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Philosophie und Leben. Jg. 4, H. 11 (1928)

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Academic year: 2022

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lp>l)tlcifoplne tmö Heben

L JAHRGANG + 11. HEFT + NOVEMBER 1928

„3m iDtenße ber IDolhöetnbett erßrebt unfere eine fad)»

litl)f 2tuefpratbe ber betrieb en en toeltanfcbaultdKn Htd)tungcn.“

B o n n e r H e f t : D ie A ufsätze dieses H eftes sind von Dozenten der Päd- agogischenA kadem ie zu Bonn verfaßt.

©emdnjcfyaff im ßferätiföen

35on 3 o f e p f) 21 n fc

SieNeuorbnung betßebrerbilbung in Preußen bat bieAllgemeinbilbung oonberBerufsbilbung in ber2Beife getrennt, bafe bie fog.AIlgemeinbilbung auf einer neunftufigen höheren ©ctjule ober einer ibr glekbtoertigen 2ebr=

anftalt erworben toirb, toäbtenb ber päbagogifcben Afabemie bie Aufgabe geftellt ift, bie Berufsbilbung gu oermitteln. 3nfolgebeffen bat bie Siteratur in ber totffenfdjaftli^en Arbeit ber Afabemie feinen ‘’Plafe. SBobl beftebt bie SRöglicbfett, iiteraturtoiffenfcbaftlicbe gragen in toablfreien Vorlefun=

gen unb Übungen gu bebanbein, aber niemanb ift oerpflicbtet, fie an=

gubören ober an ibnen teilgunebmen. Aucb bieten bie Unterrid)tsbefucbe unb bie ficb anfcbliefeenben Bestechungen, bie ber „(Einführung in bas Bilbungsgut ber Volfsfcbule unb feiner unter riebt lieben Verwertung" gu bienen baben, aucb ©elegenbeit, ben B lid auf bie Sichtung gu richten.

Aber biefe Betracbtungsweife mufe eine oortoiegenb bibaftifdje fein; fie richtet fid> überbtes in erfter Sinie auf bie ©attungen unb SBerte ber ßiteratur, bie bem Volfsfcbulalter entfpreeben.

Nun gehört es aber gur „päbagogifcben ©eiftesbattung", bafe ber Sebrer, ber Vermittler ber Bilbungsgüter an bie 3ugenb, oor allem in einem lebenbigen Verhältnis gur nationalen Sichtung ftebe, gu jenem

©eiftesgute, bas feinem Söefen nad) urfprünglid)fter Ausbrud, natür=

liebfte Vertörperung, aber auch ftärtftes görberungsmittel menfd)licber

©efittung unb Bilbung ift. SBenn bie ^äbagogifdje Afabemie feine befonbere Arbeit gur Anbahnung unb Befestigung eines folcben Verhält*

niffes oorfiebt, fo liegt bem toobl bie Vorausfefeung gugrunbe, bafe ga*

miiie unb 6d)ule fie fd)on getan haben. Sem ift nicht fo.

Set Abiturient ber höheren 6d>ule bringt getoife eine SERenge lite- raturgefcbid)tlid)er Kenntniffe mit. (Er bat feinen ©eift burd) bas <Ein=

bringen in flaffifcbe Sichtungen unb anbere 6d>rifttoerfe geübt unb be=

^PbUofopbie u nb Seben. IV . 21

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306 © e m e i n f c & a f t i m l t t e t a i i f $ e n 3 i r t c l

reichert. 2lber ber Unterricht an fid) unb in ben meiften gällen wohl auch bie gorm bes Unterrichts brauten es mit fich, bafe ihm bie Sichtung als ein ßernobjeft erfchien, als ein Unterrichtsstoff, ber bearbeitet würbe, SSRühe unb 33erbrufe bereitete rote anbere ©egenftänbe bes Unterrichts auch, ber aber nur feiten bas innerfte Söefen bes 2efenben berührte unb ergriff, nicht „weifte ber bunflen ©efühle ©ewalt, bie im f>erjen toun=

berbar fchliefen". 33ertrautfein mit ber Sichtung, Siebe 3U ihr, Umgang mit ihr — fie gehören nicht sur Sebensform bes Surchfd)mttsfd)ülers ber höheren ©chule.

(Es toäre ungerecht, bie Urfache biefer Srfcfjeinung ausfchliefelid) in einem 33erfagen ber höheren ©chule ju fehen. Söielleicht oerfagt bie ga=

milte nod) ftärfer. Sie 3ahl &er gamilien, in benen bie Sichtung als ein

©egenftanb lebenbigen Ontereffes, eine Quelle gemeinfamer greube gilt unb wirft, ift fehr flein. Sie §aft bes (Erwerbslebens, bie ftürmifdje (Ent- widlung ber iechnif riefen eine Umtoaljung ber Sebensformen, eine Utn=

fchichtung ber Sebensinhalte heroor, bie fehr ftar! auf bie Ougenb toirfen, ja auf fie am ftärfften. 53om Oüngling 2tlejanber erzählt man, bafe er bie 3lias toährenb ber 9tacht unter bem Üopffiffen aufbewahrt hohe.

Unfere 3ugenb hat anbere gelben, bie fie in ihre wachen Änabenträume begleiten: ©tuhlfaut, ‘’Pelfeer, oielteidjt gar ©chmeling ober Junnep.

©letchioohl ift bas 3ntereffe an ber Literatur gröfeer, als man nach alle=

bem glauben follte, bei manchem ©tubenten fogar lebenbig wirlfam. 2Iber es ift im allgemeinen fehr wenig oon ber ©chule geleitet. SBenn man genauer sufieht, welche Bücher ben jungen SRenfchen lebenswichtig er=

fcheinen, fo fann man bie oerfchiebenften Sinflüffe feftftellen. (Ein ftarfes foaiales, womöglich oom Sozialismus her genährtes Ontereffe führt bie=

fen unb jenen 3U ben beutfchen 2lrbeiterbid)tern, ju Serfd), Kröger,

^efeolb ober 3u bem Sänen 2lnberfen=3lejö. Sie Seute, bie oon ber fatholifchen 3ugenbbewegung herfommen, lefen ©uarbtni ober Herwigs 6t. ©ebaftian oom SBebbing, 2ßeismantel ober Sorge. Sie 33enufeer ber 25olfsbtbliothefen bes SSorromäusoereins lefen gebetet, Sörfler, fmnbel- SKajetti, »ielleicht auch ‘'Paul Heller ober |>ans (Efchelbacf) unb halten alle biefe 33ücher für beachtenswert. (Solche, bie ber »ölüfchen Bewegung naheftehen, greifen aur (Ebba, jum 33eowulf, ben f>elbenfagen ber ger=

manifchen grühaeit ober 3u ©rimms 33olf ohne Staunt. Sie mit ihren literarifchen 3ntereffen in ben ^ubertätsjahren ftedengeblieben finb, fom=

men nicht über ©cheffels (Effeharb ober Sahns Hatnpf um 9tom hinaus.

Sie gebanfenlofen SSiellefer hängen an ben 3Melfchretbern |>er3og, Sauff, fwcfer, ©träfe, 33loem. Sie feinneroigen greunbe ber ^unft halten fich an 9ttlfe, 3weig, ©tephan ©eorge, fmgo oon £>ofmannsthal, an 2Berfel, grife oon Unruh, Thomas Sötann, f>ermann fjejfe. Sie grofeen 9tufjen Solftoi unb sumal Softojewffi hohen manche greunbe. 2tber wie feiten

(3)

© e m e i n f c h a f t im l i t e i a r i f c h e n g i r f c l 307

trifft man ben Siebljaber ber guten beutfcben Ersäbler, ber Abalbert

©tifter, Otto Subwig, SBilljelm 5Raabe, ©ottfrieb Keller, E. g. 2Reper, ben Sefer ber Sramatifer fjebbel, ©rillparjer ober Kleift, ben greunb ber beften Sprifer SERörtfe, Eid)enborff, Vrentano ober gar ©oettje an!

60 erfreulief) es nun ift, toenn fid) ein urfprünglidjes, felbftänbiges 3ntereffe obne ©ängelung regt, toenn fid) bte jungen 9Renfcf)en iE)ten eigenen 3Beg gum Schrifttum bahnen, fo toerben bod) bem ©ud)enben manche 3rrwege unb geljlgriffe erfpart, toenn er fid) einer Seitung an=

oertraut, bie fein ©efpür fd)ärft unb feine 3Banberfreube wedt. ®ie jungen 9Renfd)en fddiefeen fid) gern 3u freien Vereinigungen gufammen, um gemeinfam mit einem freigeroäljlten gübter bie galjrt gu wagen,

©erabe bie Unterrichteten empfinben es, bafe folche gütjrung it)nen eine gute |)tlfe fein fann. Vielleicht bietet gerabe biefe gorm bes ©tubiums ber Siteratur, beffer gefagt: bes Verfeljrs im 9teid)e ber Sichtung, bie 3Rögltd)feit gur Anbahnung eines innigeren Verf)ältniffes jur ®id)tung.

3n einem folcfren Kretfe fann bie ®id)tung fo wirfen unb empfangen werben, wie es ifjrent Vkfen entfpricf)t- ©ie fann erfreuen, rühren, be=

geiftern, erfd)üttern. Es ift nid)t bas erfte, bafe über fie nad)gebad)f unb gefprod)en wirb, fonbern bafe fie felber fpred)en fann. SSRan wirb in einem fold)en Kreife ersähen, oorlefen, rejitieren. Unb es foll möglid)ft ber befte Sprecher 3U SBorte fommen. ®as ift nid)t immer ber, ber bie Tedmtf bes ©pred)ens am beften meiftert. 5)ie Echtheit unb ©tärfe bes Erlebniffes ber 2>td)tung wirb fid) als bte grunblegenbe Vorausfefcung ber ftnnfälligen Verförperung erwetfen. @0 wtrb bie ®id)tung als eine eble, erfreuenbe ©abe, als ein ©efct>enf gegeben unb angenommen. Es werben barum nid)t in erfter Sinie gefd)id)tlid)e ober ftiliftifdje ober bi=

baftifdje Überlegungen bei ber Auswahl ber Stiftungen mafegebenb fein;

benn es fommt uns ja nicf)t auf gefd)id>tlid)e ober äftf)etifcE)e unb anbere Kenntniffe an, fonbern wir wollen ben ©inn ber ®id)tung an uns erleben.

Eine Läuterung unb Vertiefung unferes ©efü^lslebens foll uns suteil werben. SSBenn wir aud) Kenntniffe gewinnen, fo ift es bte Kenntnis bes 9Renfd)en^ergens überhaupt, bas Verftänbnis für feine SRätfel unb Ab=

grünbe. Söas 5lutf) ©d)aumann oon ben Vierten 'Peter Dörflers fagt, gilt oom SBirfen jeglidjer Sidjtung: „Sies ift in ber Vüdjer ©eift..., bafe er aus fid) t)inwetft auf bas um bid) lebenbe Seben, Vrüden fd)lägt unb ©d)uttl)aufen abräumt, alfo bafe bu über ©d)lud)ten flimmenb erblidft, wie unter Trümmern fo guter ©aatboben fein mag, wie bu es nie gebaut, etn Sid)tlein tm ginftern, garbe im ©chatten, ‘ffiärme im garten, Siebe in ber Armut unb im SReid)tum ein Vetteln um Er=

barmen."

SBenn es fid) aber barum banbelt, bie ®id)tung als Offenbarung bes 3Renfd)enf)er3ens bmgunebmen, fo ift es nicht ratfam, mit mobernen

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308 ©emeinfcfcaft im literatifdjen 8 i t f c I

Sichtungen gu beginnen, bei benen entweber mehr ober minber inbi=

oibuetle gormprägung ober aeitgefchichttich bebingter 3beenget>alt r»on vornherein bie Aufmerffamfeit ber |)örer ober Sefer ftärfer feffeln, als für bie ©innerfaffung ber Sichtung fßrberlich ift; bas mehr Dom Ver=

ftanb, »om Wiffen hergeleitete ftarfe Öntereffe, bas erfahrungsgemäß gerabe oon jüngeren 9Jtenf<hen mit höherer ©chulbtlbung ber Sichtung unferer Seit entgegengebracht toirb, bürfte für bas rein fünftlerifche unb menfchliche (Erlebnis eher ftörenb als förbernb wirfen. SSRan toirb baher gunächft Sichtungen oon mögliihft allgemein menfchlichem ©ehalt unb ausgefprochen objeftioer gorm barbieten, beutfche Votfsmärchen, Anef=

boten, Ballaben, lprifct>e ©ebichte oon ©oethe, SRörife, Hebbel; man mirb babei aunächft ben Werfen aus bem Wege gehen, auf bie fich ber

©chulftaub niebergefeßt hat. Rtan toirb, um fpürbar toerben au taffen, toie bie menfchlichen ©efühte im ©runbe au allen Seiten unb bei allen Völfern biefelben finb, alte unb neue Sichtungen, bie beutfche Sunge unb bie ©timmen anberer Völfer aufammenflingen Iaffen. Über bas 3Jlärd)en oon bem gifcher unb fpner gru, ber großartigen Sarfteltung ber totlben Begterbe nach bem Reichtum, fann man eine (Eraählung toie bie oon STolftoi ftellen, in ber eraählt toirb, „toie oiet (Erbe ber Rtenfch ge=

braucht". W ie oft haben bte Sichter bas hot)e Sieb oom ftarfen Heraen bes Iiebenben Weibes gefungen! S a haben toir bie SERärchen oon ber weißen ©chlange unb ber Rife im Seich, bie Volfsballabe oon ber fchönen jungen Silofee, aber auch galfes ,,©<hnitterin" unb (E. g.

3Repers „SfJtit gtoei Worten", „(Elfi, bie feltfame SRagb" oon 3eremias

©otthetf unb fo »tele anbere. Wenn toir folche Afforbe erfltngen taffen, fo rüden bie in ber herfömmlichen 23etra<htungsweife fo ftarf beachteten gragen an bte ©eite, wohin fie gehören. Soch ift bamit nicht ausgefchIof=

fen, baß bem ©efamtwerfe eines Sichters befonbere Aufmerffamfett ge=

wibmet werben fann, baß ein einaelnes Werf oon allen ©eiten her be=

trachtet wirb, wenn bie gemeinfame Reigung baau führt. Überhaupt wirb es für bas ©ettngen ber Arbeit wefentlich fein, baß bie neu gewonnene

©t<ht bet Singe alle Seilnehmer au einem fröhlichen ©uctjen unb SERit*

bringen führt, baß bie Sufammenfünfte, bei benen auch bie SERufif mit=

fprechen muß, mögtxchft wenig oon Unterrichtsftunben an fich tragen, fonbern als Äußerungen einer feinen, geiftigen ©efeltigfeit erfcheinen, bei benen bte Sichtung in bas Seben eingebaut ift.

(Es liegt nahe, baß in einem Kreife wie bem unfrigen auch bte grage ber Vermittlung ber Sichtung an ihre jungen unb alten greunbe in t ©chule, gamilie, Ougenbgruppe unb anberen ©emeinfchaften befprochen wirb. 3Ran fann bas tun; man fann es auch bleiben Iaffen in ber (Er­

wägung, baß bie ganae gorm unferes Sufammenfommens unb Sufarn»

menwtrfens päbagogifche Kräfte wecft, bilbnerifche gähigfeiten entbinbet.

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3B crtgcmcinbc 309 Snbem ber einaelne Teilnehmer aus eigenem Antriebe gute Sichtung mitteilt, fpürt er an fich fdber, was fie im Seben bebeutet, erprobt er, toie fie bargeboten »erben mufe, toenn fie toirfen foll. Vor allem aber:

inbem fie ihm Sebensgut wirb, bas ihn nährt unb bereichert, toirb in ihm ber Mitteilungsbrang lebenbig, fühlt er fid) angetrieben, anbere ju

„©enoffen feiner greube" au erziehen. Sie ber ©elbftbilbung getoibmete Arbeit förbert bie päbagogifche Haltung unb Befähigung.

2Öcrfgcmdn5c

(Ein SStief »on © t e g f r i c b 33 e b n

Sieber Dr. G. 21. S . . . . !

Was benn eine Werfgemeinbe toäre? Sebenfalls nichts, toas ich aus- gefonnen ober auftanbegebracht hätte (toie 6ie 3u oermuten fdjeinen).

tlud) bie jungen ©tubenten, toeld)e barin eine ©emeinfehaftsform fuchen, oermeinen nicht, ba toieber einmal ettoas fehr Reues erfunben 3U haben.

@ehen ©ie, bestoegen fpmpathifiere ich mit biefer fleinen Werfgemeinbe.

Set heute fonft gehäffchelte füfee Ougenbtoahn, als feien tppifdje Slnfech- tungen ber Reifungsaeit unerhört originale, fo nie bagetoefene Jragöbien auserlefener 3nbimbualitäten, ift ba herahaft preisgegeben. Unb boch finb es feinestDegs atoeifelnbe grühergreifte, fonbern meift recht rottoangig auoerfichtliche Oungens, benen bas neroöfe ©efpreiae mit 53efonberlich=

feiten autoiber ift. Seren ©ache ift nicht ber Weltoerbefferungsenttourf Rr. 1001. Sie fpüren oielmehr, toie fehr ber ©tubent oon heute baran franft, bafe bie beutfehe Ration leinen oorbilblidjen 3Renfd)enftanbarb ausgeftaltet hat. ©ie toollen aus unfidjerer Haltung, fleinlichen Ver­

legenheiten ebenfo heraus, toie fie ber Rottoenbigfeit enthoben fein möchten, für irgenbtoeldje irgenbtoann toieberlehrenben 2llltäglicf)feiten eigens angemeffene Sebensftilformen jebesmal „mit innerer Wahrhaftig­

leit fchöpferifch au geftalten." Kura, — fie miffen fchmeralid) bie unge­

brochene Überlieferung heiter=flöfterli<$er, frei=ritterlid>er Sebensgemein- fchaft, toie fie (Englanb in feinen Colleges mühelos als (Erbe befifet. Sie toollen nicht nachahmen, übertragen, einführen. Sie toollen fich ftatt nebelhafter 53ünbelei bie alte 23urfe neueinrichten. (Rebenbei: haben ©ie bemerft, bafe bie Unioerfität 33onn neben ber Mensa Academica ihre erfte ©tubentenburfe einrichtet?) (Es toirb alfo nicht mehr mit bem alten Vorurteil gegen „Internate" haufiert. gür ben ©tubenten, ber, ohne ba- oon au toiffen, in ben Senfgetoohnheiten bes neunaehnten Sahrhunberfs lebt, flingt beim Worte Internat ettoas »on internieren, b. i. (Einfperren im Unterton mit. ©agt man (Eigenhaus ber Werfgemeinbe, Heimgarten ober fo, bann ift ber falfche 3Ton toeggeblafen. Man benft jeftt an ben

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310 S B e t l g e m e i n b c

eigenen unb gemeinfamen STifd)- Ser für 3bealismus unb Aufrichtigfeit entflammte Primaner bes »origen 3ai)rf)unberts ftrafte jeben mit Ver*

ad)tung, ber auf bie gute Sifchfitte Söert legte. Sie fd)led)ten Rtanieren unb ungejogenen Angewohnheiten bes fchwärmenben 3Belt»erbefferers fc^ienen menfdjenwürbig.

Es fann aber niemanb ben Anfprud) erheben, feine SERitmenfchen ju eraiehen, wenn er fid) nicht benehmen fann. Sie (Energie eines Vlut»

aeugen ift bem »onnöten, ber nur einen Sichtfchimmer oon ©üte in biefes

®afein bringen möchte; — unb folche Seute wollen mit ber 3Belt»erbejfe=

rung fertig werben. (Sie werben ja nicht einmal mit bem 93eftecf fertig.

Oft es unumgänglich ju fagen, bafe feinere gormen nur beherrfchen lernt, wer feinerer ©efinnung teilhaft wirb? Ein heiliger in Sumpen wirb nicht umhin fönnen, fich höchft föniglich au gebärben. Von ben gegenwärtigen

©tubenten unb fünfttgen Eraiehern bürfen bie Sumpen erft beanfprucht werben, wenn fie etwa ^eilige finb. 23is bahin ift es befrfjeibener unb geatemenber, fid) ftanbesgemäfe au fleiben; bann t*erfprtd)t man jebenfalls nid)ts, was man nicht halten fönnte. Rieht bas Rebeneinanber-im |jör=

faal »erfdjmilat ©tubenten aur ©emeinfehaft, fonbern gemeinfames Seben, gemetnfame Erholung, gemeinfamer ©port, gemeinfame Paufe. ©emein=

fd>aft entfteht über geteilten 5^[einigfeiten bes Sebens, bei freunblicher f>anbreichung, unauffälliger Rüdfid)tnahme, währenb anfälligen ©e=

fpräd>es, »or allem in ber Kamerabfchaft. 3öas bie Ruberboote auf ber Shemfe »ermögen, — follte es benen auf bem Rheine »erfagt fein?

Am Snbe ift bas Rubern nicht fo befonbers britifch, bafe feine Übung beutfehe Oungens »erenglänbern fönnte. 3d) würbe froh fein, wenn eines fdjönen Sages eine rheintfehe Afabemie gegen unfere Sßonner 53oote ru=

bem würbe. Senn immer mit bem eigenen 93unbe rubern — auf bie Sauer wäre es bod) fo, wie wenn jemanb immer mit fich allein ©d>ach fpielen wollte. 3n irgenbeiner wohligen Abenbftunbe ©chadj fpielen, bas hilft wieberum mit aur Kamerabfchaft. greilid) nur wenn eigne Räume

»on gefunber SBohnlichfeit unb reinlichem Atem umgeben. Sas heifet:

bie SBerfgemeinbe brauet ein Eigenhaus. Unb es ift eine foaiale Sat, ihr eines fchaffen au helfen. Sas hat eine ©efellfchaft ber greunbe fchon empfunben unb fie ift am SBerf. Es fteht au fwffen, bafe es gelinge, wie aud) bie Uni»erfitätsburfe gelungen ift. greilid) hat hier eine ältere unb eingearbeitete Organifation fchon länger »orgearbeitet. Reib ergriffe uns

— wüfeten wir nidjt, bafe Überlieferungsftörungen fehr fdjwer wettau=

machen finb — angefichts ber gewaltigen SRittel, bie engltfchen Eolleges aus alten Pfrünben ungeftört übererbt worben finb. Uns fehlen ihre Ka=

pellen unb 23ibliothefen, ihre ©peiferäume unb Kluhaimmer, ihre ©trafeen unb Räuschen. 3n Seutfchlanb mufe nod) ber ©runbftein gelegt werben,

©ehr fchlicht wirb bas erfte f)aus anaufd)auen fein; jeboch mit wenig

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S B e r t g e m e i n b e 311

Mitteln läfet fich behaglich einrichten. 3n Qberfchlefien ber f)eimgarten

»on Clemens SReumann fann bas meifte lehren.

Erft wenn bie jungen Stubenten genieinfam miteinanber wohnen, in einem £>aufe ober in einer Kolonie, werben fie bie ergieherifche ^öechfel*

roirfung aufeinanber üben, an ber alles gelegen ift, erft bann werben fie e<$te Sitten bilben, erft bann roerben fie erfennen, wer unter ihnen ber geborene gührer ift. Sold)es barf fie nicht baran hinbern, bafe ber jüngere Kreis in 3ufunft bie unanmafeliche Autorität bes älteren Kreifes achte.

Sen Steulingen toirb ja eine ^robegeit gewährt, währenb berer fie fich prüfen fönnen, ob ihnen bas gemeinfame Sehen in ber SBerfgemeinbe ge=

falle. Safe auch bie mufifchen Kreife ©leichgeftimmte enger gufammen=

faffen, ergibt fich bei fonft gemeinsamem ßeben zwanglos. Sas fmrn mit ben gemeinfamen ^Räumen bereitet {ebenfalls beffer auf bas ga=

milienleben »or, als bie „Bube", — unb beffer auch auf bie ©efellfchaft.

Unb ba freilich beginnen, id) oerhehle es 3hnen nicht, bie 9Keinungsoer=

fd)iebenheiten mit einem Seil meiner jungen greunbe.

SKeine jungen greunbe finb mifetrauifd) gegen bie gute ©efellfchaft.

Sas haben fie noch »on ber 3ugenbbemegung her in ben ©liebem. Sie meinen, bie alte ©efellfchaft habe ben Krieg oerloren; unb beshalb fei fie böfe (fie habe oerfagt, fo heifet es gewöhnlich). 3ch weife nicht recht, ob bie frangöfifche ©efellfchaft gut ift, weil fie ben Krieg banf ben Amerifa=

nern fchliefettch jufällig nicht oerloren hat. 3n Amerifa meint bie 3ugenb nicht, bafe bie ©efellfchaft böfe fei. Unb bod) ift fie bort nicht eben beffer, als anberswo fonft (in Europa g. 53.). Sie beutfdje 3ugenb hat noch et=

was Befonberes gegen bie ©efellfchaft auf bem bergen. 3l>re gormen feien nid)t wahrhaftig unb aufrichtig. 3cf) weife nicht, ob es gut ift, je=

menbem bie §anb gu reichen unb fchlecht, fie fich felber gu fdjütteln.

9Racht es einen Unterfchieb, ob man einen jungen SERann f)err Softor ober Eure blühenbe ‘Jßeisheit nennt? Einen Unterfchieb in ber 3Baf)r*

haftigfeit? Säufst fid) ein Angehöriger ber ©efellfchaft über ben Kurs- wert jener gängigen Obligationen ber f)öflicf)feit? Niemals. 3ch mufe geftehen, id) fehe nicht, warum es moralifd)er fein foll, einen 9ERenfd)en, ben man nicht bugt, mit 3hr angureben, ftatt wie bräuchlid) mit Sie; fo=

wenig id) für „S ie " eintreten würbe, wenn „3ht" üblich wäre.

Biel ernfter als biefe querelles d’allemand ift bie grage, wie fid) ein Stanb bie gührerfchaft erhalten ober oielletcht gar gewinnen will, wenn er babei gewillt ift, bie gormen unoerpflichteter unb eigenfinniger Aufeen=

feiter hergutrofeen. SEReine jungen greunbe finb in biefem fünfte nod) nicht gang mit fid) im flaren. Über Samtjaden lachen fie unb meinen, einem echten Künftler ftünbe bie unauffällige Krawatte beffer an, als ber wehenbe 2ßimpelfd)lips. Sie überfchäfeen, glaube id), ben SBert ber SSBanberoogeltracht nicht mehr, obfdjon fie ben Einbrud biefer uneuro=

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312 S B e r t g e m e i n b e

päifchen Mobe auf italienifche ©ehirne faum gang ermeffen. (Rur »oll- enbet gebaute 93eine tonnte man io ejponieren, unb bie finb »eit feltener als manche gu glauben fleinen). Slllein im ©eifte tragen »iele oon ihnen immer noch bie ©amtjacfe bes aufgeflärten Onbioibualismus. Möchten fie unbefangen in ben Spiegel ber ©efchtd)te flauen. Set braufenbe ©tront ber Slufflärung fliefet allmählich matt; ja er ift im ©anbe ber Rieberung faft perriefelt. 2ln ben tropfenben Rinnfalen fiebelt nur noch bie moberne Päbagogif mit Slnfchaulichfeü, öntereffe, Erlebnis unb ebenfo fritifdjer

»ie empfinbfamer önbioibualifät. 3cf> müßte es fchmergltch bebauern, wüfeten fich meine jungen greunbe feine reinere Ehre als bie Sefjten Pom

©tarnme ber Slufflärer gu heißen.

Sieber greunb! ©gelten ©ie mich anglophil unb entfchulbigen ©ie mich mit meinem |)anfeatentum; aber leugnen ©ie nicht, bafe ber unbe*

trügbare 3nftinft ber 2lngelfachfen in ber Mobe bes 3nbi»ibualismus bie fchlechten Manieren burchfchaut hat. 3e mehr man nämlich eigentlich unb

»trflich i ft, befto weniger hat man es nötig, trgenb etwas barguftellen.

Rapoleon war ein geborener Kaifer; er fleibete fich meift fo fchlicht wie möglich, unb war boch ber Erfte unter feinen golbbefticften Marfchällen.

Wenn Englanb heute einen Minifter oom Range Pitts hätte, er würbe ft<h nicht anbers im täglichen Seben bewegen, als etwa 2lsquith es tat.

©ie gormen ber ©efellfchaft regeln boch nur bie Sätigfeiten, bie uns allen gemeinfam finb. Ein Mann wirb fich fowenig als 3nbi»ibualift bra=

pieren, wie er als 3nbi»ibualift effen möchte, — fofern er trgenb ©e=

jchmad hat. 3nbi»ibualität ift eine garte Ruance, feine fchreienbe garbe.

Sarum (fo rate ich meinen greunben), macht grieben mit ben ©itten.

Unb fagt nicht, eure 2lufgabe fei, bas Proletariat gu führen; biefes aber mifetraue ben Männern ber ©efellfchaft. 3ch habe noch nie bemerft, bafe ein Proletariat in entfcheibenben Slugenbltden feiner ©efdjichte oon Pro*

letariern geführt worben fei. ©tets waren es Sntelleftuelle. Ser re»o=

lutionäre Robespterre war anftänbig gefleibet.

Siefe jungen ©tubenten, — beutfehe Knaben finb es in ben Wurgeln ihres Wefens, inbtPibuell ausgeprägt finb fte fowtefo. Eben barum brauchen fie nicht all bies ausbrücflich unb programmatifch gu wollen unb gu förbern. Was man ift unb fann, übt man ftillfchweigenb. Was man werben will unb erringen, bas forbert man oon fich- Run ich hoffe, bie Werfgemeinbe wirb aus ber Rotwenbigfeit ihrer 3bee heraus bie hinter»

bliebenen Unarten unb Senfbequemlid)feiten »om Erbe ber 2lufflärung unb bes platten Sifiüfationsjahrhunberts aufgeben lernen. Sagu fönnte ihr, wie ich Permute, bas Mentorenwefen helfen.

Mufe bereinft ber Sehrförper an ben päbagogifchen 2lfabemien oer=

mehrt werben, fo empfiehlt es fich, junge Sogenten bafür gu gewinnen, bte f<f)on ihrer g riffe wegen ben ©tubenten naheftehen. Man mag fie

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© e r n e i n ( c f ) a f t l i c f c i e s S R u f i j i e t e n 3 1 3

gegebenenfalls ben allein Sogenten als Affiftent ober toie immer attackieren. (£ntfd)cibenb wäre, bafe fie als SERentoren bie ©tubenten menfchlich betreuten unb auf SEÖunfch berieten. 3ebod) aucb wenn bies erfreulich gelänge — es würbe gut ©elbfthilfe innerhalb ber SEBerf=

gemetnbe nicht ausreichen.

Es würben bie geborenen gührer innerhalb ber ©emeinfehaft brach»

gelegt werben, wenn fie fich nicht als SERentoren ber Süngeren auswirfen bürften. Unb bie Sinorbnung bes jeweils jüngften ©emefters in ben Kreis ber SBerfgemeinbe bürfte gefährbet fein, wo nicht SRentoren bes nächftälteren fid) ber Neulinge annehmen: in jenen Krifen, bie wieberum ber Neuling für nie bagewefen nimmt, bis ihm ber SERentor bas 2ängft=

bagewefene baran gebeutet hat. SERan braucht ja nicht pebantifch bie SERenfchen gu je gweien aneinanbergufetten. SERan fann ihnen grift gur erften Vertrautheit gubilligen. Nur bafe bie Brüber eines SBerfes nicht unoerbunben nebeneinanberhertrotten in einem Heim unb einem ©ar­

ten; barum möge fich ber „©chüfee" gum „Bacchanten" finben, weldjen neuen Namen aud) bie alte ©ache empfange. Vielleicht bafe folche ©e=

meinfehaft mitbilbe am geformten SERenfdjen beutfehen ©tils. Sie 5Berf=

gemeinbe fann allerbings nur gebeihen, wo bas fjaus nid)t burd) meta=

phpfifche gefjbe unterwühlt ift. Sas etwa oerftehe ich heute unter einer 3Berfgemeinbe.

SJRit freunblichen ©rüfeen bin ich wie ftets ber Ohre

©iegfrieb Behn.

®<rnidnfd)affftcf)ßs 3)tufigter<m

S3oit 3 o [ e p fr H l ö o e f o r n

SJRufif unb ßeben flaffen heute mehr benn je auseinanber, unb bie Aufgabe ber SERufifergiehung, beibes gu oerbinben, erfcheint fchwierig.

3Bir haben beinahe oergeffen, bafe SERufif ein ßebenselement, eine Sa=

feinsform bes SERenfchen ift, bie namentlich bann in bie Srfcheinung tritt, wenn eine ©emeinfehaft einem erhöhten Safeinsgefühl Ausbrud geben will. SSRit einer Gmpfinbung bes Neibes unb ber Bewunberung benfen

»ir an bas SRittelalter, wo SERufif in bas ßeben jebes SERenfchen trat unb fid) eine natürlich gewachfene SERufiffultur entfaltete, bie feine fd>rof=

fen Unterfchiebe gwifchen höherer unb nieberer Kunft fannte. 3n ber Neugeit hat ein immer fd)ärfere gornten geigenber Onbioibualismus ben Kult ber ^Perfönlichfeit fo fehr geförbert, bafe ber Künftler fid) immer mehr bem Volfe entfrembete unb fid) nur noch 3ur Verantwortung fich felbft, nicht aber ber ©emeinfehaft gegenüber oerpflichtet glaubte. Sr oerlor bas Smpfinben bafür, bafe im Volfe bie ftarfen 3Burgeln feiner Kraft liegen. Sng mit bem Snbioibualismus oerquidt, brängt bie intel=

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314 ©emetnf<^aftlic^es SDtufijieren

leftualiftifche Haltung ber mobernen Kultur bie Rtufif, biefen fd)ärfften

^roteft gegen ben Ontelleftualismus, aurüd, unb awar fo fetjr, bafe fie nicht mehr Allgemeingut aller Rtenfdjen blieb, fonbern Angelegenheit ber fogenannten ©ebilbeten tourbe, bei benen man Seit unb Begabung

»orausfefcte, fid) in bem „gad>e" ber Rluftf „ausbtlben" au Iaffen. Sie Kluft, bte fid) awifchen hoher unb niebriger Kunft, awifchen ©ebilbeten unb Ungebtlbeten, awifchen Künftler unb ^ubltfum auftat, ftellte ein

©emeinfchaftsleben in unb aus ber SRufit in grage.

©ana üerfümmert ift es nicht, charafterifttfd) für unfere Seit ift aber, bafe gerabe in ber heute üblichften gorm bes Sufammenfetns in ber Rtufif, bem Konaert, »on echter ©emeinfchaft feine Rebe fein fann. Sie mag noch trgenbwie beftanben haben, als Beetho»en feine Reben an bie SQlenfchheit, bte Spmphonien, fd)rieb, »ielleid)t auch noch — im Rhein»

lanb — aur Blüteaeit ber rhetnifchen 3Rufiffefte, wo nicht aulefet banf ber Ritthilfe »on Silettanten in Ehor unb Orchefter wenigftens bas Bürgertum au einer Art ©emeinfchaft aufammengefchloffen tourbe. Heute ift bas Berbunbenfetn mit ben Rtitmenfchen burch bte Kraft bet Rtufif im Konaertfaal höchftens für Augenblide bet (Efftafe möglich, im übrigen aber Sllufion geworben.

greunbe ber Rlufif haben barum längft eine anbere gorm bes Su- fammenlebens in ber Rlufif gefunben, bie abfeits »on allem Konaert»

mäfeigen, $heatralif<hen, ©efchäffsmäfetgen fid) nicht auf bas Hören be»

fchränft, fein „^Pubitfum" fennt, fonbern {eben einaelnen aufforbert, ftn»

genb ober fptelenb aum ©eltngen bes Wertes mitauwtrfen, fei es in einem Singfreis, einer Sptelfchar, einem Collegium musicum, einem Streichquartett ober fonftwie. Hier fd)afft Rlufif ©emeinfchaft ober »er»

tieft bie fd>on »orhanbene unb entfaltet ba bte ihr eigentümlichen äfthe»

tifdhen unb ethifdjen Bilbungstoerte.

Auf einer gana anberen Ebene liegt bas »olfstümltche Rluftaieren, bem man — abgefehen »on ben Kretfen ber 3ugenblichen — nodh auf Sörfern begegnen fann, fotoeit nicht aud) hierhin ber ©rofeftabtgeift mit feinen oerheerenben Wtrfungen gebrungen ift. ©emeint ift bas gemein»

fame Singen, „toie einem ber Schnabel getoachfen ift", in ber Kirche, bei ber Arbeit ober bei geften. Ss macht feinen Anfpruch auf ethifche ober äfthettfche Wertung, ba feiner ber Singenben ber Rlufif „gegen»

überfteht"; fie ift einfach Rieberfd)lag gemetnfamer Stimmung, frohen Beifammenfeins unb unterfcheibet fid) baburd) Don ber eben erwähnten gorm bes Rlufiaterens. Bon mufifalifcher Bilbung im eigentlichen Sinne bes Wortes toirb hier alfo nicht gefprochen werben bürfen, unb es wirb

»orfommen, bafe Stimmung unb Ausbrud fich nicht beden. So erflärt fich bas Scherawort »on bem Seutfdjen, ber in fröhlicher Stimmung fingt: „3<h weife nicht, was foll es bebeuten, bafe ich fo traurig bin", fo

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© c m c i n ( cp a f t li d) c s SRuftjieten 315 erflärt ficf) aucf) bas com äfthetifchen ©efichtspunft gewife nxd)f gutju=

heifeenbe überlaute Singen ber ©emeinbe in ber Kirche.

f>eute toirb oon ben ©ebtlbeten bie ©ebrauchsmufif im Vergleich ju ber höheren, allein „gültigen" 35lufif als minberwertig angefehen. SEftit Unrecht, ba biefe beiben Arten bes SKufijierens fid) nicht Dergleichen laffen. ilnfere größte 33eacf)tung oerbient [ebenfalls bie aus bet ©emein=

fchaft heroorgehenbe ©ebrauchsmufif. 3Bir fehen bas Sßefen ber ©e=

meinfd>aft gang anbers unb fchätjen ihren 3Bert Diel höher ein als frühere Seiten, toir toiffen wieber, bafe ber Sinjelmenfch, wenn er nicht burch Veranlagung oor anberen bebeutenb heroorragt, anbern mehr oer=

banft als fid) felber.

Sie ^äbagogifche Afabemie wirb, wenn fie ihrer mufifalifdjen Auf=

gäbe gerecht werben will, gemeinfchaftliches SRufijieren in ben beiben oben fft33terten gormen, bie fid» übrigens nicht gegenfeitig ausfd)liefeen, pflegen müffen. Es wirb 3unächft Selbftjwed fein, Ausbrud bes ©emein=

jchaftsgefühls, bann wirb es aber auch in ben Sienft ber mufifalifdjen Aufgabe treten, bie bes fünftigen Volfsfchullehrers harrt, nämlich bie 3ugenb mit greube an ber SUiufif gu erfüllen unb gührer feiner

©emeinbe au fein. Namentlich auf bem Sanbe unb in Heineren Stabten werben Anforberungen mannigfacher Art an ihn geftellt. Es reid)t na*

türlich ntd)t hin, bafe er oon ben SERöglichfeiten gemeinfamen SKufijierens in Schule, §>aus unb ©emeinbe „Kenntnis nimmt", er mufe Dielmehr burch eigenes 3Rittun in ihnen leben, bamit er bas, was er an ber Afa=

bemie geübt hat, fpäter in bie ta t umfefeen fann. Als Afabemifer wirb er aber aud) bte gähigfeit haben müffen, übet feine mufifalifche tätigfeit hinausjufehen, fie in bas grofee ©anje bes SERufiflebens einjubegiehen unb, fei es theoretifd) ober praftifd), bie Verbinbung mit anberen Ve=

jirfen ber Sftufif herauftellen.

Es wäre natürlich finnlos, Don aufeen Verfud)e gemeinfamen 3Rufi=

jierens heranjubringen; es foll fid) Dielmehr alles aus ber Eigenart ber Afabemie organifch entwideln. Siefe gorberung ju erfüllen, ift nicht fchwer, ba Stubenten unb Sojenten oor allem burd) bte Verbunbenheit mit bem Volfe unb bie Veranferung bes Sehens in ber Religion eng jufammengehören. “Beachtet man, bafe bie Stubenten auch ber gleiche Vilbungsgang, bas gleiche 3iel unb oielfad) bie f>erfunft aus gleichen fo^ialen Schichten jufammenfchliefet, fo fann fich leicht eine Art erweitere ter gamilie bilben, in ber SRufif ben beften Slätjrboben finbet. ©ewife fönnen bie oerfchiebenen StubentenDereinigungen ein Element ber 3er=

fefeung bilben, mit bem auch bie 9Jlufif ju rechnen hat. Anbererfeits hat aber bie SETCufif gröfeeren Spielraum 3ur Entfaltung, wenn bas, was bie

©emeinfehaft ber Stubenten erarbeitet hat, in bie fleineren ©rupen hin=

eingetragen wirb, um hier burch ftänbige Übung 3um feften Vefife 3U

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3 1 6 © etn ctnf <5) af t l i <$es SEdufiäieren

»erben. Sugleid) toirb fo bie Art, toie bie SKuftf fid) im fpäteren Seben fortpflangen fönnte, oorgebilbet.

®ie eigentlichen Hemmungen für bas SERufigieren liegen in bem SERangel an grünblicher mufifalifcher 55ilbung, für ben Schule unb (Elternhaus, letzten Enbes aber bie eingangs (fixierte Einfeitigfeit ber mobernen Kultur oerantwortlich gemacht toerben mufe. Es ift erf<href=

fenb, eine toie fläglid>e Nolle ein fo foftbares Kulturgut tote bie SERufif im Nahmen ber höheren Schule bisher gefpielt hat- Söenn nun bie 3Rufif im Elternhaufe aud) fein f>eimatrecht gefunben hat, toirb bas oom oolfsergieherifchen «Stanbpunft fo wichtige 3ufammentoirfen aller Stubenten in ber SERufi! nicht fo gebeihen fönnen, tote es toünfd)ens=

wert wäre.

SERan macht immer wieber bie Beobachtung, bafe burd) bte ersiehe*

rifche SBirfung bes „SERilieus" bas 53erftänbnis für SERufif möglichft früh unbewufet aufgehen mufe unb bafe eine fpäte Saat nicht etwa eine fpäte Ernte, fonbern oielfad) überhaupt feine grudjt bringt. SERan fann alfo ni<ht bei allen ein lebenbiges Verhältnis gur SERufif oorausfefcen. 60 erfreulich bie Smg= unb SJRuftgierluft im allgemeinen ift, namentlich bei benen, bie ber Ougenbbewegung naheftehen, man wirb bod) einer nicht geringen 3af)l erft bie 3unge löfen müffen, bamit fie gunächft einmal empftnben, wie herrlich es ift, mit anberen gu fingen, mit ©leidjgefinnten burd) bie SERufif fich ganj eins gu wiffen, im Strome ber SERufif oöllig untergutauchen.

Nichts liegt näher, als mit bem angufangen, was alle ®eutfd>en, gleichoiel welchen Stanbes unb welcher ^Partei, oerfnüpft, nämlich mit bem “öolfslieb. 3Bir müffen es erft wieber entbeden unb finben, bafe man es nicht nur in grofeer Aufmachung etwa für oierftimmigen SERän=

nerchor, fonbern „fogar" einftimmig fingen fann, baß es in btefer ein=

fachften gorm oieileid>t feine Schönheit am erften entfaltet unb bafe es feine leichte, aber lohnenbe Aufgabe ift, fie gut gu fingen.

Sahin brängt bas frineinhorchen in ben Sinn ber SERelobie oon felbft, fobalb man erfannt hat, wie lebenbig bie Sßetfen finb, wteoiel Kraft unb Siefe fie haben. Seber fühlt fid) bann oerpflichtet, bem Sßefen bes Siebes fo nahe wie möglich gu fommen unb gu bewußter Klarheit gu erheben, was er bis bahin nur bumpf gefühlt hat. Es braucht nicht betont gu werben, wie fej)r folcf) liebevolles Eingehen auf ben Organismus bes 33olfsItebes, wie es in fleineren unb größeren ©ruppen oerfucht wirb, bie Ehrfurcht oor bem fd)öpferif<hen ©eift bes 33oIfes wedt unb bas Sieb im |jergen ber Stubenten oeranfert.

Eines. erweift fid) babei als fehr hemmenb, nämlich bie bebauerliche Tatfache, bafe manche Stubenten infolge bes 93erfagens ber höheren Schule im 35olfslieb nicht gu f>aufe finb. 3Ran muß beshalb mit ihnen

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© e m e i n j $ a f t l i d > e s 3 J t u f i j i e r e n 317

fingen, wobet bie betannten Sammlungen (Spielmann, SRuftfant, 2an=

barabet) Anregung genug bieten. 3unäd)ft »erben neuere Sieber mit frifcljen, aufrüttelnben Stfyptljmen beoorzugt unb erft allmäblid) erwad)t 93erftänbnis unb 3ntereffe für bie reinere, ijöijere, man möd)te fagen faft metapl)pfifd)e 3ltmofpl)äre bes älteren Sßolfstiebes mit feinen weiten melobifdjen Sögen, langfamer als man bei &atf>oli!en erwarten follte, benen bie unenblidje SERelobie bes ©regorianifdjen Sfjorales oertraut fein müßte.

Sreue im kleinen beim Singen t>on SSolfsliebern mufe erlernt werben;

fie ift nicf)t felbft»erftänblirf), ba bie 33olfslieber aus einer anberen f)al=

tung 3U nerfte^en finb als bie Äunftmufif unb aunädjft nid)t tiom äftt>e=

tifd>en ©efirfjtspunft angefe^en werben wollen. Stefer lefetere Stanb=

pun!t wirb jebod) of)ne weiteres oon allen, aud) bei einfachen Siebern, eingenommen, fobalb es fief) um bas mebrftimmige Singen banbelt. |jier tritt man in ben 33ereid) ber ilunftmufif. Seiber wirft fid) bie bei man­

chem auftaud)enbe Erinnerung an bas SJlännerdjorwefen in einer SBeife aus, bie mufi!alifd>em ©emeinfd)aftsleben 3lbbrud) tun fann. Stament»

lid) bie oom Sanb Stammenben wiffen melfad) nid)t, bafe wir in einer neuen 3eit leben unb bie “periobe bes 53iebermeier, bet Entfaltung oon Älangmaffen unb ber imprefftoniftifdjen Setailmalerei hinter uns liegt ober liegen follte. Sie ^onsertmanieren, bte in bie gefellige Kunft bes SSJlännergefangs eingebrungen finb unb iE>n oon feinem urfprünglidjen Sinn ablenfen, fönnen feineswegs als oorbilblid) angefefjen werben. Sie neue ©efinnung ber ©emeinfdjaft, ber Sefjnfudjt nad) 53erbunbenfein mit bem 50litmenfd>en l)at neue 3Bege bes gemeinfamen SRufijietens gefunben, bie oor allem bie Ougenbbewegung gebahnt f>at. Sie ju be=

treten bat bie “päbagogifdje Slfabemie um fo mel>r 33eranlaffung, als bie ©emeinfcfyaft I>ier fd)on befteljt. Sine ©emeinfdjaft, bie wie in ber Slfabemie bie gorm einer 3öed)felwirfung unter ©leidjen I>at, finbet it>r mufifalifdjes Spmbol am reinften im polppl>onen Singen. f>ier fielen oerjd)iebene ^erfönlidjfeiten, oerförpert burd) bie einzelnen Stimmen, einanber gegenüber unb nebeneinanber, jeber barf feine (Eigenart burd)=

fefeen unb orbnet fid) ju gleicher 3eit willig bem ©anjen unter. §ür fatljolifdje Stubenten braucht biefe Äunft nid)t neu entbedt zu werben, ba fie ja feit 3af)rl>unberten erhabener 2lusbrud bes in ber fatf)olifd)en Äirdje wirffamen ©emeinfdjaftslebens ift. ^olppbones Singen würbe alfo »orjugsweife in ben pflid)tmäfeigen (Vorübungen gepflegt; wir fangen Kanons, Staus 23icinia, alte Sieber in breiftimmigem Safe oon 3®. Stein, (Eljöre oon 31. &nab unb Senboai. (Es liegt nalje, bafe bies Sufammenfingen in ben einzelnen ©ruppen fortgefefet wirb, nicf)t nur wegen ber Sd)önf)eit bet ©efänge, fonbern aud), weil bie 3lrt bes 3Rufi=

aierens, bie wir beoorpgten, im ©egenfafe zu bem üblichen, bie (Ent=

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318 © e m e i n f c f c a f t l i c h e s a r t u f i ä i e t e n

wicflung 6er Einaelftimme hemmenben oierftimmigen ©ingen eine Aufloderung unb gröfeere 33ett>egli(f>feit bes Chores jur golge hat, bie ben 55ebürfniffen Heiner unb Ileinfter ©tuppen aufs befte entgegen*

fommt. 3Bie fet>r burch folc^es 9Ruftjieren eine ©tubentenßereinigung ein eigenes ©eficht gewinnen fann im ©egenfatj ju ben Korporationen an ber Unioerfität, bie fid) auf bas Abfingen oon Kommersliebern be- fchränfen, bas braucht nicht eigens betont su werben. Reben ben ©ing*

gruppen ber ©tubenten befteht noch ein fleinerer El>or aus einigen Sehre*

rinnen, anberen ber Afabemte naheftehenben ©amen unb ©tubenten.

f>ier fonnte ein langgehegter Söunfch in Erfüllung gehen: aus bem un=

enblichen Reichtum ber Vlütejeit bes a-cappella-©efanges unb ber ©e=

neralbafejeit su fchöpfen, wie es unferen Kräften entfprad). 2öir fdmlten uns an jweiftimmigen ©tüden con Saffo, ©cheibt, Prätorius unb ©chüfe, bie uns fehr Diel greube machten, unb burften am ©chlufe bes ©emefters es wagen, gelegentlich einer Vorlefung über bas Volfslieb alte ©äfce Don ©enfl, ginf unb 3faac ju fingen, galls ber Afabemie ©tubentinnen angegliebert werben, bürfte fid) biefer Ehor bei weiterem Ausbau als befonbers wertooll für bie Entwidlung bes ©emeinfchaftslebens, nament*

lieh auch in fitdjlicher f>infid)t, erweifen.

3Rehr als beim mehrftimmigen ©ingen fpuft ber begriff bes Kon*

gertes in einigen Köpfen, wenn »om Collegium musicum, ber größten 3nftrumentaloereinigung an ber Afabemie, bte Rebe ift. ©treben nach fonjerttnäfeigen 'JBirfungen würbe aber fein SBefen, feine Aufgabe unb feine ©rennen Pöllig »erfennen. Es foll ähnlich wie bie »erfchiebenen

©efangsgruppen bem ©ebanfen ber ©emeinfehaft bienen, ©araus er*

gab fid) bie Art bes Probens, bie auf möglichft felbftänbige SERttwtrfung beim Erarbeiten eines Söerfes unb auf ein 3Rufigieren ohne ©irigenten hinausging, baraus ergab fich auch bie Auswahl ber “ffierfe: für bas Sufammenfpiel famen hauptfächlich ©tüde in betracht aus einer Seit, bie noch ein gefelliges SERufijieren ohne 3ugeftänbniffe an foliftifche Vir*

tuofenfünfte fannte (Eorelli, Purcell, ©eminiani u. a.). 3Ran barf an*

nehmen, bafe bas Collegium musicum an biefer allem 3tufeerlid)en ab*

holben Art ber SRuftf innerlich wuchs. ©eine Arbeit wirb ergänzt burch

»erfchiebene ©pielgruppen, au benen fich Klaoterfpieler unb ©treicher gufammentun.

Es bebarf faum ber Erwähnung, bafe ©efang unb 3nftrumentenjpiel ber felbftoerftänbliche Ausbrud ber ©emeinfehaft bei geiern ber Afabe*

mie waren. 3u biefen gehört nicht sulefct bie geier bes ©ottesbienftes.

©eine muftfalifche Ausgeftaltung, bie ju einem wefentlichen gaftor im SüRuftfleben ber Afabemte werben mufe, würbe oon einer ©ruppe oon Ehoralfängern betreut, bie fich aus SRitgliebern aller ©tubentenpereini*

gungen sufammenfefcte.

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ä l u s e i n a n b e t f e g u n g e n jmtfcfren f r at t j öf i f dj er unb beutfdjei Sugeti b 3 1 9

3um ©chlufe feien nod) bie Vorfpielftunben erwähnt, bie burd)fd>nitt=

lid) toödjentlirf) einmal in einer greiftunbe ftattfanben. ©ie würben gern befucht, toeil fie offenbar einem bringenben Sßunfd) ber 9RufifIiebhaber entgegenfamen, bie beutlid) empfanben, bafe ihrer Vilbung etwas 3Be=

fentlid)es fehlte, toenn fie nicht in bie SBelt unferer ©rofeen eingeführt toürben unb fich bas aneigneten, toas (Schule ober Elternhaus ihnen nicht gegeben hatte. Nicht nur oon ben gröfeten SReiftern (93ad) bis Vrudner) tourben groben geboten, fonbern aud) oon SReiftern jtoeiten

©rabes, auch oon ben heute fo oerfefeerten Nomantifern, bie mit grofeer Vegeifterung aufgenommen tourben, toeil hier ©efühlstoerte in ber

©eele aufftiegen, bie in biefer beftimmten gorm ©eftalt gewonnen ha=

ben, auf bie man nicht »erdichten fann, ohne eine toefentlidje ©eite beut=

fd>er Art aufjugeben. 3meimaliges Vorfpielen mit bagwifdjen eingefd)o=

benem „Unterrid)tsgefpräch" ertoies fid) als jwedmäfetg. ©o tourbe aud) bei ber Vorführung bes ©rammophons oerfahren, auf bem fdjon wegen ber überrafdjenb guten Söiebergabe ausfd)liefelich flaffifche Hammermufif berüdfichtigt würbe, wobei wir nad) 3Röglid)feit aus ber Partitur mit=

lafen unb burd) öftere 5ßieberholung oon Sinjelheiten tiefer in ben ©inn bes 3Ber!es einjubringen uns bemühten.

©o fürs aud) bie Seit bemeffen ift, bie ben fünftigen Sehrern an ber Afabemie ju ihrer Ausbilbung ju ©ebote fteht, ich glaube bod), bafe ihnen mufifalifche ©emeinfehaft etwas Sebenbtges wirb unb bleibt. Sie Hoffnung, bafe bie mufifalifdjen Anregungen, bie oon ber Afabemie aus- gehen, auf fruchtbaren Boben fallen, grünbet fich auf bem im Neligiöfen ftarf oerwurjelten ©efühl ber Verbunbenheit mit bem Volfe unb auf ber greube, bie bie Sftufif wedt. SSRan barf baher hoffen, bafe ber ©eift ber

©emeinfehaft befruchtenb auf bas SERufifleben einwirfen unb bie ‘päbago- gifche Afabemie eine Keimzelle fein wirb, oon ber lebenbige SJRufiffultur ausgeht.

^usdnanforjdjiungen gtmfc£)<m JrangoJijcf)er unb 5cuffd)ör 3ug<m5

95on H e r m a n n a &

Sas europäifche Problem fängt unb oerfängt fid) immer wieber im granjöfifch-Seutfchen.

S a bie Alten oielfad) nicht mehr umlernen fönnen unb wollen, ba es ihnen aud) nicht unbebingt unb in jebem gälte obliegt, ins Neulanb oor- juftofeen, hat bie Ougenb es ba unb bort unternommen, bas franjöfifch- beutfehe 'Problem in ihrer 3ßeife anjupaden.

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3 2 0 St usei nanber f ef c ungen jnufc&en f r anäöf t f cber unb beutfcfcet gjugenb

„ S ie T a g e oon 93 i e r o i 11e1)" (b. h- bet fedhfte internationale bemo!ratifd>e griebenstongreß, oerbunben mit internationalem greunb*

fchaftsmonat ber 3ugenb im 6d)lofe unb P ar! ton 95ieroille bei Paris,

»om 1. bis 29. 2luguft 1926) haben bas ber weiten Öffentlid)feit offen­

bart. Es war nicht bas erfte Treffen, unb feitbem finb anbete gefolgt unb es werben anbere folgen. 2lber es war bas Surchfchlagenbe, infofern es bie W elt aum Slufhordjen brachte. Viele finb aufgerüttelt worben unb haben feitbem irgenbwie mitauarbeiten gefucht. 2lnbere haben gefpottet,' gegürnt unb gebroht. Sas mufe wohl fo fein.

I.

greilich bas eine mag augegeben werben: es waren oiele Mitläufer babei, namentlich unter ben älteren, oiele Verjaget, bie fich bie Sache anhörten unb bann wieber ihrer Wege gingen. Weber in granlreich noch in Seutfchlanb ift eine g r o fe e Bewegung entftanben. Sas burfte eigent­

lich auch niemanb erwarten, ber bie ©chwierigteiten fennt unb nicht mit eingebilbeten gaftoren rechnet. Sie Tatfache ber gerichtlichen 2tus=

einanberentwidlung unb gegenwärtigen (Entfrembung ber beiben Völfer ift ja nicht aus ber W elt au fchaffen. <5ie ift ba unb wirb burd) Seiben- fchaft unb Vorurteil nur gu oft nod) entftellt; bie Sinien werben Der- gröbert, bie Siele oerbunfelt, bamit fid) ja niemanb mehr aurechtfinbet unb bie an aller Vernunft Srrgeworbenen fchliefelid) wie gehefcte Hafen in bie Küche ber frohlodenben ©armeifter laufen. Namentlich im ©e=

fcbid)tsunterrid)t, aber audh in Seutfch- unb Sänberlunbe, ja fogar in ber franaöfifdjen Kulturfunbe wirb oon unerleudjteten „Patrioten" bas ©ift bes f>affes unb ber 9tad)egefinnung in junge Herren geträufelt. Vlinb- heit unb ©ebanfenlofigfeit feiern billige Triumphe, inbem fie einer wehr­

los bafiftenben unb unfritifd) laufdjenben Sugenb bie 6d)lagworte ihrer

»erfteinerten Männertugenb einhämmern. (Es ift fo leicht, auf Kathebern rebnerifdje Kraftmeierblüten unb ©efinnungsüberfchwang oon ©tapel ju laffen unb fo fdjwer, in ftiller, jäher 2lrbeit ber Wahrheit nachaugehen unb ihr einfach unb fchlicht bie (Ehre au geben, ©ewife, nicht wenige würben auch heute nod) ihr Seben branfefeen, bamit burch einen neuen Krieg alles wieber gut gemacht würbe, wie wir es oter öahre getan haben, als wir es im 6d>üfeengraben als unfere Pflicht anfahen. Slber über biefe Vlutwallung unb ©ewaltlöfung, bie ber 3ugenb noch oielfach als 2lus=

flufe echter ungebrochener Kraft unb Mannheit erfcheinen, hinaus 3ur (Einfidht in bie (Erforberniffe ber neuen Seit au gelangen, bas ift fo fdjwer.

Siefes Weitergehenmüffen leuch-tet einer Sugenb nid)t ohne weiteres ein,

*) Unter biefem Sitel tourbe 1926 im SBerfbunboertag in SBürjburg ein oiet- beac^tetet 53ericf)t betausgegeben.

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Slu se in a n b e rfe ß u n g e n jtt>ifdjcn franjöftjcfeer unb beut(cf)et 3ugenb 321

namentlich toenn ihr ber Kampf um eine oernünftige Neuordnung Euro*

pas als „Narretei" unb „Sämmerblöfen" tnngeftellt toirb unb fie feft=

ftellen mufe, bafe bas Söort oon „Stieben unb Seben" nid)t ebenbürtig bröfmt neben ihrem Naufd) oom „Sterben unb Skterlanb" (nad) gritj oon Unruh).

Sie 3Renf<hen, bie betoufet anfämpfen gegen biefen ©eift ber unpoli= n.

tifchen Verewigung geitgefchidjtlidjer Skrframpfungen, ftammen gumeift aus ber 3ugenbbewegung. Es ift ein ©Iücf, bafe toir foldje Selbfter- giehungsgemeinfchaften haben, in benen ein felbftänbiger, oon bem ro>

mantifchen Nationalismus unb flaffifd)en 3bealistnus faum berührter

©eift lebt unb wirft. Alle weltanfchaulichen unb politifchen Spielarten finb hier oertreten. 6s ift einfach fo, bafe biefer eigenfräftig geworbene

©eift überall einbringt, aud) in bie eingefchloffenften Begirfe, um junge unb oft auch alte umgufchaffen. 3km jüngeren angeregt unb getrieben, ftellt fid) bann oielfad) bie ältere Erfahrung in ben 2)tenft ber neuen 3bee (in biefem Salle alfo ber Skrftänbigung gwtfchen $>eutf<hlanb unb granfreich) unb hilft, organifatorifd) unb finanjiell bie SKöglichfeit eines Nähertretens unb Ausfpred)ens unb gemeinfamen §anbelns gu fdjaffen.

SERan fann heute fagen, bafe biefe Treffen unter jungen SRenfdjen (ober unter ihrer tätigen SERitarbeit) fchon nad) fmnberten gählen. Sie alle aufgugählen ift unmöglich unb unnötig. Sie finb ja ftatiftifd) gar nicht gu erfaffen. ©erabe bie, oon benen man nichts hört, finb oft bie wirffamften. 3)a unb bort arbeiten aud) fchon offtgielle Stellen mit, fold)e 2lusfpra<hemöglid)feiten gu fdjaffen. ©ie 3ahl ber jungen 3eitf<hriften, bte irgenbwie foldjen Bemühungen naheftehen, ift unüberfehbar. 3d) weife, bafe fogar fd)on über frangöftfd)e unb beutfche 3ugenbbewegung gelefen worben ift unb bafe bie 3ul)örer banfbar waren, über foldje ©inge aufgeflärt gu werben. Unb bas nicht blofe in ®eutfd)lanb. 3d) fenne aud) gwei frangöfif<he ©ermaniften, bie bie beutfd)e 3ugenbbewegung ein=

gehenb ftubiert haben unb barüber fachlich ihren jungen Zuhörern be=

richten. Sie Revue germanique hat oor einiger Seit gang ausgegeid>nete Artifel über benfelben ©egenftanb gebracht unb bie neuen 3eitf<hriften (Revue franco-allemande unb beutfd)=frangöftfd)e Nunbfd)au, SBalter Notfd)ilb Berlag, 53erlin=©runewalb) werben gang gewtfe in biefem Sinne fid) betätigen. Es ift heute gar feine Seltenheit mehr, bafe junge grangofen in beutfd)en 3eitfd)riften unb umgefehrt gu SBorte fommen.

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greilich finb bie ungeheuren Sd)Wierigfeiten bet all bem nicht gu oer- fennen. 3a, gerabe bte, bie burd) praftifche Arbeit fie ermeffen fonnten, wiffen ein Sieb gu fingen oon ber Unheimlichfett bes fremb raufchenben

^ ito f o p & ie unb Seben. I V . 2 2

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Unb welche Söebingungen haben toir au erfüllen, um gegen bas (Ertoadjen bes 3®eifets in ber eignen ‘33ruft getoappnet au fein? hierauf fagt 20.. 3wei Erfcheinungen,

fach als naturnottoenbig hinnebmen müffen. Selbftocrftänblid) ift ber ©laube, bafe alle fittlid)cn 3been in ©ott oertoirflicht finb, fittlich äufterft fruchtbar unb

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begrünbet, bafe fie auf bie Sauer nicht umgangen werben fann. Selbft wer eine anbere ©runbanfchauung befifct, aber fich innerlich jung unb beweglich genug