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Mit Ausnahme des schwarzen Erdteils und der Südsee war die Welt der Neuzeit fast ausnahmslos unter die verschiedenen Mächte aufgeteilt, soweit Kolonialbesitz in Frage kam. Amerika war durch die Monroe-Doktrin eine

„terra clausa“, d. h. ein verschlossenes Gebiet, geworden. Australien war englisch, der Norden Asiens russisch, der Süden englisch; die großen Inseln waren holländischer Besitz. England war von seinem Besitz so übersättigt, daß ein Unterhauskomitee im Jahre 1865 die einstimmige Besolution faßte,

„daß jede weitere Ausdehnung von Territorien, die Übernahme der Regierung oder neuer Verträge, die den Eingeborenen irgend welchen Schutz ver­

sprächen, untunlich seien”. „Fast zwanzig Jahre lang”, sagen die Engländer,

„lähmte der Geist dieser Resolution die britische Aktion in Afrika, obwohl viele Umstände, so das Fehlen jedes ernsten europäischen Rivalen, die un­

vermeidlichen Grenzstreitigkeiten mit unzivilisierten Rassen, die Tätigkeit des Missionars und Kaufmanns zusammenwirkten, um den britischen Ein­

fluß in weiten Gebieten des Kontinents, über welche die Regierung keine entscheidende Autorität ausübte, zu einem vorherrschenden zu machen. Die Großzügigkeit, mit der Geld und Blut dargebracht wurden, um den Respekt vor der britischen Flagge zu erzwingen oder britischen Untertanen in ihrer Bedrängnis zu helfen, wie es in dem abessinischen Kriege (1867—1868) und in dem Aschantifeldzug (1873) der Fall war, zielte weiter darauf, die Hoch­

achtung vor Großbritannien unter den afrikanischen Rassen zu steigern. Zu­

dem war es eine unvermeidliche Forderung für den Besitz Indiens, daß britische Beamte am Hofe von Sansibar, das seine Sonderexistenz einer Ent­

scheidung des Generalgouverneurs von Indien, Lord Canning, verdankte, be­

trächtliche Gewalt ausübten. Es war eine Folge der Teilung der arabischen und afrikanischen Besitzungen des Sultans von Maskat (am persischen Golf).“

Die europäischen Mächte hatten nur verhältnismäßig kleine Besitzungen in Afrika. Portugal war noch immer die führende Macht, wenn sein Kolonisationswerk auch nicht tief bis ins Innere des schwarzen Erdteils hin­

eingriff, sondern nur Randarbeit blieb. So konnte Deutschland, auch der Zeit nach, als gleichberechtigtes Mitglied mit den Nationen in Wettbewerb treten, zumal es für seine kolonialen Bestrebungen die gleichen Gründe wie

Das Erwachen des Kolonialgedankens in Deutschland 29 England und die anderen Mächte anführen konnte: Schutz der Missionen und der Forschungsarbeit, Bedarf an Absatzgebieten und Märkten, Er­

schließung von Rohstoffquellen, sowie Auswanderungsmöglichkeiten für seinen Bevölkerungsüberschuß in eigene Siedelungslande.

Als Gründe für die wiedererwachende Kolonialtätigkeit der Mächte wurde die ökonomische und politische Lage von Westeuropa angeführt, der Krieg 1870, der Frankreich auf die koloniale Expansion drängte, Deutschlands wachsende Bevölkerung und Industrie, die nach neuen Märkten suchten.

Italien meldete im Schlepptau Englands seine „legitimen Aspirationen“ auf Afrika an. Frankreich stieß mit seinen transkontinentalen Plänen auf den Widerstand Englands, das mit Portugal um den afrikanischen Besitz wett­

eiferte. Durch die Pläne König Leopolds wurde die Kolonialfrage in Afrika vollends ins Rollen und zur Entscheidung gebracht.

Während die Mächte nach 1875 eine fieberhafte Tätigkeit entfalteten, kam in Deutschland der koloniale Gedanke nur langsam zum Durchbruch, und noch langsamer erfolgte die Verwirklichung desselben.

Wohl hatte Deutschland durch eine ganze Reihe von Männern, die ihr Leben in den Dienst wissenschaftlicher und kolonialer Forschungen stellten, eine führende Stelle eingenommen. Bedeutende Missionsarbeiten edelster Art waren von deutschen Missionaren unternommen worden. Nur einige führende Namen seien aus einer glänzenden Schar hier genannt. Einer der größten Forscher, dessen Werke heute noch grundlegend sind, ist Professor H. Barth (1821—1865), der allein ungeheure Gebiete erforscht hat, ferner solche mit dem Deutschen Dr. Overweg, der (1852) am Tschadsee starb, mit Vogel, der ermordet wurde (1865), mit der englischen Expedition Richardson, die er weiterleitete, als ihr Führer starb, mit Eingeborenen-Horden, in Be­

gleitung von Sklavenjägern und wilden Stämmen. Dank hat er wenig für seine Taten geerntet. Ein energischer, wagemutiger Forscher war G. Rohlfs (1831—1896), Generalarzt der Armee des Sultans von Marokko, der einzig­

artig schwierige Expeditionen unternahm. In Abessinien war er (1880—81) Gesandter und (1884—85) in Sansibar Generalkonsul. Ein großer Forscher war Professor G. Schweinfurth, 1836 geboren, der als Forscher in Afrika wie in der Heimat viel für die deutschen Kolonien gearbeitet hat. Er starb, fast 90 Jahre alt, am 19. September 1925. Ein sehr verdienstvoller Mann ist der Militärarzt G. Nachtigal (1834—1885), der nach großen Forschungen in der Sahara und im Sudan Gebiete betrat, die kein Weißer je lebend ver­

lassen hat. Nachdem er auf seiner Fahrt mit der „Möwe“, an deren Bord er auch gestorben ist, in Togo, Kamerun und Südwest die deutsche Flagge

30 Das Erwachen des Kolonialgedankens in Deutschland

gehißt hatte, ist ihm als einem Mitbegründer des jungen deutschen Kolonial­

reichs auf seinem Grabe in Duala ein Denkmal errichtet. Eine gewaltige Gestalt im Kolonialdienst ist der Oppelner Arzt E. Schnitzer (1840_ 1892), der Leibarzt Gordons, von dem er in türkischen Diensten, wo er den Titel Emin Pascha angenommen, fan Jahre 1878 auf den brenzlichsten Posten des britischen Weltreiches als Gouverneur der Äquatorialprovinz gestellt wurde. In dem ungeheueren Flammenmeer des Mahdi-Aufstandes, in dem auch Gordon ermordet wurde, war er der einzige Mann, der dem Mahdi unbedingt standhielt, bis er mit Stanley (1889), der ihn auf suchte, nach Bagamojo in Deutsch-Ostafrika zog. Von dort unternahm er in Reichs­

diensten weitere kühnverwegene Reisen bis an die großen Seen, wobei er den wichtigen Sklavenmarkt Tabora im Innern besetzte. Er wurde von dem Sklavenhändler Kibonge ermordet, als er einsam und allein, von Malaria und Fieber geschwächt, halbblind und halbtot, seine Forschungszüge bis gegen den Kongo ausgedehnt hatte.

Noch eine ganze Reihe von Forschern, Wißmann, Peters, Mayer und viele andere weckten in Deutschland das Interesse für die Kolonialbewegung.

Nach Besitznahme der Schutzgebiete dehnte sich ihre Tätigkeit weithin aus, so daß große Gebiete, wie das ehemals unbekannte Deutsch-Ostafrika, heute zu den besterforschten Gebieten Afrikas gehören. Diese Expeditionen und Forschungen, wie die des Großherzogs Adolf von Mecklenburg, sind heute noch in Erinnerung. Viele dieser Forscher leben noch und arbeiten in der Heimat weiter, da ihnen ihr Betätigungsfeld draußen durch den Vertrag von Versailles und die Artikel des Völkerbundes verschlossen wurde.

Auch die Arbeiten der Missionare lenkten Deutschlands Aufmerksamkeit auf die edelste Art von Kolonisation, auf die Arbeit der Zivilisation im dunklen Erdteil, sowie auf die Erforschung unbekannter Welten.

Der Missionar Dr. J. L. Krapf (1810—1881) arbeitete zuerst in den Ländern Ägyptens und in Abessinien. Im Jahre 1843 gründete er eine Station in dem klassischen Lande des Sklavenhandels, in Rebai bei Mombasa, von wo aus er (1848—52) wichtige Entdeckungsreisen in das schwer zugängliche Hinterland des Kilimandscharo und nach den Bergen des Kenia unternahm.

Sein unermüdlicher Gefährte war sein Landsmann, der württembergische Missionar J. Rebmann (1820—1876). Schon vor dem schottischen Missionar Livingstone hatten die evangelischen Missionare der rheinischen Missions­

gesellschaft unter ihrem Führer und energischen Leiter Hahn ihre Forschungsreisen und Arbeiten in einem der schwierigsten Gebiete ausgeübt, in dem von ewigen Kämpfen zwischen Herero, Buschmännern und Hotten­

Das Erwachen des Kolonialgedankens in Deutschland 31 totten aufgewühlten Gebiete von Nama- und Damaraland, dem späteren Deutsch-Südwestafrika. Im Sudan erweckte der Tiroler Pater Ohrwalder, der mit vier Schwestern in der Gefangenschaft des Mahdi geschmachtet und durch eine abenteuerliche Flucht aus der Höhle des Löwen entwichen war, großes Interesse für den dunklen Erdteil. Bescheiden klingt das Wort des biederen Tirolers über seinen österreichischen Landsmann Rudolf Slatin, den Verfasser von „Feuer und Schwert im Sudan“, der als „Slatin Pascha“

den Gouverneurposten von Darfur tief im Sudan innehatte und ebenfalls in des Mahdi Gefangenschaft geriet: „Ich war nur ein gefangener Missionar, dessen Existenz bei den neuen Herren des Landes wenig Beachtung fand und bald vergessen wurde, während Slatin Pascha, im Mittelpunkt der Er­

eignisse stehend, unter den Lebenden als der Berufenste erscheint, die mah- distische Bewegung richtig zu beurteilen.“

Wie in anderen Ländern waren auch in Deutschland Gesellschaften gegründet, die die koloniale Idee förderten. Die erste war die deutsche Gesellschaft zur Erforschung von Äquatorialafrika, die in Berlin (1873) errichtet wurde. Zwei Jahre später wurde in Berlin das Nationalkomitee zur afrikanischen Gesellschaft gegründet. Beide vereinigten sich 1878.

Die Handelsstationen in Übersee arbeiteten viele Jahrzehnte praktisch für koloniale Wirtschaftspolitik, besonders die Firma Godeffroy & Sohn aus Hamburg, die in Südamerika und in der Südsee bedeutende Handelsnieder­

lassungen hatte. Um die Südsee hat sich die Firma hoch verdient gemacht, auch durch wissenschaftliche Forschungen. Im Jahre 1873 ging aus ihr die

„Deutsche Handels- und Plantagen-Gesellschaft der Südsee-Inseln“ hervor.

Von Bedeutung wurde der „Deutsche Kolonialverein” unter dem Fürsten Hermann zu Hohenlohe-Langenburg, der 1888 zu dem Zwecke gegründet war, im Volke die Bewegung der kolonialen Betätigung auszubreiten.

Andere Gesellschaften folgten mit dem Erwerb der deutschen Schutzgebiete.

Zur Gründung eines Weltreiches, wie die „Ostindische Handelskompanie“, hat es aber keine dieser Gesellschaften gebracht. Ihre Besitzungen und Rechte wurden bald unter die Hoheit des Staates gestellt, was sich als er­

probterer Weg der Kolonialpolitik erwies.

Zu den Arbeiten dieser Männer und Gesellschaften kam ein tiefinnerer Grund, der wesentlich auf koloniale Betätigung drängte. Es war die deutsche Auswandererfrage, die schon in den Jahrzehnten nach den Befreiungskriegen auf eine koloniale Ausdehnung hingezielt hatte, ohne aber zu einem Ziele zu führen. Die Auswanderung aus Deutschland betrug im neunzehnten Jahr­

hundert zwischen vier und fünf Millionen Menschen. Eine Unsumme nicht

32 Das Erwachen des Kolonialgedankens in Deutschland

nur bester Arbeitskraft, kühnen Unternehmungsgeistes, gesunden Volks­

blutes ging damit dem Vaterlande verloren, sondern auch eine große Menge gediegenen Kapitals an Geld und Gut. Und während Engländer, Russen und Franzosen, selbst die Iren, in Staaten und Kolonien auswandern konn­

ten, wo sie ihre nationale Eigenart bewahrten, verschmolz der große Strom deutscher nationaler Eigenart in der neuen Heimat mit denen anderer Völker, besonders der angelsächsischen Welt und Rasse.

Namen wie Emin Pascha, der seine besten Lebensjahre in englischen Diensten verbrachte und Hermann von Wißmann, der eine Zeitlang im Dienste der internationalen afrikanischen Gesellschaft seine großen For­

schungsreisen unternahm, erinnern uns daran, wieviel deutsche Kraft auf kolonialem Gebiete im Dienste fremder Nationen auf gebraucht wurde. Ein Schulbeispiel dieser Art ist der in Deutschland fast unbekannte Forscher Julius von Haast — um nur einen Namen zu nennen—, der in der Südsee in Ehren fortlebt in „Haast-Fluß, Haast-Spitze, Haast-Gletscher“, die im Hoch­

gebirge von Neuseeland an seinen Namen erinnern. Mit dem deutschen Geo­

logen Ferdinand von Hochstätter arbeitete er zuerst als Forscher in Neusee­

land, dem er dann seine ganze Lebenskraft widmete, wodurch er sich dauernden Ruhm geschaffen — in englischen Diensten wie so viele seiner Landsleute. Aber er hatte seine deutsche Heimat unter dem fremden Himmel, unter dem er starb und begraben liegt, nie vergessen und nie verleugnet.

Hier drängte sich zwangsläufig der Gedanke auf, einen Ausweg zu schaffen.

Er lag in dem Kolonialerwerb, wo Deutsche ihrem Heimat- und Volksgefühl treu bleiben konnten. Bismarck, der einen feinen Sinn für Witterungen und Stimmungen unter dem Volke hatte und auf diesen seine Politik aufbaute, ließ nur langsam die Gründe für eine Kolonialpolitik bestimmend sein Handeln beeinflussen. Außenpolitisch konnte er die fieberhaften Bemühun­

gen der Mächte um Afrika nach 1880 nicht mehr übersehen. Als er 1880 das Handelsministerium in Preußen übernommen, mochte er sich an das Wort des Großen Kurfürsten von Brandenburg erinnern: „Seefahrt und Handel sind die fürnehmsten Säulen eines Staates.” Innenpolitisch mußte ihn die wachsende Industrie, die auf Ausfuhr und Absatz angewiesen war, bestimmen, Weltmärkte zu erwerben. Nach Englands Vorbild in der Politik gab es, diese dauernd zu sichern, nur ein Mittel, Kolonien in irgend einer Form zu erwerben und zu halten, zu stützen und zu entwickeln. Dazu ge­

hörte aber eine Flotte. Wenn Bismarck sich lange der letzten Notwendigkeit verschloß, um England nicht zu nahe zu treten, so trat er doch schon 1883 ebenso klug wie energisch für eine deutsche Kolonialpolitik ein.

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