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Bezugsbedingungen
Preis desJahrgang-es6 Hekte imUmfangevon21Bogen,6Goldmerlc;Einzel- hekte1.50 Goldmarlc. —- MitgliederderDeutschen Zentralstelle Für volkstümliches Büchereiwesen und ihrer Unterverbände sowie dersPreuBisehen Volksbiicherei- vereinigung erhalten dieZeitschrift unentgeltlich. DieMitglieder desVerhandes Deutscher Volksbibliothelcare sowie dieMitglieder derder Zentralstelle ange-
schlossenen Landesvollcsbildungsorganisationen erhalten bei Bezugdurch Ver- mittlungihrer Verbändebedeutende Ermäliigungen
SitzdesVerlages: Wien«I.Bezirk,Schwaczenbergstraße5 Sitzder Schelstleitung:LeipzigN22, Richterstraße8
InhaltdiesesHeftes
Beruislcundec W.H.Riehls Volkslehre inihrer Bedeutungkürdie volks- tümlicheBücherei — Diskerenzierung undstakkelungbeim Bestandsaukbau. s-—
Bücherlcunde: Buchbespreehungem Schöne Literatur — Naturlcunde—- Zehn Jahre deutsche Repuhlilc.Eilae.Büeher-usina·hlmit Einführung undcharakte- ristilcen. «-«l(,leine. Mitteilungen: Hagener-·Jugendbiieherwoehe— Leser-
heirat —- Anlcündigungvon Tagungen Meine stellen- siehe.3. umä 4.Umschlosseite
Soeben erscheint-
Deutsche Volkssbibliographie
HeftIs;
Meister derMusik
EinBücherverzeichnis
, Herausgegeben-youder , DeutschenZentralstellestir bolketümlicheelBüchereitvesen EineZusammenstellungdeswichtigstenSchrlsttumsüberdie großendeutschenMusikerderVergangenheitbenHeinrichsSchütz
bisMaxRegen SämtlicheBüchersind eingehendcharakterisiert Bearbeiter: Dr; KonradAnselm 48Seiten. Preis1.4o M.
Zu beziehendurchdie
DeutscheZentralstelle für volkstümlichesBächereitnesen
LeipzigNes,Nichterstrnße8
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Hefte für Büchereiwesen
Mitteilungen
derDeutschenZentralstellefürvolkstümlichesBüchereiwesen
Schriftleitung Hans Hofmann
12.Band Heft-;
Berufskunde
WilhelmHeinrichRiehls Volkslehre inihrer Bedeutung fürdievolkstümlicheBücherei
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JedesozialpädagogischeWirksamkeit setztalssozialpshchologischeGrund- lageeineLehrevom Volk,eineKundevomVolk,eineVolkslehre,dienicht zuverwechseln istmitfpezialistischerFolkloristik,voraus.
Wenn heute nacheiner Volkslehre gesucht wird, mußinersterLinie desSchöpfers einer,wenn auch bewußt unshstematischen,aberum soleben- digeren Wissenschaftvom Volke gedacht werden, desKulturhistorikersWil- helm Heinrich Mehl,derinweiteren Kreisenvor allemdurchseineNovellen bekannt ist.1
Schonder nassauische TheologiestudenthatteinBonn ErnstMoriiz Arndts VorträgeübervergieichendeVölkergeschichteundDahlmannsVor- lesungenüber,,Politik" gehörtundsichentschlossen,sichganz»demStudium des deutschenVolkes undseinerGesittung"zuwidmen. WieGustav steh- tagwar er zuerstIournalist, allerdingsseinerganzen konservativenNatur nach selbstin den Stürmen des Jahres1848mehr aufdergemäßigten rechtenSeite. Sein späteresLebenvon 1854 abistdannengmitMünchen verbunden, wo er alsProfessorund Schriftsteller, späterauchalsDirektor des bahrischen NationalmuseumsundGeneralkonservatorderKunstdenkmiiler und AltertücnerBaherns seinevolks- undlandeskundlichenwieseinekultur- geschichtlichenStudien ausbauen konnte. — Riehlwollte, wieerselbstes einmal ausspricht,»eine farben-und gestaltenreiche,fröhlicheKunstund
1LeidergibtesnochimmerkeinebrauchbareBiographie Niehls.Amaufschlußreirhsten istderArtikelvonSimonsfeld überihnindecn Band53derAllgemeinen deutschenBio- graphie iLeipzig1907,Dunckercic Humblot).
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Wissenschaft,nichteinedürre,graue Kathederlehre".Seine volkskundlichen und kulturgeschichtlichenErkenntnisse hater sich erwandert; seineWerke haben daher ihre leichte, lebendigeArt.»Wie ich durcheinlustigesWander- lebenerstindasBücherschreibenhineingewandert bin, so sollen auchmeine Bücher allerwegelustigzulesensein.Die Gelehrsamkeitsolldarin stecken, ohnesichselbstgefälligzupräsentieren,undwenn derAutor auchmühselig und langsam,prüfendund zauderndgearbeitet,sowünschterdoch,die Leser möchtengarnichtsmerken von dieserMühsal,sondern meinen, das Buch seinur von ungefährgeschrieben, rasch und«unverzagt, wieaufder Wandersrhaft,und immer mitgutem Humorundohne dasz jederAutor vorherdengelehrten Schlafrockangezogen habe."
StaatswissenschaftundStatistik fand Niehlvor, aberseinAugeerblickte hinterdem Staate dieGesellschaft,hinterdenZahlenderStatistikdas Volkin seinemseelischen AufbauundLeben. So gehürterunter diein denvierzigerundfünfzigerJahrendesvorigenJahrhundertsauftauchenden Cntdecker jenes Neulandes, »Gesellschaft"geheißen,welchesdenAugender vergangenen Zeiten bisher verborgen gebliebenwar. LorenzvonStein, der von HegelsRechtslehre ausgehend sichmit denAnfängendeswissenschaft- lichenSozialismuseines LouisBlanc undeines Karl Markberührte,hob dieklassengeschichtlichenVorgängeals LebensprozessederGesellschaftheraus undtrennte Staat undGesellschaft deutlichvoneinander-. Auch Riehlunter- nahm es, die allem Staats- undRechtslebenzugrunde liegenden Mächte derGesellschaftinihrem eigenenAufbauundinihrereigenen Wirksamkeit zuerforschen. Währenddie Nationalökonomie eifrigZahlenstatistikdes mate- riellenVolksbestandes trieb, lag nachRiehisWorten diegeistige Statistik der Nation zumgrüßtenTeilnoch brach.Damit rührtRiehlan dieAuf- gabeeiner sozial-pshchologischen-Statistik,dieauchdievolkstümlicheBücherei für ihreArbeit braucht.1
Wie Riehl hat auchderPhilosoph DilthehstatistischeGrundlagenfür das Studium geistiger Bewegungengefordert.ErführtinseinerAbhand- lung »Überdas Studium derGeschichtederWissenschaftenvom Menschen, derGesellschaftunddem Staat« iGesammelte Schriften,Band V,Seite4I) bereits im Jahre1875das Programmeiner leserkundlichenStatistikaus.
»DieAnwendung statistischerMethodenaufdieSchätzederBibliotheken mußermöglichen,den Umfangund dieStärke derRichtungen,derBe- schäftigungmit einzelnenZweigenusw»die örtlicheVerteilung derselben aufeine quantitative Weisefestzustellen. GraphischeDarstellung,deren
1Schon1881gabMehldem jungenPrivatdozentenKarlBücher,demspäterenbe- kannten Leipziger Volkswirtschaftslehrer,denNat, inseiner Antrittsvoklesung»dochvom statistischenStandpunkteüberDeutschlands literarische Produktionimletzten Menschenalter«
zureden. iKarlBücher: Lebenserinnerungen,Seite252.)
Wilhelm Heinrich Riehls Volkslehre 219
sichAlexandervon Humboldt soglücklichfiir vergleichendeKlimatologiebe- diente, mußdiechronologischeGrundlage,dieIntensität,Ausdehnungund Verteilungdergeistigen RichtungenundBeschäftigungenusw. immer mehr zu· einem-anschaulichen Ganzen vereinigen." Diltheh istesanderseitsaber auchgewesen,der demintuitiven Verstehenneben derrational-statistischen MethodeindenGeisteswissenschafteneine besondereBedeutungzugemessen und neben einer ,,erklä«renden"aucheine,,beschreibende"Pshchologieals Grundlage fiirdieErfassungallesgeistigenLebensgefordert hat.
AuchRiehlhatdieVolkswirklichkeit beschreibendzuerfassen gesuchtund hatdabei eine Verbindungvon generalisierenderundindividualislerender Methodeangewandt.Niehlgehtimmer vom einzelnenaus, suchtimmer liebevoll sichindiebesondereLage,Pestalozziwiirde sagen:dieIndividual- lageder Gegebenheit,seies eines Menschen,einer Volksgruppe,einer Landschaft,einer Zeit,zuversenken. In ihmlebt die»LiebezumUnbe- deutenden". Aber er verliert sich nichtrettungslosan diebunte Mannig- faltigkeitdes Lebens, sondernfindetim Kleinstendas alldurchwaltende Wirken undWeben ewiger Kräfte.So schufRiehlaus Liebe zur Lebens- wirklichkeitinallihrerBesonderheitundEigenartseine Werke, welchedadurch nie sichinabstrakteAllgemeinheitenverlaufen, sondernimmer wieder zum erlebten Geschehen,zumgeschautenBild zurückkehren.Riehl hatdas Beste seinerWerke erwandert. Seine Gestalten sind geborenaus demlebendigen Erlebnis des liebend forschenden Wanderers, der mit eigenenAugendie Weit neu sehenwill unddernur inderimmer neuen Beobachtungeiner ehrfurchtsvoll aufgefaßtenWirklichkeit schließlichzuseinerallgemeinen Lehre kommt. Er willden Weg bahnenzu einersozialenPolitik,wiesie nichtvon abstrakten Grundsätzen,sondernvon einerlebendigen ErfassungderLebens- gesehlichkeitgewonnenwird. Was daherheute, trotzdesgeradeimsozialen Volksleben ungeheuren Abstandes unseres durchindustrialisiertenZeitalterszu denTagendesBeginnesderkapitalistischenEntwicklunginderMitte des 19. Jahrhunderts, von Riehls Büchern nochunmittelbar lebendig ist, sind nichtdieallgemeinen sozialpolitischenNuhanwendungemsonderneben die Art und Weise zusehen, zuerleben, zuschildern. Riehl hat selbsteinmal zusammengefaßt,wie er zuseinenvolkskundlichenBeobach- tungenund Erkenntnissengekommen ist. In der Einleitung zu seinem .,Wanderbuch"hater das prächtigeKapitelgeschrieben »Handwerks- geheimnisse des Volksstudiutns", das uns einen Blicktun läßtin diese soungelehrtenhafte,sokiinstlerischundforscherlichzugleichvorgehende ArbeitsweiseRiehls Gerade hier findensich Fingerzeige, diefiiralle Volksbildungsarbeitwichtig sind.So wird alsMethode fiirdas Volks- studiumIndividualisierungallgemeiner Erkenntnisse (z.B. durchdievolks- schildernde Anekdote),und als Gesinnung, von der alle echteVolks-
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kundearbeit getragen sein muß, Heimatgefiihl fiirdas Land und Ver- bundenheitmitdemVolkstum gefordert.
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Riehlistallendenen,die aus dermechanisierten, atomisierten Gegenwart einer demChaos verfallendenKultur denWegzumVolkeneu suchen,ein Känder volkorganischenDenkens. Von unten her hatRiehlempirisch,aus derbunten MannigfaltigkeitderWirklichkeit,dieVolksgruppen gewonnen und als thpischeGebilde dargestellt.Wir mögenmitunter garnicht mehr wissen,wiesehrwir indenFußtapfenvon Riehlgehen,wenn wirdie Welt desArbeiters, desBürgers,desBauern voneinander zuscheidenund abzuheben suchen.Volk ist fiir Mehl nichteine Summe von unzählig vielCinzelmenschen— einesolche massenindividualistischeAuffassungistRiehl durchausfremd-, sondernfiir ihn setzt sichVolk organischaus Zellen großerund kleiner Organismen zusammen,wovon diekleinste Zelledie Familie,diegrößtenVerbände dieStände sind.WährenddiekleinsteZelle, die Familie, zugleichdieallgemeinste Voraussetzung gesundenVolkslebens darstellt,bedeuten dieStände eineDifferenzierungdesVolkes, dieNiehl alsnatiirliche Gliederung,als korporativeGrundelemente entschiedenbejaht.
AberRiehl zeigtuns auch,wiewirnichtindiesen sozialenGruppenbegriffen, wie Proletariat und Bürgertum,steckenbleiben dürfen, sondernwie die ganze Fälleder Wirklichkeitsichuns erstdann erschließt,wenn wir die Bevölkerungsgruppeninihrer landschaftlichen Besonderung aufsuchen.
DieFälle seiner BeobachtungenundErkenntnissehatRiehlgesammeltin einem mehrbändigenWerk, das denTitel trägt »Die Naturgeschichte des Volkes als Grundlage einer deutschen Sozialpolitik"1. Dies Werkistals das bedeutsamstederfolgendenBetrachtungzugrunde gelegt.
Schon imersten Band dieses Werkes, der»Land und Leute« genannt istunddemspäteralszweiterTeildas »Wanderbuch"— der vierteBand des Gesamtwerkes— folgte,wirddeutlich,daßdasörtlicheSonderleben fiirNiehistetsdienotwendigeVoraussetzungzu einemwirklichenVerständis der bürgerlichenGesellschaft ist.Dabei ist auch hierdieDarstellungnicht ineineFälle uniiberschaubarer Einzelheitenaufgelöst,sondernineineBe- schreibung wesenhafter Unterschiedegegliedert.
In »Landund Leute« schildertRiehlzunächstsoelementare Natur- gegebenheitenwie FeldundWald, WegeundStege, Stadt undLand.
Dann gehter aufdie Dreiteilungin der Volkskunde Deutschlands ein, wiesieindendrei Elementen des deutschen Tieflandes,deshochgebirgigen und des mittelgebirgigenDeutschlandsgegebenist, der wiederum eine
1Siehe hierzudieÜbersichtsiisteamSchlusse dieses Beitrages. D.V.
Wilhelm Heinrich Riehls Volkslehre 221
Dreiteilungderdeutschen Wasserlinien, des Klimas, derdeutschenPflanzen- geographieund der Volksgruppenselbst entspricht.Das »zentralisierte"
Land desNordens und desSüdens Deutschlands stellter mitseiner Groß- räumigkeitund seinem härterenMenschenschlagederganzen Ausgelüstheit des ,,individualisierten" Landes Mitteldeutschlandsgegenüber.Jn einem Kapitel »DasLandderarmen Leute«beschreibtdann NiehldenCharakter von LandundLeuten desWesterwaldes,desVogelsbergesundderRhön, die inihrer rauhenBerglandschastundinihrerarmen Bevölkerungein- ander ähneln. Schließlichvollendet sich ihmindenUnterschiedenderKlein- staatenundderGroßstaaten sowieindenkirchlichenGegensätzendeskatho- lischenund des protestantischenVolkes dasBild von ,,LandundLeuten«
dieseszerklüstetenDeutschlands.
Die Fortsetzungvon ,,Land und Leute", das erstspätererschienene
»Wanderbuch", ergänztdiesesBild durch einigekonkrete Schilderungen einzelner deutscher LandschaftenundKulturstätten,indenenbeispielhastdie verschiedenenvon Niehl angewandten Methoden seinerVolksstudienver- anschaulichtwerden. Wer kennen lernen will,wieRiehlimWandern Land undVolkbeobachtenundverstehenlernt, dermuß ihm »ausdemWege nach Holland«entweder an derNordseeküsteentlangoder am Niederrhein hinunter folgenodermitihm ,,einen Gang durchsTaubertal" von Stadt zu Stadt unternehmen. NiehlsHeimat, der Nheingau, wird als das
»Bauernland mitBürgerrechten"geschildert.Eine vorzüglicheDarstellung einer alten Stadt« gibtdas FreisinggewidmeteKapitel,,Eine geistliche Stadt". In einabgelegenesLand ländlichenVolkstums inBahern sührt
»Die Holledau". »Das Gerauer Land und seineKaiserstätten"verbindet wieder großeEreignissedermittelalterlichenKaisergeschichtemitdemBoden, ausdem siesichabgespielthaben.Von derWelt desSchaffens Joseph HahdnserzähltdieStudie »AusdemLeithawi.nkel".ElsässischeKulturstudien, diedas Elsaßals Straßenland,Kriegslandund Zwischenlandaussassen, beschließendiese reicheSammlung von Bildern von deutschemLandund Volk,wiesieinbunter Farbigkeitaus denverschiedenstendeutschenLand- schastenundStämmen gewonnen worden sind.
Eine ErgänzungzudiesenStudien überdeutschesLand undVolk bildet Riehls Buchüber»DiePsälzer",indem er»diepshchologischeCharakte- ristikeiner deutschenVolksgruppe"geben will,dieihmvon seinerKindheit imNheingauher besondersvertraut war. Hier istein Stück»individuali- siertes" Mitteldeutschlandlebendig geworden.
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Der zweiteBand derNaturgeschichtedesVolkes »Die bürgerliche Gesellschast", der großeWursdes jungenNiehlaus demJahre1851,
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fiihrtuns mitten hineininjene Zeit zuerstderUnruheundAufregung, dann desdarauf folgenden tiefen Bedürfnisses nachRuheund Ordnung.
Man sehntesichzuriicknach iiberliefertenFormen.DiePolitik griffzu einer Reuauflagedesbureaukratischen Absolutismus, während Riehl gerade in ihmdas lebentötende Verhängnisder Reuzeiterblickte;darin wie inso manchemanderen ZugdemFreiherrnvom Stein geistesverwandt.Eskam ihm nicht aus äußereStaatsmacht odereinmaterielles GedeihenderWirt- schaftan. Rein, derMensch,und zwar nichtder geradevom Staats- absolutismus sowohlderFürstenwieder Demokratie atomisierte, losgelöste Einzelmensch,sondern der in korporativenBindungenund organischen Lebensformenvon VolksgruppenundVolkstum lebendeMenschdes Volkes ist ihm letzter Wert. Erbetrachtet seineVolksstudienalsGrundlageeiner wahrhaft sozialenPolitik.Im Untergrundpolitischerund wirtschaftlicher ErscheinungenseinerTagehörtRiehlschondieDonner einergroßensozialen Revolution von fernerollen undmöchtemit seinen Werken, ganzähnlich wie Lorenzvon Stein mitseinerIdeeeines sozialen Königtums,dienot- wendigen gesellschaftlichenUmwandlungen aufdemWegeorganischersozialer Reform durchgeführtwissen. Auch hier klingenGedankengängedesFreiherrn
vom Stein an, welcher ebenfalls durch umfassende ReforminDeutschland diein Frankreichrevolutionär vollzogene soziale Umgestaltung organisch reifen lassenwollte. Riehlnennt einKapitel derEinleitungzurBürger- lichenGesellschaft »DieWissenschaft vom Volke als das Urkunden- buchder sozialen Politik". Ihmscheintvorallemeine ganz genaue, ins einzelne gehendeliebevolle undtreue BeobachtungderTatsachendesVolks- lebens vonnöten,währendnur allzu leichtderdemokratische Politikermit demBegriffVolkinzuallgemeiner Weise operiere. Im Gegensatzzuder inIdeologieundPolitiksteckenbleibendenDemokratie nennt esRiehleinen großenRuhmder damals noch zahlenmäßigschwachen Sozialdemokraten,
»daßsie aufdieEnthiillungderZuständewenigstenseiner vereinzelten Gesellschaftsgruppemit der begeistertenLiebe des Forscherseingegangen sind".Hier beriihrt sichderkonservativeSozialpolitikerinderForderung desWirklichkeitssinnesinder-Politikund indemVerständnis fiirsoziale Gruppensmit demSozialisten,soweit dieser nichtnur radikaler Demokrat ist.Die Erkenntnis derGesellschaft sollzurReformderGesellschaftfiihren.
RiehlsBuch schließtsittliche Tendenzinsich:nämlichdenGedanken, daß nur durchdieRiickkehrdeseinzelnenwie derganzen Stände zugrößerer SelbstbeschränkungundSelbstbescheidungdassozialeLebengebessertwerden könne. »DerBiirgersollwieder Biirger, derBauer wieder Bauer sein wollen."
Das eigentlich Wesentliche, heute noch Lebenswichtigean Riehlsind«
aber,wieobenbereits angedeutet, nicht seinesozialpolitischenVorschlägeim
WilhelmHeinrich Niehls Volkslehre 223
einzelnen,dieoft überholt,wenn auchimmer bedeutsamfürseineArtsind, sondern seine Thpem seine GestaltenundBilder derVolksgruppenselbst.
In der»BürgerlichenGesellschaft«werden als MächtedesBeharrens Bauern undAristokratie,alsMächtederBewegungBürgertumundvierter Stand geschildert.— DenKenner volkstümlichenSchrifttumswirdesnicht wundern, daß Riehibei seinerSchilderungdes Bauern immer wieder JeremiasGotthelfundMüser, diesebeidenKenner desBauerntums, heran- zieht; daneben werden Immermann, Auerbach, Iung-Stilling, Hebel genannt. Niehl siehtinPflegeundVerfallderSitte daseigentlichsozial- pädagogischeProblem. Es liegt ihmdabei fern,das Bauerntum zuver- himmelnals unerschüttertgesundeKraftquelledeutschen Volkstums, wie mitunter bäuerlicheVolksbildner das Bauerntum romantisieren.Niehl sieht völligunromantischneben dem Bauern von guter Art den entarteten Bauern, wie federStand seinebesonderenGefahrenund Cntartungs- erscheinungen hat. Vor einer wirklichkeitsfernenRomantik bewahrtRiehl sein unbestechiicher Tatsachensinn.Wie scharf hat Niehl auchdieSchwierig- keiten etwa desPfarrersoderdesLehrers aufdemLandegezeichnet.Vom Beamten fordertMehl, daßer Sitte undCharakterdes Volksschlages studieren müsse,mitdemer eszutun hat.BureaukratischeNivellierung ist ihmderFeindjedesgewachsenenVolkstums. Der Staat solleVolksfeste, stattzuhindern, vielmehr fördern,weiljaSitte undBrauchdieeigentlich staatserhaltenden, konservierenden MächteimVolke seien.In diesemSinne nennt sichNiehleinenkonservativen Politiker.
Auchin der Darstellung der Aristokratie kommt esRiehlaufden korporativen Gehalt des aristokratischenVerbandes an. Crmeint einmal, daßan demGrundgedankendesgenossenschaftlichenLebensbeidemRitter- tum selbst unsereheutigenSozialistenihreFreudehaben müssen,undfindet indengeistlichenRitterorden denausgeprägtestenSozialismusdes Mittelalters.
Das Bild desBürgers wird beiRiehl dadurch besondersklarheraus- gearbeitet, daßer demBürgertum einerseitsdieEigenartdesBauern und anderseitsdiedesArbeiters gegenüberstellt.Alleleicht verwechselt sichder guteBürgermitdem Menschenan sich,wenn er sichalsgutenStaats- bürgerzur Normalles Menschentumsaufstellt. Riehl hatnun auchdarin seinegroßeBedeutung,daßer iudemBürgertumals dereinen großen MachtdergesellschaftlichenBewegungebennur deneinen sozialen Thpus neben anderenerkennt und dadurchallelediglichbürgerlichenIdeenund Werte aufihreNeiativität im Volksganzen zurückführt.Dabei istdas Bürgertum,wieineiner bürgerlichenGesellschaftnichtanders zu erwarten, durchauskraftvollundbedeutend,als bestimmendesozialeMachtaufgefaßt-.
Lutherwird alsderMann, derdieWidersprüchedesdeutschenBürgertums insich verkörpert,dargestellt,währendKarlstadtals derProphetdessich
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vom Bürgertumwiealler anderen sozialenBesonderungloslüsendenvierten Standes aufgefaßtwird. Die Abart desBürgers istdersoziale Philister,
an denallein wir oft— allzu einseitig— denken,wenn wir inder Volks- bildungvom Bürgersprechen.FürdievolkstümlicheBüchereibesonders wichtig istdabei dieCharakterisierungvon KotzebueundJfflandalsLite- ratur diesesPhilisteriums.
Niehlspricht wenigervom Arbeiter als vom vierten Stand. Erwill damit sagen, daßzu seinerZeiteine selbstbewußte,wir würdensagen:
klassenbewußteArbeiterschaft nochgar nichtexistierte.Der vierte Stand war ihm1851nochein wild einherbrausenderSchwarm,der sichselber nochnicht rechtkannte. Er ist ihmderStand derStandeslosen, das Volk an undfür sich.Wir haben hier nochdenProletarierdesKommunistischen Manifestesvor uns, denProletarier, dernichtszuverlieren hatalsseine Ketten; dersichüberallgleichist,gleichvaterlandslos. Niehls Lösungnun istwichtiggenug. »Manmüßtedenvierten Stand bekämpfenundauf- lösen durch— dieArbeiter." Der Arbeiter hateineZukunft,einRechtals GefellschaftsgruplpeDas BewußtseindesArbeiters von seinerganz beson- deren gesellschaftlichen Funktionbedeutet fürNiehldieErlösungderauf- gelösten Massedes vierten Standes zu einem wirklichenArbeiterstande.
Es isterstaunlich,wie Mehl schoninden ersten AnfängendesIndu- strialismusinDeutschlanddieproletarischeNot tief empfand; hierundda blitztenbeiihm auch Erkenntnisseeiner Behebung dieserNot auf,die aller- dingsvon anderen, zupatriarchalischenoderutopischen allgemeinen Forde- rungen — wieetwa derNeubelebungderArbeitsehreinseinem späteren Werke »Die deutscheArbeit« — wieder verdeckt werden.
AberbeiallerGegensählichkeitzumtheoretischenSozialismuszeigt Niehl volles VerständnisfürgenossenschaftssozialistischeVersuche,etwa dieeines Robert-Owen. Ihm scheintdieAufgabeeiner neuen Beheimatung des FabrikarbeitersinWerk, Familie,Boden derKernpunktdersozialenFrage zusein,ähnlichwieesheutewiederEugenNosenstockinseiner »Werkstatt- aussiedeiung"betont hat.Esgilt,demArbeiter innerhalbderGesellschaft seinenOrtzugeben, ihmallmählicheineGeschichtezuschaffen,eineHeimat, vor allem eineFamilie,einProblem,das nachherindem dritten Band derNaturgeschichtedesVolkes »DieFamilie« näherbeleuchtetwird. — GegenüberderEntmenschungderArbeiter durchdieMaschine ruftRiehl dieArbeiter zurSelbsthilfeauf. Ihm istdiesozialeFrage zuersteine ethische, erstinzweiterLinie eine ökonomische.Daher müssen sichdie Arbeiter selbst ihre Sitte, ihre VerbindungmitNatur undArbeit,ihrZu- sammengehürigkeitsbewußtseinschaffen.Riehisprichtda beispielsweisevon einer gemeinnützigenBaugesellschaftund erinnert an dieArbeitersiedlung derFuggerinAugsburg,diesogenannteFuggerei.