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Die Zukunft, 29. August, Bd. 44.

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Berlin, den 29.August t905.

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Die Große Therese.

Iwölf

Tage lang istvordempariser SchwurgerichtinSachenwider

«

FriedrichHumbert,seine Ehefrau Therese, seine SchwägerEmilund Romain Daurignac verhandeltworden. Wirhaben nichtviel davonge- hört.DieProzeßberichtewaren zukurz,dieFeuilletonszusehrvoneitler Sucht gefärbt,sichallenanderHauptverhandlungMitwirkenden überlegen zuzeigen,alsdaßeinklares,vornüchternerNachprüfungbestehendesUrtheil möglichwäre. DasistkeinNationalunglückzstattuns,nachderArt kleiner Hinterhäusler,über dieSkandalgeschichtenderNachbarschaftzuereifern, solltenwirvondereigenenThiirdengehäuftenUnrathwegkehren.ObThe- reseDaurignacimEhebett geborenoder ein»natürliches«Kindist,obihr Schwiegervater,derscühereJustizministerHumbert,einGaunerwarund ob derjetzigeJustizminister,HerrVallå,vondemWuchererCattan aneinergol- denenKettegehaltenwird:dasAllesbrauchtunsnichtzubekümmern.Wir habennurzufragen,waswir aus dertausendmal beschnüfseltenundbeschmutz- tenGeschichtelernenkönnen. DerThatbestand isteinfach;erschiennurkompli- zirt,weil dieTaktikdcrHauptangeklagtenundihresVertheidigersihnindichte Schleierzuhüllensuchte.ZwanzigJahre lang hatdasEhepaarHumbertmit seiner TochterEva und denGeschwisternder-Frau, Emil, Romain,Marie Daurignac, auf größtemFußegelebt. Ihre jährlichenAusgaben betrugen ungefährvierhunderttausend Francs.Siewaren imElysåewillkommene Gäste,derPräsidentderRepublikkam mitseiner Frauzuihnen, Minister, Generale,Künstler, Gelehrte, Parlamentarier, WürdenträgerallerGrade drängtensichanvihrenTisch,undwoTour-Paris Feste feierte,war Frau

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ThereseHumbertimdichtestenHaufenzufinden.Sieließdieberühmtesten Weltschneiderfirmen,Worth, Paquin, Doucet, für sich arbeiten, trugdie theuersten Pelze,kaufteLandgüter,Weinberge,umworbene Bilder, Vibelots, Poterienundgaltals eine derreichstenFrauenderüppigenLutetia.Dabei verbarg siedenFreunden nicht,daßsieoftinGeldverlegenheitwar.Sogehts Einem,wenn man allzu gewissenhaftist.EinErbschaftprozeßum hundert Millionen. DieProzeßgegner,zwei angelsächsischeBrüderCrawford, sind echteGentlemen, verkehrenintim mit denHumbertsundschlageneinen durchausannehmbarenVergleichvor. Abersieverbinden damitHeirath- pläne,fürdieEva zujung istundgegen die Maries Mädchenempfindensich lange sträubt. Schließlichmagman ja auchnichts geschenktnehmen.Das VerständigeundAnständigeist,demRecht seinen Laufzulassen.Wenn dasTempo dieses Laufesnur nichtgarso langsamwäre!SeitJahrzehn- tenschlepptdieSache sich durchdieGerichtsinstanzenundnochistkein Endeabzusehen. Therese mußdenProzeßgewinnen, hat ihn eigentlichschon gewonnen. DerbesteBeweisdafür ist, daßdiehundertMillioneninihrem Geldschrankliegen.-Dochsiesindihrnochnichtin letzterJnstanzzugesprochenz unddasVermögenvorher anzugreifen,würde eine Damevonso strenger RechtlichkeitFreveldünken; Lieberentleiht sie einstweilendaszumLeben nöthigeGeld.Dantur opesnullinunc nisidivitibus, sagtMartial;und seinnunc reichtbis inunsere Tage.Warum sollman denHumbertsnicht borgenPDasGeldistda.Jederkannssehen: gute Staatsrentenbriefe ruhen inTheresesEisenspind.DieerstenAnwälteFrankreichsvertreten diePro- zeßparteienundbestätigen,daßdieSache fürdieCrawfords schlechtstehtund imschlimmsten kaum denkbarenFall derFamilieHumberteinfetter Vergleichsicherist.DiebesteGesellschaftvonParis verkehrtbei denLeuten,ihrk politischerundgesellschaftlicherEinflußwirktweithin, siesindimgrößtenStil wohlthätig,haben,umdemkleinen Manndurchs schwereLeben zuhelfen,die Rente Viagåre,dasvonjederGewinnabsichtfreie Leibrenteninstitutge- schossenundkeinVerdacht wagt sichauf ihrereineHöhe.Auchwar Fried-«

richsVaterJustizministerundals dasMustereinessauberen,derPflicht getreuenStaatsdieners bekannt. Wertrotzdemnoch zaudert,wirddurch TheresesRedengereizt,durchTheresesZinsangebotebezwungen.Die knick- ertundfeilschtnicht erst lange: jeder Prozentsatzwird demDarleiherbe- willigt.DieSchuldscheinewerden so ausgestellt, daßderGläubigernoch auf seine Kosten kommt, selbstwenn ereinenTheildesvorgestrecktenGeldes in denRauchfang schreibenmuß.Kleine undgroßeWucherer langen nach

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derprositlichenEhre,mitMadame HumbertGeschäftemachenzudürfen.

Sowerdeninzwei Jahrzehnten nachundnach ungefährfünfzigMillionen zusammengeborgt; dringtEinerauf RückzahlungdesGeliehenen,dannist schnellimmerein Andererbereit,dasLochzustopfen.DieEntscheidung,der TriumphdergutenSache naht ja.DieCrawsords sind schonrecht mürb;

undwenn Mariechen,dasgute Kind, sichnichtin denKopf gesetzthätte,die FraudesKammerpräsidentenDeschanelzuwerden,dersieallerdings auch zärtlichumwirbt ... Spät erst erwachtdasMißtrauen.HerrWaldeck- Rousseau,damals nochderKempnervonParis,derjuristischeBeratherder stärkstenKapitalisten,nennt dieSache Crawfordcontra Humbertin einem PlaidoyerdengrößtenSchwindeldesJahrhunderts DergeistreicheAnti- semitDrumont eröffnetinseinerLibreParole einenFeldng gegenTherese undihre Sippschaft.Undendlich setztderlevantinischeWucherer Cattaui, denderjetzigeJustizministerVallåvertritt,einenGerichtsbeschlußdurch, wonachderGeldschrankvon Amteswegen zuöffnenundderInhaltzu prüfen ist.DerSchrank istleer.SämmtlicheHumbertsundDaurignacs sindamAbendvorderAusführungdesGerichtsbeschlussesentflohen. Nach

·Monaten werdensieinMadridgefaßtundinspariserUntersuchungsgefängi niß eingeliefert. Währendderlangwierigen Voruntersuchung schweigtThe- rese,dielängstalsderalleinleitendeKopf,derNenner vordenNullen erkanntist,hartnäckigunderwidertausalleFragendesRichtersnur,erstvor denGeschworenenwerdesiesprechen.Dannabersoausführlichundrückhaltlos offen, daßdieSchaar ihrer Feinde vernichtet seinundsie,unterdemJubel derMenge,alsSiegerinausdemSchwurgerichtssaal schreitenwerde.Die Hauptverhandlungbeginnt.Von allenGläubigernhatnur einer, Cattaui, sichdemVerfahrenderStaatsanwaltschaftangeschlossen;die anderen —kein Wuchererhatgern mit denGerichtenzuthunerklären imVerhör,"daßsie keineAnsprücheanFrauHumberthaben,undeinzelnegebenihr sogarEhren- atteste.AuchdieLeibrentnerzeigensichbefriedigtund Theresekanntriumphi- rendfragen,wem sie, außereinemabgefeimtenHallunken,denneigentlich klagbaren Schaden zugefügthabe.Sieist sehrredselig, stellt sich,wie eine Hennevordiebedrohten Küchlein,alsSchützerinvordie dreiJammer- männer,nimmtalleVerantwortlichkeit auf sich, giebt sich,je nachdemBe- dürfnißderStunde,sentimentaloderpatzig, beschuldigtdenVorsitzenden schnöderParteilichkeit, schmeicheltdenGeschworenen,leugnet, entstellt,ver- dreht Alles, auch das unzweideutig Bewiesene,biegtallenheiklen Fragen gewandtaus, sucht unangenehme Aussagenmit Wortschwällenwegzu-

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schwemmenundverkündet immerwieder, hundertmalmit derselbenEm- phase:wennderletzteZeugevernommen, dasletztePlaidoyerbeendetsei, werdesieAllessagen.Wo dieCrawfords,wodieMillionen sind.Jediraj tout.Et toutsera payå.Dannwerdemanstaunen.EinFamiliengeheimniß Auch ihr geliebter Friedrich ahne nichts.AberdieFreisprechung sei sicher wie das Amenin derKirche...Als essoweitist,vernehmendieathemlos AufhorchendeneinwirresGefasel. KindischePhrasenüber das denallerehr- lichsten Menschen Frankreichs angethane Unrecht.Einendloses Gestöhn über dasWeheiner derPflicht stetstreuen Frau, die durch niederträchtige Zettelungen umihreHabegebrachtundin denStraßenkothgefchleiftworden sei.Undschließlich,nachlangem Zögern,derbluff: ErawfordheißeRågnier undseiderVetter desin derfranzösischenLegendengeschichteberüchtigten Schuftes, der,inBismarcks Auftrag,BazaineinMetzzumBerrathlockte.

Und weil diehundertMillionenausso schmutzigerOuelle kamen, habe sie,die zuverlässigstePatriotin, geschwiegen,geleugnet,dieThatsachenanders dar- gestellt,alssie sind.Maintenant jediraitout. Et tout sera paycå.Wo diehundertMillionen find? Crawford-Rågnierwirdsie schonbringen.Ein sinnloses Märchen.EinevondenGeschichten,diederFranzosecontes Mor- mirdebout nennt. Starr sehenRichter,Geschworene,Zuschauereinander an. Dasistdiegroße,langeverheißeneEnthüllungPEinKicherngeht durch dieReihen. DochThereseistnichtzubeirren.»Siewerdenunsfreisprechen.Sie müssen.IchwerdeheutenachtsbeimeinerSchwiegermuttcr schlafen.Die-Qual istbeendet. Schnell,meineHerren Geschworenen!WirhabenvollesBer- trauen zuIhnen,dennSiesind unabhängigeundgewissenhasteBürger.

SchüttelnSiedasGewichtderungeheuren Verantwortlichkeit ab,dasseit zwölfTagenauthremHerzenlasteti«SchlußderDebatte. Zweihundert- achtundfünfzigSchnldsragenwerdenverlesen.DieJury ziehtsichinsBe- rathungzimmer zurück.Nach siebenStundenverkündet derSchwurgerichts- präsident:Fünf Jahre Zuchthaus fürdasEhepaar FriedrichundTherefe Humbert,zweiund dreiJahre GefängnißfürEmil und RomainDaurignac.

SoungefährsiehtdasSkelettderSacheaus.Ungefähr;ich habedie Verhandlungstenogrammeim Journal mitheißemBemühengelesen,trotz dieserunersprießlichenArbeitManchesabervielleichtnichtganz genauwie-

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dergegeben. Unerwähntblieb,zumBeispiel; daß FriedrichHumbertAbge- ordneter warundimPalais-Bourb0n, wieüberall,denträumerischen Künstler,dasweltfremde Kindergemüthmimteunddaßderentscheidende Gerichtsbeschlußund dieFluchtderehrenwerthen FamilieFolgenderKa-

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nonadewaren,dieHerrWaldeck-Rousseauin derZeitungLeMaijn gegen sie beginnen ließ.HundertallerliebsteEinzelheiten; deutscheLeserwürden schonmitheiteremStaunen vernehmen,welcheSummen Mama Therese jährlichfürHüteausgab. Dielange genährteHoffnungaufeinepolitische Sensationwurdegetäuscht.StaatsanwaltschaftundVertheidigung hatten sichvonvornherein geeinigt,das Aktenbündelnicht aufzuschnüren,dasdie BettelbriefeundDankschreibenbekannterPolitiker enthieltzunddaauchdieGe- schworenensichnichtneugierig zeigten,erfuhrmannichtsvonderschmierigen Schachermachei,dieJahrzehnte hindurchAemter, Pfründen,Titel,Bändchen undPalmenabzeichenvergab. KeinMenschkümmertesichdiesmalumdendos- siersecret, dessenEntfiegelunganno Dreyfus so stürmischbegehrtworden war(natürlich:damalssolltederGroßeGeneralstab,jetztkonntedieregirende Bourgeoisieblosgestelltwerden).UnddochstandanderBarrederselbeVerthei- diger,derin denFällen ZolaundDreyfus sowundervoll gegenGeheimniß- krämerei undVertuschunggewettert hatte:HerrFernand Gustave GaftonLa- bori.HerrHenriRobert,derberühmtesteKriminalanwalt vonParis, hatte, alserdieAktenkannte,dasMandatzurückgegeben; mitdieserSacheunddieser Hauptklientinschienihmnichtszumachen.HerrnLaboriplagtekeinSkrupel;

er,derinDeutschland mindestens acht Tage langderpopulärsteMannge- wesenwar, inderHeimathaberalleeinträglichePraxisverlorenhatte, brauchte einenRiesenprozeß,derfeinenvervehmtenNamen säubernundwieder in der Leute Mundbringenkonnte.Jst Dir,lieberLeser,nichtaufgefallen,wiekühlin derPressederMann nun behandeltward,den DuvorvierJahrenals das größteforensischeGenierühmenhörtesIPDasRäthselistleichtgelöst:Laborihat sichmit denHäusernReinachundDreyfus verzankt,inseinerGrande Revue unbequemeCoulifsengeheimnisseausgeplaudert,HerrnAlfred Dreyfusvor- geworfen, daßerfich,statt für seinRechtzukämpfen,begnadigenließ,—kein Grundalso mehr,füreinensounzuverlässigenHerrnsichheute nochzuerhitzen.

Der Advokat aberhat sichnichtverändert.EinstarkesTemperament,volks- thümliche,voneinerklingendenStimme unterstützteBeredsamkeit, fchlauste Berechnungaller derRabulistenkunst erreichbarenWirkungenundeine crånerie,dieHändelmit demGerichtshof sucht, nichtmeidet. Eingroßes TalentkleinenStiles;und alsVertheidigerfürdenAngeklagteneine Lebens- gefahr. Jn VersaillesredeteerZolainsVerderben. JnRennes flehtedie Familie Dreyfus ihnan, zuGunstenseines Klienten aufdasPlaidoyerzu verzichten.AlsAnwaltderHumbertshatteereineunbegreiflichthörichteTak- tikgewählt.DieJurh, sagteer,müssefreisprechen,weilnichtunzweideutig

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bewiesensei, daßdieCrawfordsmitihrenMillionennichtdochirgendwoleben.

EintollkühnerWitz,mit demselbstdasGewissenwohlwollenderLaienrichter nichtzu ködernwar. UndschließlichhalferFrauHumbertgarnochbeiihrer blitzdummenEnthüllung,bereitetedenFehlschlagmitSiegermiene rhetorisch vorundstelltesich,als oberfestandieläppischeMärglaube. Dazu hätten Berrher, Lachaudunddie anderengroßenfranzösischenBarreauredner sich nichthergegeben.DengeächtetendreyfusardabermochtegeradedieserSchluß- effektreizen. Bazaine,R(ågnier,indoppelterGestalt alsodergallischerPhan- tasie unentbehrliche traitre, imHintergrundBismarck alsBersucherund Satanas: dakann derPatriotsichimBengallicht zeigen.»Der Name,den Siehören werden,weckt injedemFranzosenherzen wehesErinnern und heißeEmpörung.DasfurchtbareGeheimniß,dasmeine KlientinJhnenent- schleiernwill, wiegtebenso schwerwie die ganzeAnklage.DieCtawfords leben. DiehundertMillionen sind vorhanden.«Die Klientin aberkam über dunkleAndeutungen nicht hinaus; wahrscheinlichwollteesderVertheidiger so.Waren dieMillionen derSündensold fürdenmetzerVerrath? Jst The- rese,derenHeimathpapierenichtinOrdnung sind, Rågniers Tochter,ein

»KindderLiebe«,underfand siedenCrawford-Romannur, weilsie sich schämte,Leben undVermögeneinemLandesverrätherzu danken? Sorüh- rendeZweifel solltedieJuly insBerathungzimmer mitnehmen...Der Ob- mann derGeschworenenhateinemJnterviewer gebeichtet,dieserletzteStreich habedemFaßdenBodenausgeschlagen.DasGesabelwarallzudumm. Frie- drichundTheresewurden derFälschungund desBetruges schuldiggesprochen.

Kläglicherkonnte eineSache nicht enden,diedurchdieGroßartigkeit desSchwindels selbstredlichenLeutenimponirt hatte.DasGerüstderTra- gikomoedieistaus altenBrettern zusammengefügt.UndwerdenStoff auf dieBühne bringen will, sollte vorherdieVolponevonBenJonson,den Turcaret vonLeSage, Balzacs Mercadet, Becques »Raben«undZolas HöritiersRabourdin durchstudiren.NeuistnurderUmfangdesBetruges Derjunge Schiller ließseinenFiesko rufen: »Den Betrügeradelt derPreis.

Esistschimpflich,eineBörsezuleeren;esist frech,eine Million zuverun- treuen;aberesistnamenlos groß,eineKronezustehlen.DieSchandenimmt abmit derwachsendenSünde.« Sodachten auchdiePariser,dasieFrau Humbertmit demEhrennamenderGrande Thåråse schmückten.Auf blauenDunstfünfzigMillionen zusammenzupumpen,ohneeinenHeller eigenen Vermögensdenasinus aureus für sicharbeiten zulassen,mit WuchergeldpolitischeMachtzuerwerben,,Minister,«Abgeordnete,dieHäup-

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terderGelehrtenrepublikamFädchenzu lenken:Dasdünktesie groß.Den Betrügeradelt derPreis. UndstatteinesstarkenSchlußakkordesnun das LeierkastenliedvomPatriotenschmerzundvonJudas,dem argenVerräther, undseinendurchZinsundZinseszinsgemehrtenSilberlingen.Statteines wuchtig niedersausenden StreichesdasGestammeleinerDutzendhochstap- lerin. DieGroßeThereseist uninteresfant geworden,wieirgendein raseur, dessen-undämmbarerRedestromempfindlicheLeute ausfeinerNähescheucht.

...Doch zuspätfälltmirsein hier sollte janur gefragtwer- den,waswir ausderGeschichtelernenkönnen.Nichtviel Neuesfür unsere ErkenntnißdesMenschenalspolitischenThieres.SeitApulejusdieMe- tamorphosen schrieb,hatdasWesendesaufrechtenVierfüßerssichwenigge- ändert; auchderineinenEselverwandelteHelddesNumiders fandGauner alsthronendeHerrscher,Böcke alsGärtner, SchafealsStaatsschiitzer,am Altar geileAffen, aufdemRichtersitzwürdevollglotzendesRindvieh.Und unter denDächern,die derHinlendeTeufel abdeckte, sahesnicht wesentlich anders aus alsin denStuben derHumbertsundDaurignacs. Deralte Adamhatsichnicht sovölliggewandelt,wieunsere Wissenschaststutzervorder Homunkelphiolewähnen, ohnedesweisenWortes zuachten,daseinabge- setzterGottdengoethischenTeufel gelehrt habenkönnte:»Wer lange lebt, hatvielerfahren znichtsNeueslannfürihnauf dieserWeltgeschehn.«DerHer- lunft gleißendenBesitzesundfühlbarerMachtwurdenieängstlichnachgefragt;

stetsschwiegdieMoral,wennGewinngierinVrünstenschrie; und daswichtigste allerSittengesetze heißt, seitdenTagendeslistenreichen Odysseus: Laß Dichniemals aufSchmugglerpfaden ertappcn!Neuwarnur dieGrößederer- schwindeltenSumme (aber mußteman nachBontoux,Lesseps,Herz,Arton dasHandwerknichtinsGroße treiben,umKunden zufangen?),neube- sondersdieTechnikdesBetruges. EinJahrzehnte lang micAufbietunghöchsten JuristenscharfsinnesgeführterCivilprozeß,deranGebührenundSporteln mehralseineMillion verschlingt,alleGerichtsinstanzcn beschäftigtund in demAlleserfunden ist:dasObjektunddieGegenpartei. Das, hatmanuns oft erzählt,wäreinDeutschland nichtmöglich;deutscheRichterundAnwälte hättendieCrawfordsmit denhundertMillionenzusehenverlangtund den SchwindecversuchschnelldurchscheueWirkliche AuchinunseremCivio prozeßerscheinendieParteien nichtpersönlichvorderKammer; einrichtigaus- gefülltesVollmachtformularberechtigtzurVertretung;und mit derLaterne magman denAnwaltsuchen,der,wenn erhunderttausend Mark Vorschuß bekommenhat,anderLeibhaftigkeiteinessosolventenWesenszweifclt.Solcher

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Klientlebt,weil·erzahlt.Rechtslehrersolltenihren SeminariftendieAufgabe stellen:Wäre derProzeßHumberthaCrawfordimBereichdesBürgerlichen Gesetzbuchesmöglich?Die Antworten könntenunsererCivilprozeßordnung ebenso großenNutzen bringenwieDostojewskijs Verbrecherroman einstder russischenStrafrechtspflege.Stattunswieder einmalinderHerrlichkeitdeut- scherZuständezusonnen,solltenwirunsereRichterdringendbitten,sicheinBei- spielanderBehandlungzunehmen,der inParis AngeklagteundVertheidiger sichfreuendurften.KeinbarschesWort,keinBemühen,demAngeklagtendie Pein seinerLagezuschärfenzjovialeMilde,andenhkikelstenStellenleiseJronie undimmereinenichtzu erschöpfendeGeduld.Damit siesichsosicherundfrei fühlewiefrüher,durftcThereseaufderSünderbankSpitzenschleierundweiße Handschuhetragen.Siewurdenicht eingeschüchtert,nieangefahren,wenn sie nervösauskreischtezsogarderbeGrobheitennahm derVorsitzendemitlächelnder Ruhehin, weilersichsagte:HierkämpftmitübermächtigenMenschenein ent- wafsnetes,imKerkerzermorschtesGeschöpfumseinBischenLebenundsolcher Kampf heischtstets ehrfiirchtigcsMitleid,—- mag derKämpferauchzur Aus- schußwaarederSchöpfunggehören.Manmußvorberliner Richterngestan- den, mußdieniederziehendeSchmacheinerLage empfunden haben,in der jedesleidenschaftliche,jedesdengroben Anklägermit denguten Waffenstolzer Satire besehdendeWortwie dieFrechheiteinesStrolches geahndet wird, umdenWerth so humaner Behandlungform schätzenzu können.Auchwer nichteinerehrlosenHandlungbezichtigtist,kannsichbei unsnicht frei seiner Hautwehren.Jedes ZufallswörtchenerzürntdieRichter, jagtdenProku- rator vonseinemStuhl, trägtdemAngeschuldigtenamEnde gar eine Ord- nungstrafeein.Nichtwie einGebildeterzu Gebildetendarferreden,komi- schesMißverständnißnichtwitziglösen;dieWimper darf ihm nicht zucken,« wenn ervon einerdickenNullin derSammetftreifenrobe,einWehrloser, wie einSpitzbube gescholten,wie einlästigerLandstreicherbeschimpftwird.

DannschweigtderBertheidiger; derAnklägernimmtjanurseineberechtigten Interessen wahr, spricht,wie des LandesderBrauch ist,undeinProtestdes Anwaltes könnte dieStimmungdesGerichtshofesverderben;man macht sichalso grün,um nichtvon denZiegen gefressenzu werden. Dabeisinnt Niemand Böses: sowar esimmer ; undweralsGentleman behandeltwer- denwill, soll sichvorAnklagen hüten. DochNiemand bedenktauch,wie furchtbarderMensch,derdaimKäfig hockt,vielleichtschonwährenddesauf- reibendenVorverfahrens gelitten hat,wie dasBewußtsein,hieralseinWesen zweiterKlassezugelten, seine Vertheidigung lähmt; daßererregbarerund

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erregter istalsseineRichter,die inihmdenzweiundzwanzigstenFall ihres Wochenpensumssehen;daßer,fastschonverzweifelnd,umFreiheitundLebens- luftringt;unddaßMenschenwiirdezurSchonungdesUnbewehrtenver- pflichtet...Die Moabiter könntenausderpariser Prozedur Mancheslernen.

EinenMangelaberhattedieseProzedurz einen,dernur ungerügt bleibenkonnte,weilerdieMöglichkeitzu Laborisbilligem Patriotentrumpf schuf:keinärztlicherSachverständigerwurdevernommen. JstdieFrage nach TheresesstrafrechtlicherZurechnungfähigkeitgarnicht aufgetauchtPSie hatzwanzigJahre langeine Rollegespielt,dienureineannäherndgenialische Intelligenz ausfüllen konnte,undandenletztenTagenderHauptverhand- lungdannwie ein dummes Waschweib geschwatzt.Diealbernsten Lügen; einkindisches,ganzunnöthigesAbleugnenklarbewiesenerThatsachen.Viel- leicht saßMisogyniezuGericht; vielleichtdachten JuristenundLaien: So sindalleWeibsen.Siekönntensichauf Schopenhauer berufen,dergesagt hat: »DieNatur hatdemWeibenur einMittel gegeben, sichzuvertheidi- gen undzuschützen:dieVerstellung;esistfüreineFrau so selbstverständ- lich,zulügen,wiefüreinThier, sich seiner natürlichenWaffenzu be- dienen.« Lombroso,derinFrankreich jetztmehrAnhängerhatalsbei uns, citirt inseinem schwächstenBuch »DasWeibalsVerbrecherinundPro- stituirte«—- noch stärkereAussprüchederWeiberverachtung.Das Gesetz- buchdesManyentziehtdemFrauenzeugnißjedeBeweiskraft. InBirma dürfenFrauennur aufderSchwelledesGerichtssaales ihre Zeugenaus- sagemachen,die dennauchnicht für vollgenommenwird.»JnvielenSpra- chen hängtdas Wort ,Eid«und,Zeugniß«Gipse-istestis)mitdemzusam- men,dasdieHodendesMannes bezeichnet«;danachwärealsonur derZeu- gerzeugnißfähig.Jm TürkenreichgilteinesMannes Redegleichderzweier Weiber. Zola: »Frauen sind nichtimStande, präzisauszusagen; siebe- lügen Jeden:denRichter,denGeliebten,dieZofe,— sichselbst.«Als Eid- genossenwerden noch Seneca, Moliiere, Balzac, Flaubert, Stendhalange- führt. Auch hartnäckigesLeugnensollbei Weibernvielöfterals bei Män- nern vorkommen; so habeeine desGiftmordesAngeklagtesteifundfestbe- hauptet,dieschädlicheWirkungdesArsenssei ihrunbekannt gewesen.Man denke...MitsokirchenväterlicherAsiatenweisheitistimKultukkreisdesWelt- westens nichtsanzufangen;und im Lande dergalantenGallier istselbstden verstaubtestenAktenwälzernsolchesVorurtheilnichtzuzutrauenWarumaber hatmandieHumbertnichtuntersuchtundbeobachtet?NichtVignys schwäch- liches,zwölfmalimJahrunreinesKindwar,mit seinenspezifischenWeibeigen-

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schasten,zuerforschen:denbesonderen,vielfachdeterminirten Menschen,der datobte undgreinte, fluchteundsäuselte,mußteeinSachverständiger,einer aus derSchule BernheimsoderSullys,bisin desWesensKernprüfen.

Dann aberkamFernandGustave GastonLaboriumseinenRednertriumph.

Jch mußte,währenddasAuge sichdurchdieRiesenspaltenderSteno- gramme quälte,immerwiederaneinkleinesBuch denken,dasichvorzwei Jahren gelesen hatte.Esheißt: »Die pathologischeLügeunddiepsychifch .abnormenSchwindler; eineUntersuchungdesallmählichenUebergangeseines normalen psychologischenVorgangesin einpathologischesSymptom«;der Verfasser istHerrDr.AntonDelbriick, Forels frühererAsfiftentundselb- ständigfterSchüler.EinAnsangerft;docheiner,derweitin dunkleProvinzen derPsyche hineinleuchtet. AufderdrittenSeite schonstehenSätze,die im KatechismuskeinesKriminaliften fehlendürften: »Daßeszwischender voll- ständignormalen GeiftesbeschaffenheitundgeistigerKrankheitüberall keine scharfenGrenzengiebt, ist eineThatsache,die zwaroft hervorgehoben,jedoch durchaus nochnicht allgemeinanerkannt ift.UnddochistdierichtigeBeur- theilung gerade dieserZuständepraktisch,namentlichinforensischerBeziehung,

vonderallergrbßtenWichtigkeiL«AusdieserBetrachtungergiebtfichdieNoth- wendigkeit,denBegriffverminderter Zurechnungfähigkeitin dieRechtspraxis einzuführen.Doch ichwillnichtmiterborgterWissenschaftprunko,dieLaien- irrthum vielleichtumdenstärkstenTheil ihrer Wirkung brächte,sondern einfach berichten,wasichindemschmalenBuchgefundenhabe.Zunächfteinen»Fall«

aus derschweizerischenJrrenheilanftaltBurghölzli.EinDienstmädchenJn Oesterreich geboren. Findelkind; nachanderer AngabedieTochterarmer Winzer.EinGeistlicherempfiehltdieknapp ZwanzigjährigeeinemGrafen alsKindermädchen.SieliestRomane, vernachlässigtdieihrer Obhutan- vertrauten KleinenunderzähltJedem,dershörenwill, sie seiPrinzefsinvon SpanienundwerdenächstenseinenPalastund eingroßesVermögenerben.

GewöhnlicheAufschneiderei?Doch nicht.Sie wirdnacheinemStarrkrampf insSpital geschafftundalsbleichsüchtigundhysterifcherkannt. Ausdem Krankenhauskommtsiein dieSchulschwefternanftalt.DerGraf entläßt fieaus demDienst,weilsie unbrauchbar istunddasBlaue vomHimmel lügt.AlssievonSpanien genughat,redetsieeinemihrbefreundetenHaus- mädchenvor,sie seidieaußerehelicheTochterdesKönigsvonRumänien und ihrOnkel derKardinal-Primas vonUngarn. Dieser Kirchensürft schreibtan dieFreundin seiner Nichte oft Briefe; Briefemitgrobengram- matischenFehlernzwar: abereinungarischerKardinal braucht dochnicht

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gutesDeutschzuschreiben.DieBriefekommenniemitderPostvomMagyaren- globuszdieNichteselbstbringtsiederFreundin:sonstkönnte einerunterschla- gen werdenunddenAufenthaltdergehaßtenThronprätendentinverrathen.

DeshalbschicktsiederKardinal durchBoten,die mitihremLebenfürdierichtige Bestellunghaften. Forelund DelbrückhabendieBriefe gelesen.Vielpastoraler Schwulst, geringe Schulbildung.DieSchriftvonFrauenhand, aber-nicht vonder desKindermädchens.·Nach einigem Zögern leihtdieFreundinder Pseudoprinzessineinefür ihre VerhältnissebeträchtlicheSumme.Alssie sich dann wieterungläubigzeigt,wirdsiemitDolchundRevolver bedrohtund muß aufdasvonzweiKerzenbeleuchteteKruzifixschwören,nie zuverrathen, daßdieNichtedesKardinals ihrGeldschulde.DieSuggestivkraftderKranken ist sogroß,daßeinArzt,zu demsieinsHauskommt,allihre Märchen,Krafft- Ebing späternocheinzelneglaubt.NeueWahngcbilde folgen;aberauchneue Abenteuer. EinungarischerGrundbesitzernimmt die Darbendeaus; aucher hältsiefüreineKönigstochter.Umnichtentdeckt zuwerden,trägtsieMänner- kleider,manchmaldieUniformeinesJägerosfiziers,undtrinkt undrauchtwie ein imKasino ErwachsenenMitdemDienstbucheinesKnechtesfliehtsiein Dienerlivree nachderSchweiz,giebtsichdortzuerstfüreinenarmenStudenten, späterfüreinenreichenErbenaus,»entlockteinemPfarrer neunhundert Fran- ken,wirdverhaftet,als Weibrekognoszirt,zu vier Monaten Gefängnißverur- theilt,nach Burghölzligebracht,darn anOesterreich ausgeliefertundvon Krafft-EbinginGrazuntersucht.SeineDiagnoselautet:,,TypischerFallvon originärerParanoia.« In Burghölzli hatten Forelund Delbrück,neben konträrerSexualempfindung, festgestellt:»überschwängliche,dasklare Den- kenstörendePhantasie,alsFolgedavoninstinktiverHangzuLügeund Täu- schung.«Siewar unerschöpflichimErfinden wüsterWundergeschichten;da- beiüberall beliebtundimBesitzeinerbesondersvonFrauenkaumabzu- wehrendenGewaltüber denMenschenwillen.VorGericht,alsihr hundert Schwindeleiennachgewiesensind,nennt sie sichdasOpfer schnödenTruges, verwahrtsichgegen dieAnnahme einerPsychoseundjammert, daßman ihr,

.diestetsimbestenGlaubengehandelt habe, jetztdieEhrerauben wolle Paranoiaoderstrasbarer Betrug?Dr. Delbriickantwortet:EinGrenzsall;

dasWahnsystem knüpftsichaneinenbewußtausgeführtenBetrugund aus demerstenwirrenGesträhnwird,weil demPhantasielebenalleHemmungen fehlen,schnellpathologischeLügensucht.DerArzt schildertauchleichtereFälle, Menschenmit normaler vitasexualis, diedennochzupsychischabnormen Schwindlern werden,erinnertandie»retroaktivenHalluzinationen«,die

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Falsch ist schon die Angabe, die großen Industrietrusts und deren Finanzgesellschaften hätten kein Bankgeld; aber selbst wenn dieser Glaube richtig wäre, bliebe noch immer die

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Haeckel durfte so antworten, auch wenn er noch nicht gewußt haben sollte, daß nach Professor Loofs ,,letztlich der Tod und Alles, was ihn vorbereitet und was mit ihm zusammenhängt

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