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Die Zukunft, 31. März, Bd. 30.

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Berlin, den 31.März 1900.

H »I- Pf

Wenn wirToten erwachen.

S hederweicheJünglingausNazareth,den derTäuferim kaltenJor- danwasser gehärtethatte,sichaufdenMartyrweg machte,weilteer vierzig TageundvierzigNächtein einerWüste.Er wollte mitsichallein sein,ganzeinsam,umungestörtzurückund vorwärts zuschauenundin der stillstenStunde denStimmen zulauschen,derenLockrufihnausderMeu- schengemeinschastriß.Er wollteerwägen,obereinwillenloses Werkzeug Johanniswerdenodersichselbstlebensolle,auseigenerKraft.Denselsigen Abhang,derimWestendasToteMeerschließt,erklommer,haustedort unterdemspärlichenWüstengethierundverfagtedemLeibjeglicheNahrung.

DasFleischliche,Alles,wasaufdenWillen,denMachtund Wonnebegeh- renden, wirkt, sollteverkümmern,erlahmen; ungetrübtsolltedasLichtreiner Erkenntnißden zu wandelnden Weg erhellen.Die Stättewarfür beschau- licheEinkehrinsJnnerste gut gewählt;keineeinsameregabesin derJudäer- welt. Dochdas Volkrannte,sie seivonDämonen bewohntund dem dort Rastenden drohe Gefahr. Undwirklich:zu demdurchFastenGeschwäch- ten tratderVersucher.ErhöhntedenJüngling,dersichdurchGottesbe- sondereGnadegeweihtwähne,undheischtevonihm Wunder,dieüber- menschlicheKraftdemMenschenaugebeweisenkönnten.Jn klugerRede wehrtederJünglingsolcheZumuthungab. DaführtederVersucherihn aufeinensehr hohenBerg, zeigteihmalleReicheder WeltundihreHerrlich- keitundsprachzuihm: »DasAlleswillichDirgeben, soDuniedersällst undmichanbetesDerJünglingabersprach:,,.HebeDichwegvonmir,

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Satan! Denn esstehetgeschrieben:»Du sollstGottanbeten,DeinenHerrn, undihmallein dienen.«Dann stiegerherabvonderHöhe,denMenschen Lehrer,Erlöserzu werden. VonSansara,derWeltewigerWiedergeburten, desGelüstensundVerlangens,derSinnentäuschungund wandelbarer For- men,hatteersichfreiwillig geschieden,wie Alleesmüssen,dieausdemGeist Großes schaffenwollen,undwarinNirwana einfrommer Bürgergewor- den,in demwindstillenLand,wodiesündigenWünscheschweigen.

Auf dieses wundervolle,derunerschöpflichreichenWelt des Veda ent- stammteSymbol istderBlick desgrößtenDichters,derheutedenEuropäern lebt,seit seinerJugend geheftet.HenrikJbsen,derNordgermaneausdem Lande derstarrsten Staatskirche,derinbrünstigstenElstase,derzornigen ChristenvomSchlagederKierkegaardundLammers, erwuchsimHaßaller Sinnenfreude. NurimBereichderNazarenermoral, so lehrten ringsum Strenggläubige,giebtesdesStrebens würdigeWerthe,nurdiesittlicheSchön- heit ist wahrhaft schön.Der KnabeglaubtederLehre; in demJünglinger- wachtemit demGeschlechtslebenderZweifel. Jst wirklichAlles,wasuns aufder ErdeanFreuden erwächst,alsUebel zu meiden?Leuchtetdie Sonne unsnur,umzuBüßerzerknirschungin Sack undAschezumahnenP Jstder süßeDuft erblühterKnospeneineLockungdesBösen,dieVereinigungzweier heißen,langendenKörpereinSündenfall?UndsollderAnblick derirdischen PrachtundHerrlichkeitdenMenschennur prüfen,den,wennervonGlück undGlanzein Stückansichreißt,in einemJenseits für solchesVermessen harte Strafenerwartet? NochbliebesbeimZweifel.DerJünglingwar scheu,dieerstenEindrückeerkältetenihn, dessenscharfesAuge frühschonunter dieOberflächesah,under trautesichselbstnichtgenug,umandemHeiligsten, dasihn gelehrtwordenwar, das Rütteln zu wagen. ErstderMannhatte denMuth,zu demGottauszuschauen,vordemseinVolkkniete, erstder Mann konnteandasHeiligstekritischseinRichtmaßlegen.Einschwächliches, aufkrummenWegenwandelndes Geschlechtsaher, dassichvonTagzuTag kleineVortheile erfeilschte,heuchlerischeKompromisseschloßund,wenn es zum Gebet dieHändefaltete,nur daran dachte, sichschlauin denHimmel zulügen.WiemußtederGottsein,dersichvonsolcherMenschheittäuschen ließ?DerGott,den dieMasseträumte,warnichtderGottstarker Christen mehr.MitschrillerStimme riefesderDichterinsLand:

WiedasGeschlecht,ergrautsein Gott.

AlsGreis mitdünnemSilberhaar:

Sostellt JhrdenGottvater dar.

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Doch dieser Gottistnichtdermeinet MeineristSturm,woWindderDeine, EinHeldenjüngling,kühnundstark, KeinschwacherAlterohneMarkt

Dieser jungeGottläßtsichin diealte,engeKirchenicht bannen, für ihn reicht auch nichtderweitereRaum des modernenKultgebäudes.Wer ihn fühlen,ihmnahkommenwill, mußhinaus insFreie, hinaufzudenGipseln, die in denHimmelragen: dortwirdin des Sturmes BrausenderStarke Starken sichoffenbaren. DeshalbschleudertBrand,der ausderStaats- kirchegeschiedenePfarrer,denSchlüsselzumGotteshausindenFlußund machtsichmit denTapferftenausseinerGemeindeaufdensteilenWeg, dessen Mühsal siestärkensoll. Doch fürdenLeidenswegsinddieTapferften noch nicht tapfergenug.SielechzennachFreudeundaufderHöhedrobenathmet sichsschwer;ihrBlicksuchtBlumen undfindetnurEisfelder;sie erhoffen derMühe köstlichenLohnund derstrengeFührer versprichtihnennur eine Dornenkrone. Da wendetihr dumpferSinnsichzurWuth:mitStein- würfenscheuchensiedenMann fort,dersieausbehaglicherNiederung lockte, undkehren zurück,—- insJoch,in denAlltag,inVersorgungundBot- mäßigkeit.Brandbleibtallein;erblutetausWunden,dieihmderAber- glaubeschlug,und kannkeuchenderkennen,wie dieMenge Erlösernlohnt.

Zur Freiheit,zumLicht,zueigenem,jungenWollenhatteerdieGemeinde zuführenversucht: siewollte weiterschlafen,denWillennicht stählen,mit Erobererfauft nichtfichselbsteineSeligkeitschaffen.WozudieQual? Selig- keitwar jaschonlange verheißen,fürAllehatte jaEinergelitten..Die alte Lehrehatden Willengebrochen.Brand schaut zurück,hinunterinsThal derWillenlosen,dassichwie ein Totcnland vorseinemAuge dehnt.Kein frisches,fröhlichesLeben,keinblutrother Entschluß,nichteinmaleinerecht- schaffenegroßeSünde,zu derimmerhinMuthundKraft gehört,nur klein- licheKrämersiege,kleinlicheSpießbiirgerfchmachNiemals dorthin zurück!

Lieber den Todauf eisigerHöhealseinScheinlebenunterflüsternden,feil- fchendenZwergen,denen derWillezum Lebenentfloh.Brandkonntefeines Traumes Sinn nichtin dieHerzenhämmern: sowillerihn leben,will lebend denUnbelehrbareneinBeispiel geben. That fo nicht auchderGali- läer?Niehätte feineLehredie Welt gewonnen, hätteersie nichtmit dem BlutseinesLebensgedüngt.DemSolchesSinnenden naht,wieseinem Vorbilde,derVersucherundzeigtihmderbürgerlichenBescheidungbeglückende Seligkeit,zeigtihm, daßnurderWünscheüberfpannterBogendemHim-

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melstürmerbisherWundenschufunddaßdemGehetzten,wenn erandie Menschenundansichselbstden Anspruchmindert,in derBegrenztheitnoch lieblicheFreuden erblühenkönnen.Umsonst:über denstählernenWillen desFreien hatderVersucherkeineGewalt. NureineWahnsinnigeglaubt nochanihn,aberBrands Willeerlahmt,BrandsFuß ftrauchelt nicht.Er suchtdieSonne, suchtdenGott,vordemerknien,zu demerbetenkann..

Eine Lawinebegräbtihn.Und über dasschneeweißeGrabdesVerstiegenen hin halltdieStimmedesdeuscaritatjs, derdemin des Strebens schwerster Mühe Gefallenenweit desVaterhausesThore aufthut.

Brand ist nichtdaseinzige Geschöpf,dem inJbsens Weltreichder Versucher naht.DerRömerkaiserJulian undderRheder Bernik, Jarl SkuleundPastor Manders, Rosmer, SolneßundAllmers, FrauHelene AlvingundFrauHeddaGabler,diekleineHedwigEkdal und die kleine HildeWangel:AlleversuchtederBöse;undsogarderkühlenFrauvom MeeretratihrTraum ingreifbarer Gestalt einst entgegenundlockte und zog insUserlose,in das nimmer ruhendeElement,dasnur derKraftund demWillengehorcht.Manche folgtendemVerführerunderlittendasLoos vermessenerMenschheit. Manche verftopftendemLockrufdasOhr, krochen insPflichtengehäusezurückundverkümmertenda,wie in derDachkammer desPhotographenEkdal dielahmgeschosseneWildente.Aus Keinemwurde wasRechtes.AllesuchtenmitsehnendemHerzendieLebensfreudigkeit,die derarme,vomVatererbe vergifteteOswald Alving auf seineLeinwand zaubern möchte,Alle aberstandenimBanneinerWeltanschauung,die den Geist adelt, dochglücklosmacht,Allemußten,um einBischenSonne zu haschen,zubetäubenden,tötendenApothekermittelngreifen.Ein dunkles Land,einLandohne Verheißung;undeineMenschheit,der dasChristen- gesetzdenMuthzuheidnischerFroheitundSinnenlust nahm,eineMensch- heit,dergleich,vonderNietzschesprach: ,,Jn diesemHinundHerzwischen ChristlichundAntik,zwischenverschüchterteroderlügnerischerChristlichkeit der Sitteundebenfalls muthlosemundbefangenem Antikisirenlebtder moderneMenschundbefindet sichschlechtdabei;die vererbteFurchtvordem Natürlichenundwieder der erneuteAnreiz diesesNatürlichen,dieBegierde, irgendwoeinenHaltzuhaben,dieOhnmachtseinesErkennens,daszwischen demGutenunddemBesserenhinundhertaumelt: alles Dieserzeugteine Friedlosigkeit,eineVerworrenheitin der modernenSeele,diesieverurtheilt, unfruchtbarundsreudeloszusein.« Jstesim LandedieserMenschheit,wo jederBrecheralterTafelnalsVerbrecher gilt, nicht,trotz allem Lärm der

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Alltagsbetriebsamkeit,so stillwie imTotenreich?Lebtsiedennüberhaupt, kannsieohnedenWillenzueigenemDaseinsrechtundeigenerDaseinsfreude leben undist sie nichtnur derSchatteneinesentschwundenenTotenge- wimmels? Diejung scheinendeEuropa keuchtunterderLeichenlast,diesie vonAsienher auf ihremRückenmitschleppt;ihreKindersehenamhellenTag wieGespensteraus;undalsderKaiser Apoftata,derseinDrittes Reich, dasReichfroherundschönerWahrhaftigkeit, nicht schauensollte,inJbsens weltgeschichtlichemGaliläerdramaverröchelthat,kannseinechristlichePflege- rinmitRechtvonlebendenTotenundtotenLebendensprechen.

DerDichterwurde älter.ErhatteimOrient undimeuropäischen Südenreicheres,wärmeres Leben kennengelerntundkehrtemitschwerem Greisenschrittnun in dienordischeHeimathzurück.DasBild desVersuchers hatte ihn auchin des»SonnenstrandssüdlicherPracht«nicht verlassenund geleiteteihnnordwärts nun, zu desSchneelandesHütten.Doch auchden Weltruhm brachtederDichter heim; und er,den,wieBrand, Steinwürfeaus dem Vaterlande gescheuchthatten, sah sichvoneinem dankbaren Volkejetzt plötzlichwie einenHeldengefeiert.Wie einenHelden?DerVergleichpaßte wohl nicht.EinHeldwirktdochauf sein Volk, erkämpftseinemVolkneuen Besitzoderstärktihm wenigstensdenWillenzufördernderSchöpferthat.

DerDichter sahum sich.Washatteergewirkt? Nichts;.oderdochnichts Gutes, nichts ihm jetztnoch wiinschenwerthScheinendes.DasgroßeRicht- maßeinessittlichenJdeals,in daserfrüherdieMenschenaufzureckensich mühte,hatteerlängst,weilerdieUnnützlichkeitunddieLebensgefahrderPro- krustesarbeit erkannte,indenKasten gelegt. Längftauch hatteereingesehen, daßman mit demPuritanerpathos, mit demPredigeneinerWahrheit,die Allenwahr sein soll,heutzutagenichtweit kommt unddaßesbesserist,dem DurchschnittsgekribbeldieLebenslügezulassen,dasanregende Prinzip,die Fontanelle,die derArztdemKrankenin den Nackensetzt.DerStamm der Peer Gynt stirbt nicht aus;undistesgerecht,ists gütig,diesemStamm Alles zunehmen,waserzum Lebenbraucht?DashatteJbsen,derMann wiederJüngling,gethan.ErhattedenSchlüsselzurKirchenthürinsWasser geworfen,denGespensterglaubenderUrväterzeitausderScholle gejätet, alle Konventionen undKompromisse,diegeheiligtestensogar,alsTrugwerk undHeuchlergetriebeenthüllt,alleLeuchtfeuergelöscht,die insternloserNacht bisherdensichereFahrstraßenSuchendendieRichtungwiesen.Warernicht selbsteinVersuchergewesen,Einer,derdieMenschheitlockte,höherzufliegen, als derFlügel Kraft siezutragenvermochte? Frohe Adelsmenschenwollte

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erschaffen,Männer vonMuthundMark, stolzsichschenkendeundfreiin derHingebungdasMenschenrechtwahrende Frauen,einreinliches,vor- nehmes,neuer SchönheitlebendesVolk. Undwas sahernun? Ihren DichterumdrängtenjubelnddieEntpflichteten,diemännischen,aufihreUn- fruchtbarkeiteitlenWeiber,und die derPuppenstubenpflichtnochnichtEnt- laufenen,die alsarme Opfer ihreKettenzurSchau stelltenundmitan- klagendemFingerdiesündigenMänner demRichterbezeichneten.Wowaren die Mütterdesstarken Sonnengeschlechtes?UndwodieVäterPHerrStock-

mann war nochimmerBürgermeister,HerrKrollnochimmer Rektor;

BerniksundWerles leiteten diegroßenHandelshäuser,Stensgaardsund HelmersplaidirtenvorGericht, aufderKanzel standimgünstigstenFall einschwächlicherManders und dieöffentlicheMeinungwurdevomBuch- druckerAslaksen,vonPeder MortensgordundderenMiethlingen morgens undabendsinsHausgeliefert. Nochimmer auchbildeteman, woeines kräftigen,zuOpfernbereitenMannes Thatalleinnützenkonnte,einen Ver- ein,eineKommission,einenBund. Der»großeKrumme«,derEwig-Bieg- fame hattedasFeld behauptet.Unddie revolutionärgestimmte Jugend verschriedenaltenDichterals einenHeuchler,der gerngroßeWortemache, imGrunde abereinrechter Philister sei.Das alsowar derErtrageines langenLebens!...Eines Lebens? Ach:derDichter hatte seine Lehreja nicht gelebt, hatte sieausdemBereichderVorstellungnichtin den des Willens gerückt.Schon früher hatteerdieLandsleute gefragt: »Wo istunteruns derMann,dernicht zuweileneinenGegensatzzwischenWortund Handlung, zwischenWillenundAufgabe, zwischenLehreundLeben insich gefühltund erkannthat?«Jetzt ließerSolneßsagen: »Wennichzurückblicke:eigentlich habeichnichts gebautundauchnichts geopfert,umzum Bauenzu kommen.

Dasistder ganzeAbfchluß.«Undin demGedichtvondemBaumeister, den derSchwindelvonderThurmspitzedesselbst gebautenHausesstürzt, gaberunsdieTragoedievondemDichter,derdieHöhederselbstverkündeten Weltanschauung nichterklimmenkann.

Diesem Werk,dasalleinschongenügen würde,um zuzeigen,wie thöricht,wiegewissenlosesist,demNamenHenrikstsendenirgendeines anderen Lebenden alseinesGleichenzugesellen,folgtedasAbendmärchen vom kleinenEyolf. FlüchtigHinblickendenmochteesdamals scheinen,als wehevomEispalastdesMagusausNordenendlichdieFriedenssahne,als wolle dereinst Unerbittliche kapitulirenunddie müdenGreisengliederin denmodischenMitleidenskult retten. Wer genauerhinsahundnicht vergaß,

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daßJbsens Lebenslügnernach ihremHandeln,nicht nach ihrem Sprechen beurtheiltwerdenmüssen,Der merktebald, daßaneineKapitalation hier«

nichtzu denkenwar. DerDichter zeigteeinunseliges Paar,dem zufroher, nachkeinerRücksichtfragenderSelbstsuchtundzufrei gewähltemDienst derGattungdieKraftundderfeste,ankeinaltesEmpfinden gebundene Glaubefehltund dem alsletzterTrost nichtsbleibt als derVersuch,in mit- leidigemDämmern dieGewissensangsteinzuwiegenundam Throndes lange vergessenenGottes wiederumGnade zuwinseln. Das, schiender·

SchöpferdieserhalbdunklenWeltzurufen, ist Alles,wasJhrimWillen Morschen,zufruchtbaremHandeln Untiichtigen nochkönnt. Undes war, alshörteman von denFirnen her Zarathustras heiliges Lachen: »Wo geschehengrößereThorheitenalsbei denMitleidigen?«,

Dorthinauf gingnun derWeg.Warsnicht Jean Paul,dergesagt hat: »Manklettertdengrünen BergdesLebenshinauf,umobenaufdem Eisbergzusterben«?—SoergingesIohnGabriel Borkman. Aufeiner hohen,ausgereuteten Waldstelle stirbter, imSchnee,untereinerabgestorbe- nenFichte. Aucherwar längstabgestorben.Ein Toterbist Du, hatte seine Frau ihm gesagt, liege ruhigin DeinemGrabeundlaßDir nichts mehr vomLeben träumen. UnddieseFrau,dieihn, so hartund herzlossiescheint, amMeistenliebt undamBesten kennt, weißauch gleich,woran erstarb:

»Er vertrugdiefrischeLuftnicht!«EinBergmannssohn,den der Vateroft mitin die Grubenahm,wodasErz vorFreude singt,wenn esdieHammer- schlägederHäuerbefreien.UnterTag erwacht seinePhantasiezufieberhaft nächtigemLeben.Wer dasErzinMassen hinaufsörde·rn,esdenMenschen dienstbar machen,durch großeUnternehmungenweithinWohlstand schaffen könnte! Daswäre dasReich,dieMachtunddie-HerrlichkeitEinImpera- torentraum, derTraumeines in die WeltderGroßindustriehineingebore- nenBonaparte. DocheinBonaparte,denman inseiner ersten Schlacht zumKrüppelgeschossenhätte,wäre nie derWeltherrscherNapoleongewor- den.Daswar JohnGabrielstragikomischesLoos. DieserLesseps,in dem einLyrikerschläft,lebtineinerWelt,wonichtderWille,wodieVorstellung regirt. JnseinerVisionwähntersicheinenMenschenbeglücker,dem derer- habeneZweckjedesMittelheiligenmüsse,undimGrundesuchterdochnichts alsMacht,alsHerrschaft,alsStillung ehrgeizigerLust.Zweimalnaht ihmderVersucher, zweimal erliegtderinsUngemeinestrebendePhantast derLockung.ErläßtdasMädchen,dasihmliebist,weil esvon einem Anderen begehrt wird,der demKletternden Stab undStütze seinkann.

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Umsonst:dieVerlassene weigertdemWerberihreHandundderVerschmähte witterthinterdenWeigerungendenfrüherenFreund,demerdafür Rache schwört.Und alsJohnGabrielanderSpitzedergroßen,vonihm gegrün- detenBanksteht,alserdasLand mitFabriken befäen,die,,Leben heifchen- denWerthe«erlösen,goldeneSchätzeerntenwill undihmzumDüngendie Mittel fehlen,dagreifternachdenihmanvertrauten Depots. Warum nicht?Erwird, mußja siegen;inachtWochen,acht Tagen vielleichtistder BetragwiedergedecktundkeinMensch erfährtvonderSache.Abermals umsonst: dieBehördenräumeneinemJndustriekapitännichtdasHerrenrecht ein,dassieanKönigenundKaisernin derGeschichtebewundern, undJohn Gabriel,denman gesternnochwieeinenMonarchen ehrte,wird wie ein ge- meinerGaunerinsZuchthaus gesperrt...InderZelleundspäter,als er, ein einsamer, gemiedenerMann,in einemverblichenenPrunksaaldasvisio- näre Traumleben fortführt,nimmt erseinenProzeßwiederauf.Erthat, waser thun durfte, mußte,wasdemGemeinwohldienensollte:erspricht sichfrei. Doch nichtganz.Mitneuem Augeblickteraufdie alteHandlung zurückundfindet,nurgegen Einenhabeersichvergangen:gegensichselbst.

Erdurfte sichvonUnbillundSchande nichtbeugen lassen,mußte,sobalder die Kerkermauer hinter sichhatte, hinausin dieWirklichkeit,inssprossende, wimmelnde Leben,woesfüreinen Starkenimmergenugzuschaffengiebt.

DerArme,vonJllufionenGenarrte! Er kann diefrischeLuft ja nichtver- tragen.SolangeerimReichseinerVorstellung lebt, sichimfahlen Prunk- saaldie danse macabre vorfpielen läßtundeinenMenschen hat,deran ihnzuglauben scheint: so langekannersichfüreinOpfer neidischerPhilister- moral halten,die demGenie immerFallstricke legt,kanner,dernurin GefühlenundVisionenschwelgt,sicheinennüchternenRechnernennen und aufeine»StundederGenugthuung«hoffen,dieihmneuen Glanz,neue Ehre bringenwird.Inderrauhen Wirklichkeitwelkt die imTreibhausdes WahnesbeikünstlicherHitzehochgezärtelteBlüthenprachtbald. John Gabrielwolltenie dieWirklichkeitsehen;und als erzumerstenMalaus seiner Stubenluftwieder insFreie tritt,umkrallt ihnimverschneitenHoch- walddie kalteErzhanddesTodes.Keck undselbstbewußtwar erdengrünen BergdesLebenshinaufgeklettertundmußteaufeinemEisbergnunsterben.

EinUebermensch?Nein: ein in denSelbsttäuschungenund Lebens- lügenderunternehmendenBourgeoisie erwachsenerPhantast,in dem die Vorstellunghemmunglos schaltetund der zu keinerstarken, fruchtbarenThat dieWillenskraft hat, auchzumVerbrechen nicht,daserscheunur, mit

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schwindligemGewissen,begehenkann. Undumihnlauteralte, abgestorbene MenschenvollgespenstischerWahngebilde.Zwei Frauen.Die eine lebt dem PhantomeinerEhre,dieman nicht selbstsichgeben, dieman nur vonder richtendenGesellschaftempfangen kann;die anderedemPhantomeiner Liebe,dermanAlles,Streben, Schaffenslust,Drang nachErkenntniß,opfern mußunddie über Leben undSterben entscheidet;wennfürkurzeSekunden die NebeldesWahneszerflattern,siehtman,daßBeidenureinenStützpunktsuchen, einWesen,dasihnenalleingehört,ihrerinnerenLeere denTrosteiner Glücks- vorstellunggiebt.DiesengrauenSchwesterngeselltsicheinaltesKind, einKanz- leischreiber,dersichimLebennicht zurechtfindenkann undsichvonBorkman ausplündernundmißhandelnläßt,weil derDepotdieb ihninseinemDichter- wahnbestärkt.LauterverpfuschtesVolk,dasnichtzubehaglicherRuhekommt, weileszwischenVerlangenundKraftdieKluft nicht ausfüllenkann.

Borkmans Sohn,desKanzlisten TochterundFrauWilton könnenes; sie fragen nachkeines AnderenWohloderWeh, fragen, ohneTräumereiund Gefühlsüberschwang,nur nachdemeigenenVortheil, gehen frischundfrech auf ihr Ziellos und werdens erreichen, magauchderweich gepolsterte Schlitten,in dem siesitzen,Den oderJenenausder Verwandtschaftüber- fahren.Nur solcheSicherheit,dienichtsvondemKampf zweierSeelen ineinerBrustweiß, erhascht ausderwildenLebensjagddasGlück.

SchonzumPfarrerRosmerließJbsen dessenLehrerBrendel,einennichtmehr zahlungfähigenJdealisten, sprechen: »Peder Mortensgordwillnie- malsmehr,alserkann.PederMortensgord istimStande,dasLebenohne Idealezu leben.Und DasistdasgroßeGeheimnißdesHandelnsunddes Siegens.DasistdieSumme allerWeisheit dieserWelt. Basta!«

...DerBaumeisterSolneßwarVersuchterundVersucherzugleich.Er hatteeinem kleinenMädcheneinMärchenkönigreichversprochen,hattemit derVerheißungeinesWunderbaren die zurWeibheiterwachendePhantasie verstörtundmußte,als dieJungfrau Erfüllung forderte, sichzurLeistung unfähigerklären. Darin gleichtihm undnichtdarinallein derBild- hauer Rubek,derarme HeldinJbsensneuem Drama »Wennwir Toten erwachen«.Aucherhat,zwei Frauen sogar, versprochen,sie,wie Satanas einstdenJünglingausGaliläa, aufeinenhohenBergzuführenundihnen alleHerrlichkeitender Welt zuzeigen;undaucherkonnteseinWortnicht halten,weilerimHöhenklimanichtzuathmenvermag. Er erklimmtdie Höhe,abererstirbtanderMühedessteilenWeges,wieSolneß,wieVork- man undBrand. AllerafftderTodvonderHöhe,dieihr Vorstellungver-

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mögenerreichen,aufderihrWillesichnicht behauptenkann. Immer,mit Greisenzähigkeit,kehrtderDichterzudiesemSymbol zurück.Denkteran denGläsiswall,auf dem, nachdernordgermanischen Sage, Brünnhilde schläft,andenGlasbergderMythen,wo, wieaufdemgüldenenBergder uralten Jnderlegende,denToten sich paradiesischeSeligkeit erschließt?

Vielleicht.Diesmal wenigstens sagterganzdeutlich, daß sein Bergaus einem Totenlande zumHimmelaufragt.

Ein Totenland. NichtBoecklins Insel,derenruhigeMajestätRiesen- pinienbeschatten,umderenstarre FelswandeinHauch frommerHelden- schönheitwehtund derenFergedieLeblosenso liebreich,mitsanftemRuder- schlag,zurletztenStättegeleitet.EinLandunruhvoller Schattengeschäftigkeit, einLandohneeinheitlicheKultur,wodieLeute leere Worte indiefrüh sinkendeNachthineinflüstern.HieristRubekerwachsen,hier hater,alsBild- hauer,dieSchönheitgesucht,leidenschaftlich,fast schonverzweifelnd,wie ein FiebernderdenbeschwichtigendenTrank,ein Verdammter dasentschwundene Edensucht. Endlich fandersie.Aus demhartenSteinwollteereinjunges Weibgestalten,eineErwachende,vomTodAuferstehende,in derenAntlitzund Haltungein neuesGeschlechtdasJdealneuer, vergeistigterGriechenschönheit erblickensollte.ErtrugdasJdealin sich;aber, sojungerwar: dasVertrauen fehlte,esselbstzugestalten,aus eigenerKraft.DatrafereineJungfrau,die ausdemHellenenlandgen Nordengesandtschien,vomScheitelzurSohleein WundergeschöpfaphrodisischerWonne.SieheißtJrenezundwieEirene,die römischePax,wirdsieihmzum wandelnden Sinnbild beglückendenFriedens.

DerWerber wirderhört:dasMädchenläßtFamilieundHeimathundfolgt demKünstler,demMann. Eigentlich wohlnur demMann; denKünstler nimmtsienursomit in denKauf.Jhr ists natürlichstePflicht, ihm auch mitihremLeibe zudienen, hüllenlosihmzugeben,waserzuseinemWerke brauchenkann. Erhängt ja so sehrandiesemWerke,erwartet soviel da- von;gut also, daßsie ihmalsModelldabei zuhelfenvermag. Doch nicht minder natürlichdünktessie, daßsienachderArbeitinseinemArmruhen wird. Wiehätteersonstum sie geworben, hätteerihr versprochen,sie aufeinen hohenBergzuführenundihralleHerrlichkeitenderWeltzuzeigen?

AlleHerrlichkeitenderWeltsiehteinschwärmendesMädchennur iner- widerterLiebe. SiegabihmdenLeib,dennurEinersehendarf:imKußwird erdasfroheOpfer belohnen.Siewartet,inzitternder,hoffenderAngst. Ihm aberzucktkaum dieWimper;ersiehtnichtdasWeib,siehtnurdasModell, denktnichtanverliebtesGetändel,sondernnur andasWerk,dasihm Ruhm

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