i e b a t u r numquam recederet ’ ( D i s c i p u l u s de eruditione cristifidelium.

cum them atibus sermonum dominicalium. Argen 1490; vgl. Hain N r. 8521.)

(18)

144

Zachariae:

wörtlich abg edruckt finden, der wird sofort erkennen, dass die einzelnen S uperstitionen nach ihrem In h a lt und auch nach ih re r R e i h e n f o l g e genau übereinstim m en. Ich möchte b eh au p ten , dass die M agdeburger H andschrift nichts w eiter ist als eine A bschrift d e s s e l b e n Stückes des T ra k ta te s De preceptis decalogi, das P an ze r im Ja h re 1855 nach W im phelings Ausgabe der T ra k ta te des N. von D ünckelspühel (S trassburg 1516) im Auszug gegeben hat. Möglich w äre es, dass die M agdeburger Hs. einige Zusätze hat, die bei W im p h elin g -P an ze r fehlen. Jedenfalls trage ich kein B edenken, P anzers Auszug zur V erbesserung von H ertels Angaben zu ver­

w erten. W enn H ertel z. B oben 11, 279 schreibt: ‘Manche bew ahren in ihren Schränken (? servitiis) einen toten E i s v o g e l (am iculam )’, so ist hier, ausser dem m it einem F ragezeichen versehenen s e r v i t i i s , auch a m ic u l a m au ffällig 1). F ü r servitiis w ird m it P an ze r 2, 261 s c r i n i i s zu lesen sein, und für am iculam ist einzusetzen: a u i c u l a m 2). Und wenn man das, was H ertel oben 11, 27^ über das F i n d e n eines V o g e ln e s te s aus der zw eiten M agdeburger Hs. m itteilt, m it dem entsprechenden lateinischen W o rtla u t8) bei P an zer 2, 261 vergleicht, so ergibt sich m it Sicherheit, dass die richtige F assung des V ogelnestaberglaubens diese ist:

‘W enn mau ein Vogelnest findet [m it einer auf E iern oder Jungen sitzenden M utter], und wenn man die M utter n i c h t wegfliegen lässt, sondern das N est sam t M utter, E iern oder Jun gen b e h ä l t , so b rin g t dies G lück’.

D i e s e F assung stim m t ja auch durchaus zu der, die H ertel oben 11, 277 (vgl. Lewy S. 463) aus W uschilburgks T ra k ta t angeführt hat: ‘W enn einer ein N est f i n d e t m it dem brütenden W eibchen oder m it Jungen und es bei sich v e r w a h r t , von dessen H ause w ird F ru c h tb a rk e it und Überfluss niem als w eichen’. Als Quelle für diesen A berglauben zitiert H ertel eine S telle aus dem T ractatus de fide et legibus des W ilh e lm v o n P a r i s 4).

1) In der H andschrift steht: amiculam vulgariter Eysvoghel nuncupatam (vgl. das oben zitierte Program m S. 54 . Zur Sache vgl. W uttke § 164: ‘Ein E i s v o g e l (Alccdo) im Käfig gehalten ist ein Glücksgeist für das Haus’. Vintler, Pluem en der T ugcnt 7759:

,Und vil die wellen den eisvo^el haben’ (dazu die Anmerkung von Zingerle). Schönbach, Zs. für die österr Gymnasien 31, 379. Geffcken, Hilderkatechismus, Beilage 9, S. 113.

R. Cruel, G eschichte der deutschen P red ig t im M ittelalter S. 620.

2) U m gekehrt lässt H ertel S 279 richtig gewisse G eister ( n u m in a quedam) die H äuser besuchen usw., während bei Panzer 2, 202 fälschlich ‘m u m a quedam’ gedruckt steht. Siehe schon A. Franz, Der M agister Mikolaus Magni de Jaw or S. 172 Anm.

3) Apud eos [idolatras] unus fu it error de inventione nidi cum m atre incubante ovi«, au t pullis tali enim tantam attrib u u n t virtutem , quod si quis invenerit ct sic custodirct u t m atrem abire n o n sinerct sed totum servaret, fecunditas ac prosperitas a domo eius nunqnam recederet; et illi stulticie sic crediderunt, u t nidum huiusmodi unusquisque qui eum inveniret tanquam causam sue prosperitatis ac fecunditatis ac tem poralis abundantio custodiret.

4': Um Verwechslungen vorzubeugen, ist es besser, den Autor als Wilhelm v. A u v e r g n e zu bezeichnen. Da H ertel sagt, dass er näheres über Wilhelm nicht anzugeben vermöge, so will ich hier verweisen auf A. Franz, Nikolaus M agni S. 159. 195 [Theolog. Q uartal­

schrift 88, 430. 1906], auf das Kirchenlexikon von W etzcr und W e lte 2 12, 1586ff., auf

(19)

Das V ogeln est im Aberglauben.

145

D ies ist näm lich der Autor, den W uschilburgk, nach H ertel oben 11, 272 f., vorzugsweise exzerpiert hat. W uschilburgk n en n t den W ilhelm us P arisiensis ausdrücklich. F reilich daraus, dass er ihn zitiert, folgt noch nicht, dass er die W erk e des berühm ten P a rise r Theologen g ek an nt und benutzt hat.

W uschilburgks H a u p t q u e l l e k ann eine andere gew esen sein. Es ist j a eine b ek annte Tatsache, dass die m ittelalterlichen A utoren ohne S krupel o-anze Stücke aus älteren Schriften entlehnen, dass sie dabei wohl diesen

Ö

oder jen en A utor zitieren, das m e i s t b e n u t z t e B u c h e i n e s H a u p t ­ a u t o r s a b e r n i c h t 1). So hat, um ein naheliegendes B eispiel anzuführen, W ilhelm von P aris in seinem T ra k ta t De im m ortalitate anim ae die gleich­

nam ige Schrift des Spaniers Gundissalinus ausgeschrieben, ohne sie zu n en n e n 2). Ich möchte behaupten, dass W uschilburgks H a u p t q u e l l e der T ractatus de superstitionibus des Nicolaus Magni gewesen ist, von dem A. F ranz in dem oben zitierten Buche S. 163— 191 (vgl. besonders S. 182 ff.) eine ausführliche Analyse gegeben hat. W ie derselbe G elehrte auf S. 255 - 264 gezeigt hat, war der T ra k ta t des Nicolaus ausserordentlich verbreitet. F ranz w eist nicht w eniger als 58 H andschriften nach. Man k an n seiner L iste noch die drei Hss. hinzufügen, die Geffcken, B ilder­

katechism us S. 54 erw ähnt. Auch in E r f u r t befindet sich nach F ran z S. 261 eine H andschrift, d. h. an dem O rte, wo nach H ertel S. 272 W uschilburgks T ra k ta t w ahrscheinlich entstanden ist. D en B e w e is , dass W uschilburgk die Schrift des Nicolaus ausgeschrieben hat, k an n ich m it dem m ir vorliegenden M aterial nicht führen Doch will ich wenigstens darauf aufm erksam machen, dass alles, was W 'uschilburgk aus WTilhelm us P arisiensis anführt, auch bei Nicolaus Magni vorkom m t. Ich leugne im übrigen nicht, dass W uschilburgk ausser der Schrift des Nicolaus noch andere Quellen benutzt hat. ‘Selbständige M itteilungen’ (H e rtel S. 273) finden sich schwerlich in W uschilburgks K om pilation J a sogar das ‘eigene E rlebnis’ (H ertel S. 273. 277), die E rzählung von dem K reuz in der B am berger Diözese, das der V erfasser selbst gesehen haben w ill3), k ann von ihm irgendw oher entlehnt w orden sein. Ich erinnere an einen F all,

Leroy de In Marche, La chaire franQaise au rnoyen ä g e 2 p 60 — 70, auf die H istoire litteraire de la France 18, 357 85 und vor allem auf das Buch von Noel Valois: Guillaume d’Auvergne, eveque de Paris (.12*28—1249), sa vie et ses ouvrages, Paris 1880. Mehrere Stellen aus Guilielmus Alvernus werden von Grimm zitiert 1). M .2 2G3. 1012.)

1 Anton E. Schönbach Studien zur Geschichte der altdeutschen P red ig t 7, 14.

2) A. Franz, D er M agister Nikolaus M agni de Jaw or S 160, Anm. 4. Auch den

‘F ü h rer der V erirrten’ des Maimonides hat Wilhelm iu ausgiebigster Weise benutzt Siehe J . Guttm anu, Die Scholastik des 13. Jahrhunderts in ihren Beziehungen zum Judentum und zur jüdischen L iteratur (Hreslau 1902) S. 22. Ich komme darauf zurück.

3' Das interessantest? in dieser Erzählung ist dpr Satz: A l t e W e ib e r s a g e n , d a s s B i l d e r e r s t 60 J a h r e n a c h i h r e r H e r s t e l l u n g K r a f t e r h a l t e n . Wie alt ist wohl dieser Glaube? E r findet sich schon bei Wilhelm von Paris (De fide et legibus, P ars 8, cap. 1: Dicunt [vetulae] omnes ymagines sexagesiino anno a factionc sua virtutem sortiri).

Z e itsc lir . d. V e r e in s f. V o lk s k u n d e . 190!). 1 0

(20)

146

Z achariae:

den F r. J o s te s 1) ans L iclit gezogen hat. D er P re d ig e r G ottschalk H ollen erzählt, e r h a b e e i n e a l t e F r a u g e k a n n t , die der Sonne göttliche V erehrung zollte usw. G enau dasselbe erzäh lt ab er schon der etwa 50 Ja h re ältere Nicolaus Magni m it denselben W o rten : ‘N o v i u n a m v e t u l a m , que credidit solem esse quasi deam ’ etc. V erm utlich haben b e i d e , Nicolaus und H ollen, aus einer ä l t e r e n Q u e ll e geschöpft2).

W ollen w ir ü b er das V erhältnis des V ogelnestaberglaubens zu der B ibelstelle D eut. 22, G ins k lare kom m en, wollen w ir ergründen, ob der A berglaube w irklich, wie Lew y meint, auf dieser B ibelstelle beruht, so m üssen w ir uns an die Quelle w enden, die von Nicolaus Magni und W usch ilb urgk zitiert w ird: an den T ractatu s de fide et le g ib u s8) des W ilhelm von P aris. D ieser A utor spricht an z w e i S tellen seiner Schrift von dem A berglauben, der uns beschäftigt, näm lich, a u s s e r d er von H e rtel oben 11, 277 angeführten Stelle, auch und zw ar zuerst im ersten K apitel des sechsten T eiles. E in e R eihe von V orschriften des jü disch en Gesetzes k an n m an, so fü h rt W ilhelm h ier aus, n ur dann verstehen und w ürdigen, wenn m an die A bsicht des G esetzgebers, das V olk Israel vor G ötzen­

dienst und A berglauben zu schützen, e rw äg t4). B ei dieser G elegenheit bespricht W ilhelm auch die so oft behandelte, bis auf den heutigen T ag noch nicht sicher erk lä rte B ibelstelle D eut. 22, 6. 7. D a er sehr w eit­

schweifig ist, so w ill ich mich auf die W iedergabe des A u s z u g e s b e­

schränken, den Dionysius C arthusianus (D ionysius R ick el) von W ilhelm s W orten gegeben hat. D anach lautet W ilhelm s E rk läru n g wie folgt:

1) Zeitschrift für vaterländische G eschichte und A ltertum skunde 47; 1, S. 87 ff. Vgl.

Grimm D. M .1, A nhang S. XL1V. A. Franz, D er M agister N ikolaus M agni S. 170 Anm. 2.

2) N icht anders v erhält sichs m it eiuer Geschichte, die H ollen m it den W orten , n o v i q u a n d a m m u l i e r e m ’ einleitet, und die ebenfalls von Jostes, Zs. 47, 1 S. 93 m it­

g eteilt worden ist. Eine F ra u leidet an einem Augenübel und lässt sich von einem Schüler einen B rief gegen das Übel schreiben. Sie tr ä g t den B rief und w ird gesund.

E ndlich öffnet sie den B rief und lässt sich den In h a lt vorlesen. D er Brief enthält u n ­ bekannte W orte und undeutbare Zeichen; am Schluss aber steht: D iabolus eru at tibi oculos et proiieiat te in lutum ! — Dieselbe G eschichte w ird besser und ausführlicher von Joh. H e r o l t bei der Auslegung des ersten Gebots erzählt. H ier sind es d r e i Frauen (Bürgerinnen, civissae), die von einem A ugenübel befreit werden. D er Zettel (cedula), den sie alle drei nacheinander trag en , enthält die W orte: Diabolus tib i eruat oculos et l u t u m t i b i p r o i i e i a t . in f o r a m i n a ! Ähnliche Geschichten erzählen W uttke § 510 (aus W ürtem berg) und L iebrecht, Zur Volkskunde S. 340 N r. 212 (aus Norwegen). Die W orte auf dem Zauberzettel lauten bei W uttke: ‘In der Hölle sehen wir uns w ieder’: bei L iebrecht: ‘D er Teufel helfe m ir. [Vgl. O esterley zu Pauli, Schim pf und E rnst c. 153:

auch H ans Sachs, Fabeln und Schwänke 2, 324. 5, 278.]

3) Ic h benutze drei Ausgaben: eine Ausgabe ohne O rt und J a h r (? 1469; vgl.

H ain 8317); dieselbe Ausgabe, die H ertel zitiert. Ausserdem benutze ich die Ausgabe in den O p e r a Guilhermi diui Parisiensis episcopi 1496 (H ain N r. 8300); endlich die Ausgabe in der O p e r u m s u m m a G uillerm i, Lutecie 1516. Is t dies die Ausgabe der Werke W ilhelms, von der Bülow in den B eiträgen zur Gesch. der Philosophie des M ittelalters 2, 3, S. 75 sagt, sie sei bis je tz t n ich t auffindbar gewesen?

4) Adolph F ranz S. 171 — 173.

(21)

Das V ogeln est im Aberglauben. 1 4 7

Quidam ridiculose et pueriliter dixit, praeceptum hoc esse c a u s a p i e t a t i s , ne m ater avicula lilios perdens, et simul occisa nimis affligcretur, in quo credidit Deum insinuare filiis Israel quam misericordes circa homines esse deberent. Dicimus ergo, quod illud bonum non est tantum , nec Deo tarn placitum , u t ta n ta mercede rem uneretur ab eo, quanta observantia legis tenetur. Quis enim audiens, pro dimissione unius aviculae tantum prom ittere praem ium D eum , quanta (1. quantum ) pro totius observantia legis, risum co n tin eat?1) Amplius, magis parcendum era t filiis, si pietas ibi locum haberet, cum filii nec sibi nec aliis possint (1. possent) consulere, et adhuc m atre indigerent, ipsa vero non indigeret illis: sicque maiori crudelitate tenentur et occiduntur 'iilii in isto casn, quam m ater. Non dubites igitur sapientissimum Deum per hoc m andatum voluisse d a m n a r e a l i q u a m i d o l a t r i a m , aut aliquid simile ei. Quemadmodum enim malefici observabant et explorabant coitus animalium aliquorum , u t eadem liora interiicerent ea, et de eorum pulvere seu corporibus darent his, quos volebant suae ardore libidinis inflammare, credentes eorum corpora vel pulverem hanc inflammandi virtutem habere, si eadem liora coitus interficerentur2): sic credebant de ave pullis incubante, si ea incnbandi hora caperetur, quod scilicet posset praestare foecunditatem et fortunam in iiliis n u trien d is”). E t hoc scimus ex m ultis sim ilitudinibus, quas legim us in l i b r i s m a l e f i c o r u m 4). V oluit ergo Deus hoc removere a cordibus populi ipsum colentis, quatenus ab ipso solo sperarent multiplicationem , foccunditatem que sobolis. P raeterea observatores auguriorum , f a u s t a m

c t

f o r t u n a t a m r e p u t a b a n t i n v e n t i o n e m n i d o r u m c u m m a t r e e t o v is s e u f i l i i s , et ideo ea non ossc ab invicem separanda. Quod si ea dissiparent aut separarent ab invicem, bonam fortunam am itterent, et domos suas esse dissipandas cognoscerent.

seque esse passuros in seipsis au t iiliis suis, quod facerent illis, videlicet avi aut ovis seu pullis ip siu s5). Ideo voluit Deus hoc reprobare, et bonum quod augures speraverunt ex c o n s e r v a t i o n e m atris et pullorum , posuit in d i v i s i o n e 0) illorum abinvicem. — Haec G u i l h e l m u s 7).

Auf den V ogelnestaberglauben kom m t W ilhelm noch einm al, im neunten T eile seiner Schrift (Kap. 17), zu sprechen. In diesem T eile, d er auch den S ondertitel T ractatus de idolatria führt, beh and elt er die

1) Diese W orte erregten einst den Unwillen Chr. Aug. Ileum anns, der eine A b­

handlung über Deut. 22, 6 geschrieben h at (Nova sylloge dissertationum 2, 288).

2) Zu dem von W ilhelm hier erwähnten sym pathetischen M ittel vergleiche man die Bem erkungen von Krauss, Sitte und B rauch der Südslawen S. 171 (nam entlich die Mit­

teilung aus V arazdin au f S. 172). Auch was W uttke § 550 aus Töppens Buch über den Aberglauben in M asuren beibringt, dürfte hierher zu ziehen sein. Andere Parallelen sind m ir nicht bekannt.

o) Cfr. De fide et legibus 9 ,1 7 : De m atre sic inventa m ulta m a l e f i c a a tq u e v e n e - f i c a operabantur, et ad r e c o n c i l i a n d u m a m o r e m praestandam que fecunditatem vir- tutem eidem m iriiieam inesse credebant.

4) Die ‘L ibri m aleiicorum ’ erw ähnt W ilhelm öfters. Siehe N. Valois, Guillaume d’Auvergne p. 018, n. 4. Ich bemerke beiläulig, dass Valois die W erke W ilhelm s nach der m ir nicht zugänglichen Ausgabe von 1674 zitiert.

5) An dieser Stelle h a t W ilhelm folgenden, von Dionysius ausgelassenen Zusatz (vgl.

Panzer, Beitr. z. deutschen Mythologie

2,

261): Quemadmodum adhuc est opinio mul- torum insipientium et vetularum que ab eorum cordibus auelli non potest faustam esse i n v e n t i o n e m acus vel obuli et magis fortunatam esse quam m agni ponderis argenti vel auri. et ideo c u s t o d i e n d a esse artissim e tanquam fortune felicis vel bonorum eventuum causas et pignora certissim a. Alioquin in perditione eorum perduntur illa bona.

6) Bei W ilhelm von P aris heisst es: in d i m i s s i o n e m atris et captione et detentione filiorum.

7) Dionysii Carthusiani Enarrationes in quinque Mosaicae legis libros, Coloniae 1566, p. 926b. 927 a.

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