• Nie Znaleziono Wyników

Die Zukunft, 11. Januar, Bd. 38.

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Share "Die Zukunft, 11. Januar, Bd. 38."

Copied!
48
0
0

Pełen tekst

(1)

Berlin, den U. Januar 1902.

f Z Js If

Professores.

Htmßburgs' Hoher Schule solleinekatholisch-theologischeFakultätan- gefügtwerden. DaswünschtdieRegirung; erstens:umdemCentrum wiedereinmalgefälligzusein; zweitens,umdiejungen elsässischenKleriker, diejetztinPriesterseminarien,vielfachunter französischemEinfluß,erzogen werden,in denHörkreisderdeutschenUniversitätzuziehen; drittens,·umden KatholikendesElsaß,also fastdrei Vierteln derBevölkerung,dieMöglich- keit zuschaffen,denWissensstoffin derihremGlaubenangepaßtenFärbung zu erwerben.UeberdieAusführungdesPlaneswirdnochverhandelt. Einst- weilenhatdieNegirungdenHistorikerDr.MartinSpahn,denSohndes ka- thvlkschenAbgeordneten,alsOrdentlichenProfessornach Straßburg geschickt.

Herr SpahnistalsDreiundzwanzigjährigervonderberliner Fakultätunter dieDozentenaufgenommenworden;wennseineBücherschlechtsind und,wie öffentlichbehauptet ward, grobe Jrrthümer enthalten, so hättedieVerant- wortungdie berlinerFakultät zutragen, dieihnzumHochschullehrermachte.

Seine publizistischenVersuchezeigenihnalseinengewandtenMann,dersich nur durchdiestarke Betonung seines Preußenpatriotismusvonanderen jungenHistorikernunterscheidet.Erschreibt,wie dieZunftmodeesheute verlangt;sogardiejetzt sehrbeliebten Dilettantenritte insReichderKunst- geschichtefehlennicht.UndersprichtbegeistertvondenHohenzollern,denen PkeUßenso ziemlichAlleszu dankenhabe,undscheintempörtüberseinen königsbergerKollegenPrutz,derdenGroßenKursiirstenalsgehorsamenund honorirtenHelferFrankreichs enthüllthat. Also vielleichtnichtderMann

4

(2)

50 DieZukunft.

nachdemHerzen elsässischerKatholiken,docheiner,andessenwohlgesälligcm Wandel jedepreußischeRegirung sichfreuenmußte.ErhatteinBerlinundin Bonndozirt;warum sollteersuichtin Straßburgkönnen?Reisermußerin- zwischengewordensein;und ob EinerMagisteroderDozent,Außerordentlicher oderOrdentlicher Professorheißt,istimGrundenursür seineEinnahmenund für seinen Bonzengrad wichtig.AberdiestraßburgerFakultätwollteihn nicht.Ermußteihraufgedrängtwerden ; und alserernannt wordenwar,pries ihneinTelegrammdesKaisersals denMann,vondessenLehredieschönste Fruchtzuhoffen sei. Gegen solcheAuszeichnungeinesnoch Unbewährten konnten dieHochschullehrermit demMuth wahrer Ehrerbietung protestiren.

JhresStrebens ZielkonnteauchdieWegräumungdesRegirungrechtes sein,gegen den WillenderFakultätenLehrstühlezubesetzen.Und dieStolze- sten,diesichalsProfessenderWissenschaftfühlen,konntenerklären: Wir scheidenaus einemAmt,dasnichtdemVerdienst mehralsLohn zufällt, ondernnach persönlicherGunstoderpolitischer Rücksichtverliehenwird.

Nichtsdavongeschah.DieGöttingerSieben sind längst sicherbei- gesetztund opera Supererogationis sind nicht mehrmodern. Jn Straß- burgblieb Allesstummund keinProfessor lehnte dieAmtsgemeinschaftmit demaufgedrängtenKollegenab. Da, plötzlich,vernahmenwireineheftig scheltendeGreisenftimme.SiekamausBerlin,aus demMundedesSe- niorsderFakultät,die demjungenHerrnSpahndieHabilitirungander erstendeutschenUniversitätermöglichthatte.HerrProfessor Mommsen sprach. DurchdiedeutschenHochschulen»gehedasGefühlderDegradirung«; diepreußischeUnterrichtsverwaltung oderwersonst? verleite»zu der Sünde widerdenHeiligenGeis«;unddiewissenschaftlicheForschungmüsse

»voraussetzunglos«sein.Ganzleichtwardie Redenichtzuenträthseln.Sind dieHochschulendegradirt,weilHerrSpahn,den die berlinerFakultätmit Mommsens ZustimmungvorJahren schondesLehramtes würdigfand, nun inStraßburg Kollegienliest?Undsinddie»Voraussetzungen«,die in BerlinkeinHindernißwaren,nur gerade fürdieHörerderelsässischenHoch- fchulegefährlich,diedochmitihnenausgewachsensind?Derweltberühmte VerfasserderRömischenGeschichtehatdasUnglück,oft mißverstandenzu werden. Alserin einerpolitischenRedevoneinemHausmeiergesprochen hatte,derdieVerfassungaufhebenund»dasabsoluteRegimentreaktiviren«

wolle, hätteJeder geschworen,damitseiBismarck gemeint.DerKanzler begingdenFehler,einenStrafantragzustellen;undvordenRichtern

(3)

Professores. 51 erklärteHerrProfessorMommsen, feinkränkendes Wortseinicht bestimmt gewesen,Bismarckzutreffen.Erwurdefreigesprochen,dennerwarmißver- standenworden. Alserim viertenBuch seiner RömischenGeschichteer- zählte,welcherSchadedemStaat der Römerdadurch entstanden sei, daß dieLandwirthschaftgegenausländischeKonkurrenz nicht genügendgeschützt wurdeund»das spottwohlfeilesizilischeSklavenkorn aufder ganzenHalb- inseldasitalischeentwerthete«,mußtemanihnfüreinenSchutzzöllnerhalten.

EristaberFrcihändlerundwarwiedermißverstandenworden. DieJuden nannte erinseinemLebenswcrk ein»ElementderDekom·position«undtrat dann miteinemNotabelnaufrufgegenTreitschkeauf,deneralsAntisemiten haßte.Seit erVictorHugonachstrebt und,alseifriger Zeitungleser,der arbiter mundi sein möchte,haterunter Mißverständnissennoch mehrals früherzu leiden; Nach seinerBulle über die Sünde widerdenHeiligen Geist mußteman ihn fürdenentschiedenstenGegnerderpreußischenUnter- richtsverwaltunghalten. Mißverständniß:ein paarWochen spätersaßer amEßtischdesUnterrichtsministersund»brachte«,wieseinKollegeSchmol- lerberichtethat, »einenrührenden Toast auf Herrn Althoff aus«, den Ministerialdirektor,dessenGeistallverwaltendüberdenHochschulenschwebt.

DenMinisterunddessenGehilfenwollteeralso nicht angreifen noch tadeln;

denKaiser,der demLimesforschermancheHulderwies,natürlicherst recht nichtEr wolltenur sagen:einForscher,der zu denwissenschaftlicharbei- tendengerechnetseinwolle, müsseohne jedeVoraussetzungansWerkgehen;

und werandieLehrederkatholischenKirche gebunden sei,könne zwar inBerlin Privatdozent,aber—- imReichderWissenschaftnie als vollbür- tig ungesehenwerden. DiesenSinn konnteman erstaus derdelphischen Rede schälen,als dieBeifallskundgebungcnkamen.VonfastallenUniversi- tätenkamensie;Berlinblieb,derNoth,nichtdemeignenTriebe gehorchend, still.Undstaunendsahman, wie vieletüchtigeMänner, GelehrtevonRuf undVerdienst,sichzu einervölligunwirksamen,insLeereverhallendenDe- monstrationherbeiließcnundeinerVerkündungzujauchzten,dienurverständ- lichwird,wenn man bedenkt, daß sievoneinem Manne stammt, dem, nach BismarcksWort,»die-VertiefunginzweitausendJahre hinterunsliegende ZeitendenBlickfürdieGegenwart vollständiggetrübthat«.

DieForschung,dieWissenschaftistimmer»voraussetzu"nglos«.Darin irrtHerr Professor Montmsenganzsichernicht.Schmierigwird dieSache erst,wenn einMenschinsExempeltritt,mitseinemWillen, seinenZwangs- VokstcllungemseinemTemperament, geistigenoderwirthschaftlichenInter-

44

(4)

52 DieZukunft.

effe.ObesMenschengiebt,dieohne jede Voraussetzung, ohne durchEin- drücke des Lebens und derLehregeprägtzusein,andieArbeitdesForschens undFindens gehen?PsychologenmögendieAntwort suchen; sie kann,wenn sievonDeterministen kommt,kaumzweifelhaftsein. Gewißaberundüber jedenZweifel hinausgerücktist: daßkeinvom Staat angestellter Lehrerder Kulturwissenschaftenunter allenUmständendasletzteWort seiner For- schungergebnisseaussprechendarf, daßjedervonihnen seinmehroderminder einträglichesAmtunter derVoraussetzung erhielt,erwerdenichts lehren, wasdemStaat,derGesellschaft,derirdischenRechtsordnungoder, wieman inPreußensagt,dergöttlichenWeltordnung ernste Gefahr bringenkönne.

Darüber sollte fünfzig Jahre nach Schopenhauers Anklageschriftgegen dieUniversitätphilosophieein Streit nichtmehrmöglichsein.Einpaar Citate:»Eine RegirungwirdnichtLeutebesolden,umDem,wassiedurch tausendvonihr angestelltePriestervonallenKanzelnverkündenläßt,direkt oderauchnur indirektzuwidersprechen,daDergleichen,in demMaße,wie eswirkte, jene ersteVeranstaltung unwirksam machen müßte.. Der,demes nichtumStaatsphilosophieundSpaßphilosophiezuthun ist, sondernumEr- kenntnißunddaherum ernstlichgemeinre, folglich rücksichtloseWahrheit- forschung,wirdsieüberalleher zusuchenhabenalsaufdenUniversitäten,wo ihre Schwester,diePhilosophieadnormam conventionis, dasRegiment führtunddenKüchenzettelschreibt.Das wirklichePhilosophiren verlangt Unabhängigkeit.. Spinozawar sichderSacheso deutlich bewußt, daßer gerade deshalbdieihm angetragene Professur ausschlug.«WennMonm- senalleanirgendeineVoraussetzungGebundenen aus deinReich seiner Wissenschaftverbannen will,mögendiestaatlichen Philosophielehrerzittern;

sollteEinervonihnen sichzuNietzschesAntichriften bekennen,dannbrauchte ersichnie wiederin denHörsaalzubemühen.Undwie denkt derverehrte Erforscherderinscriptionumlatinarum über die vielenKollegenvomFach derGottesgelahrtheit? Treitschke sagte,essei Phrase,ineineinLande, daskatholischeFakultäten hat,vonLehrfreiheitzu reden. Sind aberetwa dieprotestantischen TheologeninPreußen voraussetzunglose Forscher?

Schließteinihnen ertheilter LehrauftragdieErlaubnißein,übermorgen einer imHerzensichregendenStimme zufolgenunddieSchüler Verachtungder jüdischenMythologiezulehren, sievonMoses fortzu Darwin zuführen?

Esistwirklichschwer, ernsthaft, ohne Hohn,überdieseDingezureden.

EinJurist,der zumKampfgegen dieschrechteRechtsordnungriese,ein Na- tionalökonom,derauchnur dieBernsteinküsiedesdemokratischenSozialis-

(5)

Professores. 53

UmsfeinenHörernalsZiel zeigte:siewürdennicht zweiWochennochPro- fefsorenbleiben. So war es immer; so istesnochheute.Fichtewurde WeggejaghweilerderStaatsreligion nicht Reverenz erwiesenhatte.Dem PrivatdozentenFischerwurdedie venia legendi entzogen,weilerPantheis- mirs lehre.Das war 1853. Vier-zigundetlicheJahre danachwurdeder PhysikerAronsentamtet, weilerinsozialdemokratischenVersammlungenge- sprochenhatte.Wurden dieHerren Julius WolfundReinhold nichtunter derVoraussetzungernannt,daßsie sanftere Weisheit lehrenwürden als die ProfessorenSombart, SchmollerundWagner?UndauchdieFakul- tätenselbstsetzenvondenbeiihnen Aufnahme Suchendenmeist Einigesvor- aus;zumBeispiel: daß sie sichin alteUniversitätsittefügen,Secundum 01-(iinemdesMagister-armeswalten undkeinelebende«,,Autorität«desFaches angreifenDerFall Diihring ist noch nicht vergessen.UndwennBehring, eheerProfessorwar,Virchows Majestätzukritisiren gewagthätte,dann hättekeine alma mater ihmdie Arme geöffnet. Mancherwirdfinden,in demNetzwerksolcherVoraussetzungenkönneman nichtvielfreier athmen alsim Glaubenskreis der.katholischenKircheundihres Syllabus Mancher auch,dieLebensleiftungderJanssen, FranzXaverKraus, PastorundHeri- ling seibeträchtlicherals die ganzerDutzendelutherischerGelehrten.

DasWunderbarsteanderSache ist aber, daßauch derHistorikervor- ausfetzunglossein soll, geradeer: Mommsensprach ja vonSpahn. Ob die Geschichtforschungüberhauptschoneinefertige Wissenschaftzu nennen, ob sie nichthierArchivarenarbeit,dortKunstleistung ist:darüber werdendie Meinungenauseinandergehen Noch ist dieBiologie derVölkergefchichteein dunkles Gebiet; nochnennen fastalleZünftigendieHoffnung, je historische Gkiktzefiudenzukönnen,einethörichteUtopie.Nach Schopenhauers Ansicht hättendiePforten der-HochschulensicheigentlichalsoderHistorikzuschließen;

denn»eine Wissenschaft,dienochgarnichtexistirt,dieihrZiel noch nicht Mcicht hat, nichteinmalihren Wegsicherkennt, ja,derenMöglichkeitnochbe- stritten wird,einesolcheWissenschaftdurch Professoren lehrenzulassen, ist eigentlichabsurd«.DasspracheinKetzer. AuchFontenelleundVoltaire, denen alleGeschichtefable convenue war,werden,alsBönhasen,bei der ZunftkaumGehör finden.DenGeheimrathundOrdentlichen Professor Ottokar Lorenzabermuß siealsZeugen gelten lassen.Derhatimzweiten Bandeseiner»Geschichtwissenschaft« derTitellehrt, daßLorenznicht zU denZweiflern gehört—, behauptetundbewiesen, daßman voneiner objektivenGeschichtwissenschaftnichtimErnstredenkönne,undeinegroße

(6)

54 DieZukunft-

Zahl deutscherundfranzösischerHistorikerhat seinem Urtheilzugestimmt.

Und in einenBriefandiesenKollegen hat Treitschke,derRankeallzu dichte VerhüllungdeseigenenMeinens vorwars,denSatzgeschrieben:»Wennich nichtdieGeschichtevonmeinemStandpunkt erzählenundfrischwegurtheilen soll,sowillichlieberSeifensiederwerden«-«WernichtanderKrankheit leidet, dieLamprechtjüngstwissenschaftlicheMyopie genannt hat, weiß; daßsden großenHistorikernichtdieFüllederrichtigausUrkundenzusammengelesenen Einzelthatsachenmacht, sondern diezwingendeKraftpersönlicherAuffassung, dieftarkeVision,dasAuge,dasEreignisseundZusammenhängesieht,wie kein anderes sie je vorher sah. Solcher IntensitätderAnschauung,dersich einkonstruktivesVermögengesellt,lohntbewunderndeLiebe,vonThukydides bisauf Taine,bisauf Mommsen.ObAlles »richtig«ist,was Roms Historikersagt? Inkeinem Laboratorium kannesmikroskopirtwerdenund derNachprüfendekäme immerschnellaneinenPunkt,woernicht wissen, woernur glauben kann, gläubigfremdenBerichthinnehmen muß.Dennoch sindwirstolz auf diesenGeschichtschreiber,weilerEuropagezwungenhat, RomausseinemAugezusehen.KeingroßerHistorikerwar ganz»voraus- fetzunglos«,keiner konnte dieeigenePersönlichkeitzustummemAutomaten- dienstverdammen. Stets fühlenwir, weßGeistesKind zuuns spricht.Und einStaat, dersichseineschristlichen-Wesensrühmt, hatdiePflicht, katho- lischenStudenten nichteinProtestantenbildderGeschichtezu bieten.

Professor Spahnkann inKonfliktekommen.Seine protestantischen Kollegenetwanicht?MitdankenswertherOffenheit hat Schmoller neulich gesagt,derMinister,derMinisterialdirektor sogar seider,,Vorgesetztedes Professors,dergehorchenmuß, deshalbaberauch schimper dars.«Wer Vorgesetztehatundgehorchenmuß,solltevonseinerFreiheit nicht allzulaut reden. DenProfessorenbleibt wirsehenestäglich auchinsolcher BeschiänkungnochimmerdieMöglichkeitnachhaltigenWirkens ins Weite.

Nursollten sie selbstimGreisengefiihlderGottähnlichkeitnicht vergessen, daßsiedemStaat unddemStaatszweck dienstbar sindund recht oft das Besteihrer WissenschaftdenJungen nicht sagendürfen.WirddieserZwang ihnenzurLast,dannkönnensie ihn abschüttelnundsichdcrkleinenSchaar derUnbeamtestenanschließen,die Voltaire als diewahrenLichtbringerpries:

les lettråsisoles, quin’0nt niargumentesurles bancs de l’universite ni dit les ehosesä-moitie danslesacademieszet eeux-lårontpreque toujoursete perseeutiåsDenen wardnie derTiteleinesProfessors verliehen. OftaberhatdieNachwelt siedankbarBekennergenannt.

Z

(7)

DerAufbaudereuropäischenGeschichte 55

DerAufbau dereuropåifchenGeschichte

WerOhren hat,zuhören,kannsichsehr leichtdavonüberzeugen,daß ebenjetzt,indiesen Jahren, sichinderGeschichtschreibungeineent- scheidendeWendungvorbereitet. WasBuckle herbeizuführenwähnte,die HinüberleitungderGeschichteaus demLagerdernur beschreibendenindas derbegrifflichen,gemeinhin exalt genannten Wissenschaften,und wasihm sicherlichmißlungenist,willheuteWahrheitwerden«Droysens Spottüber ihnwarzwar oft sehr wohlfeilundläßt sichinallengrundsätzlichenFragen

wasbei andererGelegenheitnichtunterbleibensoll auf grobesUnver- ftändnißallerdenkenden Geschichtauffassunggegenüberzurückführen,aber BucklehatteinderThatzuwenig Weitblick,um dieGesetze,dieerso heiß erstrebte, wirklichzufinden.Heuteaberscheint selbst dieses letzte, höchste Ziel erreichtwerden zusollen, fürdasdieNichtsalsempirikerinunserer Wissenschaftnieetwas AnderesalsgedankenlosenHohn übrig gehabt haben.

Wasjetzt,und zwarnichtalleinin derGeschichtschreibung,empordringt, istderGedanke,derBegriff,derwiederHerrzu werdenstrebtüber dierohe Masse befchriebenenStoffes. Man hat sovielvonEutwickelungsgefchichtegesprochen undauch ich glaubte lange, damiteinbrauchbaresMerkmal grundsätzlicher Scheidunggefundenzuhaben;aberman wirdvon dieserBegeifterungver- MUthlichwiederabgehen müssen. Hierliegt einederwohltheilweise,aber nichtganzzureichendenVergleichungengeisteswissenschaftlicherFragenmitden AufgabenderNaturforschungvor. Gewiß:dergroßeFortschrittDarwins undfeiner Nachfolgerhatdersichbisdahinnur mitstarrgegebenemStoffe beftlsfendenNaturwissenschaftdiegewaltigeAnschauunggegeben,daß dieser StoffinWahrheitals einfließender,stetssichwand"elnder,alsoals Werden,also geschichtlichzubegreifensei. Für dieseneue undgroßeErrungenschaftschuf siesichden NamenEntwickelungsgefchichte.Man erkenntaber sogleich,daß für dieGeschichtschreibungdieSachlageeineganzandereistsHier hat,da derOffenbareAugenscheindafür sprach,Niemand jemalsandemWandel der zUbeobachtendenThatsacheu,anihrerimLaufderZeit fortschreitendenBer- änderunggezweifelt.Undauch fürdenGebrauch erweist sichdasWort als stökrischDieverbiffenftenAnhängereinerrein befchreibendenGeschichtforschung Uler immerdar: Aber waswolltJhr.denn,Jhr angeblichenNeuerer? Wir redendochimmerfortvon ZusammenhängenundVeränderungenundEnt- Wickelungist doch wohl ZusammenhangundVeränderung-

Weiterkommtman, denkeich,mitdemnicht aufdieGeschichteallein, sondern aufalleGattungenderForschunganwendbaren GegensatzvonBe- griffs-und Erfahrungwissenschaft.Erbeherrschteinallen Zeitalterndas menschlicheDenken underbietet ein weiteres, abertrotzdemschärferesScheidung-

(8)

56 DieZukunft.

merkmal dar. Erist,wiealleGegensätzeinder Welt desGeistesundder Menschen,keinvollkommener, sichausschließender,sondernineinander über- laufenderunddoch hinlänglichscharfer. Daß GeschichtenichtreineBegriffs- wissenschaftseinkann, im Sinne derMathematikoderLogik, ist offenbar.

Siewirdimmerdengroßen,zunächsterfahrungmäßigzu erwerbendenWissens- stoff,den zu verwaltenihresAmtes ist,zumgroßenTheilunverändertweiter geben müssen.Aberheute handeltessichumdieAnwendungbegrifflicher Hilfsmittel großenMaßstabes,um dieseansichabschreckendwirrenundun-

-übersichtlichenStoffmassenzubändigenundzubeherrschen,Das heißtalso:

um einstärkeresBetonen derbegrifss- gegenüberdenerfahrungwissenschaft- lichen AufgabenundThätigkeitenderGeschichtforschung.

UmesmiteinemWort zusagen:essindwesentlichOrdnungfragen, aufdieeshierankommt. DerStoffbleibtin alleEinigkeitderselbe,ober inUrkundenbüchernundChronikenoderober indendurchsichtigstenund klarstenGesammtdarstellungenniedergelegtist.Aberso wenigman die Stein- massen,aus denendasstraßburgerMünstererbautist,alssienochinrohen Haufen aufdemBauplatz lagen,mitdemfertigenWerkeErwins gleichsetzen würde,so wenigwirdman den ordnenden Geschichtforschernverwehren dürfen, ihreArbeit alsdieletzteundhöchsteAufgabe ihrer Wissenschaftanzusehen.

HeuteabergiltallesAndere für Wissenschaft,dieAneinanderpassungvon zweioderdreiTheilendesMaßwerkeseinesFensterbogensodernochlieber dieArbeitimSteinbruchoderaufdemSteinhauerplatz, höchstensnochdie AusführungeinerSeitenkapelle, niemals aber derVersuch,dasGanze vonNeuem auszubauen.

Jm geschichtlichenStoffe Ordnungzuschaffen,ist deshalb so schwer, weil einebesondere,dieserWissenschafteigenthümlicheEigenschaftihresGegen- standes ihre Jünger fastzweiJahrtausende langüber dieNothwendigkeitsolchen Ordnungschasfens hinweggetäuschthat. EsistdieZeitfolgeallergeschicht- lichenEreignisse,dievon je hereineScheinordnung herzustellenerlaubte unddiedenKrebsschadenallerbeschreibendenGeschichtforschung,ihreun- wählerische,unbegriffliche,wirreDarstellungweiseverursacht hat.DieChronik und diechronikartigeGeschichtschreibungsindsoentstandenunddieseDar- stellungformenbeherrschennoch heute fastdengesammtenBetrieb dereigent- lichenGeschichtsorschung.Sie führen noch heutewiezuHerodotsoder Einhards Tagen dazu,einKönigsleben,eineStaatsgeschichtemitwenigen AusnahmezugeftändnissenJahr für Jahr, zuweilenselbstMonat fürMonat zuschildern.Hier überwiegtdiereineBeschreibungmit allenihren Tugenden derHingabeundGenauigkeitnndallenihrenFehlern, nämlichUnübersicht- lichkeitund Unverwendbarkeit füralle denkende Betrachtungvon Welt undMenschheit.

(9)

DerAufbaudereuropäischenGeschichte. 57

Dievonje her begrifflicherenWissenschaftenderRechts-undWirth- schaftkunde,derKunstlehreundvorAllemderPhilosophie selbst habenden ihnen benachbartenZweigenderGeschichtschreibungzuerstdasHeil gebracht, indemsie ihr sachlicheEintheilungenundOrdnungendarboten. Rechts-und Wirthschaftgeschichtesind deshalbsofruchtbar fürdiegeschichtlicheForschung- weise·geworden,weilsievon je her so begrifflichtheilend verfuhren, Das heißt:antausend PunktendietötlicheScheinordnungderZeitfolge durch- brachen.Undwerheute versucht,dieeigentlicheGeschichte,alsodieGeschichte derKriegeundderauswärtigenPolitik,imselbenSinne begrifflichaufzu- lösen, folgtnur ihrem Beispiel.DasErgebnißisthiereineAufeinander- folgevonBildern deskriegerischenundinternationalen Verhaltens,anStelle dertausend Einzelvorgänge,diehierimmer erzähltwerden. Daßschließlich auchdieWirthschast-und Rechtsgeschichteso reinbeschreibendhättenver- fahrenkönnen,hatman bisaufdenheutigen Tagübersehen,obwohlesan Bücherndieser Artnichtfehlt.DieeinzelnenErgebnissegeschichtlichenWissens aber, die soentstehen,wirdderselbe begrifflicheDrang,dersieschuf, auch wieder zuhöherenEinheitenzuerhebenwissen: durchdasHilfsmittelderVer- gleichungdes Nebeneinander unddurchdasAufsuchenallerGemeinsamkeiten

HataberderZuchtmeisterdesBegriffesinsolcherWeise seinesAmtes gewaltet, sokannunddarf sich innerhalbdernun errichtetenunddochim Nebeneinander nichtunübersteiglichenTheilschrankendienatürlichsteEigenschaft desgeschichtlichenStoffes,diezeitlicheAufeinanderfolgeseinereinzelnenTheile, wiedergeltend machen.Ja, siewirdderbegrifflichversahrenden Geschicht- forschungzumAnsporn füreinneues Verfahren, besser fürdiefolgerichtigere Durchführungeinesbisdahin schonzuweilen,aberlässiggeübtenVerfahrens.

AuchdiealtechronistischeGeschichtdarstellunghat AenderungendesBestehenden geschildert:schonindemman eineThaisache aufdie andere folgen läßt, thut man Das ja. Aberwassonur halbgeschah,muß ganzdurchgeführt,muß zumGrundsatz erhobenwerden. DieEinzelthatsachenverlorenschongegen- über derbegrifflichenSachtheilungvielvon ihrem Werth, ihre Zusammen- fassungzuGesammtbildernwar schondortgeboten.Wieaberkannnun die EigenschaftdesgeschichtlichenVerlausesals einezeitlicheAbsolgevonZu- ständen,von solchenGesammtbildern wissenschaftlichtreuundbegrifflichzu- reichendzumAusdruck gebrachtwerden? DurchdasHilfsmittelderVer- gleichungdesNacheinanderundwiederum durchdasAussuchenderGemein- samkeiten. DiesesMittel mußimmerwiederangewandtwerden: so entstehen innerhalbderdurchdieSachtheilung errichtetenSchrankendielangen That- sachenreihen,andenen derGeschichtschreiberdasletzteErgebnißseinerForschung, nämlichdasVerhältnißvon UeberlieferungundNeuerung,von Erhaltung undErfindung,umTardesAusdruckzugebrauchen,ablesenkann-

(10)

58 DieZukunft.

Jnallen diesen Darlegungen istdas Wort Entwickelungnirgends gebraucht;undich glaube,man wirdesnicht vermissen. Freilich: auchvon

derVerursachtheitallesGeschehenswarnichtdieRede;aber,Jhr Forschenden, legtdieHandaufsHerz:waswissenwireigentlichvonUrsachenzusammen- hängen?Nichtvielmehralsdie altenundneuen Chronisten,dievondem TischgesprächeinesMinisters aufdieEntstehung seinesamAbenderfolgten Entschlusses schließen.WaswirzurVermuthung, nichtzurErweifungvon UrsachenundWirkungen thunkönnen,istimGrunde ganzundgarinder Aufstellungjener begrifflichgetrenntenThatsachenreihenbeschlossen.Diedort aneinander gerücktenEreignisseoderZuständewerden sich vermuthlichauch wesentlichbedingtundhervorgeruer haben:Dasist,wenn wirehrlichsind, unsererWeisheit letzter Schluß.Undauch Kreuz:undQuerwirkungenin diesemaus vielenFädengesponnenenGeflcchtwirdeinesoklarundreinlich verfahrendeDarstellungamEheftenherausfindenundzurAnschauungbringen.

Doch nichteineDarlegungderForschungmittel istderZweckdieser Blätter; siekönnteauf sokleinemRaum auchnimmermehrzureichendunter- nommen werden. Essoll vielmehrvon demallgemeinstenErgebnisseeines indiesemSinn angestelltenVersucheszufammenfassenderGeschichtschreibnng Rechenschaftgegebenwerden. JchwollteineinemdenLesern dieserZeit- schriftheutenicht zuerst genannten Buche,dasich vielleichtallzueng Kultur- geschichtederNeuzeitnannte, die Summe dereuropäischenGeschichteziehen undbindabeiaufeineAnzahlvonAnschauungenüber den Bau dieser Ge- schichtegekommen,dieesschon heute, nochinmitten derArbeit,zurEr- wägung vorzulegen mich drängt.

DieeuropäischeGeschichteist,Dasdrängt sichnichtvor, wohlaber beibegrifflicherDurcharbeitungundZusammendrängungihres Stoffesals letztesErgebnißauf,inzweiWeltalterzuzerlegen,diezeitlichnacheinander, sachlichnebeneinanderverlaufen sind.Das heißt:dievierzehnJahrhunderte europäischerGeschichte,die demUntergangedesweströmischenReichesvorauf- gegangen sind,unddie anderenvierzehn Jahrhunderte,dieihm gefolgt sind, bieteneineungefährähnlicheFolgevonEntwickelungstufendar, diegriechisch- römischeGeschichtezerfällt in ungefährgleichwerthigeStreckenwie die ger- manisch:romanische.Ansichist gleichgiltig,wieman dieseLebensalter beider Völkergruppennennt, aber das einfachsteAuskunftmittel ist,diefürdie jüngereEntwickelungbräuchlichenTheilnamen, nämlichUrzeit, Alterthurn, frühesundspätes Mittelalter, NeuzeitundneusteZeitderGermanen, ohne Aenderung auf«dieälterezuÜbertragen.Dieanfich inhaltlosen Bezeich- nungen haben,wienamentlichMittelalter, NeuzeitundneusteZeit, füruns so vielNebenbedeutunggewonnen, daß,auf siezuverzichten,thörichtwäre.

Esempfahl sichauch schon deshalb, sozuverfahren,weildie wenigenAn-

Cytaty

Powiązane dokumenty

Doch es mag nochlange dauern, bis es zur AufspürungdieserUrsachen-.. 113 reihen und auf siegegründetergeschichtlichen Gesetze kommt. Die Frage, die auf diesen Blättern

wichtigenStreitfrage gründlich zu informiren, wenn es ohne großenZeit- aufwand möglichist; und die Lecture der beiden Kritiken (5l und 41 Seiten) erfordert nicht mehr als eine

zwischen liegt, ist Unwahrhaftigkeit und Heucheleif Hier sind wieder zunächst einige Unklarheiten zu beseitigen. Nicht aus Gewissensdrang glaubt man, sondern, weil man als Kind

erfordern weit mehr Geduld und Beharren als die Einführung eines neuen, die Abschaffung eines veralteten Gesetzes. Und doch wird die Entwickelung in dicfet Richtung vorwärts

Höher hinauf konnte ihn nur die Hand einer Frau führen. Er konnte der insguin einer Nana werden, die ihre Freunde für ihn alarmirte, ihn Von ihrem Deputirten für die

Deighton kam vom Artillerielager herüber und machte ein trauriges Mittags- mahl in der Messe mit; zur allgemeinen Niedergeschlagenheitsteuerte er dadurch bei, daß er fast über

se beantragt. Die Agrarier drohen mit Obstruktion Doch sie werden sich eines Tages indas Unabänderliche fügenmüssen und vielleichtnicht einmal Gelegenheit haben, zum Ausgleich

Der Neudruck dieserSchrift, die lange gänzlichausdem Buchhandel ver- schwunden war, ist längst nothwendig geworden. Wegen äußerer und zum Theil innerer Hindernisse aber konnte er