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Philosophie und Leben. Jg. 4, H. 7 (1928)

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Academic year: 2022

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^tiofop^te unö Heben

4. JAHRGANG + 7. HEFT + JU L I 1928

„3m Ötenße ber Dolhgetn^ett erttrebt unfere ieiH äftiU eine fadj = lt$e 2tu«fprache ber betriebenen toeltanfchaultihen Eichungen.“

JJrauenJrage um 1800 unb 1900

Sie befannte Vorfämpferin ber grauenbewegung, £>el eneSange,

»eröffentlid)te im 7. 3ahrg. ber „grau" (3anuarheft 1900) einen Auffatj, in bem fie ©teilen anführt aus einem 1808 erfchienenen SBerf: „fjtfto=

rifches ©entälbe ber Sage unb bes Suftanbes bes weiblichen ©efdjledjts unter allen VöHern ber Erbe »on ben älteften bis auf bie neueften Seiten, entworfen nach Heiners oon 3ohann 3ofeph 21 b e I (Ein ßefebuch für Jöchter ber höheren unb mittleren ©tänbe. Setpjig, bei Auguft ©<hu=

mann).

9Rit aller Einbringlichfeit warnt Abel bie SERäbchen baoor, bie 3Rög=

lichfeit ber Ehe 3U oerfchersen unb aus Übermut einem rechtlichen 3Rann einen Korb 3u geben, ,,©cf)on manche, bie bl oß f ü r i h r e n S t o l a liebte, bie fich in bem ©lan3 oteler Siebhaber gefiel unb ftd) für feinen er=

flärte, ift oeraltet, ohne baß bie Siebe fie belohnt hätte. 9Rand)es 3Räb=

chen, bas aus ©tol3 immer nur auf einen nod) oornehmeren unb reicheren

©atten wartet, erteilt barüber bas 3w e i u n b3w a n3i gfte(!) 3ahr.

3Rit biefem 3ahr macht eure üppige 3ugenbblüte, eure Schönheit ©till=

ft a n b ; unaufhaltbar geht es nun rüdwärts, bod) bie erften 3wet 3ahre nur unmerflich, wenn ihr, SERäbchen, euch nicht felbft ben Ausfd)Weifungen hingabt! Sann aber nach &em Abläufe bes o i e r u n b s w a n s i g f t e n 3 a h t e s unaufhaltbar.

9öenn ihr in bi ef em Alter noch feine f e ft e Verbtnbung habt, fo glaubt, baß euch fein 2Rann mehr au s S e i b e n f c h a f t wählt; ihr müßtet benn f e 11 e n e Anlagen bes ©eiftes 3U einer außerorbentlichen Reife unb Kultur hinaufgeläutert haben; benn ob ihr es gleich auch nicht eingeftehen wollt, ob ihr gleich eueren ©piegel beftechen möchtet — bie f ch ö n e Vlütejeit ift oerfchwunben...

3Rit rafchem gluge eilt ihr bem breißigften 3ahre 3U, ber großen

© r e n s e ber 3ugenb. f>abt ihr fein Vermögen, baß fich, biefes Vermögens wegen, etwa bann noch ein ©eisiger über euch erbarmt, fo habt ihr bie traurige Ausficht, a l t e S u n g f e r n j u werben."

Unb nun folgt eine wahrhaft 9Ritleib unb Sd)recfen erregenbe 6<hil=

berung ber „alten 3ungfer". ©ie ift ein „unnütjes Hausgerät", ein „über-

D bilofopbie unb Ceben. I V . 1 3

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186 g r a u e n f r a g e um 1 8 0 0 u n b 1 9 0 0

flüffiges ©efdjöpf", „ficf) felbft 3ur Saft", aber bod) i<A> am Seben f)än=

genb, babei egoiftifd), ja „ein wahres Naubneft »on jerftörenben Seiben»

fcbaffen".

Helene Sange bemerft ju biefer 6d)ilberung u. a.: „Sas ©efefe, unter bem bie grau bes »ergangenen 3abrhunberts unb feiner Vorgänger ftanb, fprtngt aus ben »orftehenben Ausführungen flar i>er»or: es ift bas Nouffeaufd)e la femme est faite specialement pour plaire ä l'homme (,bie grau ift eigens baju gefdjaffen, bem Spanne gu gefallen1)- 3l)re Beftimmung ift bie Ehe um jeben ^reis, erlauft burd) ©chönheit ober roenigftens 3ugenbfrifd)e, unb, wo biefe »ergangen ift, burd) ©elb."

©ie fügt weiter Ijinju: „Aud) heute beherrfcht biefe Anfchauung weite Kreife." Sie faft brei Sahrjehnte, bie ingwifchen »ergangen finb, haben trofc Krieg unb 5le»olution jene Auffaffung »om SBert unb Beftimmung ber grau swar weiter gurüdbrängen, aber burdjaus nod) nicht befeitigen fönnen. Unb man finbet fie nicht feiten aud) nod) bei jungen Seuten, felbft SÜJtäbdjen, bie fid) babei tounber wie „mobern" »erfommen.

greilich tjat fid) immer weiter jene neue ilberjeugung burd)gefefct, bie Helene Sange fo formuliert: „Sie grau »on heute fühlt fich unter einem anbern ©efefc ftehenb. Ss lautet nicht mehr: Heirat um jeben ‘’ßreis, Se=

ben nur burd) ben 3Rann unb um bes SERannes willen, f e f u n b ä r e s Seben alfo, fonbern B e t ä t i g u n g ber e i g e n e n N a t u r .

gür weitaus bie meiften grauen wirb bas Seben unter bem neuen fitt- lichen ®efet3 nach wie »or Ehe unb SERutterfchaft, bas Sehen unter bem natürlid)en ©efefe, mit einfdjliefeen; bei »ielen »on biefen werben bas alte unb bas neue ©efefc in ber ^)rajis fich »ölltg beden, bei anberen ein flberfdmfe jefct latenter ober an Nichtigfeiten »ergeubeter Energie bem

©emetnwohl 3ugute fommen. Bei einem Seil aber beden „Ehe" unb

„Betätigung ber eigenen Natur" fich — pringipiell ober boch praftifd) — überhaupt nicht. Unb bafe biefe anberen nicht bürre, fonbern fröhlich grünenbe Stfte fein fönnen, wenn nur bas Seben nicht gewaltfam unter- bunben wirb, bas beweift bie wachfenbe ©<har un»erheirateter grauen, bie in freier Sätigfett ober im Sienfte bes ©emeinwefens freubig an ber görberung menfchlichen ©emeinwefens teilnehmen. Sie „alte 3ungfer", bas gefürchtete läftige Hausin»entar früherer Seiten, bas bas „fefun=

bäre" Seben Perfehlt hatte unb barum g a r n i d) t leben burfte, mag als goffil noch in fernen (’Pro»in3eden »orfommen; bie fleifeige Berufsarbei=

terin unferer Sage, »on beren Brot fich mancher Neffe ©tubent gern, wenn auch nicht immer banfbar, mitnährt, hat nichts mehr mit ihr ge=

mein. @te führt wie ber SERann, wie in langfam fteigenbem SJRafee auch bie grau in ber Ehe, bas S e b e n b e r S R ü n b i g e n . "

gaft brei 3ahr3ehnte finb »erfloffen, feitbem Helene Sange biefe ©ätje niebergefdjrieben hat. 3Ran barf fagen, bafe feitbem bie grauenbewegung

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3 3 c r f c t > r t g e f d ) I e c ^ > t l i < ^ f c i t 1 8 7

in ihrem ©inne fräftig weitergegangen ift. 33or allem ift ben grauen burd) bie neue 33erfaffung bas guteil geworben, was fie um bas 3af)r 1900 !aum gu hoffen wagten: bie ©leid)ftellung im 5Bablred)t. 2lber aucb fonft ift man weiter gefommen. SERancbes, was bamals nocb oorfam im Kampfe gegen bie grauen, crfcbeint bocb beut fo gut wie ausge=

fcbloffen. (Ein Beifpiel mag bas »eranfcbaultcben.

3m 3öinter=©emefter 1899/1900 batte eine Same, bie fcbon länger an b e r B e r l i n e r U n i ü e r f i t ä t fogialwiffenfcbaftltcben ©tubien oblag, bei profeffor Bebrenb bie (Erlaubnis gum Befud) feiner Borlefung über

^roftitution nacbgefud)t unb erhalten. 3br Erfcbeinen im fwrfaal führte gu Semonftrationen ber ©tubenten, bie bas gweitemal nach &em Eintritt bes Sogenten fortgefetjt würben unb profeffor Bebrenb gu ber (Erflärung

»eranlafeten, er habe burd) bie Erteilung ber Erlaubnis an bie Same feine Stellung gu ber grage gefenngeidjnet, unb er bitte feine f>örer, auch ihrerfeits bie ©acbe für erlebigt gu halten. Jrofebem erreichten bie ©tu=

benten burd) fortgefeftte Kunbgebungen, bafe ber Same bie ©enebmigung wieber entgegen würbe.

3Ife Edart, bie biefen Vorgang berichtet1), bemerft bagu: „Unferen ©tu=

benten — bas haben ihre Kunbgebungen bewiefen — ift ber ©ebanfe eines rein wiffenfcbaftlicben 3ntereffes an bem Phänomen (ber ^ro- ftitution) als foldjem, hinter bem bie 3nbi»ibualität, auch bie ©efd)led)ts=

inbioibualttät, bes Befcbauers collfommen gurüdtritt, noch nicht in »ollem Umfange fafelirf>. 6ie fühlen fid) peinlich berührt, beftimmte ©egenftänbe mit einer grau gufammen anguhoren unb bofumentieren baburd), bafe fie

‘’Perfon unb ©ad>e nicht gu trennen »ermögen."

Sas ift bie gart=wetblid)e Seutung unb Beurteilung eines Vorgangs, gegenüber bem man nicht weife, was man fdjärfer »erurtetlen foll: bie Engbergigfeit unb Ungefchliffenbeit ber bamaligen ©tubierenben ober bie

©d)wäcbe bes Sogenten bgw. ber Unterrid)ts»erwaltung, bie »or ber ftu=

bentifd)en ©ewalttätigfeit fapitulierte. greilid) würbe biefe ja auch er=

mutigt burd) bie Haltung mancher Sogenten; benn man weife ja, bafe

„geheimrätlid)e" Unbelehrbarfeit felbft „berühmter" Sogenten ben 3Biber=

ftanb gegen bie 3ulaffung ftubierenber grauen nod) lange fortgefefet hat.

Stotfc a r i a © r o e n e t 2)

„Se r SJtann ift als ©efcf)led)tswefen in erfter Sinie Sßille, in gweiter erft 3ntelleft. Sas 3Betb ift als ©efchled)tswefen in erfter ßinie 3ntelleft unb in gweiter erft Sßille." (Unter „SBille" »erftebt bie 93erf. im 2ln-

*) S ie grau. 3anuar-§eft 1900.

2) 95gl. if)r 5Bucf> „Sffieibestefjre" unter 23eiprerf)ungen, ©. 211.

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188 3 3 e i t e b r t g e f c f ) ( e c f e t t i < $ f e i t

fcf>luß an Schopenhauer „bie tofenben, frei fpielenben Urmächte ber Ra- tut") (14f.).

Sas 3öeib ift oon Ratur basjenige, bas ben ßinbrud empfängt, um ihm im Kinbe Slusbrud 3U oerleihen; ber Rlann berjenige, ber ben (Ein- brud macht, um im Kinbe ben 2lusbrud ju erleben.

©as Söeib ift bem (Einbrud hingegeben unb ihm gegenüber mehr ober weniger machtlos; es fürchtet fich »or ihm, erfdmdt leicht oor allem, was beeinbrudenb wirft... „Um ben Slusbrud ift es nicht beforgt. ©er wirb in ihm oon felbft.

©er 9Rann ift oon Ratur fiinbrüden oerfd)loffen unb nur ganj baoon erfüllt, fich felbft ju einem (Einbrude ju geftalten" (18 f.).

greilich, „wir SOtenfchen oon heute haben uns foweit oerloren, bafe nur noch im gefunben, ftabtfremben, jioilifationsarmen ©orf biefer ©e=

genfaß in ber gefchilberten gorm jutage tritt; wir 9ftenfd)en oon heute finb nicht nur nicht mehr normal-gefchlechtlich, fonbern faft burchweg oerfehrtgefchle<htlich" (19). SSRänner unb SBeiber follen „SERenJcfjen"

werben, ba fie fonft in ©efahr finb, nur „3Rännd)en" unb „SBeibchen"

ju bleiben.

©er 3um „9Renfch" werbenbe 3Rann benft nicht nur an ben (Einbrucf, ben er machen will, fommt allmählich barüber hinaus, feine gefamte Um=

weit nur oon fich aus unb nach feinem Rußen 3U werten, fonbern er be­

ginnt fid) in bie anberen 3U oerfeßen.

„9Renf<h" geworbene grauen lernen einanber etwas 3U geben, aufein- anber 3U wirfen.

9Renf<hwerbung ift SJorausfeßung ber „greunbfdjaft" mit ©efchlechts- genoffen unb eines brüberlich=fd)wefterlichen Verhältniffes aum anberen

©efchlecht, bas wahres 2lusruhen fchafft unb gewährleiftet.

„SRenfch geworbene 9Ränner werben ©ewalt unb f)errfchfucht ein- bämmen unb werben über3eugen wollen." 3Renf<h geworbene grauen werben nicht mehr unaufhörlich nach ©enfationen haften, fie werben fid) nicht oon ©eiftesariftof raten blenben unb willenlos beeinbruden laffen;

fie werben objeftio prüfen unb fich felbft ihre Stellung erarbeiten. (Echte grauenfreunbfehaften fönnen bann ebenfowenig burd) ben baawifchen- tretenben 9Rann geftört werben wie echte Rlännerfreunbfchaften burch bas ba^wifchentretenbe SBeib.

3n unferer Seit finben wir freilich fehr otele, bie nicht jum echten 3Renfchfein aufgeftiegen, fonbern bei ber 33erfehrtgefd)lechtlid)feit gelan- bet, bie fejuelle „Reutra" geworben finb.

,,©as fommt baher, baß bie Sftenfchwerbung nicht angeftrebt würbe auf bem SBege ber funaugewtnnung ber latenten (Etgenfchaffen bes an­

beren ©efchlechts, fonbern auf bem 2Bege ber ©leiihmacherei, ber 2ln=

gleichung unb 33eugung ober bod) Umgehung ber ©egenfäße" (26 f.).

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9 3 e r f e f ) r t g e f d ) [ e d ) t [ i d ) f e i t 189

Ser crftc Schleichweg ift bie „Koebufation". 3Jtan benft, ber Ntenfcf) werbe aller fepellen „Anfechtungen" leichter f>err werben, toenn er fich an bas anbere ©efcfjlecht oon Kinbfjeit an fo „gewöhnt" habe, bafe er ihm gegebenenfalls leicht fejuell entfagen fönne.

Sem liegt aber bie »erfehrte Anficht sugrunbe, bafe bie Siebe ber ©e=

fd)lechter etwas Verwerfliches, etwas gu Überwinbenbes fei. „Sas ift eine grofee Überhebung. |)öchfte ©eiftigfeit hat nur bann fchöpferifch=leben=

bigen Wert unb Wirfung, wenn fie fich herausgeflärt hat aus bem ge=

funben Nährboben ber Siebe" (29).

„Unoergleichlich Diel gefünber als unfere 9Renf<hen oon heute finb bie gualcoll Dergerrteften Strinbberggeftalten. Unfere Strgte freuen fid), feft=

ftellen gu fönnen, bafe bie 33lei<hfu<ht gurüdgeht. Siefe Satfadje ift aber nur bebauerlich. 33leid)fucht war ein 3ei<hen, bafe im Stäbchen ber Wunfch nad> Siebe wenigftens noch war. Sie unbefriebigte Natur gab fich funb in ber 35leid)fud)t. f>eute hat fie, »ollfommen erftidt, doH=

fommen unerwacht, aufgehört fich 3U wehren" (30).

Sie Koebufation oerbiegt alfo bas Nüdgrat ber natürlichen Empfin=

bung. Nod) beutlicher wirb bas bei bem g w e i t e n Schleichweg, bem ber ©emeinfamfeit bes Wanberns, Sptelens, Nadtbabens, Nadtturnens.

SDtan meint, bas Nichtmehroerhüllte reige nicht mehr, unb — nicht Der=

führt burd) ben finnlichen Vranb — würben bie Seelen fich finben unb bas oolle grofee ©lüd werbe fo gewährleiftet fein. [Vgl.aberuntenS.209.]

„Aber bie Natur läfet fid) nicht betrügen, unb ber ©eift läfet fich nicht erfchleichen". „Sie Sejmfucht nach bem, was » e r h ü 111 ift, f o 11 blei=

ben. Sie ift uns bitter not in unferer entarteten, erfälteten Seit" (33).

„3wei SSRenfchen foll guallererft bie Siebe gueinanber führen; alles anbere ift oom Übel" (31).

greilich ift gu fchetben gwifcfjen blinbem Verliebtfein unb echter Siebe.

„Se r rein raffige Onftinftfidjere wirb fi«h faum je blinb perlieben; er wählt unb liebt: mit Poller Sicherheit weife er wefentlich unb unwefent=

lieh ju fcheiben. Nicht fo ber mehr ober weniger Vermiete. Er fpürt ntrf)t hinter ben Seichen bes Echten bie bei fo Dielen SSRenfchen wohnenbe Uned)theif" (32).

Ein weiterer „Schleichweg" ift ber g e m e i n f a m e 33 e r u f. „S a gehen fie ein unb aus in ben Unioerfitäten unb tedmifchen fwchfchulen, ben Werfftätten unb Kranfenhäufern, ben Klinifen unb Saboratorien ufw., immer felbanber, immer gleichgewertet, ber SJtann unb bie grau.

Ser Son, ber gwifchen ihnen herrfcht, ift ber einer burfchifofen Kame=

rabte. f>öflid)feit ber grau gegenüber ift eine überwunbene, eine Derpönte Sache. Sie will nicht mehr als bie Schwächere gefthüfct, als bie Trägerin bes ©eiftigen nicht mehr gefront fein. Kein gall bes SKobifchen ift ihr gu frafe, fein Shema gu heifel, fein Problem gu Derwidelt." „3ERit ber Kol=

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190 D i e gefi$tec()t[i<fye 9 l o t u n f e r e r g e i t

legin oerbinbet ben SERann eine Art Äaffeehausliebe überm Sifch; ein

©eplänfel beftenfalls, bas bie ©ebiete ber Siebe ftreift unb beffen feelifc^e Stohett nur beshalb non ber mobernen grau ungerügt bleibt, toeil fie feine mehr ift" (35 f.).

„Sie Äamerabin als ©runbtage bet 6he gleicht einer Dampfheizung mit eleffrifcf)=med)amfd)em Antrieb. 6s ift warm, aber bie lebenbige glamme fehlt, bie, zuerft als Seibenfchaft lobernb, bie ©lut entfacht, bie bann... bis ins fpäte Alter anhält."

2Bir haben ©innenliebe, 33runftliebe unb wir haben intelleftuelle Siebe, aber feine Seelenliebe mehr" (36). Sie ftetig zunehmenben &ame=

rabin=Ghen einen SERenfchen, bie ber Siebe abgeftorben finb, SKenfdjen ber 33erfehrtgefchlechtlichfeit.

3n biefer macht bas 2B e i b ben „Sinbrucf". 6s wirb befragt in 6nt=

fcheibungen ber 6thif, es urteilt über ben SRann, unb biefer unterftellt fid) befchämt feinem Urteil. Sas 2Beib erfd>eint als fräftiger, artftarfer, neröenfefter 2Renfd). Ser SERann aber wirb immer paffioer, geneigter, 6inbrud zu empfangen. „6r treibt ben SMt ber Schönheit, unb ftatt feiner fraftoollen 2Befentlichmad)ung ftrebt er formelle Sabellofigfeit an.

Sogar bas Auslanb merft fchon mit Staunen, bafe ber ,Sobenbeutfd)e‘

bem ,SERobenbeutfd)en‘ gewitzen ift" (38 f.).

Dk

gefd)kcf)fft<i

)<2

9Xof unferer

Von (Emtf © <$ l e g e I

SBemt wir uns fragen, welche feelifchen 3Räcf)te ben gröfeten 6influfe in uns unb oon uns auf anbere ausüben, fo finb es zweifellos bie Siebes­

triebe im weiteften Sinn. Sie geftalten unfere Steigungen unb bamit oielfad) auch unfer Seben, fobalb wir oon ben elementarften 23ebürfniffen abfehen, welche es zuallererft zu befrtebigen gilt: Stabrung unb 6fiftenz im eigentlichen Sinne. Sobalb aber ber SERenfd) in Sicherheit gebracht ift, erwadjt in ihm eine Söahlbewegung für feinere unb höhere Anfor=

berungen. Sie alle fprechen fich in einem 2Billens= unb Sriebtebcn aus;

hinter oielen fteht bie ©efd)led)tsbeztehung gebieterifd) unb oerlangt 9tücf=

fichtnahme. Stur wenige SERenfchen finb begnabet, eine Ausnahme zu machen. Sie meiften geftehen fich — feltener anbere —, bafe jenes 3öün=

fchen fie ftets ©erfolgt, ihnen bie 3ufunft belebt unb für bie ©egenwart fie zu 3ugeftänbniffen nötigt. 6s fefct ftd) aud) nur zu leicht über »ort)an=

bene 33inbungen hinweg unb begehrt Staum für Freiheiten, welche eine moralifche ©efellfdjaft nicht ertragen, nicht bulben fann, weil fonft alles gefprengt würbe, was ©efittung heifet. Ser Stampf, weither fd>on bem 6inzelnen in früher 3ugenb auferlegt wirb, trägt aud) in bie ©efellfd>aft hinein ein ungemein wichtiges foziales 6lement, bas fid) oon jenem S3e=

(7)

© i e gefdj t ec&t l i c&e S l o t u n f e r e r S e i t 191

gehren ableitet. 3Bir müffen bamit rechnen, bafe gwei gaftoren hier gu=

fammenftofeen: bas Sittengefefe unb ber STrieb, beibe wohlbegrünbet im Zeitplan, benn Dom erfteren hängt bie würbige unb ewige Gcyifteng bes 3Renfd)en ab, Dom zweiten bie nod) funbamentalere Erhaltung bes gangen

©efd)led)ts. <33etbe Strebungen in ©nflang gu bringen, in ber Vorftel*

lungsweit unb in ber Realität, ift unfere Aufgabe; bafür haben wir Ver*

nunft unb Vorausficht, bie ber menfchlichen Seele gegeben finb, bamit fie fid) erträglich führe unb ihr bas 3od) nid)t allgu fdjwer aufliege. Sann Dermöd)te fie eher bie SSürbe ihrer Triebe, ihrer 5BeItbegiel)ungen, gu tragen, wenn fie im Aufblid gur ewigen Vernunft jene Seud)ten auf ihrem 3öege in Efjren galten unb gur ©eltung bringen würbe.

©leichwohl ift ihr aber ber SBeg nod) fdjwer genug gemacht, fowie es eines befonbers fwhen Äampfpreifes würbig ift. Sie fann erliegen unb erfauft fid) bann weife ßinficht burd) Verluft an Straft unb Sehen. Sie Dermag mittels ber Einficht bann in flögen bes Srfennens, wie aud) in Siefen ber Semut gu bringen, bie beibe erneut eine Annäherung ans

©öttlidje bebingen. So ift bie Slteberlage noch feine entfd>eibenbe Sadje, unb aus ihr fprofeten fd>on Diele Siege fpäteren Sehens, bie uns Sütenfchen mit bem fdjmüden, was einem in anberer 3Beife begnabeten ©erechten oft Derfagt bleibt. Aud) jenes STriebleben ift nur eins ber SSJtittel gum grofeen 3wed ber 3Renfd)heitsergiehung, Dielleicht bas Dornehmfte, benn für gut Deranlagte unb ben elementarften Sorgen bes Safeins enthobene Seelen bleiben faft feine madjtDollen Anreige gur Sünbe übrig, wenn wir Don ben ©efcblechtsbegiehungen abfehen! Aber bennod) ift es ein 3ammer, wie Diele SSRenfchen ihnen gang erliegen, ja berart, bafe fie ihre greihett gang Derlieren, bafe fie fid) in biefem Sehen nicht mehr gu einem erfolg*

reichen SBiberftanb aufraffen, Dtelfad) aud) frühgeitig bem Sobe Der*

fallen, ober ein fittlich wertlofes Sehen länger fortführen. Sie beiben

©efchlechter bieten in biefer Angelegenheit ein ftarf oerfchiebenes Ver=

hältnis. Sie jungen SERänner ftehen meiftens in ernfteren Verpflichtungen.

Sie finb auch im gangen fachlicher Deranlagt. Ohre ©efüfjlswelt ift nicht fo fehr gefeffelt burd) Vegiehungen ber ^erfon, burd) Hinneigungen unb Anhänglichfeiten; fie Derhalten fich fühter unb mit weniger heftigen 9tei=

gungen unb Vinbungen. Sie entgehen beshalb manchen Anreigungen, bie mit Dollerer Anfprache bas anbre ©efdjlecht treffen. Sie SOläbchen finb mehr ihrer inneren 3öelt gugewanbt, angetan, fid) felbft unb anbere gu belaufenen unb bas ©eflüfter ber Statur in ihrer Seele gu hegen unb mäd)tig werben gu laffen. So lag es im grofeen “"Plane für bie ©e=

fdjaffenen; aber ber Seele warb hier aud) nod) eine fchüfeenbe ©abe mit Derlteljen: bas ftärfer unb garter ausgesprochene Schamgefühl. Es ift geeignet, wieber gutgumachen, was bie DerhängnisDolle 9teigbarfeit unb ber Seelenhunger auf ber anbern Seite an Ccmpfängltchfeif geförbert

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192 5>ie gefd)Iecf>tli<f>e 9 t o t u n f e r e r S e i t

haben. So etwa fteben bie gefcblecbtlicben Anlagen auf beiben glügeln ber Ougenb, unb biefe Verteilung ber Stspofition bleibt fo lange erhalten, bis burch perfönlicbe Eingabe an bas Stiebleben unb burch bie ge=

roonnenen Snberungen ber ©efühle unb 5Biberftänbe unberechenbare Verfdjiebungen erfolgen, »eiche unter ilmftänben auch eine Vertaufcbung ber Bereitfcbaft unb ber gunftion auf beiben glügeln bewirfen lann.

Aufeerbent finben im Saufe ber Seiten noch anbere Verfcbiebungen ftatt, unb toir fdjeinen an einem Vknbepunfte in unferem Kulturleben ange=

Jommen zu fein. Sie SERenfchen cerwanbeln fich mit ber Seit in anbres unb anbres Seben!! Sie moberne Seit hat ein Seben gebracht, welches eine bebeutenbe Abfcbwäcbung bes Schamgefühls bewirfte. Saoon toirb meines Erachtens bas weibliche ©efchlecht am fcbwerften betroffen unb in einen leibenben 3uftanb oerfefet, obwohl es einen ftarfen Anteil aftio an ber Scfjulb trägt. Oft bas früher ©efagte richtig, bann leibet bas 5Beib oiel ftärfer unter ber f>errfcbaft ber Sriebe, unb es gibt bafür auch noch ben phpfiologifchen ©runb, bafe es faft burcbaus mit bem Siel ber fee=

lifchen Erregungen oerwoben ift, währenb ber SERann feine Kräfte für anbre gunftionen freibalten mufe. Sie Verwicfelungen finb im erfteren gall mehr zwangsläufig, im anbern mehr zufällig unb freiwillig. — Sa bie Ausgeftaltung ber inneren 2öelt im (Sinne bes ©efchlechtlichen fo leicht eine bauernbe Binbung ber Sungfrau mit fich bringt, was als oor=

Zeitige Erfcbeinung nicht erwünfcht ift, weil fie oiel Sebensfraft in An=

fpruch nimmt unb eine nachmalige natürliche ©attenwahl beeinträchtigt, fo warb eben bas ©efübl ber Scham, eine oon Anfang überaus ftarfe Hemmung, oor bie Sore ber Sinnenreize gepflanzt, unb nun fehen wir heute eine bisher ungewohnte greiheit im Betragen, felbft in ber Klei- bung bes SERäbchens, jenes ©runbgefübl bebrohen. 2Ran fann nicht fagen, bafe burch bie genannten f>erausforberungen ber SERännlicbleit einfach bie 9teizfcbwelle ber ©efühle zurücfperlegt werbe; fie wirb Dtelmebr bauernb berührt unb auch Übertritten. Sas 2öünf<hen unb Begehren wirb ge=

nährt, nicht um es bann ficher beberrfchen zu fönnen, fonbern um es als Vergnügung, als Vorftufe bes ©enujfes, auszufoften. Sies mag bem männlichen ©efchlecht weniger Perhängnisooll fein aus ben angeführten

©rünben; bie Oungfrau jeboch geht mehr unb mehr auf in ber oorzeitigen Einftellung, unb bie Erfahrung lehrt, bafe fie unter ber feelifchen Auf»

wüblung fchwer leibet, bafe es zum Austrag ihrer Spannungen, wenn auch in uneollftänbiger SBeife, öfter fommt unb eine Sebnfucbt nach t>er=

lorener Unbefangenheit wach wirb, als innere Stimme, als ©ewiffen.

Sies zeigt, wie fehr bie höchften ©efefce bes Seelenlebens unb ber ‘’Per»

fönlicbfeit tatfächlicb gelten, wenn fie auch burch »ergänglicbe Sinnenluft langhin übertäubt werben. — Es gibt aufeer ben genannten Anläffen im Sinnenleben noch eine befonbere unb mehr geiftige Vorbereitung für ben

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© i e g e f c f ) [ e d ) t l i c f ) e 51 ot u n f e r e r S e i t 193

Ausbruch bes Sebens aus ber ftillen Keufchheit: es ift bte allmähliche Verführung burch Seftüre. Unb ba bie Literatur unferer 3eit befonbers frei geworben ift, mufe barauf beftimmt hingewiefen werben. Auch früher oerftiefe bas Schrifttum ber Voller vielfach gegen bie Keufchheit; aber es waren mehr berbe Berührungen unb nacffe Kennzeichnungen, beren man aud) nur bei einzelnen Schriftftellern begegnete. Sie Angriffe auf bas Schamgefühl toaren fo ftarf, bafe fie fofortige Reaftion forberten unb bei Dielen Seelen aud) burchfefcten: Bücher unb Schreiber würben oerbannt, wo nicht eine ftarfe Vorarbeit fd>on getan war unb ber eigene Sßille ber ßüfternheit enigegenfant.

f>eute aber gibt es wenig neuere Sichter unb befonbers Romanfeh rift=

fteller, bie nicht ber Ptfanterie frönen. 6s genügen heute bie feinen unb in ber £>auptfa<he oerhüllten Sarftellungen, um bie 3urüdhaltung zu untergraben, einen Sturz in bie Sinnlichfeit oorzubereiten. 3<h fetje ben gall, ein junges Mäbchen oon gewedter Intelligenz unb ernfter ©efin=

nung habe fich 3ur Aufgabe gemacht, bte neuere Siteratur zu ftubieren unb zu beurteilen. VMe fie fich auch mühen mag, objeftio zu bleiben unb außerhalb bes Strubels ber Sinnlichfeit, fo wirb ihr bas boch nur aus=

nahmswetfe gelingen, weil ja auch fie eine entpftnbfame Seele hat, eine weibliche Seele mit allen Relationen ber Schtlberung unb Einbeulung felbft oerflochten. Unb ber wäre ein mtferabler Schrifffteller, ber es nicht oermöchte, fie borthin zu führen, wo er feine ßefer nun einmal haben will, in bie Orrgärten unb ßuffpläfce bes SBeltoergnügens. Auch wenn er fd)liefeltch noch zu reinigenben Abfichten burchbringt, wirb er fich boch Zunächft bet ben retzoollen Verfügungen aufhalten unb überall etn (Edjo weden in ber Menfchenbruft, überall 3uftimmung, Verftänbnis, nicht auf eine fheorettfehe ©runblage geftellt, fonbern auf Mitgefühl unb Mitoer=

langen. Sas ift bas Ungeheure folcher Verführungsfunft, bafe fie burch Miterleben witfen mufe unb jenem Sinter wirb ber Preis werben, ber ein foldjes Miterleben aus ben Kerzen feiner ßefer unb f>örer zu ent=

feffeln weife.

So mufe benn auch unfere lefenbe unb lernenbe 3ungfrau — mag ihre Abficht nod) f° rein unb ebel fein — hereingezogen werben in ben Sfru=

bei ber ©efühlswelt, bie nun einmal burd) bas halb ober ganz bewufete

©ef<hle<ht5gefühl gefennzetdmef ift. Sie wirb ben oielfachen Anregungen bes lefcteren nicht entgehen fönnen; einzelne Ausnahmen mag es geben.

Aber je feuriger bie Seele empfinbet, um fo eher wirb es zu ben Aus=

löfungen fommen, welche bann ihrerfeits einem SBteberholungsbrang aus»

gefefet finb. Man fann über bte gefunbhettlid>e Bebeufung ber Vorgänge ftreiten, fofern nur bas Körperliche auf bem Spiel fteht; aber bie feeltfche unb geiftige ©efunbheit mufe fehr leiben. Sin neues ©leichgewicht, eine Beherrfchung mufe burch Diele Sepreffionen, burch grofeen Kraftaufwanb

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1 9 4 ® i e g e f cfr t e 11 i cj> e S l o t u n f e r e r S e i t

erfauft »erben, unb biefer Streit in ben Eingeweiben bes Sebens fefot einen SBillen ooraus, ber fid) fchon heraufgearbeitet hat unb — oerbun*

ben mit höherer Einficht — enblid) bie f>errfchaft an fich reifet. Sann freilich ift eine betoufete neue Erwerbung »on Eharafter — felbft oon Schamgefühl — gelungen, bie nun tn fefunbärer SBeife allen 2Infed)=

tungen getoachfen fein mag.

Slber für bie würbige gortbauer unb bie fwherbtlbung bes 2Renfd)en=

gefchled)ts wäre au wünfdjen, bafe bie 3ugenb — befonbers bie weibliche - oor ben ©efahren ber frühen Sinnlichfeit bewahrt bliebe, bafe man wieber haltmachte oor ber oon Natur mächtigen Schranfe ber Scham*

haftigfeit. SBie in einem Scbufoparf follte bie 3ugenb wanbeln bürfen unb — wie unter Naturfchufo — cor mobernen SBaffen gefchüftt fein.

Ser natürliche Tob herrfd)t ja aud) in ben Neferoationen, aber bas §in=

morben unb Slusrotten finbet hier boch feine ©renjen. So auch follte bas 3ungoolf oor ben ©efdjoffen ber Sinnlid)feit behütet bleiben. Ntan fürchte nicht, bafe bann bie lefctere fehr unterbrüeft werbe. Natürliche Begeg=

nungen, aud) mit ber Tierwelt, fowie oielfache SInregung burd) ©e=

fehenes, ©ehörtes, Erfahrenes, forgen fchon bafür, bafe bie Seelen unb ihre Organe gur Entwidlung gelangen; aufeerbem ift ber Organismus mit Triebfräften oon innen her oerfehen. Sd>on bas gang junge SEHäbchen mag bei geeigneten Begegnungen benfen: follte ich nicht reifen bürfen für b i e f e n ! ? Unb ber 3üngling fann es frühe fühlen: wie erhebenb wirft fie auf mich! SBenn folche ©efühle wie Klänge aus ber Ewigfeit bie Seele fchwingen machen, bann mögen gefegnete Einbrüde entftehen, nicht nach ber Sinnlichfeitsfeite, fonbern nad) einer Skrheifeung ber 3ufunft.

Unb wenn aud) folche 3Romente ohne grofee golgen oorübergehen, fo er=

fchliefeen fie bod) eine reinere SBelt, als wir fie in traurigem mobernen Slusleben beobachten. Sie oielfad) wieber gelöften Ehen, bie Kinberlofig=

feit, bie S3ergnügungsfud)t außerhalb einer häuslichen Sufriebenheit, bie allgemeine Entfittlidjung fpredjen beutlich ju uns! Unb auf ber anbern Seite wäre es meines Erachtens möglich, bafe neue Nethen oon 9Jten=

fchengefchlechtern uns oorführten, wie bie Natur, weitab oon ben ge=

meinen 3ntereffen ber ©attenwahl, oon Vermögen, Ehrfucht, Stellung, jene Einfalt belohnt, bie oft fo beutlich ihre innere Stimme erhebt. Es gehört au ben gröfeten, aber alltäglichen Nätfeln bes Sebens, bafe eine nahe gewid)tlofe Energie, weld)e uns in ben Ketmfubftanaen eigen ift, bie gange SRaffe unferes Selbes burchgeiftet unb ein anfehnliches Sd)wer=

gewicht für ihre 3*oede in Bewegung, in Seibenfchaft, in Naferei oerfefot.

So gewaltig ift ber hier eingeaeugte ©eift, bafe er ben gefamten Organis- mus ohne weiteres beherrfdjt, wenn ihm nicht aus ber Kammer ber Pflicht ein energifdjes f>alt augerufen wirb, unb bann wirb fich erft aeigen, ob biefer fategorifche Ömperatio etwas oermag über ben mäd)=

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3B e i b u n b — S Re n f c f e e n t u m 195

tigften Antrieb bes Rlaterielebens! (Es Iäfet fid) aber aus biefem 33er=

hältnis aud) fd)liefeen, rote fehr jener befonbere ©eift ber Keimzellen ben Organismus belohnt unb beglüdt, roenn er in feiner SBürbe geartet roirb. Unb biefe 2Bürbe »erlangt eben 3urüdf>altung, »erlangt Eingabe nur bann, roenn eine inbi»ibuell roürbige i Seele unb ©eftalt lodt unb roenn bies alles aud) mit bem menfd)lid)en ©emeinfchaftsleben in gute Orbnung gebracht roerben fann.

Unb barin liegt ber Sohn unb bie Sinlöfung bes Verfpredhens jenes

©lüdsgefühls ber Siebe, bafe bie Verbinbung ebler unb roürbiger Ab=

fisten aud) eine entfpredjenbe grucht zeitigt: bartn mufe bie f>öher=

Pflanzung ber SERenfdjen ihre ©runblage ftnben!

3eber unb 3ebe follte bahin mitarbeiten, bafe ber (Entfittlidjung ge=

fteuert roerbe, bafe bie 3ugenb nicht »erberbe, fonbern ben hohen SERen=

fchenroert ihrer ©aben zufammenhalte!

353 db unb — SDtßnfcfyenfum

93on ' P a u l a SJteffer-'ptafe

(Ein neu erroadjter 2öille zum Söert hat bas Unbequeme, bafe ihm nichts

6elbft»erftänblid)es" heilig ift. Sr fragt nicht nach bem Alter besfelben, fonbern nach &er Richtigfeit. So erftehen gragen, roo bie Vergangenheit feine faf) ober fie längft für gelöft hielt. 3u biefen neubelebten, aufs neue uns bebrängenben Problemen gehört bas allgemeinere ber Vilbung überhaupt unb bas befonbere ber weiblichen Vilbung. Sin Sieferes fteht bahinter: bie grage nämltd), ob bei ben Rlenfdjen oberfter ©efichtspunft fein müffe, bie V e r f d j i e b e n h e i t bes © e f cf) l e ch t s ober bie

© e m e i n f a m f e i t bes SERenfchfeins. Sas finb feine theore- tifd)en, für bas praftifche Seben bebeutungslofe Spitjfinbigfeiten, fonbern biefe hatte ©egenüberftellung rüdt nur ins Klare, roas »erfchroommen jebe (Stellungnahme zum Problem ber weiblichen Vilbung beeinflufet.

©egen folche letjte (Entfdjeibungen roie etroa biefe, bafe bie ©efchled)ts=

unterfchiebe tiefgreifenb genug feien, um eine hoppelte Rloral foroofjl roie eine hoppelte Päbagogif zu rechtfertigen, gegen fold>e letjte (Entfcheibun- gen gibt es feine Berufung; freilich gibt es auch für fie feine SSeroeife.

Solange nicht, als folche (Entfcheibungen fid) auf bem ©ebiet bes Selbft=

»erftänblichen, bes hergebrachten, bes ©ottgeroollten beroegen, folange nicht, bis man merft, bafe hier gar feine Überzeugungen unb SB e r t = f r a g e n , fonbern bafe hier S a t f a c h e n f r a g e n bie entfcheibenben fein müffen. —

(Es ift lehrreich zu betrachten, roas alles im Saufe ber Seiten als roeib=

lii^e Eigenart aufgeftellt rourbe. Ob es Rieberftes ober fmchftes roar,

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1 9 6 9B e i b u n b — 9 R e n f c h e n t u m

immer blieb es bod) ein ©emifch oon ©ewünfchtem, ©efürd)tetem, Be=

loertetem, SRüfelichem, Erbachtem unb Wirflid)ent. ©elbft ba, wo man fpäterhin aus bem ©pefulieren mit Begriffen unb aus bogmatifcher Be=

hauptung ben Weg jur Beobachtung bes Satfächltchen fanb, felbft ba trübte bas Neffentiment bes männlichen Beobachters bas Borgefunbene.

Senn aus bem Beobachter, gerabe toenn er nicht oberflächlich fein wollte, tourbe ein Deuter, beffen ©efühle unb Wertmafeftäbe mitfprachen. —

Die weibliche Eigenart gu finben ift nicht barum fo befonbers fchwer, weil — tote in aller päbagogifchen Aufgabe — aud) hier bas hiftorif«h

©etoorbene ber grauennatur fi<h permengt mit ihrem Urfprüngltchen unb mit ihrem Siel, bem ©einfollenben; fonbern es toar besfjalb bis je&t fo unauffinbbar, toeil biefes ©einfollenbe, biefes Obeal einer toeiblichen Art unb einer weiblichen Bilbung nicht oon ber g r a u felber aufgeftellt tourbe, fonbern oom SR a n n e. Unb bis jefet n u r oom SERanne 4t bas ift bas Ausfcf>laggebenbe. Auch nicht bie g r a u beobachtete fich felbft unb berichtete oon ben beobachteten Satfachen, toas boch bei ©eelifdjem unb ©eiftigem gewiß fchon fd>wierig genug wäre, fonbern ber 2R a n n erhebt ben Anfpruch, am beften gu wiffen, was bie grau fühlt, wünfcht, will unb benft. 3erbred)lid)fte Ware, feinfte (Seelenausfage fommt alfo nod) nicht einmal aus erfter f>anb! Unb nicht bie g r a u ftellt bas Bil=

bungsibeal auf, bas ihr aus ihrem ©elbft heraus entfprechenb unb er=

ftrebenswert fdmnt, fonbern ber SER a n n beffimntf, was „weiblich" ift, was „weiblich" fein foll unb wie gum „Weiblichen" erlogen werben foll.

60 entwidelt fid) eine ©efcf)led)terphilofophie, orientiert nicht an ber Wirflichfeit, fonbern oor allem an bem Bebürfnts bes SERannes. Erft feit bie grau fich felbft gu entbeden beginnt, bereitet fid) eine neue Einftel»

lung oor. SRichts ift feffelnber, als im Neid» bes ©eiftes ben Wanblungen nachgufpürett, bie bas Drama „SERenfch" oorwärts treiben. ben be=

beutungsoollften gehört bie Wertoerfchiebung in ber ©efchichte ber grau, ihr allmählicher, aber unaufhaltfamer Aufftieg oom SRang einer @ad>e gum 9tang einer ^Perfon. §eute geigen Überblide über bie grage ber weiblichen Bilbung — felbft in folcher ©ebrängtheit wie etwa ber oon Dr. Urfula ©raf1) —, bafe eigentlich nach einer weiblichen Eigenart erft ausgefd)aut werben fann, feit bie Verpflichtung aufbämmert, nicht nur ben SERann, fonbern auch bie grau als ©elbftwert angufehen. Ommer ge=

hörte bie grau jemanb: entweber bem SERanne ober bem Kinbe; bas oer=

ftanb man bis jefct unter „weiblicher Eigenart". Dafe fie aber auch fid) felbft angehören bürfe, ja folle, bas freilich ift nicht nur eine w e i b = 11 <h e, fonbern bas ift eine m e n f <h 11 <h e Eigenart. Dafe fie gewährt werben müffe, oerlangt bas neue ©ewiffen einer neuen Seit.

*) Dr. Urfuta ©raf: S a s 'Problem ber toeiblichen Bilbung. 35cmbenhoecf & 9tu=

preist, ©öttingen. Sie Schrift ift mehrfach in biefer Arbeit oenoertet.

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S B e i b u n b — 9 R c n | d ) c n t u m 19 7

f>ier feien bie 3Banblungen im Urteil über weibliche Eigenart furz bargelegt, foweit folche Anfdjauungen nod) 2Bid)tigfeit für bie ©egen=

toart befifcen.

Schon bei K a n t hat bie grau nur Sßert burd) ihre 23ebeutung für ben SRann. Sr legt 9Rann unb grau jtoei ganz oerfchiebene ©efamt=

haltungen bei: erhaben unb fd)ön. Sas f>anbeln ber echten grau ift fd)ön.

Es ift bas fogufagen oerfehrstechnifd) angenehmere |janbeln, loeil es für fie felbft unb anbere reibungslos »erläuft. Aber ben höheren, ben toirf=

lieh fittlichen SBert befitjt bloß bas erhabene ^anbein, beffen nur ber SERann fähig ift. Siefes allein, biefer Kampf zwtfchen ^)flid)t unb 9tei=

gung, ift 3toar weniger fchön, ift bafür aber eigentliche Sittlichfeit. Sollte fich eine grau aber toirflid) einmal zu biefer höherwertigen, felbftbenfen=

ben Autonomie bes 33ernunftwefens erheben, fo ift fie trotjbem nicht me h r , fonbern gerabe baburd) w e n i g e r wert geworben. Senn fie büßt baburd) ihre 3Beiblid)feit ein, ihre hefte gähigfeit: nämlich bie Er=

gänaung bes SERannes au fein. Vielleicht binbet hier ben großen Senfer eine gewiffe Abhängigfeit oon feinem Seitgenoffen SRouffeau, ber mit heiterer ©ewifeheit fid) fo ausbrüdt: „La femme est faite specialement pour plaire ä l’homme.“ Siefe Einteilung wirb unter ben Späteren aud) oon SRiefefche geteilt, ber ber Überzeugung ift: „Ser 2Rann foll aum Kriege eraogen werben unb bas 9Beib aur Erholung bes Kriegers." —

S d) i 11 e r übernahm mit Kants ‘’Phüofophie aud) beffen äftheftfche Kategorie bes Erhabenen unb Schönen, biefelbe ebenfalls ins Ett)ifd)e htnübertragenb. Sod) ihm ift bas fittliche fjanbeln aus Wicht, bas auch er allein bem SERanne aufchreibt, nicht wertooller als bas fittliche f>an=

beln aus Steigung, wie es ihm für bie grau charafteriftifch erfcheint. So finb für S tille r bie ©efd)led)ter zwar nid)t artgleich, aber wertgleich, unb es ift nur eine logifdje golge biefer Anfchauung, bafe ihm nicht blofe bie grau aur Ergänzung bes SERannes ba zu fein fdjeint, fonbern bafe bie

©efd)Ied)ter ihm zur gegenfeitigen Ergänzung beftimmt finb. —

SB. ». u m b 0 1 b t geht an bie ©efd)led)terfrage heran mehr oon pfpchologifchen ©efichtspunften, obwohl ber äfthetifd)=ethifd)e aud) bei ihm »on SBebeutung bleibt. Sr fommt zu bem Ergebnis, bafe SERann unb grau, jebes a l l e Eigenfchaften befifct, nur in oerfchiebenem ©rabe. 3a, nach ihm oermag bie grau bas SERenfchentbeal reiner barzuftellen, fie ift barum höherwertiger als ber SERann. SERan fieht, wie hier aus bem enge=

ren Kreis ber ©efd)led)tseigentümlid)feiten hinausgeftrebt wirb in ben umfaffenberen bes allgemein SERenfdjlichen. Sie grau foll nicht mehr er=

Zogen werben als Ergänzung bes SERannes, fonbern als 2Renfd), SBeib unb Bürgerin.

33ei bem SRachbenfen über bie ©efdjlechteroerfchiebenhett wirb es am ftärfften S c h l e i e r m a c h e r bewufet, wie fchemattfd) unb unzulänglich

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19 8 333 c t b u n b — S R e n f i f r e n t u m

alles Auseinanberzerren in „Unterfcbiebe" bleibt. Setter Unterfcbieb liegt für ihn böcbftens barin, bafe bie grau mebr aufs Einzelne, ber SRann mebr aufs Allgemeine gerietet ift. Sas SERafe ber Einwirfung beiber ©e=

fcblecbter auf bie Kultur erachtet er für gleich, nur ber Ort ihrer 2Bir!=

famfeit ift oerfcbieben: nämlich bas f)aus für bie grau, bie Öffentlichfeit für ben SERann. SERan fieht, bie gormel: „Sie grau gehört ins |>aus", ift urfprünglich mehr bie Konftatierung einer oorgefunbenen Satfacbe als ein Urteil über bie 5tid)tigfeit biefes Unterfchiebs. Eine gorberung baraus 3u machen unb gar eine gorberung für bie ©egenwart ift ©ebanfenträgbeit.

©emeinfam für biefe ganze ©efchlechterphilofophie bleibt ber polare

©egenfat5 oon SERann unb SBeib. 3« ben bebeutenbften Vertretern einer folgen polariftifchen Einftellung gehören in ber ©egentoart S i m m e l unb 911 cf e r t. Simmel freilich erfennt nicht nur, bafe ber ©eift in ber Sat überall fich in 9teIationspaaren toie Subjeft unb Objeft, SRann unb SBeib ergeht, fonbern er erfennt weiter, bafe ftets einer biefer ^ole bie Neigung zur Verabfolutierung bat. Sas heifet hier, bafe bas männ = l i ch e Prinzip fd)liefelicb als bas m e n f d> l i cb e überhaupt fid) burcb=

fefet. Ser SERann wirb bas SRafe aller Singe. Sas führt nicht nur bazu, bafe bie grau für minbertoertiger als ber 9Rann gehalten toirb, einfad) barum, toeil fie fein 9Rann ift; fonbern bas führt aud) bazu, bafe man nicht bie to i r f 1 i ch e Eigenart ber grau „weiblich" nennt, fonbern bie oom SRanne getoünfd)ten unb gewerteten Eigenfcbaften als ed)te 2Beib=

liebfeit unb als 3beal aufftellt. So wirb bie grage nach einem objeftio menfchlicben SRafeftab bringlicher, benn an was foll eigentlich ber 3Bert ber grau gemeffen werben? Sod) nicht am Ergänzungsbebürfnis bes SERannes! gür Simmel unb SRidert finb bie ©efcblecbter gleichwertig:

ben höchften 2öert ergibt bie Vereinigung ber ©egenfäfee.

2öenn aber alles nur im fiinbltd auf Vereinigung unb Ergänzung ge=

wertet wirb, wie bei ber polariftifchen ©efchlechterphilofophie, bann er=

hebt fid) bie ©efabr, bafe anbere Eigenfcbaften, bie nicht in biefes Schema paffen, gar nicht bemerft ober unterbrüdt werben, gür bie 9Räbcben=

erziebung würbe bas oerhängnisooll. Senn wo ber Safe gilt: „Ser SERann ift ©ottes Bilb unb Ehre, bas SBeib aber ift bes SRannes Ehre"

(1. Korinth-11), ba wirb ber ©ebanfe, auch bie grau zu eigener ^er=

föntiebfeit unb zu menfd>licb eigenem SBert zu erziehen, faum ernfthaft aufgeworfen, noch weniger ernfthaft burebgefübrt. So fommt es zur Ü)albbtlbung ber höheren $öd>terfd)ule mit ihrer §pperfultur bes ©e=

mütes unb ihrer Vernad)läffigung bes Verftanbes, eines Verftanbes, beffen gottgewollte Snferiorität ja boch feine fchöpferifche Sätigfeit zei=

tigen fönne. —

Es bat fich gezeigt, bafe in ber polariftifchen ©efchlechterphilofophie bie grage ber Bewertung eine beberrfebenbe Stolle fpielt. Anbers in

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333 c i 6 u n b — S Dl e n f c b e n t u m 199

jener ^Pfrilofopfrie, bie auf biofogifd)=naturwiffenfd>aftlid)er ©runblage ben Unterfcfrieb ber ©efcfrlecfrter gu erfennen fucfrt. Von ben tatfäcfrlicfr feftftellbaren förperlicfren ©efcfrlecfrtsunterfdiicben fcfrliefet fie auf bie fec=

iifcfren. Dabei erfcfreint es it>r gleichgültig, ob biefe Eigenfcfraften ber gegenteiligen Ergänzung bienlicfr finb ober nicfrt. Sie regiftriert einfad) bas Vorgefunbene. So fcfreint biefe 9ticfrtung »orurteilslofer unb einet objefti»en 3öafrrfreit jugängficfrer ju fein. (Es jeigt ficf) aber aud) frier, bafe bas VMcfrtigfte einer 2ßiffenfd)aft nid)t ifrr SSefunb ift, fonbern bie D e u t u n g ifrres ‘Sefunbes. Diefe Deutung frängt jebocfr ab »on ©e=

gfaubtem, Erwartetem unb Erwünfcfrtem. Unb fo fefren wir aud) frier, bafe bie 9Rinb'erwertigfeit ber grau unerfcfrütterficfre . Selbftöerftänblicfrfeit bleibt, fo unerfcfrütterlicfr, wie eben nur „Selbft»erftänblicfrfeiten" bleiben fönnen. Dafe bie meiften geftftellungen frier »on SSRebiainern gemacfrt worben finb, bie »on ifrrent fpesififcfren 3beal ber „gefunben", b. fr. ber möglid)ft gebärtücfrtigen grau ausgefren, gibt biefer pofitioiftifcfren gor=

fd)ung nod) ifrren befonberen unb engen Vlid. Ob 9R ö b i u s „Vom

^Pfrpfiologifcfren Scfrwacfrfinn bes 2öeibes" fcfrreibt, ob S i e p m a n n , weiificfrtiger, erfennt, bafe bie Qualität ber ^inber nicfrt blofe »on förper=

Iid)en, fonbern aucfr »on geiftigen Eigenfcfraften ber SRutter abfrängt;

ob fcfrliefelid) ber Vegriff ber SERütterlicfrfeit mit ber 3eit erfröfrt wirb ju einem allgemeineren feelifcfr=geiftigen Vegriff, immer bleibt ein fünftlicfres unb getoaltfames geftlegen ber grauennatur auf beftimmte Vegirfe: bort auf ben SRann, frier auf bas &inb. So wichtig beibe ©ebiete für bie grau aucfr finb, fo bilben fie bennocfr nur Jeilmomente im ©efamten ber weib=

licfren Sotalejiftenj unb finb als geitgebanfen für bie wetbltcfre Er^iefrung eben biefer f)albwafrrfreit wegen nicfrt ausfcfrliefelicfr »ertoenbbar. —

Die polariftifcfre toie bie biologifcfre ©efcfrlecfrterpfrüofopfrie fraben im

»oraus ein beftimmtes 3beal »om Vkibe, an bem fie bie roirflicfre grau meffen. Dort ift es bie „toeiblicfre" grau, frier ift es bie „gefunbe" grau.

Die b i f f e r e n t i e l l e “^f pcf r ol ogi e »erfucfrt bagegen, nacfr einem anberen SÜRafeftab über bie toeiblicfre Eigenart Erfenntnis ju gewinnen.

Sie »ergleicfrt bie ©efd)lecfrter nad) tfrrer 2 e i ft u n g. 9Ran beginnt nacfr ejaften SRetfroben ben Unterfd)ieb in Veranlagung, in Ontereffen unb Entwidlung feftjuftellen. Dabei will man »orwärts fommen burcfr gweier»

lei SSRetfroben. Einmal burd) Sammlung unb ftatiftifcfre Verarbeitung ber Jatfacfren; zweitens burcfr bie 9tüdleitung ber gefunbenen Einjel=

freiten auf lefeie ©runbunterfcfrtebe. Hier fcfreint fid) eine geringere Va=

riabilität ber SRäbcfrenleiftungen frerausjuftellen unb eine »erfcfriebene Seiftungsfäfrigfeit auf ben gletcfren 2lltersftufen. Die Selbftöerftänblicfr- feit, mit ber früfrer Ontelleft unb Efrarafter in einen fpejififcfr männ=

licfren unb weiblicfren eingeteilt würben, macfrt bei wirflid) facfrltcfrer Ve=

obacfrtung immer mefrr ^lafe ber Erfenntnis, bie 3B i 1I i a m S t e r n

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200 S B c t b u n b — SDt enf c &ent um

fo formuliert: „Auf ben Kern ber ©efd)Ied)tsunterfd)iebe ftofeen toir erft bann, toenn mir nicht ben ©rab, fonbern bas 3Bie ber Befähigung unb Betätigung ins Auge faffen. Selbftoerftänblich ift bamit nur ein rela=

ttoes Übertoiegen einer feelifd)en Sispofition bei bem einen ober anberen

©efchlecht... gemeint." Safe bas männliche ©efchlecht mehr fachliches Ontereffe unb größere Spontaneität geigt, bas weibliche ©efchlecht mehr perfönlich intereffiert unb regeptio fcheint, wtrb nicht mehr als Vorroanb genommen, ber Mäbchenergiefjung nur ein Minimum ber Kultur gu=

gänglich gu machen. f)öchftens wirb baraus gefolgert, bafe bie Koebufa»

tion, bie burch bie Anhänger ber erften Mett>obe befürwortet wirb, burch eine Ergieljung erfefet werbe, bie gwar bie gleichen ©egenftänbe behan=

beit, aber nicht in ber gleichen gorrn wie für Knaben; bie nicht bie gleiche Einstellung oorausfefct ober forbert, nicht bte gleichen Sntwidlungstempi annimmt. Sie weibliche Eigenart fchetnt ben Anhängern ber gweiten Me=

thobe baburch bebroht.

Man fteht, auch bte fcheinbar überperfönliche, rein fachliche Behanb*

lung burch bte bifferentielle Pfpchologie führt gu feiner einheitlichen 2ö=

fung für ergteherifche Mafenahmen. Entweber fie befchränft fich auf fta=

tiftifche Ergebniffe, bte gugeftanbenermafeen im Sttufeerlichen bleiben; ober fie berücffichtigt auch bte tieferen, feelifchen 3ufammenhänge, oerläfet ba- mit bie ejafte geftftellung unb wagt fich auf bas ©ebiet ber fubjefttoen Seutung. Aufeerbem oermag bte experimentelle Pfpchologte nur gu fagen, wie bie ©efchtechter heut e finb, nicht, welche ihrer EigenfdEjaften hifto=

rifch geworben unb welche im SBefen ber ©efchlechter begrünbet liegen.

Samit fann fie auch feinen gingergetg geben, welche Eigenfchaften eher beeinflußbar fchetnen; noch weniger, welche wertcoll, alfo gu förbern wären. —

Sie grage nach &er weiblichen Eigenart unb nach ber weiblichen Bil=

bung gelangt — wteberum im Rahmen einer ‘ffieltanfchauung — aufs neue gur Stsfuffion im Sogtaltsmus. Seine beften Vertreter wie 3. St.

M 111 unb B e b e l oerwerfen bie Ergebniffe aller bisherigen Unter*

fuchungen, benn ihrem Pringip nach finb bie Menfchen nur oerfchteben burch wirtfchaftliche unb fogtologtfche Verhältniffe. Von Ratur aus finb alle Menfchen in ihrem SBefentlichen gleich- Sie ©emeinfamfeit bes all=

gemein Menfchlichen wirb hier in einem nie gefannten Mafee betont, unb man erliegt fchliefeltch ber ©efahr, nicht blofe 2B e r t gletchheit, fonbern A r t gletchheit gu behaupten.

Beim Überbenfen biefes 3af)rbunberte alten Streites über bie Ver=

fchiebenheit ber ©efchlechter, insbefonbere über bte weibliche Eigenart, wirb enblich ber natoe 3ufchauer mit Staunen fragen: wo bleibt hier bas VMcbtigfte, bie Meinung ber grau felbft? gaft fönnte man glauben, es hanbelte fich bet bem gangen Problem etwa um bas Seelenleben ber

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©efprädjen mit einem greunbe weiter. 3öir grübelten wirflid) übet fd)Wierige gragen nad). 9tod) weife id), wie wir uns einmal bis fpät in bie 9tad)t hinein

mittelbar aus feinen Sebenserfabrungen beraus feftftellen fann, bafe er mit anberen 3Renfd)en jufammenlebt, nicht nur äufeerlid), fonbern aucb innerlich; bafe er

(Es ift mit oftmals ootgefommen, als wollten bie ©elehrfen nicht Berftanben werben Bon ber SÜtaffe, unb beswegen fchreiben fie mitunter auch fo

SEJtan toirb im allgemeinen leicht einen befannten 3Kenfd)en einorbnen fönnen. SQZan toeife meift fchon, bei gana burchfcbnittlicbem anfangen, baft b e r ein beftimmtes

Wifet ihr benn überhaupt fo genau, wie es in biefen Entfagenben ausfieht unb was fie erleben in fid)? Unb wifet ihr fo genau, ob bie Sebensfeinblichfeit, bie

rifche SBirfung bes „SERilieus&#34; bas 53erftänbnis für SERufif möglichft früh unbewufet aufgehen mufe unb bafe eine fpäte Saat nicht etwa eine fpäte Ernte, fonbern

©efunbheits 3 uftanb beiber Teile fann nur auf folche SEBeife erhalten werben. £&gt;ier burch Nachläffigfeit, Unwiffenheit ober burd) falfche 6 djam bas ©lüd sweier

3m erften galle müffen wir »or allem genau zufehen, ob bie Tatfachen auch wirflid) fo finb, benn fonft laufen wir ©efahr, jemanben für einen SRaterialiften zu halten,