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Philosophie und Leben. Jg. 5, H. 6 (1929)

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(1)

1|>^tlofop^te tmö Heben

^ JAHRGANG + 6. H E F T + JU N I 1929

»31m ö te n f t e ber IDolfiöetnhett erftreb f u n fere Je itC d jn ft eine fad^s I t ^ e S t u g C p r a ^ e ber ö e r f ^ t e b e n e n i u e l t a n f ^ a u l t ^ e n E i c h u n g e n . “

®offe<5b<m><afe mb © o ffo s fjo ffn u n g

55on

Wl

i

6)

a e 1 g i 1 1

(S ch lu ß aus H eft 5)

$>ie <Sd>oIaftifer behaupten freilich auch nicht, bajj mir etwas aufter=

halb ber (Erfahrung bireft erfahren, »of)l aber, bafe totr es erfchliejjen.

Slber aud) burch Srfchlieföen !ommen mir aus bem ©ebiete ber (Erfahrung nicht hinaus. $enn bas ©chlteften befielt nur im dergleichen oon Gegriffen, um iJ>rc ©leid)f)eit ober 33erfchiebenf)eit feftguftctlen. „Ratio- cinium dici potest operatio mentis, qua mens instituta compara- tione duarum idcarum cum tertia illarum aut identitatem aut diversitatem statuit.“ ®onat, ßogica, p. 95. 2Benn toir fdjlieften, btlben toir aus stoei Urteilen, bem Oberfaft unb bem Unterfat}, ein neues, ben

©chlujjfatj. ©iefer letztere barf aber feinen begriff enthalten, ber n!d>t in tn ben beiben erften Urteilen enthalten ift. ©iefe beiben aber fönnen nur ben beiben evften Urteilen enthalten ift. ®iefe beiben aber fönnen nur Schiebungen jn>ifd)en (£rfahrungs»orgängen bejahen ober Derneinen. (Es Reifet freilief), ber Oberfatj ober ber Unterlaß fönne auch ein unmittelbar einleuchtenber, allgemeingültiger ©aß fein, toie ber ©aß bes “©iber- fpruches, ber ©aß t>om jureichenben ©runbe ober bas Äaufalitätsgefetj.

3cf) hoffe aber, es ift nach bem früher ©efagten flar, bafe alle biefe unmittelbar einleuchtenben, allgemein gültigen ©äße aus ber Erfahrung ftammen1) unb nur für bas ©ebiet ber (Erfahrung gelten. ©ie betreffen bie einfachen unb allgemeinften Slfterfmale ber (Erfabrungsoorgänge.

“Sie 33e3iel)ungen gmtfehen btefen Sfterfmalen finb fo flar, baft mir fte Pollftänbig überfd)auen. 60 entfteht ber (Etnbrud ber SKotmenbigfeit unb ©elbftoerftänblichfeit. S^otmenbig ift footel rote in feinem ©ein ober ‘Jßerben beftimmt. Dilles, was ift, ift in feinem ©ein ober SBerben beftimmt burd) bas et a se et ab alio, burd) fid) felbft unb burd) bie anberen ®inge. 2llles, was ift, ift alfo notwenbig. 9lur be=

merfen mir biefes 'Seftimmtfein oft nid)t, fennen bie einzelnen gaf=

foren, bie einzelnen Jeilurfachen nicht, haben fte nicht gegenwärtig ober

*) [5)01X111 ift aber md>t gejagt, bafc toir alte biefe «Säfte nur auf ©runb ber (Er­

fahrung für gültig Ratten. ® . f>g.]

^^tlofop^ie unb ßeben. V. H

(2)

152 © o t t c s b c m e i f c unb © o t t c s ^ o f f n u n g

fc£)cn baoon ab. Dann fpred>en mir t>on „jufällig" ober „möglid)". 33on

„notmenbig" fpred)en mir aber nur bann, menn mir jenes 33eftimmtfein bemerfen. 33ei jenen allgemeinften SJterfmalen aller Erfahrung bemerfen mit eben bas 33eftimmtfein unb haben es immer gegenwärtig, bähet haben mir bet ben Urteilen barüber ben Einbrud ber STCotmenbigfeit.

teuere ©djolaftifer, 3. 35. Donat in feiner $heobicea, Snnsbrud, 1914, ©eite 18, weifen barauf bin, bafö bie Slftronomen bas Dafein t>on

§>immelsförpern, bie fie nie gefeljen batten, erfd)loffen. 2lber als man bas Dafein bes Planeten 9leptun erfcf>Iofe, nabm man erftens 6törungen ber 33af>n bes Uranus mahr unb mußte gmeitens aus Erfahrung, bafe ein planet auf bie 33ahn eines anberen einen fold>en Einflujj f)<*be. SSftan ftellte alfo bie teilmeife Übereinftimmung einer neuen (Erfahrung mit früheren Erfahrungen feft mie bei jebem ©chlujj. Ston einem ens a se aber, einer un»erurfad)ten Urfache, fönnen mir auf feine SBetfe etmas mahrnehmen, mir fönnen baher auch mc^t bie Übereinftimmung biefer Wahrnehmung mit einer anbern Erfahrung feftftellen. „Die SBirfung eines folgen Dinges nehmen mir wahr", fagt ber 6d)0= Iaftüer. Das leugne ich eben. $ebc 3Birfung, bie mir mahrnehmen, gefdhieht et a se et ab alio. 2Bie ein planet mirft, muftte man aus Erfahrung; mie aber ein ens a se mirft, miffen mir nicht. Die «Scbolaftifer müfeten dor allem irgenbetne Söirfung nachmeifen, bie nur a se, ober eine, bie nur ab alio gefchehen ift.

6ie glauben freilid) in ben enblichen Gingen etmas 3U finben, bas bie Sinnahme eines unenblichen Dinges notmenbig macht. 6ie lehren bie 3ufammenfefcung ber Dinge aus 3ßirflid)feit unb 99töglid)feit, aus actus unb potentia. 3d) habe ben 35egriff ber 9Rt>glid)feit fd>on berührt, möchte aber hier etmas ausführlicher barauf eingeben. 3d) finbe biefe Sehre in ber 3eitfd)rift ber italienifcfjen 9teufd>olaftifer „Rivista die Filo- sofia Neoscolastica“, 17. Jahrgang, 3. §>eft, SSRai/Siuni 1925, be=

fonbers flar bargelegt unb in ber ganaen ©ebeutung erfafet. Sin 2tbfd)nitt bes Slrtifels: „L’errore metafisico di Davide Hume“

Don Earlo SOlajföantini trägt bie Sluffchrift: Potenza ed Atto. Dort heißt es 6eite 176: 3öir erfennten auf bireftem 5Bege nur gemiffe enbliche Dinge, bie gemiffe pofitioe Eigenfdjaften mirflid) hätten unb gemiffe anbere Eigenfd>aften nid>t hätten. Sille Sigenfchaften befäjjen fie in einem gemiffen befd>ränften ©rabe. Der ©runb ber 93efd>ränfung fönne nicht im SBefen ber befeffenen Eigenfchaften liegen, fonbern nur in ber 2lufnahmefähigfeit bes fie befitjenben Dinges. deines ber Dinge t>er=

mirflidje in fid) alles bas, mas es fein fönne. Heines non ben förperlichen Dingen, bie unferen 6innen augänglid) finb, oermirflid)e oollftänbig jenes Söefen, bas unfer Ontelleft als bas feine erfenne. Enblich bemerften mir, bajj bie Dinge etmas mürben, mas fie oorher nicht maren, unb bafe

(3)

© o t t e s b e m e i f e unb © o t t e s f r o f f n ung 153

auftötfen, etwas au fein, was fie t>orl)er waren, fo bafe man in feinem oeitpunfte fagen fönne, ftc beftünben enbgültig („in modo definitivo").

«Öes bas fei nur ju oerftefyen, wenn man bie metap^pfifcf)e Sujammen- tefcung aller biefer enbltd)en ®inge annetjme in bem ©inne, bafj in jebem

«n STetl mit undollfommener, nur möglicher 2Birflid)feit fei („una parte di realtä im perfetta [potenziale]"), bie ben totrllic^en STcil befdjrönfe (»che limita la parte attuale“). ^»iefe 3ufammenfefcung nötige uns, J*ufeer allen enbltd>en Gingen als ben ©runb il)rer Sötöglidtfeit basjenige

<Befen anguerfennen, bas alle 95löglid)!eit bes ©eins in firf> t>erwirfltd)t.

<öenn man bie metapfjpfifcfje Sufammenfefcung aller enblid)en ®inge

^ugne, fo mad>e man jebes non i^nen au einer ungefd)affenen 3Belt für fiel) („un cosmo increato“). (£s genüge fief) felbft, fei aber innerhalb getoiffer ©rennen eingefcfjloffen, bie gleid)fam bie ©d)idfalsbeftimmung feines ®afeins bilbeten (,,la condanna costitutiva della sua esistenza“).

3n jebem 3citpun!te fei es, was es fei. (£s t>erwirflic£)e nichts unb ftrebe Hfld) nichts („non realizza nulla e non mira a nulla“). Qebes ®tng fet bann infoweit ttrirflid), als es Sinaelwefen fei. deines t>erwirflid)e ein

©attungswefen, bas über es f)inausgel)e („ogni cosa ha tanto di realtä quanto ha d'individuazione; nessuna realizza un tipo che la tra- scenda“ ). 3)ie ©efamtl>eit, bas SSünbel („il fasexo“) ber enblid)en 3Befen bilbe bann bas gange ©ein. Siefes fei bann eine unoerftänblidje STatfac^e, etwas, was aud) Ijätte ftmnen nid)t beftefjen unb bennod) be- ftel)t, „launenhaft", wie SD'taaaantini beutfd) fagt. 3mn ©d>Iufe füljrt er SWei ©äf$e an, bie am 29. 3uni 1914 Don ber Sacra Studiorum Congre- gatio gutge^eifeen worben feien:

I. Potentia et actus ita dividunt ens, ut quidquid est, vel sit actus Purus, vel ex potentia et actu tamquam primis et intrinsecis princi- piis necessario coalescat. 33löglid)!eit unb 3öirflicf)feit teilen fid) in ber 5öeife in bas ©ein, bafc alles, was ift, entweber reine 2Btrflid)feit ift ober aus 3Köglid)feit unb ?Birflid)feit als erften, inneren ©rünben mit 9tot=

toenbigfeit erwädjft.

II. Actus, utpote perfectio, non limitatur nisi per potentiam, quae sit capacitas perfectionis, Proinde in quo ordine actus est purus, non nisi illimitatus et unicus existit; ubi vero est finitus ac mul­

tiplex, in veram incidit cum potentia compositionem. 5)ie 3Birtlid)=

Jett wirb als eine 33ollfommen|ieit nur burd) bie 3Röglid)fett befcfrräntt,

&te bie gal)ig!eit p einer 35ollfommenl)eit ift. 5)af>er ift bie 2Birtlid)feit ba, wo fie rein ift, unbefdjränft unb nur eine; ba aber, wo fie befd)rän!t

^nb oielfältig ift, gel)t fie eine richtige ^ufammenfe^ung mit ber 9Röglid)=

feit ein.

3d) mufe wieber gefteljen, bajj mir aud) biefe Sluffaffung immer un*

begreiflich war. 3m begriffe, burd) ben Ontelleft, follen wir bas 3ßefen ii*

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154 © o t t cs bc t D c t f c unb ©ott esl >of fnung

ber 'Singe erfennen, burd) bic ©inneswahrnehmung nur ihre befcf>ränft^

€rfd)einung. S'tein, unfer 3ntelleft erfennt t>on ben ®ingen nicht mehr als bic ©inneswahrnehmung. ®ie 2)enftätigfeit abftratjxert nur bie Gigenfchaften ber ©inge, bie burd) bie ©innestätigfeit gegeben finb, faföt fte !urj aufammen ?u SRerfmalen, hält fie feft unb »ergleid)t fie mitein=

anber. ®abei wirfen ©innestätigfeit unb 3) enf tätigfeit fo innig aufammen, bafe es oft ober wohl gett>öt)nlxd) unmöglich ift p fagen, welchem ber beiben Jätigfeiten ein ©ebilbe entflammt. 60 ift es mir 3. b . 3weifel=

haft, ob bie dorftellung ber geraben Sinie ber ©innestätigfeit ober ber CDenftätigfeit entftammt. ©ewijj befomme id), wenn id) genauer hin*

fchaue, nirgenbs eine oollfommen gerabe Sinie 3U fehen. SIber id) fetjc eben gewöhnlich nicht genau hin. 'Ser ©inneseinbrud, ben id) habe, ift bocf) ber einer ©eraben.

©ie einseinen (Eigenfdjaften finb fobann auch nicht etwa unferem 3ntelleft als dollfommenheiten gegeben unb in ben ©ingen nur um>oll=

fommen, befchränft, oerwirflicht; fonbern ben begriff einer dollfommen*

beit gewinnen mir erftens burd) dergleichen ber einaelnen Srfahrungs*

binge, bie bie »erfchiebenen (£igenfd)affen in höherem ober meberem

©rabe haben unb unferem ©efüfjle unb begehren mehr ober weniger entfprechen, aweitens burd) 3Begbenfen ber nicht begehrenswerten (Eigen*

fcbaften, 2Xbftrat)teren oon ihnen, unb (Erweiterung, Steigerung ber begehrenswerten in ber Dichtung bes begehrenswerten. 5)abei ift uns lein ©rab einer Sigenfchaft gegeben, über bem wir uns nicht wieber einen höhnen ©rab oorftellen fönnten. ©0 entfteht ber begriff einer reinen dollfommenheit unb ber einer unenblichen dollfommcnheit.

©d)önheit unb ©üte 3. b . finb reine dollfommenheiten, weil fie nichts Schlechtes, nicht begehrenswertes enthalten. Slber wir gewinnen bie begriffe nur burd» dergleichen ber Srfahrungsbinge, bie mehr ober weniger gut unb fd)ön finb unb mehr ober weniger ©cf)led)tes unb lid)es beigemifd)t enthalten. Unfer begehren, unfer ©efühl brängt uns auch, ben begriff bes unenbltd) ©uten p bilben burch ©teigerung bes erfahrungsmäfcigen begriffes in ber Dichtung bes begehrenswerten, wobei wir, wie gefagt, an feine ©rense fommen.

®te Srfahrungsbinge werben in ihrer 3Birflid)feit nicht burch eine unoollfommene, nur mögliche 3Birflid)feit bcfchränft. 3d) finbe nichts, bas barauf hinbeutete, fonbern fie werben burch oollfommene 3öirflid)=

feiten, nämlich anbere ®inge, befchränft unb burd) tf)t eigenes Söefen, et a se et ab alio.

Söarum ein baum gerabe awanatg Steter hoch unb nicht höhet/ etwa gar unenbltd) h»d) ift, ift burd) feine ganje Umgebung, ben boben, bie 2uft ufw. unb burd) fein eigenes 2öefen beftimmt. 2Bas ihm oon ber unenblichen §>öhe ober oon ber höchften f>öf)e eines baumes fehlt, iß

(5)

© o 11 e s b c to e t { c unb © o 11 e s I> o f f n u n g 155

Wne unoerwirflid)te SRöglid)feit, fonbern bet tf)m finb nur swanjig Steter möglid), unb »on bem, was barübcr ift, erfahre td) nur burd) Ver=

öleid) mit größeren §öt)cn unb beren Verlängerung in ©ebanfen.

3Benn td) bann bemerfe, bafj ein wtrflid)es ®tng burd) ®tnwtrfung anberer Singe su einem anberen roirfltcfjen ®tnge wirb, fo fann td) nad)=

(>er fagen, bafo tn bem erften ©inge bte 3Röglid)feit ju bem gipctten geftedt Ijabe; ja, id) fann bas, wenn td) eine gewiffe Erfahrung l)abe, fogar »or^er fagen. 3m 33auljol3 ffedt bte 9?tögltd)fett autn |jaus, im 3Bafferftoff bte jum SBaffer. Slber beswegen ift bas ^3auE)oIa nid)t etwa Bufammengefefct aus einem wirfltcben Solse unb einem möglidjen £>aufe, fonbern es f>at feine beftimmten, feftftetjenben Sigenfdjaften, bte aller*

bings fo finb, bafe fie, mit gewtffen (£igenfcf)aften anberer $tnge au=

fammengebrad)t, etwas iJtcues, bas f>aus, ergeben.

9Kögltd)feif (potentia passiva) tff feine (Eigenfdjaft ber ©tnge, fonbern ein begriff, ber burd) Sleflejion auf unfere metjr ober weniger etn=

gef)enbe Kenntnis non ben ®ingen unb tf)ren Urfad)en pftanbe fommt.

2lud) bte Unterfdjeibung Don metapbpfifeber, p^>pfifcf>er unb moralifdjer 3Köglid)feit beruht auf ber Verfd)iebenl)eit unferer Kenntnis r>on einer

©ad)e ober barauf, lote »eit mir fie bet ber Beurteilung einer SDilögltrf)=

feit etnbesteben. ®ie metapf)pfifd)e ober innere 9Kögltd)fett foll in ber Vereinbarfeit ber SRerfmale, bte metapl)pfifd)e Unmögltd)feit in beren Hnpereinbarfeit hefteten. 9?ad) meiner Sluffaffung heftest Pterin jebe Slrt oon SCRögIicf)feit ober Unmöglid)fett, unb bte grage ift nur, wie wett id) bie Söefensmerfmale eines ©tnges fenne, gegenwärtig babe unb in mein Urteil einbegte^e. 3nwieweit ift es 3. '33. möglid) ober unmöglich, bafj ber Äaffterer 9?teier eine Veruntreuung begeht? ®tefe grage balte id) für gleidjbebeutenb mit ber, ob bie ‘ffiefenstnerftnale bes Äaffierers Steter mit einer Veruntreuung oeretnbar finb ober ntd)t. Unter feinen 3Befensmerfmalen aber ßerftel)e id) nidit etwa nur, bafj er ein SRenfd), ein animal rationale, ift, fonbern alles, was fein Söefen beftimmt. 2öer alfo ben ^affterer SReier feinem 5Befen nad) genau fennte, fönnte aucf) genau fagen, ob mit feinem SBefen eine Veruntreuung »eretnbar ift ober nid)t. (£s gibt gewtjj otele Äaffterer, oon benen einer, ber fie genau fennte, fagen müfjte, bafj bei ibnen eine Veruntreuung mefapfjpfifd) un=

möglid) fei. gretlid) werben wir meiftens nid)t mebr als eine moraltfd)e SKöglicbfeit ober Unmöglid)feit behaupten bürfen, weil wir eben faum einen SD'lenfdjen fo ganj fid)er fennen, nid)t einmal uns felber.

Sin Jf)eologieprofeffor wollte mir bie 3Mlensfret£)ett beweifen, tnbem er Iäd>elnb feinen ©paaierftod gegen mtd) erl)ob unb fagte, er fönne mtd) erfd)lagen, wolle es aber nid)t. 3d> fonnte il)m rubig antworten, id) fttffe gut, bafj er mid) nid)t erfd)lagen fönne. 3d) fannte tbn eben fd)on fo gut, bafe icb wußte, bas fei bei il)m nirf>t nur moraltfd), fonbern meta=

(6)

156 ® o t t e s 6 ei deife un& © o t t e s & o f f nuitg

pbpfifd) unmöglich Söon bem 2tusbrucb einer plöftlichen 33errüdtbeit, ber fretltcf) bet einem 9Kenfd)en nid>t ausgefdtloffen ift, fonnte td) babet wohl abfeben, ba es fid) ja nur um bie tfbereinftimmung swifeben können unb 3ßollen banbelte.

3Benn td) bas SBefen eines ®inges oollftänbig fenne, gibt es für mich feine 9Jtögltd>feit mehr, fonbern nur ‘©irflicbfeit. <£s !ommt freilich bar=

auf an, was td) unter 3Befen t>erftet>e. §>ter liegt ber Unterfd)ieb gwifeben ber alten unb ber neuen ^bilofopbte. 35ie alte ftef>t bas 2öefen eines

©inges im ^Begriff, im 2lbftraften, bie neue im Honfreten. $ene glaubt, bas (Einselwefen »ertoirflidje ein ©attungswefen, unb jwar nur unooll»

fommen. ®as, was bas Sinaelwefen oom ibealen ©attungswefen fjabe, fei fein Söefen, was ibm baoon abgebe, fei feine infolge ber irbifdjen 33efd)ränftbeit nid)t oerwirflid)te 2Roglid)fett. ®te |jauptoeranlaffung ?u btefer Sluffaffung bot wohl bas 93erbältnis ber naturbiftorifeben ©attun=

gen 3U ben einzelnen Sieren, Wanken unb SKtneralien. Sie ©attungen ftnb oerbältnismäftig bauernb, unb foweit unfere (Erfahrung reicht, fon*

ftant; bte Singelwefen »ergeben unb geigen in ihren Q-igenfcbaften oiel=

fad) ilnoollfommenbeiten. ®as oerleitete baju, bie ßtgenfdjaften als ooll=

fommene, einige 3Befen aufpfaffen, an benen bie <£ingelbtnge nur unooll- fommen unb oorübergebenb Stnteil Ratten. SXTlan abftrabierte jene (£tgen=

fd>aften oon benjenigen (Eingetwefen, bte unferem ©efüble unb 33egef)ren mebr entfprechen, unb erweiterte fte oielleidbt noch in ber Dichtung bes SSegebrenswerten. 2llle btefe begriffe ftnb aber nur ©ebtlbe unferer

©enftätigfeit. 5öas ibnen an ben ®ingen entfprid)t, ift fonfret unb rein wtrflid). $öortn bas Sinjelwefen etwa unter bem (Gattungsbegriff bleibt, was ibm baoon fefjlt, bas ift nid)t eine unoollfommene2Btrfltd>feit (realtä im perfetta), fonbern bas ift gar nicht wirflicb, es ift rein negatio unb wir bemerfen es nur, wenn wir anbere (finjelroefen berfelben ©attung feben, bte jenes 9Jtangelnbe eben haben, ober wenn mir irgenbwte barauf aufmerffam werben, bajj es unferem ©efüf>I unb ^Begehren nicht ent=

fpriebt. gebes eingelne SMng ift bas, was es ift, nicht mebr unb nid)*

weniger. Sßarum finbet bas SRa^anttni unannehmbar? Sie ©efamtbeit ber Singe, foweit wir oon ibr erfahren, befteJjt aud) nicht „launenhaft", fonbern notwenbig, ift burd) bas SBefen ber Singe beftimmt. 3Barum

©ott fei, fönnen mir auch nicht anbers erflären, als tnbem mir fagen, fein Safein fei in feinem SBefen begrünbet.

Samit ift eigentlich aud) bie gorm bes ©ottesbewetfes erlebigt, bte Thomas oon Slgutn für bie erfte unb flarfte halt unb bte aud) oiele moberne $bet>h>gen für bie ejaftefte holten, nämlich ber 'SSeweis aus ber

^Bewegung. Bewegung ift hier footel tote 33eränberung überhaupt. 33e=

wegen in biefem 6tnne, fagt Stomas tn ber Summa Theologica 1 q. 2, a. 3, fei ntd)ts anberes als etwas aus bem 3uftanb ber SPlöglicbfeit in ben

(7)

© o t t c s b e r o c i f c u n b © o t t e s & o f f n u n g 157

&er 3BtrHtcf)feit Derfefcen. „Movere enim nihil aliud est quam educere aliquid de potentia in actum.“ J^omas behauptet bann, olles, Was betoegt wirb, werbe Don einem anberen bewegt. „Quidquid movetur, ab alio movetur.“ £5 fönne fiel) nid)t felbft bewegen, benn bewegen, b. b. tn trgenbeinen Suftanb oerfeften, fönne etwas nur in ber SSeatebung, tn ber es felbft im Suftanb ber 3Birflid)feit ift. Sin 3?ing aber, bas bewegt, alfo in ben betreffenben 3uftanb oerfefct wirb, fei eben in biefer '33e3ie=

bung niebt im Suftanb &er 2öirflid)fett, fonbern in bem ber SKögltcbfeit.

®as geuer, bas warm „in 3öirflid)fett" fei, macbe bas £>ola, bas warm

„in SSRöglicbfeit" fei, aueb warm in ‘Sßirflidbfeit. $as f>ola fönne fid) eben, tnfofern es falt fei, nid)t felbft warm macben.

©egen biefes 33eifptel fd)on wäre au fagen, bafe ein faltes f>ola nid)t nur burd) ein ®ing, bas warm „in 3ötrflid)feif" ift, erwärmt werben fann, fonbern aud) burd) entfpredjenbe 33erüf>rung mit einem falten 3)ing, burd) Reibung.

Söenn nun bas, fagt Jbornas, wooon etwas bewegt wirb, felbft wieber bewegt wirb, muffe es aud) wieber t>on einem anbern bewegt werben ufw. Sie 9ietbe ber oon anbern bewegten fönne aber nid)t ins Unenb=

liebe geben, fonbern man muffe enblicb einmal einen Beweger annebmen, ber felbft nid)t mebr bewegt wtrb, unb biefer fei ©ott.

Ste ©leicbfefcung oon ^Bewegung unb 33eränberung taffe id) gelten.

5lber bie Slusbrudswetfe, bewegen beifee aus bem Suftanb ber 2Höglid)=

feit in ben ber 3Birflid>feit Derfeßen, f>alte id) für gana unpbtlofopbtfd).

3n irgenbeiner 33eaiebung im Suftanb ber SOlögiidjfeit fein, ift, wie febon gejagt, feine pofitioe <£tgenfd>aft eines ©inges, fonbern bas ®ing ift, Wenn es jenen 3^ftanb nid)t bat eben in einem anberen 3uftanb ber 5Birflid)feit. 2lus gewiffen (Erfahrungen weife icb bann melleicbt, bafe biefer 3uftanb, wenn gewiffe 3uftänbe anberer ©inge baaufommen, in jenen übergebt, bewegen fann alfo nur beifeen, oon einem wirflidjen Suftanb in einen anberen wirflicben 3uftanb cerfefeen. Seber foldper Übergang ift bei ben Srfabrungsbingen in jebem Slugenblide fowobl burd) bas ®ing felbft als aud) burd) anbere ®inge, et a se et ab alio, beftimmt. 3d) faun baber fagen: Quidquid movetur, et a se et ab alio movetur. greilid) gibt es bierin erftens etn mebr ober weniger, aum minbeften bem Sinbrud nacb, ben bie Bewegung auf uns maebt. ®ie 33eränberung eines ®tnges fann, bem Gnnbrud auf uns nad), mebr bureb bas 5)ing felbft beftimmt fein ober mebr burd) anbere Stnge. 'SQBenn fie mebr burd) anbere beftimmt ift, gebrauchen wir oielfacb bie paffioe gorm:

es wirb bewegt, movetur. 2öenn bie 33eränberung mebr burd) bas ©ing felbft beftimmt ift, pflegen wir bie aftioe gorm anauwenben: es bewegt, movet. ®ie aftioe gorm fann fobann aber aud) ausbrüden, bafe bas eine 3Mng, inbem es anbers wirb, aud) anbere 2>inge oeränbert. ‘ffienn icb nur

(8)

158 ©o t t e sb er oe i f e unb © o t t e s f j o f f n u n g

bie deränberung eines ©inges, infofern fie burd) bas ®ing felbft be=

ftimmf ift, meine, fage id) im $eutfd)en Dtelleid)t: es bewegt fid), im ßateinifdjen brüdt auch bas bie paffioe gorm aus: movetur. 3cf) fct>e babet aber nur ab oon deränberungen an anberen SMngen. 3n 3Birflid)=

feit änbert fid) fein (Erfahrungsbing, ohne aud) anbere ®inge 31t änbern, unb fein (Erfahrungsbing Deränbert ein anberes, ohne babei felbft anbers 3u werben. ®as ift ber faufale 3nfammenhang ber ©inge. Quidquid movetur, movet. Quidquid movet, movetur.

Stlfo aud) ber begriff ber bewegung füf)rt nicht über bie (Erfahrungs=

binge hinaus.

(Es bliebe nod) ber begriff bes Swedes übrig, alfo ber teleologifd>e

©ottesbeweis. ©eine eingehenbe behanblung möchte id), ba bie ©ad)e

3U Derwidelt ift, auf ein anberes 3Ral Derfd)teben. fiier möchte td) nur anbeufen, bafj nach meiner Sluffaffung aud) bie Swedmäfjigfeit ein SDflerf=

mal ift, bas wir Don ben (Erfahrungsbingen abftrahieren. 2lud) fie weift alfo in feiner ‘ffieife über bie (Erfahrung hinaus. $)amit fie über bie (Er=

fahrung hinaus wiefe, müfete fie fid) uns fo geben, bajj wir erfennten, fie fei nid>t im SBefen ber (Erfahrungsbinge begrünbet, fomme alfo Don aujjen. ©0 nehmen wir fie aber nidt>t wahr; im ©egenteil, wir nehmen fie als burd) bas 2Befen ber (Erfahrungsbinge beftimmt wahr. Söie fd)on früher gefagt, ift eben nichts an ben Singen sufällig, fontingent, fonbern alles burd) bas et a se et ab alio etnbeutig beftimmt. 9tur folange id) Don bem faufalen 3nfimmenf)ang abfehe, if)n nicht fenne ober nid)t be=

achte, nenne id) etwas sufällig.

II. Über ©ottesboffnung.

Unfere (Erfenntnis führt auf feine Söeife über bie (Erfahrungswelt bin=

aus. ®as ^aufalitätsgefefc fagt nid)ts anberes, als bafo bie ©inge gemäfe bem et a se et ab alio aufammenhängen. (Es ift nur Don ber (Erfahrung abftrahiert unb ihm genügen bie (Erfahrungsbinge. 2lbcr unferem ©e=

fühlsbrange, unferem begehren genügen fie nicht. tiefes gibt uns 3war aud) oon feinem Objefte außerhalb ber (Erfahrung S?unbe, aber baburd), bafe ihm bie gegebenen Objefte nicht genügen, weift es über bie (Erfah=

rung hinaus. Unfer begehren ift auch etwas (Erfahrbares wie alles, was uns gegeben ift, es ift aud) et a se et ab alio, fubjeftiD unb objeftiD, beftimmt. ©ein Objeft nennen wir gans allgemein bas ©ute. 2Illes, was ift, ift irgenbwie gut, fann alfo irgenbwie Objeft unferes begehrens wer*

ben; fd)led)t ift etwas nur, infofern es anberes, bas mehr ift, behinbert.

3Bas „mehr" ift, ift freilief) ein fehr sufammengefetjter begriff. (Es fommt babei nicht nur auf Stenge, Umfang, 2ln3af)l an, fonbern nebft manchem anberen Dor allem aud) auf 3ntenfität unb ©auer.

(9)

© o t t e s b e r o e i fe unb © o t t e s & o f f n u n g 159

tiefes 33egehren nach allem, was ift, btefes ©efühl für alles, fönnen totr aud) Siebe im weiteften «Sinne nennen. 3nfofern biefer ©rang nach allem unfer $un beftimmt, fönnen mir ihn aud) bas allgemeinfte ©ebot nennen. Ss fagt: liebe alles, habe 6inn für alles, infofern es nicht etwas, bas mehr ift, behinbert!

©iefes ©efühl für alles beglüdt uns; aber es läfet uns unbefriebigt, es genügt uns nicht, es brängt immer nach mehr. ©ie (Erfahrungsbinge befd>ränfen unb behinbern einanber, woburd) bas 23öfe entfteht; aber aud) bas am wenigften behinberte, befchränfte, bas befte, genügt unferem

©ränge nicht, ©af>er benfen wir bie nicht begehrenswerten SEfterfmale Weg, erweitern bie begehrenswerten in ber Dichtung bes 95egehrens=- Werten bis ins Unenbliche unb bilben fo bie 33orftellung Don etwas, bas unferem ©ränge genügt, bas in feiner Söetfe befchränft, bebingt, ab alio, ift, fonbern unbefchränft, unbebingt, rein a se, unb begehren banach, lieben es.

3n ber (Erfahrung finben wir fein fold>es ©ing aufeer unferer 33or=

ftellung, aber unfere Erfahrung ift felber fe£>r befchränft. 3Bas über fte hinaus ift ober nicht ift, fein fann ober nicht fein fann, barüber ift nichts 3u erfahren, alfo nid)ts gu wiffen. 3Bir fönnen fo freilich ntd)t einmal bie SRöglichfeit bes Unbebingten feftftellen, aber aud) nicht bie Unmöglich“

feit. (Erfahrungstatfache ift aber wieberum, bafe neben jenem unbefrie*

bigten ©ränge bie Hoffnung auf beffen “Sefriebigung in uns lebt. 33er=

bunben mit bem ©efühl ber Hoffnung ift gewife eine 5trt Schlufe Don einer befchränften Siebeserfahrung auf eine unbefchränfte. ©as ift fret=

Itd) ein folcher a minori ad maius unb baher fein ©ewifeheits=, fonbern ein 3BahrfcheinIichfeitsf(^lufe.

3d> fehe mich aufeerftanbe, in wenigen SBorten SBefen unb ©runb biefer Hoffnung anjugeben. 3öie ©ante, ber im Fimmel über 3öefen, 3ni)alt unb ©runb feiner fwffnung geprüft wirb, möchte id) fagen:

„Da molte stelle mi vien questa luce.”

3d) möchte aber auch geftehen, bafe au jeber Seit meines Sebens mich nichts fo fehr mit (EwigfeitsDerlangen unb augleich (Ewigfeitshoffnung erfüllt hat wie bie Siebe meiner Sftutter. Stur mufe ich aud) geftehn, bafe meine Hoffnung jeberjeit weit entfernt Don jener fixeren Erwartung war, als bie ©ante unb bie fd>olaftifd)en Theologen bie 2ugenb ber Hoffnung beftimmen.

2lud) eine gana anbere Reihenfolge ber brei göttlichen Jugenben lehren jene Theologen. ©ie behaupten, bie Siebe fe^e bie Hoffnung unb ben

©lauben Doraus unb bie Hoffnung ben ©lauben. 6ie Derftehen aber unter ©lauben, bafe wir bem lieben ©ott bas glauben, was er geoffen=

bart hat. (Es fcheint mir aber eigentlich fd)on eine ©ottesläfterung ju fein, ihm gegenüber oon ©laube unb Hoffnung überhaupt su reben. Rein,

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160 ®_Dttesbetoeife unb © o tt es f co f fn u n g

fern Sötenfd) bezweifelt bas, wooon er überzeugt ift, bafe ©ott es gefagt habe. 5Bof)I aber fanrt jemanbem manches oon bem jweifelbaft werben, was bie Theologen fagen. Dann bleiben boch noch btefe brei: ©laube, Hoffnung unb Siebe; aber bas erfte ift bann bie Siebe. 6ie wedt bie Hoffnung unb btefe !ann fid) 31t einem mehr ober weniger feften ©lauben oerftärfen.

greiltd) ift jener ©laube auf ©runb bes ©cfüijtes bes Ungenügens am 3rbtfd>en unb ber Hoffnung auf 33efferes etwas (Sdjwanfenbes, bei Dielen 3TCenfd)en wenigftens jeitweife bem Zweifel unterworfen, je nad) bem wir mebr ober weniger Siebe unb sugleid) mebr ober weniger Ungenügen fühlen. Slber fo ift es einmal, unb erfahrungsgemäß wirb ber ©laube nicht burd) 95ewetfe geftärft, fonbern burcb Erlebniffe, bie bie Siebe in uns »ermebren unb uns jugleid) bie Unjulänglicbfeit aller irbifcben Siebe füllen laffen. Deshalb ift auch bas Äennaetcben ber wahren Religion, wie Seffings Parabel Don ben brei Gingen fagt, baß fie am meiften Siebe Derbrettet.

©laube, Hoffnung unb Siebe finb als reltgiöfe Sitte nicht wefentlid) oerfchieben Don benfelben Slften, wenn fie ficb auf bebingte Objefte be=

Stehen, ©pesiftfcbe religiöfe Slfte, wie fie SJlay (Scheler tn feinem Söerfe

„33om Ewigen im 3Renfd)en" lehrt, ober ein eigenes, Don anberen ©e=

fühlen oerfd)tebenes, unableitbares religiöfes ©efühl, wie Otto 9tubolf in bem 33ud>e „Das |jeilige", glaube ich in mir nicht <$u ftnben.

Sluf bie grage: „Was barf ich hoffen?" weife ich eigentlich feine anbere Slntwort als: „Die (Stillung meiner 6ehnfud)t nach Siebe." 3ebe ge=

nauere Slngabe bes Onhalts ber Hoffnung wenbet unter bem Drange bes

©efühles SRerfmale, bie Don ben Erfabrungsbingen abftrahiert finb, auf etwas an, bas aufeerbalb jeber Erfahrung liegt. Damit foll bie 33ebeu=

tung unb 33ered)tigung ber SSilbung Don folgen f>offnungs= unb ©lau=

bensinhalten nicht geleugnet werben.

Es gibt wohl aud) heute noch »tele, für bie bie Hoffnung eine fiebere Erwartung unb ber ©laube ein feftes gürwabrbalten ift. ©0 mancher aber betet: ,,3d) glaube, f>err, hilf meinem Unglauben!", unb immer gahl=

reidjer fd)einen bie ju werben, bie faum ?u fagen wagen, bafe fie glauben, fonbern nur, bafe fie hoffen.

60 fühlt Jheobor gontanes tobfranfe „Effie 93rieft", bie „fo ruhig über (Sterben" ift.

„60 oerging ber (Sommer, unb bie @ternfd)nuppennäd)te lagen fdjon jurüd. Effie hotte währenb biefer S'läcbte bis über 3ftitternad)t hinaus am genfter gefeffen unb fid) nicht mübe feben fonnen. ,3d> war immer eine fd»wad)e Ebriftin; aber ob wir bod) oielleidjt oon ba oben ftammen, unb wenn es hier Dorbei ift, in unfere bintmlifd>e Heimat jurüdfebren, 3U ben ©fernen oben ober nod) barüber hinaus! 3d) weife es nicht, ich will es aud) nicht wiffen, td) habe nur bie ©ebnfud)t!‘"

(11)

9 l e u f d > o I a f t t f 161

3 W f c f )o f a f f if

55on Sber &ar b Cüonje

Sine 6er intereffanteften (Erfcheinungen bes gefd)td>tlichen 3öerbens ift bas ^änomen ber „9ienaiffance", bie $atfad>e, bafe eine bahingefunfene (Epod>e oiele Sahrhunberte fpäter in einer anberen wiebergeboren »erben lann unb anbererfeits, bafe biefe fpätere ©poche ihren (Erfenntnis= unb (Erlebnisgehalt non einer früheren fcheinbar oollfommen übernimmt, dorgüglid) bas ©riechentum befifct biefe gähigfeit 3ur SBiebergeburt. ©ie Seit 5tarls bes ©rofjen, bas 13. Sahrhunbert, bie „Stenaiffance" felbft, bas Sheater Subwigs XIV., ber beutfehe Ulaffisismus, um nur (Einiges 3u nennen, wollten bewuftt nichts anberes, als bas treu nachsubilben, Was bie ©riechen oorgebilbet hatten, wobei ihnen jeboch unter ber §>anb bie getreue 9teprobuftion 3ur originalen ‘’ßrobuttion würbe. 2luch bas

„Sftittelalter" hat fid) nach feinem Jobe nicht als tot erwiefen. ©eine erfte 9lenaiffance erlebte es in ber Stomantif. ®ie ä r cf) e n = unb S a u b e r w e l t bes SRittelalters 30g bamals bie Slugen ber oon ratio=

naliftifcher SBeltoerflachung fortftrebenben ©ebilbeten auf fid>. ©eine t heor et i f chen S e i ft ungen würben feiten beachtet. ®ennod>

würbe in jenem Seitalter juerft bie hoppelte 2Iufgabe in Singriff genom=

men, welche fid) bie neufc^olaftifdje Bewegung geftellt hat: bie hiftorifche (Erforfchung bes philofophifchen ®enfens im Sftittelalter unb bie (Er=

neuerung bes fatf)otifd)en ©ebanfens burd) SBieberbefinnung auf bie Seiftungen feiner 33lüte3eit. gür j enes war, wie in fo otelen anberen Gingen, ber aus feines ©dmften befannte 53ictor (Eoufin ber grofoe SInreger. Sr unb feine ©chüler, ©aiffet, 23oud)itte, 9temujat, Sourbain, fiaureau u. a. haben bie erffen foltben gunbamente für bie neue 2öiffen=

fc^aft gelegt, wenn man oon ben 99taurinermönd)en abfieht. ® i e f e s gefdjwh 3uerft in einem SBerfe, weld)es ber italienifche ^efuit ßiberatore 3u beginn bes 19. 3af)rhunberts über ben heiligen Thomas oon Slqutn erfcheinen liefe, unb Welchem ein fo ungewöhnlicher (Erfolg belieben war, baß »on ihm aus ber SInfang ber neuthomiftifdjen Bewegung gerechnet werben !ann. 3n ber golgeseit würbe ber mit unb nach ber Jtomantif wiebererftarfenbe Slatholistsmus auf ber ©ud)e nach einem

©pftem, welches er bem ihm feinblichen mobernen ©eifte ebenbürtig entgegenftellen fonnte, immer wieber auf bas Seitalter ber fwchfcholaftif (13. Siahrhunbert) unb auf feine reiffte unb mächtigfte ©eftalt, ben heiligen $homas (1227—1274) geführt. ©0 lag fd>on eine grofee SInsahl gelehrter ilnterfudjungen r>or, fo war fchon (Erfenntnis unb (Schäftung bes

„englifchen ßehrers" weit fortgefdjritten, als im [fahre 1879 ber thomiftifche ^apft ßeo XIII. in ber berühmten (En3p!Iifa „aeterni Patris“

bas ©tubtum bes ^eiligen auf bas bringlid)fte empfahl, feine ©c^rfften

(12)

162 9 t e u ( d ) o I a f t i f

in ben SOlittelpunft bes theologifchen Unterrichtes su [teilen befahl unb feine Sehre als ben getreueften Slusbrucf fatholifchen Senfens bejetchnete.

Sie Anregung btefer Snapflifa, ber äabireicbe ä^nltd) lautenbe $ußerun=

gen bis auf ben gütigen Sag gefolgt finb, würbe oon ber S?ird)e freubig aufgenommen, unb beute ift ber Steotbomismus nicht nur bie anerfannte

^btfofopbie ber Äircbe, fonbern aud) burd) bie 33emübungen fo oieler Äöpfe ein refpeftierter ©egner nid)tfatf)olif<ä)en Senfens geworben.

Sie l)tfforifd)e (Erforfcbung beffen, was bas SK ittelalter gebad)t bat ban! einer 9leibe erftrangiger ©elebrter, unter welchen td) nur Senifle, 35aeum!er unb ©rabmann nenne, eine erftaunlid)e gülle oon Sftaterial auffammeln fönnen, obne baß feine gebanfltcbe Verarbeitung bisher mit ber ©efd)Winbigfeit biefer ©ammeitätigfeit hätte ©chritt halten fönnen. §ür bte Surd)bringung moberner Probleme mit fcbolafti=

fd)em ©ebanfengute unb eine zeitgemäße gortbilbung bes tbomiftifchen

©pftemes bagegen baben am meiften getan in Seutfdjlanb ©epfer unb

^rapwara ©. 3.; in Belgien ber befannte ^arbtnal SJtercier, ber breißtg 3af>re, beoor er fid) ben beutfchen Strmeen wiberfeßte, ben beutfcben

^bilofopben S?ant in einer für ben Jbomismus flaffifd) geworbenen 3Beife wiberlegte; in granfreid) ber Somintfaner ©arrigou-Sagrange unb ber ehemalige 93ergfonfd>üler Sftaritain, burd) beffen glanpolle ^er»

fönlid)feit ber ■fteothomismus gegenwärtig ?ur ‘’Philofopbte bes fran=

3öfifd)en ©alons geworben ift; unb enblid) ift in Italien nod) ©emelli p nennen, ber Organifator ber fatholifchen Unioerfität in Sfftailanb.

33eoor td) jebod) (Einiges über bte neufd)oIaftifcf)e ßehre felbft fage, muß id) bemerfen, baß Sleufcholaftif unb Sleutbomismus nicbt fd)led)tl)in ibentifcbe begriffe ftnb. (Es gibt innerhalb ber S?trd)e anbere, ebenfalls ortboboye 93eftrebungen, welche nicht an $bomas, fonbern an anbere SEReifter ber ©cholaftif anfnüpfen. 60 folgen bte granäisfaner in einigen wichtigen Sebrpunften ihren Orbenslebrern 'Sonaoentura (+ 1274) unb Suns ©cotus (f 1308), wäbrenb eine Slnjahl oon ^efuiten bte Sehre bes Jhomas gwar nic^t bireft oerlaffen, fte aber bod) tn mehreren gälten im

©tnne bes ©uarej (f 1617), bes großen ^Philofophen ihres Orbens inter­

pretieren. 3ebod» finb bte Streitfragen, um welche es fid) hier tmnbelt, oon fo großer ©ubtüität, baß felbft ihre (Erwähnung hier unterbleiben muß.

Senn bas intereffiert natürlich oiel mehr, als bie ©treitigfeiten ber SHeufcfcoIafttfer unter fid», p wtffen, worin fte allen anberen Senfern gegenüber einig ftnb, anbers ausgebrüdt, was ihren fpe3tftfd)en (Eharafter als einer relafio in fid) gefrf)loffenen ©chule oon Senfern ausmad)t. Sa ift es benn ein merfwürbiges gaftum oon großer Tragweite, baß, währenb nod) oor etwa 15 fahren bte innerhalb bes nichtfatholifchen Senfens benfchenben philofophtfdjen ©pfteme, ^antianismus unb

(13)

‘J t e u f d j o l a f t i f 163

Sergfonismus, faum irgenbweldje tfbereinftimmungen aufwiefen mit ben

©runbleijren, it>clrf>c ben Jhomismus ausjeichnen, ber Sntwicflungsgang bes mobernen ©enfens in feinen lebten “’ßhafen fid) in wefentlicher Söetfe ben lefcten (Enbes Striftotelifchen ©runbpofitionen bes thomiftifchen

©pftemes angenähert f>at. ®ie Reufcholafttfer pflegen biefe neue unb überrafd>enbe 3öenbung mit ben 5lusbrü<fen „3Benbe jum Objeft" unb

„?Benbe jur 2ERetapf>pfif" fchlagwortartig gu fennjeichnen. £s t>anbelt fid) l>ter um bas Problem, beffen ©isfuffion ben Hauptinhalt bes »er=

gangenen 3^ttaltcrs ausgemacht hat unb gemeinhin als bas „Realitäts- Problem" beaetdjnef toirb. 3n grage fteht hier bas Verhältnis unferes

©enfens au ben ®ingen, über welche wir urteilen, ©er gefunbe SRenfchen- ßerftanb antwortet natürlich, bafe bas ©enfen, um richtig ju fein, ben gebachten ©ad)»erhalt mögltd)ft getreu wiebergeben müffe. 3Benn id) urteile, baft biefes ®uch braun ift, fo ift btefes Urteil natürlich nur bann richtig, wenn es auch wirflich braun ift. $as ©enfen mufj fid) nach bem

©ein rieten. ©as erfd)eint bem natürlichen Süftenfchenßerftanbe als fo felbftoerftänblid), bafe er leine weiteren SBorte barüber perlieren gu muffen glaubt. Rieht fo bem ^hifofaphen. ©ie (Entwkflung feit S?ant hatte immer flarer ju erfennen geglaubt, bafj es erft bas ©enfen ift, Welches bas Shaos ber unmittelbaren ©innesempfinbungen formt unb bafj baher bie Wahrheit einer Slusfage nicht in ihrer tfberetnftimmung mit ber 3Bir!lid)!eit befteht, fonbern in ihrer Übereinftimmung entweber mit ben ©efefcen bes menfd)lichen ©enfens ober gar mit ben menfehlichen 33ebürfniffen. Sdlit anberen ^Borten helfet bas: gür bie einen ift ein ©afc bann wahr, wenn er mit feinem anberen in bas ©pftem aufgenommenen

©afte im SBiberfpruche fteht; für bie anberen, wenn er lebensförbernb, wenn er bem SRenfdjen nüfelid) ift. ©er gefunbe Rtenfchenßerftanb greift fich in feine fpärlidjen §>aare unb finbet bies alles reichlich unoerftänblich unb überflüffig. Unb bie Jhomiften wtffen ftrf) einig mit einem beträcht­

lichen Seile ber gegenwärtigen Wlofophte, wenn fie ihn wteber in feine Rechte einjufeften fuchen. Rtit welken ©rünben, bleibe hier un=

unterfucht. (Es fei nur noch bemerft, bafj bie fatholifchen ©enfer in biefer

„3Benbe gum Objeft" ben Slusbrud einer fittlichen Haltung ber '©eit gegenüber fehen, welche bem Sänften, welche bem ^atholifen allein ge=

3iemt. ©emütig follen wir nom Objefte, Don ben ©ingen lernen, nicht ihnen herrifd) unferen SSMIIen, unfer 3Befen aufbrängen. (Ehrfürd)tig ftaunenb follen wir bie £errlichfeiten unb 3öunber ber 3öelt betrachten unb nicht wähnen, bie 2Belt nach unferem 'Silbe fchaffen unb orbnen gu fönnen. f>ier fehen wir biefe fdjeinbar abftrafte unb überflüffige grage jufammenhängen mit ben tiefften ©cf)id)ten bes religiöfen Sewufjtfeins unb ben lefcten Sntfchetbungen unferes ©afeins überhaupt. Roch wehr ift bies ber galt mit ber grage nach Riöglichfeit unb 3Befen ber 3Reta=

(14)

164 9teligii>fe 3 l u s f l ä t u n g

phPfü- $ie grage nad) ihrer 93t ö glich f e i t , jahrsehntelang mit (£mphafe »erneint, wirb jeftt Don weiteften Greifen mit ebenfoldjer Gmphafe bejaht. ©er große Erfolg t>on Männern wie Steiner u. a. be=

Weifen bies. 3n 3ahlreichen Ausführungen baten bie neufcf)olaftifd)en

©enter ben Nachweis 3U führen oerfud)t, baß eine Sftetaphpfif ntd)t nur möglid), fonbern auch notwenbig fei, ja, baß felbft bie ©pfteme ber anti=

metaphpfifchen ©enfer, 3uenbegebad>t, gut 9Pletaphpfif führen müßten, gübren fie hier nur einen wiffenfd>aftlid)en Beweis für bie Berechtigung eines gegenwärtig weit perbreiteten ©efühles, fo weichen fie in ber Beftimmung bes 28 e f e n s ber SSRetaphpfif weit ab oon ben Meinungen bes Jages. ©egenüber allen fd)Wärmerifchen, gefühlsfeligen unb mpftt3t=

fierenben Beftrebungen halten fie mit bewunberungswürbiger Alraft an bem wiffenfchaftlichen Sharafter ber SUtetaphpfif feft, bie fie bann nähet als 2Btj]enfchaft »om ©ein beftimmen. 2öas fie fo an Popularität oer=

lieren, gewinnen fie an 9ti»eau. ©ie haben r»on 5lriftoteies unb Thomas eine ©etnswiffenfebaft non erftaunlid>er ©efchloffenheit unb 3Tiefe über=

nommen. (Ontereffenten für biefe ©inge würbe id) empfehlen, einmal bie treffliche Überfefeung ber 2lriftotetifd)en Sftetapbpfif Don £affon 3U lefen.) ©ie haben bie unvergänglichen ©runbprinaipien biefer 5Dteta=

phpfif, weld>e lange Seit oerfd)üttet lagen, wieber gu ®hren gebraut.

3efet arbeiten fie baran, fie mit ben Srgebniffen ber (Einaelwiffen*

fchaften in Begiehungen 3u feßen, fie ihres alten ©ewanbes 3u ent=

fleiben unb ihre ©arftellung unb Slusgeftaltung moberner ©enf= unb

©mpfinbungsweife angupaffen. 3n biefem ©inne bebeutet bie Sfou*

fchoiaftif bie größte Hoffnung, welche wir gegenwärtig überhaupt haben.

Bon ben ^robuften ber ©tubengelehrfamfeit wirb fid) ihre SSJtetaphpfif baburch unterfchetben, baß fie oon bem lebenbigen Sufammenhange einer großen ©emeinfehaft getragen wirb; oon ben rhapfobifeben (£rgüffen ber

^opularphilofophie burd) bie 2lnwenbung einer ftreng wiffenfchaftlichen Sftetbobe; unb enbltd) »on ber 2öillfürlid)feit ber ©pfteme oereinselt blei=

benber ©enfer burd) bie Bewährung in einem mehr als sweitaufenb*

jährigen 3Trabitions3ufammenbange.

Sin SBort für bie Sßeiljnaifttsäeif. 33 on 9tatmunb (£berf>arb

Bor mir liegt eine ©erte „oolfstümlidjer greibenferfchriften" oon

©eorg Gramer, Dr. phil., 1920, ©elbftoerlag^üffelborf1). (Es finb nach bem Verseicbnis auf ber 9lüdfeite ber §>efte bis jeßt 30 £>efte, oon benen id) einige STitel willfürlich herausgreife, fo: „'JBarum glauben wir nicht?" (1), „Babel — Bibel" (2), ,,©ie ©eburt bes Siefus — Wahrheit

*) 3rt neuer 2luftage erfc&ienen 1924. 2. Olbeni>urg=33er(ag, Seipjig.

(15)

91 e l i g i 6 1 e S lus f t ä r u n g 165

ober 2)id)tung?"(3), „©ibt es einen ©oft?" (4), „©ibt es eine (Seele?" (5),

„©laube ober Vernunft" (7), „§>aedels Söeltanfchauung" (8), „3ft bas

©ewiffen ©ottes Stimme?" (10), „3)ie Sünben ber ‘’Päpfte" (11), „Sie Unwahrheit in ber btbel" (13), ,,©te Sünben bes bibelgottes" (14),

„3ft Sefus gefreujigt worben?" (16), „Oft f t e f u s auferftanben?" (17),

„23on ber 3elle 3um Säugetier" (22), „2Bie finb bie SDlenfc^en ent- ftanben?" (24), ,,93tenfd) unb 2lffe" (25), „®ie Religion ber Ver­

nunft" (27), „S?ann es eine (ewige) derbammnis geben?" (28), „günf Srauerreben" (30). (Es finb alles fdjmale, bünne f>efte, auf fd)fed)tem Rapier gebrueft, fie foften nur einige Pfennige, unb finb alfo auf SPtaffen-

»erbreitung berechnet, unb werben aud) offenbar in SÖlaffen im beutfehen Soll oerbreitet. 2>enn 3. 95. auf bem (Ejemplar bes oor mir liegenben f>eftes 9ir. 3, auf bas id) näher eingeben werbe, fteht oermerft: „16. bis 20. Saufenb." 3d> bemerfe nun gleich im ooraus, bajj es mir bei bem Problem ber religiöfen 21 u f flärung, bie in SBahrheit eine 21 u s = flärung ift, feineswegs f p e 3 i e 11 auf bie angeführten Schriften an=

fommt, fie finb oielmehr nur beifpiele für eine ganse glutwelle populär auf= unb ausflärerifdjer Sd)riften, mit benen unfer dolf überfchwemmt wirb, unb id) rechne hierher 3. b . aud) büchners „Uraft unb Stoff" unb fmedels „2Belträtfel", welch lefetere fid) trot? ihres wiffenfchaftlichen 2lnftrid)es unb ihrer ungesählten grembwörter in dkbrheit um nichts über jene Schriften oon Gramer erheben, es fei nur an ben „faulen SBife" — ich habe für bie gänsliche derftänbnis= unb (Ehrfurd)tslofigfeit feinen anbern 2tusbrud — oon ©ott als bem „gasförmigen 2öirbeltier"

erinnert. Stuf berfelben Stufe ber 2luf= unb 2Iusflärung ftehen u. a. auch 3ahlreid>e ^eitungsartifel, bie oon einer grofjen Strahl ultra=linfs ftehenber Leitungen anläßlich ber dmftlichen gefte gebracht werben, unb bie in ihrer Seichtheit einen religiöfen Jiefftanb ohnegleichen bartun.

2öenn id) bennod) auf bie &ramerfd)en £>efte, unb infonberheit auf bas f>eft 9tr. 3: „2>ie ©eburt bes Sefus — dkhrheit ober ©ichtung?"

eingehe, fo gefd)tef>t bies nicht um biefer fiefte felbft willen, fonbern nur, weil fie tppifch finb für bie ganse auf= unb ausflärertfche bewegung, bie burd) unfer dolf geht-

2115 3DRotto aber für bas golgenbe ftelle id) ein SBort aus Schleier- machers „Sieben über bie Religion an bie ©ebilbeten unter ihren Ver­

ächtern" her, bas in ber 3Tat auf bie ganse bewegung ein Schlaglicht wirft. (Es helfet hier:

„©er SDlenfd) wirb mit ber religiöfen Anlage geboren wie mit jeher anberen, unb wenn nur fein Sinn nicht gewaltfam unterbrüdt, wenn nur nicht jebe ©emeinfehaft 3Wifd)en ihm unb bem Unioerfum gefperrt unb oerrammelt wirb — bies finb eingeftanben bie beiben (Elemente ber

(16)

166 9 l e l i g i ö f e 2 I u s ! l ä t u n g

Religion —> fo müßte fte fid) aud) in jebem unfehlbar auf feine eigene 2lrt entwideln; aber bas ift eben, was leiber oon ber erften Äinbheit an in fo reichem SJtafee gefcf)ief>t in unferer Seit- SDltt ©chmerjen fef>e id) es täglid), rote bie SB u t bes 33erftef)ens ben © i n n gar nid)t a u f f o m m e n läfet, unb nun alles fid) oereinigt, ben SJlenfchen an bas (Enblidje unb an einen fefjr tleincn ‘’Punft besfelben ju befeftigen, bamit bas Unenbltd>e ihm foweit als möglich aus ben Slugen gerüdt

»erbe. 2Bas htnbert bas ©ebeihen ber Religion? Rieht bie S^eifler unb ©pötter; roenn biefe aud) gern ben SBtllen mitteilen, leine Religion 3U haben, fo ftört fie bod) bie Ratur nicht, welche fie heroorbrtngen roill;

aud) nicht bie ©ititenlofen, wie man meint; ihr ©treben unb 3Btr!en ift einer ganj anberen Äraft entgegengefefet als biefer; f o n b e r n bie o e r f t ä nb i g e n unb p r a f 11 f d) e n 93t e n f d) e n; biefe ftnb in bem jefetgen Suftanbe ber SBelt bas ©egengewicht gegen bie Religion, unb ihr grofees Übergewicht ift bie ilrfadje, warum fie eine fo bürftige unb unbebeutenbe Rolle fpielt. 33on ber jarten Slinbheit an mifehanbeln fie ben SDtenfchen unb unterbrüden fein Streben nach höherem." —

3Ran fönnte in ber $at faft bie gange britte Rebe „Über bie 33tlbung ber Religion", aus ber bie angeführte Stelle ftammt, hcrftellen, fo getreu ift fie ein Slbbilb unferer Seit. §>eute wie bamals finb Utilitarismus unb 3ntelle!tualismus bie Jobfeinbe aller Religion, unb leiber, leiber finb aud) vielfältig — nicht nur liberale, fonbern audj) orthoboje — ©eiftlidje berartig in einen Sntelleftualismus oerrannt, bafe unter ihren frnnben bas jarte ^flänslein ber Religion fd)ier oerfümmert. ®ie Orthobojen fteden im fnftoriaismus unb Dogmatismus unb bie ßtberalen im Ratu- ralismus unb Utilitarismus. 3n beiben gälten wirb bas Unenbltche, Un- bebingte, übergeitliche mit einiger (Energie Innausfomplimentiert, unb bas (Enbliche, SSebingte, Seitliche mad)t fid) nun anmafeenb breit. Onbeffen, ba unfere Drthobojen bas Söunber ftehen laffen, fo weifen fte bamit bod) über bas Raturbebingte unb fomit (Enbliche hinaus, unb oerfperren bem ahnenben ©emüte ben 2Beg jum tieferliegenben Sinn nid)t gang, ©tes aber tun bie reltgiöfen Sluf* unb 2Ius!lärer in gerabesu rabifaler Söeife.

60 wirb 3. 35. in ber »olfstümlichen gretbenferfchrift: „3)te ©eburt bes 3efus — Söahrheit ober ®icf)tung?" ber Bericht bes (Eoangetiums über bte ©eburt bes Sefus an ber fianb ber 2öiffenfd)aft — »ergleichenbe Religionswtffenfchaft, allgemeine ©efd)id)fswtffenfchaft, Jejffritif u. a. m.

— »ollftänbtg aerpflüdt unb es helfet bann 3um ©d)Iufe: „3öas wiffen wir oon ber ©eburt 3efus, was bürfen wir als gewife annehmen, fo fann bie Slntmort fehr !ur3 lauten: R t d) t s ; bie ganje ©eburtsgefchichte ift nicht SBahrheit, fonbern — S> t d) t u n g I" 1)

*) ®ic f>er»orf)ebungen fielen im Original.

(17)

9t e l i g i 6 f e 21 u s fl ä r u ng 167

Sllfo bamit, bafe nichts oon ber (Scburfsgefd)tcf)tc oom ©tanbpunft Pofitioer SBiffenfchaft aus gefehen, wahr, baß oielmehr alles Dichtung ift, ift für ben S3erfaffer unb ebenfo für ungezählte „SJerftänbtge unb praf=

tifd)e SJlenfchen", btefe ©efd)ichte enbgültig erlebigt. Das Urteil „Dich»

tung" »erntetet ihren Wert in aller unb jeber £>infid)f! —

Slber ift bem wirflid) fo? 3 d) fage n e i n, unb a b e r m a l s nein. SOtit ber geftftellung, baß es fid) um eine Dichtung hanbelt,

^ o r t b a s (! P r o b l c m n t d & t a u f , f o n b c r n f ä n g t e s e r f t a n .

^öefanntlid) ift ©oethes „gauft" auch eine Dichtung, aber ift mit ber geftftellung biefer 3Taffad>e ber Wert, bie SSebeutung, bie Wahrheit bes Sauft oernichtet? 3d) fage nochmals: 9tein unb abermals nein! 3n biefer Dichtung bes gauft »erben bem SOtenfchengeifte Wahrheiten offenbart, tiefere Wahrheiten, als wie fie je ein nod) fo beglaubigter 33erid)t oon einem einzelnen gefd>ichtlid)en Ereignis uns fünben fönnte. 3m gauft hanbelt es fid) um W a h r h e i t , im ©efd)id)tsberid)t um SB i r f l i d) « f e it 1) unb es bebarf ber Jiefenfchau ber inneren Slugen, um aus ber Schale ber Wirflid)feit ben Hern ber Wahrheit herausjufchälen. 3um Sluge bes ßeibes muß bas Sluge bes ©elftes fid) hinzugefellen, um bas in allem Sinnlichen, Seitlichen, 33ebtngten, Srbtfchen fid) offenbarenbe Unfinnliche, Ewige, Unbebingte, f>immlifd)e zu erfchauen. 3d) benfe, bies ift angefid)ts ber Dichtung „gauft" bod) ohne weiteres flar. §>ter hat einer ber größten ©eher unb Propheten ber SHenfchheit bie innere Waf)r=

heit, bie ihm aus ber Erfahrung eines langen, ihn burd) alle fjimmel unb Zöllen führenben ßebens hert>orgewad)fen ift, in einer bem 2ftenfd>en=

geifte angemeffenen — unb barum fd)önen — gorm oerfünbet unb bamit ungezählte ©eelen zu 2id)t unb Klarheit geführt unb bie ©onne ber Wahrheit in ihnen entjünbet. —

Onbeffen man braucht gar nicht zu ben haften Stfteifterwerfen ber Sftenfchheit zu greifen. Enthält nicht jebes SDtärchen — etwa eins ber 33olfsmärd)en ber ©ebrüber ©rimm — tieffte Wahrheit? Wäre bem nicht fo, wie fönnte es bie finbltd>e ©eele zu ben feligften Entzüdungen hinreißen, unb alfo fie nähren unb helfen, baß fie fid) entfaltet unb zu immer fchönerer ©chönheit unb reiferem Reichtum aufblüht! Unb gilt bies nid)t aud) oon jebem fletnen ©ebid)t, in bem nad> bem fd>önen S3ers ber Ebner=Efd)enbad) „eine ganze ©eele" liegt? 3a, es gibt feelifd>e Wahrheiten, geiftige Klarheiten, wie fie fein nod) fo beglaubigter ge=

*) SMefe (Entgegenfefoung oon „®af)rf)etf" unb „2Birf(id)(eit" bürfte ju SJtifjüer- ftänbniffen Ieid)t 2lntafe bieten. Snbem ein ©efd>id>t5bericf)t beanfprudjt, „Sßirflidjfeit“

getreu nrieberjugeben, erbebt aud) er 2tn(prucf> auf „5Babrt)cit". ©er gen. Dichtung tann natürlid) aud) „3Babrf>eit" augefproeben roerben, aber ibr ©egenftanb ift nidjt fotcobl bie 3Birflicf>feit, fonbern bas 2Befen ber SRenfcfyen ober eines SKenfc^entppus, (j. 33. einjelne beftimmte HTCenfcfcen).

Wlofopbie unb ßcben. V. 12

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