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Hefte für Büchereiwesen. Der Volksbibliothekar und die Bücherhalle, 12. Band, H. 6.

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Hefte für Büchereiwesen

Mitteilungen

derDeutschenZentralstellefürbolkstümlichesBüchereiwesen Schriftleitung Hans Hofmann

«12.Band Heftö

Bücherkunde

Aus der Prosadichtungder letztenJahre Erster Beitrag

Nachdemes eineZeitlang aussah,als hättediedeutscheDichtungden Kriegschon völligvergessen,schenktsie ihminletzterZeitPlötzlichwieder Beachtung.VonihrenAbschweifungenin dieZukunftoderauchVergangenheit, aus TendenzundAbkehr,aus dem BezirkderIdeale,Sehnsüchte,Forde- rungen,Ausrufe,Prophezeiungenwendet sichdieDichtung hierunddazurück undfängt nocheinmal beiderkonkreten Tatsachean,dienie aus unserem Schicksal wegzudenken ist,beidemKrieg.Ja,man hatdengutenWillen und sieht wohl auchdieNotwendigkeitein,dortnocheinmalanzufangen,sounvor- eingenommenundsachlich,alsman nur immerVermag.DennnachdemKriegs- undAntikriegspshchose,Befangenheitund Reaktion vorbei,istdieMöglichkeit affektbefreiterKlärunggegeben.Sei esnun, daßuns das großeEreignis nocheinmal aus seinenDokumenten entgegentretemseies, daß seinSinn undseineWahrheitinpoetischenGestaltungenerscheinensoll, so ist natürlich klar, daßes sichdemDichter zumeistum andere Dingehandeltalsden Staatsmännern undden Militärs: also nichtum diehandwerklich"-technifchen, das heißt politischen,strategischen, wirtschaftlichenusw« sondernum die menschlichenAngelegenheiten,zu deren Hüterund Anwalt der Dichter bestimmt ist. IchstellediedokumentarischenBüchervoran.1

EinBand Briefe bon Walter Flexenthält zumeistBriefeaus dem Felde. Nur eineAnzahl früherer sind borangestellt,dieüberseinenEnt-

1EineÜbersichtderindiesem Aufsatz behandelten Prosawerke findet sich aufS.347.

Diesem BeitragwirdimnächstenBandder»Hefte«einzweiterArtikelfolgen,dereinige noch nicht ausführlichgewürdigteNeuerscheinungenderJahre1927und 1928behandelt. D. S.

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wicklungsgang informieren. Er stammtaus dem HauseeinesGhmnasial-i professors, besuchte selbstdasGhmnaslum,war alsStudent Burschenschafter, wurde dann,unentschiedeninderWahleines geistigen Beruses,eineZeit- langErzieheriderEnkelBismarcks), eheer, wiebekannt, als Freiwilliger insFeldzog. DieBriefe richtensichzumeistan dieEltern undmuten in.

keinerWeiseungewöhnlichan, undzwarnichtnur da,woJamiliäresund Persönlichessich bordrängt, sondern auch dann, wenn sieZeugniseines großenIdealismus ablegen.IndieserArt wurden Hunderttausende von Brieer geschrieben.Aberebendeshalb sinddieBriefeFlex’thpischerAus- druckfiirdieGeistigkeit,mitder dergrößteTeil derbiirgerlichenJugend indenKriegzogund mitdersie ihnerlebte. DerBeifall,derdenFiexfchen Kriegsdichtungenzuso ungeheuren Auflagenverhalf, galt auch Vorerstdem staatsbürgerlichenOpferwillen,dem schwärmerischenGlauben an denKrieg alseiner sittlichenIdee, dersichinihnen ausspricht.»DerWeltkriegist diewiirdige IahrhundertfeierBismarcks undderBurschenschaft",schrieber-

anfangs,undspäter: »MeinGlaube ist, daßderdeutsche GeistimAugust 1914unddariiber hinauseineHöheerreicht hat,wiesiekeinVolkvordem gesehen hat." Und: »Was ichbon derEwigkeitdes deutschenVolkes und Von der welterlösendenSendung desDeutschtums geschrieben habe, hat nichtsmit nationalem Egoismuszutun, sondern isteinsittlicherGlaube."

ImGrunde äußertsich hier derselbeetwas wirklichkeitsfremdeundbefangene Jdealismus, denunsereSchulenundHochschulenpflegten. Flex beruft sich direktausdenGeist, »indemwirauswachsendursten". Undesist freilich traurigzuwissen nicht, daßeine ganzeGeneration gläubigindenKrieg zog—,sondern daß dieserGlaube schon VorherkeinfestesFundamentmehr hatteund nur durch sinnloses,unmenschlichesSchlachtenwiderlegtwerden konnte. Flex selbst hat jadasEndenicht erlebt,wahrscheinlich nichteinmal geahnt,alser 1917inNußlandfiel.

So bleibt dieserBriefbanddas reine Dokument einer Gesinnungund Persönlichkeit,jenesKriegsfreiwilligen-Idealismusundzugleicheines tapferen Soldaten undeinerwirklich geopfertenJugend.Die anfchaulicheGegenwart desKriegesselbstwirdman dagegenbis auf einige Partiennicht antreffen.

Flexerlebte ihn mehrinderPatriotisch-sittlichenSphärealsinderrealen, das heißter iiberseiztedieBegegnissesofortins ideellgerichtete Gefühl.

Wie begrenzt eigentlichdasFlexscheKriegsgesichtist,wirdeinem noch augenscheinlicher,wenn man Rudolf G.Bindings Aufzeichnungen»Aus demKriege«zumVergleichnimmt,dieerinzweiter Auflage(1.Auflage19251 borlegt.Allerdingswar BindingimKriege älter,einegereifte,formhafte,ur- teilssicherePersönlichkeit,diesichauch außerhalbDeutschlands gebildet hatte, mituntriiglichemInstinktfiirGehaltundWert derErscheinungsformenbe--

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gabt. Außerdemwar erschonfrüherSoldat gewesen, diesem Berufe eigentlich immer nahegebliebenund jedenfallsinderKriegskunst geschultundmit Verstand fürdas menschlichePhänomen Krieg wohl ausgerüstet.So wird man dievereinigten BriefteileundTagebuchblätteram bestenalsAnmerkungen zum Kriege bezeichnen.Sie verweilen nichtbeschreibendbeim Erlebnis, sondernverarbeiten esaugenblicks,weilderDichterdenKrieg nichtals eine persönliche,aberauchnichtnur alspatriotischeAngelegenheitbetrachten kann, sondernals ungeheuresEreignisdesVolkes, derVölker,um dessen Sinn eszuringen gilt. Undessind Anmerkungeneinerganz außerordentlichen Fähigkeit,Shmptomezusehenundzudeuten. ÜbrigenshatBindingnur einen kleinenTeilderFrontenkennengelernt.Erführte seitOktober 1914 eineAbteilungDivisionskavallerieinFlandermkamAugust 1916alsOrdnu- nanzoffizierzueinem Divisionsstab nachGalizien,bald daraufwieder nach Flandern,bisihn 1918eineschwereKrankheit niederwarf, so daßerwährend RückzugundKriegsendenicht mehrbeider Truppe stand. Aber es ist natürlichkeineFrage,daß auchderkleinsteFrontabschnitt genügte,alldas zubeobachten,was das gleicheAngesichtdesKriegesinallen Abschnitten ausmachte.DieVerbindungmitdemStabe hatBindingüberdiesermöglicht, tieferindieOrganisationdesKriegeszublicken,alsesdembloßenGraben- kümpfermöglichgewesenist.Ober nun aufAutorität undFührertum, auf dieBehandlungder Elsüsser,aufdas Treiben der Etappenschweineund Kriegsberichterstatterzuredenkommt, ober über,,Menschenmaterial",Ver- geltungsidee,Felddienstordnung, Hungerblockade, U-BootkriegoderStrategie, überdieeinzelnenSituationen desKampfesusw.spricht,immer sprichter sicher,illusionsfrei,mitWeitblick. Hierredet einMensch,derzwarauchvom Kriegüberraschtwurde,ihmabervon Anfangan geistig gewachsenwar einer derwenigen.·SchonimOktober 1914schreibtBinding:»Wennman alledieVerwüstungensieht,diebrennenden Dürferund Städte, dieaus- genommenen KellerundSpeicher,die toten oderhalbverhungertenTiere... unddann dieToten, dieToten und Toten, dieZügevon Berwundeten, einer hinterdem anderen dann wird dochalleszurSinnlosigkeit,zum Wahnsinn,zueinem grüßlichenAberwitzderVölker und ihrer Geschichte zumendlosenVorwurfderMenschheit,zumGegenbeweisgegen alleKultur"

usw.Ersagtdasnichtetwa ineinemAugenblicksgefühl.Wie oft noch muß er feststellen, daßkein Sinn mehrinder Sache,daßderKriegjeder Erhabenheitberaubt ist. Vom erstenAugenblickan hater dieganze Phantasie-undGeistlosigkeitdiesernur auf Zerstörung,Masseneinsahvon MenschenundMaterial, bloße Kraftanstrengung eingestelltenKriegsführung erkannt. »Einblödessinnloses Gedresch ohnedieSpur derBerechtigung aus einem BedürfnisodereinerNot, ohnedieSpurderBerechtigungaus überschüssigerKraft...aus überragenderPolitik...aus derSchöpferkrast

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eines einzelnen:daswirdderKrieggewesen sein." iIuli 1916.)Erbeobachtet, wie die eingebildete MittelmäßigkeitTriumphefeiert,und prophezeitein ZerfallendesKrieges,dernichts mehrmitdemgemein hat,was Kriegje war odersein sollte.Eshat auchdenAnschein,alsobBindingsKrankheit

nur dieÄußerungeinesgeistigen Nicht-mehr-Könnensgewesen wäre,eines Verlangens, Abstandzu bekommen »vomWahnsinn, von derVerblendung, von derVerdummung,von derFlachheit".»Ich habemit dieserAuffassung derWelt,diebehauptet,man müssedenWahnsinndesMenschengeschlechts mitmachen,weil man ihm angehöre,nichts mehr gemein."

Muß noch gesagt werden, daßBinding keineswegs aufprinzipielleAnti- kriegspropaganda ausgeht? Erübtnur Kritik diesesKrieges,Kritik dieses Europas. Weshalb er nicht selbstzurNevolution kam? Wir müssendie Antwort Bindings hieraus demSpiellassen.Aber wirwünschten,daßdies klugeBuchindergebildetenSchicht,der esseinerHaltungnacham ehesten angehört,bekannter würde, fürchtenallerdingsauch, daßesdortnur von wenigen wirklich verstandenwird. Denn auchwo man dieBildungBindings teilt,istman von IdealundHaltungdesKulturmenfchen,wieer ihmvor Augen steht, meistweit entfernt.

NichterstderKrieghatBindingdieAugen geöffnet,er wurde ihmnur zumBeweis seinerEinsicht, daßdieZivilisation längstentarte. Man sieht dasrecht gutinseinemautobiographischenBuche,,Eriebtes Leben". Esist inmancherBeziehungsodenkwürdig,daß wenigstens einigesdavon noch berichtet sei.Eine folgerichtige Entwicklung, AnalhseundShntheseseines Werdegangesund feinerPersönlichkeitgibtBinding nicht.Man weiß ja auch,welch erhebliche JrrtümerundEntstellungendabei oft herauskommen.

Bindings Technikwäreeherimpressionistischzunennen. Er berichtetsolche Erlebnisse,wiesieuns ausoft unbegreiflichenGründen irgendwie nachhaltig undbedeutungsvollimGedächtnishaftenbleiben,vielleichtnur infolgeeiner starkenGefühlsverbindung.Kindliche,zarteEindrückeaus derFreiburger, Straßburger,LeipzigerZeit,wosein Vater, derbekannte Staatsrechtslehrer, wirkte. Bald auch Erlebnisse,die unsverraten, wieverhängnisvollbedrückend füreinengeraden jungenMenschendieganzeVerlogenheitderletztenGene- ration sein mußte:Das ,,Tun-als-ob" schoninderSchule,dieAußerlichkeit desLehrbetriebes,die laueUniversalitätderBildung,dieExamenstomödie, dasgegenseitigeBelügenderGesellschaft,diefatale AuftakelunginStil und KunstmitFormteilenderVergangenheit,diedoch nicht paßten!In solcher Umgebung trotzdemerseinemüberaus vortrefflichenVater einehrenvolles Denkmal setzen darf wächstderjungeMenschauf,»uniiberzeugtvon sich undvomLeben«,undwählteinenBeruf ohneinneren Hang.DerJuristerei überdrüssig,wechselter zurMedizin,um dieselbeErfahrungnocheinmal zu

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machen.Erwird beialledem das GefühlderHochstapeleigegen sich selbst nichtlos.Erzogenhatihndamals dasPferdier war demReitsportleiden- schaftlich ergeben)und wohldieFrauenliebeund Freundschaft.Dochdie geistigeKrisewar auchdadurch nicht aufzuhalten, sieendete mitUmnachtung und völligerWillenlosigkeit.

AlsBindingimSiiden wieder genas,entdeckteerinsichbei einerÜbungs- ausgabe, einerÜbertragungd’Annunzios, denDichter.ErerfuhrdieBe- gliickungdes Schöpfens,er erlebte begeistertaufeiner Reise Hellas,er be- gegneteeiner großen Frau,und er fandineiner Weit, dieohneoder in falschenFormen lebte,seine persönlicheForm,dasGentleman-Ideal, den

»MenschenderZukunft",wieman dembisionärenGesprächmitAlcibiades undEduard VIl. (S.215f.) entnehmenkann. »Das Gentlemantum istdas wunderbare geheime,unbeschränkteRittertum unserer Zeitdem dieBesten Gefolgschaftleisten." Jeder, meint er, könneihm angehören,denn der Gentleman ist»einMenschderaufsichhält,ein Menschdernicht darauf pocht waser istoder hat,sondernder gefaßt istzubestehenwas ihn betrifft« usw.Jndieser Form begegneter auchdemKrieg: »Eswar kein Geliiste nach RuhmundSiegin mir. Mein Fahneneid—: ich habenie einenAugenblickan ihngedacht.IchteiltenichtmitanderndieBegeisterung, fiirWeib undKindzusterben nochmeinHauszuerhalten.Ich kämpftefär fremdeFrauenund fremdeKinder undmein Herdmochtehintermirer- löschen.Esgingmir um das Schicksalin das ich hineinrittaus keinem anderen Grundealsum eszubestehn". So geriisteterkannte er imKriege daswahre AntlitzderMenschheitunddaßessetztmitdem Tun-als-ob aus sein miisse.Undauch nachdemKriegefindetermanchmännlich-Augesund auchmutigesWort, wo dieGeschehnisseihndazu nötigen.Der wunderbar zuchtbolleStil seinur aiseinezweiteEmpfehlungerwähnt.

DasbölligeGegenstäckzuBinding,demreifen, formklarenund-sicheren Mann derälteren Generation, bietet uns Oskar Maria Graf, einer aus demeigentlichenKriegs-undRebolutionsgeschlechkDerUnterschiedwirddadurch noch vergrößert,daßBindingeinemhochkultibiertenBürger-undGelehrten- haus, gewissermaßenderbiirgeriichenAristokratieentstammt, GrafeinerHanndok werker-Bauernfamilie.Ernennt dieLebensgeschichte,dieer unterdemTitel

»Wir sinkd Gefangene« borlegt,einBekenntnis. Sie istabernoch mehr einGeständnis,eineBeichte.DieLebensbeichteeines kraftiiberschäumenden, unbändigen,besessenenMenschen.Er hatte sie wohl schonimBlut, die Brutalität,dieinderFamilieund Backstube regierte,undauchdieun- berechenbare Tollheit. Eigentlichwar sa sein ganzesTunnur eineununter- brochene ReihesinnloserStreicheundProjektebon Jugendan. Erhatte Erfinder,dannTierarztwerden wollen,aberunter derFuchtelseinesBruders

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MaxBäcker lernenmüssen.Dann verfällterdenBüchern,dieernur heimlich lesen darf.ErentläuftdembarbarischenZwange,spieltsichinMünchenkraft einer gedruckten Visitenkarteals Dichter auf, fälltunter dieBohemiens, arbeitet von Not gezwungen ineiner Bäckerei oderMüllerei und läuft wiederdavon. Alles geschieht plötzlich,maßlos, eruptiv.Dabei erscheint seine Nücksichtslosigkeitebenso großwiesein Geltungstrieb, seinenaiveAnmaßung

soenorm wieseineIchbefangenheit.Jedes Mittel ist ihm recht,wenn es

nur überFatalitätoderNot undwieoft ister inGeldnot! hinweg- hilft:Schwindelei,Lüge, Schieberei.Er verschontweder Verwandte noch Freunde.,,GeistundEharakter2"äußertereinmal zu einemfadenGönner:

»Ich hab’diezwei Sachen nichtgelernt."

Aminteressantesten sinddieAbschnitteaus KriegundRevolution. Der Krieggeschah»fürirgendwen"undging ihn also nichtsan. Graf leistet sich daeinfach grandiose ZuchtlosigkeitenundVerrücktheiten,Sauferei. Gehorsams- verweigerung,Hungerstreik,inderIrrenanstaltTobsuchtsanfälleund dann sünsmonatiges Schweigen.Die körperlicheKrankheitwar Stirnhöhlen- vereiterung;wieweit diegeistigeSimulation geht, läßt sichnichtklar erkennen.

Nachdemersich sodasMilitär vom Hals geschafft,nimmt erdasalteLeben wieder auf. Arbeit, Bummeln, literarische Versuche, Heirat, Geldnöte,Brot- karten- undNahrungsmittelschiebungDann geräterin dieNevolution hinein als eineSache,die ihn angeht, wenigstens soweit sie handgreifliche Ziele erstrebt.Abererverhältsich direktionslos, läßt sichvonderMasse,abernie vondenFührernmitreißen,plädiertbaldfür,bald gegen den Terror. Gläubig- ungläubigbetäubter sichimmer wieder inmaßlosenGelagen. Indes bietet er hier, ähnlichwie vorherbeimKriege,eineunheimlicheMengestarkeund abgründigeEindrücke. »Sie sindalleHunde gewesenwieich", sprichter zu sichimAnblickderlangenReihenblutig geschlagener,miterhobenen Händen vorbeigetriebener Arbeiter, ,,haben ihrLebenlang kuschenund sichducken müssen,undjetzt,weilsie beißenwollen,schlägtman sietot. Wir sindGe- fangene!"Erkamgleichdanach selbstzuihnenins Gefängnis.

Was bedeutet denneinsolchessinnlosesLeben? AuchdieLösungergibt sichbeiGrasurplötzlich.AmEnde, nachdemer durchaus ungeschminkt, ohne Eitelkeit, SelbstvorwurfoderRechtfertigungauserzählthat,was er,irgend- wiegefangeninseinem Willen, getanhat,enthülltdieser,,Viechkerl" auf einenAugenblickseinHerz.Eswar nur Angstdarin gewesen,Enttäuschung, Verzweiflungeines besseren BewußtseinsundStrebens. Unter dementsetz- lichen Zwang,denderBruder Max ausgeübthatte,war schonimKnaben das Gleichgewichtdes Willens gestört worden, mit dem Gottesglauben verlor er auchjedenanderen Halt. Das Gefühldes Getäuschtseins,der Verlassenheitschlugum inMenschenhaß,und dieEinsichtvon derSinn- losigkeit seinesTuns undderNutzlosigkeit seinerExistenz hätteihn wahr-

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scheinlichzumSelbstmord gebracht,wenn nichteinunzerstörbarerLebenswille alleVerzweiflunginein,,WehrDich!" umgesehthätte.Dann findeter mit einemmal dieErlösung.EinehemaligerZellengenosse,demerzufällig begegnet, gibt ihmwieder Glauben,Mut, Ziel.Die Stunde desKampfes kommt wieder! Jetztwird Graf klar, daßer den rechtenWeg zuvor nicht gewußt,aber triebhaft gefühlt hatte,unddaß nichtsumsonstgewesen sei.DieFesselderIchbefangenheit zerbricht,undmehralsbloß»Ich«zu«

sein, durchströmtihnalseingroßesGliick. Wunder undRettung,Glaube undHoffnung sindhereingebrochen, schreibter bald danachandasMädchen, das wahrscheinlich nicht wenig dazu beigetragen hat. Wir miissender Wendungglauben,wenn wir auchkeinen anderen Beweis dafiir haben, alsdaßderDichternunmehr imstandewar, dieses Buch1 sichvom Herzen zuschreiben.

ObgleichesnichtdirektzumThemadesKrieges gehört,fiihreich hier nocheinLebensdokument an, das als Kontrastzudenbeiden erwähnten Beachtungverdient. Karl Scheffler, der bekannte Herausgebervon,,Kunst undKönstler", hatden»IungenTobias" zwarin dritterPerson geschrieben, dochkannkeinZweifelsein, daßer seine eigeneEntwicklungsgeschichteer- zählt.Er gibt sienur fiireinen Erziehungsromanaus. Aber das Wort Roman sollkeinefalscheVorstellungwerten, HandlungundPersonenbestand weisen nämlich recht wenig Nomanhaftesauf,undDichtungscheint,wie schonangedeutet,neben WahrheitkeineerheblicheRolle zuspielen.Immer- hinmag SchefflerderklassischeErziehungsromanvorgeschwebt haben,der Name Johannes Schiilererinnert sicher nichtzufälligan Wilhelm Meister.

Wie inGoethesRoman giltes denIrrweg einesjungen Menschendurch denfalschen Beruf hindurchzur richtigenBerufung.In Johannes, dem Sohn deskleinen Malermeisters,meldete sich,bald nachdemer dasHand- werk desVaters ergreifen mußte, »ein Wille, dermitsich selbst nochun- bekannt war". Die andern haltenfreilichdieUngleichheiten,diesicheben aus derfalschenBerufswahlergeben,fiirEharakterfehler.SogarderVater, obgleichesdochnur seine eigenenNeigungenzuLiteratur, Theater,Schau- spielkunftsind,diesichimSohnregen. Indes mußJohannesdieErfahrung machen, daßdies nur unklare Durchbruchsversucheseines erwachenden Geistes sind.Auchausiibendes KunstgewerbeundKunst, nämlichMalerei, verschließtsich ihm zuletzt trotz eifrigenStudiums. Bis ihndann eines Tagesdas unerhörteEreignisüberfällt,das seinemTun dieentscheidende Richtunggibt.Das Bild eines Malers (wahrscheinlicheinesfranzösischen Jmpressionistem öffnet ihmmiteinem SchlagedieAugen. Johanneslernt dieKunst,dieNatur, dasLeben »in einerneuen Weise kosmisch sehen",

!Dieerste,weitkiirzere Fassung erschien schon1922 unter demTitel:Frühzeit.

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und danachvollzieht sichauchbald inihmdieShnthesezwischendem Malerauge,demdieHand nicht folgt,undderpoetischenAnlage,welcher diefreiePhantasiemangelt. Durch Aufsüize,dieseinenKunstverstandbe-- weisen,wird erbekannt, unddieser Mensch,derdiesevortrefflichenAnlagen insoseltener Vereinigung besitzt,kanneben,meine ich,nur KarlScheffler selbst sein.

Die gleicheBegabung, diealso Johannes zumStil wurde, spürtman auf sederSeite desBuches,unddas gereichtihmingewisserHinsichtzum Nachteil. ScheffleristkeinursprünglicherErzählenSelbstwas er über die- persönlichenDingedesJohannes berichtet,erscheint nichtals bewegter Vorgang,sondernimmer mehralsGesehenes,als Zustand.Eristeinun- gemein treuer Beobachter,seineDarstellung mit Vorliebe Schilderung, weshalbaberauchleichtjemand verscheuchtwird, der durchaus Erzählung sucht. Demgegenübermüssen allerdingsandere Vorzügedas Bucheinem reflexionsfühigenLeserwertvoll machen.Wie Schefflerz.B. diekulturelle Entwicklungzwischen1870und1900vor Augen stellt,das Verkommen der büuerlichenKultur inJohannes Heimatsort, dieAufsaugungderbiederen alten Stadt (Hamburg)von derGroßstadt,dieZersetzungdesHandwerks- dieProletarisierung,das AuskommenderHalbbildung,dennacktenExistenz- kampf (Berlin), Zhnismusunderotische VerlogenheitderGesellschaft,das·

istinsolcher tatsachenhaften Anschaulichkeitkaum dagewesen. Ebenso sind dievReflexionenundAnmerkungenzuderallgemeinenwieauchzuJohannes’

Axt-dererEntwicklungZeugnisseeines sehrklugen, bedüchtigenundgleich-.- qunbefangenenGeistes.Esist schade, daß sichdieJugend derForm wegen nichtleichtzudemBuche führenläßt.

EWennvondeneigentlichenKriegsdichtungendieRedeist, so mußeinezuerst angeführtwerden,diebereits 1918entstand,abererst heute publiziertwurde:

Earl Hauptmanns »Tantaliden". DieDichtungistEntwurfgeblieben.

Der Dichterhatte sieineinem schüpferischenNauschzustandinneun folgen- denTagen hingeworfen,derTodkamderAusführungzuvor.DieHeraus- geber sind sich,wieaus demNachworthervorgeht, klardarüber, daßdie VeröffentlichungeinWagnis ist.Zwarhaben sie durchaus recht, eine Dichtung,diedas WerkEarl Hauptmannswesentlich ergänzt, nichtlänger- zurückzuhalten,und denFreundendes Dichters machen sie zweifellosein Geschenk.Dagegenist aufeinen breiteren Erfolgkaum zurechnen.Die Dichtungist unfertig, sie ging nicht durchdieSelbstkritikdesAutors und gelangtezukeiner endgültigenSprachform.Unddochmüßte siesich gerade alspoetischeGestalt behaupten,wosie inhaltlich heute allzuweit außerder- Wirklichkeit steht.Denn obgleichKriegundrussisrheRevolution offenbaren- AnlaßdespoetischenEntwurfes abgeben, hat sichdochHauptmannvon.

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allenAntlängenan bestimmtePersonenund Ereignisse sreigehalten,und auchvon einerProphezeiungderdeutschen GeschickekannkeineRedesein.

WilhelmII. ähneltweder in Charakter nochinnerer Entwicklungdem.

Kaiser Hauptmanns, noch trafenetwa dieäußerenEreignisseineinem der Dichtung ähnlichenSinne ein.Rein,es war demDichterganz ossenkundig um Außerzeitlicheszutun, um dieWandlungeiner Seele. Er singtdas LieddesMenschen,der,zumKaiser bestimmt,von seinemHerzenzurLiebe getrieben,sichunter derBedrohungderZukunft,desKaiseramtsundder Begierden dennoch verhärtetund dem Menschenglaubenentringt. Earl Hauptmann besingt so mußman bei dieserDichtungsagen—, wie der Wille zurAllmacht Krieggebiert,wieSiegeundRiederlagen folgen,wie derKaiserinZwiesprachemit Gott den Willen zum Friedensreich faßt, aber durch Niederlageund Revolte gestiirztund erniedrigtwird. Und er besingt,wiederKaiseralsein ,,SträslingderMasse«zuGott,zuDemut, zuWeisheitgelangt. »Die höchsteMachtistdieeinzige Giite",sprichter, kurzbevor ihndie Wächterin derIBesiirchtung,daß ihndie gegen-- revolutionäre Armeebefreit, erschießen.Dies allesinapotalhptischenGesichten, Sturzbächender Sprache und der gottsuchenden,mit Gott ringenden ReligiositätCarl Hauptmanns, wiewenigstenseineProbedartun mag:

»Das Reich lagdanachAbend hinwieeinLeib,dereinegewaltige osseneWunde- war. WerEinsicht hatte,derwußte,dagab’snur inTotenruhe langsam Verheilen.

MDie Satansseelesliisterte: Sieg.

Dergrobknollige Teufel,der denvergoldetenGalarockdesMinisters trug, sliisterte: Sieg.

Runrann dasBlut aus allenWunden desLeibes.:—DasReich überströmterinnendes Menschenblut. HahnenkampsDiekämpfendenirrsinnigenTriebe desLeibeswütenund- -wiiten.Zitternde, kreischende,zappelnde Blutiiberstrdmung RichtHähne.Unkenntlichalles, nursleischeneFetzen sinnlos geschütteltundtriesendBlut.Sosah setztdasReichaus- DerKaiserwargänzlichausjedem Gemachausgetrieben.

Ergab Befehleundbuhlte nachallenSeiten nachRettung.

ErtrugdieblitzendsteUnisorm.

Erlebte nichtdrin.DieGewandungwar leer.

Erlebtebeim FriedensgotteinLüften.

Erkonnte nichthelfen.

»O Gott,hilsdu!« «

ErknieteStunden vorewigenLampenundbetete »Gott hilsdu«. (S.IdIseJi Dksklit

Arnold Zweigs ,,Streit um den Sergeanten Grischa", monate- langdas meistgeleseneBuch,wurde vonReklame undöffentlicherKritik einmütig siirdie deutscheKriegsdichtungausgegeben. Ich mußgestehen, daßmir nachderLektiirediesUrteil zumindestäbertrieben erscheint.1

1DiesWerkistimvorliegendenBand der»Heste«bereits durchDr.Klattbesprochen (S. 241),doch seiesindiesem Zusammenhang noch einmal zumTeilunterBetonung

anderer Momente herausgestellt. D.V.

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