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Der Erwerb der Schutzgebiete und ihre Verwaltung durch Deutschland ist nirgends stärker kritisiert und beanstandet worden als in Deutschland selbst.

Man könnte eine ganze Bibliothek der Fehden zusammenstellen, die aus unseren eigenen Reihen heraus gegen die gesamte Kolonialpolitik seit ihren ersten Anfängen durch die ganze Entwicklung hindurch geführt wurden. Das uns nicht sonderlich hold gesinnte Ausland hat diesen Feldzug im eigenen Lager zu unserer aller Schaden in weitreichendstem Maße ausgebeutet. Heute dürfen wir ohne Übertreibung behaupten, daß kaum eines dieser Urteile über unsere Kolonialpolitik auf einwandfreier, objektiv kritischer Prüfung auf­

gebaut war. Wenn man den Anklägern auch nicht Wahrheitsliebe und Wahrhaftigkeit absprechen kann, eines muß man ihnen unbedingt ab­

sprechen — gediegene gründliche Kenntnis des Wesens und der Art von Kolonialpolitik und Kolonisationsarbeit in den Überseegebieten.

Dazu fehlte ihnen jegliche Erfahrung auf kolonialem Gebiete, wo der alte Grundsatz: „Jede Theorie ist grau” mehr als irgendwo in der Heimat gilt.

Die Ankläger, die unseren Führern so gerne den Vorwurf entgegenschleudern, daß sie „vom grünen Tische“ aus ihre Politik betreiben, vergaßen ganz, daß sie selbst nur vom „grünen Tische aus” ihre Anklagen und Vorwürfe er­

hoben, meistens auf einseitiges Anklagematerial gestützt, ohne die Gegenseite zu vernehmen.

Wenn wir die eigentliche Kolonialgeschichte der Neuzeit durchgehen, die ihren Anfang nimmt mit der Entdeckung Amerikas durch Christoph Columbus und die Erschließung des Seeweges nach Ostindien durch die Portugiesen, dann ist es durchaus kein erfreuliches Bild, das uns diese Er­

oberungen fremder Länder und Völker durch europäische Mächte wider­

spiegeln. Wir mögen die Spanier und Portugiesen in ihrem Vordringen nach Westen und Osten betrachten, sie haben ungeheure Taten vollbracht, an Entdeckergeist und Waffenruhm, Taten, die zu den glänzendsten der Weltgeschichte gehören. Aber geschrieben sind diese ihre Taten in Blut und Elend und Jammer der eroberten Völker. Als Engländer, Franzosen und

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Holländer ihnen nachfolgten, war es nicht nur Kampf gegen die unter­

worfenen Völker, der ihren Weg bezeichnete. Ein durch Jahrhunderte sich hinziehender Krieg der Kolonialmächte gegeneinander war es, der ihre Kolonialpolitik begleitet hat. Den Preis für diese Kämpfe und Kriege muß­

ten meistens die Eingeborenenvölker zahlen. Ihre teilweise hochstehenden Staaten, wie die der Inkas von Peru in Südamerika, wurden in Ruinen ver­

wandelt. Die einheimischen Völker Nordamerikas wurden in die Wälder ge­

drängt, wo sie kaum noch zählen. Die Neger Afrikas waren Jahrhunderte lang nichts als Handelsartikel in Sklavenform. In neuester Zeit donnerten Englands Kanonen China aus seiner Abgeschlossenheit, und die Amerikas Japan aus seinen einsamen Eiland-Träumen. Der spanisch-amerikanische Krieg brachte Amerika die großen Inseln und die Philippinen. Des Buren­

krieges Preis für England war das ersehnte Diamantenland am Kap und die heutige südafrikanische Union im Süden des schwarzen Erdteils. Der reiche Norden mit den riesigen Ausbeutungsquellen den Nil hinauf bis in den Sudan bietet ebenso ein gutes Stück englischer Kriegsgeschichte. Um den Be­

sitz des machtgewaltigen Indiens hat England ein halbes Hundert schwerer Kriege mit europäischen wie mit starken einheimischen Staaten geführt.

Die kleineren Gefechte und Expeditionen sind kaum zu zählen. Die „Er­

oberung” des an Indien angrenzenden Birma erfolgte auf „Kosten Indiens und in großem Maße durch indische Truppen; und wäre nicht die Unter­

stützung von Indern im Garnisons- und Polizeidienst und dem Errichten von öffentlichen Anlagen gewesen, wäre seine Annektion und Regierung äußerst schwierig geworden“, schreibt der lange im indischen Verwaltungsdienst stehende Fuller, um nur ein Zitat aus der neueren Annektionsgeschichte Englands anzuführen.

Frankreich führte um seinen kolonialen nordafrikanischen Besitz, der das Fundament seiner afrikanischen Expansion bedeutet, einen Jahrzehnte dauernden Kampf mit den Völkern der an Traditionen und Kultur reichen alten Maurenstaaten. Holland erwarb und behielt Inselindien ebenfalls durch Waffengewalt. Sehr schwere und lange Kämpfe führte Italien um seinen afrikanischen Besitz an der Somaliküste mit den umwohnenden Fürsten, von denen Menelik ihm ein gebieterisches Halt diktierte. Ebensowenig bekam es Tripolis kampflos von den Türken.

Gegenüber diesen kriegerischen Eroberungen des Kolonialbesitzes der europäischen Mächte und Amerikas kann man ohne Übertreibung behaupten, daß Deutschland in Erwerbungseiner gesamten Schutzgebiete keinen einzigen Krieg im eigentlichen Sinne, weder mit einer europäischen noch mit einer

Berechtigung Deutschlands auf Schutzgebiete 55 einheimischen Staatsmacht geführt hat. Seinen ganzen Überseebesitz hat es durch internationale Verträge mit den Mächten erhalten und gesichert oder durch Verträge mit den eingeborenen Staaten, Fürsten und Häuptlingen er­

worben. Wohl gab es da und dort kleinere Scharmützel und Gefechte mit den Eingeborenen Afrikas und den wilden Stämmen der Südsee; wohl gab es Flotten-Demonstrationen wie bei Kiautschou und vor Sansibar; wohl gab es Eifersuchtsszenen mit den umliegenden europäischen Mächten. Sie alle wurden durch Verträge geregelt, ohne es je zu einem Kriege kommen zu lassen. Weder Bismarck noch einer seiner Nachfolger hätten um eine Kolonie einen Krieg geführt. Ein klassisches Beispiel eines friedlichen Ausgleiches gab Bismarck im Jahre 1885 im Streit um die Karolinen und Marianen mit Spanien, als er, obwohl England auf Deutschlands Seite stand, Papst Leo XIII. als Schiedsrichter Vorschlag, dessen Schiedsspruch er anstandslos annahm, obwohl er gegen Deutschland und für Spanien lautete.

Die einzigen Kriege, die Deutschland um seine Kolonien geführt hat, waren die in Ostafrika und in Südwestafrika, wobei besonders der letztere im kolo­

nialen Sündenregister Deutschlands eine Hauptrolle spielte. Und doch waren es nur Scharmützel im Vergleich zu den Kriegen, die andere Länder um die­

selbe Zeit in den Kolonien führten und die sie heute noch führen. Man braucht nur Syrien, Marokko und Rif zu nennen! In einem anderen Kapitel sollen diese Kriege näher behandelt werden.

Noch einen weiteren Grund schwerwiegendster Art, den man sonst nie nennt, hatte Deutschland auf die Berechtigung seiner Kolonialpolitik, nämlich vom internationalen Völkerrechtsstandpunkt aus. Man darf nicht vergessen, daß fast der ganze Erdteil Afrika, mit Ausnahme einiger Küstenstriche, von keiner europäischen Macht besetzt, daß es Neuland für Kolonisationsarbeit war.

Noch im Jahre 1875 war der Großteil von Afrika für die europäischen Mächte Niemands-Land. Die zwei Hauptmächte waren Portugal, das ein Gebiet von IV2 Millionen qkm besaß, von dem es allerdings nur ein Bruchteil aktuell verwaltete, und die Türkei, die in Tripolis, in Ägypten und in dem Sudan gewaltige Landstriche unter ihrer Oberhoheit hatte. England besaß ein Gebiet von nicht ganz 500 000 qkm, Frankreich von 300 000 qkm, Spanien von 2000 qkm. Die Burenstaaten hatten einen Umfang von 300 000 qkm. Die europäischen Mächte besaßen nicht einmal ein Zehntel des schwarzen Erdteils. Die ganzen riesigen Innengebiete Afrikas harrten noch der Erschließung für Zivilisation und Kultur.

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Die Mächte insgesamt waren neue Bewerber um diese Gebiete. Nur Portu­

gal stellte Ansprüche auf größere Strecken auf Grund langjähriger Ansässig­

keit im Lande. Seinen Ansprüchen trat nicht Deutschland, sondern England entgegen. Die Gebiete, die Deutschland erwarb, waren niemals von einer anderen Macht besetzt gewesen. Es waren Landstriche, wo außer den arabi­

schen Sklavenjägern und einigen kühnen Forschern kaum je eines Weißen Fuß hingetreten war. Dann waren es Länder, und das fällt schwer ins Ge­

wicht, wo niemals geordnete Staatswesen bestanden hatten, wo es keine Tradition und Geschichte von Kulturvölkern und zivilisierten Stämmen gab.

Die Millionen Menschen in diesen Gebieten gehörten zu den Negerstämmen, denen von außen her Kultur und Zivilisation zu bringen die Aufgabe der höher entwickelten Nationen war. Diese Aufgabe zu erfüllen, hatte Leopold von Belgien in den Vordergrund gestellt, als er den Kongostaat gründete. Daß Deutschland dieselbe Aufgabe erfüllen konnte und wollte, wurde damals von niemand bezweifelt. Die Mitarbeit des Volkes der „Dichter und Denker”

wurde gerne angenommen — nur sollte sie andern zum Nutzen werden.

Heute ist es noch ein Grundsatz des Völkerbundes, daß die Negervölker Afrikas „nicht fähig” sind zur Selbstregierung, daß sie deshalb unter die Re­

gierung von anderen Staaten gestellt werden sollen. „Die Entwicklungsstufe, auf der sich andere Völker, insbesondere die mittelafrikanischen, befinden, erfordert, daß der Mandatar dort die Verwaltung des Gebietes übernimmt.”

So heißt es im Artikel XXII des Völkerbundsstatuts. Heute noch steht der Völkerbund auf keinem anderen Standpunkte, als Deutschland zu der Zeit stand, in der es seine Schutzgebiete erwarb. In Afrika waren es ausnahmslos Völker in den deutschen Schutzgebieten, über die der Völkerbund in dem­

selben Artikel ausdrücklich feststellt, daß sie „heute noch nicht imstande sind, sich unter den besonders schwierigen Bedingungen der heutigen Welt selbst zu leiten.”

Diese Sätze sind nur eine Rechtfertigung Deutschlands auf seinen Kolonialerwerb, zumal, wenn wir den anderen Satz des Völkerbundes in Betracht ziehen, der da lautet: „Gewisse Gemeinwesen, die ehemals zum Türkischen Reiche gehörten, haben eine solche Entwicklungsstufe erreicht, daß sie in ihrem Dasein als unabhängige Nationen vorläufig anerkannt werden können, unter der Bedingung, daß die Ratschläge und die Unter­

stützung eines Mandatars ihre Verwaltung bis zu dem Zeitpunkt leiten, wo sie imstande sein werden, sich selbst zu leiten.“

Solche „Gemeinwesen” hat Deutschland in Afrika und der Südsee nicht besessen. Wohl aber haben England, Frankreich und Italien diese Staaten,

Berechtigung Deutschlands auf Schutzgebiete 57 die immer ihren Standpunkt als „unabhängige Staaten” behauptet haben, die auf Blütezeiten in ihrer Geschichte blicken können, erobert und annek­

tiert. Das sind die Staaten Ägypten, Tunis, Algier, Marokko und Tripolis, von Indien ganz zu schweigen. Die Sätze des Völkerbundes gelten aber nur für Deutschland, wenn sie für andere Staaten nachteilig zu werden beginnen.

Das Neutralitätsangebot Deutschlands