Hefte fiir Büchereiwesen
Mitteilungen
derDeutschenZentralstellefiirbolkstiimlichesBüchereiwesen
Geleitet von Walter Hofmann
österreichischer Bundesverlag, Wien
to. Band Heft IX2
Vorbemerkungzum neuen Jahrgang der Hefte
Der neue Band unsererZeitschrift,denwirmitdervorliegenden Nummer eröffnen,wird vondenvorhergehenden insofern abweichen, alsdieEinteilungindieAbteilungenAundBausgegebenwird.
Zwarsollimgroßenundganzen daran festgehaltenwerden, die einzelneNummer vorwiegendentweder denBiicherbesprechungen oderaber denberufskundlichenErörterungenundbüchereipolitischen Mitteilungen zuwidmen; nur aus diese Weise istes möglich,der einzelnenNummer einegewisseinnere Durchbildungzugeben.Der Verzicht aufdieäußerlichbetonte EinteilunginAsund B-Heste wird aber erlauben, dringende berusskundlicheoderbiichereipolitische MitteilungenauchindieBesprechungsnummernaufzunehmen,um- gekehrtaber auchBücherlisten,AusfchnitteausSachverzeichnissen, in unmittelbarer Verbindungmit dentheoretischenAusführungen über dieSachverzeichnissezubringen.
Bei denBücherbesprechungengehenwir immer mehrdazuüber,
anStelle derkurzenschlagwortartigenCharakteristiten— wiesie für den praktischenHandgebrauchimBuchtartenkasten erwünschtsind
— umfassendereAuseinandersetzungenzubringen.Wir sinduns bewußt,damit unseren Berufsgenossen, besondersdennebenamtlich tätigen,eine gewisseBelastung zuzumuten. Abernur wenn der Volksbibliothekarimmer wieder zuernsterAuseinandersetzungmit demSchrifttumund den inihmzumAusdruck kommenden Kräften veranlaßt wird, wirderwahrhaftimSinne deutscherSchrifttums- pflegeund echter Menschen-und Geistesbildungwirken können.
Und da an diesemPunktedernebenamtiicheVolksbibliothekarin gleicherFrontsteht— oder wenigstensstehensollte— wie der hauptamtliche,verzichtenwir ganz bewußt darauf,etwa soetwas wie eine»verkiirzteVoltsausgabe« unsererZeitschriftfürden neben- amtlichenVolksbibliothekarzuschaffen.Ja, wirtönnen uns denken, daß mancherLehrer,mancherPfarrer,mancherGewerkschaftsbeamte, derVolksbibliothekarimNebenamte ist,esdankbarbegrüßenwird, durchdieArt unseresBesprechungswesenssineiner Verbindung 1 t-
«D
n
V-0.«·c’
?)
2 DieBücherhalle
mit geistigemLeben zu bleiben, dieihm— besondersinder- kleinenStadt oderaufdemDorfe— sonst so leichtverloren geht.
Aus den ebenangestelltenErwägungenheraus vermeiden wir es fernerhin auchganz bewußt,den einzelnen Buchbesprechungen schematischeBerwendungswinke anzuhängen:fürkleineBüchereien, für ,,einfache«Leser usw.Die Würdigungender Büchersollen möglichstso sein, daßderaufmerksame Volksbibliothekarselbstsich einUrteil bilden kann, ober innerhalb seiner LeserschaftaufTeil- nahmean dem betreffendenBuchewird rechnenkönnen. Etwas anderes istdieHerausarbeitung derverschiedenenindem einzelnen Buche wirksamen Faktoren,diefür bestimmteLeserbedürfnisse,für verschiedeneAusgangspunkteder Lektüre von Bedeutungseinkönnen.
In dieserHinsichtwerden unsereBesprechungensogar nocheine weitere planmäßigeDurchbildungvertragenkönnen.
Hinweifen möchtenwir nochdarauf, daßdieBildung der AbteilungenindenBesprechungsnummern nicht nacheinem starren Schemaerfolgt, sondernvon FallzuFall durchdas jeweilsvor- liegendeBesprechungsmaterial bestimmtwird. AuchdieReihenfolge derso gebildeten AbteilungenverfolgtkeinesystematischenAbsichten, vielmehr ist angestrebt,dieinderPraxisderBücherei besonders wichtigen Büchergruppenim erstenTeile derHefte nacheinander aufzuführen, hingegen die Abteilungen, diesich— im ganzen genommen — mehran eineintellektualifierteLeserschichtwenden,in derzweiten HälftederHefte unterzubringen.So wird in der Regeldieerste Abteilung auchdiesein,dievorwiegenddasfürs die kleineVolksbibliothekwichtigereMaterial enthält.
Mögendie,,Hefte für Büchereiwesen«auchinihremneuen Band und in ihrerweiteren Durchgestaitung ihre Stellungals«
verbreitetste deutscheBüchereizeitschristbeibehalten.
Die Schriftleitung.
SchöneLiteratur 3
Bücherberichte
iDie Bemerkung«Cingestellt«oder»Nichteingestellt«amSchlusse einer jeden Besprechung bezieht sich aufdieAnschaffungsentfcheidung
derStädtischenBücherhallenzuLeipzig.) SchöneLiteratur
I.ErzählendeSchriften
JackLondon, Abenteurer desSchienenstrangs.Trampfahrtendurch Nordamerika. Berlin (1924)-Ghldendalscher Verlag.269Seiten.
Preis4.— M.
Jack London, Südseegeschichten.Ebenda. 265 Seiten. Preis4.—M.
Iack London, In denWäldern desNordens. Aus derGold- gräberzeitinKlondike. Ebenda. 268Seiten. Preis4.- M.
AusdenBerichtenderBuchhändlerüber das letzteWeihnachtsgeschästgeht hervor, daßdervoreinigen Jahrenverstorbene amerikanische Schriftsteller Jack London, derehemalige Landstreicher,derglühendeSozialist— alsoeinedem bürgerlichenPublikum sich nichtvonvornherein empfehlende Persönlichkeit—zur Seiteiner deram meistengekauftenAutorenist. Diese Erscheinung istinmehr alseinerBeziehungbemerkenswert. Einmal beweist sie wieder,welche Bedeutung fürdieVerbreitung eines sremdsprachigenAutors dieBeschaffenheitderÜber- setzung hat.Von IaekLondons Büchern habenmehrereschon seitlängererZeit indeutscher Sprachevorgelegen—icherinnerean denRufderWildnis,derin Wöhrles Verlag erschienundvonunseingestelltwurde-, aberer hattein Deutschland noch lange nichtdasgroßePublikumwiez. B.indenstandinavischen Ländern.Erst seitdemeineaufeinelangeReihevonBändenberechnete Gesamt- ausgabeimGhldendalschenVerlag— also bezeichnenderweiseineinemVerlag, dervonDänemarkausgeht— zuerscheinen begonnen hat—erstvondieserZeit an dringtSackLondoninalleKreisedeslesenden Publikumsein.Man versteht das,wennman dieÜbersetzungdesRufsderWildnis mitder etwader Abenteurer desSchienenstrangsvergleicht.London hat offenbar endlichin CrwinMagnus denÜbersetzergefunden,derOrgan für seine besondere Sprache hatundseinen Tonfall trifft.Eswiederholt sich hier dieselbe Erscheinung»wiebeiJonas Lie, dessenRoman Rutland jahrelanginsämmerlicherdeutscherÜbersetzungunbeachtet bliebundplötzlichseine Leser fand,alserinlesbarem Deutsch vorgelegtwurde.
Esistaber nocheinandres Moment zubeachten.Diedeutsche Gesamt- ausgabe JackLondons beginntineiner Zeitzuerscheinen,indereinSchrift- steller seinerArt besonderswillkommen ist. Unsre heutige deutsche erzählende Literatur kranktdaran,daß sie, soweit sie künstlerischernstzunehmen ist, wohl sehrkultiviert ist,aber dieRealitäten desGegenwartslebensentweder nicht selbständigzubewältigenverstehtoderdieserAufgabeausdemWegegeht.Unsre Ieitromandichterlebenwohlinguter literarischer Tradition,aber inderRegel fehlt ihnen offenbardieTatsachenkenntnis,dieihrerDarstellungsichern Bodengeben könnte;einBeispiel dafür ist Jakob Wassermann,dergenug gelesen hatund gedanklicheundsprachliche Gewandtheitgenugbesitzt,um auchGegenwartsstofse erledigenzukönnen,abernichtVolks-undLebenskenntnis genug,umesselbständig tunzukönnen undzumüssen.EsistkeinWunder, daßindieser Zeitder geschwätzigenkultivierten Schriftsteller, DichterwieBalzacundsola,diedurchdie Kraft ihres SehensundSchauens imponieren,inDeutschlandmehr gelesenwekdekk dennse.UnddieseZeitmuß auch besondersempfänglichseinfüreinenDichter,
4 DieBücherhalle
dersichsowieJarkLondonmitden Nealitäten desLebens herumgeschlagenhat, undauchwenn ersichinabenteuerlichen Erfindungen ergeht,nievergessenläßt, daßermitbeidenBeinen aufdemErdboden undimLebenseinesLandessteht.
Ich glaube, namentlichdemerstenBandederdeutschenGesamtausgabe,den Aben- teurern desSchienenstrangs,wirdbalddie ganze Liebeunsrer heutigen—bürger- lichenwieproletarischen— Jugendgehören.Erenthält Landstreichergeschichten, diesounromantischundunsentimental wienur möglich sind.Wir kennen aus derLiteratur senenLandstreicher,derimGrunde einzarterDichter ist,undauch jenen,dereinPhilosoph istundsein Zigeunertumaus demElend dermensch- lichenGesellschaft begründet. JackLondonverbittet essich ausdrücklich,daßman seine Landstraßen-undSchienenstrangabenteuerinähnlichemLichtesieht.Erhateben seinem HangzumUmherstreifen nachgegeben,weiternichts,unddaerdiesem Drang nichtwiderstehn konnte, so mußteerebensehen,wieerihn gründlichbefriedigen konnte.ErmußtedieTechnikdesLandstreichenslernen,ermußtelernen,wieman auf rollende Eisenbahnwagen springtundwieman mitdemZugpersonal fertig wird, dasdenblinden Passagier schmeißenmöchte,ermußtemitderPolizei umgehen lernen,ermußte lernen,daßman dieAngebetteltenindividuell zubehandeln hat, um Erfolgezuerzielen,under mußtedieSitten undGewohnheitenseiner Wandergenossenkennenundrespektierenlernen.Was man unternimmt, dasmuß man ordentlichtun,auchdasStromern; seder Beruf hat seine Technik,dieman beherrschen muß.Das istdieArtdeslebenskräftigenMenschen,derdenKampf mitdenNealitäten derGegenwartaufnimmt; er nimmt ihnmitkühlerund zugleich froher Leidenschaft aufund erzähltspäterdavon alsSachverständiger, alseiner,derderSache auflden Grund gesehen hat.
IarkLondonist sadann beidieserLebenserfassung nicht stehen geblieben.Er istzuderErkenntnis gekommen, daßerinGefahr geriet,insLumpenproletariat herabzusinkenundzuverkommen, erhatimGefängnisüberGrausamkeitund UngerechtigkeitderGesellschaft nachdenken gelernt.Underist Sozialist geworden.
Abereristdasaus intensivemErlebenheraus geworden;mitdensozialistischen Theorien hatersich erst besaßt,alserschonSozialistwar. linddasbestimmt wieder dieArtseiner sozialen Kritik,wie spätereBände derGesamtausgabe zeigenwerden.
Derzweiteundderdritte Band,SüdseegeschichtenundInden Wälderndes Nordens, verwerten auchErfahrungen,dieerinseinem abenteuerlichenLeben gesammelt hat,inseinerGoldgräberzeitimNorden Amerikas undauf seinen Seefahrten. Sie haben ihnüber dasVerhaltendes»unvermeidlichenweißen Mannes« nachdenkengelehrt,dermitBibel,.Flinte undSchnaps überall da auftaucht,woesetwas zuverdienen gibt,und inseinem Nassenhochmutdas LebenderEingebornen verständnisleknechtetundvernichtet.Diese Erfahrung unddietiefe,leidenschaftlicheEmpörungüberdiesen unaufhaltsamen Vernichtungs- kamps stehen hinter allem,was indiesenbeidenBänden steht, mögenesnun Abenteurergeschichten seinoderAusschnitteaus demLebenprimitiverVölker, WirklichkeitsbilderoderphantastischeErfindungen.Essind offenbarzumgrößten Teilzunächstfür Zeitungen geschriebene, sehr bunte, sehr unterhaltende,aber in ihrer Tendenz sehr ernsteGeschichten,allewieder aufgebaut aufausdemErieben gezogenenTatsachenkenntnissen,und alleohne Gesühlsschwelgereigeschrieben, auch wenn etwa dasrührendsteIreundschastsverhältniszwischeneinem Weißenund einemFarbigen geschildertwird.Eserzähltimmereiner,dersichdenWindhat umdieOhren wehen lassenundlieberetwasderbistundGrimassenschneidet,als daßersichanmerken läßt, daß ihmdasHerzbebt.
Eingestellt. Morgenstern.
Dlai Aslagsson, DieEinöde. Übersetztvon Erwin Magnus.
BuchschmuckvonErikRichter.Berlin sW68o.J» AugustScherl, G.m.b.H.171 Seiten. Preis geb.4.- M.
- Tiere derEinsamkeit. AusdemNorwegischen übertragenvon Erwin Magnus.Berlin sW 68o.J»AugustScherl,G.m. b.H.
161Seiten. Preis geb.4.—M.
Alledreibisher übersehtenBücherdesbedeutenden norwegischenTierschilderers Aslagsson sind BücherderErinnerung.Diegroße Zeitdesvielumhergetriebenen
SchöneLiteratur 5
VerfasserssinddieJahregewesen,dieeralsSchafhirtindenSteppenund- demHochlandvonWhoming verbrachte, »weildieNatur dortstolzundlockend unddasLebenneu undfriedlichwar«. DieErinnerungan dieLandschaft,die erdortimWechselderJahreszeitenerlebte,undan dieTiere,derenLebener belauschen konnte, reiztimmerwieder sein angeborenes Erzählertalent.
Undzwar erzähltereinmal vonsichundseinemErleben derNatur, wieer dasindemBucheDie Einöde tut. Aberererzähltdann nievonsich allein, sondern zugleichvon seinentreuen Helfern,denHunden undauchvonseinen Pferden,nur ganzwenigvondenpaarMenschen,mitdenenergelegentlichzu tunhat.DiedreiGeschichtendesEinödebandes berichten also nichtnur von demLockendenundFurchtbarenderSteppennaturimWinter undderGebirgs- natur imSommer, sondern sind zugleichHundegeschichten,Hundelebensbilder, in denen AslagssonseineMeisterschaft bewährt, Tierindividualitäten scharfzu erfassen.
Dann aber, wieindenTieren derEinsamkeit, erhebt sich Aslagsson, unter Ausschaltung seines persönlichenErlebens, zumreinen Tierdichter.Und dann reizen ihn besonders Tierindividualitäten, derenLeben zwiespältigist,da sieausderGefangenschaftindieFreiheit gelangen,oderdasie Mischlinge sind.
In denTieren derEinsamkeit erzähltervon demvomMenschen gehegten KaninchemdasindieSteppe fliehtundeinneuesLebenmitwildenArtgenossen führt,bis esBeute desAdlers wird; erberichtetvon einem Mischlingvon Windhundundthotenweibchen, indemväterlichesundmütterlichesErbeseltsam nachwirkt;erläßtuns dieGeschichteeinerMaultierstutemiterleben, die,von derNatur,.«umdasGlück derMutterschaft betrogen, sicheinem Pferderudelan- schließtund ihreganzeschlummerndeMutterliebe einemhilfsbedilrftigen Fällen
uwendet.
z
In solchenGeschichtenvonTierenmitzwiespältigenJnstinkten beweist Aslagsson seineganzeMeisterschaft; hier zeigter denSpilrsinn desTierpshchologenund zugleich dessen Maßhalten,indem er dernaheliegenden Gefahrentgeht,seine Geschöpfezuvermenschlichen; hier haterzurzeitkeinenRivalen, weder inder deutschen nochindennordischenLiteraturen.
Eingestellt. Morgenstern.
Oskar Wänscher, MerkwürdigeTiergeschichten.Berlin 1924,Carl FlemmingundE.T. Wiskott A. G.55Seiten. Preis—.85 M.
DurchdenTitelMerkwürdigeTiergeschichten sollman sich nicht irremachen lassen.Das Buch gibt Schilderungenaus demLebenbekannter einheimischer TiereundPflanzen, erzähltvonBuntspechtundKreuzschnabehvonRingelnatter undKreuzotter,von Hamsterund Wiesel, Marder und Eichhörnchen,vom StichlingundvonTieren inderDachrinne.Eserzählt nicht Tierlebensläufe, sondernvoneinzelnenBeobachtungen,diein derRegelKinderinderGesellschaft Erwachsener machen.DiekleinenGeschichten sindvon einemLehrer geschrieben undwerden wohlbaldinSchullesebiicheknzufinden sein.Abersiewerden auch Erwachsenen gefallen, namentlich solchen,die mit ihrenKindern in die Natur hinausziehen,um mitihnendasLebenvonPflanzenundTierenzubeobachten.
Diekleinen einfachen SchilderungenkönnenalsVorbereitung ausdiegrößeren wirklichen Tiergeschichten vonArnoMarx aufgefaßtundverwendet werden.
Eingestellt.
x Morgenstern.
Gerhart Hauptmann, DieInselder großenMutter oderdas Wunder vonIledes Dames. EineGeschichteaus demutopischen Archipelagus.Berlin 1924,S.Fischer.373Seiten. Preis4.50M.
Werkeeinesanerkannten DichtersvomRange Gerhart Hauptmanns istman imallgemeinengeneigt,ingrößeren Büchereien einzustellen, auchwenn man sie fürminder gelungen hält.Sohabenwirdieletzten DramenHauptmannstrotz allerBedenken nicht zurückgewiesen,danochEntwicklungsmöglichteitenvorzuliegen schienen.Anders sindwirmitHauptmannsletztemepischenSchafer hequhkekk Wirhaben nochdasIdhllAnna trotzseinerholprigen,Derseeingestellt,aber denRoman DasPhantom-deklichdenüblichenFeuilletonromanen bedenklich
«-
6 DieBücherhalle
nähert, habenwir stillschweigend zurückgewiesen,-undden neuesten utopischen Roman, dermitgrößeren Ansprüchenauftritt, lehnenwirgleichfallsab.Esmag offen herausgesagt werden, daß dieserRoman einigermaßenpeinlichwirkt. Der Roman beginntalseinleichtes Phantasiespiel.Eingroßer Ozeandampfer istim Stillen Ozean untergegangen. Eine AnzahlDamen verschiedenerArt und Nationalität retten fich aufeineunbewohnteparadiesische Jnsel.Nachdem sie ihre Fassung wiedergewonnen haben,ordnen sieihr Leben, so gutesgeht,und esgeht gut,da dieLebensbedingungen außerordentlichgünstig sind.DerFrauen- staat gedeihtunter derFührungeinernüchternenälterenMünchnerMalerin. Die Frage istnur, wiederStaat Bestand haben foll,wenn dasAbenteuer etwa lange Jahreandauert. Dafühlt sicheinenichtganzzurechnungsfähigeDame drei JahrenachderLandung plötzlichMutter underzählteineGeschichtevonder BegegnungmiteinemGott-,DieErklärung,andiesie selberglaubt,wirdvon den leitenden Frauenossiziellangenommen. Sie denken sich zwar, daßder seinerzeitmit denFrauengeretteteKnabe, derinzwischen fünfzehnJahrealt geworden ist,inderPhantasiederglücklichenMutter zumGott avanciert ist, sieverzichtenaberumsolieberausgenauere Untersuchung,alsbald dasWunder dersungfräulichenGeburt sich öfterwiederholt.Ja,man gehtnun weiter. Der göttliche Erzeuger,vondemdieersteBegnadete erzählt hat,wirdvonStaats wegenanerkannt, daauf dieseWeise peinliche Erörterungenvermieden werden undderBestanddesFrauenstaats gesichert scheint.UndsoerklärtderDichter dasEntstehendesMhthusvonderiungfräulichenGeburt auf sehr natürliche Weise!Esistallesso einfach!
Esistaberfreilich auch reichlich peinlichl ZwardasAllerschlimmstevermeidet derDichter;erentledigt sich seiner Aufgabe sogarmit einergewissen Eleganz.
Erschiebtgeschicktdentalentvollen VatersünglingindenHintergrundundlenkt dasJnteressederLeser nachdrücklichaufdieFrauenundihrenStaat. Aber er kann doch nichtverhindern, daßderLeser hinterdieKulissen gucktunddie Mhthus«erklärung,diedemmitgroßem Behagen geführtenSpiel zugrunde liegt, bedauerlich plumpundwohlfeil findet,demgroßen Aufwandan Farbenund Reden nichtentsprechend. Zueinemlustigen, leichten, auch stimmungsvollen Spiel würdedasThema,dasHauptmannaufgegrifsen hat, wohl reichen.Wenn eres abermitSatire, JronieundtiefererBedeutung belasten will, reicht seine Kraft nichtaus, undderWiderspruch zwischenWollen undgedanklichem Vermögen wirktaufdenLeser, se nach seiner Art, verstimmendoderbeleidigend.
Es ist peinlichzuvergleichen,wie sung, frisch, geistfprühend, gestaltungs- kräftigdersiebzigiährigeJre ShawinseinemletztenWerkerscheint,wiezugleich anspruchsvollundverstimmendplatt aufderanderen Seite infeinem preziöfen PhantasiespielderrundzehnJahre jüngere Deutsche Hauptmann!
Richt eingestellt Morgenstern.
Romain Rolland, Peterund Luh.EineErzählung.iEinzigbe- rechtigteÜbertragungvon PaulAmann. I. bis 8.Tausend.) München1921,Kurt Wolfs.182 Seiten. Preis3.50M.
Paris, Ende Januar bis EndeMärz this. DieZeitdergrößten Kriegs- müdigkeit,des drohendenZusammenbruchesderRerven inErwartung und währendderletzten großen deutschen Offensive.WirdsichderAbgrund auftun, dieWelt zuverschlingen?DieMenschentreiben dahin,wie willenlos vom hartenGriffdes Schicksals gepackt.Jn dieserSeitderDämmerung finden sichinderUntergrundbahnbeiFliegeralarm zwei Hände,baldzwei Herzen.
Der achtzehniährigeBürgersohn Peter, der binnen kurzemeinrücken foll, und dieetwa gleichaitrige Lulz,diekunstdilettierende TochtereinerLehrers- witwe, dieineinerMunitionsfabrik arbeitet, sindzwei Einsameindieser wirren,irrenWelt, zwei verlassene Kinder, dieihreLiebewachsen fühlenim Schattendersicheren Erwartung,daßdasVerderben siebalddahlnraffenwird.
DieErwartungderKatastrophe,dieandere wildern Genuß zutreibt, hältdas Liebesleben derbeidenreingestimmtenKinderindenGrenzeneinesGroßstadt- idhlls. Alsaber diekirchenfremden jungen Menschen,wieum ihrer erfehnten VereinigungdieWeihezugeben,amKarsreitageineKirchenmusik besuchenund ihre Seelen ineinander übergehen,stürztdieKirche,voneinerBombe getroffen,
Schöne Literatur 7
zusammen,undbeidewerden von derWuchteinesniederbrechenden Pfeilers zerschmettert.
WährendRolland inseinemvonunsnicht eingestellten Kriegsroman Eleram- bault,derdieSchicksaleeinesaus KriegsbegeisterungzuKriegsgegnerschaftsich entwickelnden Schriftstellers schildert,inderDiskussion steckengebliebenist, hat erinPeterundLulzeinkleinesleuchtendes Kunstwerk geschaffen,dassichbe- hauptethat.Hiertritt derKritiker undAgitator ganzzurück,unddermit- fühlendereinefreie Mensch führtdasWort, derdieKraft hat,aufdüsterem Hintergrundeinrührend-heiteresIdhllzumalen. DaßdieErzählungals ein Dokument derAnfang 1918inFrankreich herrschenden Stimmung geltenkann, wirkt nebensächlichgegenüberdemZauber,dervon demeinfachen Liebesidhll ausgeht.
Eingestellt. Morgenstern.
Guh de Maupassant, Peterund Hans. Berechtigtedeutsche Übersetzungvon Crit-Ernst Schwabach. München1924, Kurt Wolfs.193Seiten. Preis2.—M.
VonMaupassantssechsNomanen besitzenwir bishernur einen,denzwei Jahrevor demgeistigen Zusammenbruch erschienenen:Stark wieder Tod,der sehr subjektiv,einBekenntnisroman ist, insofernerErfahrungen gestaltet,die der berühmt gewordene gefeierte DichterindergroßstädtischenGesellschaftmachte.
DagegenwirktPeterundHansobjektiv.Maupassant reiztes, eineFamilien- katastrophezugestalten,diesichinbürgerlichenKreisen ereignetundnach Mög- lichkeit vertuschtwird. EinEhebruchkommtdadurchans Licht, daßeinHaus- freunddemjüngeren Sohne einesRentners sein ganzesVermögenvermacht, denälterenSohnaber leerausgehen läßt. Währenddervertrottelte Rentner ahnungslos weiter indenTaghineinlebt, spürtderunruhige Geistdesneid- geplagtenälterenSohnesdieWahrheit auf, öffnetdemjüngeren,weichherzigen, liebenswürdigenBruderbrutal dieAugen, zwingtdieunglückseligeMutter,ihrem jüngstenSohndieWahrheitzugestehenundsichvorihmzurechtfertigen. Sueinem öffentlichenSkandal kommtestrotzdem nicht,daderEntdecker derWahrheit aisSchiffsarztindieFerne gehtunddieDaheimgebllebenen,von denender Vater inglücklicherStumpfheit ungestört weitervegetiert, sichinderStille mit derTatsache absinden.Wenn man sodenVerlaufderHandlungerzählt, scheint dasBuchdieüblichegrausameWirklichkeitsdarstellungdesnaturalistischenRomans zusein.TatsächlichaberistdieKältederDarstellungnur scheinbar.Denn Maupassant istmit tiefstemMitgefühidenseelischenRegungen nachgegangen, diedieüberraschendeErbschaftindeneinfachenMenschenhervorruft,undhat namentlichinderSchilderungderMutter nichtnur reifeKünstlerschaft,sondern auchfreies gütiges Menschentum bewiesen.Dies wird jeder erkennen,derden kleinenMeisterroman achtsam daraufhin liest,wie dievoneinem Univerkahe- drohten MenschenkinderlnHandlungen undÄußerungenallmählichihr ganzes Seelenleben verraten.
IneinemNachworthat MaupassantseineArt desNomandlchtensgegen- überderstreng naturalistischenundpshchoiogisierendenzurechtfertigen versucht.
Dieses Nachwort hat nichtnur literaturgeschichtlichenWert; esberührtFragen, diezurErörterung stehen, solangeRomane geschriebenwerden.
Eingestellt. Morgenstern.
Bruno Frank, Tagedes Königs.Novellem Berlin 1925, Ernst Nowohlt.162Seiten. Preis3.-— M.
DerKönig ist Friedrichll.vonPreußenlnderZeit nachdemsiebenjährigen Kriege,alser,verehrt, bewundert, gefürchtet,einseltsamesLebenführt,ungese[(sg, schmutzig,gichtgekrümmt,hartgegensichundseineUmgebung,unermüdlichtätig, aufgeklärterFürstundDespot, Menschenhasser, jaMenschenverächterundsorgender Landesvater ausseine Art,launisch, ungerechtundJanatikerderGerechtigkeit, einRätselschonseinenZeitgenossen,denNachkommennicht minder,diesich oft undzumeistdamithalfen, ihnzuvergöttern—wieesja heute noch mehr geschieht alsbisher.Frank,einerunsrer kultiviertestenNoveilistenundLhriker, hältdas Bilddesalterndenund altenKönigsindrei Situationen fest, die-dieMöglichkeit