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Philosophie und Leben. Jg. 4, H. 12 (1928)

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Academic year: 2022

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^^ilofop^te unb Heben

4. JAHRGANG + 12. HEFT + DEZEM BER 1928

„3m JDienße bet Dolfcöttnheit erßrcbt unfere Jn tfch rtft eine fad)<

lidje 2tusfprache ber öerf^teöenen fDtltanfd)auli$tn Etchtungcn.“

sp fjÜ o fo p frtJcf)^ 9 T o t> d k Vruchlfüd aus einem ©ejpracf)

25on 3B i 119 SK c cf fa a d>

... unb nach euren Sieben, benen ich nun folange fchon aufmerffam augehört habe, fcheint ihr mir gerabe in einem Suftanbe bes Senfens ju fein, in bem jenes mein Erlebnis auch für euch wertooll fein fann. Saher möchte ich es euch erjählen. So gang rafch aber toirb bas nicht gehen.

Senn mit ein paar Söorten läßt es fich nicht mitteilen, fofern bas, toas für mich unb auch für meine ßebensauffaffung barin wichtig, ja beftim»

menb toar, euch beutlich 3 U 93ewufetfein fommen foll.

S a ich mich nun aber anfchicfe 3 u berieten, muß ich erft einen SBiber- ftanb in mir übertoinben, ein ©efühl, bas mir gleichfam bie Sunge fchicer macht, fjanbelt es fich bod) um etwas gana 3nnerliches, fo 3nnerliches, bafe man es faft überhaupt nicht er 3 ählen fann. Auch habe ich erft 3 wei- mal in meinem ßeben 3 u anberen baoon gefprochen unb nicht fo aus­

führlich, toie ich 3 u euch reben will.

Aber nicht nur biefe Scheu, bie ich übertoinben toill, hält mich 8urücf.

3d) frage mich auch: irre ich nicht ettoa fehr, toenn ich glaube, id) hätte euch etwas 5ß;d)tiges gu er 3 ählen? 3Bas habe ich benn erlebt? 3Bas gefdjah bamals oor balb 3 Wei 3ahr3ehnten? Es war eigentlich ja nichts ober faft gar nichts. Nämlich nichts weiter, als bafe ich geträumt habe, aufgewacht bin unb bann lange nad)bad)te ober eigentlich nachfühlte meinem eben gehabten Sraum. Unb wenn in biefem Augenblide, ba id) meine Erinnerung 3 ufammen 3 ufaffen fudje, wieber in mir jenes ©efühl nadjflingt, mit bem ber Iraum mich bewegte, wie fönnt ihr ahnen unb wie fann ich es eud) auch nur ein wenig begreiflich machen, mit welcher ftillen, mächtigen ©ewalt biefer ferne Nachflang mich jefjt hier, wie ich unter euch fifee, in meinem 3nnerften ergreift? 3Bie follt ihr mitempfin»

ben fönnen, was in biefem Nichts, bas fo oiel war, bas Eigentliche ge»

wefen ift, fraft beffen biefer Sraum unb fein Nachflingen in allem mei­

nem Erleben etwas gan 3 Einiges geblieben ift. 3ch felbft ja, wenn ich oorher geftorben wäre, hätte swar auch ein reifes ßeben gehabt, aber einen begriff hieroon, ober auch nur oon ber 2Röglid)feit beffen hätte

^tyilofopbte unb Ceben. I V . 2 3

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3 3 6 'P b * l o ( o PI) > i e i H o o e l l e

id) nicht befommen. Unb fo mag es eud) wohl ferne liegen, unb oielleidjt toerben meine 3Borte an eud) oorbeifltngen. Aber bod) glaube id), mufe id) es eud) ergäben.

Unfere Unterhaltung, bie uns nun fd>on ben gangen Abenb fo lebhaft befd)äftigt, toar gerabe in ein matteres gahrwaffer gelangt. ©eht es bod) mit ©efprächen aud) fo, toie man es heutgutage oon ben Kulturen gu fagen liebt, bafe fie il)re Blütegeit l)aben, bie benn allerbings nicht immer fortbauern fann. Schien es eud) nicht aud), bafe wir, fo lebenbig wir begannen, bod) bereits in ©efahr farnen, uns ein wenig gu oer=

lieren? 3n ber lebten Biertelftunbe ift eigentlich nichts Neues mehr hingugetragen, fonbern nur ber fmuptgebanfe hin unb her gewenbet.

Über ben fdjienet ihr eud) allerbings gang einig gu fein.

©iefer fmuptgebanfe toar, bafe ber SRenfd), ber nun einmal in feinem 9Renfchenleben brinfifet unb baoon erfüllt ift, eben nur biefes Seben als Nichter feiner Säten unb feiner ©ebanfen anerfennen fönne, bafe er ihm folgen müffe unb feine ^Pflicht habe als bie, feinßebengu leben. ©ann erfanntet ihr gleich unb fegtet hingu, bafe bas Seben, toenn es fo bas SERafe feiner felbft fein folle, in fid) nicht gleich fein fönne. Senn toie fann ich meffen unb wägen, toenn ich nicht Unterfchiebe feftftelle, ob fürger ober länger, leichter ober fchtoerer, weniger ober mehr. Unb als Unterfcheibungsmerfmal, wonach ihr bie eingelnen Seile bes 3Renfchen*

lebens unb fomit auch bie fianblungen unb ©ebanfen bes SERenfchen meffen unb wägen wolltet, fanbet ihr in Erinnerung wohl eines ©oethe=

fchen Sßortes bie g ü l l e . So bafe benn bas Seben leerer fein fönne unb erfüllter, unb bie höchfte, eingige Pflicht bes SRenfchen fei, nach gülle feines Sehens gu ftreben. Schliefelid) fanbet ihr nod) eines, bas eud) fo wichtig, ja entfdjetbenb fchien, bafe fchliefelich bie Unterhaltung faft nur nod) baoon hanbelte; nämlich bafe bas Seben feine höchfte gülle bann offenbare, wenn es fid) neu ergeugen wolle, mithin in ber Siebe, bas SERenfchenleben in ber Siebe oon 3Rann gu 3öeib. Söonach benn fd)liefelid) bie höchfte Pflicht bes SRenfchen bas fei, was auch fein höchftes Entgüden unb ©lücf fei: bie Siebe, ja bie Siebesumarmung Enbe aller Enben. Anathema aber rieft ihr über ben, ber fo lebensoergeffen fei, bie Siebe oon ftch gu weifen, fei er ein Zeitiger ober einet/ ber an Seben unb Siebe oergweifelt.

Nun fpreche ich nicht, um alles biefes gu beftreiten ober gu wiberlegen.

Aber gang oorweg möchte id» meine Bebenfen fagen gegen ein 3Bort, bas ihr oft brauchtet, wie man es benn heutgutage unb feit langem fchon oft gebrauchen hört. Ein 3Bort, beffen ich überbrüffig bin, gumal es mir gar nicht red)t etwas gu fagen fcheint. ©as ift bas 2öort „Sebensbejahung".

3d) mufe geftehen, bafe mir bie 35orftellung, bas Seben braune nod) eine

befonbere Betätigung feiner felbft baburd, bafe es „ja" gu fich fage, feinen

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b i l o J o p t> 11 ch c 9tot>elle 337

regten ©inn au haben fcheint. Es büntt mich Seit, bafe bie PhifofaPhen bas ©ptel mit ja unb nein, baran fie fich feit 100 3abren ergoßt hoben, ohne bafe habet etwas herausgefommen ift, nun ruhig beifeitelegen, unb ihr auch, bie ihr ja heute Pbilofophen fetb. Aber bas will ich nur gana nebenher bemerfen.

Alfo ihr Sebensbejaher, ihr ftrebt nach Sebenbigfeit unb habt recht bamit. Sie höchfte Sebenbigfeit unb Sülle bes Sebens aber finbet ihr in ber Siebe, ober, um es beutlicher au fagen, in ber ©efdjlechtsliebe. Unb ba fällt mir an euch auf, bafe ihr ba auf einmal bas werbet, was gerabe ihr am allerwenigften fein bürft, nämlich unbulbfam. Senn ihr, bie ihr bas Seben »erehrt, müfet jebe Sebensregung gelten laffen unb für euch barf es nur Kraut geben unb fein Unfraut. Aber es war ein Eifer, ber fchon beinahe wie f>afe Hang, als ihr euch gegen biejenigen wenbetet, bie bte höchfte Erfüllung bes Sebens, bie Siebe oon SRann au SBeib unb oon SEßeib au Sftann als etwas Unreines, Sierifches, bes

3ftenfd)en

unb feiner ©eiftigfeit eigentlich nicht 2Bürbiges oon fich weifen möchten, unb fchon fehlen bas geuer eines Scheiterhaufens burd) bie f>eftigfeii eurer 2Borte au leuchten. S a fragte ich mich: warum finb biefe 9Ren=

fehen, bte eben fo liebenswürbig waren, auf einmal fo »oll harten Eifers, unb fie, bie felbft gelten wollen, warum laffen fie nicht gelten? ©ollte ba nicht eine fchwache ©teile in ihrer Sehre fein, ihrer fchönen Sehre oon ber Sebenbigfeit? Senn bas glaube ich oft erfahren au haben in ben langen 3ahren meines Sebens, bafe ber Sölenfch leicht ^Biberfprud) unb anbere SReinung erträgt in bem, worin er ftch ficher fühlt. S a lächelt er nur überlegen. 3öenn er aber fich erregt unb heftig wirb, weil ein an=

berer eine anbere 9Retnung burch SSorte ober burch feine fmnblungen funbtut, fo fcheint mir bie Urfache folcher Erregung ein ‘ffianfen ber eigenen Sicherheit au fein, fo etwa ein fich anmelbenber ©ebanfe: 33iel=

leicht — vielleicht habe ich nicht fo gana recht, wie ich es mir einbtlbe.

2Bar es bas aud) bei euch, weshalb ihr fo fetnblich würbet? SERafeet ihr eure ‘Jöorte unb eure Sehre »on ber höchften Sebensfülle in ber ©e=

fd)lechtsliebe unwillfürlich »ielleicht an bem, was ihr felber barin erlebt habt ober an anberen gefehen, was benn bo<h wohl nicht immer folche höchfte Sebenbigfeit gewefen fein mag? Ober bachtet ihr an ben

disso- luto punito,

unferes göttlichen 3Roaart Son ©io»anni, ber ja nach eurer Sehre ben höchften Ehrenfrana »erbiente, ber aber »or ben SSTtillionen 3Jlenfchen, bie ihm in ber Oper 3 ugefchaut haben, fchliefelich mehr burch trotjigen Sölut in ber furchtbarften Rot feine 3Rännlid)feit beweift unb feine Ehre rettet, als burch bas SDtannfein gegenüber ben taufenbunbbrei grauen in ©panien. 3hr fennt fie bod) alle, bie 9Renf<hen, SDtänner unb

‘ffieiber, beren fo oiele finb, bie fich biefer eurer höchften Sebensfülle hin=

gegeben haben, unb bie in 3Bahrheit bur<h immer leblofer geworbenes

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338 P l ) 11 o ( o pt; i f $ c 9 t o » e l l e

Siebesumfangen gleichfam ausgehöhlt finb, auch gans junge Weiber unb Oünglinge, fo bafe bas {ehr fchnell gu gehen fcheint. Unb bie ihr bie lichten Höhen feht, bürft ihr an ben Slbgrünben oorbeifchauen? Müfet ihr ni<ht überhaupt an ©teile bes „ift" ein „fann fein" fefeen, alfo bafe ihr nicht fagt, bie Siebe ift bie höchfte Sebenbigfeit, fonbern nur fie fann es fein? (Eure 2lufgabe aber, wenn ihr toieber »oranfommen toollt in bem

©ange biefer heutigen Unterhaltung, fcheint mir, oorerft einmal gu unter- fudjen, was erfüllt fein mufe, bamit aus biefem „fann fein" ein „ift"

toerbe. Höchfte Pflicht bes Menfchen aber wäre bann nicht 3 u lieben, fonbern recht gu lieben.

Slber ich wollte ja nicht prüfen unb beurteilen, was ihr gefagt habt, fonbern ich wollte etwas erzählen. Unb ba ich eben aud) fchon oon ber Siebe gefprodjen habe, fo benft ihr wohl, was ich 3u ergählen habe, fei eine Siebesgefchichte, wenn aud) nur eine geträumte, unb Siebesgefchtd)- ten hören bie Menfchen ja gerne. Sarum, bamit ihr nachher nicht ent- täufcht feib, will ich gleich fagen, bafe es feine Siebesgefd)id)te ift, fonbern etwas gans anberes. 2llfo wirb es aud) feine Antwort geben auf unfere leftte grage, wann nämlich bie Siebe unb befonbers aud) bie Siebesum­

armung eine folche fei, bafe bie in ihr liegenbe Möglid)feit ber hochften Sebensfülle Wtrflichfett werbe. Sas nämlich müfet ihr, glaube ich, felber unterfuchen, am beften wohl nach eurer eigenen (Erfahrung, bie ihr ja haben werbet unb bie euch fofort lehren wirb, bafe bas, was fcheinbar immer bas gleiche ift, fo unenblid) »erfchieben ift, wie nur irgenb etwas auf biefer W elt fein fann, unb aud) gan 3 oerfdneben in feinem Sehens­

werte. Sann werbet ihr »on felbft euch fragen müffen, was ihr ba 3 u tun fönnt, bafe eure, eines jeben »on euch eigene Siebe 3 ur höchften Sebens­

fülle gelange. Unb ihr werbet fehen, bafe bas nicht fo leicht ift unb nicht in aller ©efchwinbigfeit mit taufenbunbbrei Spanierinnen gu machen.

(Es ift Dielleicht fo fchwer, bafe ihr einen, ber baran »erjagt unb wie ein bem Trunfe Verfallener bie einige Möglichfeit 3 U leben nur nod) iu

»ölliger (Enthaltfamfeit fteht, bann nicht mehr fo in 2ld)t unb Bann tun werbet, wie »orhin. 3hr erfennt »ielleid)t aud), bafe ber wonnigfte Tranf feine höchfte Köftlichfeit erft entfaltet, wenn ein Tropfen (Entfagung bar­

ein gefallen ift, unb aud) has, wenn ihr es erfennen fönnt, ftimmt euch

»ielleicht milbe 3 U ben gans Entfagenben.

Wifet ihr benn überhaupt fo genau, wie es in biefen Entfagenben

ausfieht unb was fie erleben in fid)? Unb wifet ihr fo genau, ob bie

Sebensfeinblichfeit, bie ihr Dorausfeftt, in Wahrheit nicht bie höchfte

Sebensfreunbltchfeit fei? Wieber werbet ihr nur nad) eurer Erfahrung

urteilen fönnen, aber wer hat alles erfahren? Unb ba fann euch Dielleicht

ein anberer eure Erfahrung ergänzen. Wenn ich bas nun oerfuche, um

bie Süde ausgufüllen, bie mir in eurer ©ebanfenwelt gu fein fcheint, fo

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'P t) i l o i o p t) i j d) c 9tot>elle 339

hat bas nur einen 3wed, wenn bie (Erzählung euch nicht nur fagt, toas bamals erlebt würbe bei jenem Sraum, fonbern aud), wer es erlebte,, unb baju mufe id) erft nod) einiges oon mir felber fagen.

6s ift fehr fchwer ju bemeffen, wieoiel oon bem, was in einem 9Ren- fd)en brinftedt, ihm felbft unb wieoiel ber Seit angehört, in ber er lebt.

Habt ihr einmal überlegt, wie eigentümlich bie ©ebanfen eines Seitalters beftimmenb wirfen auf bie SRenfchen barin? Ss ift in jeber Seit ein fefter 23eftanb oon ©ebanfen unb Anfchauungen ba, ber ben 3Renfd)en biefer Seit oermöge eines ftillfchweigenben (Einoernehmens als fo un- anrührhar gilt, bafe fid) auch oon ferne fein 3weifel baran wagt, unb ber infolgebeffen bei allen bie gemeinfame ©runblage ihres Senfens ift.

SBie bas aud) in Kleinigfeiten auf ihr Seben unb ihre fjanblungen ein- wirft, bafür ein 33eifpiel. ©eit Oahrhunberten ober Sahrfaufenben finb bie Alpen bis weit hinauf in bie Hochtäler oon SSJtenfdjen bewohnt; nie in fo langen Seitläufen ift einer ihrer hohen ©ipfel oon einem 3Jlen- fchenfufe betreten. Sen SUlenfdjen galt es als etwas gana ©elbftoerftänb- lid)es, bafe es oöllig unmöglich fei, bas ju tun. Sann, oor noch gar nicht langer Seit, begannen (Einseine, an biefem ©ebanfen su zweifeln, unb fiehe ba: nur wenige Oahrjehnte, unb alle ©ipfel waren bejwungen.

Sen eifernen ©ebanfenbeftanb feines Zeitalters pflegt ber SSRenfcf) gar nicht ju bemerfen, etwa wie man fich ber Suft faum bewufet ift, in ber man atmet, unb aud) wir hier wiffen gar nicht, wie oieles oon bem, worüber wir nicht reben, weil es uns oöllig felbftoerftänblid) unb jweifel- los erfcheint, oielleicht fehr halb oon neuem Senfen umgeftürjt ift, fo bafe bann auf einmal bie SSJtenfchen gleichfam in einer anberen Suft atmen. Aber nicht alle gleichseitig, fonbern übereinanbergefchichtet leben oerfd)iebene Seitalter in einem 33olfe jufammen. Ser Seit nun unb ber 3Renfd)enfchid)t, in ber id) aufwuchs, war, um gleich bas SBichtigfte ju fagen, bas Walten ©ottes nicht mehr unantaftbarer Senfbeftanb, wohl aber bie ausnahmslofe Wirffamfeit ber Staturgefefce. Auch biejenigen,.

bie jeben ©onntag in bie Kirdhe gingen unb jeben Abenb ihr Vaterunfer beteten, wenn einmal ein 3weifel an fie herantrat, ob benn bas eine mit bem anberen, ©ott unb Staturgefefc nämlid), auch oereinbar fei, — auf ben ©ebanfen, bafe an ben Sftaturgefetjen unb ihrer ausnahmstofen ©el­

tung irgenb etwas zweifelhaft fein fönne, famen fie nicht, wie man ja aud) nicht benft, ohne Suft fönne man atmen. Unb fo ift es, wenngleich in etwas tieferer ©d)id)t ber SJtenfdjen, auch heute noch. Saraus ergab fid) bann im grofeen unb ganjen bie Meinung über bas Seben unb über bie W elt, bie man Materialismus nennt. Aber nicht nur ber eigentliche Materialismus gehört hierher, fonbern jebe Anfdiauung ich möd)te fa­

gen jener Sroftlofigfeit, bie ein blinbes Walten entfchetbenb fein läfet

auch über bie Menfchenfeelen unb ihre ©d)idfale, wobei es bann fd)liefe=

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3 4 0 <^ h i l o f o p h M $ e N o c e l l e

lieb nicht Diel ausmacbte, ob bie eine Sehre biefes Söalten SBille nannte unb bie anbete Greift. (Entfcbeibenb ift bie tjoffnungsloje Unfreiheit, bie aus allen biefen Sehren folgte unb bie ©ebrüdtbeit, bie fid) bataus für alle SRenfcbenfeelen ergab, fo bafe folche, beren hochgemute ‘öefdjaffen- beit am wenigften in biefe Suft pafete, ihren tjotjen ©eift in Krämpfen ju aerftören faft ge 3 Wungen toaren. Unter biefer Sroftlofigteit habe ich auch als junger 3Jtenfd) fehr gelitten, unb id) wufete gugeiten aud) nicht, weshalb man ben 3Beg burd) Sbe, als welcher bas Seben fo erfebien, benn eigentlich) geben folle. Sabei gehörte icb 3 U benen, bie ben lieben

©ott fetneswegs gan 3 abgefdjafft batten unb bie aud) beteten, wenn- fdjon nur manchmal unb oerftoblen. ©ans ferne blieb mir immer ber unfelige ©ebanfe, bas fei eine Schwäche ober decadence, ober toie es genannt fein mag. 3öas aber gan 3 eigentümlich toar, unb toie id) jefct fage, fehr gut füt mich, bas toar biefes: ©o fehr id) ein Äinb meinet Seit toar, fo berührte mich bod) oon bem, toas als Sichtung, Äunft,

^bifofophie an mich gelangte, bas, toas aus meiner Seit ftammte, nicht am ftärfften; fonbetn immer, toenn etwas mich tief ergriff unb mir bas

©efühl bes Steigens lebenber Säfte in ber 3tinbe meines Selbft gab, bann ftammte es, toenn anbers es beutfeben Urfprungs toar, aus bem aebtgehnten 3abrf)unbert, wobei id) nicht bie 3ahresgahl mit ben gwei Nullen als bie ©rengfeheibe ber Oahrhunberte anfehe, fonbern etwa ein 53ierteljahrhunbert fpäter. 3cb will nichts ein 3 elnes anfübten, aber bie Flamen ©oethe, SSJtogart, 33eethooen begeiebnen ja auch nichts (Eingelnes, unb bafe bas, was mir in ber ^antfehen Sehre bas Sntfcheibenbe fd)ien, feine Äraft füt mich nicht oerlor, barf ich auch fagen. So lebte ich eigent=

lieh in 3 wei Seiten, ohne bafe 3 unächft eine rechte (Einheit suftanbe tarn.

Sin Slrbeit aber fehlte es mir nicht, unb bas war gut, nicht bes < 33etäu=

bens wegen, wie man wohl bamais fagte, fonbern weil bem auf nahe Siele gerichteten 9Jlenfd)engeift, unb fo ift ber bes Slrbeitenben, nichts ungewife ift, wie ber feinen Scbwinbel fennt, ber nur an ben nächften Schritt benft unb bid)t oor fich ben ^lafc für ben anberen §ufe fud)t.

6 s mag fo ungefähr gegen (Enbe bes neunsehnten Sahrbunberts ge=

wefen fein, ba fehlen es mir genug su fein, mit all bem S'tacbbenfen über SBille unb 33orftellung unb Slraft unb Stoff unb Unfreiheit bes SBillens;

es fchien mir fchon beffer, alles biefes nur Seben gu nennen unb in tä=

tigern 333irfen su fühlen, was es ift. So warf ich gewiffermafeen biefen gangen ©ebanfenfram über 33orb. Sticht etwa um bie Slugen gu oer=

fchliefeen unb nur fo gu tun, als ob biefe Singe nicht ba feien, fonbern weil ich auf einmal gu erfennen glaubte, bafe fie wirllich nicht ba waren.

Senn bafe ber SJienfcb unfrei fei, weil alles ©efchehen aus SBirfung unb

Urfache notwenbig folge; unb bafe fein perfonlicher ©ott ben Verlauf

bes ©efchehens änbern fönne, wie es aus Urfache unb ®irfung unent=

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e 9 t o » e l l e 341

rinnbar fid) ergebe; unb bafe biefer notwenbige ©efdjefyensablauf immer toieberfef)ren »erbe in alle Ewigfeit unb ähnliches mehr — bas erfannte id) fdjliefelid) als ©ebanfen, bie nur flappern unb nicht Hingen, unb bie fchon burch entfpredjenbes ©ebanfenflappern aus ben 9Biberfprüd)en, bie fie in fid) tragen, wiberlegt »erben fönnen; id) fah, bafe bas alles gar nicht rührt an bie ©lodentöne, mit benen bas Seben ben erfüllt, bet fid) ihm rein unb ohne Arg hingibt. S a toar mir flar, bafe ein jeber, ber aud) nur ein fleines Seilchen greube unb ßebensglüd unb aud) nur ein wenig oon frifdjer Sat ober gar einen ahnenben Aufblid fid) 3 er«

brüden läfet burd) ben ftarren ©ebanfen, er fei eingefpannt in ben SERa- fchinengang »on Urfache unb SBirfung ohne 3Jlöglid)feit bes Entrinnens, bafe ber ein Narr fei, unb ich f°h bie grüne Sßeibe um mich herumliegen.

Un»ergefeltd) aber ift mir bas grohgefühl, mit bem ich in jenen Sagen in ben Briefen bes jungen ©oethe las, toas er an bie ©räfin ©tolberg fdjreibt »on ben f>äuten, bie fid) »on feinem bergen löften, unb tote fein 93lid heiterer »erbe über bie 2ßelt. S a fügt er hinju, unb bie ‘ffiorte habe ich behalten: „Soch bleibt mein Onnerftes immer e»ig allein ber heiligen Siebe gewibmet, bie nach unb nad) bas grembe burd) ben ©eift ber Feinheit, ber fie felbft ift, ausftöfet unb fo enblich lauter »erben

»irb, »ie gefponnen ©olb." SERit biefen SBorten braufte mir eine »arme AkUe aus bem ©trome lebenbigen Sebens burch bas fjerg. 33ewegt »on fo ftarfer, in fid) ruhenber unb aus fid) quellenber ©efühlsfraft erachtete ich alle Sßelträtfel für fo »id)tig, »ie et»a heutzutage ein Kreuswort- rätfel in einer 3 eitfd>rift. 3d) fann »ohl fagen, bafe ich bamals auf»

blühte, unb fegne jene Sage. Siefe Entwidlung »ar aber nicht plötzlich unb »ie eine Erleuchtung, fonbern fie 30 g fich burd) eine 3teihe »on Sahren hin, »ährenb beren mir bie ©ebanfengänge, bie bis bahin mir entfd>eibenb ju fein gebäucht hatten, allmählich alle Kraft einbüfeten. ©0 mad)te id) eine ähnliche Entwidlung burd), »ie fie 3 . 53. bie 3ßiffenfd)aft ber 2 Rebi 3 in etwas fpäter aud) erfahren hat, bie lange burchaus nichts gelten laffen wollte, als was wiffenfd)aftlid) 3 erlegt unb bewiefen war, bie aber nad) unb nad) bemerfen mufete, bafe fie infolge biefer ©elbft- befchränfung »ielfad) an ber ©efunbheit »orbeifurierte, unb mancher Kurpfufcher lief ihr ben Nang ab.

Sas »ar nun »ie ein milber grühlingsregen, ber auf mein ßeben

fiel, als fid) meine innere SBelt fo entwidelt hatte, unb was fchon »ie

erfroren fd)ien, fing an 3 U grünen, unb ein f)immel mit feinem ©onnen-

fchein wölbte fid) wieber barüber. S a wanbte ich mich ben SERenfchen 3 U

mit ihren ©orgen unb ihrem fortwährenben ©treiten. SEReine Sage

waren ausgefüllt oon emfiger Sätigfeit in bem mannigfaltigen ©etriebe

grofeftäbtifd)en Sebens unb grofeftäbtifcher 5Birtfd)aft. Sas ©eringe

fud)te id) leicht 3 U nehmen, bas 3Bid)tige, woran 2ERenfd)enfchidfale

(8)

342 f)ilo( op(>i jc& c S'loPelle

hingen, nahm id) fchwer, gehäffige Sifttgfeiten unb Quertreibereien fah id) als nicht oothanben an, toas fie oft untoirffam macht, unb bie 3Ren>

fdjen fui^te id) aus ihren gänftfchen ©ewohnheiten tjerausgutjeben.

SRadjtios blieb td> nur gegenüber ben 3Bid)tigtuern, benn fo einer läßt nid)t baoon. 3n meiner fpärlichen unb um fo erquidlicheren 9Jtuße aber toanbte ich mich immer bem Beften gu, toas große SRenfdjen gefchaffen haben unb oerfd)mäf)te es aud) ntd)t, ein fwheres als SERenfchenfraft ahnenb gu erfüllen unb mid) betenb ihm gu nähern. ©o floffen mir toie*

ber Quellen, bie ber unoerftänbtge Verftanb bes 9Kenfd)enbenfens hod)=

mütig oerfdjüttet E)atte, unb icf) fann mir nicht oerhehlen, baß mir oieles gelang. 3n ber Siebe allerbings wollte es gunächft einmal nicf)t gelingen, bas Nichtige gu erretten.

@o toar id), fo bachte id), unb fo lebte id). — S a gefdjal) bas, toooon id) eud) ergäben wollte unb bas, wie ich eud) fd)on fagte, nichts weiter war als ein Sraum unb ber Nachflang beffen, was id) geträumt hatte.

Unb wenn oon biefem mit ber gähigfeit bes Erlebens begabten Sing, bas man 3Renf$ nennt, ein Sin ter einmal gefagt hat, es fei ber ©d)at=

ten eines Sraumes, fo war allerbings ber 3uftanb, in bem id) mehr er=

lebt unb alfo wohl aud) mehr gelebt habe als je, in ber Sat nur ber

©Ratten eines Sraumes.

Es gefdjah im ©ommer eines Saures, bas id) oielleictjt bas glücflid)fte meines Sebens nennen fann. Nad) einer Kranfheit tjatte ich im f>od)=

gebirge in ©enefungsfrohfinn jur ©efunbheit gurüdgefunben unb meine Arbeit wieber aufgenommen, bie mir gerabe bamals recht erfolgreich fchien, unb inbern fie meinen Satenbrang befrtebtgte, mir boch bte grei=

heit ließ, ben ©eift gu erfreuen unb aud) bas fierj. Surd) Zufall hatte ich ein SERäbchen fennengelernt, beten Sßefen mit bem meinen oon An=

beginn fo ooil unb fchon gufammenflang, wie ich es noch nicht erlebt hatte, fiatte ich freie Seit, fo faß ich auch fchon auf ber Etfenbahn, um burd) lachenbe ©eftlbe gu ihr gu fahren; heimlich trafen wir uns, f)anb in f>anb ftreiften wir glüdfelig burd) 2Balb unb gelb, unb oon 2Bod)e gu 3Bod)e wuchfen wir inniger aneinanber unb würben mehr unb mehr gewiß, baß- wir mit allen Kräften bes Seibes unb ber ©eele für alle Seit gueinanber gehörten. Unb wenn ich nicht gu ihr fahren fonnte, bann bachte ich an fie, unb es finb nicht bie fchledjteften Vetfe meines Sebens, mit benen ich fie aus ber gerne grüßte, ©o ift es wohl fein SBunber, baß neben mei=

nem Sienfte unb biefem Außerbienftlichen, baoon id> eben ergählte, nicht

mehr »iet ^Plafc für anbere Singe in mir oorhanben war. 3d) lebte mit

einer harmlofen Unbefümmertheit bahin, bie etwas fehr ©utes ift, unb

fühlte mich wie ein gifch im frtfchen SBaffer. Aud) mein ©chlaf war

feft unb erquidenb unb weniger oon Sräunten erfüllt als in manchen

anberen Seiten. Sen lieben ©ott ließ ich einen guten SRann fein unb

(9)

p t) i I o { o p f) i| d) e S l o c e l l e 343

toar ficher, bafe er barüber nicht ergürnt fei. ©o war id) tootjl leichten Hergens, aber feinestoegs irgenbtoie was man leichtfinnig ober aud) nur oberflächlich nennen Ißnnte. 3n meiner Arbeit war id) grünblid), unb meine ßiebe erfafete id) fo ftarf unb bei allem grohfinn fo ernft, bafe id) mein ganges SRenfchenleben als fräftig oon innen wachfenb empfinben unb barüber recht oon Hetgen glüdlid) fein burfte.

Eines Abenbs toar id) 3 ur gewöhnlichen Seit gu Bette gegangen unb hatte fd)on einige ©tunben feft gefchlafen. S a hatte id) jenen Jraum.

Es toar in einem grofeen, weitausgebehnten aber niebrigen ©aale, ben id) nod) jefet nad) fo oielen 3af)ren genau oor Augen habe. Er hatte lahle SBänbe, bie fchlicht getüncht toaren unb gang unb gar nid)t feier=

lieh ober gar firchlid) ausfahen. 3n biefem ©aale brängte fich eine grofee, fchier unüberfehbare SRenge 5!Renfd)en an einem fdjmudlofen, plaftifdjen Bilbe ber Sungfrau SRarta oorbei, bas gang einfach in fjolg gefchnitjt in ettoas über 3Ranneshöf)e bid)t unter ber niebrigen Sede auf ber einen ßängsfeite bes ©aales nahe ber Ede angebracht toar. Sie 3Renfd)en fahen im allgemeinen gebrüdt unb ärmlich aus, gingen gang langfam baher unb fd)auten mit Bliden unausfpredjlicher 3nnig!eit gu bem SERarienbilbe auf, unb fo recht als toenn all’ ihre Hoffnung unb ihr höchfter unb erfehntefter Sroft in biefem Bilbe befd)loffen fei. Siefes gnabenretdje Bilbnis nun toar id) felbft, id), ber fleine SERenfd), ber ba im ©d)lummer lag, unb toar nicht nur bas Bilbnis ber SERaria, fonbern toar auch bie SERaria felbft, bie heilige ©nabenmutter, unb toar babei aud) id), mein gewöhn- Itd>es 3d) unb wufete, bafe ich bas alles war, aber biefes 3Biffen war nicht wte ein ©ebanfe, fonbern mehr nur wie eine ©cheu, unb boch toar ich nicht erftaunt, alles bies gugleich gu fein. Erftaunt war id» nicht unb fanb es natürlich unb gar nicht etwa unmöglich, aber mit ungeheurer, burd) nichts gu befchreibenber ©ewalt war td> ergriffen »on bem ©efühl unnennbaren Beglüdtfeins, bas mit bem ©efühle unnennbaren Be=

glüdenfönnens gang in eins flang. Unb enblos gog ber 3Renfd)enftrom an mir »orüber, unb immer fahen bie gequälten Blide gu mir auf, unb gang felbftoerftänblid) befeligte id) fie, ich, bie 3ungfrau SRaria, unb bas Bilbnis ber 3ungfrau SERaria unb ich felbft. 3d) weife nid)t, wie lange bas bauerte. 3d) weife nicht, wie ich aufwachte. Es mufe ein gang all­

mählicher Übergang aus bem Schlafe in bas Erwachtfein gewefen fein, benn als id) fd)on gang flares Bewufetfein hatte unb fd>on wufete, bafe id) in meinem Bette lag unb nicht in bem ©aale war, unb bafe id) nicht

»on toar unb feine SERenfchen »orübergogen, ba hatte id) noch jenes

»olle ©efühl, bafe id) bas Bilbnis ber SERaria fei, unb fie felbft unb auch

ich felbft, unb fühlte nod) bie »olle ©nabe bes Beglüdtfeins unb Be-

glüdens. Sa, biefes ©efühl war gefteigert burd) bie Bewufetfeinsflarheit,

mit ber ich es nun erfafete unb bei »ollerem Erwachen ftärfer unb beut-

(10)

344 ^ b i l o f o p t ( d>e 9 t o » e l l e

licher begriff, ohne es au jerftören. 6o lag id) eine Stunbe lang, oiel*

leid)t aud) jtnei, gana ftill unb mit gelöften ©liebem unb toie mich felber faurn fühlenb in meinem “Sette, burchaogen »on niegetannter Seligleit,

»on bem wahren, reinen, bem ©ottesgefüfjl bes Sebens. 3<h fing bann auch an nachaubenfen, unb mein erfter ©ebanfe war: 3Bie gefdjieht mir benn? 2ßenn id) fonft erwachte, bann fiel mir bod) gleich meine §erj=

liebfte ein, unb ich fehnte mich nach ihr unb größte fie aärtlid) unb nun, ich weife faum, bafe fie »orhanben ift unb liebe fie bod) wie je, ja noch inniger, aber meine ©ebanfen erfüllt fie nicht, unb gana unoerlangenb btn ich unb ohne Sehnfucht. Senn wonach follte ein Seliger fich fehnen?

Unb lange lag ich fo, benfenb unb meiftens auch nicht benfenb, unb gana gana allmählich unb fchmeraenlos löfte fid) ber Racfjflang meines Sraums unb »erebbte, unb liefe ein ftilles, friebliches unb fich gana rein fühlenbes SRenfchenhera aurüd.

Allmählich fd)lief ich wieber ein, unb fchlief traumlos unb feft bis aum Sftorgen. Sann ftanb ich auf unb ging wie gewöhnlich an meine

©efchäfte. Aber bas “Sewufetfein beffen, was ich erlebt hatte, ift mir als un»ergängli<hes “Sefifttum geblieben. 3<h habe einmal in meinem Seben gana tief geatmet, unb ber lebenbige Obern ift in Bereiche ber Seele ge- brungen, au benen bas gewöhnltd)e Atmen bes Sages ihn ni<ht gelangen läfet.

Als ich nicht lange banach, früher als fonft, geterabenb machen burfte, unb alsbalb au meinem lieben 3Räbchen fuhr, unb als wir bann Arm in Arm am fdjönen Sommerabenb burch ben ‘Sßalb wanbeiten, eraählte ich ihr meinen Jraum unb in welchem 3uftanbe ich mich banach be- funben hätte, »erfchwieg ihr auch feineswegs, wie ber ©ebanfe an fie felbft babei ein gana anberer, awar immer liebeooller, aber gleichfam un=

wefentliiher geworben wäre. Sie nahm bas gar nicht übel, fah mich ernft unb grofe an, fagte: Su haft eine Erfcheinung gehabt; unb füfete mich.

So ! Run habe t<h euch bas eraählt, was ich nur gana wenigen 3Ren=

fchen in meinem Seben eraählt habe unb nur bei gana befonberer ©e=

legenheit. Ob baburch nun bas ergänat ift, was mir in euren ©ebanfen- gängen au fehlen fchten, bas hängt ba»on ab, ob es mir in meinen 2öor=

ten gelungen ift, mein bamaliges Erlebnis richtig begreiflich au machen.

Ob mir bas aber gelingen fonnte, fo fehr ich mid) barum bemüht habe, bas mufe mir trofc einer gewiffen Stille unb Betroffenheit, bie auf euren ©efichtern liegt, boch fehr aweifelhaft fein. Eine SSRelobie fann man nicht befchreiben, unb bas 5Befentlid)e an meinem 3uftanb bamals war gleich einer SRelobie: eine nie gehörte Söeife burchaog mein 3nneres.

Aber i<h fann »ielleicht

boch

nod) etwas baautun, um eud) bas au

»erbeutlichen, was in mir

»orging.

3d>

fann

es

Dergleichen

mit

anberen

Suftänben religtöfer Ergriffenheit,

bie

ich in meinem bereits langen

Erbenbafein au fühlen befommen habe. Unb ba ich fehe, bafe ihr

Dielleicht

(11)

P t) 11 o [ o p t) i | d) e 3t o d c 11 e 345 wegen jener Betroffenheit nod) nicht reben möget, fo ift eg wohl an=

gebracht, bafe id) nod) weiter fpredje unb oon mir ergähle, bamit ihr Dergleichen fönnt unb bann aus bem, was nicht war, erfennen möget, was war.

3cf> fagte fchon oorhin ober beutete es an, bafe id» eigentlich auf meine 2Irt ein wenig fromm war unb bas Beten nie gang oerlernte, aud) nicht, als id) nod) in ben ©ebanfengängen ftedte, bie fid) nicht fo recht bamit

»ertragen wollten. Slber wie alles im Seben war aud) mein grommfetn grofeen Sdjwanfungen unterworfen, unb es gab Setten bes Trofees, ber

©leichgültigfeit, ber Ermattung, ber Erwartung; anbererfeits aber aud) wieber Seiten ftarfen Aufwallens folcher ©efühle. Von leftteren finb mir einige, etwa brei ober oier, in befonbers beutlicfjer Erinnerung. Sie will id) oerfuchen, euch nod) näher gu fchübern. Sie waren burd) ben 2lnlafe nicht nur, ber fie entftehen liefe, fonbern aud) burd) ihre Eigenart unb burd) bie Slrt ihrer Einwirfung auf meinen Entwidlungsgang unter»

einanber fehr t>erfd)ieben.

Sas erfte war, wie natürlich, meine Einfegnung in meinem fünfgehn»

ten Sebensjahre. 2lls Kinb, ba id) noch reich unb fröhlich auf bem un=

Derbrauchten ©olbe bes Sebens fafe, hatte id) bie ©efd)i<hte oon 3efus unb feinen 3üngern fehr lieb. 2lls mir bann unter heiligen ©ebräudjen Brot unb Wein als fein Selb unb Blu t eingegeben würbe, ba fühlte id) wie im Taumel eine ewige S!Rad)t auf mich hernieberftürgen, unb ich betete: Herr, nimm mid) gu bir, es fann mir hier nichts mehr begegnen.

Sas oor mir liegenbe Seben feinen mir wie eine lange, gerabe Strafee gwifchen Baumreihen, leicht unb ficher gu gehen, unb bas Enbe wie ber Slnfang. Wogu eigentli<h follte ich ba entlang gehen? Es war, als gehe mid) bas Seben nichts mehr an. Wohl war es ein ftarfer, tief erregenber Einbrud, aber Enbe aller Enben nicht ein folcher, bem ich mid) erinnernb gerne unb oft wieber hingegeben hätte.

©ehr häufig aber haben meine ©ebanfen gurüdgefunben gu einem Pfingfterlebnis, bas mir ein halbes 3ahrgehnt fpäter wtberfuhr, ba ich als junger ©tubent aus bem fchon fommerheifeen, ftaubigen, lärmenben, ben nad)benflich=fchüchternen 3ungen oereinfamenben Berlin mit einem

©dwlfreunbe nach Sresben gefahren war, bie ©emälbegalerie gu be=

fuchen. S a fafe ich fehr lange

Dor

ber ©ijtina Rafaels unb fah in bie Slugen bes Hinbes, bas ber W elt ©ünbe trägt, unb bie Ewig=Weiblid)e fchwebte gu mir heran aus bem ©lange bes Himmels unb ihre reinen, entfühnenben unb entfünbenben Slugen fahen fchmerglid) gu mir: Warum haft bu mir fold)es getan? Ser heilige Vater gur Rechten aber wies auf mich: Segne aud) biefen ©ünber. S a wufete ich, bafe id) getroft fein bürfe unb mir bas Sicht bes Himmels nicht erlöfd»en werbe, unb bem ftrahlen»

ien Pfingfttage ftrahlte bie reinfte Heiterfeit meines Hergens entgegen,

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346 <r p ^ i l o f o p | > i f i j > e S J o o c l l e

als id) braufeen mid) bes blühenben gliebers freute unb ben E>übfdjen Mäbchen aunidte unb meines jungen Sebens fo recht froh war. Sange

O aljre

hinburd) blieb mir biefer Sag ber fchönfte aller Sage, oft ftärtte unb tröftete mid) bie Erinnerung baran, unb aud) jetjt toirb mir bas Hers warm, ba id) feiner gebenfe.

W as bamals bem jungen ©tubenten gefdjetjen toar, bas tonnte natür- Itch bie 33erftridung in bie »erwirrenben unb bebrüdenben ©ebanfen- gänge feiner Seit, in ber er toie alte feinesgleidjen hinein mufete, nicht

»erhinbern. Aber bie S^achwirfung in feiner ©eele hörte bod) niemals gana auf, unb bas ©efübl einer banfbaren Sreue erfüllte ihn fernerhin.

Unb wenn id) fagen burfte, bafe id) bie gähigfeit au beten nie gana ver­

lor, fo ift biefe ©tunbe wohl bie ftärffte ©tütje aur Erhaltung biefer gähigfeit gewefen.

immerhin ift es fein Wunber, bafe fo manches 3ahr »ergehen mufete, bis id) wieber einen ähnlich ftatfen religiöfen Einbrud empfing. Es ge=

fd>ah erft in jenen gefegneten 3ahren, in benen ich bie »orhin gefd)ilberte Befreiung aus ber Saft bes falten Senfens meiner Seit mir erringen fonnte, ja, es war ber Abfd)lufe biefer Befreiung. Sen Hauptfehritt baau hatte id) fchon einige 3af)te »orher getan, als mir aufgegangen war, bafe bie grofee grage nad) ber Willensfreiheit awar als Senfaufgabe

»on höchfter Sd)wierigfeit unb Wichtigfeit, für bie Sebensführung unb bte biefer augrunbe liegenbe Sebensauffaffung aber bebeutungs- los fei. Schillers Wort „3n beiner 33ruft finb beines ©chidfals ©terne"

war mir wieber Wahrheit. Auf mein religiöfes 3nnenleben aber hatte biefer, mein neuer ©inn, nod) nicht recht burchgewirft. 3m

©ebet fah ich wohl bie ftärffte unb am meiften ftärfenbe innere

©ammlung, bie bem Menfchen au feinem Heile gegeben ift, nimmer aber ein M ittel, etwas au erreichen. Vielmehr überliefe ich bas ©ebet, bas auf bie Erfüllung eines fehnlidjen Heraenswunfches gerichtet ift/

ben Kinbern, bie ba glauben mögen, einen lieben ©ott rühren au fönnen, wie fie miffen, bafe bie liebe Mutter bem glehen ihrer Augen nicht im­

mer wiberftehen fann. 3d) wufete nicht, bafe ich bamit ber menfchlichen

Schwäche gemäfe bie gröfete hetabewegenbe Kraft bes 53etens oon' mir

wies. S a fam eine Stunbe, in ber ich in grofeer ©efahr au fein unb einer

grofeen Sebensnot au »erfallen fürditete. 3n einer »on Angft unb Slot,

aber auch *>on ftärfftem 9tingen meiner ganaen Senffraft erfüllten Stacht

erfannte id), bafe bie grage ber Willensfreiheit unb bie grage ber —

fagen wir — ©ottesfreiheit, alfo bie grage, wie weit ber Menfd) in

Abhängigfeit »om Staturgefefc fei, unb bie grage bes Verhältniffes eines

persönlichen ©ottes aum Jlaturgefetj, bafe bas beibes gana biefelbe grage

fei. Sie Antwort, bie ich nur feit langem auf bie eine gegeben hatte,

mufete aud) für bte anbere gelten, ba fie ja eben gar feine anbere grage

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'P t) i 1 o [ o p t) i f ch e 3 t o D e l l e 347

war. 2Bie ich mtd) felbft als frei erfannt hatte, fo würbe nun auch ©ott wieberum allmächtig, unb fein Jtaturgefetj hinberte mehr bas bebrängte 35lenfd)enher3, um Rettung aus S^ot, um Erfüllung feiner inntgffen 2ßünfd)e ju flehen. 3Rit gewaltiger Äraft erfaßte mich biefe Srfennt*

nis unb hob mich auf ftarfen Schwingen empor an bas fjers bes all=

liebenben 33aters. 2lm nächften Sage toar alle ©efahr unb 23ebrängnis in ber STat oorüber, mir aber toar toie einem, ber einen hohen Serg erflommen hat unb nun ber gewonnenen f>6he unb SBeite fid) freut.

2lber es fehlte boch noch etwas, unb bas führt mich wieber gurüd ju bem fchliefelichen |>auptgegenftanb eurer Ausführungen, nämlich ju ber Siebe. 2lls id) oorhin ben (Entwidlungsgang meiner Sebensauffaffung unb 3Beltanfd)auung fdjilberte, ba fagte ich, bafe mir gegenüber ben 2luf=

gaben bes Sebens fo manches geglüdt fei, aber in ber Siebe oorerft nicht fo recht. Och machte bamals nicht weniges burd), unb wenn ich euch auf bie Slbgrünbe hinweifen su müffen glaubte, bte ba neben ben lichten Jpöhen ruhen, fo habe ich, wie ihr ja ficherlich auch, mancherlei baoon erfahren unb weife wohl, warum bie Religion oon einer Srbfünbe fpricht.

On §>ilbesheim gibt es befanntlich am Som einen taufenbjährigen 9lo=

fenftrauch. Sicht baneben fteht eine Heine Kapelle, bie Slnnenfapelle heifet fie, glaube id). S a gefchah mir weiter gar nichts, als bafe ich als Surchreifenber biefe Sehenswürbigfeit befid)tigte, unb auf ©runb an unb für fict) fehr alltäglicher unb gewöhnlicher Siebeserlebniffe — unb eben bas bürfen Siebeserlebniffe für manche SJtenfchen nicht fein — auf einmal, als id> in bie Slnnenfapelle trat, oon einer grofeen fjersensangfi erfafet würbe, bas Stieberjiehenbe, bas fo leicht ber ©efchlechtsliebe eigen ift, aber nicht fein follte, umfchlinge mich unentrinnbar unb werbe bie Uleinobien meiner Seele überwuchern unb erftiden. S a ftanb ich benn in ber Kapelle, unb mit ber nod) nicht fehr lange baoor neugewon=

nenen ©ebetsfraft bes oollen glehens um firhörung rang fich wir ein heifees ©ebet aus ber Seele, beffen unmittelbare 3Birfung bie fefte

»erficht war, bafe ich zwar in jenem Kampfe nie oölliger Sieger fein werbe — gibt es bas überhaupt? — aber aud) nimmer ein bauernb Unterliegenber. 2lud) wufete ich, bafe bie Sßeihe biefes Slugenblids, in treuem £>erjen bewahrt, mir helfen werbe.

Sie 3lieberlagen, bie ein jeber auf biefem Schlachtfelbe erleiben mufe, fo Jchlimm fie fein mögen unb fo unoermeiblich fie bleiben, bie burfte ich feitbem hoffen, hinnehmen au fönnen in bem feften ©efühl ber Selbft»

behauptung troft allebem.

9tun werbet ihr oon euren Sluffaffungen über bie Siebe aus, bie ihr

oorhin fo lebhaft ausgefprochen habt, oielleicht fagen, es fei eine grofee

Schwäche oon mir gewefen, bafe id) jene gewöhnlichen unb alltäglid)en

Siebeserlebniffe ober gar bas Onsfrautfchiefeen brünftiger ©ebanfen fo

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3 4 8 P l ) M o ( o p f ) i f d>i 9 t o » e l l e

fchwer genommen, unb nod) eine größere ©djwäche, id) mid) baraus ins ©ebet geflüchtet hätte. S a hätten altererbte unb oeraltete Vorftel*

lungen über mid) 3Rad)t gewonnen unb bie Kraft meines Sebenswillens mit Sefabentheit angefränfelt. ©o benft ihr roohl. Aber ihr follt nicht benfen, baß id) eud) bas glaube. 3dj) glaube es euch beshalb nicht, weif meiner SReinung nach ber SRenfd) felbft am beften weiß, wann er ftarf ober fd>wad) ift. Auch habe id) nicht fold) eine große Angft oor bem

©elbftbelügen, fonbern id) glaube boch mehr, baß man burd) anbre be=

trogen wirb. 3h* fennt alle wie id) bas ©efühl bes “ffiachfens unb ©e=

beihens oon innen hetaus. 3d) halte es für bie erfte Pflicht bes SERen­

fchen, biefem ©efühl 3 U folgen unb gerabe bie, bie bas Seben felbft als ben einzigen dichter anerfennen, müffen ber gleiten SEReinung fein.

Senn ba muß ja Sebenbigfeit fein, wo SEBachstum ift, unb wer foll es wiffen als ber SERenfch felbft, ob in ihm Söachstum fei ober nicht? 3Benn id) bamals in ber Annenfapelle ben ©ebetsbrang als ©chwäche unter»

brüdt hätte, wer weiß, ob meine Angft um bas Kleinob meiner ©eele bann nicht Söahrheit geworben wäre. 3Bas aber bas Kleinob ber ©eele fei, bas fann nur gefühlt werben; an ihm hängt bie Sebenbigfeit unb aud) bie Sebensfülle, unb ber ftärffte 3Bille ohne bas ift ober wirb fchließltch lebensarm.

©erabe aber weil ihr mir hierin wiberfprechen werbet, will ich eud) nod) weiter meine SEReinung über bie Siebe fagen, benn bas hängt enge gufammen. 3Bte fommt es wohl, baß es für ben SERenfchen fo fd>wer ift, mit ber Siebe gurechtgufommen, unb baß ©ittlichfeü unb rechtes Ver­

halten in Siebesfachen für bie meiften SERenfchen beinahe basfelbe ge=

worben ift? (Eigentlich gibt es bodh nichts Natürlicheres, einem Sebe- wefen ©emäßeres, als Erhaltung unb gortpflanjung: alfo Effen unb Srinfen, unb Sieben. 33ei biefen Singen follte es bod) eigentlid) gwar wohl ©treit unb Eiferfucht unb SReib unb bergleichen geben, was aus bem Söettbewerb um bas fjaben entfteht, aber boch feine inneren SRöte unb Kämpfe, unb bei ber Nahrungsaufnahme finb fie ja aud) faum oor=

hanben, unb als Erbfünbe erfd)eint fie ben SERenfchen fdjwerlid). SBarum aber bie Siebe? 3Barum gerabe bei bem höchftentwidelten Sebewefen, bem SERenfchen? Unb warum bringt fie unter ben SERenfchen wieberum, fo fd>eint es, gerabe bie höher Entwidelten in bie fchwerften SRöte? SBas ift wohl ber eigentliche ©runb hieroon? 3ft bas nicht in ber Sat bie Kernfrage aller ©ittlid>feit?

3ch will eud) bie Antwort barauf nicht ausbrüdlid) geben. 3d> habe wohl oiel barüber nachgebad)t, aber id» glaube, nod) lange nicht genug.

3ch will eud) aber bas, was mir bie richtigfte Erflärung biefes SRätfels

fdjeint, baburd) anbeuten, baß id) eud) fage, welchem Siele man, glaube

id), in ber Siebe juftreben müffe. Sas meine ich nämlich fehr einfach

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P f j U o j o p b i i c f r e 3t o » e 11 e 34 9

beantworten gu fönnen. 3cf) benfe, auf bem rechten 3Bege totrb ber SERenfd) fein, wenn er immer banad) ftrebt, bafe bie beglüdenbe Kraft ber Siebe nicht nur einen Seil oon ihm, fonbern ihn als ©anges ergreife.

33erftef)t ihr, was ich meine? 2Benn nur ber Seih beglüdt toirb unb f>erj unb Seele finb falt, bas fcheint bie (Seele gu beleibigen. 3ßenn aber mit ben Sinnen bes Setbes aud) bas Herg erglüht, bann befeligt fid) alles, Seib unb Seele, unb bann ift wirflich eure tounberoolle Sebensfülle einer foldjen Siebe befchert. ©efagt ift bas leicht. Aber bafe es ‘Jßirflichfett werbe, unb bafe es nicht nur auf furge Seit 2Birfltd)feit toerbe, bas fcheint aller- bings nicht leicht gu fein.

Aus fold) einer Beleibigung, bie ich meiner Seele augefügt hatte, er- touchs mir jenes ©ebet in fjilbesheim. Unb ich glaube nun einmal, bafe biefes ©ebet bie befte Sühne unb bas befte Heilmittel gewefen ift unb ich nicht nur nichts Klügeres, fonbern auch nichts Sebensfräfiigeres tun fonnte, als eben toas id) tat.

S)as toar nun eine innere Seelenreinigung, bie aus Sünbe unb See­

lennot entftanb. SSßas ich oorher aber erzählte, toie ich in §urd)t toar oor fd)toerer ©efahr unb mich gum ©ebet um SRettung burchrang, bas ge- fchah in ftärffter ©ebanfenanftrengung unb im SRingen um richtige (Er­

kenntnis. 3ßas aber ein paar 3ahrgehnte baoor mir gefchah, als id) bie Sijttna fah, bas gefchah burch bie Kunft, bie ja mit ber gähigfeit be=

gnabet ift, mit bem, toas eines grofeen SERenfchen Seele betoegt hat, auch toenn er lange geftorben ift, eines anberen Seele gu ergreifen. Unb toenn ich bei meiner Sinfegnung mid) oon ©ottes fmnb berührt fühlen fonnte, fo toar es bie Kirche unb bie im ©ottesbienft ausgeftaltete (Erfahrung langer Oahrfjunberte, bie bas bewirft hatte. So entftanben bie mächtigen religiöfen (Erfd)ütterungen, bie ich erfuhr, jebesmal burd) ettoas anberes, gweimal aus bem ©ottesbetoufetfein bes SERenfchen, toie es ftcf> in langen unb längftoergangenen Seiten geftaltet hatte, gweimal aus innerem Gin­

gen meines ©eiftes unb meiner Seele.

©ang anbers aber toar es mit jener (Erfchütterung, bie mid), glaube ich, am tiefften ergriff, mit bem SERarientraum, oon bem hauptfächlid) id) euch ergählt habe. ®a fam nichts oon aufeen an mich heran, unb auch oon innen erftrebte ich gar nichts, fonbern ich war nur ein Schlafenber, unb im Schlafe tourbe es mir gegeben. ®a fann ich fein anberes 3Bort bafür gebrauchen,als bafe ich es als eine ©nabe begeid)ne, burch f>ie es mir toiberfuhr. Unb um jo bebeutungsooller tourbe es für mid), unb bie Kraft biefes (Erlebniffes toar ftärfer als bie jener anberen oiere.

SRun tounbert euch nicht gu fehr über bas, toas id) euch gefagt habe

unb überhaupt über meine SRebfeligfeit. ®enn ba ich ben (Entfdjiufe fafete,

cs euch 3U erzählen, ba entfd>lofe ich mid) auch, getoiffermafeen gange

Arbeit gu tun unb alles aufgubieten, es fo gu ergählen, bafe ihr es richtig

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350 ‘•PbilojopbHc^c 9t o » e 11 e

»elfteren unb oielleicbt aud) mitfühlen fönnt, toas id) bamals füllte.

Unb ba icf) ben Ernft in euren Augen fefje, glaube id) recht bamit getan gu haben. Socf) aber fcheint mir, id) müffe nod) etroas bingufügen.

Sßenn ein SRenfcb eine grofee Beglüdung ober Befeltgung erfahren hat unb fein Seben ebbt toieber gurüd in bie gewohnte Alltäglicbfeit, mufe ihn bann nicht eine ©ef>nfud)t ergreifen, bafe ihm loieberum unb toteberum jene Begnabtgung toiberfafjre? SRufe benn nicht, toenn es ficb um fo ettoas ©rofees unb ©tarfes fjanbelt, biefes SERenfchen ganges 2e=

ben oon folgern Verlangen beberrfcbt »erben, mufe er nicht in ber Sat alles Ergeben, toas er bot unb ift, um aufs neue ber ©nabe teil»

baftig gu toerben? 3Bie ftefjt es barin mit mir, bas glaube icb, mostet if)r nod) toiffen.

Och weife nid)t, toas id) gebaut unb getan hätte, toenn id) in bem Be=

fenntniffe aufgetoadjfen toäre, bas gang befonbers ber Verehrung ber Oungfrau SRaria fid) toibmet. Vielleicht batte icb bann in biefem Sraume eine Berufung gefeben unb eine Verpflichtung gefühlt über biefen be=

fonberen Suftanb hinaus, in bem ich mich befanb, unb ber allmählich ab=

flang. Vielleicht hätte id) bann geglaubt, aud) nachher, als biefer Su“

ftanb oorüber toar, fo leben gu müffen, als toenn er nod) fortbeftänbe, unb alles oon mir gu tun, toas biefem 3uftanb, folange er beftanb, nicht gemäfe toar. Alfo gum Betfpiele aud) bie Siebe, fo bafe ihr bann heute unfere Kinber nicht gefeben unb euch nicht mit uns an ihnen erfreut hättet. Vielleicht auch, toenn id) fatbolifch getoefen toäre, hätte ich bte Verpflichtung gefühlt, nun mein Seben nicht nur als ©ebetltgfer gu füb=

ren, fonbern auch baoon gu oerfünben unb eine folche Berufung an anbere SERenfchen toeiter ergehen gu laffen. Vielleicht hätte id) aud) ge=

glaubt, burd) irgenbtoelcbe Vergeiftigung meines Sebens, tote fie burch bie Erfahrungen ber Kirche gegeben fein mag, auf bie SfBieberbolung eines fold)en Befeligungsguftanbes gu totrfen, unb id> fann ja nicht genau toiffen, bafe eine folche bann nicht möglich getoefen toäre.

Aber oon allen biefen toar nichts in mir. Söohl ftreifte ich balb nach­

her gelegentlich ben ©ebanfen an folche Verpflichtungen, aber es toar eben nur ein ©ebanfe unb nicht ettoas, bem ein innerer Srang inne=

toobnte. Sas allerbings tft toahr, bafe bamals, als nod) jene unnennbare Empfinbung in mir lebenbtg toar, toenn ich ba ettoa, toas fonft toohl gu=

geiten bem SERenfchen gefchieht, mich irgenb ©ebanfen leiblicher Ent=

güdung hingegeben hätte unb baburd) jene Empfinbung oerlöfdjt, id) bie fd)toerfte ©ünbe begangen unb bte ©eelenbeletbigung oerübt hätte, oon ber ich vorhin fprad), unb bte mir bte eigentliche Erbfünbe bes SERenfchen gu fein fcheint. Aud) bas tft toahr, bafe ich ehrfürchtige Erinne­

rung an jene ©tunbe für alle Seiten als hohe, mir auferlegte Pflicht

fühlen mufe. Unb fchliefelicb, aud) bas toill id) nicht abftreiten, bafe idj ba=

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‘■p

i)

i lo j op i) i( d) e

N o e e l l e 351

oon rebert mufe, wenn es mir tote heute fo fdjeint, als ob es mit (Er­

folg gefchehen fönne. Obgleich ich mir barin nicht gang flar bin, benn bie 3Borte haben etwas (Erftarrenbes, unb 33erfünbiger werben leicht ju 53erfteinerern.

Aber irgenbwie nach einer 2Bieberholung biefes (Erlebniffes au ftreben, bas blieb mir gana ferne. <5o grofe auch bie 33eglüdung war, nicht wegen einer 33eglüdung gcfrfjah mir bas, fo fchien es mir, fonbern als Reini­

gung. Safe es aber, wie ich oorhin fagte, ein fo tiefes Atmen war, bas war wohl eben beshalb, weil es eine ©nabe war unb weber ich etwas baau getan hatte noch ein anberer. Alfo alles, was ich etwa fernerhin baau getan hätte, hätte ja nicht nufeen, fonbern nur fchaben fönnen. 3Benn aber ein gleiches wieberum mir nötig gewefen wäre, bann fäme es wohl wteber, fo wie jenes fam. Sas war fo etwa meine SReinung, fofern ich überhaupt nachbachte barüber, was mir eigentlich gar nicht nötig fehlen unb nicht einmal gut. Sonbern gana unbefangen, als jenes oorbei war, wenbete ich mich wieber bem Seben au unb auch ber Siebe. Rur trug ich etwas Koftbares mehr in meiner ©eele.

Aber tcf> freue mich bod), bafe ich mich überwunben habe unb habe euch biefes eraählt, obgleich es nur burch 2ßorte gefchehen fonnte. Senn ift nicht in ber ja t bie Sücfe, bie mir in eurem Senfen au fein fchten, ba- burd) erfüllt? Söenn ihr midh recht oerftanben habt, bann müfet ihr gefühlt haben, bafe es ein inneres (Erleben gibt oon folcher Sebenbigfeit unb gülle, bafe bas, was euch als bie höchfte Sebensfülle erfchien, bie Siebe — unb ich fefee hinau eine rechte, ben ganaen SERenfdjen ergreifenbe Siebe —, baburd) gleichfam aum 3?erfd)Winben gebracht wirb unb ber Rtenfch barüber hinausgehoben. 6s wirb ja 3Renfchen geben unb ge­

geben haben, bie bas was ich erfuhr, nicht nur fo erfahren haben wie ich, als wie einen furaen 33efu<h, fonbern in benen jene (Empfinbung bauernb 3Bohnung nimmt. Sas hiefee bann nicht etwa, bafe biefe SSRenfchen bem Seben abgefehrt würben. Senn es ift ja Seben unb höchfte Sebenbigfeit, was fie erfüllt. Aber es hiefee, bafe fie nicht fo leben fönnen wie etwa wir leben, fonbern fo wie biefe Sebenbigfeit es ihnen gebietet. Unb barüber fann feiner rid)ten ober urteilen, wer nicht in feinem fieraen baoon er­

füllt ift ober es erfahren hat. Unb wäre ich nun fo einer gewefen, bem folche 25egnabigung für immer auteil geworben wäre, unb ich hätte ba­

nach leben müffen — benn b as wäre ja gar nicht anbers möglich ge­

wefen — glaubt ihr, ihr hättet mir fagen fönnen, ich fei lebensfeinblich unb befabent unb erfüllte meine oberfte Pflicht nicht, mich ausauleben?

©ar nichts hättet ihr mir fagen fönnen. ©ebanfen finb nötig unb ich bin ber SSReinung, bafe ber SRenfch gar nicht genug nachbenfen fönne.

Aber bod): fd)liefelich entfdjeiben ©ebanfen nicht, unb fo wenig mit ©e=

banfen beftimmt werben fann ob eine 9Relobte fchon ift, fo wenig fagen

unb Seben. I V . 2 4

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352 ' P b i l o f o p b U c & e 9 l o » e l l e

fte über bas, toas bie Menfdjenfeele erfahren fann. Es finb ja aud) Me=

lobten, was fo bas innerfte Herg erlebt. Eine Melobte aber, folange fie erflingt, ift für fid) ba unb fennt nur fid). Wenn bie Worte Beettjooens, bie er über bie

missa solemnis

fchrieb: „Von Hergen, möge es gu Hergen geben", toenn biefe Worte fid» bei einem, ber feinen ©efang hört, er=

füllen, bann ift biefer Menfd) oon Beethooens Seelenfülle ooll unb fein Raum tn ihm für ein anbers, nod) fo Schönes, unb fei es ein ßiebesgefang Mogarts. B is in feinem Hergen jene Weife cerflungen ift, tote alles oer- flingt in ber Welt, unb nur bie Erinnerung bleibt, bie er heilig galten foll.

Sehr leicht fommt es toof)l oor, bafe ein Tor, beffen Herg oon anberen Melobien erfüllt ift, jenen fdjmäht, ber feine eigene Weife für fid) bat.

Unb fo wäret tt)r Toren, als ihr bte fdjetnbar bem ßeben Entfagenben fd)mäl)tet, benn ihr toifet ja nicht, toas fie in fid) tragen. Rur ber bürfte aud) mit ©ebanfen urteilen, ber bas ©ange in fid) trüge unb oon aller nur möglichen ßebenserfahrung erfüllt wäre. Wo ift ber?

Sas ©ange aber ift nidjt auf einmal ba. Stiles teilt fid) in ber W elt, unb eben barum rnüfet ihr bulbfam fein. 3m ßeben bes Eingelnen feilt fich fo Vieles, unb tote id) heute ein anberer bin unb bod) berfelbe als in jener Rächt, fo ift ein jeber immer eins unb bod) oerfdjieben, alfo bafe für ihn manchmal Sünbe ift, toas ein anbermal Erquidung unb ohne 2lrg.

Unb unter ben Menfchen teilt fich bas Vorhanbene, unb toas bem einen gegiemt unb ihm Pflicht ift, bas barf ber anbere nicht, unb feiner foll fchelten ober hoffen. Senn alles ift ber Teil eines ©angen, unb geinbltd)=

feit ift Mtfeoerffänbnis. Sas leftte aber erfdjliefet fid) nicht — unb ob toir bann toir felber finb, ift ein ©eheimnts.

3nbem ich nun aufhören will, bamit ihr auch toieber ettoas fagen fönnf, toill id) euch noch an einem Befifttum, bas meine Erfahrung unb mein Senfen mir gegeben haben, teilnehmen laffen, toenn ihr es mögt.

Es ift bie Erfenntnis, bafe fein 3uffanb, ber ooll erfüllt toerben foll, allein in fid) felbft ruhen barf. Vielmehr mufe er bagu über fid) hinausftreben, tote ja auch &er Menfd), ber oöllig er felbft fein toill, nicht nur er felbft bleiben barf, fonbern fid) hingeben mufe an eine Sache ober ein 3iel ober ein Volf ober einen anberen Menfchen. So auch, t»er biefes trbifche ßeben gang unb toirflid) leben totll, ber fann es nicht, inbem er fich nur biefem ßeben rotbmet unb auf bas Wirfliche befdjränft. Sonbern er mufe ettoas haben barüber hinaus: eine Ahnung ober eine Hoffnung ober einen ©lauben ober einen 3*oetfel, ber ja etn Ringen um alles biefes ift.

Wenn er bie gühler nicht ausftredt nad) einem Mehr=als=ßeben, bann

oerarmt thn biefes ßeben unb auch bie ßtebe toirb ihn oerarmen. Sie

güf)ler finb ba, bes toerbet ihr erfahren haben unb weiterhin erfahren,

toie ja aud) ich es manchmal erfuhr: am ftärfften bei biefem Traum unb

ber Stunbe, bte ihm folgte.

(19)

S B i l b e l m S i l t ^ e p 353

35on ® r i c& 6 <$ r a m m

©roß ift in unferer rutjelofen Seit, 6a alles toanlt unb toedjfelt, bei ernften SJlenfchen bie ©ehnfwht nad) ©tetigfeit, nach feften unb bleiben»

ben Werten, auf bie man fid) »erlaffen fann, unb nad) einem toirflid) überragenben ©eifte, ber bie Sinjelerfdjeinungen im Sufammenhang ber 3ahrhunberte su fd>auen unb su toürbigen weife. Sarum bürfte bie be»

beutenbfte pf)ilofophiegefd)id)t[id)e S'leuerfdjeinung bes Seubnerfchen Ver­

lages, bie © e f a m m e l t e n © d> riften W i l h e l m ® i i t h e p s , für niele eine hochwillfommene ©abe fein.

Kurj »or Ausbruch bes großen Weltfrieges erfd)ien ber erfte 55anb biefer ©efammelten ©Triften. Als ich ben Vanb bamals in einer länge»

ren (^haraftcriftif anjeigte, fonnte id) auf bie Erhabenheit bes philo»

fophifdjen ©elftes über ben Wechfel ber Seitereigniffe hinwetfen. 3nswt=

fehen finb Weltfrieg unb 9te»olution über uns bahingebrauft; bie trüben Ahnungen, bie einen Silthep fd>on lange 3ahre oor biefen großen Um»

toälaungen in ©emeinfchaft mit feinem treuen greunbe Ernft oon W il»

benbruef) befd)ltd)en hatten, finb in furchtbarer Weife in Erfüllung ge»

gangen, ohne bafe jernanb imftanbe getoefen wäre, bas Verberben auf»

juhalten. ©eblteben aber finb bie flaffifchen Seiftungen unferer Sichter unb Senfer, frifch toie am erften Sag liegen fie oor uns unb Iaffen uns febeinbar abgeriffene gäben toieber anfnüpfen. fmnbert 3ahre finb hier toie ber Sag, ber geftern »ergangen ift. —

Sie 23ebeutung Siltheps für bie Entwidlung bes philofophifdjen

©elftes ift noch lange nicht hinreichenb erfannt. ©eine Wirffamfeit fällt in bie Seit, in ber es fid) um ©ein ober ^ichtfein ber ^Phikfophte über»

haupt hanbelte. Sie sunehmenbe ©peaialifierung ber Erfahrungstoiffen»

fchaften, ihre oon ben ejaften SKethoben ber ejperimentellen S'iatur»

wiffenfchaft unb ber quellenforfdjenben ©efchid)tstoiffenfd)aft ausgehenbe Ablehnung jeber ©pefulation mad)te es unmöglich, nod) an bem alten fpftematifierenben ©eifte ber ibealiftifchen ^Philofophte feftguhalten. Sie W elt fiel gleid)fam auseinanber in ihre Seile, unb »or ber Wucht ber Erfahrungstatfachen aerflatterte bas geiftige Vanb, mit bem ber fühne 3beenflug Hegels jene Setle nod) sufammengehalten hatte.

Sie grofee grage in biefem Augenblid toar alfo, ob Statur» unb ©e- fchichtstoiffenfchaft alle rein philofophifche ©ebanfenbtlbung unhaltbar unb überflüfftg machen toürbe ober ob biefe bod) nod) eine gang eigene, bebeutfame 9tolle in ber W elt ber harten Satfachen fpielen fönne. ©ootei ftanb feft: ein Opfer »on fetten ber ^hifofaP^ie mufete gebracht werben.

Unb biefes Opfer toar ber Versieht auf ein lefetes umfaffenbes ©pftem:

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Cytaty

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niger ber geifttgen (Einheit aller gorfebung, im Säger ber ©eiftesroiffen- fchaften eine fehr abfällige SJleinung über bie f&gt;etlfunbe ausgebilbet, bie für bie

bewußten fortwirfenbe Sätigfeiten auf. Nun ift aber ber begriff einer einmal im 23ewußtfein sorhanben gewefenen unbewußten feelifchen lätigfeit ein 3Biberfpruch in

SBäre bies — auf eine, an unferer (Srlebnisfähigfeit gemeffen, große 3 ahl Don ßreigniffen be3ogen — n i ch t ber galt, fo müßte uns bies erft recht als

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©efunbheits 3 uftanb beiber Teile fann nur auf folche SEBeife erhalten werben. £&gt;ier burch Nachläffigfeit, Unwiffenheit ober burd) falfche 6 djam bas ©lüd sweier

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