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Die Zukunft, 1. August, Bd. 44.

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Berlin, den l.August 1903.

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Vanderbilt.

Injammerschade,daßPapa so früh starb.WennersIerlebthätte,wäre

J

ichendlich vielleichtinseinenAugen gewachsen.Immer hießes:Aus Dir wirdnichts, Junge;DubleibsteinreicherErbe undhättestwederdas Pulver nochdieMortgagebondserfunden.Dann kam einKapitelausdem Carnegie;daßesBlödsinnsei, Kindern großeVermögenzuhinterlassen.

Warermunter,weilseineEisenbahnen gute Abschliissehatten,dann nannte ermichscherzendCornelius Nepos,schlepptemichvordenSpiegelundfragte, obichäußerlichwenigstensdemholländischenUrpapa ähnele,vondemich den Vornamen habe. DaßesselberCornelius hießundauchnichts Riesiges geleistethatte,vergaßdasPapachen,das gern mitklassischerBildungåles-Har- vardauftrumpste. IchwarderNichtsnutz,derMüßiggänger,dernur Millio- nenverknabbernkönne. Als ob mirwasAndereszu thun übrigblieb ! Sollteich, wie Eornelius derErste1809,aufdemnew-horkerMarktGemüseundObst aushökern?DamalswarauchfürdenEinzelnenEtwaszumachen;heute,mit RockesellerundMorganim Rücken,mußmanhöllischauspassen,umseinBis- chenGeldvordengroßenRäubern zu retten. Militärlieferungen,wie 1812, sind nichtzuvergeben;Stahl, Fleisch,Eisenbahnen,Petroleum, Dampfer sind längstgetrustet; sogarCigaretten liefern wir,mitRabattgeschenken,schonin MassennachEuropa.Und dasollUnsereinsnochdasPulver erfinden! »Aus Dir wirdnichts.«Wennerserlebthätte!EbenDreißig;undnundochwas geworden. Von denhöchsten,vornehmstenEuropäernanerkannt. Drüben,.

PredigtePapmists nichtwie bei uns ; Geldgiebtda keinenRang; Jederwird nach seinerArbeitleistunggeschätztundFaulenzenistnur demältestenAdel

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gestattet.DenSermonschloßstetseinSeufzer:wirSelss müßten,selbstgegen hohen Zoll, JdealeausDeutschland importiren.AlterStil,derliebePapa.

Zwei Jahrewar ertot: dabesuchtemich PrinzHeinrichvonPreußenund brachteGrüßevonseinemBruderWilhelm.Schonganz nettfürden Enkel einesWochenmarkthökers,dessenVater alsPauperaus-Hollandeingewandert war und dem»diepöbelhafteSchmutzpressevorwarf,erhabe sichdurchbös- artige Spekulationen aufStaatskosten bereichert.Dann dieEinladung nach Kielz so dringendundartig,alsgältesieeinemKönigvonGottesGnaden.

StandesunterschiedPLächerlichzhier istman vieldemokratischerals bei uns.

DerKaiservonbezaubernderLiebenswürdigkeit;machteunssogar Matrosen- manövervor,damit wirsphotographirt nachHausenehmen konnten;bei- nahe gerührt,alsichzumDessertdasAegirlied spielen ließ.DieKaiserin herzlichwie mit altenFreunden;erkundigtesichnachHäuslichemundfragte, ob wiraucheineKirchehätten.(EineMenge natürlich;nach jedemriskanten Geschäft,dasgutausgeht,bautman jaeine.)Wirwaren immervornan, hattenanderTafeldiebestenPlätze,sahendenKaiserbei uns anBord und wurden vomHofadelmitKomplimenten überschüttet.ReizendeLeute. Und zuletztnochderpersönlicheTriumph:ichalleinvomKaiser eingeladen,Danzig undMarienburg anzusehen; für guten Empfangwerdeersorgen.

Erhat prompt dafürgesorgt.KaumhattederNordsternbciNeufahr- wassersestgemacht:dakamauchschoneinHerrvonderRegirung Rath nannten sieihn aufs Schiff, begrüßtemichim NamendesOberpräsidenten, den derKaisertelegraphischangewiesenhabe,mirdieHonneurszumachen,und stellte sichzurVerfügung.AndereLebensart als inRußland,wokeineKatze sichummich gekümmerthatte. NachherkletterteGeneralvonMackensenin großerUniformanBord, schlugdieHartenzusammenundsalutirte: »Auf AllerhöchstenBefehlSeiner Majestät!«UnserKonsul sagte mir,beim Em- pfangdesZaren seiesungefährebensogewesen. Meinte, ich müsse,nach hiesigemBrauch, dieBesucheerwidern. Da aber ein ganzerSchwarmbetitelter BesucherfolgteunddieZeit knappwar,schienmir dasVernünftigste,diebesse- renLeute imHotelabzufüttern.Wasihnen offenbarsehrbehagte.ErsteRegel: die dienendeKlassenicht verwöhnen.Abendsdann,wiederaqullerhöchsten Befehl, mirzu Ehren FestimHusarenkafino.Riesiggemüthlich,trotzdemVer- ständigungetwasschwer,weilnurWenigeEnglisch sprechen.Aberdiefrischen, strammenGestaltenin derkleidsamenSchnürjacke,diesie,sammtdenhohen Röhrcnstieseln,hier(imErnst!)auchaufderStraßetragen-einprachtvollerAn- blick.LießdreiAusnahmenmachen;denAstorswirdsin dieAugenstechen,mich

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aufdemEhrenplatzzwischendenbeiden Kommandeuren zusehen.Allesrecht anständig;einBischenin englischemStil;zumBeispiel: imSpeisesaal darf nicht geraucht werden,wiesonstinDeutschland üblich.Sonderbar fand ich nur dieTotenköpfeaufallemGeräth;steigert nicht geradedenAppetit,aber preußischeTradition.DieHusarenschwitztenBlutundWasser,ummichzu unterhalten; sonst wohlaufanderenTongestimmt.Na,man istbonprincez undKaiser, Regatta, amerikanischeMilitärverhältnissereichten ja fürdie paarStunden. Der Abendmuß nach hiesigenBegriffen schweresGeld ge- kostethaben.DabeisollendieTotenkopsregimenterzu denärmstenderKa- valleriegehören.Malherumhorchen,wiemansichnachhaltigrevanchirenkann.

Undwenn ichnochälter würde alsUrgroßvaterCornelius: denAbend werdeichnicht vergessen.Unwillkürlichkam miraufdemWegvonLangfuhr nachdemHafendieFrage:WomithastDusverdient? Zwei preußischeOf- fiziercorps,dieDichnichtkennen, nichtsvonDirwissen,alsdaßDuvielGeld geerbt hast,feiernDich, huldigenDirförmlich,thun,alsseiDeineAnwesen- heit höchsteEhre,undgreifen tiefin den dünnenBeutel,umDirLeckerbissen undedlesGewächsvorzusetzen, einemAusländer, dessenSprachedieMeisten nichteinmalverstehen.Warum? ..DummeFrage. WeilderKaiser befohlen hat.Underhats befohlen,weilseinGenieerkennt,werheutedieWeltbeherrscht.

DummeFrage.Mitneun MillionenJahreseinkommen istmankeinfremder Landstreicher.DiejungenLeutetragen ja schließlichdieWaffennur,umunsere Kassezuvertheidigen;den Armenkönnteauchein Eroberernichts nehmen.:

Eher schonEtwasgeben.AmTag nachderAnkunft legteLubber mir zweihundertundachtzigBettelbriesevor. Aus allen Ständen. Die merk- würdigstenAnerbietungen.Von derunbescholtenenWitweohneVorurtheil bis zumOffizierausaltemGeschlecht,derdieTagalenzurRaison bringen möchte,weilermitknapperLöhnungdenfaulen Frieden nicht längerertragen könne. DieMeistenverwahrten sichgegen denVerdacht, siebätenum Al- mosen; nein:sieschlugenmirGeschäftevor,andenenichsichereingroßesStück Geld verdienen würde.AllesErdenklichewurdemir zu»günstigem«Kauf angeboten:BilderundSchiffe, FabrikenundRittergüter,alte Möbelund neueVillen mitderAussichtaufsMeer. Ein paarKleinigkeitenhätteichgern mitgenommen.DieMarienkirche,diegothischeuHäuserderAltstadt,dasfa- moseHochmeisterschloßunddieLaubengängevonMarienburg,dasdanziger Rathhaus,denArtushofund dasKlosterOlivamitMöbiliarverstauenund drübenvoneinemtüchtigenArchitektennaturgetreuwiederaufbauen lassen:

wäreganzallerliebst.Einstweilenabernochnichtzumachen.Mansollte diese 13««

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Raritäteneinzäunen,vongutenpariser Firmen noch einigeSimili-Alter- thümerdazukaufenund dasGanzedann gegen Entreezeigen. Für Fremden- industrie istdie Stadtzwar ein Bischenabgelegen;aber derNordexpreßkönnte öfter fahren.Mangehtja auch nach NürnbergundRothenburgundhier ists nichtwenigerschön.AndereMöglichkeitenseheichnicht,wenndiealtpreußische Wirthschaft sortdauertundkeinKrieg geführtwird. UnterdenRussen hätte Danzigesbesser; jetztfehltdasHinterlandundStettin undLibauziehenallen einträglichenVerkehransich. Jch hatte erwartet,imHafenderaltenHause- stadtdieFlaggenaller Nationenzufinden;eine regeExportindustrie,leb- haften Waarenaustausch·Nichts.DerHafenistleer.DieKriegsschiffeauf derReichswerftundbeiSchichau sinddieeinzigenFahrzeuge,diesichsehen lassenkönnen.SonstalteKasten, Schlepper,Holzkähne,Flößezmanchmal ein kleinerenglischerKargosteamerodereinTankschiff. AufdemLand und in derStadt graueMisere. SchlechtePreise für FeldfrüchteundeinHandels- umsatz,andessenarmsäligeZifferndrüben keinMenschglaubenwürde. Wenn dieZuckerkalamitätweitergehtundRußlanddenHolzzollerhöht,istsganz aus. Kein Wunder. AusdiesemBodenistimmernurGeld gezogen, nieist neues hineingestecktworden.Jch ließmirerzählen.Dänen undPommern, PreußenundPolenhabenum die Stadt gekauft;vonPolen, Schweden, Russen,Sachsen,Franzosenwarsiebelagertund·AllepreßtenihrTributab.

SiekonnteRuhm erwerben,abernichtGeld. Dazu schlechteWasserverhält- nisse, halb polnische, für qualifizirteArbeitunbrauchbareBevölkerungund imletztenJahrhundert fünf Kriege, Cholera,Kontribution vonzwanzig Millionen, Brandschaden, Weichseldurchbruch.Und dieRegirung thatnie wasRechtes.UntersolchenUmständenwären tausendBettelbriefenichtviel.

DieLeutehier haben hungern gelernt; auchdie oberenKlassen. Im- merwiedermußte ichdenmirattachirtenHerrnvonderRegirungansehen.

MeinzweiterSekretär hatdasDreifache,meinKüchenchefdasAchtfache seinesEinkommens. UndvondieserSorte giebts hier,wieich höre,ganze Haufen.Stets gutgekleidet,akademischgebildet,korrekt,ohnesichtbareSchul- den; meist Familienväterundausnahmeloszu»Repräsentation«verpflich- tet.Wovonwerdensie satt? WahrscheinlichvomStolz.Denn sie sinddie Herren.Ohne sieist nichtszumachen.JederKaufmann siehtinihnendie vonGottunddemKönig Vorgesetzten.UndsielassensichmitihrenEnt- scheidungenZeit. EheeineStraße gepflastertodereinelumpige Kleinbahn gebautwerdenkann, ist mehr Papier vollgeschriebenals bei unsfürdieVor- bereitungeinesMilliardentrusts.Statt einenProkuristen aufdieReisezu

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schickenundihm VollmachtzurEntscheidunganOrtundStellezugeben, läßtdieCentralinstanz sichzehnmalberichtenundvertagtdenBeschlußdann, bis derZufalldieGelegenheit schafft,demKaiser Vortragzuhalten.Aus denKaiserwartet Alles, doch seltenkommt Einerdirektanihn. Ich höre vonKaufleuten,diedrei,vierJahre warten,HimmelundHölleinBewe- gungsetzen,sogarobenProtektorenhabenundtrotzdem fürdiewichtigsten SachenkeineAudienz erreichen. Wohl erfunden·Mitmirhaterja täglich Stundenlanggeplaudert.WahrscheinlichsinddieAnderennichtderRedewerth.

DerTouristkannsichdieGegendgarnicht hübscherwünschenund ichwerde drübenallenFreunden dieseRouteempfehlen; etwas soNiedliches siehtman nicht mehr lange. PferdepflügeausdemFeld,altväterischesAcker- geräthund eineIndustriewie ausderSpielschachtel.Industrie ist hierdie letzteHoffnung;wie überall inDeutschland. DaßdieLandwirthschaftauf schlechtemBodenundohneausreichendesKapitalmit dengroßenWeltliefe- ranten nichtkonkurriren kann, hatman eingesehen.»Aberin derIndustrie sindwirobenauf.«Hundertmalhabeichs gehört;unddazulächeltendieLeute dannverschämt.SelbstderFeindbewundere jadenindustriellen Fortschritt desDeutschenReiches.DasHalbdutzendZiffern,dasichfür Nothfällemit- gebrachthatte, thatdagute Dienste.Seit 1820 hat sichdiedeutscheIndu- strieproduktionvervierfacht,dieNordamerikas vervierzigfacht.SiebenzigAmes rikanerleisten,nachMulha ll,sovielArbeitkraftwjehundertundsünfzigEuro- päer.Einkommen proKopf hier520, beiuns1000 Markungefähr.Volks- vermögenproKopf hier knapp3300, beiunsmindestens6000Mark.Fleisch, Korn,Kohle, Eisenbilliger;undsoweiter.Dasgabjedesmal langeGesichter, wurdeaber wohlfürAufschneidereigenommen.AuchhierimOsten rechnetman auandustrie; dieRegirungmit.Während ichin demvomKaiser gestellten ExtrangnachMarienburg fuhr,wurdemirsvorgetragen.-Undenkbar wäre dieSache nicht.WennderStaatAlles, waserimOsten braucht,imOsten kauftundfürdenAnfangeine Milliarde Subvention giebt,ließesichManches erreichen.Obman aberandie paarIahre soviel wenden wolle.PaarJahreP

Na, Europa ist dochunser natürlichesAbsatzgebiet,undwenn wirhier erst Filialengründen, werden Ihre Installationen fürunsunbrauchbarsein.

Mein Gefolgebliebhöflich,hieltmichabergewißfüreinen Narren. Industrie ohneGeld und mit Staatsmoral! ..AmLiebstenhätteichihnen zugerufem Kinder,Eureindustrielle Force istderKrieg, noch immerderKrieg;als Soldatenseid Ihr ohne Konkurrenz; hautum Euch, solangeIhrkönnt, nehmtinEuropa,was-zuerkriegenist: sonst seidIhrverloren; auchin See-

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kriegen,dieschließlichderReichstegewinnenmuß.Dasging nicht; also schwei- gen. Bei unsweißesJeder.AberichwarjaderGastdesFriedenskaisers.

GastdesKaisers;undüberall, wohin ich kam,derHöchste.Beiuns werdenrechtdummeMärchenüberDeutschlandverbreitet. DerKaufmann, erzählensie, rangire hier hinter jedem besserenBeamten. DieEsel! Jch hatte einen ganzenSchwanzvonBetitelten hinter mir,Eivil und Militär. Auch eine alberneErfindung:dieOffiziercorps schlössensichstolzgegenBürger- licheab.Das sollmirnochEiner erzählen;gut, daßichdieKasinobilder habe.KeinKutscheristdrübenartiger. SelbstderEinzige,dermichnervös machte,meinteessichergut.Redete immervonSpekulantenprozessen,Bi- lanzverschleierungen,Wuchergewinnen;wie vieleJndustriegauner jetztim Zuchthaus süßen;demEisenbahnschwindel,mit dem esvordreißigJahren anfing, habe dieBerstaatlichung jadieWegegesperrt.Ein unheimlicherKerl.

WolltejedenfallseinGesprächsthemawählen,dasmirnicht so fremdwäre wiePolenpolitikundAvancement. Ob aberPapa nach dieser Unterhaltung noch fürdenJmport deutscherIdeale gewesenwäre?Vielleicht.Wirreden zuwenigvonderSittlichkeit,die dem Volk docherhaltenwerdenmuß.Das habe ichhier gelernt. Noch manchesAndere.ZumBeispiel:wiemanFremde

vonDistinktion aufnimmt;unddenUmgangmitKönigen. Jstgarnicht schwer. PompöseFormenwerdennicht verlangt;wenigstensvonunsnicht.

Wie einGentleman zum anderen: sowollteesderKaiser. DaßerzuHause aufTradition hält,istganzrichtig.Er kenntseineLeute. Wernicht reichlich zuessenhat,willdochEtwasfürs Gemüth.(UnübersetzbaresWort,sagten sie mir, furchtbar ernsthaft,beimBraten.)VorzüglichesMenschenmaterial;

lebtnoch völligin altenVorstellungenundist zufrieden,wenn die verwitterte Fassadeneuüberpinseltwird.SiehabenAlles:gleiches,allgemeinesWahlrecht, Selbstverwaltung,Preßfreiheit,einenverantwortlichenReichsministeretcete- ra; Allesstehtauf dauerhaftemPapierundistdagutaufgehoben.Nichtein ein- zigesMalhörteichvomKanzlerreden. DasVolk will denZügel fühlen; einen purpurnen. WennwirGeldbringenunddreißigJahre ordentlichdüngen, kannsrechtwohnlichwerden.DieseEntwickelung anzubahnen:na,Papachen, wie würdeichdannvorDirstehen?Bedenklichistnur,daßdieLeute,wenn sie finanziell flott sind, nicht mehr so bequemzuregiren seinwerden... Ab- warten. Einstweilen istseinVergnügen,malin einemLandezusein,wo dasGeldnichtdenMann macht.DenkerundDichter. Jederwirdnur nachdersittlichenundintellektuellen Beschaffenheit,nachdeminnerenWerth eingeschätzt.Drübenbestreiten sies.NunhabeichsameigenenLeibe erlebt.

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EdgarAllanPoe. 181

Edgar Allan Poe.

f .ieErgebnissederärztlichenForschungüber denAlkoholismus sind heute

sx soweitverbreitet undsoernstlichindenVorstellungskreisderGe- bildetenaufgenommen, daßesKeinem mehr einfallenwürde, einemEdgar Allan Poe,beieiniger Kenntniß seiner Lebensumstände,Vorwürfewegen seinesTrinkens zumachen. DieseErfahrungistabernichtalt. Baudelaire mußte noch1856,als erseine französischePoe-Uebersetzung durcheinen Essayüber denDichtereinleitete, die ganzeMacht seinerStilistik aufwenden, um gehässigeAngrisfe aufdenVerstorbenenundseinWerkzurückzuweisen.

Dr.Griswold, einTheologe,denderunglücklichePoe selbstzumHeraus- geber seinerWerkebestimmt hatte,war dergehässigste;erkonntesich,als

erdentotenFreundbeurtheilen sollte, nichtüberseine eigeneengmoralistische undagitatorischeSphäre erheben;erverdammte dasLeben desVerstorbenen undverdächtigteseineWerke. Andere FreundedesToten erhoben sichda- gegenundwuschen ihn rein; siekonnten imGrunde ebenso wenigeine moralistischeWerthungmeidenwieGriswold,nur kamensiezumentgegen- gesetztenResultat. Griswolds Maulwurfshorizonterweitert sichbeiBaude- lairebiszudenletztenund fernstenGrenzen ästhetischenErkennens; seine Darstellung ist noch jetzt, nach beinahe fünfzig Jahren, fastdieklügstevon allen,dieseitdem versuchtwurden. Seine AnsichtüberdieAlkoholneigung desDichtersundihren Einflußauf seinWerkistso eigenartigundcharakteristisch, daß ich sieimWortlaute anführenmöchte:»Ich glaube, daßinvielenFällen

—— gewißnichtinallen dieVezechtheitPoeseinmnemonischesMittel war,eineArbeitmethode,eineenergischeundtötlicheMethode,die aberseiner leidenschaftlichenNatur entsprach.DerDichter hattedasTrinken gelernt, wie einsorgsamerLiteratsichMühegiebt,Notizenzusammeln.Erkonnte demVerlangen nicht widerstehen,die wunderbaren oderschrecklichenVisionen, diefeinen, zarten Konzeptionenwiederzusinden,dieihmineinem früheren Sturmebegegnetwaren; eswaren alteBekannte,dieihngebieterischan- zogen, undumwiedermitihnenanzubinden,gingerdengefährlichsten,aber direktestenWeg. EinTheilvonDem,was heute unser Ergötzenausmacht, ists,wasihn getötet hat.« Diese AnschauungließdenDichtermitAbsicht trinken undgab dadurchdenAnhängernGriswolds offenbareineneueWaffe indieHand. Siewar aberinästhetischerBeziehung höchstfruchtbar,da sie andeutete, daßdieKunst Poes vielleicht geheimen Zusammenhangmit seinerNeigunghabe.Siebliebseltsamer Weise ohne tiefe Wirkung;wenn man diespäteren literargeschichtlichenDarstellungen prüft, zeigt sich, daß Baudelaires Jdeen nicht aufgegriffenund ausgeführtwurden. Man be- gUügtesichvielmehr meistdamit,dieEigenartderNovellen Poes dadurch

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zu erklären, daßman seine tiefgehendeBeeinflussungdurchE.Th.A.Hoffmann, überhauptdurchdiedeutschenRomantiker annahm. Das war sehrober- flächlich;man kannsogarsagen:eswar falsch.

BaudelairesMeinungverdient, wie mirscheint,beachtetundzergliedert zuwerden. SiedecktsichzwarnichtmitdemThatsächlichen,aberdieArt, wiesiehartdaran vorbeischneidet,verräthebenso sehrBaudelaires psycho- logischenSpürsinnwieseineinnere VerwandtschaftmitPoe. Baudelaire irrtefreilich:derAlkoholismusseines Schützlingswarkeinebewußtangewandte Arbeitmethode,war nichtAbsicht.DieTrinksucht übersielPoe,wie denEpi- leptikerseine Anfälle überfallen;weilsie nichtprimärwar,sondernepileptischen Ursprungs.Poe erzeugte nichtmitWillen beisich »künstlicheParadiese«, sondern sieüberwältigtenihn;undes waren nicht Paradiese, sondern Höllen.

UndFlammenvondieserHöllesindinseinWerkgelodert;damithatBaudelaire Recht. Zu seinenzarthingetuschteuAndeutungenmöchteichdiescharfenUm- rißlinien zeichnen,diehiernur aus gleichmäßigerBerücksichtigungdesästhe- tischenunddespsychiatrischenMomentes erwachsenkönnen.

EuropamüdigkeiterzeugteeinenbeträchtlichenBestandtheildesameri- kanischlenVolkes. Menschen,denenmaßloseHoffnungen,eineunmögliche Lebensführung,drückenderNiedergangderFamilie, Gesetzlosigkeit,irgendein räthselhaftesundverborgenesErlebniß vielleichtden altenMutterboden ver- leidethatten, besiedeltendrüben die werdendenStädte. Bei all derEntartung, diejahraus, jahreinvonden Schiffenins Landströmte,müßteman eigent- lichindenAnfängendernordamerikanischenLiteratur mehr Gestaltenvon derArtPoeserwarten, wenn man nichtindenKriegenund demjede Expansionerlaubenden AbenteurerwesendesWestenseinVentil zusehen hätte.

Mancher Dichter ,,unheimlicher Geschichten«mag indenPrairien unter- gegangensein, ohneeinenBuchstabengeschriebenzuhaben, mancherLiebhaber künstlicherParadiesein denOpiumhöhlenSan FranziskosEdgarAllanPoe war dasErgebnißhäufigerBlutmischung;unterseinen Vorfahren sind Jren, Italiener, Franzosen. Jn Jrland,wodieFamilie früherseßhaftwar,fiel sieseit Jahrhunderten durch seltsames, unruhiges Wesen auf. EdgarsVatertrugalle Merkmale solcherRasseinsich.ErüberwarfsichalsjungerMann mitseinen Eltern, gab plötzlichseinenBeruf auf, heirathete,selbstschwindsüchtig,eineschwind- süchtigeSchauspielerinund zog mitihralsSchauspielerfriedlosund elenddurch dieamerikanischenStädte.VierzehnTage nachdemTodseinerFraukamerselbst bei einemTheaterbrandeum. HerrAllan, einreicherRichmonder, nahm sichdes verwaistenKnabenanundließihninEngland erziehen.Edgar.kehrtedannnach AmerikazurückundbezogdieUniversitätCharlottesville,wohervorragendemathe- matischeBegabungbeiihm auffiel,ein Talent, dasspäterbedeutsamstenAntheil andemAufbau seiner Kunstwerkehatte. Dochbald wurdeerwegen einer(nicht

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EdgarAllan Poe. 183 sicher bekannten) sinnlosenAusschreitungrelegirt. Nunfolgen zweiLebens- jahre,derenEreignisseman überhauptnichtkennt. Poe reist nach Europa,

um denGriechenkriegmitzumachen,verschwindetdann völligundtaucht erst nachvielenMonaten plötzlichinPetersburgwiederauf: abgerissenundver- stört, ohne Papiere;wegeneinesnicht näherbekanntenVergehenswirder insGefängnißgeworfen. Durch VermittelungderamerikanischenGesandt- schaft öffnet sichihmdieMöglichkeit,heimzukehren·ErsöhntsichmitHerrn Allanaus, besuchtdieKadettenschule,wird aber,wegen einesjähenund grobenVerstoßes,bald wiederweggeschickt.Er kommt insHaus seinesAdoptib- vaterszurück,dersichinzwischenzumzweitenMaleverheirathet hatte.Wieder einnichtganzaufgeklärterUmstand: HerrAllanenterthdgar undverbietet ihmdasHaus. Vonnun an war derDichternur auf sich selbstange- wiesen.NacheinerEpoche ärgstenElends wirderHerausgebereinerneuen Zeitschrift, die»erdurch feine künstlerischenArbeitenbekanntmacht.Umdiese Zeit heiratheteerdieschwindsüchtigeNichte seiner fchwindsüchtigenMutter.

DieReduktion derZeitschrift mußteerbaldaufgeben,weilersichmitdem Besitzer überworfenhatte; schwereTrunkenheitwar dieUrsache.Dann be- ginnt- erst recht eigentlichdasAhasverschicksalPoes.ErwaranZeitschriften beschäftigtundhielt Vorträge. Unruhig wechselteerWohnungundStadt.

Monate strengen künftlerischenSchaffenswurdenvon heftigenundplötzlichen Trinkperiodenunterbrochenundendlich bliebenauchdieZwischenzeitennicht mehr freivomAlkoholismuszdieallgemeineMißachtung,die inihmeinen unverbesserlichenTrinkersah, quälteihn. Währendman Über diefrüheren Anfälle nichts Sicheres weiß,istvon denenderletzten Jahre bekannt, daß sievon schwerenDelirien begleitetwaren, diesichinSinnestäuschungen, Angstzuständenundtriebartigem Umherstreifenäußerten. NachdemTode seiner FrauhäuftensichdieseKrisen;amTage,daersichzumzweitenMal verheirathenwollte, irrteer tobendinderNachbarschaft feiner zukünftigen Frau umherundzerstörtedadurchdieMöglichkeitdieser Verbindung.Und geradesein kläglicherTodzeigtdasWesen feiner Krankheitnocheinmalin vollerDeutlichkeit.Von Schüttelfrostbefallen,kommteram sechstenOk- tober1844 inBaltimore an, trinkt miteinigen Freundenin einerKneipe, geräthineinenZustand völligerAbwesenheitund fällteinerBande von

WahlagentenindieHände,dieihn,daam folgendenTage zufälligGe- meindewahlist,wie einhilflosesKindanalleWahlurnenderStadt schleppen.

AlserdieZettelabgegebenhat, lassen sie ihnineinemWinkelliegen;am nächstenAbendstirbterimHospital wahrscheinlichaneinerLungenent- züUdUUg intiefemDelirium.

Nur,was zurBeurtheilungfeinerKrankheit nöthigschien, habe ich aufgezeichnetJch glaube, daßPoeanechterDipsomanie gelitten hat;über

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diese ErscheinungformderEpilepsie sagt Gaupp: »Die Dipsomanieoder periodischeTrunksucht ist gekennzeichnetdurch anfallweises Auftreten eigen- thiimlicher Zustände,indenennachVorausgeheneiner gemüthlichenVer- stimmungderunwiderstehlicheTrieb nachdemGenuß berauschenderGetränke erscheint,zuheftigenAusschweifungentreibt, miteinerleichtenodertieferen Bewußtseinstrübnngeinhergehtoder zueiner solchen allmählichführt,bis nach wenigenStunden oderTagen, selten erst nach WochenundMonaten, derAnfallvonselbst seinEndefindetundnun, nachUeberwindungder Ver- giftungerscheinungen,einemmehroderwenigergesundenZustandePlatz macht.«

Dieneueren biographischenArbeiten überPoedeutenan, daßerauchvon Krämpfenheimgesuchtwar.Daswürde derDiagnosedenletztenZweifelnehmen.

Doch schon jetzt scheint sie gesichert;einebeträchtlicheAnzahl echter Dipso-

manen istjavonKrampfanfällenvölligfrei.Den Bodenfürdieepileptische

ErkrankungmagbeiPoeeine infrühesterJugend durchgemachteHirnwasser- sucht gegeben haben,derenSpureneins dererhaltenen Portraits inder aufgeblähtenFormdesSchädels besonders sichtbar macht.Die Krank- heit äußert sichin jähen Anfällen. Das beweistjede Wendung seiner Lebensschicksale:immerreißt eineKrise ihnausvollerThätigkeit.Die Ber- stimmungzuAnfang läßt sichoft nachweisen;nicht selten scheintaberbei ihmeineerhöhtekünstlerischeErregungdemAnfallvorangegangen zusein.

Kaum hatteersein Meistergedicht»DerRabe« vollendet, daversielerihm.

AlsdieletzteZeilederkosmischenDichtung»Heureka«geschriebenwar, trieb sich PoezumAergerderMoralisten hastigvonSchänkezuSchänke. Solche Beispieleließensichhäufen."Er trank,waserfand; schonBaudelaire wundert sichdarüber: »Ich höre, daßernichtalsFeinschmeckertrank,sondern als Barbar.« Er,deraußerhalbseiner TrinkperiodenkaumeinGlas vertragen konnte, trankimAnfall»FlaschenKirschwasser«;auchan anderenDipso-

manen istAehnlicheszubeobachten. JnKrisenzeitenwar fein Bewußtsein

mehroderweniger gestört,wieesbesondersdieWahlgeschichteamvorletzten Tage seinesLebensoffenbart.DiemeistenDipsomanen sind,wiedieEpi- leptiker überhaupt,ohne Erinnerungan Das, was inundmitihnenzur ZeitderKrisis vorging; FolgederAmnesie.So bliebdieKunst Fritz Reuters,derbekanntlichauchDipsomanewar,imWesentlichenfreivonden AengstenderAnfälle. MancheKrankeabererinnern sichanAlles,was sie währenddesAnfalles thaten und sahen.Undwenn dann auchDas ist nicht selten beobachtetworden einzelneSinnestäuschnngenodervollständige epileptischeDelirien imVerlaufdesdipsomanifchenAnfalles sich einschieben, so besteht späterbei denKranken eine verschwommeneoderlebhaftereEr- innerunganAlles,wassieimDelirium selbst sahenund hörten.

Poewar einKranker,derseineDelirien nicht vergaß.Sie blieben

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