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Philosophie und Leben. Jg. 5, H. 7 (1929)

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t t n ö H e b e n

5. JA H R G A N G + 7. HEFT + J U L I 1929

„ 3 m © te n fte ber IDol&eetntyett erftrebt unfere 5 c ttfd jrtft eine fadi = lid)t 2 l u s f p r a $ f ber ü erf^teb enen to e U a n fd ja u It^ e n ittd jtu n jte n .“

Über £ue ährtonomte 5er modernen ^ u ffu r

^öon 2 e o §> e r i a n b

I. $ e r ^bilofopt) unb bie ©emein(d)aft

'Sßciren bie 9iRenfd)en ofene alte Scjte^ung jueinanber, jo fönnte jebem aud) nur eine monologifdje Sin3elpf)ilofopbie 2Iuffrf)Iufe erteilen über bas 'SMrrfal feines ßebens. ©ibt einer eine Slntroort bloß für feine ^erfon, fo braucht ibn fein anberer gu oerfteben. 3n biefem 6inn leben oiele eine

©eljeimfpradje für ficf), ber jugenblicbe (Stürmer rennt fid) bamit ben

6d)ä'bel ein, unb ber alte (Sonberling fommt mit ifer fein Seben lang aus.

kleinere unb größere ©ruppen gibt es mit abtoeicbenben 2öeltanfd)au=

ungen, mit fpeaiellen Antworten auf bie ßebensrätfet.

6d)on aber toer fein Erlebnis in einer gaffung jurn Slusbrud 311

bringen »erftefet, t>on toeld)er aud) anbere annäfeernb fo ftarf ergriffen werben wie ber Erlebenbe, t>at bem eigenen Erleben eine 2Irf 2Illgemein=

gültigfeit oerlieben, unb fie wirb oor allem buref) bie gorm gefennaetd)- net, in bie bas Erlebnis gegoffen ift: mir reben 00m Mnftler. E r gibt aber feinen allgemeingültigen 3nE)alt, fonbern gel)t nur oon ben 53oraus=

fefcungen feiner eigenen 9?atur aus, melcbe if>re befonberen 5Hätfel unb gragen mit fid) bringt, bie für anbere oiellcid)t gar nid)t beftefeen.

®ennod), in ber Kunftform fönnen mir aud) fie nad)fül)len, unb inbem fie einjelnen unferer ©eiten entgegenfommen, füllen aud) mir uns in ifenen erlöft; benn mir alle finb 3Jienfd)en, mir alte finb irgenbeine ©eite eines unb besfelben ©öttlicfeen, bes unenblidjen ßebens.

Slllgemeinc Söeltanfcbauung aber, b. I). ^bilofopl)^/ fann nur bort entfprießen, roo eine große ©emeinfd)aft oon 3[Renfd)en aud) berfelben Probleme fid) beroußt ift, roo alfo im großen unb ganjen einerlei ©eiftes=

rid>tung oorberrfd)t. ®as muß feine Verarmung bes ©ciftes bebeuten.

®enn bas 2ebcn ift groß unb reid) unb fo finb es aud) feine gragen, unb jene 2Illgemeinl)eit muß feine ©efamtfeeit oon lauter ©leicf)en fein, fon=

bern eben in ibr baben bie Ungleichen fid) aufammengetan 3U einem

einjigen ‘ffiefen, bas über ifenen ftefet, in greunbfcfeaft unb Siebe, in

©emeinfdjaft. ®iefe 9iefultierenbe aller noeb fo ungleichen Komponenten fann, roenit fie aud) nid)t in jebem oon ben Einselroefen real t>enmrflid)t

^bilofopbie unt> Ceben. V. 13

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182 Ü b e r b i c 21 u t o n o m i e b e i m o b e r n e n Ä u l t u t

ift, bod) metjr ober weniger »on jebem (Einaelnen erfd>aut »erben, in bem 3Jtcbium, worin mir überhaupt ©egenftänbe erfd)auen, alfo in ben auf uns cinftrömenben 9ieiaen. 3Bir etfenncn ein SSaumblatt 5urct> garben, gorm unb ©ctaft. 3ötr erfennen einen 9Jtenfd)en burd) fein säufjeres, burd) feine 6prad)e, burd) feinen 33crtcf)r mit uns, burd) unfre 3Bed)feI- wirtung. 2Ius alten cinactnen böberen unb nicberen (Einbrüchen ertoä#

uns bas ©efamtbilb eines ©egenftanbs ober eines 3Renfd)en, unb wir erfdjliefeen unb fonftruieren benfelben Pcrmöge unfrer 6inne unb unfres

6innes, bie ben äußeren Steiaen augeorbnet finb. Ob bie objeftioe 2Iu&en=

weit tr>irflid> ejifticrt, ja was es für (Sinn f>aben follfe, bafe fie ejiftiere ober nicf)t ejiftiere, bas fönnten (Sinne, weldjc in unfrer foItpfiftifd)en (Etnaelwelt befangen wären, überhaupt nid)t entfd)eiben. ®arum tonnen wir eins fagen: wenn mir bie auf uns einftrömenben ©innesreiae ju objettioen ©egenftänben unb SERenfcf)en umbeuten, fo f)at bie Honfttuf=

tion jenes Übertnbioibuellen, in bem fic^> eine ©emetnfdjaft aufammen=

finbet, einen ebenfo guten @tnn, jenes gemeinfame 33telfad>e, in weldjem ber (Einaelne aufget)t, fei nun biefe ©emeinfdjaft enger ober weiter gc=

fpannt. (Es ift für uns fo, als ob jenes t)ö£)ere SBefen trtrflicf) ejiftierfe, fei bics nun bie ©emeinfebaft jtoeier ßiebenben ober oieler greunbe, einer ©emetnbe ober eines 23oltsganaen, ber 2Renfd)I)etf ober ber ganjen 'JBelt. (Erft inbem cs »on ben (Einaelnen erfdjaut wirb, erhalten aud) biefe etwas Überinbiwbuelles. ®ie einen werben weniger baoon erfebauen, bas ftnb bie gerfplitterten (Einzelnen, bie 33ielen; fie werben eber bie Atolle

»on quantitativen Jetlcben fpielen. ®ie anberen erfd)auen »iel non jener (Einbeit, fie finb bie güf)rer in jeber f)infid)f unb Ienten bie Dielen (Etn=

Seinen im 6inn jener ©emeinfd)aft. diejenigen, bie in ifrrem ©eift, ibrer Vernunft jene (Einbeit erfebauen, finb bie ^pt)tIofopI>en.

Slber baraus ift fd)on au entnehmen, bajj aueb ber ^Pb'Iofopb, fo fel)t er ein (Einzelner unb f>er»orragenber ift, bod) für fid) allein nid)t lange beftefjen tann. ©ewifo, es mag aud) ein 6onberfing ein ^bilofopb fät fid) fein. SIber feine Sßeltanfcbauung ift nur ein ®ofument; fie tann ein Sunftwert fein, wenn fie wenigftens infoweit Don einer ©emetnbe, Don SDtitmenfdjen 9lotta nimmt, als fie in beren allgemein »erftänblxdje (Sprache eingegangen ift, unb fie wirb um fo lebenbiger, um fo mefyr Sunft=

wert fein, je mef>r wenigftens in btefer (Sprache fief) ein gemeinfd)aftlid)es

2eben aud) bes ©onberlings mit feinen 6pracf)genoffen ausprägt, ein ßeben, hinter welchem bie Don Sftunb au SRunb gef)enbe ober bureb bie meiften gebern fliefjenbe gemeine Umgangsfprad)e freilief) weit aurücf=

bleibt. SIber er ift ein einaelner 3D^enfd) otjne bie 9tefonana bei ben 3Ritmenfd)en, beim 93oIf, aud) was ben ©egenftanb anlangt. (Er er*

fd)aut feine höhere ©emetnfd)aff, er tann ntcf)t jebem (Einaelnen aus bem geheimen fjeraen gefprod)en t>aben.

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ü b e r b i c 2 I u t o n o m i e b e t m o b e i n e n K u l t u r 183

(£s fann ja ber gall eintrcten, bajj 6er ^fjitofopl) ben Slnfchlufe an ein unenbliches Sehen unmittelbar, ohne ben SOSeg über eine ©emeinfchaft gefunben ^at; bann betrachtet er bie ‘^pf>tIofopf?xe als eine Angelegenheit

3Wifcf)en fich unb bem uncnblichcn ©eift allein, als Ausprägung ber Önbioibualität in ber höchften ‘’Potens, unb auch bie (Sprache, in ber er philofophicrt, als blofec Slusbrucfsform eines ^roiegefprächs amifdjcn ihm unb bem unenblichen ©eift, ber benn fdjlieftlid) nid)ts ift als er felbft in

»ergotteter ©eftalt, eine SBieberholung feines Od) auf ber f)öd)ften Stufe.

f>ell auflobern fann folcfje glamme ber philofophtfchen 23efeelung, fo rein, bafj fie ben Sräger oersehrt als feine 2ebensflamme. Ss ift getoife ber höchfte 3uftanb philofophifcher Selbftbefinnung. Aber ift es ber hoffte philofophifche, ber überhaupt benfbar ift? 3Birb er bem unenb- Iidjen ©eift ganj gerecht, mit bem ficf> bie Sinaelfeele hier in 53erbinbung gefefot hat, fd)öpft er feine Sünfchauung »ollftänbig aus? Aber bas unenb- lidje Sehen ift 3war ber ©renjmert jebes ins Unenblid)e erweiterten (Einaellebens, boch nicht bloß einem einzelnen sugewanbt, fonbern jebem unb allen in ihrer ©efamtheit.

Silles in ben ©innen ©egebene ift fdjeinbar enblich- Aber folange es boch nur «inen enblichen 33e3irf fonftituiert, führt es 3U feiner “^htl»

fopijie. Solange ich blofe bie ®inge meines Sehens jueinanber in 23c- jiehung fefce, folange bin ich, wenn ihre ©efamtheit mich nicht ins Unenb- liehe reifet, fein ^htfofapl)- <£rft wenn fie alle ihrer Snblichfeit bewufjt geworben finb unb ihre Snblichfcit fid) bann wieber gegenfeitig aufhebt, beginne ich 3U philofophieren, unb 'Philofophte unb ber begriff bes Unenblichen finb untrennbar miteinanber oerbunben. ®af>er auch gcf)t

^ptjilofophic, wenn fie fid) fteigert, notwenbig über bas Sinjelmefen hin­

aus. Sie erfennt anbere Sinjelmefen an unb begreift fie in ber Unenb- lichfeit bes SBefens ein, bem fie fid) nä'hert. Oa, ber ftrebenbe ©eift bringt }olcf)e gegenüberftehenbe ßtnseltoefen in feiner Steigerung felbft heroor, unb wäre es auch 3unäd)ft nur, inbem er bie SBorte feiner «Sprache ober bie ©egenftänbe, bie ihm auf feinem 3Beg aufftofjen, befeelt unb belebt, fo bafc er in ihrer Sprache mit ihnen oerfehrt unb fie 3u feinesgleichen, fich 3U ihresgleichen macht. ®ie giftion, als ob bas unenbliche Sehen, welches ben Stoff ber Betrachtung bes ^Philofophen bilbet, ein ins Unenbliche aufgeblähtes Ccinaelwefen fein fönne, ift alfo auf bie ®auer nicht aufrecf)t3uerhalten. Onbern ber ^Ph'Iofoph immer weiter philo- fophiert, hört er 3um Schlufe auf, bloß ^hilofoph unb blofj fiinaelner 3U

fein; er erweitert bie 3Rittel feiner Sprache fchon fubjefftt), inbem er nicht bloß beutfeh oerfteht, fonbern aud) bie Sprache ber 9Zatur, bie Sprache ber ^Phantafie, ber Äunft, bes ©efühls, welche er bann, fo gut es geht — reftlos ift es unmöglich — , in feine Söortfprache überfefct; unb er erwei­

tert fein Objeft, inbem er fid) fo unb fo oielen neuen Gnnselroefen gegen- 13*

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184 Ü b e r b i e S l u t o n o m i e b e t m o b e r n e n K u l t u r

überfielt, 5ie ihm ebenfo bic ©ottheit fpmbolifieren wie er felbft, nämlid) eben alle jene ®inge unb Söefen, mit benen er in ihrer Sprache »er*

lehren gelernt hat.

2IIfo es fann einer, ber nur mit fid) fetber philofophiert, ein ^ilofopl) fein, aber er mirb in aller 3ßelt niefjt über eine gewiffe Steigerung t)in=

ausgelangen. 3ebes ftrebenbe ‘Jöefen, bas in ber Slrbeit an fid> felbft einen geiftigen Stoff»ed)fel einridjtet, mächft unb fteigert fid) geiftig fo gut wie leiblich; ja bie geiftige Steigerung überbauert ben leiblichen 33er=

fall; unb im ©runbe oerbienen alle Sinneselemente ben Slusbrucf ber

2eiblid)feit, infofern fie etwas Hernhaftes, fräftig Umriffenes finb, rote umge!ef)rt unfre Seiblichfeit, wofern fie nur in ihrem 3ufammenroirfen bas ©efühl ib^cr (£nblid)fcit hinter ficb läfet, bas Attribut ber ©eiftigfeit fich erringt. Ob unfer 2etb aus Hopf, Stumpf unb ©liebmafeen beftel)f, ober aus jenen ©efühlselementen, aus benen fiel) 23eetf)ODens STontoelt

3ufammenfet$t, ift fd>on einerlei, unb ficherlich beftanb bie eigentliche Seiblichfeit 33eetl)o»ens in feinem Jonelement. 3n biefem Sinn haben mir »iele Leiber, unb infofern fie tätig finb, fteigern fie fid) auch, ob fie nun leiblich wachfen ober philofophieren ober fonftwie tätig finb, über ficb hinaus 3u einer ©emeinfehaft. ?ßenn mir in irgenbeiner gorm un­

fähig finb, uns ju einer ©emeinfehaft au fteigern, fo ift uns im ©egenteil auf eben biefer Seite auch bie Unoolltommenheit, bas 2lbfin!en, ber JoO gewifj. itberall bort, wo unfre Statur etwas Starres hat wo fie in

©renjen gegwängt ift, wie 3. 55., im ©egenfat? 3U ben Dämonen bcs SDIärchens, in unfrer ftarren, ber Skrwanblung unfähigen Seiblichfeit, bort gehen mir aud) bem Sinjeltob entgegen, um erft, geiftig uns baoon loslöfenb, in einer höheren ©emeinfehaft wieber aufguerftehen.

Sticht immer hatte ^Philofophie bas ©lüd, in ber Stefonans einer ©e=

meinfehaft 3U roachfen, ja wenn wir’s recht bebenfen, wenigftens für unfre abenblänbifche ^hitofophie, fo warb ihr, non ^laton bis 3U Äant

unb Schopenhauer, noch nie biefes ©lüd' auteil. ©enug febon, wenn wenigftens eine befd)ränfte ©emeinbe oon (£in3clnen ba mar, bie ßehren

3U »erförpern, wenn anbers überhaupt ‘’Phtlofapfjie auf unfer Seben anwenbbar mar. Vielmehr lief hier eine anbere gorm geiftigen ilber=

fchmangs ber ^h'lofophie »ollftänbtg ben Slang ab: bie Steligion. Unb aud) bie morgenlänbifchen ^hüofophien, ägpptifd)e, inbifche unb cfeinc=

fifche, »aren in ein mpthifdjes unb alfo ber Steligion t'erwanbtes ©e=

wanb gefleibet, wenn bie Sehre fid) fpaltete in eine geheime ober cfo=

terifche unb eine öffentliche ober ejoterifche, in eine für bie ‘Jßenigen unb eine für bie SMelen. 3m leßteren gall mieber Suggeftion, bas Slement auch ber Steligion felbft. Slber bies mar auch nicht anbers mögtid), beim überall auf bem Srbball war bie SOtenfchhfit noch bifferensiert in bic SRaffe ber fielen, bie eben nur ber Suggeftion unb nicht ber Vernunft

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ü b e r b i e S l u t o n o m i e b e t m o b e r n e n Ä u l t u r 185

3ugänglicb mar, unb in bxc wenigen gührenben, beftebenb aus einer noch {feineren SRinberja^l Gebier unb einer übenoiegenben Riebrbeit oon Rtißbraucbern. ^bilofopbie als unenblicbe Vernunft war immer nur bas (Element einiger weniger (Ebler. Slber um fo fcblimmer für bie ^3I>tIo=

fopbie! 6ie roar auch unfähig, bie ©emeinfd)aften, bie 33ölfer, ben 6rb=

ball ju beberrfeben. (Sie, bie ficb rübmt, bas unenblicbe 2eben au er=

febauen, fo gut bies uns SRenfcben möglich ift, fie oermag ben größten Seil aueb nur bes Gcrbenlebens bloß oon auf3en 3u erfebauen, fie oerftebt oon ber 6prad>e bes 2ebens nod) niebt einmal fo Diel wie bie unoernünf=

tige Religion, bie über bie ©prache ber ©efüfjlselemente oerfügt, ins*

bejonbere über jene SRebrsabl ber ©efüblselemente, bie bas 2eben ber

53ölfer sufammenfeßte, über bie (Sprache bes ßeibens. SUlit bem 35ol!

tonnte im allgemeinen ber ‘’PbilofaPb nid)t oerfebren, benn bie SERebrjabf ber Rtenfcben finb niebt in erfter 2inie oernünftige SBefen, fonbern affeft=

begabte, ber (Suggeftion augänglicbe. ®en!en unb (Sprache, bie böcbften SUiittel bes ©eiftes, werben auf ein Rebengeleife oerfeboben, ber 33er«

nunft entsogen, ber ©uggeftion, bem SBiberfinn bienftbar gemacht. ®te über bie Ä'unft oerfügen, alfo auf bem 33olf 3u fpieten, finb fie niebt einer böberen Steigerung fähig, als bie überfcbtoenglicbfte 2in3clpbilofopbic?

Run beißt es, ber Rtenfcb fei ein unoernünftiges Sßefen, fo febr er jeberjeit menigftens etwas 23ernunft bat, genug, um im ©egenfaß au ben Steren 3ugleicb oernünftig beißen ju fönnen. ®aber fönne man aur SRaffe auch nur mit niebt allju oiel 33ernunft fpreeben, bafür aber mit jenem Übermaß an (Suggeftton, wie es ber Religion 3U eigen ift. 2ßer fpielt alfo auf bem 33olfe? (Einige Sble unb oiele Riißbraucber. Om '2tn=

fang finb alte Religionen gut. ®ann fommen bie (Stelloertreter bes un=

enblicben Sebens, bie ‘’Priefter; in ibnen erftarrt früher ober fpäter bas Söerfaeug ber (Suggeftton, bas 6pmbo(, 3um 5)ogma, es lebt nur noch in ber STrabition; ber Quell bes Sehens, nur fchetnbar seittos im bog=

matifchen (Spmbol oerborgen, liegt weit surücf, bas (Spmbol oertroefnet, oerliert fetber bie 6teigerungsfähigfeit unb macht babureb mit ber 3^it

jenen Vorteil ber Religion, in ber benfbar ausgebehnteften ©emetn=

fchaft aufsuleben, wett. ®er Quell bes ßebens bleibt etoig jung, bie Reli=

gionen altern. ®ie wahren 6pmbole bes 2ebens leben mit biefem, än=

bem mit ihm ihre ßrfcheinungsform, finb nur fo weit fonferoatio, als es bie Srfcheinungsform bes ßebens ift, finb fo reoolutionär toie bas 2eben

unb nähren ficb nicht ausfchließltd) aus ber Srabition. ®er Reichtum, ber oom (Erbe ber alten Sage 3ehrt, ift 2lrmut. ©er Reichtum allein ift echt, ber imftanbe ift, ficb l’eben Slugenblicf aus ben oorhanbenen 2Rit=

fein toieber aufsubauen. Sllfo ein großer Rachteil jeber ein3elnen Reli=

gion, bie ihre ©rünbungsepocbe febon lange hinter fiel) hat, ein großer Rachteil felbft aller geheimen Überlieferungen, benn fie finb nur bas

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186 ü b e r b i e A u t o n o m i e b e r m o b e r n e n K u l t u r

2Biberfpiel ber gemeinoerftänblicben. ®ie wahre Skrnunft hat es nie für notmenbig befunben, ins ©ehetmnts gu flüchten t>or bem 33olf, ftets nur »or ben Slfteuren ber Suggeftion, benen bie Vernunft gefährlich

»erben tonnte, eben aud) ben fjütern ber gebetmen Srabiftonen.

9tocb ein großer SZachteil aber Jommt i)tn3u, ber alle Steligioncn gleicherroeife betrifft, ja bie Religion als folche. ®as ift bie Satfadje, bafe bie2fteiifd)bett in iljrer ©ang^eit immer weniger fuggeftibel wirb. ßs bängt mit ber burebgretfenben Senbenj ber 3Jtenfd?f>eit jur 3nbtt>tbualtfierung gufammen, einer Senbens, bie im gangen Stammbaum bes Sehens febon oorgegeichnet ift. 3n ber anorganifeben Söelt gibt es überhaupt noef) feine 3nbtßibuen im bioIogifd>cn (Sinn. 23ei ben Sieren ift ber Sbarafter

»orwiegenb eine (Eigenfcbaft ber Spegtes, nicht bes Onbtoibuums. (Erft unter ben 9Kenfd)en beginnt jeber einen eigenen S^arafter, eine eigene

^Pbpfiognomie 5u haben, mir erfennen ihn an ber Stimme, an ber £an&=

fdjrift. Stefe Senbenj jur Onbiotbualifterung febreitet fort. 9Zocb ift bet bebeutenbe (Einzelne, ber burdpwaltenbe C£I>arafter, bas ©ente, ber |jel&, ber |>eilige eine Seltenheit. ®ies rührt baber, baft ju it>rer (Entftebung

»tele befonbere 33ebtngungen sufammentreten muffen. S ie SKehraabl ber SJlenfcben ift non ber 9totburft bes Sebens gefeffelt Dom Heimplasma an, gefeffelt, Reifet bas, »on jener Statur, bie an ftdj alle Onbtüibuen Berfd)lingt unb will, bajj fie untertan feien ben allerniebrigften 9latur=

gefefeen, bem $ampf ums ®afetn in feiner roheften gorm ber pbpfifc£)en

^raft. 3ene gunttionen, welche mir mit bem 2ter gemetnfam haben, <Er=

näbrung unb gortpflanjung, beftimmen aud) bas Seben ber meiften 9ftenfd)en, unb nur ausnabmsmeife ftnb bie S3ebtngungen sur f>emr=

bringung oon 3öefen gegeben, melcbe biefe 9iotburft binter fid> taffen, jenes eigentlich gleid)mad)erifd)e Element ber rein quantitatioen ©emein=

fchaft. (Einigen Spielraum läfet ja aud) biefe 9iotburft bem (Einzelnen: er fann trotjbem ein SRenfd) fein, fogar ein reltgtöfer SOtenfch, ber bas ün- enblirf>e burd) Suggeftion erfdiaut. 2lber, unb ijier hat ber Seufel feine

|janb tm (Spiet: nietjt fo »iel Iäfet bie 9lotburft bem SSJlenfcfjen, bafe er ein nernünftiger SOienfcb fei, baß er bie SBahrheit oertrage, bie ihm aud) bie Religion nur in mpthifdHpmbolifdjer gortn au reichen oermag. 2)ie

Sßahrheit ift oielleicht eine bittere “’Pille, unoerfälfebt bem 59lenfd)en nic^t juträglicb? 2Iber bennoch, mit welchen bitteren Rillen hätte bie Religion benn je gefpart? Oft bas (Ebriftentum bie 9teligion bes Setbens, lehrt fte, bas ßetb bes Sebens freubtg gu ertragen, fo magt fie boch nicht, jene

2ßabrheit ber Vernunft gu oerfünben, welche alfo nod) fchredltcher fein mufj als bie ‘ffiabrheit bes Seibcns, fo fchrccflich, bajj feine SERacht mehr über fie hinroeghülfe? Ober ift bie Sleligion vielleicht blojj nicht im=

ftanbe, burch göttliche Vernunft bie teuflifd)e Vernunft su paralpfieren?

2lber es ift fo: bie fiüter ber Srabition wollen, baf; ber (Einzelne für alle

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Ü b e t b t e 2 I u t o n o m i e b e r m o b e r n e n f i u l t u r 187

3eft unfähig fct, aus eigener Slraff bas 2eib feines (Einaellebens au überminben, fie motten aud) nid)t, baft bte ©emeinfd)aft eine ©emein=

fdjaft t>on ßinaelnen werbe, um ftd) mit gemeinfamer Vernunft über ü>r gemeinfames 2eib au tröften, fonbern fie motten, bafo ftets bte menigen Ginaelnen bie Dielen SJRafTenteildjen tröften möchten, auf eine 2lrt, meldje ber Vernunft bes ßinjelnen ausmeirf)t.

Slber bamit fommen mir ju einem brüten Rad)teil ber Religionen.

(Sie finb imftanbe, über alles 2eib bes ßebens ju tröften, nur nidjt über eines — bas Seiben ber Vernunft, bie Rätfelfrage bes SRenfcbengeiftes, bie !üt)n bem Unbegreiflichen bie 6tirne bietet, afmungsooll fid) als feinesgleicben erfennenb. $ie grage gaufts ift burrf) bie testen, reinlid)=

ften Setten eines 33üj3eri)immc[5 nid)t beantmortet. 3öas ift benn nun bie grage, meld)e bie Vernunft ftettt, mas bie 2Baf>rf)ett, nad) melcber fie »erlangt? Rid)ts anberes, als mas jeber Sinaelne burd) ftd) felbft, obne etmas feiner (Einaelnatur grembes, au beantmorten cermag, alfo eben bas, mas i^n inftanb fefet, felbft ein Cctnaelner au fein, ftatt bas blojje Jettd)en einer RZaffe, felbft ein güf>rer, ein Reifer aus fid>. 2Ils

Sante auf bem ©ipfel bes gegfeuerberges angelangt ift, nimmt 25trgil, bie Vernunft, bie ibn btsfjer geführt, »on if)m 2lbfcf)ieb unb gibt il)m bie 5Borte aum meiteren ©eleit: „grei, grofe unb gut ift, mas bu motten mirft! . . . Run fei bu felbft bein SMfcbof unb bein gürft!" (Sollte man nid)t meinen, bafj mirfltd) bie Vernunft ben ©laubigen bis bortljin be=

gleiten bürfe, mo er con ber Autonomie bes reinen ©laubens meiter- geführt mürbe? Sßoau mujjte bann unter aller ReIigionsf)errfd)aft bie Vernunft ben 3Raul!orb tragen? Uns bünft es umgefel)rt: ber ©laube l)at bie 2Renfd>l)eit bis Berber geleitet; nun meife fie allein meifer. 5öas glaubt bas ©ente, mas ber f>elb, mas aud) ber fettige, mas jeber grofje Cnnaelne? 2ßas il)m feine eigene Ratur eingibt, alfo mas für ifjn t>er=

nünftig ift. 2Iuf anbre übertragen, menn il>rer Ratur baburd) 3mang angetan mirb, -mirb’s unvernünftig, (Solange bie grofee Rlaffe fuggeftibel im böcbften SRajj ift, alfo, »on ber Rotburft ber ftofflid)cn Ratur ge=

fnebelt, im mefentlidjen gegen geiftige gorm inbifferent, melleid)t biefer mie einer anberen ebenfo gut ober fd)Ied)t, in jebem galt aber nur bei=

läufig augänglid), fo fange nimmt fie aud) ben ©tempel einer etnaelnen

^erfönlicbfeit unb i^rer Lebensform an, mag fie biefelben immerhin refrofpeftio »ergöttlicben als Repräfentanten unenblidjer ©emeinfd>aft mie bie Religionsftifter, — ftets bleibt es bie Ausprägung eines ein=

aelnen Gljarafterftempels in bem ßebensbrei einer unoollfommenen ©e=

meinfdjaft, beren ©lieber burd) fold>e ©tempelung aud) nur unr>ott=

fommene (Einaelne merben fönnen.

Srofobem fann bas 3beal ber Sf)arafterburd)mirfung einer Rlaffe bureb einen r>orbilblid)en Sinaelnen in Itraeiten, in fleinen Sinaelepocben an=

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188 Ü b e r b i e A u t o n o m i e b e t m o b e r n e n K u l t u r

näfjcrnb oerwirflicht fein, unb ber ©cf)ein baßon lann fid? jat>rtaufenbe=

lang fortpflanjen. 53orausfefeung baau aber ift ftets: bie unoolltommene, oon ber Stotburft bes Sehens gefnebelte SÖtafje, weld>e bem Einseinen bie 33ebingungen, unter benen bie Onbioibualität entftefjt, in ber Siegel oorenthält. ®amit einer ein ©enie in irgenbeiner gorm werbe, müffen Sülpriaben tion fjcrbcnmenjchen büßen. 3)as augenfälligfte, weil unoer=

fcfeleiertfte 23eifpiel: bie Slntife. ®amit wenige greie fid) entfalten fonn=

ten, mußte bie SJtehrsahl ber 3Renfd>en aus ©flaoen beftehen. f>eufe, wo biefer ©ad)»erhalt noch sutreffenber ift, ift er für ben oberflächlichen 23licf bod) »erfchleiert, weil eben bie ©flaoerei heute oerfchleiert ift. ©e=

toiffc 2ßeltanfd)auungen möchten glauben machen, ber gall bes ©enies fei lebiglid) ein innerer 3ufall ober innere 53eftimmung. Slber fchon bie Staffentheorie, bie »on ber Steigerung eines Stammbaums im Sauf ber

©encrationen bis 3um ©enie fpricht, glaubt an eine fid)tbarc 'Determinier rung ber ©enialität. 93ollenbs, wenn wir bemerfen, baß es ©enie in unferm ©inn erft unter ben SRenfchen gibt, noch nicht unter ben Jieren, bie nod) ungleich wehr als wir oon ben ftofflichen 33ebtngungen bes Sehens abhängig finb, werben wir auch öfonomifdjen gaftoren an ber SSilbung bes ©enies teilnehmen laffen, wenn wir nicht fchon im 3ßefen bes ©enies pofitio eben ben 9teid)tum erbliden, ber es, unbefümmert um bie f>erbetfchaffung oon Nahrung unb S8equemlid)fcit, auch innerlich p einem Slusbrud ber greiheit oon biefen Kümmerniffen ftempelt. Stun ift es nicht fo, baß ber äußerlich Steiche ein ©enie wirb, wenn auch fidjerlicf) bie meiften genial angelegten Naturen unter bem Sritt ber 2ebensnot=

burft oerfümmern, aber bod) fo, baß man ber Statur bie 2lnftrengung, ein ©enie 3u erfchaffen, anmerft, inbem es gleichfam als ©d)marofter an ber menfchlichen ©efellfchaft oon Arbeitstieren erfcheint, nicht unähnltd) gewiffermaßen jenen Reichen, beren ©enie in ihrem ©elb befteht. ©erabe heraus: folange bie Statur ber SOtenfchenwelt im allgemeinen unter bes Sehens Stotburft gefnebelt ift, wirb fie nur feiten ganae Einseine heteor=

bringen, unb in ber Siegel bloß bie ftumpfe SKafje, ftumpf burch bie Stot- wenbig!eit,bieallerbringenbften^ebürfniffe3urgriftungbe5nadten2ebens herbei3ufd)affen. Süftet biefen ©rud — unb auch bie Statur bes SDtenjchen wirb nicht ausgefüllt fein oom Effen, oorn Obbach, £>on ber Kleibung.

Sßelche gortfehritte hat bie SDtenfchheit gemacht? ©ie Verfechter ber Srabition fagen: ^ßah, Kleinigfeit! fechntfche unb wiffenfd>aftliche gort=

fchritte, fold)e ber Stoilifation, aber nicht ber Kultur, folche bes Skrfefers, aber nicht bes ©elftes, folche bes enblichen 5ßiffens, aber nicht bes un=

enbltchen ©laubens. 3Ö03U finb tro^bem biefe gortfehritte gut? Um Effen unb Dbbad), Kleibung unb 59tuße für ben SÖtenfchen hetbeisufchaffen, alfo nicht mehr unb nicht weniger, als bie SERenfchennatur oon ber briif=

fcnbften Stof bes ftofflichen Sehens 3U befreien. Sann bleibt bem S0ten=

(9)

Ü b e t b i e A u t o n o m i e b e t m o b e r n e n K u l t u r 189

fchen nur bie Sangetoeile? 9tein, fonbern aus bem enbltcfjen 3Biffen tüirb bas unenbliche, aus bem ©lauben bte Vernunft, aus ber Religion bte

‘;P&tbfopf)ic, bie ^hilofopfjte nidjt mehr ber Skreinaclten, fonbern aller

2Jienfcf)en, feiner homogenen SKaffe mehr, fonbern einer ©emeinfehaft Don ganjen ßinjelnen. ©etnijj, bie geiftigen gaftoren finb reic£)cr als bie materiellen, fie finb nicht auf biefc jurüdjufüljren. Aber ihre Unter=

brüdung, ihr Ausbleiben fann burd) brüdenbe materielle gaftoren be=

wirft tnerben. Unb alfo nicht jene, toeId>e auf btefe materiellen gaftoren unb ihren 3ufammen^ang mit ben geiftigen Gingen ihr Augenmerf rid)=

ten, finb gletchmacherifch, fonbern bie materielle S'lot felbft ift es, welche ntoelliert, welche bte SRenfchen 3U gleichartigen 2ieren mad)t unb fie auf ber 6tufc ber Jierheit aurüdhalten möd)te. “S k r aber für Nahrung, Äletbung, Obbad) unb ©efunbheit ber SSftaffen forgt, unb wer gleicher^

weife für alle auf btefe 3Betfe forgt, ber f>at fie Don bem ntoellterenben

^rtnjip befreit, ber f>at fie reif gemacht, in jebem ßtn3elwefen gana in=

bioibuell, gana charafteriftifd) unb fo genial tote möglid) 31t fein. Sine

^lepubltf auch geiftig wirb fold)e SKcnfchheit, ber SRonarchie unb Oligarchie bes ©laubens entwachfen. Vernünftige 3Jtenfd)en vernünftig aufammenlebenb, mehr bebarf es nicht, um bie 23ernunft unenbltd) 3U

machen, um bttreh fie bas unenbliche 2eben au erfchauen. Aus ben gei=

ftigen Austoirfungen aller biefer gaftoren, unter weldjen bie 2ßtffen=

fchaft nur eine oon Dielen ift, refultiert bte ‘’PhiM'ophte aum erj'tenmal als ein 2öert ber SOtenfchheit felbft, als bie SOIögltcbfett, in einem Dernünftig geführten ßeben bte ©ottheit au erfchauen unb ihr entgegenautnachfen.

2Biffenfd)aft unb 3Ted)nif führen ben 9ftenfcf)en 3ur Jtaturbeherrfdjung, alfo auch 3U beren befter Anwenbung, närnlid) möglidjft mühelos S?let=

bung, Nahrung, Obbach 31t probateren, mehr als bte SDlenfdjen 3U

ihrem Unterhalt bebürfen. S ie SJtenfchen ftnb bagit tnftanb gefetjt unb bennod) tun fte’s nicht. 2Biffenfd>aft unb STechnif an fid) finb baran unfchulbtg; wer alfo trägt bte (Schulb? ®ie SÖlenfchennatur im allge=

meinen unb ein für allemal? Unb nur bie ©uggeftion bes ©laubens fann fie retten? SRetn, fonbern biefc ift fchulb, benn längft hat ftd) heraus^

geftellt, bajj mit bem ©lauben an pofitioe Dogmen auch ber ©laube an bte f>errfcf)aft ber f>t)pnofifeure ber SOtenfchheit unaertrennlid) Derbunben ift, ber ©laube an bte alte Orbnung ber ®inge, an bie aus ber 3Trabi«

tion gefchöpfte Slulturform. 3ebe Religion Derfünbet ben ©lauben an eine höcbfte fittliche SOtacht unb fpricht biefer allein aud) bas f)öd>fte 5itchferamf au, glctchertoetfe über bie auf (Erben 6cbwacben tote über bie auf (Erben Mächtigen, über bte Armen wie über bte 9retd)en, über bie Don ber 9iotburft bes äußeren ßebens Gcrbrüdten tr>ie über bie Don ihr

^Befreiten. 6ehr bequem für bte irbifd) Sftächftgen, bie (ich einen blauen Teufel aus bem übertrblfcfjen dichter mad)en. 3ebe Religion oerbietet

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190 2 I n t r o o r t a u f b e n „ o f f e n e n 93 r i e f " o o n ' P r o f . 2)1 e f f er

bie Auflehnung ber irbifd) Armen gegen bie irbifd) Gleichen, jebe 9ielt=

gion alfo perpetuiert fdjon burch fid) allein biefen 3uftanb ber Ungleich heit, ber in SBahrheit ber gefnebelten SRaffe bas Branbmal ber ©leid)*

beit aufbriidt unb eben baburd) bie oollfommene 5Renfd)ennatur, wenn fie ja einmal aus ber 3Raffc beraustritt, 3ur Ausnahme macht. Alfo roill jebe 'Sogmenreligion aus fid) felber, baß bie gorffchritte ber 3Biffenfchaft unb Sechnif nid)t in folchem Ausmaß gum heften ber allgemeinen 3Dtenfd)t>eit angetoanbt »erben, tote fie es fönnten.

Ss muß alfo 3ur ’2Biffenfd)aft unb $ed)nif noch ein britter gaftor, bic

6ojiologie hinsutreten, um bie befte Art ber ©itterergeugung unb =oer=

teilung 3u ftubieren unb bie SKenfchheit oon ber quälenben Sorge um Nahrung, Slleibung unb Obbad) 3U befreien. ®iefer britte gaftor, ebenfo unwiberftehlid) tote bie beiben anberen, ift auf bem “^lan, unb inbem ct bie bisherige Art ber ©üterprobuftion unb »oerteilung allmählich aer=

fchlägt, läßt er auch bie alte Orbnung in Ärieg unb Jlachfrieg fid) fclbcr ad absurdum führen. Slein 3ufall ift es, baß mit bem 9tefpeft oor ben mächtigen ©eioalthabern biefer SBelt, bie noch ftets mit ben Reichen im Bunbe geftanben finb, ja beren höd)fte ^otenj unb lefete, nadtefte Aus=

Prägung eben biefe Reichen finb, auch ber Siefpeft oor ihrer Suggeftion, ia oor aller Suggeftion überhaupt flöten geht. 3u überjeugen gilt cs heute, nicht mehr 3u überreben, benn es liegt alles fonnenflar am Jage.

Unb barum fonnten mir behaupten, baß bie SERenfchheit immer weniger fuggeftibel wirb.

5ßir glauben alfo, bewiefen 3u haben, baß in ber SSHoberne 3um erften=

mal bie SDZenfchheit im Begriff ift, jeben © feinen 3u einem oernünf=

tigen SBefen unb nicht blofe 3um jeilchen einer SDiaffe 3U machen, tncil fie imftanbe ift, burd) wohlangewanbte 3Biffenfd)aft unb Jechnif ben Singelnen oon ber gletd)mad)crifd)en äußeren 9Tot 3U befreien, bie ihn Dortütcgenb 3U einem fuggcftiblen, unoernünftigen Söefen machte, ffirft bann fann bas freie (Spiel, ber freie Äampf aller bem £in3clnen eigen»

tümlichen ©aben beginnen, erft bann wirb auch &as (Spiel ber 2eiben=

fchaften, bie innere 9iot unb ber innere Überfluß bes 9Jtenfd)en 3ur

freien, oon bem einen fonftanten gaftor ungetrübten Austragung ge=

langen. (Forts, folgt)

Sfrifroorf auf ben „offenen 25rief“ oon ^>rof. SKcffer

S o n ® r i d) f fl osmann S. J.

3m Sanuarheft oon „^Pbilofapbie unb Sehen" haben 6ie, fehr ge=

ehrter £err ‘-profeffor, einen offenen Brief an mich gerichtet, ber um Beantwortung einiger Bebenfen bittet, welche Sie bereits in ber ®isfuf=

fion nach meinem 33ortrag in ©ießen am 5. 12. 28 geäußert hatten. $a=

mals erwiberte ich nur ebenfo fürs, wie bie Sinwänbe gelautet hatten.

(11)

S I n t r o o r t a u f b e n „ o f f e n e n " 23 i i e f D o n ' P r o f . e f f e r 191

3eßt foll es etwas ausführlicher gefchehen, um SJtifoperftänbniffe aufau=

flären. Übrigens fei bemerft, bafs bie »on Olmen gegen bie chriftliche Iheobijee erhobenen ßinwenbungen nur in fefjr lofer 33ejiehung 3um

Xhema meines ©iejjener 33orfrages über bie ©efchichte bes Darwinismus ftehen. Sroftbem will ich hier auf biefelben eingehen, fo weit es mir er=

forberlid) erfcheint. 2luf eine uferlofe Äontrooerfe über bie ftrittigen gragen mich etnjulaffen, liegt jeboch nicht in meiner 2lbfid)f, ba ich fie für swecflos erachte, grüher auf Ohren offenen 25rief 3U antworten, war ich burd) Äranfheit oerhinbert, unb auch jeftt muß ich mich möglichft fürs faffen.

1. 3n meinem Vortrag hatte ich betont, bafj bas ^urüiJfchliefeen aus ben paläontologifchen gunben auf bie Vorgänge ber Vergangenheit ftets einen bwothetifchen Sharaffer bewahre. 6ie bagegen meinen, id) hätte gefagt: „® as 3urücffchliefeen oon Srfchcinungcn auf ihre Urfache bleibt immer §ppothefe, alfo 2lnnaf)me, nicht (Sicherheit." Sllfo fönne auch bas

3urücffdh>Iie{3en oon ber Statur nur ju einer „§>ppothefe con ©ott", nicht

3u einer fieberen ©otteserfenntnis führen. ®as ftehe aber im 2Biberfpruch mit bem ®ogma bes 33atifanifchen i?on3tls‘).

§ier, lieber f>err ^Profeffor, oerwechfeln (Sie offenbar bas paläonto=

logifche 33eweisperfabren mit bem teleologifd>en. ®ie €>d)tüffe, bie wir aus ben foffilen heften auf bie Sreigniffe ber Korsett, auf ihren 93er=

lauf unb ihre Urfachen giehen, beruhen auf relatip fpärltdjcn unb nid)t feiten mehrbeutigen tatfächlichen 21nhaltspunften. ©an3 anbers als mit biefem paläontologifchen 6chlufeoerfahren fteht es mit ben (Schlüffen, bie wir aus ber Statur unb ihrer Orbnung auf bas 5)afein eines höchft weifen unb mächtigen 6d)öpfers ber SBelt sieben. |)ier hanbett es ftch nicht mehr um eine Häufung Pon ‘Jßahrfcheinlicbfeiten, fonbern non 3ahlreichen ficheren (Srgebniffen auf ©runb bes Slaufalgefetjes. ®ie Sehrbücher ber Slpologetif geben hierüber näheren 2Iuffd)Iufe. deshalb befifcen wir für bie Srfenntnis ©ottes aus ber Statur nicht blofee 3Bahrfcbeinli<f)feit, fonbern wirtliche (Sicherbeit. 6. 'Paulus fagt baber im Slömerbrief (1, 20) mit Siecht, bie ficiben feien unentfchulbbar bafür, bafs fie ©ottes ®afein unb feine ewige 3Beisbeif unb 9Dtad)t nicht aus ben Staturbingen erfannt hätten.

Die ©ewifeheit unferer ©otteserfenntnis aus ber Statur ift jeboch leine unmittelbare Goibens, bie ben 33erftanb 3ur 3uftimmung nötigt; fonft fönnte es ja unter ben SRenfchen, bie 311m ©ebrauch ber Vernunft ge=

langt finb, überhaupt feinen Ungläubigen geben. Ser ©laube an ©ott erf orbert unfere freie SDtitwirfung. deshalb finb troft ber (Sicherheit unferer

©otteserfenntnis ©laubenssweifel möglich, aber feine in ftch unlösbaren.

*) Constitutio de fide catholica, Cap. 2, De Revelatione.

(12)

192 2 I n t » o r f a u f b e n „ o f f e n e n " ‘S r i e f D o n ^ t o f . 9 J l e f f e r

2. 6ie fragen zweitens, wie id) bic „praftifchc" ©ewifcheit Don bet

„theorctifchen" untcrfd)eibe. Unter erftcrer Derftehe ich jene ©croijjheit, welche genügt, um unfer §>anbeln fxcf)cr au leiten; unter lefcterer jene, welche eine wiffenfchaftliche (Erfenntnis ber ©rünbe einfchliejjt, auf bic fid) bie ©ewifjheit ftütjt. (Eine praftifchc ©ewif3heit Dom Safein ©ottes ift für alle 3Renfd)en, bie aum ©ebrauef) ber 23ernunft gelangt finb, in perfd)iebenem ©rabe ber Klarheit erreichbar, eine thcoretifd)c ©cwijjfccil bagegen nur für ben ©ebilbeten. 3wifd)en praftifd>er unb ti>eoretifd)cr

©ciüife^cit gibt es übrigens aahlreiche übergangsftufen.

3 .2Iuf3f>regrage, ob berßntmitflungstheorie nicht tüenigftens praftijdx

©cwijjheit aufomme, antworte id) mit folgenber Unterfd)eibung: (Sine praftifd)e ©ewijjheit fommt ihr im allgemeinen infofern 3U, als ber 3Jaturforjd)er nicht umhin fann, eine 6tamnicsgefcbicbtc ber organifcf)cn

2lrten anaunehmen, wenn er bie l ä u f i g e n gormen mit ben foffilen t>et=

gteid)t unb beren 33erwanbtfcf)aftsDcrhältniffe burd) natürliche ilrfad)cn erflären will. 3m ei^elnen hängt jebod) ber ©rab ber 3Bahrfd)einltcf)lcif, ben irgenbeine fpejielle 6tammesgefd)id)te fowohl in beaug auf ihren

’Serlauf als auf ihre Urfad)en beanfprud)en fann, gan.3D o n ben betreffen- ben Satfachen ab unb ift baher ein fehr oerfd)iebencr. ®te ftammes=

geschichtlichen 6d)lufefoIgerungen behalten übrigens ftets einen mehr ober

minber I?ppotf)ctifd>en £l)arafter, wie namentlich (Eonrab ©uenther auf ber 3ahrcst>erfammlung ber (Deutfd)en 3c>otogifd)cn ©efellfchaft 1914 ausgeführt hat.

4. 3d) fomme nun 3ur ^weiten Hauptfrage, bie 6ie mir Dorlegten:

,,©ibt es nid)t (Einrid)tungen in ber 9iatur, bie uns gerabeju ben (Ein=

bruef ber ©raufamfeit madjen, fo 3. 55. bie (Erbbeben ober bafe Diele Jierc barauf angewiefen finb, Don anberen Vieren au leben? 33ilbet derartiges nicht ein unüberwinbliches 23ebenfen gegen ben 33erfud), Don ber 9Jatur auf ein allwetfes, allgültiges unb allmächtiges 3Befen als ihren 6d)öpfcr

Surüdaufchliefeen?"

©egenüber biefem (Einwanb über bie (Ejiftenj bes Übels in ber “Bklt, ber fd)on feit ben feilen ber SOtanichäer gegen bie chriftliche 6chöpfungs=

lehre Dorgebracht würbe, will ich hier nur auf einiges hinweifen, bas ju feiner Söfung bienen fann. Näheres bieten bie Sehrbüchcr ber Slpologetif unb Sogmatif.

33or allem ift 3u berücffichtigen, bafe aus bem begriff einer gefchaffenen

■Jöelt beren UnDollfommenheit notwenbig folgt. (Eine „unenblid) ooll=

fommene 2ßelt" ift unbenfbar; benn cs fann nur e i n 3Befen Don ab=

foluter 33ollfommenheit geben, unb bas ift ©ott felbft. ® ic Söelt als (Emanation ©ottes aufgufaffen, würbe uns in bie 3öiberfprüd)e bes Pantheismus Derwideln. (Eine Don ©ottes 3öefen reell Dcrfd)iebcne, ge=

fehaffene Söelt fann baher nur eine relatioe 23ollfommenheit befißen, unb

(13)

2l nt t t >o r f a u f b e n „ o f f e n e n 95t i e f " D o n ^ t o f. t f f e r 193

bamit finb ihre Unoollfommenheiten oon felber gegeben, ©egen biefc Sr- wägung wenben Sie ein, ©ott habe ja nach cfmftlicher Sehre bie Söelt

„aus Stichts" erfchaffcn unb fei alfo babei nicht oon einem „fpröben (Stoff"

abhängig gewefen. (Er hätte formt eine oollfommenere 2Belt fdjaffen fön=

nen, in ber jene „graufamen (Einrichtungen" fehlten. ?Barum wollte er bas nicht? fo fragen (Sie.

3Barum ©ott gerabe biefe unb feine anbere 5Belt fchaffen wollte, bleibt uns lebten ©runbes unerforfchlich, weil bie Schöpfung ein freier SDßillensaft ©ottes ift. Oebenfalts aber ift ber Vorwurf ber ©raufamfeit aud) für bie (Einrichtungen ber ejiftierenben 3Belt unbegrünbet.

3d) nehme an, bafc ©ott eine 3Belt fd>uf, bie nach ben am Einfang in bie Staturbinge gelegten ©efefcen fich felbfttätig entwid'eln foltte. ®ie

©efchöpfe werben jwar fortwährenb burch ©ottes Sülmacht im Safein erhalten (conservatio est creatio continuata) unb bebürfen feiner SJtit- wirfung (bes concursus divinus) ju allen ihren 2äfigfeiten; auch er=

ftredt fich feine Vorfehung (providentia) auf alle lebenben SBcfen. 8n

ben Sauf ber oon ihm gegebenen Staturgefetje greift jebod) ©oft nur bort unmittelbar ein — burd) ein „Sßunber" — , wo eine höhere, über»

natürliche Orbnung es erforbert.

2Benn nun nach &en geologifchen ©efefjen burch ben ©ewölbefchub ber Srbrinbe gelegentlich trgenbwo ein (Erbbeben auftritt, bem lebenbe 2ßefen ?um Opfer fallen, fo foll bas eine „©raufamfeit" bes Schöpfers gegen feine ©efchöpfe fein; besgleichen foll es eine graufame (Einrichtung fein, baß es nicht blofo ^flanjenfreffer, fonbern auch STierfreffer gibt. 2Bie

arm wäre eine nur aus “’Pflanäenfreffern beftehenbe Tierwelt, bie nur genau fo mel freffen bürfte, bafe ihre Stährpflansen nicht ausfterben! ®er obige (Einwanb oerrät eine gänalid^e Verftänbnislofigfeit für bie felbft- tätige Regulierung ber Staturharmonie burd) ihre eigenen ©lieber, bie etn 2Bunberwerf ber Weisheit bes Schöpfers ift. 5Bie bie ^flanjen“

freffer bie Vermehrung ber ^flanjenwelt felbfttätig regulieren, fo regu=

lieren bie gleifchfreffer bie Vermehrung ber Tierwelt.

2ßir bürfen uns bie ‘Jöedjfelbejietmngen 3ioifd)cn ber anorganifchen unb ber organifd)en Statur unb jwifchen ben ©liebem ber letjteren nicht

3U anthropomorph unb fentimental oorftellen, als ob jebes lebenbe (Einaelwefen in fich Selbfowecf ber Schöpfung wäre. Sonft bürfte fchliejj- (ich aud) feine W an je ber Tierwelt geopfert werben, ba auch &ie ^Pflanje ein Sebensprin^ip befifct. Sie Sßeistjeit bes Schöpfers hätte fomit, um alle „©raufamfeiten" 3U oermeiben, jebem 3Tier unb jeber ^Pflanae ein inbioibuelles ewiges Seben gewähren müffen! Unb wo hätte ihre un=

fterbliche Stacbfommcnfchaft fchliefjlid) '"Plafo finbeit follcn auf (Erben?

2öenn bie ©efamtharmonie ber Schöpfung fid) felbfttätig regulierte, war eine Süufeinanberfolge oerfchiebener gloren unb gaunen im Saufe

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194 2 t n t n > o r t a u f b e n „ o f f e n e n " S r t e f t>on 5P r o f. 2R e f f e r

ber (Erbepod)en felbftoerftänblid). ®abei mufoten atterbings bie 3nbit>i=

buen fterben, beren 2ebensbauer wegen ber €>toffwed)felr>orgänge nur eine befc^ränftc fein fann. 2lud) ein geroattfamer Sob burd) 9tatur=

ereigntffe ober burd) Raubtiere lag im 33eretcE) ber gegebenen 3Röglid)=

fetten. 3m Saufe ber (Srbgefd)id)te finb aud) jal)Ilofe Slrten unter=

gegangen, um anberen, beffcr angepafeten, ^lafe su machen. ®te ©efamt- barmonie awifcben ben ©liebem ber Schöpfung blieb gewährt im “Söcdjfet ber (Einjelgtieber unb gerabe burd) biefen 3öecbfel.

3lls S^ologe möchte id) bier einer allju antfjroponiorpben 2luffaffung bes Jcbes unb bes ©djmeraes im Sterteid) entgegentrefen. ®er 6d)merj

ift eine für ben Organismus in ber Sieget lebenserljaltenbe (Einrichtung; et ift bas SBarnungsfignal, bafe ein Eingriff gegen fein 2eben abauroehren ift. gerncr ift ju berüdficbtigen, bafe für bie Sierwelt im allgemeinen unb aud) für weitaus bie meiften ihrer 3nbtoibuen bie 6umme bes 6chmeraes,

ben fie in ihrem 2eben ju ertragen f)aben, oerfcbwinbenb ftein ift im Vergleich aur 6utnme ber Suft, bie bas Seben ihnen bereitet. 3öas für ben 55tenfd)en ben Job befonbers I>art mad)t, ift bie (Erfenntnis unb bie Vorausficht bes (Enbes, unb was feinen (Schmera t>erfd)ärft, ift bie geizig»

feit, fid) in benfelben geiftig au »erbotjren. ‘Sei ben jteren, aud) bei ben höheren, fällt beibes fort. 6ie haben höcbftens eine inftinftioe gurd)t nor bem Sobe unb einen inftinftioen gluchttrieb oor bem 6d)merj. Vci ben ‘Jßirbeltofen müffen wtr uns erft recht hüten oor oermenfd)lichenben Verkeilungen über ii>ren 6d)merj. 2et$terer ift abhängig non ber tralifation bes Sleroenfpftems, bie niebriger ift als bei Wirbeltieren.

SERanche ^Ijpftologen finb fogar ber 2lnfid)t, bafe bas €>d)meragefül)l ein

“^rioileg bes twchaentralifierten Slemnfpftems ber VMrbeltiere fei unb bei ben 2Birbetlofen überhaupt fef)Ie.

<Eine gana anbere Vebeutung gewinnt bas Problem bes Sobes unb bes ©chmeraes beim SKenfchen. (Einerfeits wirb es, wie oben bemerft, burd) bie Steflejion bes ©elbftbewufetfeins t>erfrf)ärft, anbererfeits aber wirb es gemitbert burd) bas 2id)t ber Vernunft. 3n ber menfd)ltd)en Statur liegen bie 2eibensfähtgfeit unb bie <Sterblid)fett wegen bes oet=

gängltd)en 2etbes, mit bem bie 6eele äu e i n e r Statur oerbunben ift.

Stefe (Erfenntnis weift fchon in einer rein natürlichen Orbnung ben 95ten=

fdjen barauf l)tn, bafj biefes irbifebe 2eben nid)t fein lefetes 3iel ift

jonbern nur bie Vorbereitung auf ein ewiges 2eben im 3enfeits. «Seine unfterblicbe «Seele ift aur (Erfenntnis unb Siebe ©ottes gefchaffen, btc erft bort ihre Vollenbung finben fönnen. 2lud) wenn es feine Offen- barungsreltgton gäbe, wäre bie befeligenbe (Erfenntnis unb Siebe ©ottes in ber (Etoigfeit bas letjte unb böd)fte 3wl &es StRenfcben. daraus er=

geben ftcf) bobe fittticbe 3Bcrte für bie Probleme bes Sobes unb bes

2etbes f)tenieben. 'Der Job ift ber Übergang au einem befferen 2eben unb

(15)

21 n t» o r t a u f b e n „ o f f e n e n 93 r i e f " o o n ' P r o f . 3)1 e f f e r 195

oerliert baburd» ben (Eharafter bes l)öd)ften Unglüds für ben SRenfchen.

Sie Seiben ermatten fittliche SBerte aus i£>rcr Bebeutung für bie ^rü^

fungsjeit. 6ie erfcheinen nicht bloß als ©trafen für perfönliche 6d)ulb,

fonbern gugleid? auch als Beroahrungsmittel oor ber 6ünbe unb als Sr=

3ief)ungsmittel ju einem oom 3rbifchen losgelöften, auf bas 3enfeits ge=

richteten ibealen ©treben. ®urd) ihr gebulbiges (Ertragen hetoährt ber SÖtenfd) feine 3Treue im ®ienfte ©ottes unb erwirbt fid) zugleich einen ewigen Sohn.

3hre höchfte 23erflärung erhalten bie Probleme bes Sobes unb ber irbifdjen Selben jeboch erft burd) bie übernatürliche Orbnung ber ©nabe unb ©lorie, 3u welcher ber 9Renfd) burd) ©ottes freies ©efchenf erhoben worben ift. 3Bir wiffen aus ber Offenbarung (Slömerbrtef 5, 12), baß bet­

rüb tatfächlich erft burd) bie Sünbe in bie SERenfchenwelt gefommen ift.

Hnfere Stammeltern im ‘’Parabiefe waren burd) eine außernatürlid>e

©ahe1) oor bem Tobe bewahrt, ebenfo auch »or bem Schmer, ber in bas 9feid) bes Jobes gehört. Aber biefes ''Prioileg oerloren fie burd) bie Sünbe, bie für ihre 9iad)fommen 3ur ßrbfchulb geworben ift. SOIit bem 23erlufte bes übernatürlichen ©efdjenfes ber hctligmachenben ©nabe büßten fie auch bie ©abe ber Unfterblichfeit ein.

Aber warum hat ©ott ben SERenfchen nicht gefchaffen, ohne bie greiheit

3u fünbigen? ®as hätte ja fcheinbar ber ©üte ©ottes mehr entfprochen, ba feine Weisheit ben SSRißbraud) ber menfd)Iid)en greiheit oorausfat)?

^ßeil eben bicfe greiheit bie 3Bur3el ber fittlichen (Erhabenheit bes SEHenfchen ift, inbem ber 2Renfd) feine greiheit gebraucht, um ©ott 3U

bienen unb bie (Sünbe 3U meiben. Sßenn bies fchon für bie natürliche Orbnung gilt, fo gilt es noch »eit mehr für bie übernatürliche. 3m ge=

heimnisoollen ‘’Plane ber göttlichen Söeisheit unb ©üte war bie laffung ber (Erbfünbe, bie ben 2Renfd)cn bes übernatürlichen be=

raubte, innig oerbunben mit bem ‘’Plane ber (Erlöfung, ber fd)on ben

6tammeltern im ^arabtefe oerfünbet würbe; bas gefallene 3Renfd)en=

gefchlecht follte burd) einen (Erlöfer, ber ©ott unb SÖlenfd) zugleich in ber einen ^erfon bes göttlichen SBortes war, wiebererhoben unb 3ur 6elig=

feit geführt werben. 2?on biefem ©efichtspunfte aus gewinnt bas Seiben in ber ©efchichte ber SSRenfchheit wie bes (Einseinen eine gan3 neue Be=

beutung. 3cfot ift es feine „©raufamfeit" mehr, wenn ©ott bem 5Ren=

fchen Seiben fchidt, weil btefelben ihn läutern unb 3ur Streichung eines unenblichen, ewigen ©lüdes ßorbereiten follen. ®en höchften 6trahlen=

glan3 erhält bas Seiben enblid) baburd), baß ber ©ottmenfd) 3efus (EhrN ftus für uns leiben unb fterben wollte, um uns 3U erlöfen. ®as Seiben wirb baburd) 3ur erhabenften Betätigung ber Nachfolge (Ehrifti. 'Sas

*) <Durd) ein domum praeternaturale (nicf)t supernaturale), lx>tc bie $f)eofocjen es ausbrücfen.

(16)

196 2 ( n t n > o r t a u f b e n „ o f f e n e n 3? t i e f " o o n ‘■pro f. S Dl e f f e t

Problem bes ßeibens ift für bie SRenfchhcit burd) bas Slreuj (£f>ri|ti unb burd» feine Auferftcljung gelöft, bie bas Unferpfanb unferes eroigen f>ciles finb.

Sie Pläne ber göttlichen 38eltregierung unb Vorfehung finb ‘’Pläne einer g ö 111 i cf) e n 3öeisheit. 2öir fönnen fie mit unferem fchwachen 23er=

ftanbe mehr ahnen als erfennen; fie erfcfwpfenb ju begreifen, ift aber feinem ©efdjöpfe möglich; bas vermag nur ©ott felber. 9Bir bürfen uns beshalb auch nicht wunbern, baß ber 9teft bes Unbegreiflichen um fo höhet anwächft, je tiefer mir in jene piäne einjubringen fuchen. $arf bas ©efd)öpf beshalb feinem Schöpfer prüfen: Seine ^piäne finb umoeife unb graufam; ich fünbe bir ben Sienft auf?

STocfc dne SJnftoorf auf £>en „offenen 23rtef“

'33on 2 . . . 6 ...

3Bir müffen Derfuchen, bie gragen im Jiefften ju nehmen:

Sie SBeft ift eine (Einrichtung, welche unfercr Seele ©ott verbirgt, beffen Sßefen fie felbft im 3nnerften i ft. 2ßenn biefe £ppothcfe 2Bal)r=

heit bietet, fo barf man fich nicht wunbern, baß bem 5öerfmeifter feine Abficfjf gelungen ift, baß er Don feinen (Ebenbilbern fid) trefflich 3U fcfeei=

ben Derftanb unb fich — 3umaf Dor ihrem Skrffehen — mit (Erfolg r>cr=

heimfidjt. Unfere Seele fragt unb ruft nach ihm, boch Dielfacf) Dergebfid).

Auf ber anbern 6eite brängt fid) bem ©efühl etwas auf, bas wir ab erhebenb, als göttlich unb wefensoerwanbt fühlen: eine SERufif burd) eine Sßanb, eine S?erferwanb. — So fönnen wir fagen: ©ott gibt uns eine Ahnung, aber n i ch t mehr. Unfere SBclterfahrung wiberftreitet unferer Ahnung. Aber wenn wir ber 3BeIt wiberfpred)en unb fleißig an ber Söanb faufd)en, wirb uns weiteres offenbar Don einem innern 9ieid)=

tum, ber ©ottes 5öirfen beutlich wahrnimmt. (Ebenfo richtig ift ju fagen:

eine innere Armut wirb immer ftärfer empfunben unb erfennt bie wah­

ren ‘ffierte. Sann aber fängt unfere äußere 3Belt an, eine fefunbäre Jlolle ju fpielen, unb fie geigt fid) in Abhängigfeit Don ber innern, fcheint nur ber innern halber ba ju fein. (Enbfid) Derfchlingt bie innere 3Beft alles, was wir haben unb nimmt auch bas UnDerbaulidje — obwohl mit bem ©efühl, es fei fremb — in fid) auf. S ie 5Belten haben jeßt für bie (Erfenntnis einen gemeinfamen ibealen 9)iiftelpunft: ©oft! (Er würbe fon=

ftruiert ober gefunben aus bem Seefenbebürfnis unb ben wertgeorbneten

©efamferfahrungen. SBäre bie Don ber ©ottheit trennenbe Sßanb nicht bagewefen, fo wäre alles 33cftchenbe ein großer Pantheismus geblieben,

©ott fcf)uf bie 3fofierungen, um „fef’ge Spiegel feiner Seligfeit" gu er=

möglichen, felbftänbig, burd) äußere ©renjen beengte unb gereiäte ©elfter

3U ermöglidjen. Sic fd)eibcn SDJaferic aus, bleiben gIeid)rool)l bis 3um

(17)

S I n t w o r t a u f b e n „ o f f e n e n 93 t i e f " o o n ' P r o f . S f t e f f e r 197

lobe mit ihr oerbunben, aber ben Sötittelpunft ihres ßebens erbltden fie in ©ott, ber fie erfcbuf unb einen unenblicben Streis »on 2ßirflid)feitcn um fie ber pflangt, ben gu affimilieren fie ficb ffcts angereigt fühlen unb beffen ilnguträglicbfeiten fie binweifen auf bie 33ered)tigung gabllofer anbers gearteter SBefen unb oielleicbt aueb auf oorerft unoerftänblicbe (Entwidlungspbafen bes Slllgeiftes, bie unferer 3eitlid>feit Dorangingen.

(Solche (Erfenntnis ergwingt 33efcbeibenbeit; aber wert wirb ber SDtenfcb bureb bas 33erbunbenbeitsgefübl mit bem Slllwert, weldjes ficb in bem SSRafje erhöbt, als bas Statureigene in STaufcb bagegen geboten wirb.

'®as ficb auf jolcbe Sßeife ber innern Sffiett enthüllt, ift fo rein eigentüm=

lieb, baft es nidjt ber Seilnabme anberer guftebt, weshalb bes ©laubens (Eigentum unb 3Bert ftets eine auf bie ©eele befcfjränfte Beugung unb Übergeugung bleiben wirb!

(Solche 93orausfet5ungen oermögen alle €>cbwierigfciten unb Stonfltfte ber innern unb äußern SBelt erträglich gu machen.

23eraerfungen bes H erausgebers gu ben jtoet corftebenben 23riefen

3unäd)ft habe ich ben beiben Herren bergltd) gu banfen, bafe fie fo eingehenb unb fachlich auf meine gragen geantwortet haben.

(Es fann nicht bie Aufgabe ber (Erörterung eines fo gewaltigen ^)3ro=

blems in ber hier gebotenen Hürge fein, baft man einanber gu „belehren"

ober gu „wiberlegen" nerfucht. Vielmehr ift bem (Sinne unferer 3ett=

fchrift baburd) ©enüge gefchehen, wenn cerfcbiebene philofophifche 9licb=

(ungen ihre ©runbauffaffung felbft barlegen. Daburd) ift bem fritifchen üefer autbentifebes SRaterial geboten, um felbft gu entfeheiben.

‘Sei ber (Enlfcbeibung in bem oorliegenben galt muß beachtet werben, bafe wir hier nicht religiöfen ©lauben als folgen gu beurteilen, fonbern p h i l o f o p h i f c h e gragen gu beantworten haben, wobei wir auch bemüht fein müffen, bie ©ebiete unb Seiftungen bes religiöfen ,,©lau=

bens" unb bes pbilofopbifd)en (Erfennens („SBiffens") reinlich 3U fcheiben.

(Es will mir nun fd>einen, bajj ber tiefffe Unterfchieb gwifchen ben beiben f>erren unb mir barin beftebt, bafe fie tatfäcblich bas Problem, ob nämlich unfere 2Belt mit (Sicherheit auf einen perfönlicben ©ott als ihren 6d)öpfer gurüdweift, bod) com 6tanbpun!t bes g l ä u b i g e n (Ebriften aus behanbeln; wäbrenb ich bemüht bin, es — unter 2lus=

fcbaltung bes ©laubens — als rein pbilofopbifdjes su erleben unb gu beantworten.

60 erflärc ich es mir, bafe fie unter bem pfpd)ologifchen (Einfluß bes fie beibe offenbar tief befriebigenben ©laubens an einen perfönlicben ©ott gewiffe 6cbwierigfeiten logifeber unb etbifdjer 2Irt, bie für mich auch bureb ihre Darlegungen nicht behoben finb, in ihrem ©ewicf)t nicht emp=

fanben.

'l'bilofopbie unb 2cb*n. V. 14

(18)

198 21 n t to o r t a u f b e n „ o f f e n e n 33 r i e f " o o n ^ t o f . S R e f f e r

Sogifch fcheint es mir anfechtbar, bajj §>err ^ater SBasmann (in Stber=

einftimmung mit ber fatt>oIifc^>en 5lpologetif) einerfeits erflärt: „3Bit be=

fil3en für bie ßrfenntnis ©ottes aus ber Statur nirf>t blofje 2ßal)rfd)ein=

licf)fcit, fonbern wirflichc 6id)crl)cit", anbererfeits jugibt: „S ie ©ewijj- beit unferer ©ottesertenntnis aus ber Statur ift feine unmittelbare ßoibenä, bic ben Vcrftanb 3ur 3uftimmung nötigt." Stur bann nämlich liegt für nrid) „wirfliche Sicherheit" oor, wenn id) bas Srlcbnis ber

„Soibena" habe, wenn id) mich in meinem Verftanbc p r Suftinimung

„genötigt" fehe. 6onft bleibt es eben boch bei fippothefe, bei 5Baf)r=

fcheinlichfeit! 3ßie wenig wir mit ber Slaufalität barüber hinausfommen, bafür oerweife id> auf 6. 204 unb bas 6. 207 hefprochene 33ud) bes fatholifchen “^hilofopbie^rofeffors Reffen, Jtöln.

Vklcben ©rab ferner biefe Vkt)rfd)einlichfeit erreicht, bas wirb u. a. in entfcf>eibenber 'SBeife baoon abhängen, ob unb in welchem SDtafje toir bic STatfache bes Ü b e l s mit bem ©tauben an einen allweifen, allgütigen unb allmächtigen ©ott oereinbaren fönnen.

©leichäeitig mit bem 53rief bes fterrn ‘’Pater ging mir oon einem Verwanbten ein 33rief ju, in bem cs heifjt: „Cetbcr hören wir oon 51. SW., bajj ihre SQtutter unter großen 6d)mer<$en im Sterben liegt (ßeberfrebs), unb baß aud) ihr Vater baoon fo angegriffen fei, bajj man ihn »or

6elbftmorb behüten nrüffe. [Sabei hanbelt es fich um jwei hochbetagte, gottesgläubige unb fittlid) oortreffliche SPtenfchen!] 3m ,©. fe ig e r1 3eigt ‘’Prof. 2h- an, bajj feine grau an ben golgen einer Cungenoperation im (Schwar^walb geftorben fei. traurige SBelt!"

5luch in bem ^weiten galt eine STragöbie: eine oortreffliche grau, SDtutter mehrerer unerwachfener Äinber ftirbt nach jahrelangem €>ied)=

tum. (Sie läßt hier nicht nur ihren SÖtann unb ihre Slinbcr 3urürf, fonbern auch ihren etwa 85jährigen Vater, ber mit ihr fein lefctes Sinb oerliert!

Derartige ©efchehniffe finb ja leiber feine Ausnahmen. 3Ber einige Sebenserfahrung befitst, ber weife, wie taufenbfältig folche unb nod) fdjlimmere Singe fich in biefer Söelt abfpielen. SJtan benfe bann nod) an bie elenben Sebensumftänbe, unter benen SÖtillionen ihr Safein »er=

bringen, man benfe an Kriege, Hungersnot, Srbbeben, Überfchtoemmum gen, unb man wirb es (Schopenhauer nachfühlen fönnen, wenn er einmal äußerte: „Vknn ein ©oft btefe V ktt gemacht hat, fo möchte id) biefer

©ott nicht fein: ihr 3ammer würbe mir bas |>ers äerreifjcn."

2lber freilich, wie ftarf unb tief man oon biefem 3ammer ergriffen wirb, bas ift eine 6ad>e inbioibueller Veranlagung; wie es anbererfeits oon unferem perfönlid)=ethifchen Gcntfcheiben abhängt, ob bic Srflärung oon 6d)mer3 unb 3Tob aus ber „ßrbfünbe", ja, ob ber Vegriff einer

„Srbfchulb" überhaupt als fittlich erträglich erfcheint. —

(19)

;tii( _________________________________________________________ __

Slntroort auf ben „ o f f e n e n 33ri ef " t> o n “’Pr of . 9Jt e ff e r 199

III (j '

t:,| 3n ben beiben Antworten fpiegelt fich übrigens in d>araltcriftifcf)cr Ij; 2ßeife bie Eigenart f a t t > o I i f r f ) c r unb e o a n g e l i f d j e r Apologetif.

5it§ ® ie !atf)oIifcf)e hält an ber „fixeren" Erfennbarleit ©ottes aus ber [itnir, 9tatur feft; bie coangclifche gibt gu, baß oon einer fold)en Erfenntnis i(t, nicht gefprodjen werben fann.

t ’ßrr E . 6 . geht fotoeit, etnguräumen: „ S i e 2öelt ift eine Einrichtung,

;;k toeidje unferer (Seele ©ott (nicht: offenhart, fonbern) D er b i r g t ! "

: 5Benn er weiterhin hemerft, baß ©ott „fonftruiert ober gefunben würbe ti!r aus bem Seelen b e b ü r f n i 5", fo fcheint mir Ijicr ein bebeutfamer §>in=

1 weis gu liegen gur pfpdjoiogifchen Erflärung ber 3Tatfad>e, warum für fo t>iele troft all ber entgegenftehenben logifd)en unb etfeifchen 35ebenfen ber ©laube an einen persönlichen ©ott gerabegu unentbehrlich ift. E s ift . freilich ein erheblicher Unterfchieb, ob man fid) in feinem Renten oon bem ‘Sebürfnis nach innerem §>alt unb Xroft bgw.nad) einem wert= unb 1 finnoollen 3Beltbeftanb leiten läßt ober lebiglich oon feinem 33ebürfnis nach SBahrheit, nach fchlichter Slnerfennung beffen, was i ft. 9?ur in bem letzteren galle philofophiert man. Aber in unferer ^eitfehrift hanbelt es fid) lebiglich um philofophifche Erfenntnis. ®eren Tragweite gegenüber :J bem ©ottesproblem gu heftimmen, war hier unfere Aufgabe.

'Saß übrigens ber © l a u b e a u s 55 e b ü r f n i s hinfichtlid) feiner ::: © e l t u n g gang negatio beurteilt werben fann, geigt g. 25. eine Äußerung R o m a i n 9t 0 11 a n b s in feinem Vornan „Eleram bault" (granf=

furt a. 2R., 9tütten & Soening, 6 . 2 0 1):

„Die ©öfter finb n i cf) t s a ls bas Verlangen, an fic 3U glauben.

SBarum aber bann bie brennenbe SBut biefes Verlangens? 3B e i 1 man bie SB i r f 1 i cf> f e i f n i d> t [eben fann. Ober eigentlich: gerabe »eil man fie fiefjf.

Sas ift ja bie ganse Sragif ber 3Renfcf)lichfeit; bafj fie nichts fehen unb nichts »iffen wi l l . Sie bat nur bas Derjroeifelte ‘Sebürfnis, irgenbwie ifjren Schmuö göttlich ju machen. 9Btr aber »ollen ihr ins ©efid)t fehen.

Ser Snftinft bes Sütorbes ift in bas f>erä ber Statur getrieben. Sin wahrhaft teuflifcher Önftinft, »eil er bie SBefen nicht bloß gefefjaffert 3U hoben fcfjcint, um 3U freffen, fonbern aud) um gefreffen ju »erben...

9Bärc nun »enigftens nidjt aucf> nod) bas 23e»ufjfjein gefdjaffen, bafj ber Sütenfd) felbft biefer feiner eigenen SJtarter jufe^en mufj! Oh, »ie biefet £>öl!e entfliehen?...

3»ei SBege gibt es, 3»ei etnjige SScgc, ben 9Beg SJubbbas, bet ben fcf)mer3baften 9Babn bes Sehens jum ®rlöfd)en bringt — unb ben 3Beg bes religiöfen 2Baf>ns, ber über Verbrechen unb Sd)met3en ben ©Fleier einer hlenbenben Süge »irft!... $)as

©e»id>t ber Ungered)tigfeit; bas bie eine 3Bagfd)aIe bes Sehens nieberbrüdt, finbet [ein ©egengewidjt im erträumten Senfeits, » 0 alle SBunben unb Qualen gelinberf

»erben. $ie gormen biefes Himmelreichs finb »er[d)iebcn »on Volf ju Volf, oon geifalfer 3U Seitalter, unb biefe Verfd)iebenbeit nennt man bann „gortfd>ritt". 3Iher es ift hoch immer ein unb basfelbe Verlangen nach einem 9ßaf>n. 9Jtan muß biefer furchtbaren SScwufjtheit bas SDtaul ffopfen, bie alles fieht unb 9ted>enfd)aft für jebe Ungerechfigteit forbert. SBirff man ihr nun nicht rafd) einen “Srocfen jum grafe hin, irgenb einen ©lauben, fo heult fie oor junger unb Sfngft. 9Jtan mufe glauben,

©lauben ober frepieren... Unb barum hoben fid) bie SOlenfchen 3U gerben jufammen»

gebrängt, um ficb gegenfeitig 3U heftärfen unb 3U ftüfeen. Um aus ihren ein3elnen perfönlichen 3tt>eifeln eine gemeinfame Sicherheit 31t machen."

1 4 *

(20)

200 3 u r ( E i n f ü h r u n g i n b i e ^ p ^ i l D f o p b i c

3Bir übcrbltcfcn nunmehr b r e i grunbfäfelid) t>crfd)iebenc fmltungen gegenüber bem Satbeftanb ber erfahrbaren 2Belt mit ibren Seiben unb Unwerten überhaupt.

®ie f a t b o i i f d) e 2luffaffung: 5)iefe 2öelt läßt trofe allem einen fieberen 6d)Iujj auf einen perfönltd)en ©oft au. 5)er ©laube an biefen ift „eernünftig", b. b. burd) pfnlofophifcbe (Erfenntnis au rechtfertigen.

®ie e n a n g e l i f c b e Sluffaffung: Vernunft, alfo Philofophie, fann

©oft nicht erfennen. 3)er ©ottesglaube ift gleichwohl gültig, weil er ttef=

ftem 33ebürfnis unferes Söefens entfpricht.

die r e l i g i o n s f r e i e Sluffaffung: SBeil ber ©laube fid) nicht t>er=

nünftig rechtfertigen läßt, fönnen wir ihm auch feine ©ültigfeit ju=

fprechen. daf? er tiefe ©cmütsbebürfniffe befriebigt, ift nicht ein 2lrgu=

ment f ü r , fonbern g e ge n feinen ‘ffiabrbeitsgcbalt. (denn was man wünfebt, glaubt man gern.)

2ßenn übrigens 55omain Stollanb (baw. fein „f>elb" (Elerambault) nur

3 w e i 3ßege anerfennt: ben jum ©ottesglauben ober ben aum leben»

oerneinenben Subbbismus, fo überfieht er ben britten — ben er felbft eingefchlagen hat, nämltcf) ben Satbeftanb ber 3Belt mit feinen Söcrten wie Unwerten ehrlich unb tapfer anäuerfennen, aber babei beftrebt au fein, bas ‘JßertDoIle 3U mehren unb bic Unwerte abauwehren ober an linbern. “Damit fommen wir auf bas ©ebiet f i 1 1 1 i ct> c n f> a n b e l n s.

Unb hier fönnen unb follen fich in ehrlicher Slrbeit aufammenfinben aud) bie, welche in ber ?ßelfbeufung gana »erfebiebene 3Bege einfchlagen.

21. SW.

3 u r @ m fü f)ru n g in 5te

V. 3nr 3Dcrtphilofoph'c: S*® 5^agc ber Jftelafimfäf bcs 5Dcrfcs

2Bir haben bis jetjt bie nafeeliegenbe (unb 3. 23. auc^ Don §epbe) Dertretene 2In- ficf)f jugrunbe gelegt bafe im SBertbegriff notwenbig bie 23ejogent)eit (^Relation) auf

»ertenbe Subjefte mitgebaetjt »erbe, ba „SBe rt" bod) roofel nii^t „SBert für niemanb"

[ei. 3ebod) biefe 2tnfid)t iff umftriffen. 6o Dcrtritt fein ©eringerer als 3t. j)arfmann bie Sluffaffung, bafi biefe Relation nid)t notwenbig im SBertbegriff liege, bafj man alfo im ftrengften (Sinne (niefct blofe unter ben in sp.VI angegebenen ©efid)tspunften) Don abfoluten ffierten reben tönne. 3n ber S a f finbe id> aud) bei §et)be einen ©ebanfen- gang, ber mir ju biefem Stanbpuntt §>artmanns fnnüberjuleiten frfjcint. £ r ftcllt nämlid) feft: SBenn 2Bert gefaxt wirb als eine 23ejte!>ung eines Objetts ju einem ©ubjeft (23e*

tDujjffein), fo barf man besfcalb nid)t biefe 23ejief)ung als (Ergebnis einer bejiefeenben J ä t i g f e i t c£>arafterifiercn. Jätig feit bebeufet nämlid): eine SSeränberung betDtrfen.

2lber <in bem, toas id) betoerte, 3. 35. einem Kunfftterf, nef)tne id) boef) feine 23er- änberung Dor, burd) bie etwa bas Äunftmerf erft [einen SBert befäme. 2Berten ift alfo feine „Jä tig fe it", toebev eine „bejietjenbe" nod) eine anbere, eftoa eine „fefjenbe",

„bilbenbe", „fdjaffenbe", „erjeugenbe". S e r SBert eines Objefts (fei es 'Perfon ober

@ad)e) wirb im 23ett>erfen (2Berten) nid)t f) e r geftelft, fonbern f e ft geftetft, nicf)f e r - funben, fonbern » 0 r gefunben.

2Bert ift alfo ein an einem Objeft Dorgefunbener 6ad)Derf>a!t („2Berf»erf)aIt"), ber fein 23orl)anbenfein nid)f etwa einem aftioen 23ejief)en ober fonft einer Satigfeit bes

©ubfefts Derbanft.

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*) 3n ber gorberuna eines übernationalen Staates ftimmt “prof. §orneffer überein mit 'Prof. griebrich 3BSlbelm goerfter. ®od) meint biefer, bafe bie ftaatlidje

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mittelbar aus feinen Sebenserfabrungen beraus feftftellen fann, bafe er mit anberen 3Renfd)en jufammenlebt, nicht nur äufeerlid), fonbern aucb innerlich; bafe er