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Die Zukunft, 24. März, Bd. 30.

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Berlin, den 24spMärz 1900.

»I» A-

Viel Lärm Um nichts.

MneinemschönenSommerabend erzählteGoethedenGästeneineAnek- dote,die denSatz beweisensollte: »EineRoheitkannnurdurcheine andereausgetriebenwerden,dienoch gewaltiger ist.« In guter Gesellschaft und»in Anwesenheitvon Frauen« habeeinreicherEdelmann einst durch angezogeneReden Aergernißerregt. »MitWorten war gegenihn nichts auszurichten.Einentschlossener,ansehnlicherHerr,derihm gegenübersaß, wähltedaherein anderesMittel,indemersehrlaut einegrobeUnanständig- keitbeging,worüber AlleerschrakenundjenerGrobianmit,so daßersich gedämpftfühlteundnichtwiederdenMund aufthat. Manwußtejenem entschlossenenHerrnfiirseineunerhörteKühnheitvielenDank,inErwägung dertrefflichenWirkung,diesie gethanhatte...Etwas Widerwärtigesist ebennurmit etwas Widerwärtigeremzu vertreiben.« Sollten dieHerren, die,wenn sie geradekein anderes Vergnügunglokalaufsuchen können,ihre LachlustimDeutschenReichstag stillen, plötzlichGoethegelesenhaben? Die Minderheit wenigstens hat sichsolchenAbweichensvonsüßerLebensgewohn- heit verdächtiggemacht.Siehat,um dieletztenAbstimmungenüber dieLex Heinzebisnach Ostern hinauszuzögern,ein paarTage lang Obstruktion getriebenund dabei Ränke undWaffen angewandt,derenGebrauchnur zu rechtfertigenist, wennmanaufGoethes Scherzwortschwört,Widerwärtiges seialleinmitnochWiderwärtigeremzu vertreiben. DerfeineGreisdachte nichtanpolitischeKämpfe,sondernanVerstößegegen denkonventionellen Anstand;undihm schwebteeineGesellschaftvor,woderRoheitundden ,,massivenReden«gewisseGrenzengezogen wären. ErkanntedenDeutschen

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Reichstag nicht.Dort war diezunächstwahrnehmbare Folgederneuen Taktik, daßimSitzungberichtdie Rufe verzeichnetwurden: »Maul halten!«

»Judenraus»Meineidpfasfe!«·»Schweinebande!«...Jm Januar sahich im Palais Bourbon einerstürmischenSitzungzu;sorüdeLümmeleien abervernahmmeinOhr selbstimärgstenToben derMenagerie—wie Clovis HuguesdieVersammlungnannte nicht;unddersehrbedrängteHerr Deschanel, der,um Ruhezustiften, fast seinLinealzerklopfte,vergaßdie PflichtderPräsidialwürdenicht so völligwie dernervöseGraf Ballestrem, der, nachdemerinhöchstüberflüssigerWeiseAllerlei»vor dem Landefest- gestellt«hatte, schließlichinhellerWuthvondersellaherunterrief:»Halten SiedenMund,HerrFrohme!«WennesindieserTonartnocheinWeilchen weitergeht,danngerathenwir in denBereichderwienerParlamentsmode, woesfür witziggilt,einemjüdischenAbgeordneten»Maseltoff!«zuzuschreien, undfür tapfer,demPräsidenteninsGesichtzu brüllen: »Sie schuftiger Schwindler!SieGauner gehöreninsZuchthaus!«Obauf solchemWege dasgesunkeneAnsehendesParlamentarismus zuhebenundobinsolcher GesellschaftdasgoethischeRezeptmitNutzenanwendbar ist?

Obstruktionnennt man denVersuch,einerberathenden Versamm- lungdenKanalzuverstopfen,derihrdieMöglichkeitgiebt,inBeschlüssen ihrenWillenzubethätigen.DerVersuch ist uralt;undauchdie zurDurch- führungangewandtenMittelhaben sichinJahrtausenden nichtverändert.

Caesar ließ,umeineihm unbequeme Abstimmungzuvermeiden, bestochene Tribunen biszumSonnenuntergang schwatzenundCatoobstruirteden Senat,um einendemagogischenGesetzentwurfCaesars abzuwehren.Als imenglischenUnterhaus,das-ein beiunsleidernichtbefolgtesBeispiel!—

schon durchdieAnwesenheitvonvierzigMitgliedern beschlußfähigwird, 1854 dieirischenKatholikengegen einKlostergesetzalleKniffederObstruk- tionversuchten,riefDrummond, seit achthundertJahren seiesjedemEigen- sinnigen möglich,denFortgangderGeschäftezuhindern.Das alteMittel wurde dann 1nodernisirt.Jm Februar1881 brachtendie Jren1500 Amendements zurLandbill ein undzwangendasHauszu einereinund- vierzigstündigenSitzung;undamfünftenJulidesselbenJahres richteten sieandieRegirung79Jnterpellationen,die beantwortet werdenmußten und denEintritt in dieTagesordnung sperrten.DieFolgewar,daßGlad- stone,dersichalsFührerderOpposition öffentlichfürdasRecht aufOb- struktionundgegen die cloture ausgesprochenhatte, sobalderwieder zur Machtkam,ingewohntcrTreulosigkeitdieGeschäftsordnungändern und

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eineBestimmung einfügenließ,diebeinahe stetsdenSchlußderDebatte ermöglicht.Das wollteinOesterreich auchGrafFalkenhayn durchsetzen, derdeshalbwie einruchloserVerbrecherbehandeltwurde.DerPlan scheiterte;

undjetzt erst isteinemösterreichischenMinisterpräsidentenderEinfallge- kommen,es einmalmit demRezeptzuversuchen,dasSirWilliamHarcourt empfahl,alservorfastzwanzigJahren sagte,einemverstopftenParlament müsseman einenpopulärenGesetzentwurfwie eineDosisRicinusöldurch denLeib treiben. Probatum est. AbersolcheGewaltkurist natürlich nur nöthigundangebracht,wenn essichum einelange,dasLeben ge- fährdendeObstipation handelt.DieJren, diedeutschenundczechischen Oesterreicherglaubten,umihr Daseinzukämpfen,undgriffen erst,alskein anderes nützenwollte,zu dem Mittel derVerzweifelnden. SolcheStim- mung istderSozialdemokratieundderFreisinnigenVolkspartei unseres Reichstages sehr fern.BeideParteien habeninKämpfengestanden,anderen Bedeutung selbstin dergrellstenPreßübertreibungderHeinzehadernicht heranreicht,undhabennieversucht,durchleereRednerei, durchgehäusteAn- trägeundAbstimmungendasParlamentanBeschlüssenzuhindern. Wahr- scheinlichwaren siesichderGefahren bewußt,mit denendieses Nothwehr- mittel dieGrundlagenderDemokratie undihrer parlamentarischenLebens- formen bedroht. JnDemokratien undihrem Organ,demParlament,ent- scheidetdieMehrheit;werdieseMehrheitanderBethätigungihresWillens hindert,leugnetdasGrundgesetz,demerselbstSitzundStimmeals·Volks- vertreter dankt,unddarfnichtklagen,wenndieMehrheitihreGewaltbraucht, umsichgegenChicanenzuwehren.Entschuldigt isternur,wenn erin die Nothwehr gedrängt,wenn erdurchbrutales VerhaltenderMehrheitver- hindertwar,diePflicht,dieihmdasMandat vorschreibt,zuerfüllen·Da- vonkann diesmal imErnst nichtdieRedesein.DieGegnerderLexHeinze konntenungehemmtAllesvorbringen,was sievorzubringen hatten; und währenddieReden derFördererdesGesetzesin dengroßenZeitungenbis zuvölligerSinnlosigkeit verkürztwurden,waren dierhetorischenLeistungen derKämpferfür FreiheitundRechtinbreitester,derWirkung freilichnicht immergünstigerAusführlichkeitallenAugen sichtbar.Niemand hatdie Herrengehindert,zureden,Geist,MuthundBildungzuzeigen.Was wolltensie alsomitihrerObstruktion erreichen?Sozialistischenundbürger- lichen Demokraten,dietäglichgegen denAbsolutismus donnern, ist doch wohl nicht zuzutrauen, siekönnten einenEingriffdesKaisers wünschen.

Das werdensiehoffentlichHerrnEberleinund denVerfassungwächternder

84ab

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TanteVoß überlassen.DerGesetzentwurf,derja derJnitiativedesKaisers entstammt, istvon denVerbündetenRegirungeneingebracht,vonderReichs- tagsmehrheitinkeinemHauptpunktwesentlichgeändertworden undesist zehntausendmalmehrzuwünschen,daßerzugesetzlicherGeltung kommt, alsdaßwiederderhöchsteReichsrepräsentantin einen eklenKampf gezerrt wird.Wirhaben eineVerfassung, nachderenSinnundWortlautauchda regirtwerdenmuß,wosieeinerMinderheitunerfreuliche Ergebnissezuliefern scheint,undwirwollen liebervon schlechtenGesetzenalsvonden

selndenEntschlüssendesjeweiligen Kronenträgers abhängigsein. Die

SchwächlingeausallenLagernwinseln heute, sobaldesinihrenKrampaßt, nachdem arbjtrium deraufdemErdenrund Mächtigenundbedienensich dabeiderschmeichelndenundstachelnden List,womitschonLadyMacbeth einst ihrenThaninsVerbrechenlockte. Vor solchenKünsten solltendie Königemitbesondereranrunft beten:Führeuns nichtinVersuchung!... Odertrieb zu derneuen Taktik dieHoffnung,insechsWochenwerdegelin- gen,wasinachtJahren nicht gelang:dieAufklärungdichterVolksmassen über dieGrößederdrohendenGefahr?Dann wurdediewuchtigeWaffe derObstruktion also gebraucht,um jetztschnellzuerzwingen,wasvonden gefeiertenHeldenderFreiheitkämpfeso lange versäumtwordenist.

DasTriumphgeschreiderEintagssiegerwirdverhallen; früh,wenn derbefehdeteEntwurf dochimLenznochin dieSammlungderReichsgesetze gerettetwird; spät,wenn esgelingt, ihn nocheinmal einzuscharren.Wer esernstmit derumstrittenenSache meint,kannnur wünschen,daßdie Er- nüchterungsich früh einstellenmöge.DendeutschenRegirungendarfdie bittereNothwendigkeiteineskontrolirbaren Glaubensbekenntnissesnichter- spartwerden. Und das VolkdarfnichtindenWahngelullt werden,dieAb- lehnungderLexHeinzebedeute,daßimletztenJahrdesneunzehntenSäku- lumsdiesittliche,geschlechtlicheundkünstlerischeFreiheitimDeutschenReich gesichertist.sDieLeute,die über dieliberalePresse verfügen,könnenden Massen jedeerdenklicheTollheitsuggeriren, könnensie heutein denheißen Wunsch nach einerBurokratie,morgen in einzärtlichesBerhältnißzuEng- landhineinlügenundsieübermorgenin denKinderglauben drängen,der Fürstund derPrinzzuHohenlohe-Schillingsfürstseien Männer,zu denen derBürger ehrfürchtigaufblickenmuß.Dasist schlimm. Nochschlimmer aber wäre es,wenncprivateFaulheit jetztdieöffentlicheMeinung entstehen ließe,mit derAblehnungeinesStümperflickwerkeswerdefürdie innere FreiheitdesDeutschenirgendetwas Wesentlicheserreicht-

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EinBeispielmagdienochZweifelndenlehren,mitwelchemErnst, mitwelcherSachkenntnißimReichstagundin derPressedieArbeit geleistet wird, die,wieman unserzählt,denSiegderFreiheit sichern soll. Zwei sozialdemokratischeAbgeordnete,dieJahre langinStrafsachen vertheidigt haben, erhoben sichnacheinander vonihren Sitzenundriefen,derPara- graph1840 übertreffean Ungeheuerlichkeitalle anderenBestimmungender neuen Vorlageundmüsse,alseinVersuch, »dieGrundlagenderReichs- strasprozeßordnungzuuntergraben«,mitEmpörung abgelehntwerden.

Kaum warihnendasWort entfahren, so hießesauch schonin derPresse:

Ja, dieserParagraph istderschlimmstevonallen unddarf deshalbnieGe- setzeskrafterlangen!DerParagraphbedroht Jeden,der auseinem wegen GefährdungderSittlichkeitunterAusschlußderOeffentlichkeitverhandel- tenProzeßoderausdenAktenAergernißerregendeMittheilungen veröffent- licht,mitGeld- oderGefängnißstrafe.Wer dasdeutscheStrafgesetzbuchauf- blättert,wirdfinden, daß dieserParagraph seitdemfünftenApril1888 Gesetzist, daßeralsomit der LexHeinzenichtdasGeringstezuthun hat, seit zwölf Jahren angewandtwirdundjetztnur erwähnt wurde,weiler künftignicht mehr § 184, Absatz2,sondern §184c heißensoll. Ganz ähn- lich istes umandereGravamina bestellt. Besonders verrucht sollessein, daßdieVorlage geschlechtlicheBeziehungenundProblemederfeinsten Sittlichkeitempfindungzugleichumfaßt·NunsagtaberFranzvonLisztin seinem Lehrbuch: »DurchdienaheVerwandtschaftderbeidenRechtsgüter ,geschlechtlicheFreiheit«und,sittlichesGefühl«unddurchdieGleichartigkeit derdie beidenRechtsgüterverletzendenHandlungenrechtfertigtessich,die sämmtlichenSittlichkeitverbrechenzu einereinheitlichenGruppe zusammen- zufassen.«Undwährendman uns beständigindieOhrentutet, der Begriff,,gröblicheVerletzungdesSchamgefühls«sei »unfaßbar«,,,kaut- schukartig«,»unanwendbar«,weil dasSchamgefühlverschiedenerMen- schenebenverschiedensei, stelltderselbeLiszt,.derinBerlinOrdentlicher Professor istundalsmodernster deutscherStrafrechtslehrer gilt,die Be- griffe »ErregungvonAergerniß«und»VerletzungdessittlichenGefühls«

alsRechtsnormen aufunderklärtausdrücklich,auf diesemganzen Gebiet müsse»derleitendeGesichtspunktbleiben: daßnur Verletzungender ge- schlechtlichenFreiheitoder dessittlichenGefühls Anlaßzustrafrechtlichem Einschreitengebenkönnen«. Ob dassittlicheGefühl greifbarer istals das Schamgefühl,mögenStrafrechtstheoretikerentscheiden.Auchder Laie aber kann,wenn erdieMühedesNachprüfensnichtscheut,sichleichtüberzeugen,

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daß selbstdiebedenklichstenParagraphenderLex denheutigen Rechts- zustandkaumwesentlichändernwürden. Zwei Paragraphen sollenKunst undWissenschaftmitLebensgefahrbedräuen.Vor dem einen 184b

mageinausgelassenerClown oderdasBarrisonquintett zittern, dessen zotige Perversitäteinem altenGorilla dieSchamröthein die Backen trei- benkonnte; SchauspielerundChanteusenkannernicht mehr schrecken alsder§183,derseit dreißigJahreninKraft ist.Derandereverbietet,

»Schriften,AbbildungenoderDarstellungen,die, ohne unzüchtigzusein, dasSchamgefühlgröblichverletzen«,einerPersonunter sechzehnJahren anzubietenoder zuverkaufen,undferner, siezugeschäftlichenZweckenan einem demöffentlichenVerkehrdienendenOrtinAergernißerregender Weise auszustellen.Da——— nachLiszt—- die AusstellungeineszugeklapptenBuches, selbstwenn derJnhalt für unzüchtiggehalten würde,niemals bestraftwer- denkann,wärendurchdasneueVerbotWissenschastundLiteraturgarnicht, MalereiundPlastiknurinsofern gefährdet,alsmancheBilder und Statuen nichtinsSchaufenstergestelltwerdendürften. Diese Wirkungkannaber ebenso gut schonheute durchstraffeAnwendungdes§184 erreichtwerden undwird,wiemancher Vorgangausderneuesten Zeit lehrt, thatsächlich erreicht. Sonst ist nichtsneualsdasVerbot »öffentlicherAnkündigun- gen,diedazu bestimmt sind, unzüchtigenVerkehr herbeizuführen.«Das magsehrunangenehm fürdieZeitungen sein,in denensichMasseusenund alleinstehendeDamen mit reellenAbsichtendenSexualkunden empfehlen, ungemein schmerzlichsogar fürdasBerliner Tageblatt,in demamachten März1900 »eininrenommirtester StraßeHamburgsbelegenes Bordell, nachdemneuestenKomforteingerichtet,Salon, acht Mädchenzimmer,Alles hochfein,wegenZurruhesetzung«zumVerkauf ausgebotenwurde. Dochdie Profitgiereines demjuvenalischenWort:Lucri bonus estodor ex re qualibet nachlebendenJnseratenhändlersgehörtnichtzu denberechtigten Interessen,die derGesetzgeberzuschonenhat;undesgehtüber denSpaß, wenndemVolk,weileinzelneAnnoncenfarmer fürihren Unzuchtzinszittern, vorgeplärrtwird,dieFreiheitderWissenschaftundKunst seibedroht.

Sieist bedroht,abernicht durchdie LexHeinze,dieinihrer jetzigen FassungkeinemForscherundkeinemKünstlerFallstrickelegt,mitForschern undKünstlernsichüberhauptnichteinmal imwinzigstenNebensätzchenbe- schäftigt.Sieist bedrohtundschonimLebenscentrum angetastet durch Tendenzen,gegen diejedeReichstagsverstopfungunwirksambleibenmuß, gegendienur eineneue Stoa,eineSchule sittlicherHelden,noch helfen

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VielLärmum nichts. 511

könnte.Im DeutschenReichundbesondersimStaatFriedrichsdesGottes- lästerers,deralsein demdeutschenStrafgesetzbuchUnterstellter nichtaus demGefängnißherauskäme,.wirdheuteinstrengemKommandoton christ- licherWandelgefordert.Manüberläßtesnichtder freienWahldesEinzelnen, oberdenChristengedanken,denurdemokratischen,sklavenmoralischen,der als einfremdesElementeinstin die Germanenwelt drang,bekennenwill, nein: man scheidetFrommeundUnsrommealsguteundböseMenschen.

Keiner lebtnachderHeilandslehre,Keinerkann,wenn ersichimKampf umsDasein behaupten will, nach ihr leben,keinKriegeroderStaatsmann, keinHüttenbesitzeroderHändler,keinHofprediger, HoftechnikeroderHof- friseur.Alleaberstellen sich,alsfolgten siesorgsamIesu Spur, müssensich so stellen,wennsienichtvonmodernen Kapuzinernzu denmuffigenKetzern geworfenwerdenwollen. Montesquieuwarnte dieRegirenden:Le mal estvenu de eette ideequ’ilfautvenger Ia- Divinite. Maisil kaut faire honorer laDivinite etnela venger jamais.Daswurdein einem katholischenLandegeschriebenundgedruckt,eheanStraußundRenanzu denken warundeheDarwindiemhthologischeVorstellungvonderGenesisumgestaltet hatte.HeutesollbeiunsdasweltlicheRegiment,demLuther,derderbsinnliche Bauer,jedeHerrschaftüber die Seelenverwehrte,mitBüttelgewaltdenrechten Glaubenerzwingen,vondemdochdieüberwiegendeMehrheitdesVolkeslängst abgefallen ist. Diesen Abfallmagman als ein nationales Unglückbe- klagen;einunendlichgrößeresUnglückistdieUnwahrhaftigkeitimReden undThun, istdasErstarkenderHeuchlergemeinde,dieWasser predigt undWeintrinkt. Eshat sehr sittlicheVölker gegeben,dievom Juden- christenthum nichts wußten,undNietzschesmakellosreineGestalt zeigtuns, daßdemdarwinischenBodendieBlüthe feinsterSittlichkeitentsprießenkann;

nie abervermageinUnaufrichtiger sittlichzuhandeln.Werist heuteim Evangeliensinn barmherzig?WerliebtdenNächstenalssich selbst?Wer istfriedfertig, sanftmüthig,bußfertig,zerknirscht,vonjeglicherSucht nach GewinnundweltlicherEhre frei?KeinIndividuumundkeine im Staat organisirteVolksgenossenschaft.SchonHelvetius,denderHerrvonSans- soucibewunderte, hat gesagt, auch aufdemGebiet der Moral bestimme daspersönlicheInteressedasFühlenundHandelnderEinzelnenundder Nationen. DiesesInteressetreibtjetzt,in einerZeit hitzigerKämpfeum wirthschaftlicheundpolitischeMacht,zum Kultus derunternehmenden, sich rüstigtummelnden Kraft, nichtzuchristlicher Tschandalaschätzung.Die Männer,die inShantungundinOstafrika Bahnenbauenundsichdas

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Hirnzermartern,umin allenErdtheilen künstlichBedürfnissezuschaffen, diesiedannprofitlich befriedigenkönnen, diesebusiness-M;nschheit weißmit der summa theologiaeundmitderImitatio Christi nichts anzufangen;ihrkann wederThomasvonAquino noch ThomasvonKem- pen ein in derPraxisdesAlltagslebens brauchbares Sittengesetz geben.

Dennochsoll siesolchenFührernblindfolgen, soll sie, nachdemkanonischen Recht, jedesvonderChristenregelabweichendeFleischesgelüstenals Sünde ansehenundstrafen lassen.WennheutederHippolytosdesEuripidesunter unsträte,derkeuscheJüngling, dessenspröderSinn sichallemAphrodisi- schenstarr verschließt,dannwürde er,auchimFraktionzimmerderReichs- tagskonservativen,wieeinePossenfigur ausgelacht.Wennaber diesittliche GesundheitderMassen geschütztwerdensoll, dann-spreiztvondenWort- führernsichJeder hippolytisch,thutJeder,alshabeernie Unreines berührt, nie einesihm nichtangetrautenWeibesLagergetheilt.Somußerthun; sonst gilterimKreisederRechtsgenossennichtalseinguterChrist. Wohl hat es inderchristlichenGeschichte,vondenKirchenväternbis zuFeuerbach, nicht anVersuchen gefehlt,dentiefen PessimismusdesNazarenerthumes auf einenhelleren,froherenTon zustimmen; dochsolcheVersuchebedeutennicht mehrals inderHellenenweltdieasketischeSelbstheiligungderPythagorasund Empedoklesundtrotzihnen galt fürdie imGaliläerglaubenEifrigenimmer dieLosung,dieNietzschein dieSätzefaßt: »KeinWollen,keinWunsch mehr;

Allem,wasAffektmacht, was,Blut«macht,ausweichen; ein Minimum von StoffverbrauchundStoffwechsel,bei dem dasLebengerade noch besteht, ohne eigentlichnochinsBewußtseinzutreten; nicht sichrächen;nicht sich bereichern;womöglichkein Weib odersowenigWeib wiemöglich; ingeistiger HinsichtdasPrinzip Pascals:1l kaut S’abåtir..MußsolcheAnschauung, der man, ebensogutwie demsozialdemokratischenDogma, vorwersenkann,sie- wolle denEgoismusausdemWeltgetriebeausschalten, nichtauchdasUrtheil überRechtundZweckvonKunstundWissenschaftfärben?HerrStoecker sprachwahr,alsersagte,christlichetrenne sichhiersvonheidnischerWelt- anschauung;ersprachganzimSinn einesBibelfrommen, der,weilihm da LebenLäuterungund dierechteSittlichkeit AbtötungdesFleischesist, weit überdieBestimmungenderLex Heinzehinausgehen müßte.So sprachen,sodachtenauchdieChristen, die,als dieGötterbilderimmerschöner wurden und,stattdieErbauungzufördern,denSinn zerstreuten, nach BischersfeinemWorterkannten, »daßsieanderKunsteineVerrätherinin ihrem Hause aufgezogenhatten.«WelcherinFrommheitGerechtewillihnen

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VielLärmumnichts. 513

verargen, daßsiedieWiderspenstigeinihren Dienstzurückzwingenoder,wenn siesichnicht zähmenundduckenläßt,zumgrößerenRuhmdesChristen- glaubens vernichtenwollen? Gewiß gabesin denzweiJahrtausendender ChristenheitgeschichteeinegroßeKunstundeine dieErkenntnißkosmischer undmenschlicherWahrheit förderndeForschung.DerausAsien,aus der VerneinungdesWillens zum LebenstammendeGlaubemußtesicheben, schonseitdesPaulus Tagen,mithumanistischenUndauchmitanimalischen Ansprüchenabfinden,wenn erauseinemSektendogmaeineWeltreligion werden wollte. Sooftaber dasherrschendeStaatschristenthum sichauf sich selbstundauf feinen Ursprung besann,kameszuhartenZusammenstößen zwischendenFrommenundDenen, die,vorundnachSchiller,sichin dieZeit zurücksehnten,dadasBild derVenus AmathusiavonfrohenSchwärmernbe- kränztward.Wiesollteesheutewohlanderssein?Wiesolltein derKluft,die zwischendemkommandirten BekenntnißunddemvomInteresse gelenkten Empfinden gähnt,dieFreiheitdesKünstlers,desForschers,desmodernen Monisten gedeihenkönnen? Demwahrhaft FrommenkannnochjetztGroßes gelingen; die in dasRichtmaßfrommerKonvention Gezwängtenerniedert jeder neue Tagzuneuer NachgiebigkeitundlLauheit.

O It-

II-

...Die LexHeinzeist nicht mehr gefährlich;ihre Ablehnungwäre keinSiegderFreiheit;unddieimKampfgegendiesesSchreckgespenstauf- gewandte Kraft istzwecklosverzettelt.Wenn derEntwurf fällt,wird derHimmeldenDeutschen nicht hellersein;aberman wird ihnendann pathetischzurufen: Seht, KünsteundForschung sindimLande der Denker undDichterfrei! Dieser Trugmußverhindertwerden.InfriedlicherStunde

vordenberühmtestenSenatoren dereuropäischenGelehrtenrepublik,hatder DeutscheKaiserdieErkenntnißdergöttlichenWahrheitdasZielallesWissens genannt.DiesesWort einesGläubigenöffnetdenGeisterneinen weiteren Kampfplatz;eskann dieZweifelnden lehren, daßihr Jubel verfriihtwar unddaßaufderdeutschenErdewichtigereAufgabenzubewältigensindals die,einerzaghaften ReichstagsmehrheitdenWillenskanal zuverstoper.

F

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514 DieZukunft.

Lex Heinze.

FuderAnzeigemeinerkleinenSexualethikinder»Zukunft«hatte ich

J prophezeit,bei derBerathungderZuhälter-Novellewerdeauchdies- malnichts herauskommen.DasKompromißzwischenRegirungundCentrum hatmeineVorhersagungzuSchanden gemacht. Ich hatteebendiedreibe- theiligten Mächteüberschätzt.Von derRegirung hatte ichgeglaubt, sie habe den ernstlichenWillen,dem unerträglichenJustizskandalsdeinEnde zu machen,derdurchdievom ReichsgerichtgeforderteAnwendungdesKuppelei- paragraphen aufdieHausbesitzerentsteht. Bisher durfteman dasVerhalten derAnklagebehörden,dienur einschritten,wenn siedurchleineDenunziation gezwungen wurden,damitentschuldigen,daß jadielegislatorischeRemedur dervon allerWeltfür unvernünftiggehaltenenreichsgerichtlichenInterpreta- tionnichtausbleiben könne.»Jetztwird dieseRemedur ausdrücklichabge- lehnt; die Staatsanwälte müssensichnun vonderSittenpolizeidieWohnung- verzeichnissegeben lassen,dieHausbesitzer, einschließlichderBesitzerder see- städtischenBordelle,insGefängnißunddieMädcheninArbeithäuserbringen.

Das wirdverschiedeneMillionen kosten.Oder sollte ich auchdieStaats- anwälte zuhoch eingeschätzthaben?UnterKatholiken habe ichso vielernste Gewissenhaftigkeitkennengelernt, daß ich glaubte,esseiderCentrumspartei vollerErnstmitdemBrotherrnparagraphenzund da dieser wirklicheine ForderungderGerechtigkeiterfülltundfürvieleTausendevonFrauenund MädcheneinenSchutzderweiblichen Ehrebedeutet,auchdieZahlderPro- stituirtenvermindert habenwürde, so meinte ich,man könneumdiesereinen ThatderVernunftundGerechtigkeitwillen denLeutchendieBornirtheit verzeihen,diesie durch ihre ZustimmungzudenübrigenVorschlägenund durchdie ganze BehandlungdersogenanntenSittlichkeitsragebekunden.Aber sie haben geflunkert.Siehabennur dieGelegenheit wahrnehmenwollen, nichtblosimStrahlenglanze absoluter sittlicherReinheit, sondern zugleich alsArbeiterfreundevor ihrenWählernzuerscheinen,unddaihnendieRe- girungerklärthat:Esgeht wirklich nicht, so sagen siegleichmütig:Na, dennnicht! Nachwievor wird alsodergewissenloseBrotherrundwird auch seinStellvertreter oderBeamter dieweiblicheArbeiterschaftalsseinen Harem benutzen dürfen.Wasnichtverboten ist,Das ist erlaubt;unddie Regirung hatdieForderung,eszuverbieten, ausdrücklichzurückgewiesen.

Dafür-kommtnachwie vor, falls sicheinDenunziant sindet,einsjener Subjekte,die derrichtige Deutsche nichtzuProtokollvernimmt,sondernmit einemTritt vordenHinternzurThür hinausbefördert,dierechtschaffene

V)DerimReichstagunternommene Versuch,diesenJustizskandaltheils zuentschuldigen,theilszuverschleiern,läßtanKläglichkeitnichtszuwünschenübrig.

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LexHeinze. 515

FrauinsZuchthaus,inderen Bereich zweiBrautleute von demGattenrecht Gebrauch gemachthaben,dasihnenvor Gottundnachdemvortridentini- schenKirchenrechtzusteht.VondenLiberalenendlichglaubte ich,dieOhr- feigenundPeitschenhiebe,diesiebeidieser Gelegenheitzu erduldenhatten, würden dasRestchenihrer Widerstaudskraft nocheinmal lebendigmachen undsiewürdennocheinmal eineVolksbewegungzu Stande bringen,die weitberechtigtergewesenwäreals die, diesievoracht Jahrengegen daszed- litzischeSchulgesetzerfolgreichdurchgeführthaben.Aber derLiberalismus isttot,mausetot. Erhat so wenig Lebenskraftgehabt,weil ernichtecht war, unddieNemesis hat ihn früh ereilt;dieRache,die dieKircheanihm nimmt fürdenKulturkampf, ist vollständigund verdient. DieJesuiten, frommeGelehrteund ganzungefährlich,sofernmanihnennurnichtdieJugend- erziehunganvertraut, werdendie,,Liberalen«nichtmüde, alsScheusaldem Volkshaßpreiszugeben,abergeradedasBerwerflicheamJesuitismus, die Unselbständigkeit,denVerzicht aufs eigene Urtheil,dassaeriüzio dell in- telletto, dieSkrupulositätundKasuiftikingeschlechtlichenDingen, ließen sie sozusageninsStaatsgrundgesetzaufnehmen. Freiheit haben siefür sich,für denUnglauben,fürdieGründerei unddieDividendenjagdgefordert,fürdie GläubigenaberundfürdieArbeiter GefängnißundZuchthaus;undstets waren siedenKonservativennochvoran imDenunzirenundimSchreien nachderPolizei,wo immer ihnen diesebeidenBestandtheiledesVolkes, dieKatholikenunddie Arbeiter,unbequemwurden. Wären sie wahrhaft liberal gewesen,hätten sie Jeden, auchdengläubigenKatholiken,nach seiner Fasson seligwerdenlassen,hätten siedieVolksrechtegegendie Bureaukratie undgegen den Militarismus vertheidigt, hättensiedemGrundsatze:Leben undlebenlassen gehuldigt, stattdemanderen: Selber leben undsonstNie- mand lebenlassen, so hättenwirheutewedereinesozialdemokratischenoch eineCentrumspartei, sondernesständederkonservativenParteieineeinzige großeliberale gegenüberund dann hättenwir natürlich auchkeineLex Heinze.Statt dergroßenliberalen Bewegunggegendiesen Unsinnhaben wirnun blosunmittelbar vorThorschlnßeineBewegungvonKünstlernund Journalistenbekommen. AberwashabendenndieseHerrn heutezusagen?

DieZeitungschreiberwerden sogar schon vomberliner Kommunalfreisinn verächtlichbehandelt,dieKunstaber: was hättewohldieheutenochzu be- deuten! Diewahre Kunst,dieGabeApollos, isteinElementderhöchsten undfeinsten Kultur;undwie könnte imZeitalterderMaschinen,’derKa- nonen undDividendenhöchsteundfeinsteKulturgedeihen! NachdenHohen- zollerndramendesHerrn LaufswirdsichdasPublikum auchdievon Hof- predigernzudramatisirendenfrommen Jugendschriftenund Traktätleingefallen lassenunddieKünstlerwerdensichamBesten stehen,wenn siedemHandel undGewerbePlakate liefernundnebenbeiFamilienjournale illustriren.

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