Berlin, den 17. Dezember 1898,
ff-
sss J fAdventiften.
Weber den Kanal undaus dem wachsendenWeltreich des Sternen-
g« banners klingen seit ein paar Tagen Jubelgesänge ins deutsche Land.
So süß tönt die Weise, als wäre nachlanger, der bangen Sorge unend- lichscheinender Winternacht mit der Morgenfrühe der Lenzeingezogen, der Menschheitbeglücker, und hätte mit lindem Wehen die dräuenden Wolken und dunklen Schreckgespenster für immer verjagt. Naht dem alten Traum der angelsächsischen Adventisten
nundie Erfüllung ? Dürfen die heute Lebenden hoffen,
ausirdisch befangenem Auge den Beginn des Tausendjährigen Reiches zu sehen, dem vielleicht schon dieser Advent als fröhliche,selige Bereitungzeit dient? Fast scheint
esso; denn die Jubelgesängehaben in der Weihnachtruhe des protestantischenDeutschlands ein lautes Echo geweckt,
neueEvangelisten verkünden auf Holzpapier täglich den Anbruch einer beglückenden Weltwende und
vonden Gebietenden
—die manchmal freilich
nurmit Gebietergeste einem höheren Willen gehorchen— wird das Bild unserer politischenLage in rosigenFestfarben gemalt. Neben dem gesänstigten Lcun wird auf fruchtbarenWeideplätzen nächstens das Lamm friedlichgrasen,
vomHimmel wird Manna herniederregnen und der Alliirte
vonDennewitz wird seinen frommen Lieblingen
vomstarken Germanenstamm eine Be- scherungrüsten, wie seit den Tagen der Chiliasten kaum je ein Menschenhirn sie in sostrahlender Fülle zu träumen wagte. Ein nüchterner,erfahrenerMann, der seine Worte klug zu wägen und fein zu fügenweiß,Herr Bernhard
vonBülow, Excellenz,hat den in den Wahlen zu politischerErkenntniß des Guten und Bösen Geweihten mitgetheilt, wie vortrefflich
esdem Deutschen Reich heutzutage ergeht. Der Dreibund besteht in alter Pracht und wird, wie
erwar34
492 Die Zukunft.
und ist, weiterbestehen. Des Kaisers
vonNörglern bekrittelte Fahrt ins Heilige Land hat ringsum dem deutschenAnsehen zu alten
neueStützen ge- schaffen. Mit allen Großmächten verbindet uns festeFreundschaft, kein Wölk- chen zeigt sich
amHorizont und zum ersten Male ergiebt sichjetzt die Mög- lichkeit, die Jntimität des Verhältnisses zum Britenreich inniger zu gestalten, ohne dadurch doch die guten Beziehungen zu anderen Staaten zu stören. An- dächtiglauschte der holdenBotschaft das nicht beim Bier beschäftigte Volk ; und die liberalen Greise, die in ihrem Mannesalter, in der für die deutsche Ge- schichtekritischenEpoche der sechzigerJahre, nicht laut genug wider die
aus-wärtigePolitik des elenden Rufsenknechtes Bismarck wettern konnten, singen
nunin getragenenTönen inbrünstig das Lob der
neueninternationalen Reichs- politik,
ander »auch
vonder entschiedenenOpposition nicht das Geringste
aus-zusetzensei«, und erklären, Herr
vonBülow sei vollen Vertrauens eben so wür- dig wie weiland Herr Marschall
vonBieberstein. Jn diesemfreundlichen Ur- theil treffen sie wieder einmal mit den Engländernzusammen, die auch
vonder vorläufigletztenWendung der deutschenPolitik sehr befriedigt sind und ohne Ermatten durch den Kanalnebel rufen, dem Weltsrieden sei eine neue, felsenfesteBürgschaftgesichert,
wennzwischenBritannien, den Vereinigten Staaten und dem DeutschenReich das Freundschaftband enger geknüpft werden könne. Michel hat Glück: der liebe Vetter John Bull und der gute Onkel Sam sorgen, zärtlichvereint, für sein Wohl. Noch wird die Herrlichkeit der erhofftenBescherungihm zwar verborgen; aber selbst die artigsten Kinder dürfen ja, ehe nicht die Weihnacht dämmert, das Gaben- zimmer nicht betreten und müssen sich mit dem Wonne verheißenden Duft
vonTannennadeln, schmelzendemWachs und Pfefferkuchentrösten, bis die Feierstunde geschlagenhat. Diesen Kindertrost bieten den Deutschen jetzt die säuberlichgesammelten Spruchweisheiten der englischen und der amerikanischenPresse. Ueber den Kanal und aus dem wachsenden Welt- reich des Sternenbanners klingen Jubelgesänge in das deutsche Land.
Und da die Sonne warm, als lebten wir nicht im dunkelsten Winter- monat, auf die grünen Christbäumeniederschien, konnte leicht auch in gläubigen Herzen die Märchenhoffnung auf einen ewigen Lenz erwachsen.
...Der böseBismarckstört, wie
erslebend sooftthat, auch nach seinem Tode noch dem Volke, das ihn ertrug, die Feiertagsfreude· In seinen
»Gedanken und Erinnerungen«liest
mandie Sätze: »Die internatio-
nale Politik ist ein flüssigesElement, das unter Umständen zeitweilig
fest wird, aber bei Veränderungen der Atmosphäre in seinen ursprüng-
Adventisten. 493 licheU Aggregatzustand zurückfällt. Die clausula rebus Sie staubi- bus wird bei Saatsverträgen, die Leistungen bedingen, stillschweigend angenommen. Der Dreibund ist eine strategischeStellung, die ange- sichts der zur Zeit seines Abschlussesdrohenden Gefahren rathsam und unter den obwaltenden Verhältnissen zu erreichen
war.Er ist
vonZeit zu Zeit verlängert worden und
esmag gelingen, ihn weiter zu
ver-längern; aber ewige Dauer ist keinem Vertrage zwischenGroßmächten gesichert und
eswäre unweise, ihn als sichere Grundlage für alle Möglichkeitenbetrachten zu wollen, durch die in Zukunft die Verhält- nisse, Bedürfnisse und Stimmungen verändert werden können, unter denen
erzu Stande gebracht wurde. Er hat die Bedeutung einer stra- tegischenStellungnahme in der europäischen Politik nach Maßgabe ihrer Lage zur Zeit des Abschlusses; aber ein für jeden Wechselhaltbares, ewiges Fundament bildet
erfür alle Zukunft eben so wenig wie viele frühereTripel- und Quadrupel-Alliancen der letztenJahrhunderte und insbesondere die Heilige Alliance und der Deutsche Bund. Er dispensirt nicht
vondem toujours
envedette!« Und im nächstenKapitel heißt
es:»Die Be- theiligung Oesterreichs
ander türkischenErbschaft wird
nurim Ein- verständniß mit Rußland geregelt werden und der österreichische Antheil wird
umso größer ausfallen, je mehr
manin Wien zu warten und die russischePolitik zu ermuthigen weiß, eine weiter vorgeschobeneStellung einzunehmen.
..Das Feld, auf dem Rußland Anerbietungen machen könnte, ist ein sehr weites, nicht
nurim Orient auf Kosten der Pforte, son- dern auch in Deutschland auf unsere Kosten. Die Zuverlässigkeit unseres Bündnisses mit Oesterreich-UngarngegenübersolchenBersuchungen wird nicht allein
vondem Buchstaben der Verabredung, sondern auch einiger- maßen
vondem Charakter der Persönlichkeiten und
vonden politischen und konfessionellenStrömungen abhängen, die dann in Oesterreich leitend fein werden. Gelingt
esder rufsischenPolitik,Oesterreich zu gewinnen, so ist die Koalition des SiebenjährigenKrieges gegen
unsfertig, denn Frankreich wird immer grgen
unszu haben sein, weil seineInteressen
amRhein gewichtigersind als die im Orient und
amBosporus. Jedenfalls wird auch in der Zukunft nicht blos kriegerische Rüstung, sondern auch ein richtiger politischer Blick dazu gehören, das deutscheStaatsschisf durch die Strömungen der Koalitionen zu steuern, denen wir nach unserer geo- graphischenLage und unserer Borgeschichteausgesetztsind. Durch Liebens- würdigkeiten und wirthschaftliche Trinkgelder für befreundete Möchte
34i’
494
werden wir den Gefahren, die im Schoß der Zukunft liegen, nicht
vor-beugen, sondern die Begehrlichkeit unserer einstweiligen Freunde und ihre Rechnung auf unser Gefühl sorgenvollerBedürftigkeit steigern... Dem Vortheil, den der deutschen Politik ihre Freiheit
vondirekten orienta- lischenInteressen gewährt, steht der Nachtheil der centralen und expo- nirten Lage des DeutschenReiches mit seinenausgedehnten Vertheidigung- fronten nach allen Seiten hin und die Leichtigkeitantideutscher Koalitionen gegenüber. Dabei ist Deutschland vielleicht die einzige großeMacht in Europa, die durch keine Ziele, die
nurdurch siegreiche Kriege zu erreichen wären, in Versuchung geführt wird. Unser Interesse ist, den Frieden zu
er-halten, während unsere kontinentalen Nachbarn ohne Ausnahme Wünsche haben, geheime oder amtlich bekannte, die
nurdurchKrieg zu erfüllensind.
Dem entsprechendmüser wir unsere Politik einrichten und
unsdurch keine Ungeduld, keine Gefälligkeitauf Kosten des Landes, keine Eitelkeit oder befreundeteProvokation
vorder Zeit
ausdem abwartenden Stadium in das handelnde drängen lassen;
wennnicht: pleetuntur Achivi.«- Daß Rußland sich mit dem der Slavisirung verfallenen Oester-- reich über die wichtigstenLebens-fragenverständigthat, weißjederwachePo- litikerz und auch darüber sollte nirgends ein Zweifel bestehen, daß nicht
anallen wichtigen Stellen der habsburgisch-lothringischenMonarchie die deut- schenAspirationen bestattet sind. Der Dreibund wurde geschlossen,
umRußland zu zeigen, daß dem Deutschen Reich sich auch andere Bündniß- möglichkeiten böten als die
vonGortschakow und Katkow emsig unterminirte Erbfreundschaft; für Oesterreich ist dieser Bund, seit die Kaiser Franz Joseph und Nikolaus sich über die gemeinsameRichtung ihrer europäischen Politik geeinigt haben, werthlos geworden,
——und
vonder kriegerischen KraftJtaliens, dessenWohlstand unter der lüderlichen Wirthschaftgewisf
en-loser Leute mit jedem Monat mehrschwindet, kann im Ernst nicht die Rede fein. Die Zeit des Dreibundes ist dahin:
manwird eine Weile noch
vonihm sprechen, aber wir würden in kritischen Stunden auf seineWirksamkeit vergebens rechnen. Die Gefahren, die der einsame Mann im Sachsenwald seinerkünstlichen Schöpfungnahen sah, sind nicht in einem müssigenHirn
er-dichtet und der Gedanke
andie Koalition des SiebenjährigenKrieges kann
nurflüchtigen Oberflächenbetrachtern sthbrichterscheinen. Man mag darüber streiten, ob gerade jetzt der Versuch rathsam ist, das alte durch ein neues Bündniß zu ersetzen; der Frage aber, ob wir
vonEngland und Nordamerika, unseren wirthschaftlichenKonkurenten, politisch Et-
Die
Zunme
Adventisten.
495 waszu hoffen und zu gewinnen haben, wird Jeder, der
vonBismarck Wägbares wägen gelernt hat, ohne langes Ueberlegen die Antwort finden.
Herr Joseph Chamberlain, den deutscheZeitungschreiber gern als einen hohlen Maulhelden vorsühren,ist heutevielleicht der schlaueste unter den europäischen Staatsmännern ;
erentstammt der aufsteigendenSchicht der weltläufigenJn- dustriellen,weiß, wie
manaus fremden Märkten Geschäfte macht, und scheut die Kundenfängerpflicht nicht, einem Zahlungsähigen, mit dem
erabschließen möchte,schmeichelnd und streichelnd die Unterschrift abzulisten. Wenn dieser Geriebene jetzt Deutschland rühmt und in ein Bündniß mit Briten und Yankeeshineinzulockensucht, so ist
ersicher, daß ihn, trotz Jameson und Krüger, der Instinkt seiner politischlängstreifen Landsleute versteht:gelingt es, die im DeutschenReichruhmvoll waltenden Herren zu bündigen Ab- machungen zu drängen, dann ist der indischeBesitzEnglands auf Jahre hinaus gesichert und die Früchte des Sudanfeldzuges können gemächlich in Egypten gesammelt werden; und scheitert schließlich der Plan, dann hat
mandoch wenigstens Zeit gewonnen und kann inzwischenhoffen, mit dem Schreckbild der möglichen
neuenKombination Rußland und Frankreich zu kirren. Giebt
esim Lande Bismarcks wirklicherwachseneMenschen, die dieses Spiel nicht durchschauen, auf fabelhaste Bescherungen harren und
vomWonne verheißenden Duft der im verschlossenenZimmer auf- gestapeltenWeihnachtherrlichkeitsich in holdeMärchenträume lullen lass en?
Mit sicherer Hand hat noch der machtlos alternde Bismarck den Weg vorgezeichnet, den in der nächstenZukunft die deutschePolitik wandeln muß,
wennsie
vorSchaden bewahrt bleiben und den AchäerndesJoches Schwere ersparen will. Nicht wechselndeKombinationen, heute Anglophobie und morgen Anglophilie, vorgestern überschwängliche Freundschaft mitRußland und gestern Verbrüderung mit den Türken, können
unshelfen; wir brauchen eine ruhige,
vonNervosität undHysterie freiePolitik, die in der Fülle des Möglichen das Nothwendige klar erkannt hat und, ohne zu blinzeln, ihr Ziel fest im Auge behält. Dem Traum der Adventisten ward in der gemeinen Wirklichkeit der Dinge die Erfüllung bisher versagt und
eswird nachmensch- licherVoraussicht auch jetzt noch ein Weilchenwähren, bis neben dem Lamm der Leu auf fruchtbarer Weide grast. Dem Kindheitwahn Entwachsene
er-hoffen
vonder Bescherungstunde kein Wunder mehr und sie vergessennie, mag die Sonne noch so
warmaus die grünen Christbäumeniederscheinen, daß die Adventzeit in den dunkelsten Wintermonat des Nordens fällt.
sk-
496
« DieZukunft.
Jüdische Wirthschaftgeschichte.
3.-I«) Von der ersten Besiedelung des Landes biszur Spaltung
desReiches.
. .as
Land Kanaan, das sich das israelitifche Volk eroberte, hatte eine Größe
vonetwadreihundert Quadratmeilen. Der Küstenstrich, so weit
erHäfenbesaß, blieb in den Händen der Handel treibenden Phönizier und Philister.
Auch die Städte des Landes wurden noch lange
vondenebenfalls Handel treibenden Kanaanitern gehalten. Die Jsraeliten ergriffen das platte Land, das guten Boden hatte und reich
war anWasserbächen, Seeen und Quellen, die in den Bergen und Thälernentsprangen, und das sichdurchgünstigeklimatische Verhältnisseauszeichnete.Freilich
warauch hier die Fruchtbarkeit keine frei- willige. Die Wüste fraßurn sich,
woihr nicht entgegengearbeitet wurde.
Aber der Schweiß des Angesichtesthat Wunder. Die terrassirten Berge
warenmit Wein und Oliven bedeckt. Die Thäler und Ebenen trugen Weizen und Gerste in Fülle. Der reichePflanzenwuchs der Gebirge, des Bafchan-Karmel
u.s.
w.,machte die Viehzucht zu einer der einträglichsten Beschäftigungen. So winkte in dem Lande, da Milch
undHonig floß, der unverdrossenen Arbeit reicherLohn.
So, wie
dasLand
vonden Stämmen erobert wurde, ist
esgleichmäßig
unterdie waffenfähigen Männer vertheilt worden. Die Kämpfe mit den Eingeborenen und gegen die feindlichenNachbaivölker dauerten fast dreihundert Jahre. Trotzdem wird
nureinmal in einer
ankriegerischerBedrängniß be- sonders reichenZeit, in der Periode der Richter,
voneiner Hungersnoth im Lande berichtet. Sonst
wardie ökonomische Lage des Volkes, trotz allen Kämpfen, eine rechtbefriedigende. Immer wieder kehrten die in den Waffen geübten Bauern gern zum Pfluge zurück. Der Acker gab ihnen reichlich,
wassiebrauchten. Er gab ihnen sogar Ueberschüsse
anGetreide, die sie gelegentlich zu guten Preisen berkausten. Das Volk erfreute sichunzweifelhaft eines gewissenWohlstandes,
vondem die prachtvollen Ruinen
derhauranischen Ebene zeugen.
Als selbständige Handwerker werden in dieser Periode
nurTöpfer und Schmiedeerwähnt. Alle übrigenBedürfnisse deckten sich die bäuerlichen Wirthe selbst durch ihrer Hände fleißige Arbeit. Und ein Theil dieser hauswirth- schaftlichenErzeugnissescheint sogar Gegenstand des Handels gewesen zu sein.
Denn
esheißt
vonder israelitischenHausfrau: »Sie suchet sich Wolle und Flachs und arbeitet nach der Kunst ihrer Hände. Sie macht Hemden und verkauft sie und liefert Gürtel
andie Kanaaniter.« Der ganze Zwischen- handel ruhte so ausschließlich in den Händen der Kanaaniter, daß dieser Name allmählich mit dem Begriff »Krämer«
und»Krämervolk« identifch wurde.
V)
S.»Zukunft«
vom 10.Dezember
1898.JüdischeWirthschaftgeschichte. 497 Die Sitten und Gebrauche
wareneinfach. Das Volk lebte gottesfürchtig und
treuden Gesetzen. Die Steuern nnd Abgaben bestandenausschießlich in Naturalleistungen. Arme und Reiche gab
esnicht. Ein Jeder lebte
unterseinem Weinstock und
unterseinem Feigenbaum. König Saul kommt noch
»hinter den Rindern
vomAcker heim.« David wird
vondem Felde,
woerSchafe weidete, herbeigeholt,
umzum König gesalbt zu werden. Und so sehr lebt dieses Volk im Geiste der mosaischenGesetze, daß Gideon, nachdem
er
die Madjaniter besiegt und reiche Beute an goldenen Ringen, Halsketten und Purpurgewändern gemachthatte,
ausdem Gold der Ringe dem Herrn ein
-Dankesdenkmal errichtete-
Diese Zustände und Verhältnissebeginnen sich langsam zu ändern mit der Einführung des Königthumesdurch das Volk zum Zwecke der Beendigung seiner kriegerischenBedrängniß. Samuel hat diese Entwickelung zutreffend vorausgesagt: »Der König wird Euch Eure Söhne nehmen zur Gefolgschaft seiner Würde, zum Ehrengeleite zu Roß oder als Vorläufer zu Fuß, auch seine Aecker werden sie bestellen müssen und seinen Waffenvorrath anfertigen.
Eure Töchter werden Leckerbissenfür seine Tafel bereiten müssen. Eure besten Felder wird
ernehmen,
umsie seinen Söhnen zu geben, und
vomErtrag des Bodens wird
erden zehntenTheil nehmen,
umseine Hofdiener und Ver- schnittenen zu lohnen. Eure schönstenKnechte und Mägde und Rinder wird
ernoch dazu nehmen und
vonEuren Kleinviehherden wird
ersich den zehnten Theil geben lassen und Jhr Alle werdet Sklaven sein« (1. Sam.
8ff.). So- fort treffen aber diese Vorhersagungen nicht ein. Unter König Saul zeigen sich mehr die günstigenWirkungen einer fester gegliedertengeschlossenen Ein- heit des Volkes. Die siegreichenKämpfe gegen die Feinde, namentlich gegen die Ammoniter, Amalekiter und Philister, mußten das Bewußtsein der nationalen Zusammengehörigkeit des Volkes stärken. Auch blieb Saul den einfachen Verhältnissen,
ausdenen
erhervorgegangen
war,noch als König
treu.Aber die reichen Kriegsbeuten
anGold und kostbaren Gewändern sickernschon in das Volk. Nach dem Tode Sauls sollen die TöchterJsraels ihn beweinen, weil
ersie »in Purpur und herrlichenSchmuck«gekleidethabe-
Ernster schon wird das Bild der volkswirthschaftlichen Entwickelung
unterdem König David. Jn glücklichen Kämpfen gegen die feindlichenNachbar-
länder dehnt
ersein Reich bis
answestliche Meer und bis
anden Euphrat
und
vomFuße des Libanon bis
ansSchilfmeer und gewinnt die Herrschaft
über Damaskus, Elath und Eziongeber
amRothen Meer. Aber seine
Wirthschaftpolitikgehörtenicht den Bauern und der Landwirthschaft,sondern
den städtischen Interessen und namentlich der Hauptstadt Jerusalem. Ein
großer Theil der Schätze, die in den glücklichen Kriegen erbeutet wurden,
werden zwar für das in Jerusalem zu errichtendeNationalheiligthumreservirt,
498
«
Die
Zukunft-
aber König David gefällt sich doch auch selbst in der Rolle eines großen städtischenBaumeisters
vonPalästen. Durch die jährlichenTributzahlungen der unterworfenen Völker mehrt sich der Silber- und Goldvorrath im Lande.
Der phönizische König Hiram schickt David Bauleute und Baumaterialien.
Gezahlt wurde dafür
vomLande Kanaan
vorAllem mit Getreide. Die«’
Weizen- und Gerstenmengen, die jetzt ausgeführt wurden, scheinennicht
un-bedeutend gewesen zu sein. Schlegg schätztdiese jährlicheGetreideausfuhr auf
6Millionen Hektoliter im Werth
vonetwa23 Millionen Mark. Die Bevölkerung der Städte und namentlich der Hauptstadt nahm rasch zu.
Zahlreiche Hofleute und Krieger ließensich in Jerusalem nieder. Größere israelitische Städte wurden Marktplätzefür phönizische Handelsartikel. Aber damit zeigt sichauch sofort der bedenklicheEinfluß des Handels, namentlich auf die Brotversorgung des Volkes. Ohne Rücksicht auf Reserven für den Fall ungünstigerErntejahre wird das letzte erlangbare Korn Getreide durch die Verlockungen des Geldes aufgekauft und exportirt. Die Strafe blieb nicht
aus.Drei schlechte Ernten folgten einander und Jsrael wurde mitten im Frieden
voneiner schwerenHungersnoth heimgesucht. David, der
vomFelde weg,
woerdie Lämmer geweidet hatte, zum König gesalbt wurde, starb als großer Grundherr. Zur Verwaltung seines Domänenbesitzes hatte
erzwölf Jntendanten. Und
erhinterließ
3000Talente in Gold.
«
Diese bedenklichen svolkswirthschaftlichen Verschiebungen in Jsrael zu Gunsten der Alleinherrschaft des Geldes, die
unterSaul mit ganz be- scheidenenAnfängen begonnen und
unterDavid schon einen bedenklichen Grad der Steigerung erreicht hatten, kommen
unterdem jetzt folgenden König Salomo zu einer so vollständigenDurchbildung, daß damit der Höhepunkt der wirthschaftlichenEntwickelung des Landes schon wesentlich überschritten wird. An modernen volkswirthschaftlichen Begriffen gemessen,
warSalomo ein Merkantilist reinsten Wassers, und zwar
vonjener sozial bedenklichen Art, die den Reichthum des Regenten für den Reich- thum des Volkes hält. Von Bestrebungen zur Hebung des bäuerlichen Wohlstandes ist
unterseinen wirthschaftpolitischenMaßnahmen kaum Etwas zu finden. Desto ausschließlicher
warsein Streben auf Geld gerichtet.
Durch eine Heirath knüpft
ermit detn egyptischenHofe Beziehungen
an
und wußte sich das höchsteinträglicheHandelsmonopol für egyptische Rasse und Kriegswagen nach den Euphratländern zu sichern. Mit Hilfe seiner Freundschaft zu Hiram, dem König der Phönizier, baut und rüstet
ereine Handelsflotte zu den berühmtenFahrten nach dem Goldland Ophir.
Dazu kam der Tribut der unterworfenen Völker. Und endlich wurde auch
die Steuerschraube im eigenen Lande immer kräftiger angezogen. Zu diesem
Zwecke nahm
ereine Neueintheilung des Landes in zwölf Kreise
vor, anJiidische Wirthschaftgcschichte.
499deren Spitze
er,zur Steuereintrcibung, zwölf Satrapen stellte, deren Amt
—
natürlich auf Kosten des steuerzahlenden Volkes
—so einträglich
war-daß Mehrere Schwiegersöhne des Königs damit betraut wurden. Die Steuern und Abgaben
warenimmer noch überwiegend Naturalabgaben. Die engen Beziehungen zum König Hiram boten ja eine günstigeGelegenheit, Getreide und Oel in Gold zu verwandeln. Und
wenndiese Natural- lieferungen die Goldschulden bei Hiram nicht deckten, dann scheutesich auch Salomo nicht, ganz so wie seine merkantilistischen Kollegen
amAusgang unseres Mittelalters, eine Anzahl seiner Städte zu verkaufen. Salomo
waralso auch ein großerGetreidehändler. Um
nundiesem Handel sowohl als auch der Versorgung der Städte eine festere Basis zu geben, errichtete
er
eine Reihe
vonstaatlichen Getreidelagerhäusern. All diese reichen Ein- künfte wurden von der glänzendenHofhaltung und
vonden Prachtbauten Salomos verschlungen. Um aber dabei die Ausgaben für Arbeitlöhneauf ein Minimum herabzusetzen, wurden kurzer Hand die im Lande friedlich wohnenden Kanaaniter zu Staatssklaven erklärt. Davon wurden 80000 in den Steinbrüchen
vonBiblos beschäftigt,
umbeim Lampenlicht schwere Quadern
ausdem Felsen zu hauen, und
70000hoben die schweren Steine
ausder Oeffnung der Steinbruchhöhle und schafften sie zum Bauplatz.
Aber auch die Jsraeliten wurden zu Frohndiensten herangezogen und deshalb 30000 Mann wie zum Kriegsdienstausgehoben,
umBauholz zu fällen und nach den königlichen Bauplätzen zu schaffen-
Zur Blüthe kam
untersolchen Verhältnissen
vorAllem der Handel, und zwar sowohl der Großhandel wie auch das Geschäft der Geldwechsler und Geldverleiher. In Jerusalem
warjetzt eine ganze Zunft
vonsolchen phönizischen Händlern angesiedelt. Jm Interesse des Handels hat auch Sa- lomo das Münzwesenverbessert. Zur Blüthe kam ferner das Luxus- und Baugewerbe. Und wie immer in Zeiten großerGründerthätigkeit, so steigen auch jetzt mit dem zunehmenden Luxus und mit dem Anwachsen der Geld- gewinne die Preise der Produkte aller Art; deshalb repräsentirt die selbe Geldsumme einen immer geringeren Sachwerth. So erhielt
vorGründung des Königthums ein Priester für den Jahresdienst
10Seckel Silber nebst Nahrung und Kleidung. Dagegen scheint Salomo den Hütern seiner Wein- berge einen Jahreslohn
von200 Silberseckelgezahlt zu haben, während der Preis für ein egyptischesRoß 150, für einen egyptischenStreitwagen 600 Silberseckel
war.Wir haben
esalso jetzt mit völlig ausgebildetengeldwirth- schaftlichenVerhältnissen zu thun, und zwar mitder Herrschaft des Goldes
—
»Silber wurde für nichts geachtet«.(3. Kön. 10, 21.) Vom Standpunkt der mosaischenGesetzgebung
wardiesesalomonische Wirthschaftpolitik eine grobe Verletzung der Gebote Gottes. Schon David,
35
500 Die
Zukunft.
noch mehr aber Salomo, hatte völlig mißachtet,daß
esselbst dem Könige verboten ist, viel Gold und Silber anzusammeln. Auch die ursprüngliche Ackervertheilung wurde schon
vonDavid nicht unwesentlich verschoben,
vonSalomo aber fast völlig bei Seite gesetzt. Für die Feier des Jobeljahres findet sich
unterden Königen kein Anhaltspunkt. Wohl aber ist die Aus- bildung des königlichen Großgrundbesitzes ein Beweis, daß das Jobeljahr nicht mehr gefeiert wurde. Auch die Feier des Schemittajahres mußte mit der wachsendenAusdehnung des Getreideexportes und mit der Ausnahme der phönizifchen Geldwechsler und GeldverleihernothwendigerWeise außerUebung kommen. Das Gebot der Unveräußerlichkeit
deslandwirthschaftlichen Grund- besitzes
warlängst vergessen. Nicht minder das Verbot des Zinsengebens und -nehmens. Auch die Frohnarbeiten und die rücksichtlose Erhöhung der Steuern und Abgaben
warengegen das Gesetz. Es ist deshalb nicht über- raschend,
wenn vonSalomo ferner berichtet wird, daß
ersichnach heidnischer Art einen großenHarem angelegt und seinen ausländischen Frauen wie den phönizischen Kaufleuten den Götzendienst gestattet habe. So zeigt sich auch hier mit dem Verlassen der wirthschaftpolitischen Grundsätze der mosaischen Gesetzgebungzugleich der Abfall
vomGlauben.
»Reichthum und Armuth
warenmit Salomo in Jsrael eingezogen.
Der Reichthum
war erselbst und Alle, die mit ihm
anseinem Tische aßen oder
anseinen Geldgeschäften Theil hatten. Zur Armuth gehörtenzunächst die Kanaaniter, die
manzu Staatssklaven gemacht hatte. Zur Armuth ge-
«hörten aber auch bald die israelitischen Bauern, die
mandurch Steuern und Frohndienste aller Art ausgeraubt hatte,
umsie dann den Getreidehändlern und Geldverleihern nach heidnischem Schuldrecht zu überantworten. Mochten deshalb in den Straßen
vonJerusalem die Tage Salomos noch so sehr ge- priesen werden: die weit überwiegende Mehrheit der Bevölkerung,nämlich die ländliche, wird in dieses Loblied Salomos ganz gewiß nicht eingeftimmt haben, Und deshalb kommt die eigentlicheVolksstimmung über die salo- monischeRegirung viel richtiger in jener Entschlossenheit zum Ausdruck, mit der zehn Stämme
unterzwölf dem salomonifchenKönigshause den Rücken gekehrthaben, als Salomos Sohn und Nachfolger bei seiner Thronbesteigung sich nicht verpflichten wollte, »den zu harten Dienst und das zu schwere Joch« seines Vaters nach der Gerechtigkeit zu mildern.
4.
Von der Spaltung des Reiches bis zur babylonischen Gefangenschaft
Schon die Regirung Davids hat Jsrael über die Höhe seiner mitth-
schaftlichenEntwickelungweggeführt. Die salomonischeRegirung aber führte
Jsrael in raschem Tempo dauernd abwärts. Wer sich
ander Erkenntniß
Jiidische Wirthschaftgeschichte. 501 dieser Thatsachedurch das gar glänzende Kleid täuschenließ, das
mandabei zUk Schau trug, Den mußte das rasche Abbröckeln dieser glänzendenHülle
an
dem
vomKapitalismus befallenen volkswirthschaftlichen Körper eines Vesserenbelehren.
Kaum
warSalomo tot, so machtensich die zinsbar gewesenen Völker- schaften der Philister und Jdumäer wieder frei; ihre Tributleistungen hörten auf. Auch die Goldquelle
ausOphir versiegte, da der überseeische Handel sofort ins Stocken gekommen
war.Und das einst so ertragreicheHandels- monopol mit egyptischenRossen und Kriegswagen wurde durch die feindliche Haltung des nördlichenKönigreichesJsrael gegen Juda unterbunden und werthlos An die Stelle der Handelsbeziehungen mit Egypten
tratdas Vasallen- und Tributverhältniß.Auch die übrigenNachbarländermachten jetzt gelegentliche Raubzüge in das Land, in dessen Grenzen
nurzu häufig der Bruderkriegwüthete. Der religiöse und opferwillige Sinn
warso sehr
ausdem Volke gewichen,daß bald nicht mehr die Mittel für die nothwen- digsteErhaltung des salomonischenPrachttempelsfreiwilligaufgebracht wurden.
Die Merkantilpolitik Salomos hatte den Schwerpunkt der Entwickelung
vomJnlande nach dem Auslande verlegt. Statt den heimischen Acker zu pflegen,hat
erauf ausländischen Märkten und in Handelsbeziehungen aller Art dem Golde nachgejagt und die Saat der Unzufriedenheit in die Reihen seiner Landwirthegesät. Deshalb ist nach seinem Tode die eigeneKraft und Stärke des Landes so rasch zerfallen. Und damit
waren,wie auf einen·
Schlag, alle mühsam erworbenen überseeifchen und internationalen Handels- beziehungenverschwunden. Hätte
nundas Land im Inneren gesunde wirth- schaftlicheVerhältnissegehabt, so hätte
essich
vonall diesen Schicksals- schlägenrasch erholt,
vonseinen Feinden sich befreit und die alte glückliche Wohlhabenheit wieder zurückgewonnen. Aber diese inneren wirthschaftlichen Verhältnisse
Warenjetzt nach Salomo
vomKapitalismus völlig durch- fressen. Nicht der bäuerlicheMittelstand, sondern die salomonischenGroß- kanleUte, Geldwechsler, Kriegshauptleute und Steuerbeamten herrschten im Lande. Und deshalb mußte
eszu Grunde gehen. Das Objekt aber, dem sich die Habgier des Kapitalismus jetzt
vorAllem zuwendet,
umdie Aus- beutung und Verarmung des Volkes nach und nach zu vollenden, ist das Getreide.
Es handelt sichnämlich hier
umeine Periode, in der die Getreide- preise im kleinasiatisch-griechischen Handel fast fortwährendstiegen. Zur Zeit der Richter diente das Getreide noch fast
nurzur Ernährung des Volkes und
nurgelegentlich wurden für besondere Zwecke Ueberschüsseverkauft.
Schon David aber hatte einen schwunghaftenregelmäßigen Getreideexport eingerichtet und damit das Brotgetreide zu einer Handelswaare degradirt.
Salomo hatte diesen GetreideausfuhrhandeldurchErrichtung staatlicherLager-
35ad502
DieZukunft.
häuser fester organisirt und durch den Bau
vonStaatsstraßen den Trans- port erleichtert. Nachfragenach Getreide machte sich dauernd geltend. Also mußte die nationale Getreideproduktionthunlichstgesteigert werden: nicht,
umdas Volk mit Brot zu versorgen, auch nicht,
umeswohlhabend zu machen, sondern
nur, umden Reichthum der Aeltesten und »Geldfürsten«
vonJuda und Jsrael zu mehren. Von einer Beobachtung des für jedessiebenteJahr be- fohlenen Brachjahres ist längst keine Rede mehr. Die Getreideselder werden ohne UnterbrechungJahr für Jahr mit Weizen und Gerste bestellt. Eben so wenig denkt
man andas Einhalten der im mosaischenRecht vorgesehenen Ansammlung
vonGetreidereserven für ungünstigeErntejahre. Und
wenndie Bauern im Herbst zu viel Getreide verkaufen und dann im FrühjahrNoth haben oder
wenniin Falle ungünstigerWitterungverhältnisse das Volk hun- gern muß, so ist Das geradefür die Erwerbsart der Kapitalisten und Wuchcrer die günstigsteZeit der Ernte.
Auf ungünstige äußere Verhältnissebrauchte
mannicht lange zu
warten.Von einer Reihe
vonHungersnöthen wird berichtet. Und jetzt mußten die Bauern das Letztebringen,
wassie
anbeweglicherHabe hatten. Und
warder mobile Besitz zu Ende, dann kam das Schuldenmachen
andie Reihe;
esfolgten die Felder und Weinberge und schließlich der Bauer selbst mit seiner Familie als Sklaven. Und
wosich das Alles mit Hilfe des heidnischen Kreditrechtes im freien Verkehr nicht erreichen ließ, da half Lug und Trug im Handel oder
mangebrauchte, nach dem Vorbilde Achabs gegen Naboth, Gewalt,
—und die Richter des Volkes schwiegen oder
warensogar Helfershelfer.
Und wie mit dem Getreide, so wurde
esauch mit Oel und Wein gehalten.
Jmmer aber
wardas Ende der Entwickelung: die Bildung
vonLatifundien in der Hand
vonwenigen Großkapitalisten, mit völligerVerarniung des Volkes und dessenHerabsinkenauf die Stufe der Hörigen und Leibeigenen,
um
destobilliger das Getreide für die Großkapitalisten und deren Export- handel zu bauen. Diese unheilvollenVorgänge erwecken die hervorragendsten Vertreter der alten Prophetenschule. Aber ihre gewaltigeSprache bleibt nicht
andem fast allgemein zur Uebunggekommenen Götzendienst
undnoch weniger
anden Sünden des
armenhungernden Volkes hängen. Ihre slammenden Reden wenden sich
vorAllem gegen die Reichen und gegen die schreiendenwirth- schaftlichenMißständeihrer Zeit, in deren Heilung im Sinne des mosaischen
«Gesetzes sie eben so sehr »den ersten Schritt der Rückkehr zum Glauben der Väter erblicken, wie sie bei Fortdauer dieser Mißstände die Vernichtung des Staates und der Volkswirthschaftvorhersagen. Nationalökonomisch gesprochen, ist im Sinne dieserPropheten der Reichthum
derAeltesten und ,,Geldfürsten«
von
Juda und Jsrael den Armen geraubtes Gut. Die Erwerbsart dieser
Reichen ist nichts als Lug und Trug und Gewaltthat. Jhre Motive sind
Iiidische Wirthfchaftgeschichte.
503Genußsuchtohne Ende und raubthierartige Habgier. Die falschen Richter und gottlosen Priester sind ihre Helfer· Den Zukunftstaat aber erkennen die Propheten in einer blühendenLandwirthschaft mit wohlhabendenbäuerlichen Verhältnissen. Alle diese Aussprüche der Propheten sind in so hohemMaße charakteristisch für ihre Zeit, daßsie im Auszuge hier Platz findenmüssen:
Amos:
»Höret Ihr,
dieIhr aufhäuft Gewaltthat
undRaub
inEurenPalästen,
dieIhr auf gepfändeten
KleidernEuch hinstreckt
vorjeglichem Altar
undden WeinderGebüßten trinket
imHaufe Gottes,
dieIhr schlafet auf elfen-
beinernenBetten
undfchwelget auf
EurenLagern,'Ihr,
dieIhr
die Armen zer- tretet undausfauget
dieDürftigen
desLandes, sprechend:
wannist
derNeumond vorüber, daß
wirunser
Getreideverkaufen,
und derSabbath, daß
wirdieSpeicher öffnen, daß
wirdasMaß verkleinern
unddenSchekel vergrößern
undfalsches Gewicht unterschieben, daß
wirdieDürftigen
umGeldbringen,
die Armen um einpaar Schuhe
anunsbringen
undAfterkorn verkaufen? Darum,
weilIhr stampfet auf
denArmen unddieTracht
Getreideihm nehmet: Häuser
ausbe-hauenen
Steinenhabt Ihr Euch gebaut,
aberIhr sollt nicht
darinwohnen;
an-muthige Weinberge habt Ihr gepflanzt
aberIhr sollt ihren
Weinnicht trinkent«
Iesaia: »Der Ewige geht
insGericht
mitdenAeltesten seines Volkes
undseinen Fürsten: Ihr habt ja abgeweidet
denWeinberg,
der Raubdes Armenist
inEuren Häusern,
washabt Ihr
meinVolk
zuzertreten
unddasAngesicht
derArmen
zuzerrnalmen? Wehe Denen,
dieHaus
anHaus rücken, Feld
anFeld reihen,
biskein Platz mehr ist
undsie
alleindieBewohner
bleibenim Lande!Vormeinen
Ohren sprach
derHerr
derHeerschaarem so nicht
vieleHäuser
zurOede werden, große
undschöne
vonBewohnern leert
MeineRichter sind
Ab-trünnige
undDiebesgenossen.
Sienehmen
gernGeschenke
anundlaufen
denBezahlungen nach;
denWaisen verschaffen sie nicht Recht
unddieSache
derWittwen kommt nicht
vorsie. Eitel Lüge ist,
was dieRechts-gelehrten sagen.
Aber
wehe Denen,
dieSatzungen
desUnrechtes aufsetzen,
unddenSchreibern,
dieUnthat niederschreiben,
um zubeugen
dasRecht
derArmen undzurauben dieGebühr
derDürftigen
meinesVolkes, daß
Wittwenihre Beute
werden undsie
dieWaisen plündern.«
Micha: ,,Wehe Denen,
dieUnthat sinnen
undBöses entwerfen auf ihren Lage-Im
amhellen Morgen vollführen sie es,
dennessteht
inderKraft ihrer Hand. Und sie gelüstennach Aeckern und
raubensie,
undnach Häusern
undnehmen sie und
übenGewalt
anMann undHaus
undanHerrn
undEigenthum.«
Ueber den
Zukunftstaat verkündet
Amos:»Dann sollen Tage kommen,
i t derSpruch Iehovas,
daholt
derPflüger
denSchnitter
einund derTrauben-kelterer
denSäemann.
Dawerden dieBerge
vonMost triefen
undalleHügel iiberflieszen.« Und Hosea: »Die
inIsraels Schatten wohnen, sollen
dannwieder
Getreidefür sich
ernten undblühen
wiederWeinstock.«
Iesaia: »Und
eswirdgeschehen,daß Jedermann,
dereineKuh
undzwei Schafe halten wird,
um desUebeiflusses
derMilch
wegenButterißt.«
Diese Strafpredigten der Propheten hatten zwar den Erfolg, daß
wiederholt einer der Könige den Götzendienstmehr oder weniger vollständig
verbot und die Steuern und Lasten auf den Schultern der Landwirthe
er-504
DieZukunft
leichterte· Aber die Geldfürsten
vonJuda und ihre Jnteressen durften die Königenichtantasten. Der Macht des Geldkapitals gegenüber
wardas König- thum zu einem Schatten herabgesunken. Es kam deshalb jetzt auch nie mehr zu einer Rückkehr zu den mosaischenWirthschaftgesetzen Und deshalb blieb jede Aufhebung des Götzendienstes
ander Oberfläche der Erscheinungen hängen und wurde
nurzu rasch immer wieder
vonden heidnischen Formen verdrängt. Die alte kriegerischeKraft des Volkes, die
vorSalomo fast 500 Jahre lang gegen eine feindliche Welt siegreich gekämpfthatte und dabei wohlhabend geblieben war, ist nach dem Niedergange des Bauern- standes gebrochen. Die Zins- und Tributpflicht
andas Ausland nimmt immer größere Dimensionen
an.Auch die Frohndienste werden,
wo esimmer geht, vermehrt. Wehrlos bleibt das Volk der Ausbeutung durch das Großkapitalüberlassen. Die Flucht der Bevölkerung
ausdem Lande wird immer größer. Und kaum 250 Jahre nach dem Tode Salomos fällt das Reich Juda in die babylonischeGefangenschaft,nachdem
dasReich Israel schon vorher der assyrischenEroberung völlig erlegen
war.5.
Von der Rückkehr
ausdem Exil bis zum Untergang des jüdischenReiches
Die verhältnißmäßig kleine Schaar der Juden, die
ausder babhloni- schen Gefangenschaftnach Kanaan zurückkehrte, begann die Neubesiedelung des Landes auf den Trümmern Jerusalems und seiner Umgebung. Land
wargenug für sie da. Die Grundbesitzvertheilung bot deshalb keinerlei Schwierigkeiten. Aber der Boden
warsechzigJahre lang ohne jede Kultur geblieben. Er hatte jetzt zu lange geruht, nachdem die Habgier der Menschen ihm vorher zu wenig Ruhe gegönnt hatte. Es
warharte Arbeit, die Aecker wieder fruchtbar zu machen.
Das Reich Juda
warpolitisch nicht mehr selbständig. Es stand
unterder Oberhoheit zunächst des Perserkönigs, dann
unterder Alexanders des Großen, später
unterEgypten und nachher
unterden Syrern. Es mußte deshalb Tribut in Zöllen und Steuern geliefert werden, deren Er- hebung
anUnternehmer verpachtet wurde. Hier liegen sofort wieder die Saatkeime des Kapitalismus. Auch die Ausfuhr
vonOel und besonders
vonGetreide beginnt wieder in alter Weise, ohne Rücksicht auf Nothreserven.
Und als
dannjedes ungünstigeErntejahr dem Getreideexportland Hunger bringt, da beginnt auch, genau so wie
vordem Exil, die systematische Aus- beutung des Volkes. Die Bibel berichtet darüber: »Und
eserhob sich ein großesGeschrei des Volkes und ihrer Weiber wider ihre Brüder, die Juden.
Es
warenaber Solche, welche sagten: unsere Söhne und Töchter sind
überaus viele, wir wollen Getreide für ihren Werth nehmen und essen, daß
Jüdische Wirthschastgeschichte.
505wir leben. Und
eswarenWelche, die sagten: wir wollen unsere Aecker und Weinberge und unsere Häuser verpfänden,
umGetreide zu bekommen in der Hungersnoth Und Andere sprachen: wir wollen Geld entlehnen zur Steuer des Königs und unsere Aecker und Weinbergehingeben. Siehe, wir
unter-Wekfetlunsere Söhne und Töchter der Dienstbarkeit und
essind schonunserer TöchterEtlicheMägde und wir haben nicht, womit sie losgekauft werden könnten, und unsere Aecker und Weinberge besitzen Andere.« Es kam zu Unruhen des verschuldeten Volkes. Der Prophet Nehemia
tratmit Strenge gegen die Reichen und Wucherer auf und schüchterte sie ein, daß sie die rück- ständigen Schulden erließen und die Pfandobjekte zurückgaben. Die drohende Verschiebung der Ackervertheilung wurde also verhütet. Das Volk kehrte zum Glauben seiner Väter zurück und feierte den Sabbath und die Schemittajahre-
So
waralso kaum hundert Jahre nach der Rückkehr
ausdem Exil schon eine allgemeineSchuld-, Zins- und Knechtschaftbefreiung nothwendig geworden. Jetzt erholt sich der Wohlstand des Volkes rasch. Die Be- völkerung nimmt mit starker Progression zu. Jerusalem wird wieder be- völkert und aufgebaut. Und das Reich Juda ist für die Kriegsaushebungen Alexanders des Großen eine fast unerschöpfliche Menschenquelle.
Aber mit der Herrschaft des Hellenismus beginnen die Reichen und Steuerpächter
vonJuda bald wieder, die mosaischenWirthschaftgesetze außer Acht zu lassen. Sofort zeigensichLatifundien mit völligerVerschuldung und Abhängigkeit der Bauern. Von der Ausbentung des Volkes durch den Kapita- lismus sagt deshalb Jesus Sirach: »Welchen Frieden hält die Hyäne mit dem Hunde und welchen Frieden der Reiche mit dem Armen? Jagdbeute der Löwen sind die Waldesel in den Steppen; so sind die Armen eine Weide der Reichen.« Von den Mahnungen
andie sinaitischenGesetze wollen die Reichen nichts wissen. Deshalb beginnt
unterihnen jene antinationale Bewegung zu Gunsten einer Aufhebung des nationalen Glaubens und der nationalen Gesetze durch Annahme der heidnischenGebräuche. »Zu dieser Zeit standen in Jsrael gottlose Leute auf, welche Viele überredeten und sprachen: ,Laßt
unsgehen und einen Bund schließen mit den Heiden, die
um unssinds Und diese Rede gefiel in ihren Augen. Und einige
ausdem Volke ließen sich herbei und gingen zum Könige und
ergab ihnen Gewalt, die Gebräuche der Heiden einzuführen. Und sie bauten ein Ghmnasium zu Jerusalem nach der Weise der Heiden«(1. Makk. 1,l2 sf.).
Jkn Geiste dieser Bewegung und begünstigtdurch die Zwietracht des
Volkes erließ der Oberherr AntiochusEpiphanes den Befehl, bei Todesstrafe
das mosaischeGesetz und den mosaischen Glauben aufzugebenfür das heid-
nischeGesetz und die heidnischenGebrauche. »Viele
ausJsrael willigten in
seinenFrohndienstundopferten den Götzenundentweihten den Sabbath.«Auch der
506 ,. Die
Zukunft.
reiche Alcimus, der nach der käuflichgewordenenHohepriesterwürde strebte, hielt
esmit den Syrern. Und als die Heere der Syrer in Palästina ein- rückten und die reichen israelitischenKaufleute der Gegend
vonEmaus
eshörten, da nahmen sie sehr viel Silber und Gold und Knechte und kamen in das Lager der Syrer,
,,umdie Söhne Jsraels als Sklaven zu kaufen«
(1. Makk. 3,41). Der verarmte-Mittelstand aber
warmit den Makkabäern hinab in die Wüste gezogen und hatte dort die Fahne gegen den anscheinend- übermächtigen Feind für Gesetz und Religion der Väter erhoben. Die kleine,
vomJdealistnus getragene Schaar siegte, befreite das Vaterland
vomFremden- joch und eroberte noch die
anZöllen reicheHafenstadt Joppe. Die Reichen werden mit ihren Freunden, den Syrern, geflohensein. Das Volk
erneuerteden Bund mit Jehova und kehrte zu den mosaischenWirthschaftgesetzen zurück.
Der Sabbath und das Schemittajahr wurden streng gefeiert. Die Schuld- zinsen hörtenauf. Jn jedem siebentenJahre wurden alle Schulden erlassen und jedes Dienst- und Abhängigkeitverhältniß gelöst. Der Ackerbau kam bei überwiegend bäuerlicher Besitzvertheilung wieder zur vollen Blüthe. »Ein Jeglicher baute sein Land in Frieden und das Land Juda gab seine Frucht und die Bäume der Felder gaben ihre Frucht. Die Greise saßen auf den Straßen und besprachensich über das Beste des Landes und die Jünglinge kleideten sich mit Ehren- und Kriegsgewand. Ein Jeder saß
unterseinem Weinstock und Feigenbaum und Niemand schrecktesie« (1. Makk. 14,
8ff.).
Neuer Bruderzwist wird zur Veranlassung, daß Rom sich in die in-
ternenVerhältnisse des ReichesJuda einmischt. Palästina wird eine römische Provinz mit römischerProvinzialsteuerverfassung und römischer Ausbeutung.
Es wurde der römischeCensus eingeführt, d. h. die Volkszahl aufgenommen und die Ländereien abgeschätzt,
umdie Steuersähigkeit des Landes zu ermessen.
Für jede Person sollte eine Kopfsteuer erhoben werden, und zwar selbst für Frauen und Sklaven;
nurweibliche Kinder
unterzwölf, männliche
untervierzehnJahren und Greise sind steuerfrei. Außerdem wurde noch eine Ein- kommensteuergefordert:
vonden Viehzüchtern ein Theil der Heerde,
vonden Getreidebauern ein Theil der Ernte (annona). Auch wurden Aus- und Eingangszölleerhoben. Wie drückend und verhaßtdieses römische Steuer- system war, beweist zur Genüge der Umstand, daßJeder, der sich als Steuer- pächter oder Zöllner dabei betheiligte,für ehrlos galt.
Mit dieser römischen Ausbeutung wetteifern die weltlichen und geist-
lichen Großen Jerusalems. Der Handel mit Oel und Getreide nimmt wieder
seinen alten Aufschwung Cäsarea wird zum Hauptemporium des Handels
undder römischen Macht in Palästina. Sofort wird auch das Land wieder
vonschwerenHungersnöthen heimgesucht. Und die bekannten wirthschaftlichen
Vorgänge, die sichauch diesmal hier anreihcn, veranlassen den ApostelJakobus
Jüdische Wirthschaftgeschichte
507als ersten Bischof
vonJerusalem zu dem Ausrufe: »Wohlan denn, Jhr Reichen, weinet und heulet über Euer Elend, das über Euch kommen wird.
Jhr habt Euch Schätze des Zornes gesammelt für die letzteZeit. Siehe, der Lohn der Arbeiter, die Eure Felder geerntet haben, welcher
vonEuch
vor-enthalten, schreit und ihr Geschrei ist zu den Ohren des Herrnder Heer- fchaaren gekommen« (5,1). Die Reichen aber
warenauch jetztRömerfreunde, wie siefrüher Hellenisten
waren.Die Macht des römischenWeltreiches
waroffenbar zu stark, als daß der Glaube
andie nationale Zukunft jetzt noch einmal aufkommen und sich wieder mit den Interessen des ausgebeuteten Volkes gegen Rom und die groß- kapitalistischenRömerfreundevereinigen konnte. Die unausbleibliche Reaktion nahm deshalb die Entartungformen des Kommunismus und Anarchismus
an.
Fast keiner der Könige starb mehr eines natürlichen Todes· Die Essäer verwarfen mit der Ehe auch das Privateigenthum. Jeder, der dieser Gesell- schaft beitrat, übergabsein Vermögen der Ordenskaffe,
ausder die Lebens- bedürfnisse der Mitglieder bestritten wurden. Freischaaren durchzogen das Land und übersielen die Reichen,
umihnen allen möglichenSchaden zuzu- fügen. Aus Raub und Mord wurde ein Handwerk gemacht, seit die redliche Arbeit nicht mehr lohnend schien. Diese Räuber
nannte manSikarier, nach den kurzen Dolchen, mit denen sie bewaffnet
waren.Als der geldgierige Gesfius Flarus römischerLandpfleger
war, tratendie Sikarier mit ihm in Verbindung,
umauf gemeinsameRechnung die Reichen desto besser brand- schatzen zu können. Auch den Grundbesitznahmen sie ihnen ab und verkauften ihn
anAndere. Und damit diese Art
vonEigenthumsübertragung rechtliche Giltigkeit hatte, mußte das Synedrium eine diese Art
vonGrundeigenthums- erwerb anerkennende besondere Verordnung erlassen, die
mandas Sikarierge- setz
nannte.Vksle der Wohlhabenden wanderten
aus.Die Zahl der beschäftigung:
und brotlosen Arbeiter in Jerusalem nahm zu. Man zählte einmal
18 000solcher Arbeiter und bat den Landpfleger, auf öffentliche Kosten Arbeit zu geben. Er solle den Tempelschatzdazu benützen,den
man vorseiner Raub- gier dochnicht mehr sicherhielt. Eine halb soziale, halb politische Revolution verschaffte dem Proletariat vorübergehend die Herrschaft in Jerusalem. Das Rachegefühl der gefchundenenVolksmassemachte sich besonders gegen die
ver-haßtenreichen RömerfreundeLuft und vernichtete das Archiv, in dem die Schuldbriefe aufbewahrt
waren.Von Jerusalem
ausverbreitete sich der Auf- ruhr durch das ganze Land. Die verschuldeten Bauern
warenauf der Seite der Aufständischen gegen die Reichen und gegen die Römer. Rom rüstete sich. Jerusalem wurde zerstört und der jüdische Staat für immer vernichtet·
Fribourg Professor Dr. Gustav Ruhland.
I
508
DieZukunft-
Jrrende-Ritter-Mufik.
H nde November: Programm-Oper Don Quixote; anfangs Dezember:
Programm-Orchesterstück Don Quixotez wahrlich,
—genug des irrenden Ritters auf der Bühne und im Konzertsaal!
Ueber die zuerst genannte ,,MusikalischeTragikomoedie« des Herrn Dr. Kienzl ist
andieser Stelle schon geurtheilt worden; ich habe deshalb
nureinige allgemeine Bemerkungenanzubringen, die sichauchauf das Orchester- werk des genialen Richard Strauß erstrecken.
Jch gehörenoch zur alten Zopfschule, die
vondem Grundsatz
aus-geht, daß die Schönheiten eines Tonwerkes, ja selbst die
nurinteressanten, geistreichen, den Wohlklang nicht berücksichtigenden Stellen
vomgebildeten Musiker auch ohne Programm verstanden und erfaßt werden müßten und daß,
wosolches Erfassen nicht anders möglichist als durch ein Programm, ein Berständniß:Rezept dem gebildetenHörer nicht viel nützt, weil die Musik
vorAllem ihn einnehmen muß, und nicht umgekehrt·Ich kann mich noch ganz gut der Zeit erinnern, da in Wien und in Deutschland die erste Programm-Musik erklang; sie kam
ausParis,
wosie sozusagen erfunden worden wars-) Zuerst erschienFelicien David mit seiner »sinf0nie-0de Le desert«. Sie hatte in der Seinestadt einen glänzenden Erfolg errungen und wurde selbstverständlich auch in Wien gefeiert. Da
tratzur selben Zeit mit einem Male Berlioz hervor, mit seiner Sinfonie Fantastique, seinem Carnaval Romain, seinem Harold
enItalie. Das großePublikum, das damals noch nicht, wie das heutige, auf Programme dressirt
war,schaute verblüfft drein, aber die Musiker, ganz besonders die jüngeren, erkannten sofort, daß in einem Takte Berliozs mehr wahre Tonkunst zu finden
warals im ganzen Felicien David (wer weißheute noch Etwas
vonihm?«) und daßselbstBerliozs Exzentrizitäten die einer künstlerisch empfindendenPhantasie
waren.Diese Ueberzeugung ward in mir später bestärkt beim ersten Hören der »Damnati0n de Faust« in Baden-Baden 1853’k-««) und der Ball-
’I·)
Dienaivendeutschen Versuche
desverflossenen Jahrhunderts,
z.B.
Kuhnaus ,,Biblische Geschichten« auf
demKlavier, kommen hier nicht
inBetracht- W) Jch glaube nicht, daß Jemand außer
mirinDeutschland heute
im Standeist,
dieHauptstücke
der»Wüste«,
denKarawanensMarsch,
denChant cleNuit,
diearabische Serenade,
aus demGedächtniß
zuspielen. Jch führe Das
an,nicht
alseinenBeweis starken Gedächtnisses,sondern für
diepsycho- logische Thatsache, daß Jugend- Eindrücke oft unablöslich kleben
bleiben.Vieles,
wasich später
mitliebevollerMühe studirt hatte, ist
mirentschwunden
unddiese
mirgarnicht sympathischen
Stückesind
inderErinnerung haften geblieben.
M«) Jch habe
inderAllgemeinen
— damals inAugsburg erscheinenden
—
Zeitung
einenArtikel
darüberveröffentlicht-
Jrrende-Ritter-Musik. 509 szene, der Fee Mab
undder Liebesszene
ausder Romeo und Julia- Symphonie. (1858.)
Auf diesem zopfigenStandpunkt beharre ich noch heute, habe deshalb Herrn Dr. Kienzls Aufsatz, den
erzur Einführung in feine »Musikalische Tragikomoedie« veröffentlichte, nicht gelesen,auch nicht die Erklärung, die
er—
wie hiesige Blätter meldeten
—-nach der erstenVorstellung und den nicht günstigenBeurtheilungengeschriebenhat. Der Vorfall hat mich unwillkürlich
an
ein Kapitel des zweiten Bandes
vonCervantes’ Don Quixote erinnert,
woder Held auf einige Bemerkungen über feine Jrrfahrten die Antwort giebt: »Als irrender Ritter werde ich sterben, mag der Türke thun,
waserwill, denn ich sage noch einmal: Gott verstehtmich« (also nicht das Publikum nnd die Kritik). Herr Dr. Kienzl hat im »Evangelimann«, für den ich eine Vorliebe hege, einen tiefreligiösenStoff in so ergreifenderWeise, schlicht und einfach, ohne dekorativen Aufwand dargestellt und eine so feine, melo- diöse, mitunter auch so frisch heitere Musik dazu gesetzt, daß
mandie be- stimmteHoffnung hegendarf,
erwerde nach Ueberwindung der Mißstimmung über den nicht günstigenErfolg des Don Quixote
vomhölzernenZauber- pferde seines Helden herabsteigen, wieder den ihm
vonder Muse bezeichneten Weg einschlagen, dann bald ein
neueserfolgreiches Werk schaffen und reich- lichen Ersatz für die Unbill der Irrfahrt finden.
Auch das langeProgramm
vonStraußens »Don Quixote, Variationen über ein Thema ritterlichen Inhaltes« habe ich nicht gelesen und mich dieser Unterlassunggefreut, denn gleich die Einleitung und das Thema haben mich sehr angenehm angeregt, ja überrascht.Jch kann zwar nicht entscheiden, ob das Thema »ritterlichenGehaltes« oder Charakters ist, da mir ganz und gar jene heraldischeKenntniß
vonStandesmusik fehlt, die allein bestimmen könnte, ob ein Thema ritterlich oder bäuerlich,gräflich oder freiherrlich
u.s.
w.zu
nennenist. Das aber kann ich sagen: dieses Thema ist ein besonders
glücklich erfundenes, trotz gewagten Harmonien sehr gut klingendes und in der Tonfärbunggeradezugenial ausgeführtes; die Variationen bekunden fast über- all eine meisterhafteBeherrschung der Form und der Jnstrumentation; selbst die Theile, in denen die offenbare Lust
amkonventionellen Mißklang
—ich"
werde diesen Ausdruck später erklären
—sehr stark hervortritt, lassen eine bedeutende Kraft erkennen; einige Kantilenen sind schön zu nennen; und so kann
mandenn das Gesammturtheilzusammenfasfem das Werk ist ein höchst interessantes,vielfachoriginelles und modern wirksames.
Die Frage, ob diese Variationen als ein abgeschlossenesKunstwerk
zu betrachtensind, d. h. als ein solches, dessenintegraler Gehalt ein so reicher
ist, daß
er,·abgelöst
vonden modernen Formen,
vonden
neuen, momentanwirksamen Einfällen, einen bleibenden, die Form überlebenden Werth dar-
51 0 Die
Zukunft.
stellt, kann jetzt nicht entschiedenbehandelt werden. Die Erörterung müßte sehr weit ausgreifen in die Gebiete der anderen Künste und über die
ver-schiedenen
»neuenRichtungen«Betrachtungen anstellen, besonders über den Neo-Jmpressionismus, dem ja diese Variationen entsprungen sind, gleich dem »Till Eulenspiegel« und dem »Zarathustra«.Hier kann ich
nureinige allgemeine Bemerkungen aussprechen. Es herrscht ein starker Zug in der Kunst, das Unschöne in geistreichsterWeise mit allen Mitteln rasfinirtester Technik darzustellen. Das Häßlicheerscheint dann nicht
nurals ein voll- kommen ästhetisch berechtigterGegensatz,sondern als der künstlerische Haupt- zweck; die Formschönheit wird
nurnoch
voneinem philiströsen, überwundenen Standpunkt
ausgefordert. Neue Gedanken,
neue,unerhörte,ungeseheneEffekte:
daran kommts an; alles Andere istNebensache. Ein großerTheil des Publikums und die junge Kritik beförderndieseRichtungen, so viel siekönnen;
wasnicht fast peinigend aufregend wirkt, soll keine Existenzberechtigungmehr haben.
Und so
tretendenkt in der Musik alle möglichen,,charakteristischen« Klang- Experimente hervor und die Anhäufung stärkster unvermittelter Dissonanzen ist das modernste Gewand musikalischer Ideen. Gewissechromatische Akkorden- folgen Wagners und Liszts
ertönenjetzt in den verschiedenartigsten Orchester- werken so oft, daß sie zuletzt den Eindruck des modern Herkömmlichen, Ge- bräuchlichen, des Konventionellen erzeugen müssen, wie ihn
vorvierzigJahren gewisse melodischeWendungen Mendelssohns und Schumanns Synkopen erzeugt hatten; und wie diese heutzutage vielfach als abgebraucht betrachtet werden, so müssenauch
—selbstverständlich nach vielen Jahren
—die kon- ventionellen Dissonanzen
anWirkung einbüßen. Jch glaube auch fest, daß das Programm-Wesen nicht sehr lange mehr blühen wird, wenigstens nicht in der jetzt modernen Weise, da über jedes Gramm Musik ein Kilo Pro- gramm geschrieben wird und die Leute im Konzertsaal mit dem Programm- buch in der Hand dem Jdeengange einer Komposition zu folgen vermeinen.
Doch die Strömung ist noch sehr stark und deshalb kann ich, der ich alle
neuerenEntwickelungen der Künste seit fast sechzigJahren mit erlebt habe, über ein
ausdieserStrömung emportauchendesinteressantesWerk, wie
esStraußens Variationen sind, ein endgiltigesUrtheil nichtfällen, wohl aber Eins feststellen:
Richard Strauß ist ein reichBegabter und sehr viel Könnenderz
erhat in seiner Jtalienischen Symphonie, in dem Klavierquartett, das
er vorvier Wochen mit Halir und Genossenvorführte,bewiesen, daß
erauch in der nicht modernstenForm Bedeutendes zu schaffen vermag;
ermuß dem Drängen und Toben im Jnneren und den Verlockungen des Neostpressionismus Halt gebieten, muß sich klären. Dann wird
erbald den modernstenDissonanzen- Plunder als überflüssig abwerfen und seinemJdeenreichthum ein eigenes Gewand schneiden. Er hat das Zeug dazu. Professor Heinrich Ehrlich.
Z
Meine
Frau.
51 1Meine Frau.
AmfünfzehntenJahres- tagc meinerVerheirathung.
Iünfzth
kkxDamals Jahre.
warich seit wenigen Wochen fünsundzwanzigjährig geworden.
Hatte
essehr eilig,
indieEhe
zuspringen.
Anderemachen
esanders.,,Werden«
erst Etwas. Genießen das
Leben. Ruinirenvielleicht
einbravesMädchen
oderstören
eineruhige Ehe. Oder thun Beides.
Gebensich wohl auch
mitgefälligen Frauenzimmern ab,
diemanohne
dengoldenen Ring haben
kann. Undendlich, so zwischen fünfunddreißig
undvierzig, heirathen sie. Natürlich
eineJunge-
Undein
Anderer,
einbraverKerl, heirathet
ausGewissenhaftigkeit
dieErste,
derervon Liebeschwatzte.
Bindetsich
mitfünfundzwanzig. Hat
mitvierzig Jahren
einealteFrau
undnichts
vomLebenundvon denWeibern
ge-nossen. Dazu
warkein
Gelddaundkeine Zeit.
Undmitvierzig Jahren ist
ervergrämt.
Soergehts
denBraven. Merkt Jhr
denUnterschied?
Aberwenn die
Anständigkeit
zumUnsinn wird, ist sie vielleicht auch
eine-Schuld. Und sie rächt sich-
Das Mädchenhätte sich getröstet
undeinenAnderen genommen.Jeden-- falls
wäresie nicht
angebrochenem Herzen gestorben.
Werhieß Euch so
an-ständig
zusein,Jhr
Braven undDummen? Löffelt ihn jetzt
nuraus, Euren Brei.
Nein:
esist doch unbillig.
DenMännern,
diesojung heirathen
und den Staat inihrer Jugendkraft
mitKindernversorgen, sollte gestattet sein,
mitvierzig Jahren für
diealteFrau
einejunge einzutauschen.
Mankann doch nicht
ver-langen, daß
einMann vomsünsundzwanzigsten
biszumsechzigsten
odergarsiebenzigstenJahre sich
mitderselben Frau
...Ei, Herr Regirungrath,
wieschlau
Siesind!
Undwassollte
mitdenverstoßenenFrauen geschehen?
Das interessirt mich nicht.
Aber die
Frauen interessirts.
Undmöchten
Sie denneineJunge
imHause haben?
Gott
bewahre. Uebrigens
...Es ist ja so unnütz,
davonzureden.
Wer
eineFrau hat,
Dembleibt sie. Und
wennsie
altist, erst recht.
Punktum.
Drei
Uhr. Bureauschlusz
imMinisterium.
DerDienersteht schonbereit,
mirindenPaletot hineinzuhelsen.
Allehaben
esso eilig, fortzukommen. Selt- sam,
wieesdieMenschen nach Hause zieht.
Oderist
esnur derUeberdruß
amBureaudienst,
wassie sorttreibt? Jch glanbe
undtraue Keinem.Es ist
nun