*l|M)tiofopi)tc nnö Heben
?. J A H R G A N G + 4. H E F T + A P R I L 1931
„ J m SMenf te Der tOoIfeßein^eit e r f t r e b t u t i f e r t J e i t f c h r i f t ei n e f a $ * U $ e a « « f p r a ^ e ö e r ü e r f d j i e ö c n e n t o e l t a n f $ a u ü $ e n Ä t z u n g e n . “
£ > er © m n 5 e s S e b e n s
25on 31 c i n t> a t b © 1 1 e <f e r
I. Seil
Wenn mit einen f>aufen Vuchftaben auf einem 33latt Rapier als Un=
finn beaeidmen, fo fann bamit zweierlei gemeint fein, (Entmeber biefe 53ud)ftaben ftefjen fo mtllfürlid) neben= unb untereinanber, bafe fie feiner- lei Worte unb ©ebanfen ergeben, ober aber fie ergeben Worte unb ©e=
banfen, bie in fid) miberfprud) 5 Doll finb. Sie Wortjufammenftellung
„hölaernes (Eifen" möge als 23eifpiel für bte letjtgemeinte 3lrt oon Un=
finn bienen. (Es gibt alfo einen ilnfinn ober eine ©innlofigfeit ber fammenhangslofigfeit unb eine bes Wiberfpruchs. 9Jlan fann lefctere t>iellei($t als ©pejialfall ber erfteren betrauten. 6 inn fud>en Ijiefee bem=
nach, Sufammenhang fud>en. 2luch Wiberfprüdje serreifeen ben 3u=
fammenhang. Rad) bem 6 inn bes Sebens fragen, helfet nach bem 3u=
fammenhang bes Sebens fragen. Sas Rätfel »om Sinn bes Sebens löfen, mürbe bebeuten, bafe mir alle SebensDorgänge, bie inbioibuellen, bie meltgefd)id)ttid)en unb bie unioerfalen, in einen miberfpruchslofen 3 ufammenhang etnorbnen fönnten.
(Es gibt amei gönnen bes 3ufammenhangs, bie unfer Seben beherr=
fchen. Sie eine gorm ift bie ber Haufalität, bes urfächiichen Sufammen- hangs, bie anbere bie ber Seleologie, bes Swedsufammenhangs. Wie tiefe beiben gormen fid) jueinanber »erhalten, ift ein letjtes Problem, bas mir aunächft noch unentfehieben Iaffen. Rur fo Diel läfet fid) fchon aus allgemeiner Erfahrung fagen, bafe {ebenfalls ber 3 tt>edaufammenhang ben Urfachenjufammenhang Dorausfefct. W ir fehen eine Wanae machfen, mir miffen, bafe fie aus einem 6 amenforn entfprofe, mir miffen, bafe Sonne, Regen unb eine gemiffe 33efchaffenheit bes ‘Bobens urfächltch ihr Wachstum bebingen. Vielleicht hanbelt es fich um eine nüftliche
^Pflanae, etma um bas ©etreibe, moDon mir mögiiehft Diel haben möch»
ten. Sefet benufeen mir unfere Kenntnis Don ben urfächiichen 3ufammen=
hängen, nehmen eine 9Kenge ber entfprechenben 6 amenförner, forgen burd) fünftlidje Süngung für bie nötige 33efd)affenheit bes Vobens unb aerftören gleichaeitig auf unfern Widern bie Wachstumsbebingungen für
^bilofopbie unb Seben. VII. 7
92 © e r 6 t n n b e s S c b e n s
anbere “^flangen, bie unfere ©etreibeernte beeinträchtigen fönnten unb bie wir beshalb als „Unfraut" bezeichnen. 60 machen wir aus bem Kau=
falgufammenhang ben Swedgufammenhang. Singeine Ausfchnitte aus bem Seben, wie folch ein ©etreibefelb, geigen einen fo einleuchtenben 3 ufammenbang, bafe ber ©inn leicht feftguftellen ift. Sie grage ift, ob aud) bas ßeben im ©angen einen folgen 6 inn geigt ober toenigftens gu oermuten erlaubt,
Sßenn in bas forgfam gepflegte ©etreibefelb ein Hagelwetter einbridjt unb ben Sftenfchen um alle grucht feiner flugen ^Berechnung unb flei*
feigen Arbeit betrügt, bann fprechen wir oom ^Balten „finntofer Sle=
mente". Unb wenn toir bie Dielen Unglücfsfälle, Snttäufchungen, SJlife*
erfolge unb SBiberfprüdhe bes Safeins ins Auge faffen, bann erfcheinen uns bie einleuchtenben, gufammenhangsoollen Abfchnitte tote Oafen in ber SBüfte. 2Jtan möchte bem Seben als ©angem gegenüber oft oergwet=
fein unb bie grage nad) einem ©inn Derneinen, wie es ber ^effimismus iatfädjlid) tut.
Aber benehmen toir uns in biefem galle nicht oielleicht tote Kinber, bie ein SSlatt mit 33ud)ftaben in bie fjanb befommen, oon benen fie nur erft einen STeil lefen gelernt haben? Unb nehmen toir felbft 3eitungen eines Sanbes in bie f>anb, beffen Sprache toir nicht lennen: Ermangelt bann ber Anblid ber 23uchftaben nicht aud) bes ©innes, trofebem toir beftimmt toiffen, bafe ein foldjer oorhanben ift? Vielleicht, bafe toir bas eine ober anbere 2Bort, ettoa toeil es an unfere eigene Sprache anflingt, ober toeil es ftd) um ein allgemein gebrauchtes grembwort hanbelt, aus bem Shaos bes Unoerftanbenen herausfinben; ja oielleicht, bafe toir mit feiner f>ilfe fogar einige ©chlüffe auf ben ©inn ber übrigen uns unoerftänb=
liehen SBorte sieben fönnen. Es ift aud) möglich, bafe toir burch atlgc=
meine uns befannte 3 ufammenhänge — oielleicht toeil toir bie politifchen gragen, um bie es fich hanbelt, unb bie Einteilung ber Reifung gu ihnen fd)on oorher fannten — in unferen Schlußfolgerungen unterftütjt wer*
ben. Sin anberes 33eifpiel: Einer SDtobengeitung ift ein Sd)nittmufter=
bogen beigelegt, gür ben Uneingeweihten ein Surdjeinanber finnlofer Sinien; für bie Schneiberin ein leicht gu oerftehenber unb toohlgeorbneter
^Plan für bie Anfertigung eines Kleibungsftüdes. Ober man geige einem Uneingeweihten bas Sftotorgehäufe eines Autos: er fieht eine SKenge oon SRetallförpern, oon Kabeln, oon Schrauben, ohne irgenbeinen 3u=
fammenhang hineinbringen gu fönnen. Ser Autofahrer felbft weife fofort, was bie 3ünbfergen, was bie 3plinber, was Sßergafer, 23atterie ufw.
finb. Er mufe es wiffen, weil er ja fonft biefe funftoolle 2Rafd)inerie gar
nicht gu bebienen oerftünbe. Aud) ber 9tichtfaf)rer aber ift fchliefelid) oom
Sinn biefer Anlage übergeugt, weil er bie praftifche 2Birfung oor Augen
hat. Er glaubt an ben Sinn all biefer eingelnen SJeftanbteile unb ihrer
® e t 6 inn bes Sebens 93 fonberbaren Sufantmenftellung, aud) ohne ihn im einzelnen gu t>crftcE>en.
3lhnlid> finb toir alle Don bem finnoolten Aufbau unferes Körpers aus feinen oerfchiebenen Organen unb aus feinen SRiltiarben gellen über=
jeugt, aud) wenn nur ber Anatom tiefer in bie (Erfenntnis ber einzelnen 3 ufammenhänge einbringt. Ser 6 inn, ben wir fudjen, ift alfo nicht immer in allen (Einzelheiten gu faffen unb oft nur aus ben größeren 3u=
fammenhängen heraus anjunebmen.
“ffienn toir oon Seben fprechen, benfen toir junächft an ben Sebens=
projeß bes (Einzelnen. 6 d)on feine längere Sauer feßt ein zufammen*
bängenbes, alfo finnoolles gunftionieren oon Seiten, oon Organen, feßt zwedoolle Söirfungen unb ©egenwirfungen ooraus. Smmer bietet ein lebenbes SBefen bas 33ilb eines finnöollen 3 ufammenhangs. SBir feben 9tinber auf ber Söeibe unb freuen uns biefer fraftftroßenben ©efchöpfe inmitten einer Umgebung, bie ju ihrem Seben unb gu ihrem ©ebeifjen paßt. Alles ©innoolte erleben mir mit einem ©efühl ber 33efriebtgung.
Aber in biefen Sebensprojeß bes Bieres greift ber SOlenfd) mit grau=
famer £>anb ein. Sr macht ihm mit ©ewalt ein (Enbe, wenn er bas gleifch biefer ©efchöpfe als Nahrungsmittel feinem eigenen Sebens=
proseß juführen will. (Ein foldjes Ster, mitten aus ber gütte feines ge=
funben, fröhlichen Sebens herausgeriffen, unter Angft unb (Schmerzen für frembe Sebenszwecfe hingeopfert: welch fraffer SBiberfpruch! 3n bem (Empfinben für ihn liegt wohl bas ebetfte SKotio bes Vegetarismus.
Aber unterbrechen mir nid)t auch ben ßebensprojeß ber Pflanzen, wenn mir uns oon ihnen nähren? ©ewiß, fie haben ni<^>t Steroen unb 53e=
wußtfein toie bas STier. Aber grunbfäßlid) bleibt ein SÖMberfprud). SBir SRenfchen müßten anbererfeits auf bie SHtöglichfeit unferes eigenen Sebensprojeffes oerjidjten, wenn mir uns jebes Singriffs in biefe fremben Sebensprozeffe enthalten wollten. 60 liegt ber 9ötberfpruch im Söefen bes Sebens felbft. Auch ohne unfern menfchlichen Gingriff freffen fich ja bie STiere gegenfettig auf unb oerbrängt eine ^ftanje bie anbere oon Voben unb 6 onne. 3ft nicht mit biefem oom 3Sejen bes Sebens untrenn=
baren 2Bibetfpruch feine ©innlofigfeit, weit unüberbrüdbare Unter=
brechung feines 3 ufammenhangs, bargetan? 9ßenn alte ©efdjöpfe leben möchten, fönnten unb wollten, unb wenn bann boch nur ein STetl oon ihnen feinen Sebensprojeß normal zu (Enbe bringen fann, währenb ber Derzeitige Abbruch ber Sebensprozeffe ungezählter SSRitgefchöpfe hierfür gerabep bie Vorausfeßung ift, bann fcheint oon einem 6 inn bes Sebens höchftens noch bet ben glüdtichen Öberlebenben, nid)t aber bei allen übrigen, unb oor altem nicht im fnnbtid auf bie ©efamtheit aller Sebe=
wefen gefprochen werben zu bürfen. Ser Derzeitige Job ift aber nur eine beftimmte — bie ejtremfte — Art ber Unterbrechung eines Sebens*
prozeffes. 6 d)merzen, Äranfheit, Unglüd liegen fchon auf ber gleichen
94 S e r S i n n bes £ e b e n s
Sinie. 60 aud) Unterbrüdung unb Ausbeutung eines SERenfdjen burd) ben anbern.
3 u biefem ©ebanfengang Itefee fid) oielleidjt fagen, bafe ber 3 u=
famment>ang bes Sebens feinen ©inn gar nicht im geben bes einzelnen
©efd)öpfes ju haben braud)t, fonbern erft im ßeben bes Unioerfums fud>en unb finben laffe. Unb bann fann man ben gufammenhang rein faufal beuten. Siefe Seutung hätte ben 53oraug ber (Einfachheit für fid).
Reben wir gar nid>t mehr »on irgenbeinem 3wed bes Sehens, reben wir nur »on feinem Safein. Alles, was gefd)ieht, ©tödliches ober Ungtüd=
liebes, läfet fid» aus Urfad>en erflären, infofern alfo aud) »erftefjen. Un=
erbittlich walten bie ehernen ewigen Raturgefefte im ©rofeen wie im kleinen. Rad) ihnen rollt bie unenblid)e SBelt burd) bie unenbliche 3eit.
©ie bat in ihrer ©efamtheit fo wenig einen 3 wed, wie bas einzelne Sebewefen, bas burd) ^ie gügung ber Urfachen je nad>bem ju mehr freub»oller ober mehr fdjmerjDoller Beteiligung an biefem swedlofen Ablauf ber Singe beftimmt wirb. 3Ran fann »or ber majeftätifd>en £r=
habenbeit biefer unerbittlichen SBeltorbnung ftaunen. Beliebigen wirb fie trofc ihrer Einfachheit unb Klarheit nicht. Sie theoretifche Ausfd)al=
iung bes Swedjufammenhangs ift wie eine Sifenbartfur. ©ie »erein=
facht allerbings bie ^rojebur unferes Senfens, aber bie ^rajis bes Sebens proteftiert bagegen auf ©chritt unb STritt. Sas Bewufetfein bes SERenfchen, bie ©djmerjempfinblichfeit ber organifchen Söefen, bie Angft ber ©efchöpfe »or bem Sobe, bas finb Satfachen unb Grlebniffe, bie nid>t in ber rein faufalen Rechnung aufgehen, 3ufammenhanglofe Bud)=
ftaben auf einem Blatt Rapier entbehren bes Sinnes aud) bann, wenn man ihr Suftanbefommen mechanifd) bis in einjelfte genau erflärt. S a unfere gähigfeit, nad) Sweden au fud>en unb ju ftreben, einmal »or=
hanben ift, mufe auch nach bem Verhältnis biefes ^wedaufammenhangs 3 u ben faufalen Beziehungen bes Sehens gefragt werben. Sie Stage wirb nicht bamit aus ber SBelt gefd>afft, bafe man bie Swedaufammen- hänge einfach für Söufion erflärt. Ser elementarfte ^wedpfammenhang ift ber SBiUe minbeftens aller bewufeten ©efchöpfe jum Sehen. 2öo biefer SBille graufam burchfreujt wirb — unb gefchähe es felbft nach ben jwin=
genbften faufalen ©efefemäfeigfeiten — bleibt ein SBtberfpruch; bleibt-bie grage nach bem ©inn biefer Surdjfreujung. Alles was wir 3Renfd>en unter ©inn »erftehen, ift »on ber rein faufalen Betrachtungsweife ber SBelt her nicht 3 U gewinnen. 3Benn biefe Betrachtungsweife bie einjig mögliche wäre, bann wäre bie grage nad) einem ©inn bes Sebens nicht mehr möglich. Ser in fich wiberfprud)lofefte faufale 3ufammenhang bliebe bod) in unlösbarem SBiberfprud) ju ben nicht wegjuleugnenben
Senbenjen bes SBillens jum Seben.
33on ber teleologifd>en Betrad)tungsweife aus fönnte man mit bem
S e r S i n n bes gebens 95
2 Biberfprud) awifdjen glüdlid) oollenbeten unb graufam unterbrochenen 2 ebensproaeffen anbers fertig ju »erben fucfjen. 9Ran fönnte aud) ba über ben ßebensfreis bes einzelnen ©efchöpfes hinausbliden unb einen Sufammenhang fonftruieren, in bem bas Opfer bes einen für ben anbern einen Sinn befäme. (Es fönnte ja fo fein, baß immer bas niebere ©e=
fdjöpf beftimmt märe, bem 2 lufftieg bes höheren ju bienen, auch »enn es babei feinen eigenen 2ebensproaeß branjugeben hätte. Ser Sd)lacf)ttob bes Sieres »ürbe gerechtfertigt burch ben Zuwachs an Sebensfraff, ben ein menfd)Iicher Organismus aus bem Derjehrten gteifd) gewänne. 2lber es bleiben auch ba ungelöfte SBiberfprüche, bie feine enbgültige < 33efrie=
bigung auffommen laffen. Oft es wirflicf) immer bas höhere ©efchöpf, bem bas niebere bient? 3Berben nicht auch SKenfchen oon »ilben Vieren aufgefreffen? Sinb nicht ungezählte geiftig unb fittlich fwherftehenbe 3Renfchen oon gemeineren Naturen unterbrüdt worben? Hann bas 2ebe=
»efen, bas einem anberen jum Opfer fällt, mit feinem Sd)idfal jufrieben fein? (Ent»eber es weiß nichts oon ber höheren 3»edbeftimmung, bann ift fie für biefes 2 ebewefen boch fo gut »ie nicht oorhanben. ®as fd>red=
liehe (Erlebnis bes Untergangs ober ber Unterbrüdung bleibt finnlos.
Ober aber bie höhere 3»edbeftimmung fäme bem jurn Opfer beftimmten 2ebe»efen sum 3E3e»ußtfein, bann »ürben feine Qualen noch oermehrt burch bas 33e»ußtfein feiner 2 Rinber»ertigfeit, an ber es boch felbft nicht fchulb »äre, gar nicht 3 U reben oon bem gall, wo ber fwherftefjenbe fich feiner phpfifdjen ober moralifdjen Vernichtung burch ben 3ftieber=
ftehenben bewußt ift. 60 erflärt es fich auch, baß es bie ©egemoart nicht befriebigt, wenn man ihr »on einem golbenen Gleich ber 3 ufunft fpricht, bem alle ihre 2 eiben unb Entbehrungen einmal jugute fommen follen.
®en fmnberttaufenben ©efreuaigten bes Altertums war es auch fein STroft, baß bas Entfetjen über ihr Schidfal in fpäteren öahrhunberten jur 2lb=
fchaffung ber Sflaoerei führte. Es melbet fich bei allen biefen ©eneral=
erflärungen ber 2 ßelt, bie allgemeine ©efefce jur Sinngebung für bas 2 eben aufftellen, bas Önbioibuum mit ben Ontereffen unb 3 »eden feines eigenen Öebensprojeffes. Es läßt fich nicht um einer bequemen einbeu=
tigen Erflärung bes 2ebens »illen aus bem 3Beltjufammenhang »eg=
beuteln. Schließlich »irb bas, »as 2 eben ift, überhaupt nur im 3 nbi=
Dibuum erfahren. 2 llle ©eneralifierungen brohen fid) ins 2 eere au oer=
flüdjtigen, je »eiter fie fich fort bem urfprünglid) im Snbioibuum er
lebten 2 eben entfernen.
Es ift ein 9lüdfd)lag aller foldjer Betrachtungen, »enn bas 3nbi=
oibuum auleftt an jeber Sinnbeutung ber 3Belt oersweifelt unb nur noch
feinen eigenen 2 ebensprojeß gelten läßt. SBenn es fchon Jammer unb
Slmboß in ber Söelt geben muß, bann lieber f>ammer fein! 9 öer einen
{(honen fonnigen Sag haben fann, ^erbricht fich nicht lange ben Hopf
96 ©er S i n n 5cs S ebens
über feinen <5tnn. Gr fühlt unmittelbar; ein frohes, fchönes Sehen ge=
niefeen, ift ©inn an fich felbft. Erfolg haben, 9teicf)tümer gewinnen, An=
erfennung finben, ein gefunbes Familienleben haben: bas alles finb Gr*
lebniffe, bie mit bem Sehen ausföhnen, bie für bas Seben banfbar machen. Siegen auf bem 2öege gu foldjen Sebenserfolgen ©chwierigfeiten unb fMnberniffe, fo ift es flar, bafe fie überwunben werben müffen, bafe fie an fich feinen ©inn haben, bafe fie höchftens bagu bienen fönnen, bie Kräfte gu ftählen unb fie trofc ihrer errungenen Grfolge boppelt banfbar geniefeen gu laffen. ©o wirb man mit ber ©innbeutung bes eigenen Sebens fchon fertig, wenn es nur einigermafeen bamit »orwärtsgeht.
f>aben anbere weniger ©lüd, fo mögen fie eben gufehen, wie fie mit ihrem ilnglüd fertig werben. 3Ran fann fich nicht auch noch ben Hopf anberer Seute gerbredjen. Sas tft fo bie Sebensweisheit oieler robuften Surd)fd>nittsmenfd>en, bie fich oon ber grage na<h bem ©inn bes Sebens für anbere nicht allguoiel behelligen laffen.
Aber fchliefelich fommt auch &as glüdlichfte Seben einmal ans Gnbe.
Unb vielleicht gerabe beshalb, weil es fo glücflich war, wirb auch ber Abfchieb oon ihm fchwer. Söas bleibt oon allen frohen Sagen, mit benen man fo gufrieben war, wenn fie gu einer Grinnerung geworben finb, bie in ber 9tad>t bes Sobes einfach gu oerlöfchen broht? S a taucht benn bie grage nach bem ©inn bes Sebens boch wieber auf. ©ie melbet fid) übrigens auch im Verlauf bes glüdlichften Sebens boch immer wieber einmal, wenn Sage ber Slranfheit, Sage förperlicher ober feelifdjer
©chmergen fommen; wenn anbere liebe SERenfdjen uns oerlaffen. Sie
^roblematif bes Sebens liegt eben gerabe fo wie feine Urfprüngtichfeit in feiner inbioibuellen 33egrengung. 3Bir fönnen ber unruhigen grage nach feinem ©inn bei ber 33efd>ränfung unferes 9tachbenfens auf unfern eigenen wenn aud) glüdlichen Sebensprogefe ebenfowentg entgehen, als wenn wir unfere ©ebanfen auf bie ©efamtheit alles Sebenbigen richten.
Auch &er ©lüdlichfte hat ©tunben, wo er ben 3ammer ber SERühfeligen unb Velabenen mitempftnben mufe. Ser SJtühfelige unb 23elabene aber wirb nicht barin Sroft finben, bafe er anbere fooiel glüdlid>er fieht als fich felbft. Unb fo fchlagen benn bie ©ebanfen ber 9Renfd)en bod) immer wieber bie 9tid)tung nach trgenbeiner ©efamtlöfung bes Sebensproblems ein.
©ibt es nicht alfo bod) oielleid)t einen höheren Stoedgufammenhang, in bem fid) bie SBiberfprüche bes Gingelbafeins aufheben? 3öir ftehen oor fraufen, fremben Reichen, bie wir nicht gu beuten oerftehen. Aber wir ftubieren bod) immer wieber baran herum, ob wir nid)t wenigftens hier ober ba ein paar oerftänbliche Vuchftaben finben, aus benen fich auf ben
©inn ber übrigen ©chlüffe giehen liefeen. ©olange ber Sob noch in weiter
gerne gu liegen fdjeint, finben wir uns bamit ab, bafe wir nicht über ihn
hinausfd)auen fönnen. ©inb wir ihm aber näher gefommen, unb baut er
® e r © i nn bes E e bc ns 97 fich wie eine fchwarge, fa£)Ie Vergwanb »or uns auf, bann hätten toir bod) gern irgendeine Ahnung, was es mit biefer Söanb eigentlich auf fid) habe, unb ob es noch trgenb ettoas jenfeits »on ihr gebe.
Sie primiti»fte Söfung, bie fich ba anbietet, ift bie Sehre »om ^ara=
bies nach bem $obe. ©ie hat ihre ©chulbigfeit getan, ©ie hat in ben
»erfchiebenften gormen in ben »erfchiebenen Religionen feit 3at>rtaufen=
ben unzähligen Sftenfdjen über gragen unb ©chmergen bes Sebens unb über bie Angft oor bem Suntel bes Sobes hinweggeholfen. Aber je ret=
fer bie SDtenfchheit toirb, um fo weniger fann ihr biefe primiti»e Söfung genügen. 6s wäre ja freilich einfad), wenn wir SDtenfchen miffen fönnten, baß alle auf (Erben nicht erfüllten Söünfche jenfeits bes Sobes erfüllt werben; baß alle hier nicht gelöften SBiberfprüche fich brüben in £>ar=
monie auflöften; baß bie fchmerjoolle Veenbigung unferes irbifchen Sebens nur ein ©chein fei, auf ben in Söahrheit bie unenbliche gort=
fefjung unferes Sebens in ber gülle bes ©lüds folge. Sie 5Baf>rhaftig=
feit »erbietet es bem benfenben SRenfchen, fich tritt fo!d>en holben ‘'Phan“
tafien über unbequeme Satfadjen hinwegtäufdjen gu laffen. Auch haben jene ‘’Parabiesmärchen ihre recht bebenfliche ©eite. Vor ber Herrlichfeit bes Oenfeifs brohen nicht nur bie glücflichen ©tunben bes Siesfeits — wenn wir uns einmal felbft biefer primitfoen Ausbrudsweife bebienen wollen — ihre ©d>were, fonbern auch feine heiligften Verpflichtungen ihren 2öert gu »erlieren. gür ben asfetifchen Sinfiebler gibt es auch
©chönheit unb Reinlichfett unb ©efunbheit bes Sebens nicht mehr. 3m armen Heinrich ift bie ©eliebte bes Ritters fo »on greube auf ^ara- biefesherrlichfeiten erfüllt, baß fie gwar bie fchmerghafte Operation, bie ihr beoorfteht, aber auch alle Siebe unb alle Pflicht gegenüber ihren (Eltern »ergißt. Söogu alle ©ogialpolitif auf ber (Erbe, wenn biefe boch immer ein 3ammertal bleiben muß unb bie Herrlichfeiten bes Reiches
©ottes, bie im 3enfeits beginnen, unenblich bauern? Saufenbe »on 9Ken- fchen hat man »erbrannt, weil man fo wenigftens ihre ewige ©eligfeit gu retten wähnte. (Es fönnen alle Söerte bes menfchlichen Sebens burch ben Senfeitsglauben gerabegu auf ben Kopf geftellt werben. Sas ift oft genug gefchehen unb gefthieht auch heute noch, ©ch»n allein bie Unter*
brüdung ber SBahrhaftigfeit, bie im 3ntereffe ber (Erhaltung bes 3en=
feitsglaubens in ben »erfchiebenften gormen immer noch geübt wirb, barf als »erhängnis»oll bejeichnet werben, ©o ift ber Verfuch, ben ©inn bes Sebens »on einem ©tanbpunfte jenfeits bes Sebens aus gu beuten, unbebingt gu »erwerfen. (Es fann ja auch nur gur Anmaßltchfeit führen, wenn ein SRenfd) fich einbilbet, gewiffermaßen »om ©tanbpunfte gur
©eite ©ottes aus feinen SEftitmenfchen bie 3Belt unb ihren ©inn erläutern gu fönnen.
Es wirb auch &ie firchliche ©eelforge fich biefer 3enfeitsargumente
98 $) er S i n n bes S ebens
me^r unb mehr su entäufeern haben. Was »or ©enerationen noch ehr=
lidjerweife als SRebiain angefprochen toerben fonnte, mufe heute als Quadfalberei gelten. 2lud) feelforgerifche 9Retf)oben eines früheren 3ahrhunberts laffen fich heute oor fortgefchrittenen pfpchologifchen unb leligionsphilofophifchen Ginfichten nicht mehr oeranttoorten. (Es »irb ber gütige SRenfch, ber feiner Ratur nach jum Seelforger berufen erfdjeint, fchon jefet nicht mehr blofe in fircfjltchen Ämtern, fonbern ebenfo in benen bes ftaatlichen ober fommunalen <Eraiehungs= unb Wohlfahrtsbienftes bas angemeffene unb befriebigenbe Sätigfeitsfelb finben. Wenn ber
©eift ber d>riftlichen (Earitas nicht mehr unb mehr in bie moberne Soaialpolitif überginge, bann »ürbe webet bie letztere her wadjfenben gülle ihrer Aufgaben geregt werben, noch bie erftere ihre foaiologifche
‘öebeutung behaupten fönnen. Wenn fid) ber moberne SRenfch über bie Sdjranfen bes Orbifchen hinaus gu religiöfen Sinnbeutungen bes Sebens erheben foll, fo mufe bie Religion, will fie ihn anbers gewinnen, auch threrfeits ftati willfürlich beutbarer Wolfenbilber bie Realitäten bes Sebens ins 2luge faffen. Eine Religion, in bie lefetere nicht mit etnau=
gehen oermögen, wirb immer mehr ober weniger eine blofee ‘’Phantafie"
weit bleiben. Unfere 2lufgabe aber ift es nicht, aus ber ^Phantafie her=
aus bem Seben einen (Sinn anaubidjten, fonbern aus ben finnoollen 23ruchftüden bes Sebens felbft mit aller fritifchen Vorficht 6 d)lufefolge=
rungen in ber Richtung auf einen möglichen ©efamtfinn bes unioerfaten Sebensprojeffes au aiehen.
W ir 3Renf<hen müffen befcheiben bleiben. 6 s hiefee bie (Ehrfurcht oor ben ewigen Singen pretsgeben, wenn wir bie lefeteren in ein fimples Rechenejempel oerwanbeln wollten. Scheuen wir uns nicht, unfer iln=
oermögen einaugeftehen, wo es ehrlicherweife eingeftanben werben mufe!
(Es bleibt unferm ©eifte trofebem noch Raum unb SüRöglichfeit genug, fich au betätigen. 3a, gerabe wenn man ihn nicht auf bas ^rofruftesbett an=
geblich fertiger Wahrheiten fpannt, fann er fid) erft fräftig unb erfolg=
reich bewegen. Senn er hat all feine 2 lntriebe aus ben Spannungen unb gragen, bie uns aus bem einaigen Sebensproaefe erwachfen, ben wir fennen. Sas ift ber Sebensproaefe, ben unmittelbar jebes 3nbioibuum für fi<h allein erfährt unb ben es mittelbar an anbern 3nbioibuen, au=
iefet aus ber ganaen Weltgefchichte, immer aber im Rahmen ber trbifd>en Welt fennenlernt. 3nnerhalb biefes Rahmens müffen auch bie Sinn- beutungen bes Sebens wuraeln, bie wir oerfuchen. Sas braucht nicht au bebeuten, bafe fie innerhalb biefes Rahmens ftecfenbleiben müfeten.
2lber ein awedlofes, fchon beshalb weil niemals nachprüfbares, (Ejperi=
ment wirb es immer bleiben, oon jenfeits biefes Rahmens her mit Seu=
tungen in bie Welt hineinaufahren, bie bie ©runbelemente unferes Sa=
feins ignorieren unb bie ©runbwerte unferer 3Renfd)lid)feit serfefcen.
3) et © i n n bes Sebens 99
2 ßir muffen alfo fcf>on unfere ©ebulb äugeln. -ffiir muffen nid>t gleich bie ganje unb bie Ieftte Söfung finben »ollen. Sßit muffen nicht ©ötter unb auch nicht ©ottes Stellvertreter fein wollen. 2Bir brauchen beshalb auc^ noch nicht 3 um Sreibholj im Strom unb jum Schilfgras im 5Binbe 3 U werben. Als unferer Einbrücfe unb unferer Jäten bewußte 9Kenfd)en=
finber, innerhalb oon beren Sebensproseß bie ä^ecfjufammenhänge jebenfatls eine Rolle fpielen, haben wir biefer STatfache nicht minber Rechnung ju tragen als ben 2 atfa«hen bes Kaufalitätsaufammenhangs.
Auf bie Einbilbung oeraichten, bie lefjte unb umfaffenbe Sinnbeutung bes Sebens geben au fönnen, heißt noch nicht, auf Sinngebung über=
haupt oeraichten. 53on einem unburchbringlichen Urwalb umgeben fein, heißt noch nicht Hoffnung unb Kraftaufwanb, SBege burch 'hn ju finben ober ju bahnen, für finnlos erflären. Ser Urwalb bes Sehens liegt aller=
bings in oerjweifelter Sichte unb Ausbehnung um uns her. Aber er ift bo<h eben Seben; er ift ebenfo wie ooller ©efahren unb ©chatten auch wieber ooller Schönheiten unb ©onnenblicfe. Auch haben im Saufe ber 3ahrtaufenbe ©enerationen nach ©enerationen Sföege gebahnt unb Surchblide eröffnet. 3ßir fönnen es freilich nicht hinbern, baß immer wieber etliche mübe werben unb »erjagen. Aber es ift bas feine Rot=
wenbigfeit für alle SDtenfchen. Auch braucht man bie SJtüben unb S5er=
3 agten nicht burch narfotifche SDlittel über ihre traurige Verfaffung h*n=
wegautäufchen. Es gibt anbere SEftittel, um ihren SOtut aufjurichten unb ihre Sebensfrtfche wieber hcrjuftellen. Es finb mebiginifche Eharlatane, bie ein Univerfalmittel gegen alle Kranfheiten unb für alle SDtenfchen ju haben behaupten. Es finb geiftige Eharlatane, bie ein folches Univerfal=
mittel gegen alle Röte unb Zweifel bes Sebens haben wollen. Einem leibenben 2Kenfcf)en menfchliche Siebe erweifen, bebeutet praftifch mehr als ihn mit angeblich göttlichen Verheißungen über Abgrünbe hinweg»
gutäufchen. Es gibt SHenfchen unb Umftänbe, wo fich vielleicht auch bie Anwenbung narfotifcher 3Jtittel verantworten läßt. Es wirb fich bann aber immer um Stefpunfte bes Sebensproaeffes fchon an ber ©renje fei=
ner Regation, bes jobes, hanbeln. Unb ber Oenfeitstroft hat nun ein
mal oft biefe fatale $hnli<hfeit mit jenen SJtebistnen, bie jwar felbft ftärffte Schmerlen 31 t übertäuben oermögen, aber nicht ohne gleichseitig mehr ober weniger wichtige gunftionen bes Organismus lahmaulegen.
Kein nüchterner SRenfch wirb ben chronifchen Alfoholifer um ben f<hein=
bar feligen 3uftanb feiner Sauernarfofe beneiben; aber auch nicht ben religiöfen Efftattfer, ber, wie es treffenb in biefer Benennung liegt, einen Stanbpunft außerhalb feiner realen phpfifchen unb geiftigen Ejifteng einnehmen ju fönnen träumt, um oon ba aus erft ben wahren Sinn feines Sebens au begreifen.
©eben wir es lieber au: bas Seben hat 9Biberfprü<he, bie wir nicht
100 ® e r S i n n bes 2 e b e n s
löfen fönnen; es weift 3u|ammen5ang[ofigfeiten auf, über bie hinweg uns feine Brüde füf>rt. Aber gerabe bas Bewufetfein biefer unferer Sage ift bie ewige Unruhe im Ubrwerf unferes Sebens; ift ber ewige Anfporn, wenigftens ba Brüden $u bauen, wo wir fie bauen fönnen unb ba 2Biberfprüd)e aufeuflären, wo wir fie flären fönnen. Gs gäbe feine 3Biffenfd)aft ohne biefe heilige Unruhe in uns; es gäbe ofme fie weber Sechnif nod) ©ojialpolitif; es gäbe ohne fie alles bas nicht, was wir in bem oielbeutigen, aber bod) aud) oielfagenben Sßort Kultur jufammen»
faffen. Unb wenn es einen praftifcben Beweis bafür gibt, bafe wir an einen ©inn bes Sebens, wenn aud) nicht glauben müffen, fo bod) immer*
bin ju glauben wohl berechtigt finb, bann ift es bie 2atfad)e, bafe fid) trofc aller 3Beltflud>t unb 3enfeitsfd)Wärmerei immer wieber biefe menfd)lid)e Kulturarbeit burcbgefetjt bat, bafe fie, über bie 3ahrtaufenbe bingefehen, einen impofanten in fid) über allem 3Bed)fel ber ©enera=
tionen unb ber Bölfer hinweg jufammenljängenben Aufbau barftellt. Gs fann unb foll bamit nicht alles bewiefen fein, was wir SJlenfdjen gern bewiefen fetjen möchten. Aber biefer welt^iftorifdje Ginbrud ift immerhin ein ©runb, ber ben Anfer unferer Sebensauffaffung aud) im ©turm ju galten oermag.
©o erleben wir wirflirf) böbere 3 ufammenbänge, bie über bie ©renjen unferes eigenen inbioibuellen Safeins unenbiid) weit binausweifen. 3Bir erleben nicht ben unenblidjen 3 ufammenbang bes gefamten ewigen Unioerfums. Aber ber weltgefcbichtlicbe 3ufammenl)ang, in bem wir fteben, ift an fid) wahrlich grofe unb ergaben genug. Gs gebt fchon aller- banb Kraft unb Hoffnung oon ihm aus. Siefe Kraft unb Hoffnung wiegt wirflid) nicht fo leicbt, bafe man uns einreben bürfte, wir fönnten fte als unbeachtlich über Borb werfen. Sas (Erleben biefer böberen 3U=
fammenbänge ift aud) etwas ganj anberes, als eine biofee tbeoretifcbe Konftruftion. Gs ift bas einfach eine elementare Satfad>e, bie jeher un=
mittelbar aus feinen Sebenserfabrungen beraus feftftellen fann, bafe er
mit anberen 3Renfd)en jufammenlebt, nicht nur äufeerlid), fonbern aucb
innerlich; bafe er bas Seben anberer Sölenfdjen gu einem gröfeeren ober
geringeren Seil bireft miterlebt; bafe es 2 Kenfd)en gibt, beren greube
ibn felbft freut, beren ©d)merj it>n felbft fcbmergt. Sas fönnen SJlitglie-
ber ber gamilie, bas fönnen greunbe, bas fönnen ©efinnungsgenoffen
fein, ja, bas fönnen fogar 3Renfd)en fein, bie fcbon feit 3abrbunberten
tot finb, unb bie nur nod) aus Büchern unb Überlieferungen 3 u uns
fprechen; es fönnen Sichter unb Bilbhauer fein, bie uns ihr eigenes
Innenleben nur burd) Vermittlung oon ^Phantafiegeftalten oerftänblid)
machen. 2 ßir fönnen barüber hinaus mit 2 ier unb ‘’Pflanje, mit allem
Sebenbigen in irgenbeiner gorm mitleben, ber eine mehr, ber anbere
weniger. Gin Künftler oermag fid) an bie ganje Sßelt p oerlieren, um
® e r © i n n bes 2ebens 101 baburd) bie gange ?Belt für fich 3 U gewinnen. 60 wirb unfer eigener fiebensprozeß ein ©lieb im 3Beltgefd)id)tlid)en, ja im unioerfalen Sebens- ptojefe. 2 Bot)f ftetjen wir auch &a »ie ber ßaie oor einer fomplizierten 3Rafd)ine. Nicht alle Einzelheiten begreifen wir; fie geben uns oft oer- zweifelt fchwere Nätfel auf. 2 lber wir fpüren fo etwas oon einem über- inbioibueüen .Sufammenhang; wir oermogen Süden unferes VMffens burch einen nicht unbegrünbeten ©lauben auszufüllen. ®as ift ein fri=
tifcher ©laube unb ein praftifcher ©laube. ©teilt fich ein angenommener 3 ufammenhang als Sllufion heraus, fo geben wir ihn willig preis. 3Bir wollen lieber zweifeln, als uns burch Sllufion täufchen laffen. (Es bleibt troft aller 3 n>eifel noch genug ©runb zum ©lauben unb zum Vteiter- forfchen. 2lus Zweifeln pflegen neue unb beffere Erfenntniffe heroor- jugehen. Unb bie praftifche ©eite unferes ©laubens ift es, baß wir feine 3öiberfprüd)e bes Sebens untätig hinnehmen ober theoretifch hinweg- Zubeuten fuchen. VMr fühlen uns als 9Kenfd)en — benen, religiös (b. h- fpmbolifih) gefprochen, ©ott einen |jau<h feiner ©djöpferfraft eingeflößt hat — befähigt unb beshalb auch oerpflichtet, bie praftifdjen 3Biber- fprüche, bie Seiben bes ßebens, bie Verirrungen unb Hemmungen bes Lebenswillens, bie graufamen Störungen bes Sebensprozeffes ju über- winben. ©ewiß nicht alle auf einmal! ©ewiß nicht alle reftlos! Slber fchrittweife, einen nad) bem anbern. Sie Slrbeit eines Oahrhunberts mag bann immerhin nur als ein Heiner ©chritt oor ber (Ewigfeit erfcheinen.
2 lber fie ift boch ein Schritt, ber getan werben fann unb beshalb getan werben foll. ©0 fpridjt bas ©ewiffen in uns, bas bei ber grage nach bem ©inn bes ßebens auch ein SBort mitjufprechen hat. Es gibt feine
©flaoerei unb feine Kreuzigungen mehr in unferer mobernen Söelt, es gibt feine Ketzergerichte unb |jejenoerbrennungen mehr. Söir haben bie 'Peft überwunben unb haben Söölfe unb 53ären aus unfern 5Bälbern
»ertrieben. Vor anberen VMberfprüchen ftehen wir freilich noch, bas ift wahr. 2 Bir laffen im Religionsunterricht lernen: „bu follft nicht töten"
unb wir organifieren trofcbem bie SKaffentötung im Kriege. 3öir fprechen oon ber „Nationalifierung" unferer VMrtfchaft unb bringen bod) noch nicht bie Energie auf, bem Unfinn ber 3llfobo[mirtfd>aft ein Enbe zu machen.
5Bir ftehen no<h hilflos oor zahlreichen Kranfheiten, erleben Unglüds- fälle, Verbrechen unb Verzweiflung. SIber wer mit ben Verjweifelnben felbft mitoerzweifett, fann natürlich ihnen fo wenig wie fich felbft helfen.
VSorauf es anfommt, ift immer, benjenigen ©chritt oorwärts zu tun, ben man tun fann, für ben man felbft unb bas Zeitalter reif ift. 3 J t a n
braucht beshalb noch nicht zu oerzweifeln, weil bie nachfomtnenben Zeit
alter auch noch gragen zu löfen unb Nöte zu befämpfen haben werben,
©agen wir es mehr philofophifd): bie faufale Verfnüpfung ber enblid)-
relatioen Kraftquellen bes inbioibuellen Sebensprozeffes führt logifcher-
102 ® e t © i nn bes Sebens
tocife aulefct auf eine unenbtich=abfotute Kraftquelle bes unioerfalen Sebensprojeffes jurüd; bie Einseltatfachen bes Sebens auf bie Urtatfadje
— ilrfache — ber SBelt. S a beftetjt bann aucf) bie SRöglichfeit ber An=
nähme einer 3bentität ber faufalen unb ber teleologifdjen 3ufamnten=
hänge. 3m Unenbtid>en fönnen fid) aud) parallele ßinien fchneiben, fagt ber SÜRathematifer. Siefe Ausbrudsweife fann als 5tefignation oor ber 3bee ber Unenblid)feit cerftanben werben ober aud) einfad) als forrefte geftftellung ber 3nfommenfurabilität bes ^Begriffs „unenbltch" im Ver=
gleich ju irgenbeiner anberen ©röfee. 3ebenfalls ift eine fotche Aus=
brudsweife praftifd) brauchbar unb es wirb fid) ihrer aud) bie < ^>h*Ii>=
fophie bebienen biirfen. Vor bem 3rrationaten fteht fie julefet ebenfo wie bie 3ftatt)ematif unb — bie Jheologie, benn aud) bas Problem ber 2 heo=
btacc bleibt ja julefct unlösbar: Entweber hat ©ott bie SBelt nicht beffer unb glüdlicher machen fönnen, trofjbem er es gewollt hätte; ober aber er hat fie nicht beffer unb glüdlicher machen wollen, trofebem er es ge=
fonnt hätte. 3n einem galt müßte etwas mit feiner Allmacht, im anbern galt etwas mit feiner Allgüte nicht ftimmen. SRachen wir aber auch nicht ben lieben ©ott für alles nerantworttich, was uns an feiner SBelt nicht gefällt. 9Jtenfd)liche Summheit unb furafichtiger menfchlicher (Egoismus, Seibenfd>aft unb Aberglauben haben ihr reichliches STcil 6 d)ulb an ben Übeln, an ben Söiberfprüchen unb ©innlofigfeiten bes Safeins. Ohne bie Unfitte bes £abaf= unb Atfoholgenuffes fönnte fich ber gefunbheitliche unb moralifche 6 tanb ber SÖtenfchheit um 20 bis 30 ^rojent heben. SÜRit ben SERittiarben, bie ber 3öettfrieg foftete unb mit ber in ihm oerfdjwenbeten menfchtichen (Energie hätte man unfern fleinen Planeten fchon in ein halbes ^arabies »erwanbeln fönnen!
Ser ^fpchotoge unb ber ^hitofoph, ber fnftorifer unb ber ^olitifer, fie haben es nid)t fo leidht wie ber Anatom ober ber Jechnifer. Aber im wefentlichen ift menfchlid>es Senfen unb Arbeiten bei ihnen alten oer=
wanbt. (Es ift überall biefes fchrittweife Vorbringen im itrwatb; biefes fchrittweife SBeitertreiben ber Erfenntnis; biefes fchrittweife Überwinben ber 2Biberfprü<he. Es war ein <Scf>ritt oorwärts, als bie Ejplofiofraft bes Senjingasgemifches auf einen SSRetattaptinber angewanbt würbe, in bem fie einen Kolben auf unb nieber bewegte. Aber nun ergab fich ber VMberfprud), bafe eine rein fenfrechte Vewegung entftanb, mit ber für ben Antrieb eines ©efätjrtes nid)ts anaufangen war. Ser Söiberfprud) würbe burch bie Einfügung eines ©etenfs in bie Kolbenftange unb einer Kurbelwelle überwunben. 9lun ftanb man oor bem neuen Söiberfpruch, bafe bie oorberen 9täber bes Söagens für bie Steuerung frei bteiben>
alfo ber SRotorantrieb auf bie fjinterräber bes SBagens übertragen werben mufete. Sas fompligierte ©efüge bes ©etriebes unb ber Karban=
wette mufete aud) biefen SEBiberfpruch überwinben. 3etjt entftanb bet
©er © i nn bes S ebens 103 SBiberftreit awifchen ben beiben fjinterräbern, »on benen ficf) in jeber Kuroe bas eine mit größerer, bas anbere mit geringerer ©efd)Wtnbig=
feit bewegen will. Gin ©pftem oon 3ahnräbern, bas fogenannte Sif=
ferential, hatte hier ben Ausgleich ju fchaffen. 60 ging bie $ed>nif über SBiberfprud) nach SBiberfprud) hinweg bis jur Konftruftion bes rei=
bungslos funftionierenben Autos. Sie STechnif ift ein Ausfchnitt aus ber Kulturarbeit ber SRenfchheit. 3ebe ©chöpfung ber STechnif ift ein ©inn=
bilb bes Sebens im Kleinen. Als SBunber fteht fie mit ihren Kompli
ziertheiten oor ben Augen bes Saien. Aber unzählige einzelne fleine
©dritte mußten getan werben, ehe bas große SBunber pffanbe fam.
Aud) bas Kunftwert ift ein ©innbilb bes Sebens unb ©djiller fagt ähn=
liches oon ihm. ©chleiermad>er bezeichnet ben ©taat als ein Kunftwerf.
Auch ©taatsoerfaffung unb Bölferred)t müffen fchrittweife ben menfch=
Iid>en Setbenfchaften unb örrungen abgerungen werben. ©0 ift es über=
all. Ungeheuer groß ftehen bie theoretifchen unb praftifchen Aufgaben oor uns, bie noch gelöft werben müffen. Begreiflich, wenn ber eine ober anbere oor ihnen ben 3Rut oerliert. Unausbenfbar, wie bie leßte ooll=
fommene Söfung aller fragen unb Aufgaben bes Sebens ausfehen unb was nach ihr fommen foll. Begreiflich wieberum, baß ber eine ober anbere aus biefer Unbenfbarfeit bie ©innlofigfeit bes ganzen Safeins zu folgern geneigt ift. 3Bir fönnen ben einen nicht immer moralifch auf=
richten unb wir fönnen ben anbern nicht immer theoretifd) überzeugen.
3mmer wirb bie fchweigfame ©phinj oor bem ©rabe liegen unb bie Gwigfeit ein 9tätfel bleiben. Ser SJRenfd) würbe aufhören Sftenfd) zu fein, wenn er fein ©ferben oor fich unb einen Bltd über alle Gwigfeit hin hätte. Aber er hört auch auf SWenfd) zu fein, wenn er feine eigen=
tümlichften menfchlidjen Grlebniffe für bie Seutung ber SBelt, in ber er lebt, unb für bie Bezwingung ber praftifchen Aufgaben, bie ihm geftellt finb, außer acht laffen wollte. Ser menfchlidje ©eift muß feinem SBefen entfprechenb ©inn juchen unb ©inn fchaffen. Gr fann fich nicht einfach mit bem Kaufalitätszufammenhang alles ©eienben genügen laffen, fo=
lange bas unmittelbare Grieben ber 3®edzufammenhänge noch einen SBiberftreit baju bebeutet; er muß nach georbnetem ungeftörten gort*
gang bes inbioibuellen Sebensprojeffes ftreben unb alle entgegenftehen=
ben Hemmungen aus bem Sßege ju räumen fudjen; unb wo im Sftahmen bes inbioibuellen Sebensprojeffes bie SBiberfprüdje unlösbar bleiben, ba muß er oerfudjen, theoretifd» wie praftifch zu überinbioibuellen 3 ufam=
menhängen empor^ufteigen, um bort nach SOtöglichfeiten zu fpähen, biefe SBiberfprüdje aufzulöfen. ©ewiß, es wirb ihm niemals reftlos gelingen, aber er erlebt anbererfeits gortfdjritte unb Grfolge genug, um immer wieber greube unb Grmutigung baraus zu fchöpfen.
©inn fuchen unb ©inn fchaffen, bas heißt: ©innbeutung unb ©inn=
gebung! Sie letztere bofiert auf ber erfteren; bie erftere gewinnt burd) bie leßtere. 2öir muffen bie Ratur begreifen, um fie gu beherrfchen. 5ßo wir fie beljerrfdjen fönnen, ift bas untrüglichfter “Beweis bafür, baß wir fie richtig begriffen haben. Oft bie 3fielt ein Reich ber 3**fälle ober ein Reich ber 3wede? Es gibt feinen Sufatl, fagt ber Seterminift, benn alles, was gefchieht, gefchieht ja notwenbigerweife aus feinen Urfachen heraus.
Slber gerabe bas pflegen wir 3 ufall gu nennen. Kärglich fuhr ein Ber=
liner Autoomnibus gwet Sanbffiffahrer tot. Ser genfer bes leßteren war richtig gefahren, ber Senfer bes Omnibus aud). Rur fonnte festerer pon feinem erhöhten ©ift aus bas niebrige fleine Sanbffiff nicht rechtzeitig jehen. ©omit war faufal alles in Orbnung. Rieht einmal irgenbein 33er=
fchulben. Es mußte fo fommen, wie es fam. Rur gwei tote junge SÜRen=
fchen! Sas befchäftigt uns eben, währenb uns faufale Söirfungen ohne folche golge für unfer Seben entfpredjenb weniger befchäftigen. Aus bie=
fer Söelt ber Zufälle eine 3Belt ber 3 *»ede gu machen, bas ift unfer SBunfd), unb, mehr als bas, unfer SBille. 5Bir fönnen auch »om ©tanb
punfte bes ©ewiffens aus fagen: Es ift unfere Pflicht unb unfere Auf=
gäbe. Alle menfchliche Kulturarbeit geht ihrem < 2Befen nach barauf aus, ben 3®ed ftatt bes Zufalls gu fegen. Rid)t abwarten, bis unfer 33rot=
getreibe oon felber wächft; nicht abwarten, was unfere Ougenb pielleicht oon felber lernt; burch Verficherungen aller Art ben ©chaben Pon Kata=
ftrophen wenigftens finangiell wteber gutmachen! SBir ftehen unter bem ftarfen Einbrud bes naturwiffenfchaftlichen Entwidlungsgebanfens oon Kant=SapIace bis gu Samarf=Sarwin; unter bem Einbrud ber weltge=
fchichtlid)en Entwidlung, wie fie uns oon Herber über Hegel bis gu
©pengler gebeutet wirb. Unbefriebigenb nur ba, wo folche Seutungen por legten 3ufammenhanglofigfetten noch allgu eilfertig fapitulieren. Sie Ratur w i l l ein Reich ber 3wede werben. Unfere SOtenfchenwelt f o 11 ein Reich ber 3wede werben. 3Bir finb bie ©chöpfer unferer 3ßelt unb baburch SERitfchöpfer an ber ©efamtwelt; ein wingiger ©dhöpfer ber ein*
gelne 9Renfd), aber fchon imponierenber bie Kulturmenfchheit. Unb wo=
her unfere ©chöpferfraft, wenn nicht aus berfelben Quelle wie bie bes ASeltalls?
Ser ©laube an einen ©inn bes uniperfalen Sebens unb in feinem 3u=
fammenhange auch &es inbipibuellen Sebens erroächft aus ber 33efrie=
bigung bes Senfenben unb bes ©d>affenben; eine 33efriebigung, bie mit
©lüd ober Unglüd im gewöhnlichen ©inne bes SBortes wenig mehr gu tun hat; bie tatfächlich bas Onbiotbuum über bie ©rengen feines inbi=
»ibuellen Sebensprogeffes hinaus in unenblid) oiel weitere 3nfammen=
hänge hinübertreten läßt. Auch biefe eine Art Oenfeits, wenn man fo
will, aber nid)t mehr eine naioe Konftruftion ohne 3ufammenhang unb
in gefährlichem ©egenfaß gum wirflidjen Seben, fonbern aus ihm heraus
Ü b e r b a s 9t t t s 105
unb bann über es hinausgewachfen. ®as Seben, bas uns fo fchwere 9lätfel aufgibt, ift trofcbem weithin unferm ernfthaft forfchenbem Ver=
ftanbe überrafchenb gugänglich; bie 9latur, bie oft mit fo t>erf)erenben Äataftrophen über uns unb unfer Wer! hereinbridjt, geigt fid) anberer=
feits roieber erftaunlid) bilbfam unb bienftbar. „ 2 ftit bem ©enius fteht bie 9latur im ewigen 33unbe, was ber eine r>erfprid)t, hält bie anbere gewiß." Nehmen wir unfere (Erfahrungen fo, wie fie finb! Saffen wir Weber bie pofitioen noch bie negatioen aus bem 33ilbe fort, bas wh uns — je' nach bem Stanbe unferes 3^italters — oon ber Welt ju machen fuchen. (Es ift etwas Wunberbares unb ©ewaltiges, bafe wir fo weit über unfere inbioibuellen Safeinsgrengen hinaus benfen unb wirfen fönnen. (Es ift anbererfeits nichts fo (Enbgüftiges unb Vollfommenes, was wir erfennen unb fchaffen, bafe wir uns überheben, bafe wir gleich' gültig unb untätig werben unb bafe wir bie (Ehrfurcht — manchmal auch bie Slngft! — oor bem, was über uns ift, oerlieren fönnten. W ir werben eben immer — 3Renfd> bleiben!
Ü b e r S R id jfe (@ine 2 lus<anan 6 «rje§ung mit ^eibcggcr.)
S5on S l u g u f t 9 J l e f f e r
(Fortsetzung aus Heft II, S. 4? ff.)
in :
Wenn wir aud) bie Slnfid)t f)eibeggers, bafe uns bie grage nach bem Nichts non ber Slnerfennung ber Sogif befreie, n i d) t teilen fönnen, fo wollen wir boch noch feine weiteren Slusfüfjrungen über biefes Problem prüfen. (Er grünbet nämlich feinen Singriff gegen bie Sogif nicht nur auf ben angeblichen Selbftwiberfpruch in ber grage: was ,ift‘ bas , 9 tid)t 5 ‘?, fonbern noch auf einen weiteren ©ebanfengang.
Gr legt fich felbft bie grage oor: bürfen wir bie |jerrfchaft ber „Sogif"
unb bamit bie bes „Verftanbes" antaften? ®as 9tid)ts ift ja boch bie V e r n e i n u n g ber Slllheit bes Seienben, bas fdjlechthin Glicht“
Seienbe. „hierbei bringen wir bod) bas Stidjts unter bie höhere Ve=
ftimmung bes i d) t h af t en unb fomit bes Verneinten." V e r n e i nung ift aber nach ber herrfchenben unb nie angetafteten Sehre ber
„Sogif" eine fpegififche V e r f t a n b s h a n b l u n g . „W ie fönnen wir alfo in ber grage nad) bem 9lid)ts ... ben Verftanb oerabfehieben wollen?" ( 12 ).
9tur b a n n hält f>eibegger es für möglich, ben „Verftanb" unb ba=
mit bie „Sogif" aus ber Philofophie gu „oerabfehieben", wenn bas
„9li(hts" urfprünglicher ift als bas „Glicht" unb bie „Verneinung".
®amit ftehen wir oor einem neuen Problem, bas £>eibegger fo formu=
liert: ,,©ibt es bas Nichts nur, weil es bas Seicht, b. h- bte Verneinung
106 ä b e i bas SRid)ts
gibt? Ober liegt es umgefeljrt? ©ibt es bie Verneinung unb bas Rid)t nur, toeil es bas Rid)ts gibt?" (12).
Sr entfd)eibet fid) für bas S e t t e r e. gür ihn ift alfo bas „Richts"
bas Urfprünglicfjere. Sas Erleben bes „Rid)ts" ift für ihn ettoas Aufeer»
unb Vorlogifches. Erft auf ©runb biefes funbamentalen Erlebens bes Richts fönnen toir bie Verftanbeshanblung ber Verneinung oolljieljen, fönnen toir bas „Rid)t" („Rein") benfen. E r mad)t ficf) alfo anbeifd)ig Btt ertoeifen: ..Sas Richts ift ber Urfpntna ber Verneinung. nid)t um»
gefefjrt" (22). Saraus aber Btebt er bie revolutionäre golgerung: „3Benn fo bie Rtacht bes V e r ft a n b e s im gelbe ber gragen nach bem Richts unb bem ©ein gebrochen wirb, bann entfcbeibet fid) bamit aud) bas
©d)idfal ber f>errfd)aft ber ,2ogif‘ innerhalb ber ^ilofop^ie. Sie 3bee ber , 2 ogtf‘ felbft löft fid) auf im SBirbel eines urfprünglidjeren gragens."
2 Bir geben nicht auf bas naheliegenbe “Bebenfen ein, ob jenes „ur=
fprünglid)ere gragen" (unb bas Antworten barauf) ettoa nicht „logifch"
fein foll, toir toollen uns barauf befdjränfen bu unterfudjen:
1. tote fte^t es mit bem a u ß e r » bsto. o o r logifdjen Urfprung bes
„Richts" unb feinem Verhältnis aum „Rieht" (ber Verneinung als Verftanbeshanblung)?
2 . 5Benn ein foldjer oorlogifcher Urfprung fid) bartun läßt: ergibt fid) b a r a u s ettoa, bafe bie fjerrfebaft ber Sogif in ber ^Pbtfofopbie n i ch t bu Recht beftehe?
Ser ©inn ber e r ft e n grage Bielt auf bie „©runberfahrung" (14) oom Ridjts; alfo auf bas Erleben, in bem uns bas Richts „gegeben" toirb, in bem es fich uns „befunbet"; anbers ausgebrüdt: in bem es uns offen»
bar toirb, toas bas 2öörtd)en „Richts" eigentlich bebeutet.
Siefe ©runberfahrung liegt nad) §eibegger nict>t in bem logtfehen, alfo Verftanbes=Aft bes Verneinens, fonbern in bem Erleben ber — 21 n g ft.
f)eibegger fucht uns biefe befrembenbe Anficht Bunächft annehmbarer Bu machen burd) bie allgemeine pfpchologtfche Sehre: „Söas toir fo ,©e»
fühle’ nennen, ift toeber eine flüchtige 23egleiterf<heinung unferes benfen»
ben unb toillentlid)en Verhaltens noch ein blofeer oerurfachenber Antrieb bu folchem, noch ein nur oorhanbener 3uftanb, mit bem toir uns fo ober fo abfinben". Vielmehr gilt ihm bie „95efinblid)feit ber © t i m»
mung" als bas „©runbgefdjeben unferes Sa»feins" (15).
Unb nun toirft er bie grage auf: „©efchieht im Safein bes 9Renfd)en ein folches ©eftimmtfein, in bem er oor bas Richts felbft gebracht toirb?"
Er antwortet barauf: „Siefes ©efchehen ift möglich unb — wenn»
gleich feiten genug — nur für Augenblicfe wirflich in ber ©runbftimmung ber A n g ft" (16).
„Angft" ift nad) fjeibegger grunboerfchieben oon „gurd)t" 2öir
„fürchten" uns ftets oor btefem ober jenem bef t i mmt en ©eienben.
Ü b e r b a s 9t t cf ) f s 107 Sie „Slngft" ift zwar immer aud) „Slngft o o r . . . " , aber nicht »or biefem ober jenem Beftimmten. 60 umbrängt unb bebrängt uns in ber Stngft
„ein “JBegrüden bes ©eienben im ©anjen". „Es bleibt fein fmlt. Es bleibt nur unb fommt über uns — ein Entgleiten bes ©eienben — biefes ,fein‘".
„Sie Slngft offenbart bas Nichts" ...
„S ie SIngft »erfd)lägt uns bas Söort. Söeil bas ©eienbe im ©anjen entgleitet unb fo gerabe bas Nichts anbrängt, fchweigt in ber 2lngft jebes ,3ft‘=©agen. Safe mir in ber Unheimlichfeit ber Stngft oft bie leere
©tille gerabe burd) ein wahllofes Neben zu brechen fuchen, ift nur ber Beweis f ü r bie ©egenwart bes Nichts.
Saß bie SIngft bas Nichts enthüllt, bestätigt ber SRenfd) felbft un=
mittelbar bann, wenn bie Slngft gewichen ift. 3n ber fielle bes Blides, ben bie frifche Erinnerung trägt, müffen wir fagen: wooor unb worum wir uns ängfteten, war ,eigentlich' — nichts. 3n ber $at: bas Nichts felbft — als folcfjes — war ba."
SJlit ber ©runbftimmung ber 2 lngft haben wir b as ©ef<hel>en bes Safeins erreicht, in bem bas Nichts offenbar ift (17).
SERan wirb biefer ©chilberung ber oor= unb aufoerlogtfchen „©runb=
erfahrung" t»om „Nichts" gern l i t e r a r i f d) e Vorzüge bes 2lnfd>au=
liehen, ja bes “’Padenben zugeftehen, aber wir wollen barüber nicht über«
fehen, bafe fie — wörtlich genommen — i nf i c h wi b e r f p r e c h e n b i f t . (freilich, f>eibegger erfennt ja bie Vermeibung bes ©elbftwiberfpruchs als oberfte logifche Norm n t ch t mehr an!)
SBenn wir nämlich nach bem Verfchwinben ber 2lngft fagen: „Es war 'eigentlich — ,Ni<hts‘", fo ift bamtt gemeint: Nichts ©irflidjes (f etn
„©eienbes"2)). Söenn aber fmbegger baraus folgert: „Sas Nichts felbft
— als folches — w a r ba" ; wenn er baoon rebet, baß bas Nichts
„gegenwärtig" ift, bafc es uns „bebrängt", fo ift bies nur finnooll, wenn babei bas Nichts als ein SBirfliches, ein „©eienbes"2), gemeint ift.
gerner wäre zu fragen: ift gerabe bie 21 n g ft — allein ober auch nur in ganz befonberem Sftajje — bazu angetan, uns bas Nichts erleben zu laffen?
Söir f u ch e n etwas unb finben — n i ch t s ; wir erreichen unfer 3 iel unb begehren — n i ch t s weiter; wir perbrauchen etwas, es bleibt — n i ch t s übrig; wir erwarten etwas, es fommt — n t ch t s ; wir fehren nad) einiger 3eit an einen Ort zurüd: es hat fid) — n i d> t s geänbert.
ßiefeen fi<h nicht noch zahlreiche anbere Erfahrungen namhaft machen, in benen wir bas „Nichts" erleben, in benen es uns gleichfam „gegeben"
ift. Vkrum alfo biefe Beoorzugung ber „Slngft"?
Siefe erfdjeint insbefonbere bann nicht gerechtfertigt, wenn ©igmunb greub mit feiner Sehre recht hat: „Slngft ift eine oon ihrer Verwenbung
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