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Die Zukunft, 24. Januar, Bd. 42.

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»P-

Berlin, den Zi.Januar 1903.

s r -:» As

Babel,sBebel, Bibel.

Imberliner Konzertsaal. AufdenEhrenplätzenderDeutscheKaiser mitseiner Frau,derKanzlerdesReiches,derpreußischeKultusmi- nister,diebekanntesten Hofprediger. AufderKathedereinAssyriologeund DirektorderKöniglichenMuseen,derbeweisenwill, daßdie zumKranzder altjüdischenMythen gewundenenBlätter und Blumen inBabylonienge- wachsensind,daßderMonotheismusnichtetwavonJsraels Genius ersonnen ward,sondern,sehrlangevorMoses,inder-frommenVorstellungnordsemit-·

ischerBeduinenentstandunddaßnurAberglaubein der Bibel einepersönliche OffenbarungGottessehenkann. Habenwirsolche,,unmittelbareGottes- offenbarung«dennverdient? Nein,antwortet derRedner: »denngerade- zusrivol hatdieMenschheitdiezehnWorte aufdenGesetzestafelnvom Sinai bis auf diesen Tag behandelt«.Undauch dieserDekalog;fügter hinzu,auchdasmosaischeGesetzstammt nichtaus demvonneuem Sehnen befruchtetenSchoßJsraels, sondern ist,wiewirjetztwissen,nureine Wie- derholungbabylonischerLegendenzHammurabischon,derfast neunhundert JahrevorMoses KönigvonBabylonwar,empfing,wie dieSchriftunter einem uralten Steinbild unslehrt,vomSonnengott seineGesetze.Nur imwachenGewissendesMenschensprichtGott. DasAlteTestament ist eineSammlung importirter,vonsemitischerPhantasiebearbeiteterMären, ist Menschenwerk,dasdernachprüfendenKritikmorsch erscheintundschon deshalb nichtals unverrückbarfesteGrundlage unseresGlaubens betrachtet werdendarf.DieReformationhat Manches überwunden;dochsiewarnur eineEtapeund wirmüssenweiter.»DasgroßeWortvonderNotwendig-

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keit einerWeiterentwickelungderReligion ist (vomKaiserinGörlitz)ge- sprochenworden«;derRednermahnt,diesesWortes eingedenkzubleiben, undschließtmittieferVerneigungvordem,,Adlerblick«WilhelmsdesZwei- ten. JstderBeweis gelungen,dann sind dieWurzelnderStaatsreligion gelockert;mit dem Glaubenandie»HeiligeSchrift«alsaneinepersönliche OffenbarungGottes stürztdasganzeehrwürdigeDogmengebäude.Und .

derVersammlung scheintderBeweisgelungen; sie klatscht,alshabeein PaderewskioderKubelik ihr Ohr erfreut. AuchvondenEhrenplätzenkommt keinWiderspruch,keinEcho zorniger anrunst. DieHospredigerschweigen.

DerKanzler,derKultusminister gebensichMühe,inihrenMienenzuzeigen, daßderVortrag sieerbauthat.DerKaiser schütteltdieHanddesRedners, desProfessorsFriedrichDelitzsch,undstelltihn seinerFrauvor, derfrömmsten DameimReich,dieandenAssyriologen»huldvolleWorterichtet«.

DasgeschahamdreizehntenJanuar1903. An demselbenKalender- taghatteimvorigenJahrHerrProfessor Delitzschüber dasselbe Thema in demselbenSaal schoneinmal gesprochen. Auchdamals hörte ihmder Kaiserzu und»ausAllerhöchstenBesehl«wurdederVortrag imSchloßwieder- holt, damitdieHerrnundFraunamHofihmlauschenkönnten.Dieser erste Vortrag ist gedruckt,derzweite einstweilennur ausZeitungberichtenbe- kannt,die dem Rednernicht genügen.SeineAbsichtlehrtdie kleineSchrift ,,BabelundBibel« uns erkennen. Ersteht staunendvordemErgebniß derAusgrabungenund derKeilschriftforschungen.DasAlteTestament ist nicht mehr ,,eineWeltfür sich«;mitBabylonienundAssyrien schonwar dashebräischeAlterthum»vonAnfangbis zu Ende verkettet«.Gestalten, Städte,ganze Völker des altenLegendenkreiseswerdenunseremBlick leben- dig.DenStammestypusderElamiten, Babylonier, Judäer, Jsraeliten, Araberzeigen enträthselteSteinbilder uns. Undauf SchrittundTritt findenwirGesträuch,daszumhebräischenMythenkranzdie Blätterund Blumen geliefert haben muß.An dieAussetzung Mosiserinnert die Le- gendevon derKindheit Sargons desErsten. WieJesaiasdieassyrischen Truppen schildert,so schauenwirsieaufdenAlabasterreliefsderPaläste Sargons und Sanheribs, ausdenBronzethorenSalmanassars.DieForm derGesetze,dasOpferwesen,dasMünz-, Maß-undGewichts-Shstem holtendiezwölfStämmeJsraels sichausderAllesbeherrschendenbabylo- nischenKultur Kanaans. VomEuphratundTigris stammtdieSabbath- feier.Zweitausend JahrevorChristi, sechshundertJahr vorMosisGeburt wurdein NinivedieGeschichteeinerSintfluthaufgezeichnet,derenNoah

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Babel, Bebel,Bibel. 131

XssUthtoshieß;und diezehnKönige,dievorderFluthinBabylonienherrsch- kethrufenuns diezehn vorfintfluthlichenUrväter des AltenTestamentesins Gedächtniß.Weltschöpfung,Schlangenmythos, verboteneFrucht,Sünden- fall, ScheolmitParadiesundWüste,Kerubim undSeraphim:das Alles fand IsraelimbabylonischenKulturkreis UnddieseKultur wirkt in uns fort,wennwir dieStunde insechzigMinuten,dieMinute insechzigSe- kunden theilenundamHimmeldiezwölfThierbilder unterscheiden.Sogar Spuren monotheiftischerRegungen hatman am Euphrat ausgegraben unddreiThontäfelchenaus derZeitSinmubalits undfeinesSohnes HammurabitragendieInschrift: »Jahwe istGott.« Selbst Jahwe also

»istein uraltes Erbtheil jener kanaanäischenStämme,dieum2500 vor

ChristiGeburtinBabylonien seßhaftwurden undausdenendannnach JahrhundertendiezwölfStämmerraelshervorgehensollten«.Leiderwar BabylonsVolk inreligiösenDingen soindolent, daßes,trotzdemfreieGeister mahnten,inMard.uk,demLichtgott,alle anderen Götter zuehren,dreiJahr-- tausende langdenPolytheismusalsStaatsreligion erhielt.DasBeispiel sollteunswarnen, unsnicht ruhenlassen,bisdieReligionderPropheten unddes Galiläersvondenbabylonisch-affyrischenVorstellungenbefreitist- Nicht soweit insdunkleLand derTheologie wagt sichein anderer Orientalistvor, der berlinerPrivatdozentDr.HugoWinckler,dessenSchrift

»Die babhlonifcheKultur inihrenBeziehungenzurunserigen«mich lehr- reicherdünkt alsDelitzschszwischenSchwärmerekstaseundFeuilletonstil schwankendeDarstellung.WincklersprichtalsAssyriologe;erwillResultate seiner Wissenschaftins Volk tragen,nichtirrende Seelen zumHeil führen.

Dieneuen Entdeckungen find ihm wichtig,weilsiedenBegriffder ge- schichtlichenZeit erweitern;die»Weltgeschichte«begannuns bisherim siebenten,eigentlich erstimsechstenJahrhundertundjetzt habenwiralt- orientalischeUrkunden,die bisinsJahr3000 vorChristiGeburtzurück- reichen.»WasfrüherderAnfangwar,ist jetztin dieMittegetreten«;und dieseErweiterungdesSehvermögensschaffteinvölligverändertes Bild der Menschheitentwickelung.DieältestenUrkundensindinfumerischerSprache geschrieben,derSprachederGelehrtenundPriester,diefürdenOrient un- gefährdieselbeBedeutung hattewiefürden Occidentdas Latein ;nurhat dasVolk,dassiesprach,unskeinLebenszeichen,kein Denkmalhinterlassen.

Nicht Nachihmnennen wir dieKultur, auch nicht nachdenAssyrern,die zu- letztmitstraffermilitärischerundbureaukratischcrZuchtamEuphratund Tigris,inSyrienundPaläftina herrschten,wiePreußenheuteinDeutsch-

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landherrscht;wir redenvonbabylonischerWeltanschauung,babylonischer Götterlehre.»EineGestirnreligion.Zahllose Götter,die abernurOffen- barungformendereinengroßengöttlichenGewaltsind.DerSternenhimmelist dasgroßeBuch,in dem dieGeschichtenvonHimmelundErdeverzeichnetfind undausdemman sie ablesenkann. DemBabylonier offenbart sichaller göttlicheWille in den Sternen undalleirdischenEinrichtungenmüssendes- halbein Abbildderhimmlischensein;das BildeinesgeordnetenStaats- wesens mußgenaudemhimmlischenVorbildentsprechen.«DieBabylonier waren dieLehrmeisterderMenschheitin derAstronomie,diedenSterngläu- bigen auch Astrologiewerdenmußte.Vonihnenkommt dasSexagesimal- system,dasinunserer Kalendereintheilungfortwirkt.AusihremKulturkreis holte Pythagoras seineLehre. UnserKarneval hatein Vorbildin einerZeit übermiithigenMummenschanzes,die inBabylonien nach unserer Rech- nungimFebruar denBeginneinesneuen Jahres feierte.Wennwir voneinerAusdrucksform sagen, sie geheüber dasBohnenlied hinaus, so kehrtinsolchemWort dieErinnerungandie imbabylonischenKarneoal gewählteBohnenköniginwieder,derrobusteLebensluftderbeLiedersang.

Marduk,derThdrderGermanen, ißtgernErbsenbreiundsein Thier istderEber: noch heutewird inmanchenGegenden Norddeutschlands am Donnerstag(Th6rsTag) ErbsenbreimitSchweinefleischgegessen.

DieZwillingedesThierkreises,in derenZeichenamAnfangderbabyloni- schenKultur dieFrühlingstagesgleichefiel,wurden ursprünglichalszwei Ziegenböckedargestellt. »Das sinddie beidenThiere Thdrs,dieervoreinen Wagen spannt.Siesinduns inihrer SymbolikalsZeichendesFrühjahrs sehrvertraut imBockbier,dessenErklärungso lange räthselhaftwar;esist dasFrühjahrsbier,undwenn diePyramidendie·Ueberliefcrungvonfünf Jahrtausenden darstellen, so sprichtausdemZeichendesBockes zuuns ein AlterthumvonsiebentausendJahren.«DieVorstellungvon densieben HimmelnistderbabylonischenAnschauungentlehnt,die denThierkreisals einsiebenstufigesAmphitheater sah.AusBabylon halltederFluch,Staub fressenzumüssen,derSchlange nach.AusBabylonkam denPtolemäern, SeleuzidenundCaesarenderAnspruch,als Göttergeehrtzu werden. Jn Babylon sandCampanelladasMuster seinesSolarierstaates.Dembabyloni- schenNeujahrsmythos entwuchs dieMärchengestaltdesDäumlings.Undso weiter...JnderSchätzungderhohen, durchdieJahrtausendewirkenden Kultur derBabylonier stimmenbeideAssyriologenüberein.Wincklerbleibt nüchtern,auchwenn erdieungeheure Geiftesarbeitdes altenVolkespreist,

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Babel,Bebel,Bibel. 183 dassicheineeinheitlicheWeltanschauungzuschaffenvermochte. Delitzsch aberruft,die Summe dieserneuen Erkenntnissewerde»dasLeben der Menschenund Völkertiefererregen undbedeutsamerenFortschrittenzusühren als alle modernen EntdeckungenderNaturwissenschaftenzusammen«.«

Wirklich?..Der Laie kann dieErgebnissederSpezialistenarbeitnicht nachprüfen,nicht entscheiden,obdieKeilschriftforschungfernenEnkelnnicht ebenso wunderlichscheinenwird wieunsdasMühenderAstrologen. Wohl aberdarferfragen,ob diegerühmtenResultatedenngarsoneusind;und dieserFragekann derleidlichGebildetedie Antwort finden.Giebtesseit gestern, seit vorgestern ersteinewissenschaftlicheBibelkritik? Delitzscher- innertselbstanJean Astruc,denLeibchirurgenLudwigsdesBierzehnten, alsandenMann,dervorhundertundsiinfzig Jahren, nach GoethesWort zuerst ,,MesserundSonde anden Pentateuch legte«underkennen ließ, daßdiefünf Bücher Mosis »aus sehr verschiedenartigenQuellenschriften zusammengestelltsind«.UndseitdemsinddieOrientalistenbeiderErdtheile nicht müßiggewesen.DaßassyrischeundegyptischeUeberlieferungeninIsra- elsInstitutionen sortwirkten, hatte schonMontesquieu geahnt. Vorfiinszig JahrenschriebPauldeLagarde,dergelehrteSammler der»Materialien zurGeschichteundKritik desPentateuchs«:»Das,waswirheuteAltes Testamentnennen, hatmitderjüdischenReligionherzlich wenigzu thun.DerMonotheismus ist nichts spezifischJüdisches: Chinesen, Jn- der, Griechen, vermuthlichauch Egypter haben ihn gehabt;eristdasnoth- wendigeErgebnißdesDenkensundansichohne jeden ethischenWerth.Mo- notheismus ist so wenig Religion,wie dasWissenum dieEinwohnerzahl Deutschlands deutscher Patriotismus, unddasWissen, daßman nureine Mutter hat, kindlicheLiebeist.«EinVierteljahrhundert danach sagteer, deregyptischeStamm derLevitenhabe,alsErbeund Trägeralter Kultur undhöhererBildung,diesemitischenHordenunterjocht,nannte dasVolk Jsrael »eineMischungganzverschiedenerBestandtheile«underinnertean diesteten BeziehungenderOstjordanländerzu den BeduinenderWüste,an denvon dortkommendenEinflußundandie»arabischeSeelcnstimmung«

derPropheten.AlsseinFreundRenan dieHistoire dupeupled’ISrai-;l schrieb,konnteersichschonauf diekritischeVorarbeitderReuß, Gras,Kuenen, Nöldeke,Wellhausen,Stade stützenundim Vorwort sürdasLichtdanken, dasaus Masperos egyptologischenund SchradersassyriologischenFor- schungenaufseinenWeg gefallen sci. Im erstenBandwodieBibeldie schlimmsteFeindinderWissenschaftgenanntwird fülltdieSchilderung

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desaltbabhlonischenEinflusseseinganzes Kapitel,dasschondiewichtigsten derjetztvonDelitzschpopularisirten Entdeckungenmeldetund mitdcnSätzen schließt:»Nichterfunden hatdasVolk wandernder Hirtendiesemerkwür- digen Geschichten,aberihren Erfolg gesichert.Nur in derVereinfachung, die dersemitischeGenius wirkte,konntedieSchöpfunglehrederChaldäer die Welt erobern.« Der NameJahwe, hören wir, seidenVabyloniernent- lehnt; auchdie in NinivegefundeneZiegelsteintafel,aufderdieGeschichteder Sintfluth erzähltist, erwähntchan schon.AndereVerwandtschaftenund AehnlichkeitenderHauptreligionendesOrients magman inJacolliots fei- nem,vonNietzschegerngelesenenBuchManou,Mo«1·se,Mahometsuchen.Und weilnun weitergegrabenundweiterentziffert,weilnachdenalten Urkunden mancheneueansLichtgebrachtist:deshalb sollderMenschheiteinneuerMorgen dämmern, sollenmoderne Völker inbrünstigerWonnerufen:Ex oriente lux? Das istderTraum einesSpezialistcn,dersichinsein Netz einge- sponnenund garnicht gemerkthat, daßdieFäden,dieihn fesseln,nichtbis andieGefühlssphärederMasse hinreichen.DieMenschen,denendie Bibel noch heute nicht Menschenwerk,sondern persönlicheOffenbarungGottesist, werdenauf DelitzschsWort nicht andächtigerlauschenalsaufdie Rede stärkererVorarbeiten Und dieAnderensind nichtvondenAssyriologenbe- kehrt worden, sondernvondenNaturforschern,deren,,Entdeckungen«der von derGnadensonne bestrahlte Professor so gering schätzt.Wichtigerals dieFrage,inwelchemUmfangderbabylonischththosinderJudenlegende nachgewirkthat, unendlich wichtigerwardieErkenntniß,daßunsereErdenicht derMittelpunktderSchöpfungist, sondernein kleinerPlanet;denn derMor- genwind dieserErkenntniß wehtealleKosmogonienderMythentagehinweg.

Primus in orbe deos fecit tim0r. DiesevonderFurcht geschaffenen Götterleben, so lange siedenZitterndeneinHortsind,undsterben,wenn neue Gefahr auftaucht,gegendieihreMacht sichunwirksam erweist.Die Enthüllungseiner Herkunft hatnie einenGottgetötet.

DerLärm,der denRedendesProfessors Delitzschnachhallte,wäre unbegreiflich,wennerderNeuheitderVerkündunggölte. Doch selbstder skeptischeVenrthciler neudeutscherKultur kannnicht glauben, erstdasüber

»VabelundBibel«Gesagte habedieMehrheitdergebildetenLaien die ,,HeiligeSchrift« richtigschätzengelehrt.EinZeitungschreiber,derseinLeben lang aufdenGemeinplätzendesParlamentarismus undderParteipolitik dasFutter gefunden hat,magdieBehauptung,die Bibelseiausbabhlo- nischenUeberlieserungenentstanden,»neu undkühn'«nennen: dieThat-

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Babel, Bebel,Bibel. 135 sacheist längst sogarinsozialdemokratischenVolksschriftenschon erwähnt worden,undwernie davonhörte,konntesichdennochdenken,daßJsraelsGe- setzbiichervonfremdenElementenebenso wenigfrei gebliebensindwieirgend einemoderneStaatsverfassungoderSittenlehre.DasAlteTestament,gegen dessenMoral antisemitischeGelehrteundDemagogen so oftzumKampfge- rufen haben, ist unseineSammlungwundervoller Sinngedichte undEpen, derenWerthdiegrößereodergeringere Undurchsichtigkeitihres Ursprunges nichtmindernkann.DaßdieOrthodoxen,Katholiken,Protestanten, Juden, inBewegungkamen, hateinenanderenGrund;nichtderRednerhat sie aufgescheucht,sondern derBeifall,derihmvondemanRanghöchsten-Hörer gespendetwurde. UndihrBangen, ihr zaghaftnur ausgesprochener Groll ist leichtzuverstehen.DerGlaubeandiepersönlicheOffenbarung Gottes,derwirdieHeiligeSchrift danken,warbisjetztStaatsreligion;

werim Staat warm gebettet sein wollte, mußtediesenGlauben bekennen.

WehJedem,derandermosaischenGenesiszuzweifeln wagtel Viertaufend Jahre nachBabels großerZeitlebtenwirinbabylonischenVorstellungen,

sollten wenigstens nach offiziellerWeisung soleben.Nichtvomgestirnten Himmelzwarlasenwir die allesHandelnundWandeln derEinzelnenund ganzerVölker bindendenRegeln ab; dochwirhatteneinBuch,aus dem Gottzu unssprach,derfreieSchöpferdesHimmelsund derErde.Erhat Allesvorausbestimmt,dieBahnenallenGeschehensvorgezeichnet;und dieAufgabedesStaates, derKirche,derWissenschaftist,zubeweisen, daßdiemenschlichenEinrichtungendemgöttlichenWillen angepaßtsind, dersichin demHeiligenBuch offenbart hat. Nichtneue Lehresolltegefun- den,sonderndie altevorVerdunkelung bewahrtwerden. DieAufgabewar manchmal rechtschwerzubewältigen.Derneuere widersprachdem älteren BibeltheilundsolltedochderVerheißungErfüllung bringen. DieWeisheit derPropheten, Evangelisten,Apostelbot keineimKampfumsDasein brauch- bareWaffe.An allen EckenrißdieAlltagsarbeit,derAlltagsschacherLöcher in dasOrientalengewebe.Manhalf sich,so gutesging,trugdasPrunkge- wandnurnochanFeiertagenundwarschonzufrieden,wenn dieLippedie vorgeschriebeneSatzung sprach.An derdurfte nicht gerütteltwerden;denn nur amfesten Dogmenspalier reifteineStaatsreligion. Und nun? Nun solldieReligion ,,weiterentwickelt«werden. Nungiebtes keine,,Gottes- offenbarung außerder,dieJederinseinemGewissenträgt«.Dassagt nicht nureinunbeträchlilcherProfessor:Das billigtderDeutscheKaiser, der selbeKaiser,der imJuli1900 seinerSchiffsmannschaftineinerganz

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demalttestamentarischenMythenkreisentnommenen PredigtHerrn Josua alsVorbildgezeigtundnochvorein paar Monaten inAachengesagthat:

,,Beide christlicheKonfessionenmüssendaseinegroßeZielimAugebe- halten,dieGottesfurchtunddieEhrfurchtvorderReligionzuerhaltenund zustärken.Ob wir moderneMenschensind,ob wirauf diesemoderjenem Gebietwirken, isteinerlei:WerseinLebennicht aufdieBasisderReligion stellt,Deristverloren.« Wo aberistdiehaltbare BasiseinerReligion,die nichtmitstarken WurzelnimHeiligenLande der Träumeruht, sondernaus ihren ältestenFasern gelöstund»weiterentwickelt«werdensoll?DasAlte Testament scheintalsGrundlage ja nichtmehrzu brauchen ...Eben, nachDe- litzschsVortrag,hatMasperounserzählt,inSusaseidasGesetzbuchHammu- rabisgefundenworden.DergroßeKönigvonBabylon wareinklugerManm nichtimMenschensinn,spracherzuseinemVolk, wuchssolcheWeisheit; auch einKönigkonntesienur vomhöherenHerrndesHimmelsempfangen.Under befahl,imSteinbild denKönigzuzeigen,dernachdemDiltatdesLichtgottcs dasGesetzniederschreibt.VielleichthatsichseinKodexdeshalbsolange gehalten.

DieUnruhederOrthodoxen ist nicht grundlos.Siehabenvondem frommen JosephdeMaistregelernt, daßdieGefahrderRevolution Jeden bedroht,der dieFundamenteeinesalten Bauesaufgräbt.VordieserGräberei zittern sie, nichtvorbabylonischenAusgrabungenzdennauch siewissen,daß dieEnthüllung seiner Herkunftnie einenGott zu tötenvermochte.Christi Gemeindeistnichtkleinergeworden, seitderRationalismus denSohnder Jungfrauverbannt und, stattdemHimmelsbeherrscher,demZimmermann dieEhrender Vaterschaftzuerkannthat. Dochder inlanger Uebung geschärfte Priesterinstinktwehrt ihnendieHoffnung,unsereanLeidenschaftundanein- bildnerischenKräftenarme Zeitkönne einenneuen Glaubengebären.Nur einensehensie;und derfreut ihr Auge nicht.Derfindet,wieDelitzsch,die MenschheithabediezehnWortevom Sinaibisher,,geradezufrivol behan- delt.« Der willauch, auf seinebesondereWeise,dieReligionweiterentwickeln.

Und die indieHofmodegelommeneWahrheit,daßnurindcsMenschenGe- wissenGottspricht,haterlängstin denSatz gefaßt:Religion istPrivatsache.

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EinPreßgefetz. 137

EinPreßgesetz

WarhundertundsiebenzehnJahren schriebderEngländerGeorgeErabbe,

.derzuerst ChirnrgnnddannTheologewar, einsatirischesGedicht, The News-papers, dassichgegen diewachsendeFluthderZeitungenrichtete.

Hier einige zierlicheVersedaraus,diezeigen,wiedamals dieschulmeisternde gelehrte DichtunginderFurcht,von demjungen RiesendesJournalismus verdrängtzuwerden,dieephemereArtseinerErzeugnissegeißelteundgegen dieGefahreinerVerödungdesgeistigenLebensFront machenzumüssenglaubte:

»Ach,Euer Zauber hat gelocktdieschwankeMenge!

DesLesers Augebannt einbuhlerisch Gedränge, Ein täglichneuer SchwarmvonBlättern sonder Zahl.

DerSterblichebenennt dieTötlichem Journal- Undnngelesen liegtderedlenGeisterBand Undnnbemühet stirbt,was derOlympgesandt«.

»Der Zeitungwendet sichderBlickdesLeserszu:

Wem esvor Büchern grant,beiBlättern haterRuh!«

,,. . . . . . DesSchicksalsGüteweiht SieeinesTages RuhmnndeinesTages Zeit.

Sorglosschreibt,wersieschreibt,soVieles grad’zusammen, WievieleWorte ihmdieZeile fertigratnmen, WievieleZeilen ihmdieSpalteabsolviren, WievieleSpaltenihmdasGanze ausmöbliren«.

Freilich:dasLebendesJournalisten war damals ebenso wenigvon SorgenundDornen frei wie heuteundselbstimfreien England standen Geld-undGefängnißstrafen,stand sogarderPranger für ihninBereitschaft.

BedeutendeStaatsmänner wie Burke undPitterklärtensichimAllgemeinen für Preßfreiheit,wurden aberhöchstempfindlich,wenn diePresse sichgegen ihre eigenewerthe Personwandte, wieja-auchderselbepreußischeHerrscher-, dessenWortvon den»Gazetten,dienicht genirtwerden müssen«geflügelt wfndssich-woseinJnteresse insSpielkam,durchausnichtbesann,einen

widefspenstigengazettjer miteinerTrachtPrügelzuderwünschenswerthen

PatltätinderZeitungberichterstattungbringenzulassen.Wieanders also duStellungnahmezurPresseinderArena derpolitischenAntagonismen alsmderPostischenSpiegelungdesPfarrers von Townbridge!Jn der Thatwar politischde:maßgebcicheGesichtspunktvondemausPkeßfkeiheit gefordertWurde-stetsdie miteinemnngemessenenGlauben an die Wirkens- kraft desfreienWortesgepaarteUeberzeugung,wenn nur jede Fessel gelöst sei-Werde dasgeistigeLebensichinderPresse kräftigregen;undderWider- standgegendieseForderungentsprangdemselbenGlaubenderGewalthaber,

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138 DieZukunft.

denenebenan Erweckung,Aufklärung,eigenem UrtheilundSelbständigkeit derMassen nichtsgelegenwar; mit anderen Worten: dieselbePrämisse beiPreßbeförderernundBefehdern,eineAuffassung,diean derBedeutung derPresse füreinestarke JntensisikationdesgeistigenLebensnicht zweifelt- JstdiePrämisse überhauptoderdoch für gegebeneZeitundgegebenen OrtfalschundvielmehrdiekontradiktorischeGegenprämisserichtig,dann müssen politisch PreßbefördererundPreßbefehderihreRollen tauschen;und so erklärtessich,daß bei derfließendenBeschaffenheitdesZeitungwesens undindemWandel derAnsichtenüberseinekonkreteWirkungdennauch gelegentlichdieRollen ausgetauschtworden sind. Zwei hervorragendeBei- spieleausdemKampfderMeinungeninDeutschland mögenDasbestätigen-

»DaßundVerachtung,TodundUntergangderheutigenPresse!«riefLassalle imJahr1863 dendeutschenArbeitern zu. DasAnnoncengeschäftseidieUr- sachedesVerderbens: werdeesdenZeitungen gesetzlichuntersagt,dannmüsse

»von Stand anderZeitungschreibervonMetieraufhörenundanseine Stelle derZeitungschreibervonBeruftreten.«Wardas in derWeißgluthdeshöchsten Pathos flammendeVerdammungurtheildesberedtenAgitatorsnun dochnur eineungeheuerlicheUebertreibung,sowar seinAllheilmittel UngefährdemVor- schlagvergleichbar,denAnbruchdesFrühlings durch Staatsgesetzezu dekre- tiren. Erübersahoderwolltenicht sehen, daß seitdemerstenJnseraten- blatt, der Feuille dubureau d’adresses desfranzösischenArztesRenaudot von 1633, sichZeitungenundAnnonren überhauptparipassu entwickelt haben.Undwie stehtesum dievon ihm vorausgesagte Degeneration?

Wederist, ohne daß sichdieGrundlagendesZeitungwesensinzwischenver- änderthätten, seit seiner ProphezeiungderVolksgeist schlechter geworden noch auchnur unter Anderem dieEntstehungeiner Arbeiterpresse unmöglichgewesen,dererselbst,wennersie erlebthätte,denehrlichenWillen nicht bestreitenwürde, mit den idealenInteressendesVolkes, wiesiediese versteht, Ernstzumachen,—- undauch sie existirtmit undvondem Annoncen- geschäft.Dagegen wurzelt heute so mancheübleEigenschaftderPressebe- sondersstarkinden annoncenlosen»Urzeitungen«,jenennichtfürdie Oeffentlichkeitdirekt, sondernfürdieReduktionen bestimmten mechanischver- vielfältigtenKorrespondenzen,deren AbklatschdieZeitungenin gewissen Theilensind.Undetliche zwanzig Jahre nach Ljssallewar esderwunder- licheKonservativeBöttcher-De Lagarde,derdievolleSchale apokalyptischen Zornesüber diegesammtedeutschePresse ergoß.,,Deutschland«,schrieber,»er- säuft nachgeradein den ebbelosenWogendesHolzpapieres«,»durchdiePresse ist DeutschlandeingroßerSumpf geworden«;und soweiter. Der leib- haftigeDesEsseintesinderdeutschenPublizistik,derverzweifelndsein»Cr0ule dono,vieux monde!« stöhnt;dieMenschheitaber willundkannselbstdem .geistreichstenä. rebours nicht Gehör schenken.

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EinPreßgesetz. 139 Nebenbei darf erwähntwerden,daß1867 eineaufWuttkes Arbeit

»DiedeutschenZeitschriftenunddieEntstehungderöffentlichenMeinung«

"(]866) gestützteSchriftvon JosefLukas»Die PresseeinStückmoderner

Veesimpelung«erschienund imselben Jahrzum zweitenMal aufgelegt wurde. DerlogischeAusgangspunkt dieser leidenschaftlichenAnklagengegen diePresse ist,was Wuttke inseinem BeitragzurGeschichtedesZeitung- wefens nüchternundpräzis soausdrückt:»Wenn Jedem,deretwasRechtes zUsagenweiß,Etwas nämlich,daswerth ist,vonAnderen gekanntzusein, dieöfientlicheMittheilungfeinerGedankenundErfahrungen auch wirklich freisteht-Das heißt denn imLebenhandeltes sich wenigum reine Möglichkeiten—, falls ihm Solches möglichist,ohnedaßereinOpferzu bringennöthighat,undferner,wenn dieStimmen, die inderPresselaut werden, auch wirklichDas hören lassen,was Die,welche sichinihrver- nehmbar machen, gerade so wissenund genau someinen, dannallerdings ist inderPresseeinemächtigeBürgschaftfortschreitenderEntwickelungvorhanden.

Allein diebloßeFreiheitderPresse enthältnoch lange nicht diese nothwendig vorauszusetzendenBedingungen.Obundwieweitsiedasind,hängtviel- nlehranderBeschaffenheitdesZeitungwesens.AndergroßenGewalt der Presse ist durchaus nichtzuzweifeln;man unterschätztsiesogar nochgemein- hinundsiehtdarum dieZeitungschreiberzugeringan. Jst jedochdas ZeituugwesenineinenverkehrtenZustand hineingerathen,so schlägtesviel- mehreinem Volke zumUnheilaus, befördertVerkehrtes,unterdrücktheil- sameBestrebungenundziehtden Sinn derNation in derschädlichstenWeise hernb««Wuttkeglaubtaber trotz denSchattenseiten,dieerselbst rücksichtlos anfdeckt,aneineSanirungundgemeinnützigeWeiterentwickelungderPresse Unsihrer eigenenNatur heraus,weilbeiallenKräftenundMitteln,die dieMenschheitneu gewonnen habe, sichdienachtheiligeWirkungskraft erst erschöpermüsse,ehe sie ihrenvollenSegenverbreiten könne.Dabei streift

erdasProblem,wieman heute Zeitungen lesen solle,undempfiehlt:man lese gegensätzlicheZeitungen;man halte sichandasnacktThatsächliche,legeaber nnf die.meisten BetrachtungenkeinenWerth;man lese ungläubigenSinnes.

Wennman derheißenpolitischenHoffnungen,die biszurMitte des Jahrhundertsvon denBestenim VolkausdieGewährungderPreßsreiheit gesetztwurden,desRingensder liberalen Demokratie unddesGegendruckes desMekteenkchsystemesgedenktundvergleichenderwägt,wiedieGegenwart zUkPresseunddiePressezurGegenwart steht, so mußman allerdingseinen starkenWandelkonstatiren. Wahr ist, daßdieperiodischePresseUnsin einer früher ungeahnten Weisezum ,,unentbehrlichenLebensmöbel«geworden ist;

daß sie,überall undumeinGeringes erhältlich,sichjederanders nichtaus- zusüllendeuViertelstundedes-Kulturnienschenalsgeistiger Lückenbüßerbe-

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