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Die Zukunft, 18. Juli, Bd. 44.

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PelzOA J’Q’

DREI-)

Berlin, den 18.Juli t903.

f

J fzs A

Die Hofbank.

WierundvierzigsterTagderHauptverhandlunginSachenwiderdieDi-

« · rektoren undTaxatorenderPommerschenHypotheken-Aktien-Bank.

AufTischen,StühlenundStufendesGroßenSchwurgerichtssaalesAkten, Geschäftsbücher,Gutachten,Briese;was anDokumenten zurLebensgeschichte derPommernbankundihrer Töchternurirgend auszutreibenwar. Vorn drei STMVAWPHMrechtsBücherrevisoren;über demGanzendie würdevvll ruhigeStimmungeinerConcernberathung.Keinlautes,heftigesWort,kein Versuch,dieAngeschuldigteuherunterzudrücken,mitmißtrauischenFragen

·

zufoltern,alsüberführteBerbrecherzubehandeln;im ganzen Saal kein düsterdräuendesRächerhaupt,keinebleicheSündermiene.DerVorsitzende,ein wohlwollenderalterHerr,dersichgewissenhaft,dochohne Uebereisermüht, in dasDickichtdunklerTransaktionen, Kalkulationen,UsaUceUzUdringen- UUDjedesmal hörbarausathmet,wennderpünktlichwiederkehrendeResrain seinesVerhörs:»Ist sonstuocheineFrageandenZeugen?«unbeantwortet

bleibt.DerReserentbehäbig,mit einempechschwaköen-VOUschlauenAms- letnerhelltenKopf;sichtlichgescheitundin dementlegenstenWinkelder Prozeßgegenddes Terrains kundig.NebenihmderStaatsanwalt: leise, höflich-klegant,mitstillen,gelassenenGestenund einemangenehmkühlenden graublauenBlick,derfreundlichzufragen scheint,obanderSchuldderAn- gellagtenwirklichirgendwonochgezweifeltwerde; nichtsvondemhochfah-

rendenProkuratorenton,der denBeschuldigteneinschüchtern,ducken,aus sichererVerschanzungscheuchensoll.KeinungeduldigerWiderspruchgegen

Beweisanträge;denHypothekenbankdirektorenwird allesnöthigeMaterial 7

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zurVerfügunggestelltundsie dürfen,so oftesunerläßlichscheint,halbeund ganze Stunden langin Nebenräumen mitdenvonihnen gewähltenSach- verständigendieZiffernundBerechnungendesAnklägersprüfen. Dasitzen sie;hinterSellosblankem,frischundhoffnungfroh glänzendenEpikuräer- antlitz,demKopfeinesklugen hanseatischenPatriziers,suchtundfindet sie derBetrachter.An derEcke,neben dembildhübschen,soignirten Assessorder Staatsanwaltschaft,derKommerzienrathSchultz, einst Prokuristundge- lehriger SchülerEduards Sanden. Untersetzt; gelblicheFettfarbe; kurzge- schnittenerblonderVollbart;Smoking;breite,gestärkteHemdbrust; Erschein- ung undEleganzeineswohlhabendenKolonialwaarenhändlers.Etwasklein- bürgerlichBiederesin derArt, sichzugebenzüberderbenJnstinktenein dünner KulturfirnißDenMann,derwährendseinerJungesellenzeitanderRiviera denviveurgroßenStilsspielteunddurchMilliardärtrinkgelderdieverwöhn- testenKellnerherzenentzückte,hätteKeinersichfovorgestellt.Hierwirkterwie Einer,der imdionysischenRauschnie überdieDoppelkronenorgienvonWil- mersdorfundHalenseehinausgelangt ist.EinvierfchrötigerBürger,der zähundzuversichtlichumsein Recht kämpft. NichtdiekleinsteBehauptung desAnklägersundderBelastungzeugen läßter,der,wiesein KollegeRo- meick,seit fünfundzwanzigMonaten inUntersuchunghaft sitzt, unkritisirt vorübergehen,hatdiemeistenZiffernimKopfundvertheidigtsich,mit einer anraschesRedetempogewöhnten,zugeschäftsmännischerKälte erzogenen Stimme,imzurückhaltendenTongekränkter,dochdesSieges gewisserUn- schuld. DaßdieBerhöreeinerConeernberathunggleichberechtigterGentle- men ähneln,ist wohl wesentlichseinVerdienst;ausderRollefällternur, wenn Herren,dieihmalsBeamtefrüher unterstelltwaren, jetztwiderihn aussagen sollenunderzwischendemdirektorialen Befehlstonund dersanft- müthigenBescheidenheitdesängstlichum günstigeStimmung besorgten Häftlingsschwankt.EinscharfesOhr hört dann,wieschwersolcheblafse DemuthdemHerrn HofbankdirektorundKommerzienrathwird. Viel schwererals demNachbarzurRechten.HerrRomeickhatdiebeflisseneHöf- lichkeiteinesDetailgeschäftsmannes,derimUmgangmitder Ladenkund- schaftdasflinkeDienern undLächelngelernt hat. Zu diesenVerkäuferma- nierenpaßtdieErscheinungnicht,diejetzt,seitin derlangenHaftdesLeibes Füllezusammengeschrumpftist, eher aufeinenwürdigenMinisterialbureau- kratenschließenließe.Ziemlichgroß;dichtesgrauesHaar;langer, fastschwar- zerBart zhinterdemgoldenenKneiferlistigeAugen,dieblinkend immererkun- denmöchten,ob dasnächsteWortnichtamEndeimSaal dieAtmosphäre

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verderbenkönnte.Doch trotzallerVorsichtvermeideterFehltritte nicht so sicherwie derStämmigeimSmoking. SeinPrivatverbrauchwirderwähnt undeineListeseinerJahresausgabenvorgelegt.Statt diesenheiklenPunkt biszumSchlußvortragderVertheidiger unberührtzulassen,erbittetHerr RomeicksichdasWort.WasaufderListe stehe,seinur zumTheilalsPri- vatverbrauch anzusehen.Undnun zählterdieeinzelnenPosten auf. Sechs- tausendMarkfürDoktorundApotheker.ZweiundzwanzigtausendMarkfür zwei WagenundvierPferde(»weilichdamals dieVillainWilmersdorf bezog und,nur imInteressederBank,Fuhrwerk habenmußte«).Zehn- tausendMarkderEhefrauzumGeburtstag geschenkt.Undsoweiter... DieRichterhorchenauf.Hier wissensie,mitihrenfünftausendMarkJahres- gehalt- besserBescheidalsimfinsteren ReichderPsandbriese, Prioritäten, Baugelder,CessionenundBeleihungen.Ein paar Minutenlang ists bänglich schwülimhohenSaal. Dasalso istderstandard of lifedieserLeute; so wirthschaftensie, nach eigenemGeständniß,mit demGeld. Niemand unter- streichtdieZiffern; stillernur wirdsundder muntere Blick des Staatsan- walteswiederholt, eindringlicheralsvorher, dieFrage,obnochimmerirgend- woeinKindergemüthanderSchuld derAngeilagtenzuzweifelnwage. Und HerrRomeickmöchtedochgarsogerneinengutenEindruckmachen.Inden Pausen grüßterartig Jeden,derfür Zeitungen schreibt,geschriebenhat, je schreibenkönnte;undwenn erdenHerrnLandgerichtsdirektor,denHerrn Landgerichtsrath,denHerrnZeugen anredet, fühltman, wieerdiehohe, höflicheStimme zudevotesterSchmiegsamkeitölt.FaßtkeinenHörerder ganzeJammerderMenschheitan?Ahntkeiner,wasdiezweijährigeHaft,was dieHauptverhandlungdenjähvonderHöheGestürztenanbeschämender Pein gebrachthat? Esgehtzu Ende. NocheinZankumZahlen,noch einmalwidersprechendeGutachtenderfürundwiderdieAnklagezeugenden Bücherrevisoren,einletztesMaljetztderRefraim »Sind noch Fragenzu stellen?« Schweigenringsum. »Die Beweisaufnahme ist geschlossen.«

NachvierundvierzigVerhandlungtagen.DieältestenKriminalisten erinnernsichkeinesso langen Prozesses.DennochwirdMancherfragen,ob dieBrweisaufnahmenichtzufrüh schloß,nicht sehr Wesentlichesunerörtert ließ.Ueber dieSchuldoderUnschuldderAngeklagtenkannnurderimGe- strüppdesHandelsrechtes,desHypothekenbankgesetzesundderBauspekulm tionHeimischeurtheilen. Vielleichtwaren sie für ihre schwierigeArbeitnicht gründlichgenugvorgebildetundwurden,inskrupellosemLeichtsinn,derPflicht untreu. Vielleichthättensie,wenn sieamRudergebliebenwären, ihrSchiff-

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leindurchGischtundBrandung gesteuertundinzehn, zwölfJahrendie allzu frühvonihnen escomptirte WerthsteigerungdesberlinerBodens er- lebt,anderihre Finanzen gesundenkonnten.Jch weißesnicht; weißnur, daßseitStrousbergsHerbsttageninjederKrachzeitvonderGemeinschaftder Reinenein paar Sündenböcke in dieWüste geschicktwerden »auf daßder Bock allihreMissethatin eineWildniß trage«(3. Mose,16,22)—, und finde tiefeWeltweisheitin demWort,dasHerrFrankWedekindseinenHoch- staplerKeithsprechenläßt: »SündeisteinepathetischeBezeichnungfürschlechte Geschäfte«.JnichristlichenEuropagiebtesnureinenfestenMoralmaßstab:

denErfolg;diehehrenSittensprücheundGewissensregeln aufdemFutteral gelten höchstensnoch fürdieKinderstube.HättedieGunstderKonjunktur dreiJahre länger gewährt,dannsäßendieHerrenSchultzundRomeickheute imwärmendenBesitzrechtpatrizischerEhrenund beträten denGerichtssaal nurmit derschneeweißenWestedesSachverständigen,derenehrsameSauber- keit keinschnöderZweifel bekriechendarf. Daßes anders kam,war einZu- fall,dieFolge eines Konjunkturenwechsels,den diePommernbankdirektoren nicht frühgenug witterten. FürallesAnderehatten sie vorgesorgt:vonder Aufsichtbehördewurdensienichtgenirt,beiHofewaren siesehrbeliebt undwohl- wollenderBehandlungin derPresseganzsicher. »DieBeweisaufnahme istge- schlossen.«Schade.Wirhättengern gehört,wiesichdieAufsichtbehördeinder kritischenZeitverhielt,auf welchenWegenderprivilegirendeTitelder,,Hofbank derKaiserin«erworben, fürwelcheVerdiensteHerrSchultz,gegen denWunsch derKaufmannschaftvorstände,zumköniglichpreußischenKommerzienrather- nanntundanwelchenKettendiePresseausderKontrolpflichtgezogen wurde.

DasgehörtnichtzurSache? DaßeinmorschesInstitutsichmit demNimbus . einer»HofbankIhrerMajestätderKaiserinundKönigin«schmückenundmit der,,Staatsaussichr durchdieköniglichpreußischeRegirung«Reklamemachen dars? DaßdiePresseJahre langdasPublikumüber den Status derPom- mernbankund derStrelitzbank täuschtundimLandtagvomChefderCentral- instanzüber dieSicherheitderPsandbriefe falscheAuskunft gegebenwird: das AllesgehörtnichtzurSache?Somußeswohlsein;dennNiemandbemühtsich, diesenFragendie klare Antwortzufinden,dieohneZeugnißzwangundEides- pflicht schwerzuerreichensein wird, immerhinabergesuchtwerdenmuß.

Vorfünf, sechsJahren tauchtein derPresseundimpreußischenPar- lament dieAbsichtauf,diePsandbriefederHypothekenbankenfürmündel- sicherzu erklären.MiquelwareinGegnerdiesesPlanes dessenAusfüh- rungdasPrestigederHypothekenbankennatürlichungemein erhöhthätte-

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undsolldenjungenberliner Privatdozenten,der in derstreitigenSachedas Wortergriff,mit Datenunterstützthaben.DertapfereundtüchtigeMann hießDr.Paul Voigt;imSommer 1900 kam dererstAchtundzwanzigjäh- rige aufeinerAlpenwanderungumsLeben. SeineBrochure»Hypotheken- bankenundBeleihungsgrenze«war imFrühling1899 erschienenundhatte bewiesen,daßnamentlichin denneueren StadttheilenundVororten Berlins geradezu ungeheuerlicheUebertaxirungenundUeberbeleihungen vorgekom- menwaren.DieSchrift,dieschonaufallenachdemZusammenbruchderSpiel- hagenbankenunddemPommernkrach enthülltenfaulenStellen hindeutete, wurdevielbesprochenundvereiteltedenPlan,dieGrenze derMündelsicher- heitzUVers-Men-Jm Abgeordnetenhausabererklärte-HerrvonHammetstein- Loxten,derpreußischeMinisterfürLandwirthschast,DomänenundForsten, UmsechsundzwanzigstenJuni1899:»GegendiegegenwärtigeSicherheitder HypothekenpfandbriefekönnenbegründeteBedenkennicht erhobenwerden.«

JhmerwidertederBerichtderBudgetkommission: »BereitsimFrühjahr undSommer 1899,alssowohlderChefdes dieAufsichtführendenMiniste- riums wie derDezernent fürdieBeaufsichtigungderHypothekenbankenalle Hypothekenbankpfandbriesefür gleichmäßigsichererklärten,herrschtenmin- destensbeieinerdieserBankendieallertraurigsten Verhältnisse.«JnMoabit ist jetztfestgestelltworden, daßderPommernbankdirektorSchulzmitseinem AufsichtrathsmitgliedHerrnChristians,dem-Herausgeberdes,,DeutschenOE- konomisten,SpezialorganfürRealkreditundHypothenbankwesen«,oftz.uBe- sprechungeninsLandwirthschaftministeriumkam.DasReichsgesetzvomdrei- zehntenJuli1899bestelltedenHydothekenbankenTreuhänder,die allewichti- gen UrkundenundWerthpapierezuprüfenundmitzuverschließenhaben,dafür sorgensollen, daßdievorgeschriebeneDeckungstets vorhanden ist,und unter- suchenkönnen nicht: müssen—,ob derfestgesetztedemwirklichenWerthent- spreche.Auch dieseBeamten habennicht,wieman docherwarten durfte,recht- zeitigvorderGefahrgewarnt.Siekönnen,nachdemGesetz,vonderBank eineVergütungfordernundweiden,wie einkatholischerAbgeordneterer- zählte,»gewöhnlichinsehrhonoriger Weisebesoldet«, vondenBanken, derenGeschäftsführungsiealsunbefangeneKritiker beaufsichtigensollen.

UndwelcherSphärewurdendieseTreuhänderentnommen? HerrEugen Richter hatimLandtagauf dieseFrage geantwortet: »Ich habemirdieListe derTreuhänderder berlinerHypothekenbankengebenlassenund daraus er-

fahren,daßman hierneueSinekuren fürdieVortragenden Rätheausden Ministerieneinrichtenzu könnengeglaubt hat. Vortragende Rätheausdem

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Finanzministerium,demLandwirthschastministerium,derCentralgenossen- schaftkasse,derSeehandlungsind hiermiteinbegriffen.Ob dieHerrenmit ihrerStellungimMinisteriumdabeinichtunterUmständeninKonfliktkom- men,willich dahingestellt sein lassen.«DerkonservativeHerrvonArnim meinte,einsolchesDoppelverhältnißsei »in hohemGradeunerwünschtund demAnsehenderStaatsbehörde schädlich«.Also:nachVoigts Alarmrufer- klärt derzuständigeMinisteralleBedenken gegendieSicherheitderPfand- briefefürunbegründetzdennochwerdendieHypothekenbankenunterKon- trolegestellt;zu Kontroleuren werbensie hoheMinisterialbeamte;dieseBe- amten,derenunbeirrter ScharfblickdieKundschaftunddie Aktionäreder HypothekenbankenvorSchaden schützensoll,werdenerstensvompreußischen Staat,zweitens, »gewöhnlichinsehr honorigerWeise«,vondenihrerKon- trole unterstelltenBänkenbesoldetundfindenkeinenAnlaßzuöffentlicher Warnung, die,wie balddanachderSpielhagenkrachlehrt, dochsehr nöthig war...Wie lautet derschöneSatz? »Das gehörtnichtzurSache«.

Preußenkennt keineMinisterverantwortlichkeit;und keinGesetzsichert demdurchUnfähigkeitoderFahrlässigkeiteinesStaatsbeamtenGeschädigten denRegreßanspruch.HerrvonHammerstein-LoxtenwurdeinMoabitnicht vernommen. Erhättevielleichtgefragt,wieihmdenn einböserVerdachtgegen Institute gekommensein sollte,anderenSpitzediefrommen,von höchster HofgunstbestrahltenHerrenSanden undSchultz standen. Merkwürdigerist, daßman in foronichtzuerforschensuchte,wiedieseGunstgewonnenward.

VierundvierzigTage währtedieBeweisausnahme. UnzähligeZeugenund Sachverständigewurdenverhört.Aber wirerfuhren nicht, auswelchemWege HerrSchultzdenTiteleinesKommerzienrathes,seineBankdas höfischeWeihes zeichenerwarb. Sollte amEnde einwichtigerZeuge nicht vorgeladenwor- densein?..DochnurGeduld ;ichmußdiesenProlog schließen,ehevorGe- richtdieSchlußvorträgebegonnen haben. Nochbleibt demStaatsanwalt, denfünf Vertheidigern,denbeidenHauptangeschuldigtenRaumundRecht zufreiesterRede. SieAlle können unsüber dieHerkunstdesHofbankprivi- legsundüber dieWächterarbeitderberliner Presse nochmanches Wissens- werthe erzählen.DieBeweisaufnahme ist geschlossen; abersiekanndurchGe- richtsbeschlußbiszurVerkündungdesUrtheils stetswiedereröffnetwerden.

UndglaubtdieStraskammer,zurFällungeinesgerechtenSpruchesneuen Materiales nicht mehrzubedürfen,dann bleibtnochimmerdieMöglichkeit, fernvonAltmoabit dieUntersuchung weiterzuführenundTitelverschleißcr, ErpresserundFälschervordenThingderVolksgenossenzuheischen.

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ImWunderkind- 103

Im Wunderkind

Ichhatte langeganz stillgelegen,inderDunkelheitundinSchmerzen,

dennich hoffte aufkeinMitleid; wußteichdoch, daßdieMenschenin meinerUmgebungtaub seien undmeinWehklagen nichthörten.Jchwußte auch, daß sieblind seien unddiegroßeWunde anmeiner Seite nicht sahen, wenn ich sie auchnochso sehrvorihren Blickenentblößte. So hatteichlange gelegen,ganzstillinderDunkelheitundinSchmerzen.Undkonntenichtleben undkonntenicht sterben.

DochmiteinemMalwichderSchmerzund diegroßeSchwere,diemeinen Leibgefesselt hielt, fielab wieeinegelösteKette. Nunwarichfrei und konnte die Arme strecken·Jchkonnteaufrechtsitzenundaufstehen.Mirwar eine Kraft gekommen.

Abersie bliebohneGenesungfreude,dennichwußte, daßichnie wieder dorthinzurückkehrendurfte,womir einst Allesliebundvertraut gewesen,und daß dieKraftnurerschienenwar,michin traurige,unbegreiflicheFernenzu treiben.

Jchwußte:nun gingesinsWunderland.

Dagürtete ich michundzogSchuheanmeineFüßeundschritt hinaus, geraden WegesindieFinsterniß.

Eswar rnirabergegeben,dieDunkelheiten auseinander zuschieben,wie

man schweren, faltenreichen Stoff auseinanderschiebt.DieDunkelheitenballten sichundicheiltehindurch.Jeweiter ich ging,desto leichterwardesmir, sie mitden Armen zutheilen;dennsiewurdendurchsichtigerundzarter,bissienur

nochdünnen,grauen Schleiern glichen.AlsichdenallerletztendieserSchleier auseinandergerissenhatte,war esMorgeninWunderland.

Undich standvoreinemBild,wieesmirlängst bekanntwar ausmeinen Träumen. Gewaltige StufenreihenführtenzueinerSäulenhalleempor,die vonhohenStandbildern erfülltwar. WieSchneeundEisvonBergeskuppen schimmert,soschimmertendieweißenMarmorleiber oonihrer Höheundblickten kühlundfreiüber dieWelt. AberzuFüßeneinesjeden dieserStandbilder kauerteein Bettelweib undweinte. WiegeschmolzenerSchnee,wenn derFöhn Weht,von denBergen herabgeweintwird, sotroffen ihreThränenundflossen überdieStufenundbildeten LachenhierunddaaufdemSand. Undvon ZeitzUZeit erhobendieWeiber ihre Stimme undriefenmitlanggedehntem Klagelaut ewigdasselbe Wort: ;,Zuspät,zuspät!« «

Andenunteren Stufen kauerten andere Bettelgestaltcn.Dieseweinten nicht- sondernhattenbrennendeAugen,mitdenen sie Etwas suchtenundimmer suchten.Siehattenauchbrennende Lippen und fragtenimmer wieder,wieim Fieber:»Istesnoch nichtZeit? Jsteswirklich noch nichtZeit?«

DochdieStufenhinanundhinunter schrittgemächlicheinhinkender Wächter. ErlachtedieBettelleute aus,dieihmdieHände hinstreckten,und- fpkachzueinemJeden: »Du bekommst schon Dein Theill«

Abervon obenklanges: »Zu spät,zuspät!«

Dahielt ich den Wächtertmundsagtezuihm:»Was ists fürsinkTeWL dessenWächter Jhr seid?«

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104 DieZukunft.

»Der Tempel istdemRuhmgeweiht«,antwortete er,»undichbinsein treuster Diener,derErfolg.«

Ersah,daßmeinBlickmitschmerzlicherVerachtungüberseine Gestalt glitt,undfuhr fort:»Ich hinke.Das ist freilich wahr. Einst hatmichein Gott zornbebenddieTempelstufen hinabgeworfen,weilermich gefchmacklosfand.

Nunkommeichmeistenszuspät(SollichEinen zurHalleeinführen,ister

schonganzverbittert, erschöpftodergarverstorbenundbegraben.Dann setzt sichsoeinunverschämtesKlageweibzuseinen Füßenniederundjammert, daß ich niemals zurechter Zeitkomme, niemals Deneneinfreundlicher Führerin diesen Tempel bin,-denenmeinKommen ErlösungwärevonHerzenspein,von NothundTod.« Erließmich stehenundhumpelteweiter.

»Und DasistdervornehmsteundfreudigsteTempelinWunderlandl SomögenalleGötterdesWunderlandes vergehenundverdämmern,dasiekeine- besserenWächterandieSchwelle ihrer Tempelsetzen!« Ichrief es, lautund schiedeilendenSchrittesvondieser Stätte deshöchstenHohnesundging weiter, umdasThalzusuchen,indemkeineGötterwohnen sollen.

»Wo istdasThal,indemwederGötter nochGötzenThränenundBlut für ihre Huld verlangen?« fragteich.

»Ihrmeint wohldasThaldesGlückes?«gabmireinHirtzurAnt- wort. »Das liegthinterdensteilsten BergenderWelt. EineSchlucht führt hineinmitsoenger undkleinerMündung,daßeineganzengeundkleineThür sieverschließt.UndeintückischerKoboldmacht soelendeSpäßeandieserThür, daßJedermannlachen muß.WeraberanderThür des Glückes lacht, kommt

niemehrhinein.« «

Ganzleicht fandichnachderWeisungdesHirtenden Weg bisandie kleine Thür zwischendensteilsten BergenderWelt. So leicht schienmirderEin- tritt, daß ichüberdieDummheitderMenscheninWunderland staunte,die nichthineingelangcnkonnten-

Vor demverschlossenenThürchen standeinsteinernerTisch·Mitten darauflagderSchlüssel. Beim Nahen hieltichesgarnichtfürschwer,ihn zuergreifen,obwohlderTisch nachderKörpergrößeeinesRiesengemessenwar.

Alsichaberdie Hand ausstreckte,gewahrteichzumeinem Entsetzen,daßich nicht hinauflangen konnte. Wieichmichauchreckenundanstrengenmochte:

dieFingerreichten immer nurbisandenRandderTischplatte,nieweitgenug, denSchlüsselzufassen.

Zwei kluge, freundliche Augen sahenmichplötzlichan. Sie leuchteten aus demGesichteines affenartigen, goldbetreßtenMännchens. Esmußte der Kobold sein,vondemder Hirtmir gesprochen hatte.

»IchbinderPförtner.Was stehtzuDiensten?«sagtedasMännchen mitsohöflicherVerbeugung, daßichVertrauen zuihmfaßte-

»Ach,ichmöchtenur großgenugsein,um denSchlüsselzunehmen«

meinte ich kleinlaut.

»Bitte!« erwidertedasMännchen.Im selben Augenblickfühlteichmeine Glieder vielweiter vonmirentferntalsgewöhnlich.MitLeichtigkeitfaßteich denSchlüsselundgingzumPförtchen-;Dochichkonnte unmöglichdurchdie

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JmWunderland. 105 enganeinander stehendenPfosten. Jchwar vielzUgroßUndzUbreitUpd glaubte,nochimmer zuwachsen.Kaumsah ich meineFüße: sohochWar Ich aufgeschossen.DawollteichvollWuth nachdemKoboldgreifen, dochethüpfte wieeinJnsektanmirauf und abundriefimmer höhnischen»WasstehtUUU zuDiensten

»Ichwillkleingenugsein,umdurchdasPförtchenzudringen,DuUnhold!«

»Bitte!« sagtederPförtner.

Jchschrumpftewieder einundstürmtezuderThür. Dabei entglitt meinen immerkleinerwerdenden HändenderSchlüssel,undalsich michum- fah, ragexwiedermittenaufdemTisch.UndderTischwarzuhoch,alsdaß ichdenSchlüsselhätte ergreifen können. Dalachte ich. JchlachteausVer- zweiflung-UndleheftigwardasLachenderVerzweiflung, daß dieFelerbebten- Ein wildesSchluchzenantwortete aufmeinwildes Gelächter. Felsen überFelsenstürztenein. Unkenntlich,verschüttetundverloren war derWeg zumThal OhneGotte-. Daflohich auchdiese Stätte desHohues,frohüber dieBergeunddurchdieThäler,bisichineinegroßeEbene kam-

EswarAbendgewordeninWunderland. AbervonWesten her,wodie Sonne versank, flammteesaufderErde,alsobsichaus ihrem Gluthkessel FunkenindasLabyrintheines großen Waldes verirrt hätten. Von Weitem hieltichdiesesWaldes mächtigeStämme fürRosenbäume,dieTausendevon Blüthen trugen. Esgabkeineweißenundkeinegelben Rosendarunter: alle, alleleuchteten purpurroth. Undpurpurrothen Tropfen gleich regnetendieBlätter dervollerblühtenniedervondenZweigenundZweiglein.DieBlumen glühten so stark, daßdieZweigezubrennen schienen,wievomFeuergemartert. Aber stattRauchundQualm kamvonderscheinbarenBrandstättesüßer Duft.

Alsich näherkam, erkannte ich FlügelgestaltenimWalde. Siewaren emsigumdie BäumebemühtundpflücktendieerblühtenRosen in goldene Körbc.

Sieflogenhinundher, geschäftigwieBienenvordemFeierabend·Einleises SingenundSummen gingvonihnenaus. Sofleißig sammeltenundernteten siemitschlankenFingern,daß siebaldTausendevonRosenabgenommen hatten unddieKörbevon derPurpurlastübervollwaren. Dann brachten sie alle Korbezueinergroßen Presse, dievor·dem Waldestand, undzermalmtendie Blüthen.Ausdem TodevonTausendenundAbertausenden wurdeeinheiliger TreperLöstlichenDuftesgewonnen undingeheimnißvollem,schlankhalsigem Fläschchenverwahrt.

Alsichnah genug stand,umdasseltsame Treiben deutlichzuerkennen, gewahrte ich, daßman nicht RosenzuTausendenzerpflücktundzermalmthatte, umeinenheiligen Tropfen köstlichenWohlgerucheszugewinnen, sondern daßall dieBlumen, diegeerntetundgesammelt,zerbrochenundzerpreßtauf einander lagen, TausendeundAbertausendefrischerblühter,hoffender,inLiebeflammender Herzenwaren.

DaberührteichdieSchultereinesdergeschäftighin undher fliegenden EngelUndsah ihnanmitleiser,ehrfurchtvollerFrage.Erwandtesichflüchtig nghmirum undsagte: »Ja! DeinHerzistauchdarunter. Wirbrauchendie frischErblühten,dieHoffenden,diein LiebeEntflammtenzuunseremTagwerk.

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106 DieZukunft.

AusTausendenundAbertausenden solcher zuckenden, vernichteten Herzenwird einTropfen herrlichsterWeisheitgepreßt.UndderDuft dieses einen Tropfen-s ist so stark, daßerüberJahrhundertedauert. AussolchenTropfenwirdder großeTrankdesHeilsbereitet. Aberman brauchtlange,biserfertigwird.«

TiefbetrübtverließichdenWaldmitseinem traurig süßen Opferduft.

UndichkamandasMeer.

Jetztwar esNachtgeworden in Wunderland.

MeinBlicksiel auf ein seltsames Treiben. DasMeerschwemmteLeichen- andenStrand unddie Erdeschienzuwogen undzuwallen wiedasMeer;

undauch ihreWogenspien Leichenherrvor.Undmitten indieGräuel trat eineGestalt, diesichvomMond aneinerschwindelndcnSternenleiter herabge- lassen hatte. Sie trugeinestolze KroneaufdemHauptundeineMaske vor demGesicht,diesichaberfortwährend änderte, so daßesergötzlichwar, dies Spielzubetrachten. Die Gestalt beugte sichzu denLeichenundküßte sie.Nun kamRuheüberdasMeer undüberdas Land;unddieLeichenerhobensich undlächeltenundverbeugten sichvorderdemMondentstiegenen Frau,wie voreiner Königin.Undeiner huldvollenHerrscherin gleich,machte sieallenErweckten Geschenke.JederTote undjede TotebekameinenSpiegel,einenSchminktopf undeinZaubergewand. Die alsoBeschenktenspiegelten, schminktenundschmückten sich. Einigesangen,Einige tanzten, Andere spieltenaufInstrumenten Die Königin standinderMitteundermunterte sie. Etwas hohlundblechernklang ihreStimme; aber dieWortewaren destofreundlicher-. ,,Laßtunsfröhlichsein

rief sie, »dennschönistdasLeben!«

Dafiel ich aufmeinAntlitzvorihrnieder undflehte siean: »Nimm mich auf, KönigindesWunderlandesl Ichhabe Dicherkannt undwillDich verehren. Dubist dieheiligeLüge!Küsse michaufdenMund,damitauch ich mirselbstfröhlichundlebendig scheinewiedieanderen geschminktenundge- schmücktenLeichen,damitichDir zuEhren tanzeundheitereLiedersinge und indie goldene Harfe greife.«

AberdieKönigin fluchtemir:»DuhastmeinenheiligenNamengenannt, derunnennbar ist, undmich erkannt,dieichunerkennbar bin. Dubistverstoßen aus meinem ReichderFreude. WehDir!Hinweg,vondiesem Gestade!«

Undverbannt ausdemReichdergroßmüthigenKönigin,dieeinzigund alleinGlück spendet in Wunderland, vertrieben vondemAngesichtderheiligen Lüge,schwankteich irren, müden Fußes zurückindie Dunkelheiten,ausdenen

ich gekommenwar... ,

Schleier regnetennieder,Vorhängeschlossen sich,dieKettetiefster Er- schöpfunglegte sichmirvonNeuemumArmeundFüße, blutigklafftedie Wunde anmeinerSeite. Undich sankzurück,stillindasDunkel, klaglosin dasLeid.

Undkonnte nichtlebenundkonnte nicht sterben.

München. Alexander Freiherr von GleichenFRuszwurun

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Gliedert man dagegen im vermeintlichen Jnteresse der Einheit der Wissenschaft den Menschen als Zellenhäufchen in die Reihe der Organismen und als winziges Atomhäufchen in den

durch hysterische Reden zu nützen glaubte, fiel, mußte fallen. Durch die Schuld der Liberalen, die nicht begreifen, daß man einen Fehler eingestehen kann, ohne sein

Das mag sein, wird man mir sagen; und doch können die Kriege erst dann aufhören, wenn alle oder die meisten Menschen die Theilnahme am Krieg.. Die Weigerung eines Einzelnen, er sei

feiner Neuheit willen predigt und mit Stentorstimme ruft: »Der Lebende hat Recht!« Der Lebende, dem ja meist eine bessereVergangenheit zum Glück im Wege steht. Man braucht nicht

«Newbutgh,Miramar, Der Gefangene von Sedan), während eine vierte (Der Sergeant von Bourg-la-Reine) lediglich als Gefäß meiner Ansichten über Krieg, Mord, Todesstrafe und

borgt, daß seine religiösenErinnerungen überall an semitischenUeberliefe- rungen orientirt sind, daß aus der durch diese moralischen und religiösen Vorstellungen

an sich mißtrauisch, daß sie nicht versucht, die bestehendenEinzelentwickelungen unter eine neue, höhere Ordnung zusammenzufassen,sondern, daß sie von jenen eine einzigehervorgreift

Jch hatte diese Göhre zuerst gar nicht beachtet, als sie plötzlich bei der guten Speisekamtner, die ich hielt, üppig zu wachsen anfing und eine Patientin mit der