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Berlin, den Zi.Juli 1900.
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Chinesisch-DeutscheJahreszeiten.’1«)
. .esTages,daseineSöhneundTöchteraßenundtrankenWein inihres Bruders-Hause,desErftgeborenen,kameinBotezuHiobundsprach:
»DieKinderpflügetenund dieEselinnen gingennebenihnen aufderWeide:
dafielenDieausReich-Arabien hereinundnahmensieundschlugendie Knaben mit derSchärfedesSchwertes;undichbinalleinentronnen,daß ichDirsansage.«Da Dernochredete,kam einAndererundsprach: »Das FeuerGottesfielvomHimmelundverbrannte SchafeundKnaben und verzehretefie;undichbin alleinentronnen,daßichDirsanfage.«DaDer nochredete,kam Einerundsprach: »DieChaldäermachtendreiSpitzenund
plc)Auf Umwegen istausPekingdieNachrichtgekommen,dieEuropäer,die sichindie-HäuserderenglischenGesandtschaftgeflüchtethatten, seien sämmtlichgetötet worden·WerinChina regirt,wielangedieGroßmächtewenigstens äußerlichim Handeln einigbleibenundwelcheEntschlüsfesie fassen werden,umden imReichder Mitte wachsendennationalen Aufruhr niederzuwerfen: diesen Fragen ift heute noch keine Antwortzusinden. Sicher istnur,daß·dieZeitwohl fürimmerentschwunden ist-daGoethe,nachdemermitHumboldtüberChinageplaudert und die ,,Gedichtehun- dertschönerFrauen«gelesen hatte,schreibenkonnte, »daßessich,trotzallenBeschränk- UUgen,indiesemsonderbar merkwürdigenReich nochimmerleben,lieben unddichten lasse-«WirmüssendiesesReichund dieStämme,die esbewohnen, kennenzulernen suchen.DasistdereuropäischenDiplomatie,derenlustiges LebeninPeking sogräßlich beendetscheint,offenbar nicht gelungen.Statt in dasRachegeheulderLeute einzu- stimmen,dienichtdarandenken, ihrLeben zuwagen,amRedakteurtischoder beischäu- mendem Bieraber denUfurpatorTuan rädern undseine fanatisirten Bandenpfählen, müssenwir unsbemühen,indenBüchernkundigerMännernützlicheWeisheitzusin- deU-die dasDunkel deszu wandeluden WegeseinWenigvielleichtzuerhellen vermag.
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98 DieZukunft.
überfielendie Kameeleundnahmen sieundschlugendie Knabenmit der SchärfedesSchwertes;undichbin alleinentronnen, daßichDirsansage.«
DaDernochredete,kam Einer undsprach: »DeineSöhneundTöchteraßen undtrankenimHauseihres Bruders,desErstgeborenenzundsiehe:da kam eingroßerWindvonderWüsteherundstießausdie vierEcken desHauses undwarfesaufdieKnaben, daßsie starben;undichbin alleinentronnen, daßichDirs ansage.«Dastand Hiob aufundzerrißseinKleid undraufte seinHauptundfiel aufdieErde und betetean.Undsprach: »Ichbin nacket vonmeinerMutter Leibegekommen;nacket werdeichwiederdahinsahren.
DerHerr hats gegeben,derHerrhatsgenommen: derNamedesHerrnsei
gelobt!« DasBuch Hiob I,13—21.
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Wohinkamdasletzte Gefühlvon Achtungvorsich selbst,wenn UnsereStaatsmänner sogar,einesonst sehr unbefangeneArtMensch undAntichristenderThat durchunddurch, sichheute noch Christennennen und zumAbendmahl gehen?EinFürstanderSpitze seinerRegimenter, prachtvollalsAusdruckderSelbstsuchtundSelbstüberhebungseinesVol- kes...sichalsChristenbekennend!Wen verneintdenndasChristenthum?
Washeißtes»Welt«? Daßman Soldat, daßman Richter, daßman Pa- triotist; daßman sichwehrt; daßman auf seineEhre hält; daßman seinen Vorthcil will; daßman stolzist... Friedrich Nietzsche:DerAntichrist.
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ImdrittenJahrhundertvorderchristlichenZeitrechnungwurdeeine MauervonfünfzehnhundertMeilenLängegebaut,umdiechinesischeGrenze gegen dieEinfällederHunnenzuschützen;aberdiesesstaunenswürdigeWerk hatnie zurSicherheiteinesunkriegerischenVolkesbeigetragen...Dschingis KhansWaffen hattendieHordenderWüste unterworfen,diezwischender chinesischenMauer undderWolga ihre Zelte aufschlugen,und der mongo- lischeKaiserwar derHerrvielerMillionenNomaden undKriegergeworden, dievorUngeduld brannten, sichaufdiemilden undreichenLänder des Südens zustürzen. Dschingis Khans Ahnenwaren demKaiservonChina zins- pslichtiggewesen,erselbstdurcheinen Titel derEhreundKnechtschafternie- drigtworden.DerHofvonPeking staunte,als derfrühereVasallim Ton- einesHerrschersden Tribut undGehorsam forderte,denersonst geleistet hatte,und denSohndesHimmelswie denverächtlichstenMenschenzu be- handeln wagte.EinestolzeAntwort verschleiertediegeheime Furchtder Chinesen;undihre Besorgnissewurden balddurchdasErscheinenunzäh-
Chinesifch-DeutfcheJahreszeiten 99 ligerGeschwadergerechtfertigt,dievonallenSeitendasschwacheBollwerk derGroßenMauer durchbrachen. NeunzigStädtewurden vonden Mon- golen erstürmtoderausgehungert;und daDschingisdiekindlicheLiebe der Chinesenkannte,deckteerseineVorhutmitihren gefangenenEltern ...Die BelagerungvonPekingwarlangundschwierig.DieEinwohnerwurden durchHungergezwungen,ihre Mitbürger zuzehntenund zuverzehren.Die MongolengrubeneineMinebis mittenin die Stadt undderBrand dau- erteÜberdreißigTage. Gibbon:GeschichtedesrömischenWeltteiches.
Z Sag’,waskönnt’uns Mandarinen, Statt zuherrschen,müd zudienen, Sag’,waskönnt’unsübrig bleiben, Als insolchenFrühlingstagen Unsdes Nordens zuentschlagen UndamWasserundim Grünen Fröhlichtrinken, geistigschreiben, Schal’ auf Schale, ZuginZügen?
Goethe:Chinesisch-DeutscheJahres-undTageszeiten.
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Wenn wirerwägen,wiewesentlichesift, daßdieGlaubensimpfung im zarten Kindes-altergeschehe,sowirduns dasMissionwesennicht mehr blos als derGipfel menschlicherZudringlichkeit,ArroganzundJmpertinenz, sondern auchalsabsurd erscheinen,soweitnämlich,alsessichnicht auf Völker beschränkt,dienochimZustandederKindheit sind,wieetwaHotten- totten, Kaffern, Südseeinsulaner·Nur dieKindheit, nichtdasMannes- alteristdieZeit,die Saat desGlaubens zusäen,zumal nicht,woschonein frühererwurzelt. Schopenhauer:UeberReligion.
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Wäre demAberglaubenGehörgeschenktworden,dannhättendieSieger ihre GötterdenBesiegten aufgezwungen,die altenTempel niedergerissen Und einenneuen Kulteingeführt.Romhandelte klüger:esunterwarf sich selbstdenLehrenderfremden Götter,schloßsieinseinHerzundverknüpfte sichso, durchdasstärksteBand,dasdieMenschheitkennt,diebesiegtenVöl- kekschaftenWerMenschenbeherrschenwill, darf sie nichtvorsichherjagen, sondern muß ihnen folgen.
Montesquieu:LapolitiquedesRomains dans Iareligion.
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100 DieZukunft.
WenndasVolk den Todnicht mehr fürchtet:wiesollman esmit der FurchtvordemTodeschreckenundbändigenPWenn dasVolk denTod fürchtet,mag man,sooftesnöthigscheint,tötenlassen.EsgiebteinenNicht-er
über Leben und Tod. Demaber,dersichauf diesesRichters Platz setzenwill, kannesleichtergehen·wieJenem,derohneHandnerksübungeinenBaumzu fällenunternimmt: erkannsichdieHand verletzen... DasVolkleidet,
weil dieGroßenimUeberflußschwelgen.Daherkommt das Leid des Volkes.
DasVolk wirdunruhig,weil dieGroßen sichunsinnig geberden. Daher kommtdieUnruhedesVolkes. DasVolkfürchtetdenTodnicht,weiles derSklave desLebensist.WerdenTodnicht fürchtet,steht sittlichhöher alsDer,demdasLeben über Alles liebist. Lao-Tse: Tan-Te·King.
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China hatkeinereligiösenSchwärmer,nicht,weildasVolkvernünftiger istals andereErdenvölker,sondern,weilesnichts hat, wosüresschwärmen könnte;eskannüber dasprosaisch-spießbürgerlicheLebensürreinirdische Zwecke«nichthinaus.DerChinesekümmertsichnicht eherumdenFremd- ling,alsbisDieserdieAxtandenStamm seinesLebensselbst anlegt unddasWesendesStaates anzugreifcn droht;dannfreilichkann derChi- nese auchwarm werdenundheftigeVerfolgungen bedrohendieJdeen,die denSicherenausseiner Ruhe aufscheuchten.»Jeder Krieg,derEroberungen
bezweckt,giltdemChinesenals Sünde.China ist durchunddurcheinbürger- licher Staat;alsgrößtesUnglückwirdesbetrachtet,wenn derSoldatmäch- tigerwird als derBürger.DieLiebezumeigenenVolk, heißtesimSchu-King, mußstärkerseinalsdasStrebennachMacht.EhinasKriegewaren stetsnurAb-
wehr, nie"Angriff.WederVolknochFürstfreut sichdesKrieges.Erfindungen undKünsteanderer Völker werdenvon denChinesen nichtbewundert oder nachgeahmt.Inden noch jetztgeltendenKriegsartikelndesFeldherrnSema wirdvorgeschrieben: »Menschenlebendarfman nur aufsSpiel setzen,um dasLeben einergrößerenMenschenzahlzuerhalten,denEinzelnen nurschä- digen,umderGesammtheitzunützen·DemKriegfehltdierechtlicheGrund- lage,wenn man nicht vorherallefriedlichenMittel zurErlangung seines Zweckeserschöpfthat,wennjedeVermittlung hartnäckigzurückgewiesenwird, wenn man ausSelbstsucht, RacheoderEhrgeizdasblutige Spiel beginnt.
EinHeermuß sichüberallso betragen, daßdieBürger überzeugtsein können,estragenur zuihrerVertheidigungdieWaffen.DerRuhmoder dieSchmachdesVolkeshängtvonder Artab,wie dasHeersichzeigt«...
Ehinesisch-DeutscheJahreszeiten. 101 DerFriedevonNanking vernichtetemit einemSchlagedashohe Ansehen desSohnesdesHimmels.DerKaiserwarvondenBarbaren besiegt,da- mit aberauch seinUrtheilgesprochen:erkannnicht fernerdesunbesieglichen HimmelsVertreter sein.Denn eswardgesagt, daß nichtdasReichdes Herrscherswegen,sondernderHerrscherdesReicheswegendaist.DerHimmel zeigtals Vater feine Unzufriedenheit durchwunderbar gräßlicheNaturer- scheinungen,durch Dürre,Hungersnoth,Ueberschwemmung,Varbarenein- fälle.HatdamitderVater-bewiesen, daßerseinenSohn verworfen hat, so istdas Volkberechtigt, sichgegendenSohndesHimmelszuerhebenund ihnvomThronzustürzen.Jhnkann dasVolk,ernichtdasVolk ent- behren. DiesealtestaatsrechtlicheAnschauungwurdenachdemFriedenvon
Nankingwiederlebendig.Ueberallbrachen Unruhenaus,vonDemagogen geleitete Volkshaufen mißhandeltendieMandarinen underzwangensichoft BewilligungderunsinnigstenForderungen.DesKaisersNachgiebigkeit beschwichtigtedenSturm nur für kurzeZeit.Das Volkhat sichin Em- pörungerhobenund derMandschu-Thronwankt.
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Adolf Wuttke: GeschichtedesHeidenthums.
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VielleichtistderTag nicht mehr fern,woderEuropäerdieErdevon einerununterbrochenen ZonederschwarzenundgelbenRassen umgeben sehen wird,die dannnicht mehr unterVormundschaft,nichtmehrzuschwach zumAngrisfsein, sonderninihrenGebietendenHandelmonopolisirenund denJndustriemarktderEuropäerverengenwerden. ChinesenundInder werdendurch Schlachtschiffein deneuropäischenGewässernvertreten sein undaufKongressenüberLebensfragenderEuropäerSitzundStimme haben.
AndiesemTagewerdenwirerwachenund unsvonVölkernbedrängtfinden, die wirfür geboreneKnechtehieltenundvondenen wirglaubten, sie müßten stets unseren Wünschendienstbarbleiben. PearsomNational Lite.
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DasAugederBewohnerdesWeltostens gleichtnicht unserem.Der Blick dieserLeuteumfaßtimmernur eine SeitederSache,undwennsiedes Glaubensvollsind, istinihremHirnfürkeinenvernünftigenHintergr- dauken Raumundsie gehen für ihren Wahnin den Tod.Manistnie duld- sam,wennmansichganz imRechtunddenAnderenganz imUnrechtglaubt...
DieallszchroffeTrennungderMenschheitinRassen ist nichtnurwissen-
schaftlichunhaltbar,danur inwenigenLändern einewirklichreineRasse lebt:sie muß auchzuBernichtungskriegenführen,zuzoologischenKriegen, wie wirsieausdemReichderNagerundFleischfresserkennen.
ErnestRenan: Laråforme jntelleeisuelle etmorale.
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AlleTriften,alle Stätten Färbtmitihren Knochenweiß;
WelchenRab’ undFuchs verschmähten, GebetihndenFischenpreis;
DämmtdenRheinmitihrenLeichen, Laßt,gestäuftvonihrem Bein, SchäumendumdiePfalz ihn weichen Undihndann dieGrenzesein!
EineLustjagd,wiewenn Schützen Aufder SpurdemWolfe sitzen!
Schlagt ihntot! Das Weltgericht Fragt Euchnach den Gründennicht!
HeinrichvonKleist: Germania anihreKinder- S
DasChinesenthumhatunsdenKampf aufgezwungenunddurchdie pekingerBlutthatendieForm bezeichnet,in dererdurchgeführtwerdenmuß.
HeutemußsichdiegesammteabendländischeCivilisation fürdieRachestark machen,dieChinesenalsKanibalen behandelnundPekingvonGrundaus zerstören. FallsdieMächteaus politischenGründen esfür erforderlich halten, sollten siedieChinesenzwingen, aufden Trümmernihreraltendie neueHauptstadtauszubauen,als einenachdenGrundsätzendesAbendlan- desgedachtefreieStadt. HeutehandeltessichumdieletzteProbe aufdie LebenskraftundZukunft zweierKulturwelten. AusdieserProbe muß,wenn dieOpfer auch nochso schwersind,dasAbendland siegreichhervorgehen.
KöluischeZeitungvomsechzehntenJuli1900.
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WährenddiechinesischeKanzlei sichinErfurchtformeln erschöpft,er- laubt dasHerkommendemKaiservon China nicht, selbst pomphaftvon seinerBedeutungzu reden.Ermußhöchstbescheidensprechen,sein geringes Verdienstund dieUnzulänglichkeitseiner Leistungenbetonen.Allmächtigist nurdieTradition;undeinKaiser gilt schonalseinThrann,wenn ersichin
Ehinesisch-DeutscheJahreszeiten. 103 derwinzigstenEinzelheitvon dembei denVorfahren üblichenBrauchent- fernt...Umdreihundert MillionenSeelen umzubilden: dazuwürden alle VölkerEuropas zusammen nichtgenugBlutherzugebenhaben.Nurdurch dieErzeugungvonMischlingenkann diechinesischeCivilisationvonden Weißenbeseitigtwerden;unddabei wäre in derPraxisimmernochmit der Schwierigkeitzurechnen,diesichausderungeheurenKopfzahlder ange- häuftenVölkerergiebt. China scheintalso seineEinrichtungen nochaufun- absehbareZeiten hinaus behaltenzusollen.
Gobineau: Die UngleichheitderMenschenrassen.
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Wieman mirerzählt,wird dieJdeedesGlücks inChina durcheine SchüsselvollgekochtenReisundeinengeöffnetenMund wiedergegeben,die derRegirung durcheinVambusrohrundeinzweites Zeichen,das»inder Luftschwingen«bedeutet. A.W.vonSchlegel: Judische Bibliothek.
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Erwägtman,wieauchjetztnochallegroßenpolitischenVorgängesich heimlichundverhülltaufdas Theater schleichen,wiesie erst langenachihrem Geschehenihretiefen Einwirkungen zeigenund denBodennachzitternlassen:
welcheBedeutungkannman da derPresse zugestehen,wiesiejetzt ist,mit ihremtäglichenAufwandvonLunge,umzuschreien,zuübertäuben,zuer- regen, zuerschrecken,—ist siemehrals der permanente blindeLärm,derdie OhrenundSinnenacheinerfalschenRichtungablenktP
FriedrichNietzsche:Menschliches,Allzumenschliches.
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DieUnglücksbotschaftausPeking machte ausdieBörsekeinenbe- sonderenEindruck,weilman schonvorhervonderWahrheitderKatastrophe überzeugtgewesenwar unddasEreignißin denKursenescomptirt hatte.
Auchwurdedarauf hingewiesen,daßderKriegdenKohlenverbrauch steigern werde. Fernermüssedieungeheure Mengedeszerstörtenundnochzu zer- störendenMaterials ersetztwerden. Deshalb seinamentlichin»denHütten- revieren dieStimmungbessergeworden. Allgemeinwird angenommen, daßdiechinesischenWirkenbelebendaufden Marktwirkenmüssen.
Börsenberichtvomsiebenzehnten Juli 1900.
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104 DieZukunft.
Anthropologie
Mristotelesund KantverstandenunterAnthropologiediePsychologie;in
H«'sderersten HälftedesneunzehntenJahrhunderts bezeichneteman damit häusigdieAnatomie undPhysiologiedesMenschen, zuweilenzmit Einschluß derPsychologie. Erst seitderMittedesscheidendenJahrhunderts ist Anthro- pologiedieLehrevom MenschenalseinemNaturwesen gleichdenübrigen OrganismenderErde und verwandt mitdiesen,ist siedieNaturgeschichte desMenschen.
DieFortschrittederNaturwissenschaftenbegründetendie moderneWelt- anschauungund, durch diese,als eineunerläßlicheVorstufe, hindurcheine neue Wissenschaft,dieechteAnthropologie
DeralteBegriffvom Menschen genügtuns heute nicht mehr.Er istentweder auf abstrakt moralischem Wegegewonnen— nachderrührend naivenFormel:SosollstDu beschaffensein,dannverdienstDudenNamen Mensch!— odereristaus einer zuengbegrenztenWirklichkeitgeschöpft undanerkennt nur diegeschichtlicheMenschheit,weildiese unseremlieben Selbst annäherndgleichkommt.
DieAnthropologiehat diese unwissenschaftlichenSchranken zerbrochen.
Einkalter, abergesunderWindblästinunser künstlichesMenschheitgebäude;
derWeihrauchnebel,mitdemwiruns Jahrtausende lang umgaben, verzieht sich auf Nimmerwiederkehr;undwirerkennen,daßwirimGrundebisher nichtvielklügerundbesserwaren alsjeneEskimos Labradors oderjene NaturweddaCeylons,diesichfürdieeinzigenMenschenhielten,weilsie nicht über dieWildniß hinausblickten,diesievon dernächstenJägerhordetrennte.
Heute verstehtman unter AnthropologiegewöhnlicheineGruppevon dreiFächern:diephysischeAnthropologie,dieEthnologieund dieprähistorische Archäologie.Sobildetsieeinenneuen Sammelpunkt fürbereitsgewonnene Kenntnisseoder,wenn man dieseanihrem Platz belassenwill, eine moderne Ergänzungderälteren Natur- und Geisteswissenschasten.
DurchdieAnthropologie erscheintderMensch unsererunmittelbaren AnschauungundErfahrungund derMensch überhauptineinemgrößeren Zusammenhangalsfrüher;ererscheintalseinGlied dergesammtenNatur;
und »DieStelle desMenscheninder Natur« istderTitelnamhafter engli- scherundfranzösischeranthropologischerWerke.
DasZielderAnthropologieist:diekörperlicheErscheinungdesMenschen unddieFormen seinerKultur vorurtheilloszustudirenundaufdienatür- lichenUrsachen zurückzuführen.Zu diesem Zwecke unterwirstdiephysische AnthropologiedenKörperdesMenschen,seinWerden,seinenBau undseine Funktionen,einerdoppeltenvergleichendenBetrachtung; sie vergleichterstens
Anthropologie. 105 dieMenschheitalsGanzesmitderThierwelt, zweitens,alsRassenlehre,die großenGruppenderMenschheitunter einander-
VieleThiergattungenübertreffen denMenschenineinzelnenFähigkeiten.
Fischeschwimmen,Vögel fliegen, Säugethieresind besserbekleidet,stärkerbe- waffnet, geschickterimLaufen,Klettern undhaben schärfereSinne;Bienen undAmeisensind politischmusterhaft organisirt. Diese Vorzügewaren die UrsachendesTotemismus,dergewisseThierealshöhereWesen,alsAhnen desMenschenund-alsGebervonKulturgüternbehandelte. Daher stammen itljüngerenZeitendiethierischenAttribute dermenschlichgedachtenGötter, dieWappenthierederAdelsgeschlechterundNationen, dieFalkenpoesieder MontenegrinerunddieBärenindustriederFabrikantenundKaufleutevon Bern. DasWahreamTotemismus istdashöhereAlter,diefrühereFertig- keit undAbgeschlossenheitderThierwelt gegenüberdemMenschenalsdem jüngstenKinde der Erde. DieThierewaren einstausschließlichdieBewohner Unseres Planeten;und wirwüßtennicht,wiewiruns dieExistenzdes MenschenohnediePräexistenzundKoexistenzderThiere vorstellen sollten- Virchowhat zutreffendbemerkt,daßdemTotemismus einedunkleAhnung des Darwinismus zu Grunde lag.
AberalleVorzügederThierweltwerden reichlich aufgewogendurch diekörperlicheundgeistigeUeberlegenheitdesMenschen.ErfängtdieFische ausdemWasser,denVogelaus derLuft,erüberholtdieschnellstenund bändigtdiestärkstenSäugethiereundberaubt sie allesammt ihres Schmuckes, iklrer Waffen, ihrer Kleidung, ihres Fleischesundihrer Knochen.Erhat dieschönevierbeinigeLokomotion aufgegeben;abererbautsichMaschinen, mitdenenerflüchtigerdahineiltalsdasschnellsteWild. SelbstderFlug ist ihm schon heute nicht mehrganzversagt.
DieserkulturellenUeberlegenheitentsprichtdieanatomische.Alle modernen ZoologenstellendenMenschenandieSpitzedesSystemsderThierwelt, aberdochin eineKlassemit denhöchstorganisirtenSäugethieren,denmenschen- ähnlichmAffen. Jn ungerechterUeberhebungbestreiteteinnamhafter Anthro- PologedieZusammengehörigkeitdesMenschenundderAnthropoideninder Klasseder»Primaten«.Wenn erdieMenschenals»Hirnwesen«von den ThierenalsDarmwesen unterscheidet,weilauchbei den höchstorganisirten ThierenderKauapparatamSchädel,das»Na-nimm viscerale«, dieHirn- kapfehdas»ein-nimm oerebrale«,überwiegt,so vergißter,daßderKau- aPparat beimThiere nichtnur denDarmfunktionenvorarbeitet. Derthierische KalmPparatversieht zugleichdie FunktionenderHändeundderkünstlichen
WerkzeugedesMenschenund muß hauptsächlichaus diesemGrunde mit seinenKnochenund Muskeln überGehäuseundJnhalt desHirnschädels PkäpvnderirenWenndurchaus zwischenMenschundThiereineostentative
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106 DieZukunft.
Unterscheidunggewähltwerden soll,sowäreesrichtiger,denMenschenals
»Werkzeugwesen«oder— KunstimweitestenSinn genommen — als,,Kunst- wesen«auszuzeichnen.Alleinjede solche kapitale Unterscheidungerregt den Verdacht rückfälligerTendenzen.
Jn gleichemSinn undGeistwiedieKörperformendesMenschen betrachtetdieAnthropologiediemenschlichenKulturformen. Hier bestehtihre Aufgabedarin,auch dieseals Naturformenzu begreifen.DieKluft zwischen MenschundThier istheute fürdasAuge auchbei denåsxvlwigIII-PG riesen- groß; fürdensinnendenGeist schließtsie sich,wenn ersichdieEntstehung derLawineausdeminsRollengekommenenSchneekügelchenvorstellt. Zwar ist dazu beinahe nochebensovielPhantasie nöthigwiezudenZeitendes Lukrez;abereineVorbedingungist seitdem doch erfülltworden. Wirhaben dieWegebetreten, dieunsin RaumundZeit, durchdieEthnologieund dieArchäologie,zu denAnfängenderKultur führen,zudennatürlichen Grenzender Menschheit,zumBeginndesMenschenalsWerkzeug-und Kunstwesens,wenn ich diesenAusdruckhiereinmalgebrauchendarf.
Dieniedrigen KulturformengebendenSchlüsselzumVerständnißder höheren;inihrer Einfachheit lehren sieuns dieMenschheitinKulturgruppen -gliedern,so,wie diephysischeAnthropologie sieinRassen gliedert.Damit tritt allmählichauchdiehöhereKultur, sie,diefrüheralleinKultur hieß, indenLichtkreisnaturwissenschaftlichenVerständnisses.
Kultur istAlles,wasdenMenschenvomThier unterscheidet;sie ist überall,wowirMenschengestaltantreffen; ja, diese selbst isteinErgebniß undZeichender Kultur, derErhebungdesMenschenüber dieThierwelt.
Darum istesoft schwer,dieGrenzlinien zwischenphysischerundpsychischer Anthropologiezubestimmen,und dieUrsachenderErscheinungenliegen nicht immer ausschließlichindemeinenoderdemanderenGebiet.
Kultur unterscheidetalso nichtdenhöhergebildetenvom minder ge- bildetenMenschen— dennauchDieser hat seineKultur —, sondernnur von höhererundniedrigererKultur kanndieRedesein. Esistklar,daß imAllgemeinendie»höhere«Kultur alsdiekomplizirtere,feinere, aufeiner größerenAnzahl-vonVoraussetzungenberuhende,diejüngere,daß dagegen die»niedrigere«Kultur die ältere sein wird. Alleinschonein Blick in das nächsteDorfunddannin einsunserer großstädtischenMuseen orientalischer und griechisch-römischerAlterthümerlehrt, daß jene chronologischeUnter- scheidungderWirklichkeitdochnur ungefährentspricht. HoheKulturist leicht vergänglich,niedrige schwer zerstörbar.AlleKulturphasenderein- facherenVorzeit umgebenuns undlebenum uns noch heuteinUeberresten oderinvollsterDaseinskraft;undVieles,wasdenStolz unseres Geschlechtes ausmacht, ist inderWirklichkeitdahingesunkenundfristet sein Daseinallein inderWissenschaft.
Anthropologie. 107 NiedrigeKulturist auch nichtnur einWegzurhöherenKultur und diehöhereKultur istkeinZielderMenschheit.DieMenschheit hatkein anderes ZielalsdiejeweiligeGegenwartundderennächsteZukunft. Es ist so leicht,aberauch so seicht, optimistischinunserer eigenenZeitoder pessimistischinirgendeinerliebevollausgeschmücktenPeriodederVergangen- heitdasbeabsichtigteZieldesmenschlichenKulturgangeszuerblicken. Eben so wenig liegtesineiner fernen Zukunft.Die teleologischeSeherkunst träumtundalleZeichentrügen.
DieAnthropologiemacht auf solcheWeisedenMenschenmitsichselbst bekannt. Sie istes,diediereife FruchtvomBaume ererbterWahnvor- stellungenlöst.DerMensch soll durch anthropologischeEinsichtengleichsam aus seineralten Natur heraustreten,darüberhinauswachsenundeineStellung übersich selbsteinnehmen.DieLehren,die dieAnthropologie— nichtauszer- splitterten historischenReminiszenzen,sondern—- ausdem ganzen,sichgleich- bleibendenWesenderMenschheitschöpft,schneidenscharfundtiefein in alle Unsere Ueberzeugungen.DiewahreAnthropologieisteineWissenschaftvom täglichenLeben;undvielleichtistDas derGrund, weshalbman ihrvon Staats wegenso zögerndRaum unter denübrigengelehrtenFächerngewährt hat—Ehren ängstlicheStaatslenker dietheoretischenWissenschaftendochum fv mehr,je entfernter sievom praktischenLebensind.Auf der zu Lindau inBayern abgehaltenen ,,Dritten Gemeinsamen VersammlungderDeut- schenundderWienerAnthropologifchenGesellschaft«erörterte einVortrag desProfessors WaldeyerdasVerhältnißderUniversitätenzumanthropologi- schenUnterricht.Dasselbe Themawirdseiteiniger Zeit besonders auchin Amerikafleißigventilirt. Ueberallistman überzeugt,daßderanthropologische UnterrichtandenHochschulennicht fehlen dürfe;nur über das Wiegehen dieAnsichtenauseinander. Waldeyer unterzog sichderMühe, nachzuweisen, waswiran AnfängenoderKeimformensolchenUnterrichtesbereits besitzen;
undwie immer,wenn eingewissenhafterMann einMaterial sorgfältigzu- sammenstellt,gewanndasVorhandenedenAnscheingrößererBedeutung,als esinWirklichkeitbesitzenmag. Dagegen sprach sichVirchowinseinemVor- trageüber»MeinungenundThatsacheninderAnthropologie«dahinaus, daßfürdieWissenschaften,namentlich fürdieAnthropologie, währendbisher nur ,,Meinungen«geherrschthätten, jetzt erstdasReichder»Thatsachen«
anbrechen soll. Diese UnterscheidungeinesdergrößtenlebendenGelehrten warmerkwürdiggenug. VerträgenMeinungen und Thatsachenüberhaupt einesolcheAntithese? Meinungen sind veränderlich,Thatsachenunveränderlich;
falscheMeinungenkönnendurch bessere ersetzt,abernie könnenMeinungen VVUThatsachenabgelöstwerden. JmmerwirdnebenderThatsachedie Mei- UUUgstehen;imoffenen WiderspruchmitdenThatsachenwirdfreilichkeine
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