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Zeitschrift des Vereins für Volkskunde, 21. Jahrgang, 1911, Heft 4.

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Academic year: 2022

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(1)

ZEITSCHBIFT

des

Vereins ftir Volkskunde.

Begründet von Karl Weinhold.

Unter Mitwirkung von J o h a n n e s B o l t e

herausgegeben von

Hermann Michel.

21. Jahrgang. Heft 4. 1911.

Enthält zugleich Mitteilungen des Vereins der Königlichen Sammlung für deutsche Volkskunde zu Berlin.)

.Mit dreizehn Abbildungen im Text.

B E R L I N . B E H R E N D & C °.

1911.

D ie Z e i t s c h r i f t e r s c h e i n t 4 m a l j ä h r l i c h*

(2)

Inhalt.

S e i f t

Das H ungertuch von T elgte in W estfalen. Von K arl B r u n n e r .

(Mit einer A b b i l d u n g ) ...321— 332 D ie T aufe totgeborener K inder ist noch heute üblich. Von

R ichard A n d r e e ... ... 333 Alte Zigeunerw arnungstafeln. Aon Elichärd A n d r e e . (Mit

A b b i l d u n g ) ... ... ... 334—336 E in papierener Irrgarten. Aon F ranz W e in i t z . (Mit Ab­

bildung) ... . . . 336—338 Zwei Segen. Aron F ran z A V e i n i t z ... ... . . 339—340 Die ATolkstracht des Rieses. A7on Ludw ig M u s s g n u g . (Mit

4 A bbildungen) ... ... 341 — 344 Schlesische T erra sigillata. Von Karl B r u n n e r . (Mit 4 Ab­

bildungen) ... 345—351 D er C hiem gauer Schiffsumzug vom 28. F e b ru a r 1911. Mit­

geteilt von R obert E i s l e r . (Mit 2 A bbildungen) . . . 352—355 K oreanische E rzählungen (1 — 19). gesam m elt von Dom inicus

E n sh o f f ... ‘ ... 355 367 K leine M itteilungen:

Zur Entwicklungsgeschichte des Volks- und Kinderliedes 1: Schlaf, Kindchen, schlaf.

Von G. S c h lä g e r . S. 368. — Verschwiegene Liebe Von E. L em k e. S. 377. — Ein Lied auf Turennes Tod (1675). Von 0. S tü c k r a t h . S. 377. — Fränkische Vierzeiler. Von G. R a u c h . S. 378. — Wie zeichnet man Volkstänze auf? Von R. Z o d e r. S. 382. — Schlangensegen und Fuchsbeschwörung aus Rudelsdorf. Von L. B e in . S. 389. — Der Regenbogen im Glauben und in der Sage der Provinz Posen. Von 0. K noop. S. 390. — Wie man in Erlangen spricht. Von J. G e n g ie r. S ..392. — Zur Volkskunde des Ostkarpathen- gebietes (7—9). Von R. F. K a in d l. S. 399. — Zum topographischen Volkshumor aus Schleswip-Holstein. Von A. A n d ra e . S. 404. — Volksspiele aus der Kufsteiner Gegend (1—3). Von K. B ru n n e r. S. 404. — Eine indische Parallele zu Schillers ‘Gang nach dem Eisenhammer’. Von J. H e r te l. S. 40(1.— Der Soldatenhimmel. Von J. L e w a lte r . S. 407.—

Zum 70. Geburtstage von Giuseppe Pitre. Von J. B o lte . S. 408.

B ücheranzeigen:

E. S a m t e r , Geburt, Hochzeit und Tod (E. Goldmann) S. 410. — 0. B e r t h o ld , Die Unverwundbarkeit in Sage und Aberglauben der Griechen (E. Fehrle) S. 415. — M. K em ­ m e r ic h , Prophezeiungen (R. M. Meyer) S. 417. — Graf C. v. K lin c k o w s trö m , Bibliographie der Wünschelrute (L. Weber) S. 418. — G. K o s s in n a , Die Herkunft der Germanen (S. Feist) S. 419. — J. K e le m in a , Untersuchungen zur Tristansage (F. Ranke) S. 420. — P. L e v y , Geschichte des Begriffs Volkslied (H. Lohre) S. 421. — K. H o e d e , Das Rätsel der Rolande (C. Müller) S. 424. — Wörterbuch der Elberfelder Mundart (J. Äsen) S. 424.

— J. B o lte und M. B r e s l a u e r , Acht Lieder aus der Reformationszeit (A. Kopp) S. 425. — J. E d g e - P a r t i n g t o n , Certain obsolete Utensils in North Wales (R. Andree) S. 425. — F. A. H ä s te s k o , Westlinnische Zauberlieder gegen Krankheiten (R. Karsten) S. 420. — L. K n a p p e r t , Geschiedenis der Nederlandsche Hervormde Kerk (H. F. Wirth) S. 427. — W. B ä u m k e r, Das katholische deutsche Kirchenlied 4. Bd. (A. Wrede) S. 429. — F. S e ile r , Die Entwicklung der deutschen Kultur im Spiegel des deutschen Lehnworts 3, 1 (H. Michel) S. 431. — E. S e e f r ie d - G u lg o w s k i, Von einem unbekannten Volke in Deutschland (F. Treichel) S. 432. — Ph. K ro p p , Latenezeitliche Funde an der keltisch-germanischen

Völkergrenze (A. Kiekcbusch) S. 433.

N otizen:

W. Crooke, W. Dobbeck, M. Friedwagner, R. Garbe, L. Günther, R. Hennig, P. Heyden, A. Hilka, L. v. Hörmann, K. Knortz, K. Krohn, A. Leskien, C. A. Loosli, C. Meinhof, L. Neubaur, G. Schott, H. Schuchardt S. 431—430.

Schönbachs Segensam m lung. Aron Max R o e d i g e r . 344 R e g i s t e r ... ... 437— 442

(Fortsetzung auf S. 3 des Umschlags.)

(3)

Das Hungertuch von Telgte in Westfalen1).

Von Karl Brunner.

(Mit einer Abbildung.)

E ine B ereicherung von ungew öhnlichem W erte und Umfang erhielt

<lie Kgl. Sam m lung für deutsche V olkskunde zu B erlin am E nde des vorigen Jah res durch die F reig eb ig k e it des Hrn. Privatdozenten D r. med.

€ . S tr a u c h . Es ist das grosse sogenannte H unger- oder F astentuch aus -der K irche in T elgte bei M ünster in W estfalen, das bis in die neueste Zeit dort w ährend der Passionsw ochen in jedem Jah re zur Schau gestellt

•wurde, aber wegen beginnender Altersschw äche je tz t nicht m ehr für diesen G ebrauch geeignet war und deshalb an unser Museum verkauft w erden konnte. D ie V erw altung des Museums spricht auch hier dem G eber aufrichtigen D ank für seine, wie schon oft, so auch in diesem F alle bew ährte H ilfsbereitschaft aus.

Das H ungertuch von T elgte ist ein rechteckiges Leinw andtuch von 7,'20 m Länge und 4,20 m Höhe. 7 W / In schachbrettartig- geordnetem MusterO O sind 33 gestickte viereckige B ilder von je 60 cm B reite und 62 cm Höhe eingesetzt, deren D arstellungen links oben beginnen und in vier R eihen Je su s Leidensgeschichte, darunter in einer R eih e biblische Symbole und in einer letzten R eihe alttestam entliche Vorgänge zur Anschauung bringen.

Am Schlüsse ist dann eine W idm ung der S tifter des Tuches angebracht m it der Jahreszahl 1023, welche das D atum der A nfertigung oder Über­

gabe an die K irche ist. D as Tuch ist bereits vom P rovinzialkonservator B aurat L u d o r f f in seinen B au- und K unstdenkm älern von W estfalen 1893ff., Bd. 5 abgebildet worden. U nsere A bbildung gibt m it Genehm igung

<les V erfassers den dam aligen Zustand des Tuches wieder. Nach Ludorff*

nnd den von ihm angegebenen Q uellen ist die K irche der alten H anse­

stad t T elgte bereits in frü h m ittelalterlicher Z eit vom H eiligen L iudger

1) Die folgenden acht Aufsätze erscheinen gleichzeitig in den ‘Mitteilungen aus dem Verein der Königlichen Sammlung für deutsche Volkskunde zu Berlin’, Bd. 3 S. 185 — 21!).

Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde, 1911; Heft l. 21

(4)

322 Brunner:

gegründet, dann nach einem die ganze S tadt im Ja h re 1500 verheerenden B rande von 1522 an in gotischem Stile auf einem anderen P latze neu gebaut und dem H eiligen Sylvester gew eiht worden. A usser dieser grossen K irche besitzt T elgte noch eine k lein ere K apelle m it einem w eitberühm ten, 1466 zuerst urkundlich erw ähnten w undertätigen M uttergottesbilde aus Holz, nach welchem von alters h er gew allfahrtet wird. Es ist eine D a r­

stellung d er M aria m it Jesus L eichnam auf dem Schosse, reich geschm ückt m it einer grossen K rone, S chleier oder M antel und zahlreichen S childern, K reuzen und R osenkränzen, die von andächtigen P ilg ern ih r geopfert worden sind. D ie K apelle, in w elcher dieses G nadenbild gew öhnlich auf­

b ew ahrt wird, wurde 1654 bis 1657 durch den B ischof von M ünster C hristoph B ernhard v. G alen nach dem M uster der A ltöttinger errichtet.

Um nun w ieder auf die grosse T elgter K irche zurückzukom m en, welche u nser H ungertuch barg, so ist die V eranlassung zur Stiftung des ungew öhnlich grossen und reichen Tuches nich t m ehr b e k a n n t1). Als S tifterinnen w erden fromme D am en genannt, deren W appen und In itialen sich in der untersten B ildreihe finden.

Über die T e c h n i k der A rbeit ist zu sagen, dass die B ild er durch A usfüllung eines N etzgrundes geschaffen w urden. E s w urde n u r w eisser F ad en für die S tickerei verw endet. Im Gegensatz zur P la ttstich stick erei e r­

halten solche d er G ruppe des K reuzstiches angehörigen A rbeiten im m er einen konventionellen, altertüm lichen C harakter, w eil die senkrechten, w agerechten und diagonalen L inien vorherrschend sind und k ein e n aturalistischen B ildungen gestatten. Mit dieser G ebundenheit an die U nterlage, den Stoff, erreicht die V olkskunst ihre b esten E rfolge; in der B eschränkung auf die überlieferten A usdrucksm ittel w irk t sie oft monu­

m ental. D as ist bei unserem H ungertuche von T elg te in hohem Masse der F all. D ie K larheit der D arstellungen ist u nü bertrefflich , und trotz der lateinischen Ü berschriften w ar ihre B edeutung gewiss jedem M itgliede der G em einde verständlich. D azu kom m t der im posante Massstab des Ganzen, so dass w ir wohl berechtigt sind, von einem m onum entalen Erzeugnisse d er V olkskunst zu sprechen.

D ie V o r l a g e n für die biblischen D arstellungen m ögen in einem oder m ehreren S tickm usterbüchern w eit v erb reitet gew esen sein. L eid er sind sie nicht erhalten geblieben. Dass ab er die S tickerinnen nicht n u r sklavisch nachgeahm t, sondern auch nach eigenem B edünken geändert haben, ersieht man aus den Inschriften, die zum T eil unvollständig und abgekürzt sind, verm utlich nach dem B edürfnis des Raum es. D enselben Mangel finden w ir zuw eilen auch an anderen E rzeugnissen der V olks­

1) Ygl. Jos. Molkenbur, Das Gnadenbild der schmerzhaften Mutter zu Telgte 1893 S. 18. Im Jahre 1623, also gerade zur Zeit der Stiftung des Tuches, verheerte Christian von Braunschweig mit dem Grafen von Mansfeld das westfälische Land und legte Münster eine Kontribution von 30000 Goldgulden auf.

(5)

Das Hungertuch von Telgte in Westfalen. 323 kunst, besonders bei H olzschnitzw erken, wo allerdings die U nkenntnis der Schrift auch ih re R olle gespielt haben mag.

W enn auch die u nm ittelbaren V orlagen für die S tickereien unseres und an d erer w estfälischer H ungertücher nicht erhalten oder w ieder aufge­

funden sind, so ist es doch m öglich, an der H and der seit den ältesten Z eiten der kirchlichen K unst im m er w iederholten biblischen D arstellungen dieser A rt die E ntw icklung der einzelnen B ilder zu verfolgen, die b e­

sonders nach Erfindung der B uchdruckkunst in H olzschnitten, illu strierten Bibeln und sogenannten A rm enbibeln, besonders der Cranachschule, zu typischen F orm en führte, die jederm ann geläufig waren. E ine E igentüm ­ lich k eit dieser D arstellungen w ar die beliebte G egenüberstellung von alt- und neutestam entlichen Szenen, von Gesetz und Evangelium , die auch in abgeblasster F orm auf unserem H ungertuche von T elgte zu finden ist.

Das H ungertuch von T elg te w urde, dem allgem einen Brauche folgend, alljährlich an einer Stange befestigt am Ascherm ittwoch u n ter dem T rium phbogen d er K irche hochgezogen und hing dort w ährend der F asten zeit bis zum Mittwoch der Karwoche. W enn dann in der Passion gesungen w urde ‘E t velum tem pli scissum est m edium ’, so liess man das H ungertuch zu Boden fallen. Das Tuch sollte also den Tem pelvorhang bedeuten, der bei Jesus Tod zerriss. D iese Auffassung scheint aber nicht die ursprüngliche Absicht gewesen zu sein, und es dürfte nötig sein, das W esen des alten christlichen K ultus in dieser H insicht etwas näher zu betrachten.

Schon das A ltertum m achte in H aus und T em pel einen ausgiebigen G ebrauch von V o r h ä n g e n , die sofort auch im liturgischen G ebrauche der C hristen gefunden werden. B ereits im Anfänge des 3. Jah rhu nd erts w ird von H ip p o ly t1) und später auch von anderen ein Vorhang erwähnt, der zwischen Volk und A ltar ausgespannt w ar und bei gewissen T eilen der heiligen H andlung auseinandergezogen wurde, um der Gemeinde den A nblick des A ltars zu bieten. D iese V erhüllung sollte den geheim nis­

vollen E in d ru ck der liturgischen O pferhandlungen verstärken und U nbe­

rufenen ihren A nblick verw ehren. E s ist auch von Interesse, zu lesen, dass die Leinw and für gewisse christliche K ulthandlungen, z. B. das Opfer des A ltars, bereits früh im vierten Ja h rh u n d e rt bevorzugt wurde, wie A nastasius im L eben des P ap stes Sylvester I. erzählt *). Baumwollenstoff w ar dagegen h ierfür verboten. S pätere P ru n k su ch t hat allerdings diese alte E infachheit vergessen lassen, so im ‘goldenen Mainz’, wo der R eichtum der K irche so gross war, dass an F esttag en das ganze M ünster nach seiner L änge und W eite m it Purpurstoffen b ehängt werden konnte und noch vieles unbenutzt liegen blieb. Viele A ltartücher waren statt von L einen

1) Franz Xaver Kraus, Geschichte der christlichen Kunst 1, 530f. (Freiburg 1895).

2) Laib und Schwarz, Kirchenschmuck 1, 92 (Stuttgart 1857) und 4, 80 (1860).

2 1*

(6)

324 Brunner:

aus Goldstoffen verfertigt. Dass m an aber schon in rech t frü her Z eit an ­ fing-, diese V orhänge zwischen G em einde und A ltar m it B ildern zu zieren, geht daraus hervor, dass solche B ilder schon zur Z eit des E piphanias (-j-403) bek an n t w aren, besonders in der griechischen K irc h e1). Im 8. und 9. Jah rh u n d ert w aren die A ltardecken und V orhänge oft m it D arstellungen aus der biblischen G eschichte geschm ückt, die in Gold und Seide gew ebt waren. Sie sollten ein offenes, stets lesbares Buch für alle sein, die der K unst des Schriftlesens nicht m ächtig w aren 2). W ichtig­

ist für das A lter der geradezu als F asten tü ch er bezeichneten A ltarvorhänge eine Notiz bei G e rb e rt3), nach w elcher der A bt H artm odus von St. G allen ( f 895) an die dortige K irche einen schönen V orhang (velum ) schickte, w elcher in den F asten (Q uadragesim a) vor dem K reuze ausserhalb des Chores aufgehängt w urde. Nach den B eschlüssen des Konzils von E x ete r (1287) sollte je d e r A ltar, an dem zeleb riert w urde, ein velum quadra- gesim ale (F asten tu ch ) haben. D er Schm uck bestand häufig aus P assions­

szenen. G leichzeitig m it d er A ufhängung des F asten tu ches w urden auch die B ilder in der K irche verhängt. H ier dürfte vielleicht auch der U rsprung für die fast allgem eine V olkssitte zu suchen sein, b ei Todes­

fällen Spiegel und B ilder zu verhüllen. D er G ebrauch des F asten - oder H ungertuches ist ehem als also überall in christlichen L ändern v erb reitet gew esen. Je tz t ist er b ereits vielfach vergessen. In Spanien w urde der B rauch noch 1861 in der W eise geübt, dass der V orhang dreim al w ährend der gottesdienstlichen H andlung in der F asten zeit erhoben w urde, beim Evangelium , b ei der E levation und der O ratio super populum . Am Mittwoch der Karwoche w urde er bei den W orten der P assion ‘E t velum tem pli scissum est’ in zwei Stücke zerrissen. D ie üblichen S chleier üb er den G em älden usw. w urden erst am K arsam stage w eggenom m en4). F asten ­ tücher, die zum T eil noch in n eu erer Zeit gebraucht w urden, w erden fern er erw ähnt aus den Dom en von P a ris und T rien t und aus B elgien 5).

D ie b ekann testen, teils gem alten, teils gestickten H u ngertüch er aus D eutschland, Ö sterreich und der Schweiz seien im folgenden aufgezählt:

Aus dem 12. Ja h rh u n d ert soll ein früher in der A postelkirche z u C ö ln b e ­ findliches, auf graues L einen gem altes F astentu ch gew esen sein. E s war im rom anischen Stil m it dem B ilde der M aria und von sechs Aposteln b em alt6).

G leichzeitig sind die w eiter unten erw ähnten F asten tü ch er von Augsburg.

Das Z i t t a u e r H ungertuch vom Ja h re 1472. E s ist in Öl auf L ein ­ w and gem alt und das berühm teste von allen. N achdem es 200 Jah re im

1) Heinrich Alt, Der christliche Kultus 1, 89f. (1851).

2) Fr. Bock, Geschichte der liturgischen Gewänder des Mittelalters 1, 23f. (Bonn 1859).

3) Mart. Gerbertus, Yetus Liturgia Alemannica, 1776 S. 962 (Disquis. X Cap. 3 § 10).

4) Kirchenschmuck 9, 57.

5) Wetzer und Welte, Kirchenlexikon, 2. Anfl., 4, 1255 f. (Freiburg 1885).

6) Bock, Das heilige Cöln, St. Aposteln S. 8. Vgl. Zs. f. Volkskunde 20, 362 2.

(7)

Das Hungertuch von Telgte in Westfalen. 325 G ebrauche war, w urde es 1672 abgeschafft, ist aber noch erhalten und b e­

findet sich im Städtischen Museum, k ann aber leid er aus Mangel an einem geeigneten R aum der Öffentlichkeit nicht allgem ein zugäno-Hch o-em acht werden. Es ist 8,20 m hoch, 6,80 m b re it und zeigt in 90 (nach anderer Angabe 108) B ildern Vorgänge des Alten und Neuen T estam entes, d ar­

u nter 19 Passionsszenen. D ieses Tuch ist nicht nur wegen der T re u ­ herzig keit der B ilder und des R eichtum s an D arstellungen b em erk en s­

w ert, sondern auch wegen seiner V erbindung m it einer üb erstandenen H ungersnot. Zur E rin n eru n g daran ist dieses Tuch von dem Gewürz­

k räm er Jak o b G orteler in Z ittau der dortigen Johanneskirche gestiftet worden. A uf einem B ilde des Tuches ist er w ahrscheinlich d a rg e ste llt1).

D iese eigentüm liche, aber nicht allzu fernliegende V erbindung des in den O sterfasten im kirchlichen G ebrauch befindlichen Vorhanges m it H un gers­

nöten ist auch durch den b erüh m ten Geographen Seb. M ünster zu Basel ( j 1552) bezeugt, der von einem 1347 gelegentlich grösser H ungersnot b e­

schafften H ungertuche spricht, dessen Kosten durch eine ‘gem eine Stern*’

zur E rinn erun g daran aufgebracht w u rd e n 8).

E in m it 60 D arstellungen bem altes H ungertuch von G ü g g l i n g e n in W ü rttem berg aus der zw eiten H älfte des 15. Jah rh u n d erts ist 1849 v er­

b ra n n t8).

Im Schw eizerischen Landesgew erbem useum in Z ü r i c h soll sich ein F asten tu ch aus dem 15. Jah rh u n d ert und eins von 1530 m it D arstellungen aus dem A lten und N euen T estam ente befinden.

D er alte K irchenschatz des M ünsters zu B e r n enthielt im Jah re 1586 ein ‘m echtig schön fastentuch oder hungertuch uf 200 L iew at’4).

Z ahlreich sind noch H ungertücher in K ärnten vorhanden, w orauf H e rr Prof. D r. Koch in Z ittau mich aufm erksam m achte.

W ohl das älteste ist das F asten tuch des Dom es vou G u r k in K ärnten, eingehend beschrieben von D r. Georg S ch n erich 8). Das Tuch ist 8,87 m im Q uadrat gross, aus Leinw and, m it D arstellungen zum T eil aus dem Alten und Neuen T estam ent in 100 F eldern von Conrad von F riesach b e­

m alt und am 8. A pril 1458 vollendet. Es finden sich auch einzelne ge­

schichtliche Vorgänge u nter den B ildern, wie Alexanders des Grossen H uldigung vor dem H ohenpriester, Cäsars Tod, Augustus und die Sibylle von T ib u r und andere. Solche B ilderzyklen sind bei den F astentüchern in Ö sterreich gewöhnlich, aber auch in W andgem älden. Bei dem Tuche

1) C. Gurlitt, Bau- u. Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen 1907 H. 30. Heinr.

Otte, Handbuch der kirchl. Kunstarchäologie des deutschen Mittelalters 5. Aufl. 1, 883 (Leipzig 1883).

2) Kirchenschmuck 13, 20 (1869).

3) Wetzer und Welte a. a. O.

4) Kirchenschmuck 6, 90 (1859).

5) Mitteilungen der K. K. Zentralkommission zur Erforschung der Kunstdenkmale 1893, 211 f. 1894, 8 f.

(8)

326 Brunner:

von G urk ist der Einfluss von H olzschnitten bem erklich. D ie V erw endung des F astentuches war dort bis in die neueste Z eit noch die ursprüngliche.

B ei den 40tägigen F asten vor O stern w ird es vor den H ochaltar gehängt, den es fast ganz verdeckt. D ie Messe wird in dieser Z eit am K reuz­

altar vor der K rypta gefeiert, wie es im M ittelalter durchw eg Sitte war.

Von anderen F asten tü ch e rn ia K ärnten w erden noch erw ähnt die von H a i m b u r g vom Ja h re 1504, K r a i n b u r g , H a n n und T r a t z b e r g .

Auch T iro l k e n n t die F astentücher. In den M itteilungen d er Z entral­

kom m ission 1895, 154, w ird ein gem altes H ungertuch aus O b e r - V i n t e l im P u ste rtal aus dem 15. oder Beginn des 16. Jah rh u n d erts beschrieben.

Es ist aus Leinw and, m it W asserfarben bem alt und zeigt Szenen des A lten und N euen T estam ents untereinander.

Zu den ältesten, allerdings n ur durch eine alte B esch reib u n g 1) b e­

kannten F asten tü ch ern gehören vier solche aus dem 12. Ja h rh u n d e rt, die der B enediktinerabtei St. U lrich in A u g s b u r g gehörten. Das erste zeigte in B ildern das L eben des H eiligen U lrich und der H eiligen Afra, das zweite enthielt viele F ig u ren in neun R eihen übereinander, zum T eil S in n b ild er kirch lich er E inrichtungen und christlicher T ugenden, zum T eil biblische V orgänge; ein drittes, vom B ruder B eretha gem altes und ge­

sticktes Tuch zeigte eine A rt von A rm enbibel, und das vierte gab B ilder C hristi, die W erke der B arm herzigkeit und die sechs Schöpfungstage als Bild der sechs L eb e n salter des M enschen.

Im Dom zu B r a n d e n b u r g wird ein w eissgesticktes F asten tu ch (?) des 13.

bis 15. Jahrh. auf bew ahrt, das u nter anderen die K reuzigungsgruppe e n th ä lt2).

E in T eil eines H ungertuches von B u l d e r n in W e stfalen 3) zeigt dieselbe N etzstickerei wie unser T elgter Tuch und enthält in der M itte des grossen triptychonartigen H auptfeldes die K reuzigungsgruppe. Zwei Seitenfelder sind m it biblischen D arstellungen versehen. E s soll 1583 gefertigt sein.

In der K irche zu E v e r s w i n k e l in W estfalen befand sich ein F asten ­ tuch von 4,50 m L änge und B reite m it fünf gestickten D arstellungen aus der Passionsgeschichte nebst N am en und W appen der S tifter vom Ja h re 16144).

D ie S tiftskirche von V r e d e n , K reis Ahaus in W estfalen, en thält ein F astentuch von 1619 m it 11 D arstellungen aus der Passion, 4 E van gelisten ­ zeichen und 16 W appen nebst N am en der S tifterinnen. Auch dieses Tuch ist in L ein e n -F iletarb eit ausgeführt und von ansehnlicher Grösse, 5 X 4,5 m 5).

1) J. Sighart, Geschichte der bildenden Künste im Königreich Bayern (1862) S. 205.

2) Bergau, Inventar der Bau- u. Kunstdenkmäler der Prov. Brandenburg, 1885, S. 210.

3) Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg, Bericht für das Jah r 1909 S. 17.

4) Katalog der Ausstellung westfälischer Altertümer und Kunsterzeugnisse, Münster 1879, Nr. 1963.

5) Ebenda Nr. 1756 und Ludorff, Bau- u. Kunstdenkmäler von Westfalen 9, 88.

(9)

Das Hungertuch von Telgte in Westfalen. 327 Das H ungertuch y. T e l g t e , K reis M ünster L an d , vom Jah re 16231).

N ähere B eschreibung folgt w eiter unten.

Aus derselben Zeit, 1623, stam m t das H ungertuch von B e r l a g e , in W estfalen. Es ist aus L einen hergestellt, 1,72 m lang und 98 cm breit.

In der M itte ist eine K reuzigungsgruppe2).

E in H ungertuch aus der B e i fa n g -K a p e lle im K reis Lüdinghausen, W estfalen, aus dem Ja h re 1659 ist in F ile ta rb eit hergestellt, 2 ,5 9 x 2 ,1 0 ? » gross und m it fünf B ildern verziert, von denen eins, eine K reuzigungs­

gruppe, der T elg ter sehr ähnlich is t3).

E benfalls aus dem 17. Ja h rh u n d e rt stam men die T ücher von G r e v e n ­ s t e i n und H e l l e f e l d , K reis A rn sb e rg 4). Sie sind von L einen m it N etz­

stickerei und von ziem licher Grösse. Das G r e v e n s t e i n e r Tuch ist 5,74 m hoch und 5,12 m breit, m it lateinischer Um schrift und sich oft w ieder­

holenden sym bolischen B ildern, wie Christusm onogram m, H irsch, Lam m Gottes, A dler u. a., sowie den L eidensw erkzeugen geziert.

Das H ungertuch von H e l l e f e l d ist 3,40 X 3,22 in gross und m it 16 viereckigen sym bolischen B ildern in der A rt des vorigen ausgestattet.

W eitere F astentücher w erden ohne nähere A ngaben erw ähnt von M ü n s t e r , D ü l m e n und H a l t e r n in W estfalen und von F r e i b u r g i. B r.6).

Auffällig ist es, dass gerade in W estfalen sich so viele derartige T ücher noch erhalten haben, w ährend sie im übrigen D eutschland nur vereinzelt sich finden. Manche mögen noch in Museen oder versteckt in K irchen liegen, ohne dass ih r V orhandensein w eiter bek an n t ist.

H aben w ir im obigen die G eschichte des H ungertuches von den ältesten Zeiten des christlichen K ultus bis in die neuere Z eit an der Hand d e r erhaltenen oder literarisch bezeugten Stücke verfolgt, so möge es noch g estattet sein, m it einigen W orten au f die sprachlichen Bezeichnungen einzugehen. N eben der kirchenlateinischen B enennung ‘velum quadra- gesim ale’ findet sich mhd. ‘hungertuoch1 z. B. bei Sebastian F ra n k von 1550 (Sprichw örtersam m lung): „es reim pt sich eben wie der Teufel und unser hergot am hungertüch.“ D ieselbe B ezeichnung findet sich bei G eiler von K aisersberg, H ans Sachs und L uther. Auch der Name ‘F asten - tuch’ geht nebenher, in N iederdeutschland ‘Sm achtlappen’. In sprich­

w örtlichen ^Redewendungen, die zum T eil noch heute sehr lebendig sind, heisst es bereits im 16. Ja h rh u n d e rt ‘am H ungertuch nähen, flicken, fasten’ in der B edeutung von ‘küm m erlich sich behelfen’. Gleichzeitig

1) Katalog der Ausstellung Münster 1879, Nr. 1754.

2) Ebenda Nr. 1755.

3) Ludorff a. a. 0. 1, 113.

4) Ebenda Bd. 18, 64f. und 72 f. Katalog der Ausstellung in Münster Nr. 1757.

5) Wetz.er und Welte a. a. 0.

(10)

328 Brunner:

und sp äter heisst es ‘am H ungertuch (auch K um m ertuch) nagen’1). ‘A u f k öniglich er T afel b re ite t m an k ein H u ngertu ch’, ‘de hungerdook is follen’, d. i. „die F asten zeit ist v o rü b e r“ 2).

K o m m e n w ir n u n z u r B e s c h r e ib u n g d e r E i n z e lb il d e r u n s e r e s H u n g e r ­ tu c h e s v o n T e l g t e (s. A b b ild u n g S. 32 9 ), in d e r R e ih e n fo lg e v o n l i n k s o b e n b e g in n e n d .

1 . Ü berschrift: T -E A -M -V -A M (Matth. 26, 38: T ristis est anim a m ea usque- ad m ortem ). D as Bild zeigt Je su s vor ein er Anzahl von M enschen, die palm en­

artige G ebilde in den Händen tragen. Die A nnahm e, dass die D arstellung sich au f den Einzug in Jerusalem beziehe, wird aber durch die Ü berschrift und d as F ehlen des R e ite se ls w iderlegt. Nach d er In sch rift m uss vielm ehr angenom m en werden, dass Je su Gang au f den Ö lberg vor dem V erra t dargestellt w erden sollte. D ie untere zinnenartige L inie deutet wohl auf eine E inzäunung des G artens G ethsem ane.

2. Ü berschrift: a b b a - p * c (M ark. 14, J 6 : Abba pater, omnia tibi possibilia sunt, tran sfe r calicem hunc a me). D iese wohl wegen R aum m angels stark g e ­ kürzte Inschrift bezieht sich au f Je su G ebet im G arten G ethsem ane. D as Bild zeigt ihn kniend, von einem E ngel m it Kreuz und Kelch gestärkt, w ährend drei Jü n g e r am Boden schlafen.

3. Ü berschrift: E g o s u m (Job. 18, 6). Das Bild zeigt Jesus vor den ihn suchenden H äschern, die bei seinen W orten zu Boden stürzen. D er eine träg t eine H ellebarde, ein an d erer eine L aterne.

4. Ü berschrift: A m i c e a d - q u i d v e n i s t i ? (M atth. 2G, GO). Eine zw eite D ar­

stellung der G efangennahm e Je su m it der F igur des Ju d as IschariQth, der in d er B and eine L aterne trägt und Je su s berührt, w odurch er dem mit einer H ellebarde hinzutretenden H äscher das Zeichen gibt.

5. Ü berschrift: L i g a t u m d u x e r u n t J e s u m a d (nicht w örtlich nach Matth. 26, 57 oder Johann. 18, 12— 13). Zu ergänzen ist: Caipham . Jesus, an den H änden gefesselt, w ird vor einen im T hronsessel sitzenden H ohenpriester geführt, d e r durch eine hohe spitze K opfbedeckung gekennzeichnet ist.

6. Ü berschrift: V in c t u m t r a d i d e r u n t P - P - P - (Pontio Pilato praesidi nach M atth. 27, 2). L inks Jesu s m it gefesselten H änden, rechts die beiden H ohen­

priester, in der M itte sitzt a u f einem T hron P ontius P ilatus. Ü ber ihm inn erh alb des T h ro n es die B uchstaben S P Q R .

7. Ü berschrift: E L F P - (V ielleicht nach Luk. 22, 64: E t velaverunt eum et percutiebant faciem eius usw. abgekürzt). D ie D arstellung zeigt in der Mitte Je su s an eine sogenannte P assionssäule gefesselt, auf w elcher d er übliche H ahn steht. R ech ts und links M änner m it erhobenen R uten und Geissel.

8. Ü berschrift: A ve. r e x J u d e o r u m (M atth. 27, 29). Jesu K rönung m it d er D ornenkrone. D er rechte K riegsknecht beugt spottend die K nie und reicht Je su s ein R o h r als Szepter.

9. Ü berschrift: E c c e h o m o (Joh. 19, 5). D ie D arstellung zeigt Je su s m it P urpurm antel, D ornenkrone und S zepter stehend auf einem G erüst neben P ontius P ilatus. D avor zwei H ohepriester.

1) Grimm, Deutsches Wörterbuch s. v. Hungertuch.

2) Wetzer und Welte a. a. 0. Berghaus, Sprachschatz der Sassen.

(11)

Das Hungertuch von Telgte in Westfalen.

Das Hungertuchvon Telgte,

(12)

330 Brunner:

10. Ü b ersch rift: V L N I T (vgl. Jo h . 19, 7. D er Sinn der A bkürzungen noch u n erk lä rt!) Die D arstellung zeigt Je su K reuzgang. L inks ein K riegsknecht wie in B ild 8 m it zum Schlage erhobenem Arm, rechts w ahrscheinlich Simon von K yrene, dem das K reuz auferlegt w urde.

11. In schrift: S u p e r v o s i p s a s f l e t e e t s u p e r f i l i o s v e s t r o s (Luk. 23, 28). D as Bild zeigt die Je su s a u f seinem K reuzgange begleitenden F rauen. In d e r Mitte die legendarische H eilige V eronika m it dem S chw eisstuche Jesu. Nach d e r T radition w ar sie eine Schülerin C hristi und M atrone in Jerusalem , die auch B erenice genannt wird. Als Je su s m it dem K reuze vorüberzog, reichte sie ihm ih r Kopftuch zum A btrocknen, w orin er sein A ntlitz abgedrückt zurückliess (Stadler-G inal, V ollständ. H eiligenlexikon Bd. 5).

12. Ü berschrift: F o d e r u n t m a n u s m e a s e t p e d e s m e o s (Psalm 22, 17).

Je su s w ird gekreuzigt. Ein kniender M ann hält einen H am m er in d er H and.

D as Kreuz ist a u f der E rde liegend zu denken. U nten herum sind die L eid en s­

werkzeuge, Beil, Zange, Nagel, B ohrer, Säge, abgebildet. R e ch ts unten in der E cke ein unerklärtes, eigentüm liches, kreuzähnliches W erkzeug.

13. Ü b erschrift: M e m e n t o m e i c u -[m ] v e n e r i s in r e g n u m t u u m (Luk. 23.

42). Bild 13 ist zusam m en m it 14 und 15 eine D arstellung d er Kreuzigung.

L inks d er eine Schächer am Kreuze, ein durch B art und K opfbedeckung als jü d isc h e r V olksangehöriger gekennzeichneter Mann, und d er K rieger, w elcher Je su s m it der Lanze die B rust verw undet.

14. In sch rift: 0 [? ] -C A S-V (vgl. Joh. 19, 25—27). D ie Inschrift ist u n v er­

ständlich, zum al das erste Zeichen von dem sonstigen C harakter d e r B uchstaben abw eicht. D ie D arstellung zeigt in den oberen E cken Sonne und den abnehm en­

den Mond, neben dem gekreuzigten H eilande frei schw ebend eine kleine kelch ­ artige F ig u r und zu r Seite des K reuzes stehend die M utter M aria und Johannes.

Sonne und Mond deuten au f die natürlichen B egleiterscheinungen beim T ode Jesu hin. U nter dem K reuze ein T otenschädel un d Knochen zur A ndeutung des O rtes G olgatha.

15. Ü b ersch rift: V e r e f i l i u s d e i e r a t i s t e (M atth. 27, 54; M ark. 15, 39) S chlussbild d er K reuzigung m it dem anderen Schächer. L inks ein Soldat m it dem Schw am m au f d er Stange, den er dem sterbenden E rlö ser reicht. N eben ihm eine P erson in derselben K leidung wie P ontius P ilatus im Bilde 6 und 9. H ier dürfte sie den röm ischen H auptm ann bezeichnen sollen, der die W o rte der Inschrift sprach.

16. Ü b erschrift: L A B - A - P e tiit c o r p u s J e s u (Joh. 19, 38). D ie K reuzab­

nahm e durch Joseph von A rim athia. D er rechts stehende Mann, w ahrscheinlich Jo se p h v. A., h ält eine Zange in d er H and, d er L inke ein Gefäss. D as bezieht sich au f N ikodem os, der M yrrhen und Aloe brachte. Beide tragen die eigentüm ­ liche m ützen- oder hutartige K opfbedeckung, w elche sie als Ju d en bezeichnet.

17. Ü b ersch rift: S u p e r v e s t e m m e a m m i s e r u n t s o r t e m (M atth. 27, 35?

Jo h . 19, 24). D er eine der au f der E rde um Je su K leider w ürfelnden Soldaten hat seine H ellebarde niedergelegt. D ie vier W ürfel haben oben 2, 3, 4 und 5 Augen.

18. Ü berschrift: V o c a te m e m a r a q u i a a m a r i t u d i n e r e p l e v i t m e [R uth 1 , 20: Ne vocetis m e Noemi (id est pulchram ), sed vocate me M ara (id est am aram ), quia am aritudine valde replevit m e Om nipotens]. M aria träg t Je su L eichnam au f den Armen.

19. Ü berschrift: P o s u i t i l l u m in m o n u m e n to s u o n o v o (M atth. 27, 60).

Je s u G rablegung. H inter dem G rabe zwei Männer, Joseph v. A rim athia und N ikodem us. D aneben ein K rieger als W ächter.

(13)

Das Hungertuch von Telgte in Westfalen. 331 20. Ü berschrift: U t v e n i e n t e s u n g e r e n t J e s u m (Mark. 16, 1). D rei F rauen, M aria M agdalena, M aria Jacobi und Salom e, m it Salbengefässen in den Bünden, um Je su L eichnam zu salben.

21. Ü b ersch rift: I n s a n g u i n e t e s t a m e n t i e m i s i t v i n c t o s s u o s d e l a c u (vgl. Matth. 26, 28; Joh. 21 und 1 . P etri 3, 19—20). D ie In sch rift scheint mit dem dargestellien Bilde nicht übereinzustim m en. D enn w ährend das letztere die H öllenfahrt Je su vor seiner A uferstehung zeigen dürfte, kann m an die Inschrift wohl nicht anders als auf die nach seiner A uferstehung erfolgte B egegnung m it seinen Jü n g ern am See T ib erias in V erbindung mit der E insetzung des H eiligen A bendm ahles beziehen. V ielleicht liegt hier eine M ischung verschiedener V orlagen vor. D as Bild lässt nicht erkennen, ob die in d er Ecke links unten die H ände em porstreckenden F iguren in einem Schiffe oder in d er U nterw elt (Hölle) sitzen.

F ü r die A uffassung als H öllenfahrt spricht vor allem die R eihenfolge des Bildes vor dem A uferstehungsbilde.

22. Ü berschrift: E g o s u m r e s u r r e c t i o e t v i t a (Joh. 11, 25). Je su s m it d er G laubensfahne au f dem G rabe stehend. D aneben in Schlaflage ein Mann, dem zw ei eigentüm lich gestaltete G eräte zur Seite liegen. D as eine sieht oben aus wie ein Säbel m it Korb, an dem ein Schlüsselbart unten ansitzt, das andere wie ein röm ischer Schlüssel oder ein Anker m it zwei recht gestreckten Armen.

23. Engelsfigur. Sym bol des Evangelisten M atthäus.

24. Geflügelter Löwe. Sym bol des Evangelisten M arkus ist der Löwe.

25. Ü b ersch rift: E c c e D e i a g n u s (Joh. 1, 36). Das Gotteslam m m it K reuzesfahne, Symbol des E rlösers.

•26. G eflügelter Stier. Sym bol des E vangelisten L ukas ist der Stier.

27. Adler. Sym bol des Evangelisten Johannes.

28. Adams und Evas Sündenfall ( 1. Mose 3, 6). D arunter zw ei W appen­

schilder und vier Initialen H -V *C -D , von denen sich die beiden ersten auf das linke Schild, die beiden letzten auf das rechte Schild zu beziehen scheinen. D as linke W appenschild zeigt einen (schrägen) R echtbalken m it drei vierspeichigen R ädern. Nach A. F a h n e 1) gruppieren sich F am ilien m it R a d im W appen um die Stadt T elgte längs der Ems, näm lich die V echtorp, V ierlingen, V oss usw. Da dieses W appen un ter denen des H ungertuches von T elgte dreim al vertreten und im m er m it dem B uchstaben V dabei bezeichnet ist, kann man wohl annehm en, dass V ertreterinnen dieser Fam ilien bei d er A nfertigung des T uches beteiligt waren.

Das rechte W appen m it den Initialen C • (oder G )-D . besteht aus einem so­

genannten H erzschild, dessen U m risslinie d er des äusseren folgt. Nach Fahne a. a. 0 . ist ein roter H erzschild in S ilber das W appen der F am ilie Droste. Ob diese hier in F rage kommt, verm ag ich nicht zu en tsch e id en 2).

29. Die Arche Noahs mit einem herausschauenden Kopfe und vier T auben h erum ( 1. Mose 8). D arunter zwei W app en sch ild er3) und die Initialen I V C * B

1) A. Fahne von Roland, Geschichte der westfälischen Geschlechter unter besonderer Berücksichtigung ihrer Übersiedelung nach Preussen, Curland und Liefland, Cöln 1858, Vorwort, und A. Fahne, Die Herren und Freiherren von Hövel, S. 181.

2) Nach gütiger Auskunft von Prof. Dr. Ad. M. H i l d e b r a n d t vom Verein Herold hier ist das mit drei vierspeichigen Kadern im Schrägbalken belegte Wappen das der Herren von Voss. Sie waren Burgmänner zu Telgte, und es ist daher sehr wahrschein­

lich, dass die Wappen in den Bildern 28, 29 und 32 mit den Initialen H V . J*V. und J-S-V . sich auf dieses Geschlecht beziehen. Das andere Wappen des Bildes 28 ist auch nach Ansicht von Prof. Hildebrandt das der Familie v. Droste.

3) Hr. Prof. Ad. M. H i l d e b r a n d t urteilt über das Wappen mit den drei Lilien, dass

(14)

332 Brunner: Das Hungertuch von Telgte in Westfalen.

in derselben A nordnung w ie beim vorigen Bilde. Auch das linke W appen ent­

sp rich t genau dem linken je n es Bildes. D as rechte W appen zeigt drei heraldische Gebilde, die etwa den viel gebrauchten D oppellilien entsprechen, obwohl die durch die S tickereitechnik verursachte Stilisierung m ehr ein tierisches als pflanzliches Motiv verm uten lässt. Nach F ahne a. a. 0 . S. 52 f. fü h rt eine altpatrizische adlige F am ilie der S tadt M ünster, B ischoping, in blauem , oft m it S ilber eingefasstem F elde drei goldene G leven (Lilien), deren A nordnung der unseres W appens ent­

spricht. Die hier eingestickten Initialen C (oder G)*B. w ürden ebenfalls hierzu passen, und es kom m t hinzu, dass zahlreiche Abköm m linge dieser F am ilie im An­

fänge des 17. Ja h rh u n d e rts in T elgte lebten.

30. A braham s Opfer (1. Mose 22). [Dieses Bild w eist nur einen W appen­

schild und die Initialen B*W -P-T. auf. D as W appen besteht aus einem ver­

schränkten W m it einem kleeblattartigen G ebilde d a rü b e r1).

31. M oses’ eherne Schlange (4. Mos. 21, 9). D aru n ter ein W appenschild und die In itialen I-l-V -M . D er W appenschild ist m it zw ei w agerechten B alken in einem sogenannten H erzschilde verziert, dessen U m risslinie d er des äusseren folgt. Ähnliche W appen haben nach F ahne a. a. 0 . die w estfalischen Fam ilien M engede und M ü n ster2).

32. M oses’ K undschafter m it der Riesenwreintraube. D aru n ter ein W ap p en ­ schild m it drei R ä d e rn wie bei Bild 28 und 29 und die In itialen I-S -Y .

33. Die W e ihinschrift: Ad passionis salutiferae m em oriam et ecclesiae T elgetensis ornam entum . Anno dom ini M -D C ’X X III. Acu pictum. — D iese W idm ung gibt deutlich genug zu erkennen, dass das H ungertuch lediglich für den kirchlichen G ebrauch und keinesw egs zur E rinnerung an eine H ungersnot, wie z. B. das Z ittauer T uch, gestiftet w orden ist.

D er Zweck des kirchlichen G ebrauches war, wie aus der ganzen B e­

trachtung sich ergibt, von alters h er der einzige, w elcher die H erstellung solcher V orhänge veranlasste. E rst sp äter und n ebenh er ergab sich die V erknüpfung m it H ungersnöten, die aber in der M ehrzahl der F älle bis in die neueste Z eit ausgeschlossen blieb.

Im m erhin hat diese sekundäre V erbindung m it P erio den der Not und des H ungers auch infolge ih rer sprichw örtlichen V erw endung in der R ed en sart „am H ungertuche n agen“ doch so stark auf den deutschen S prachgebrach und das S prachgefühl g ew irkt, dass die ursprüngliche B e­

deutung des W ortes „F asten tu ch “ = A ltarvorhang zur F astenzeit dagegen v er­

blasst ist und gew isserm assen erst w ieder ins L eben gerufen w erden muss.

B e r l i n .

es sich entweder auf die Familie von Biscoping oder von Brockhausen beziehe, wahr­

scheinlich aber auf letztere, weil sie die Lilien in einem Schilde ohne Rand führten, während die Biscoping einen Schild mit breitem ltande im Wappen zeigten.

1) Über dieses Wappen teilt Hr. Prof. Ad. M. H i l d e b r a n d t folgendes m it: Das W könnte vielleicht Waldcnhcim sein; eine Familie dieses Namens führte ein ähnliches Wappen, nämlich die Figur W umgekehrt M und das Kleeblatt allein im vierten Felde.

Vielleicht das Wappen des Pfarrers zu Telgte: P. T. = Pastor Telgetensis?

2) Nach Prof. Ad. M. H i l d e b r a n d t sind zwei Querbalken in gerandetera Schilde das Wappenbild der von Münster. Dazu passt die Inschrift

(15)

Andree: Die Taufe totgeborener Kinder ist noch heute üblich. 333

Die Taufe totgeborener Kinder ist noch heute üblich.

Von Richard Andree.

T otgeborene K inder, welche die Taufe nicht em pfangen haben, kom m en bekanntlich nicht in den H im m el, w erden nach der V orstellung des V olkes keine E ngelein. Aber auch in die H ölle oder das F egefeu er kom m en sie nicht, sondern in eine A rt für sie bestim m ten Vorhim m el (Lim bus). D ie darüber trostlosen E ltern suchen nun dieses Schicksal ab- zuwenden, denn im Lim bus sehen die K inder Gott nicht und da hat es von alters h er ein M ittel gegeben, um dennoch die Taufe für die Totgeborenen und dam it deren S eligkeit zu bew irken. Manche H eilige: Stephan, K un i­

gunde, R osalie, Thom as von V illeneuve, Thom as von Aquino, Viventius u. a.

besitzen die Macht, für kurze Z eit solche toten K inder ins L eben zurück- zurufen, um dann noch die Taufe zu em pfangen. Vor allem w irk t aber in dieser Beziehung die M utter Gottes in verschiedenen ihrer G nadenstätten.

P ie rre Saintyves hat nun nach den A kten und kirchlichen Zeugnissen eine grosse Anzahl solcher F älle, bei denen die K irche m itw irkte, zu­

sam m engestellt (R evue d’E thnographie 1911, p. 65), wobei er sich auf F ran k reich , nam entlich dessen Osten, beschränkt; in der F ranche Comte, Savoyen und Bourgogne sei die Sache häufig, ab er auch in Lothringen, F landern, der P icardie. Aus den sehr zahlreichen Beispielen, die Saintyves an fü h rt und die vom 15. Jah rh u n d ert bis in die Gegenwart reichen, können w ir n ur das Typische hervorheben. Das totgeborene K ind wird auf den A ltar vor das G nadenbild gelegt, einerlei, ob die Zersetzung schon b e ­ gonnen hat, man b etet um das W u nder und beobachtet den kleinen L eich­

nam. G laubt man nun eine V eränderung in der Leichenfarbe zu bem erken, eine Bewegung in den G liedern, das H ervortreten eines Bluttropfens oder dgl., so kann die Taufe erfolgen. F älle kom m en vor, dass die B ittenden sich m it W eihw asser versehen und die N ottaufe erteilen. Abbe Brenot, den Saintyves anführt, hat 1908 ein Buch über den K ultus der M utter Gottes von Noyer geschrieben, in welchem er 63 dort erfolgte W ied er­

erw eckungen m it nachfolgender Taufe zwischen 1702 und 1867 beschreibt.

B ei d i e s e n V orkom m nissen darf aber nicht verschwiegen werden, dass der Bischof von L angres 1452 derartige T aufen verbot und dass auch spätere E rm ahnungen dagegen ergingen, ohne Erfolg, die Sache dauert fort.

Indessen F rankreich, von dem h ier die R ede ist, kann sich nicht allein dieser W u n d er rühm en. T i r o l ken n t sie noch. Und h ier ist es die M utter Gottes von T rens bei Sterzing, zu der die B auern im R ucksack ihre totgeborenen K inder bringen, dam it sie noch w ieder erwachen und die T aufe em pfangen können. Man vergleiche darüber H. Noe, W inter und Som m er in T irol (W ien 1876) S. 48.

M ü n c h e n .

(16)

334 Andree:

Alte Zigeunerwanurngstafeln.

Von Richard Andree.

(Mit Abbildung.)

Bei einem Besuche des reichhaltigen, unter L eitu ng des S tadtarchivars Prof. Ludw ig Mussgnug stehenden kulturgeschichtlichen Museums der alten R eichsstadt N ö r d l i n g e n fand ich die beiden auf Blech gem alten, hier in etw a ein D rittel Grösse abgebildeten Zigeunerw arnungstafeln. Sie sind leider nicht ganz gut erhalten, lassen aber das, was sie sagen sollen, genügend erkennen, und die U nterschriften besagen erläu ternd das übrige.

D a derartige W arnungstafeln sich n ur selten erh alten haben, glaube ich, dass eine W iedergabe hier am P latze ist. D eutlich lassen sie erkennen, wie m an um 1700, aus welchem Ja h re die T afeln etwa stam m en, kurzen Prozess m it dem lästigen V olke machte. D ie erste zeigt, wie ein Z igeuner m it entblösstem R ücken u n ter R utenhieben zum Galgen getrieben wird, an dem schon einer seiner G efährten als w arnendes Beispiel hängt, D ie U nterschrift lau tet: ‘Ja u n e r u. Z igeiner Straff’. A u f der zw eiten Tafel, die ebenso den Galgen zeigt, dehnt sich die B estrafung auch auf die W eib er aus, die m it entblösstem O b erk örper u n ter R utenstreich en fortge­

trieb en werden. H ier besagt die U nterschrift: ‘Straff d er im land b etreten en Z igeiner Z igeinerin und . . . .’

D ie T afeln stam m en aus einem G ebiete, das zu den buntscheckigsten im ganzen D eutschen R eiche gehörte, wo geistlicher B esitz, R eichsstädte und die L än d er k lein er D ynasten ein w irres D urcheinander bildeten und als D orado der B ettler, G auner, R äu b er und Z igeuner galten, die sich in w enigen Stunden von einem L ande ins andere begaben und dann sich m ehr oder m inder frei fühlten. D ie T afeln w aren näm lich an dem süd­

östlich von N ördlingen auf steiler F elsen kup pe an der W örnitz gelegenen, sehr ausgedehnten und noch w ohlerhaltenen Ö ttingen-W allersteinischen Schlosse H a r b u r g angeschlagen, und die Ö ttinger H e rren sind es g e­

wesen, die als Souveräne jen e T afeln im B eginne des 18. Jah rh u n d erts an den T oren ih rer B urg und denen des darunter liegenden O rtes anbringen Hessen.

D ass m an kurzerhand die auf den T afeln angebrachten W arnungen auch ausführte, darü b er ist kein Zweifel. D ie strengen Erlasse, w elche gegenüber den um herziehenden Zigeunern zur G eltung gelangten, glichen sich in den europäischen K ultu rlän dern sehr. W ie in den O ttingschen W arnungstafeln w ird da m it dem Galgen und Ausstäupen gedroht, und derartige E dikte, von denen sich seltene D rucke erhalten haben, gehen durch das 17. und 18. Jah rh u n d ert. E in solches aus W olfenbüttel vom

(17)

Alte Zigeunerwarnungstafeln. 335 18. August 1597 gegen alle L andstreicher, besonders ‘T arte rn und Z iegener’, erliess H erzog H einrich Julius von B rau n sch w eig 1). E in erh altener französischer vom Ja h re 1612 ‘A rrest de la cour de P arlem ent, p o rtant injonction ä toutes personnes soy disans Egyptiens, de sortir hors le R oyaum e de F rance, dans deux mois apres la publication du present a rrest’2) verordnet, dass alle M änner, W eiber und K inder ra sie rt und au f die G aleeren gesendet w erden sollen. K aiser Leopold I. ordnete am 20. S eptem ber 1701 an, dass die Zigeuner „per patentes fü r vogelfrei erklärt, und dass bei deren WTiederbetretung an L eib und Gut nach aller

Schärfe w ider sie verfahren werden soll.“ Infolgedessen kam en tatsächlich H inrichtungen von Zigeunern vor. Nach der V erordnung K aiser K arls VI.

vom Jah re 1726 sollen von den in M ähren ergriffenen Zigeunern die er­

w achsenen M annespersonen m it dem Strang vom Leben zum Tode hinge­

richtet, den B uben u n ter 18 Jah ren sowie allen erwachsenen W eibsbildern in Böhmen das rechte, in M ähren und Schlesien das linke Ohr abge­

schnitten, dieselben dann aus allen E rblanden auf ewig verwiesen werden.

Bei R ü ck k eh r sollte ihnen auch das andere O hr abgeschnitten, die E r ­ wachsenen sollten aber hingerichtet w e rd e n 8).

In P reussen verfuhr m an zu je n e r Z eit nicht m ilder m it dem vogel­

1) Faksimiledruck im Journal of the Gypsy Lore Society N. S. 1, 394. Aus einer Privatbibliothek in Liverpool. Tater ist der niederdeutsche Ausdruck für Zigeuner.

2) Daselbst 3, 202. Nach einem Exemplar in der Bodleyanischen Bibliothek.

o) Schwicker, Die Zigeuner in Ungarn, 1883 S. 31.

(18)

336 W einitz:

freien V olke als in den österreichischen E rblanden, dafür spricht ein E d ik t F ried rich W ilhelm I. vom 5. O ktober 1725, wonach die Zigeuner, w elche sich im königlich preussischen S taatsgebiete b etre ten lassen und ü b e r 18 Jah re alt sind, ohne U nterschied des G eschlechts m it dem Galgen b estraft w erden so llte n 1).

M ü n c h e n .

Ein papierener Irrgarten.

Von F ra n z W einitz.

(Mit Abbildung.)

Aus grobem , hellbraunem P ap iere ist durch B eschneiden und A us­

schneiden m it einer feinen Schere ein einem F lechtw erk e oder auch einer H ä k elarb e it ähnliches G ebilde entstanden (D urchm esser 23 m ) , auf dessen S treifen das unten m itzuteilende m oralisierende G edicht niedergeschrieben ist. E s ist k ein poetisches K unstw erk, vielfach holperig, eine Stelle (Z eile 53), wohl durch die U naufm erksam keit oder F lü c h tig k e it des nach D ik ta t oder Vorlage arbeitenden Schreibers, geradezu unverständlich. Nach dem V orbilde der verschlungenen W ege eines Irrg arten s w indet und k reuzt sich der T ext. D e r S chreiber oder doch dam alige B esitzer nen nt sich au f der R ückseite: ‘Johann C hristian R unge in A reudsee den lten O ctober Anno 1808’. Das ganze stellt eine Spielerei aus kleinbürgerlichem Kreise, vielleicht aus einem P farrhause N orddeutschlands dar, der, dem G eiste d er Z eit entsprechend, ein ernster In h a lt gegeben w urde; sie mag, um als G eschenk w eitergegeben zu werden, angefertigt worden sein.

Ich nahm mir einmal vor die Hand Ich ging im Garten hin und her, Zu reisen in mein Vaterland.

Hierauf begab mich auf den Weg, Kam aber bald auf solchen Steg, Da Berg und Thaal zusammen war;

Hier sah ich nun ganz offenbar Den Garten, der gar schön geziert, Aber gar viele schon verführt.

Wer ihn genau ausforschen will Und eher nicht will stehen still, Bis er das End gefunden,

Der wird im Irrgang festgebunden.

Die Lauge, breit und in die Quer, Bis ich den rechten Weg verlohr, Da kam mirs ganz verirret vor.

Zuletzt ging ich ganz tief hinein, Da wußt’ ich weder aus noch ein.

Zu pieinem Glück sah ich von fern Im Garten gehen einen Herrn, Der im Gedanken tief betracht, Wie dieser Irrgang sey gemacht.

Ich sprach und ihn gar höflich bat, Er möcht mir geben guten Rat,

1) Der volle Titel des Edikts lautet: Edict, dass die Zigeuner, so im Lande betreten werden, und 18 Jahre und darüber alt seyn, ohne Gnade mit dem Galgen bestraffet, und die Kinder in Waysen-Häuser gebracht werden sollen. De dato Berlin, den 5. October 1725.

Alten Stettin. Gedruckt bey Johann Friedrich Spiegeln, Königl. Preussis. Pommers Regierungs-Buchdrucker.

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Ein papierener Irrgarten. 337 -25 Das ich den rechten Weg ja nähme

Und also bald zu Ende käme.

Er sprach: ‘Das kann ich Dir nicht sagen, Weil die Gedanken mich auch plagen Und mich nicht weiß zu finden drein, 39 Daß nur ein Gott und Herr soll sejn

Und dennoch drey Persohnen sind

Als dieses Gartens Ende sehn.’ 40 Ich sprach: ‘Wir wollen weiter gehn

Und hier nicht lange stille stehn, Vielleicht wir kommen auf den Weg, Den eigendlichen rechten Steg.’

Der Alte dacht aufs tiefste nach, 15 Wer Gott sey, und gar deutlich sprach:

Ein Gott, so daß man keinen findt, So nicht den Ändern gleichet sich An Allmacht und auch ewiglich;

35 Denn ohngeachtet diese Drey Ein einger wahrer Gott nur sey, Der ewig ist in seinen Wesen, Wie solches in der Schrift zu lesen.

Das ist noch schwerer zu verstehn

‘Gott ist von aller Ewigkeit, Das ist fürwahr ein solche Zeit, Die kein Anfang noch Ende hat.

Drum lobet ihn all in der That, 50 Beugt für ihn Menschen eure Knien Und laßet Alles Grübeln hin!

Den Herrn irret man gar sehr.’

Wir kamen endlich an das Meer,

V. 53. Vielleicht muss es lauten: Denn hierin irret man gar sehr. [Irren bedeute indes nach Grimm DWb. 4, 2, 2165 auch ‘reizen, böse machen’; so bei Tieck: um Gott nicht zu irren.]

Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1911. Heft 4. 22

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