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Die Zukunft, 2. Februar, Bd. 34.

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Berlin, den 2.Februar 1901.

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Eduard Bernstein.’««)

o oftineinemmitGeistundEnergie begabtenVolkdieVermögens- - unterschiedebedeutend werdenund derärmere Theilüber Druck zu klagen hat, stellen sichkommunistischeundsozialistischeTheorien, Utopienund Bestrebungenein. JmAnfangdes neunzehntenJahrhunderts gab ihnen

sit)Amersten Februar hat sich Herrn Eduard Bernstein,derlange,mit HeimwehimHerzen,inLondonsaß,diedeutscheGrenzewiedergiöfsnetEristvon deuiStrafverfahren,dasersichalsRedakteur des,,Sozialdemokrat«zugezogen hatte, nicht mehr bedrohtundwirdsicher schnelldemlondoner Nebel enteilen.

DaßdieRegirungdenSteckbriefgegenihn nichterneuern ließ,warklug. Der Mann,derschonvon Englandausderorthodoxen Sozialdemokratie so(unbequem wurde,wirdihr noch mehrzuschaffenmachen,wenn ererstinDeutschlandlebtund Gefährten findet.Daran wirdsihm nicht fehlen. Liebknechtist tot, dieGewerk- schastbewegungist mächtig erstrecktunddieVerhandlungenüber dieParteitaktik, dieBetheiligungandenLandtagswahlenundderF«ll Millerand haben gezeigt, wienahdieVollmar,Auer,Heine, David undmancherAndereBernstein stehen«

DerFlüchtling,denMarxundEngelsoertrauten Umgangs würdigten,galt lange als besonders radikal;unddochkonntenschondiewüthendenGlossen,mitdenener alsHerausgeber Lassalles Schriften versah, lehren, daßderSohneinerbürgerlichen Demokratenfamilie stets nachderSeite desLiberalismus neigte. Unddieser MannkehrtindemAugenblick zurück,wodiedeutscheIndustrievoreinerschweren, fürdieproletariiche Politik wichtigen Krisis stehtundwodieHäufleinderLiberalen,

umfürdenKampfgegendieGetreideziölleBundesgenossenzusangen, die Sozial- demokraten zärtlichuinwerben. SoraschwieinFrankreich,woGuesdeund Jauråseinander grimmigbefehden,wirddasvielfestereGefügederdeutschen Partei sichnichtlockern.Jnteressantaberwirdauchbei unsdieEntwickelungwerden.

Undvielleichtwirdman einesTages sagen, daßmitderHeimkehrdesHerrn Bern- steininderGeschichtederdeutschen SozialdemokratieeinneuesKapitel begann.

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diebekanntewirthschastlicheundpolitischeUmwälzungeinebesondereFärbung.

HumanitätundInteresse hatten zusammengewirkt,dasärmereVolkvon der Scholleundaus denBanden derZuanzubefreienundihmeine-freilich durchPolizeiundStrafgesetz eingefchränkte Vogelfreiheitzuverschaffen;

dieweitgehendeArbeitstheilungundArbeitvereinigunghatte oereinzeltes Pro- duziren seltenundfürganze GebietederProduktionunmöglichgemachtund diesabelhafteErhöhungderProduktionkraft durch DampfundElektrizität hattedieAussichtaus unermeßlichenallgemeinenReichthumeröffnet. Während sichdieStaatsweisenderbesitzendenKlasse vergebensdenKopfdarüber zer- brochen,wie dieneue, immerzahlreicherwerdendeKlassederLohnarbeiterin denOrganismusdesGemeinwefenseingefügtwerdensolle—habensiedoch eineallenStaaterhaltenden zufagendeFormeldafürbisheutenoch nicht ge- funden—, machtendieutopiftischenFreundederArmen kurzenProzeßund entschieden:dabei derheutigen ProduktivitätderArbeitdasArbeitprodukt zurBefriedigungallerBedürfnisseAllerhinreiche,soseiweiter nichtsnöthig alseineneue Einrichtungder GesellschaftundihrerproduktivenThätigkeit, um Allen denihnen gebührendenAntheilamProduktzusichern. Diese neue Einrichtung sei durchdenbisherigenGangderwirthschaftlichenEnt- wickelungdeutlich vorgezeichnet.DieArbeit seikollektivgeworden,abersie werde nichtvondenwirklichArbeitenden geleitet, sondernvonjenen Wenigen, die dasMonopoldesBesitzes haben.Werdesievon denArbeitenden selbst geleitet,werdederGrundsatzdespolitischenLiberalismus, daßsichdie-Staats- bürger selbstzuregiren haben,indieProduktioneingeführt,sowerdenicht alleindasArbeitproduktgerechtvertheilt, sondernvon vorn herein schondie Produktion zweckmäßigereingerichtetwerden,sodaßniemals dasUeberflüfsige vor demNothwendigengeschaffenwerde,und eskönne dannnicht mehrvor- kommen,daßdieProduktiondesNothwendigenunterbleiben müsse,weilsie nichtrentire. KarlMarxundFriedrichEngels brachtendanndieeinzelnen VersuchederSozialistenin einSystem,demsieeinehistorischeundstatistische UnterlageundeinephilosophischeFormgaben.AusdemimGanzenun- genießbaren»Kapital«griffen sie ein-paar Sätze heraus,die zuwirksamen Schlagwöiterngeprägtwurden, unddieseSchlagsvörterfördertennicht wenig dieOrg 1nisationderArbeiterparteienaller Kultuistaaten,indemsiedenArbeitern nichtallein dieganz nah bevorstehendeUmwälzungallerDingeundein darauffolgendesGoldenes Zeitalterverkündeten,sondernihreHerzen auch mitdemstolzen Bewußtsein erfüllten, daßsie alleindiewahrenVertreter derWissenschaftdesJahrhunderts,alleanderen Menschen,diebürgerlichen Gelehrten nicht ausgenommen,mehroderwenigerdummeKerleseienund daß ihnen schon deshalbdieverheißeneDiktatur inderneuen Gesellschaft- ordnung gebühre.

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Eduard Bernstein. 187

Nunbegabessichaber,daßderSozialdemokratiediehistorisch-statistische Grundlage ihresGedankenbaues unter denFüßen schwand. DieseGrund- lage bestandinderwirthschaftlichenEntwickelungunddensozialenZuständen EnglandsinderZeitvon 1780 bis1850;von1850 an schlugaberdie EntwickelungandereWege ein;dersozusagen automatisch wachsendeReich- thum verbesserteinWechselwirkungmit derArbeiterbewegungunddensozialen BestrebungenvonedlenMännernderherrschendenKlassendieLageder Ar- beiter undesbildetesicheineArbeiteraristokratie,dieso zünftlerischwie der verbohrtesteHandwerksmeisterundsokapitalistischgesinntwar wie dergewinn- stichtigsteFabrikant. Auch sahman vonTagzuTagedeutlicher, daßEngland nichtin dem Gradetypisch sei fürdiewirthschaftlicheEntwickelung,wieselbst bürgerlicheNationalökonomengeglaubt hattenundhieunddaauchheutenoch glauben.GewißwirktdieGesammtheitderKräfte, EinrichtungenundZu- stände,dieman Kapitalismusnennt, bisans Gelbe Meerundbisindie innersten WüstcnAfrikas,dabeiaberbehältdasWirthschaftlebeneinesjeden LandesseineigenthümlichesGepräge;esist klar, daßdemrufsischenMushik unddemitalienischenPächternichtmitdenselbenMitteln zuhelfen istwie demlondonerDockarbeiterunddaßeslächerlichwäre, dieenglischeIndustrie- arrnee, diefranzösischenWeinbauern und diedeutschenGroßbauernindie selbeSchablone zwängenzu wollen«DievondenSozialisten aufgeworfenen Fragenbleibentrotz AlledembestehenunddieDienste,die derSozialismus derGesellschaftgeleistethat, sind nicht abzuleugnen; istesdochzu einem großenTheil ihm zuzuschreiben,daßdieGefahreinesgroßenKladderadatsch vorüber-gegangenist,daerzuReformengezwungen,den Staatsrnännern und sogardenGelehrten erst dieAugen geöffnethat, so daß sie jetzt sehen, welche Gefahrendrohen,wie diewirthschaftlichenProzesseverlaufenundwiesieam Bestenzu leitensind. Fest steht aber, daß sichdiewirthschaftlicheEntwicke- lungmitderpolitischeninReformenundunmerklichenUmbildungenfort- bewegtund daßeineKatastrophe,die demProletariat auchnur auseinen einzigenTagdiepolitischeGewalt indieHände spielenundeszu einer NeuorganisationderArbeit berufen könnte, nicht bevorsteht.Das wissen BebelundSchoenlank,die ganzfeine Köpfe sind, so gutwie wir. Daß sieesnicht eingestehen,ist sehr natürlich.Esist unbequemundgefährlich füreinenPapst, einzugestehen,daß sichdieErdeum dieSonne dreht,wenn fein GerichtebenersteinenVerkünderdieserWahrheitalseinenKetzerver- dammt hat;undeinrichtigerHierarcherduldet lieberdenZwangeinerfrei- willigenGefangenschaft,als daßer seineheutige Freiheit eingestünde,die thatsächlichvielgrößerist,alssie jemalsimMittelalter undinderZeit desjämmerlichenKirchenstaateswar. AberauchdenHerrenBebelund SchoeuleukzuGefallen stehtdieErdenichtstill;ueeddaßueed wiesieXsieh

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dreht, werdenüberkurzoderlangalleArbeiter wissen.Soll dieArbeiter- organisationnicht zum Schaden der ArbeiterunddesStaates zerfallen,soll sie ausgebautwerden, bissie alle Klassenvon Arbeitern undihre gesammte Zahl umfaßt, somußsie sichdenThatsachen anpassen,stattsichgegensie mitstarrkävsigerVerneinung abzusperrenundsich aufdasAbdreichenun- sinniger Revolutionphrasen und aufdiePflegeunrealisirbarer Zukunft- hoffnungenzubeschränken.Das hatsiejadennauch schoneinigermaßen gethan,aber soweitsie sozialdemokratischist,imWiderspruchmitihrem orthodoxenGlaubensbekenntniß;und so trittandieSozialistenkircheschon nachkaum dreiJahrzehntendieNothwendigkeitheran,die dtrchristlichenKirche heute,nach beinahe neunzehnhundertJahren,nochnichtdringlicherscheint, ihre DogmenzumodifizirenundeinenTheildavon preiszugeben.

UnterdiesenUmständen kanndasVerdienst gar nichthachgenugge- schätztwerden,das sichEduard Bernsiein erwirbt, indemeresalsaner- kanntes und angesehenesParteimisgliedunternimmt, dieParteidogmenzu revidiren und«durch BeseitigungdesUtoptschenodervon dergeschichtlichen EntwickelungUeberholtendiesozialdemokratischeA.beiterorganisationvon den Fesselnzubefreien,diesieam gedeihlichenFortschritthindern. Dervoll- kommenehrlicheundaufrichtigeMann gestehtofsen ein, daßersich,gleich Marx, durchUmstände derZeitunddesOrtes getäuscht,in manchen Stücken geirrthat, undgehtin derEhrlichkeitso weit, zu bekennen,daßerimBeginn seinerSinnesänderungnichtvollkommen ehrlich verfahrenist, daer,durch seine Stellungberufen,den matxistischenSozialismusex cathedru zu predigen, seine Ketzereienzwar nicht abgeleugnehaberauchnicht geradein denVordergrundgestellthabe.Esist erquicknd, zuverfolgen,mitwelcker RuheundUmsichterdaran gearbeitet hat,die FaiiatikerderParteiallmählich zurVernunftzubringen. NachdemgroßenWahlerfolge,dendiedeutschen Sozialdemokratenam zwanzigstenFebruar1890 errungen haben,stellter ihnenvor, daß sienun nichtmehr eine ganzohnmächtigewinzigeMinderheit seien,diegenug gethan habe.wenn siegegendieUnterdrückungmaßregeln derunumschränktherrschendenMehrheit protestire,daß ihr vielmehr diejetzt erhibltcheZahl ihrer-Vertreter diePflicht positiverWirksamkeit auflegeund daß ihrdieBahndafürvorgezeichnetsei: sie habedieErweiterungderPols- rechte unddiematerielle Hebungderarbeitenden Klassezuerstreben. Der WegzurvollenpolitischenFreiheit führedurchdenParlamentarismus hin- durch,nichtum ihnherunt. De Arbeiter hättenzunächstdas Werkzu vollerden« dasdiebürgerlietenParteienhalb vollendet li gengelassenhätten:

Geburtprivilegien,verrolteteRechtsinstitutiorenundähnlicheDinge abzuschasfen.

Damit Dashälterfür nöthig.zurBeruhigungderDoktrinärehinzu- zufügen gebedieParteikeinTitelchen ihres grundsätzlichrivoluiionären

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Charakters auf.JmJahre1893 warnte eraus AnlaßderVerhandlungen aufdemzüricherSozialistenkongreßvorderNeigung,aus Zweckmäßigkeit- fragen Prinzipienfkagenzumachen,örtlichund unter besonderenUmständen gewordene Regelnzu allgemein giltigen Dozmenzustempelnund den SozialistenallerLänderdieselbe gebundeneMirschroute vorzuschreiben.Er zeigt,wielächerlichdieForderungderpaar holländischenSozialisten sei,die ArbeiterjedesLandessollten eineKriegserklärungmitdemmilitärischen und ökonomischenGeneralstrike beantworten,alsob Das auchnur indemgar nicht militaristischenHolland möglichwäre. Der ökonomischeGeneralstrike ergebe sich übrigensin Frm allgemeiner GeschäftsstockungzurZeiteines KriegesganzvonselbstingrößeremUmfange,alsdenArbeitern liebsei.

VomJahre1895 abgehterdemmitMarxensOekonomismus ver- quickten philosophischenMuterialismus zu Leibe. Jneiner Polemikgegen dieGnspillages dessociåtås modernes von Novicow zeigter,daßdie sogenannte naturwissenschaftliche MethodeinderBehandlung sozialerund ölonomischerGegenständeauf Einbildung beruhe. Freilichgehöreauchder MenschzurNatur,abererunterscheidesichvonallen anderen Naturwesen dadurch,daßermitBewußtseinundplanmäßigindenNaturlauf eingreife undihnabändere. Diesegeistige Thätigkeitgehörenun einmal nichtzu Dem,wasman gewöhnlichunter Natur versteheund was dieKörperwelt und ihreVeränderungenzugeeigneten Gedenständennaturwissenschaftlicher Behandlungmache;allegesellschaftlichenEinrichtungen,alleSchöpfungen desMenschenseien nicht Natur-,sondern Kunstprodukte.DieNatur pro- duzirevonselbstkeineeinzigeökonomischeKategorie,wederdenLohnarbeiter, UvchdenKapitalisten, nochdenProfit, nochdieGrundrente,ja, nichteinmal denVorrath,sondernnur Materialien derVorrathbildung.Geradedie Verschwendung,dieNovicow derGesellschaftvoiwirft, sei bekanntlicheine derhervorstechendstenEigenheitenderNatur,woraus sichalleinschonergebe, baßdieOekonomie nichts Natürliches sei. DieVerwirrung rühre daher, baßdie beidenBedeutungenderWorte »Natur«und »natürlich«beständig verwechseltwürden. Einmal versteheman unterNaturdieGesammtheitder Uach mechanischen,chemischenundphysiologischenGesetzen sichverändernden Körperwelhdann wieder dieGesammtheitderEigenthümlichkeiteneines Dingesodereiner EinrichtungJhrerNatur gemäß soll freilich jedeGe- sellschaftundjede gesellschaftlicheEinrichtungbetrachtetundbehandeltwerden;

aberzwischendieserBehandlungweiseundderAnwendungdernaturwissen- schaftlichenMethode auf Dinge,diekeineNaturwesenimerstenSinne des Wortessind, ist,darinhat Bernstein ohne Zweifel Recht,eingewaltiger UmkklchiedDasGesellschaftlebendesMenschen habe freilichin derNatur Analogien,aberman müssesichdavorhüten,aussolchenAnalogienzwingende

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Schlüsse aufdenVerlaufdesGesellschaftlebenszuziehen. Uebrigens lasse sichdieMechanik noch leichter aufdasSeelenleben unddaher auch aufdas Gesellschastlcbenanwenden alsdieBiologie (Bernstein hättebeidieserGe- legenheit Herbarts Psychologiezur Erläuterung herbeiziehensollen).Au anderen Stellen erinnert er daran, daßdieneuere Naturphilosophiedie Materie allerStofflichkeitentkleidet, sie zu einemhypothetischenGedanken- ding herabgesetztundsoDem,was man gewöhnlichunter Materialismus verstehe,denBodenentzogen habe;derneustewissenschaftlicheMaterialismus seinicht wenigerspiritualistischalsdersogenannteJdealismus. Jneinem sehr hübschenAufsatzüber diesozialpolitischeBedeutungvon Raum und Zahlwendeterdenjedem Historiker geläufigenSatz, daßdieMöglichkeit derSelbstregirungindemMaße schwindet,wie derStaat anGrößeund Volkszahl zunimmt, aufdieVolkswirthschaftanundzeigt,wieunsinnigdie Vorstellung sei, daßderStaat odergardieArbeiterschaft jemalsim Stande seinwerde,auchnur 60 000Betriebegut underfolgreichzu leiten,geschweige denndie Millionen,die wirzurZeitimDeutschen Reich nochhaben.

. Nach diesen Präludienhater1899 dasBuch herausgegeben: »Die VoraussetzungendesSozialismusunddieAufgabenderSozialdemokratie.«

Darin bekämpfternun dieAnwendungdesnaturwissenschaftlichenMaterialis-- musundderDialektikHegels aufdasWirthschaftlebenimZusammenhang.

ErgiebtdabeiMarx nicht gänzlichpreis, sondernwillihnnur zeitgemäß korrigiren.- Hegels Umschlagtheorieseija richtig,aberihre Anwendung aufs Gesellschaftleben nichtsoeinfach,wiesie sichMarx gedacht habe.Jn der modernen Gesellschaft gebeessehrvieleGegensätze,vondenenderzwischen ProletariatundBourgeoisienur einersei;auch dieserGegensatzbestehenicht auszwei reinlichgeschiedenenGliedern, sonderndie beidenExtreme seien durch zahlreicheUebergängemiteinanderverbunden undwederdasProletariat—- wenn man darunter nichtdasLumpenproletariat, sondernalleum Lohn Arbeitenden verstehe nochdieBourgeoisieseieineeinheitlicheSchicht,sondern jede durchvielerleiUnterschiedegegliedertundsogar durchInteressengegensätze gespalten. Daher seijede Möglichkeitausgeschlossen,daß jeeinmal die Summe allergesellschaftlichenVeränderungenaufdenUmschlagderBour- geoisherrschaftin dieProletarierherrschaft reduzirtwerdenkönne.Auch weicht, wieBernstein durchreichlichestatistischeAngaben nachweist, geradeinEng- land,von demalsdemtypischenLandeMarx seineKatastrophentheorieab-- strahirt hat,dieWahrscheinlichkeiteinersolchen Katastropheimmer weiter zurück,da dieZahlDerer, dieanderErhaltungdesPrivateigenthumsinter- esstrtsind,stetigzunimmt.·Jm Jahre1851zählteEngland300000 Familien indermittleren Steuerklasse(150bis1000 Pfund),imJahre1881 aber 990000. WährendindiesendreißigJahrendieBevölkerungum30Prozent

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gewachsenwar,hatte die der mittleren Einkommen einenZuwachsvon2331«-3 Prozent erfahren.So trittauchinEnglandwiederandieStelledes urüber:

brückbarenGegensatzesvonSteinreichundBettelarm jene Stufenleiterder VermögenundEinkommen,dieinDeutschland, Oesterreich, Frankreichund denkleinereneuropäischenKulturstaatenniemals zerbrochenworden war und diesichseit Jahrzehnten durchdieZunahmederBesitzenden,also günstigver- ändert;dieKulturwelt wirdimmerreicherundderReichthumverbreitetsich in immertiefere Schichten.

Fehlt demnachdienegative Voraussetzung fürdengroßenUmschlag, dieVerelendungderMassen, so stehtesnichtminder schlechtum diebeiden positiven Bedingungen:dieKonzentrationderBetriebeunddie Revolution, die demProletariatzurHerrschaft verhelfen soll. VondieserRevolution wollenja auch unsere deutschenSozialistensührerschon längstnichts mehr wissen.Aber,klagendieUnentwegten,derMann raubt uns einsunserer theuerstenGüter:dasRecht aufdieRevolution;dasmüssenwirdochwenigstens

»hochhalten«. Jhnenantwortet Bernstein:"Wiekönnteesmireinfallen, einGrundrechtdesMenschenzuleugnen?Nur leider bedeutetdieses Rechtinunserenmodernen Militärstaaten ungefährsovielwiedasRecht aufs Fliegen.KeingöttlichesGesetzverbietetdasFliegen;also,wenn Jhr könnt, fliegtnur immer lustig darauflos! Er hättehinzufügenkönnen:

WennJhrdasRecht aufRtvolution wiederwirksam machenwollt, somüßt JhrausderZeitdesDampfwagens,deselektrischenTelegraphen,derFeuer- wassenunddesDynamits zurückkehrenindieZeitendesAltenTestaments, wojedes unternehmunglufiigelProphetleinseine Ehredareinsetzte,imNamen Gottes ein paarKönigleinzustürzen,oderinsMittelalter,woItalien, wie einHistoriker nachrechnet,gegen7000Revolutionen durchgemachthat;die große französischeRevolution hat nicht,wieeinfältigeReaktionäreglauben, die Aera der Revolutioneneröffnet,sondern sie geschlossen;was dannnoch gekommenist,war,außer derBefreiungderSüdamerikanervon demJoch ausländischerMonarchenundderVertreibungderkleinenitalienischenPoten- taten,nur theils Vollendung, theilsKarikatur derfranzösischenRevolution.

Daßaber dieallerdingsineinzelnenProduktionzweigenfortschreitendeKonzen- tration durchdieEntstchungneuer Mittel-undKleinbetriebe inanderen und namentlichinganzneuen Produktionzweigenaufgewogenwird,weistBern- stein ausführlichnach. Ferner zeigter,daßdieBesitzlosennirgends,nament- lich nichtindenwirthschaftlich fortgeschrittenenStaaten, dieMehrheitund bei dembeschriebenenProzeßderReichthumsvermehrungauchkeineAussicht haben, siezuerlangen,unddaß,wenn sie sie erlangtenunddazu durchein WunderdiepolitischeMacht,Das ihnen nichtnur nichtsnützen,sondern dasgrößteUnglückfür sie seinwürde, weilsiedannihre Unfähigkeit,die

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Produktionzuorganiiirenundzu leiten,vorAllerAugenblosstellen würden.

Das SchicksaldermeistenProduktivgenossenschaftenbeweistschondieUn- fähigkeitder Arbeiter, auchnurmäßigeUnternehmungenimGangezuerhalten, und dieenglischenKonsumvereine,die imKapitalreichthumersticken,sind kluggenug, ihr Geld nichtmit produktivgenossenfchaftlichenExperimenten zuriskiren, obwohlesdochdiehöchsteZeit fürdie Arbeiterwäre,sich auf diegroßeAufgabe,dieihrer angeblichharrt, durch Versucheim Kleinenvor- zubereiten. Demnach sollendiedeutschenSozialdemokratenaufhören,in einer Richtungvorwärts zustreben, diedurchUnmöglichkeitenversperrtist;sie sollen,wiedassinnloseRevolutiongeschwätz,so auchdieunwahreRedensart von dereinenreaktionärenMasse aufgeben, sich nach enzliscbemMuster mit allen denArbeitern wohlwollendenParteienundGruppenverbunden und mitihnen HebungdesArbeiterstandes, SozialifirungderGesellschaftundin derPolitikdieDemokratie anstreben,Demokratie nichtimdoktrinären Sinn alsSelbstregirungdesVolkesodergarHerrschaftderArbeiterverstanden Beides istimGroßstaat unmöglich—, sondern als einZustand,wo die Privilegien möglichstbeseitigt sindund dieArbeiterschafteinen ihrerZahl und WichtigkeitentsprechendenEinflußaufGesetzgebungundVerwaltung übt. DieDiktatur desPioletarials könnenur nochalsJdealrachsüchtiger Herzen gehegtwerden inLändern,woeineunverständigeR:girungdieAr- beiterunterdrückt,wie inRußlandund imKönigreichSachsen. Wasdie VergesellschaftungderProduktionmittel anlangt,so scheinedieEntwickelungja diesemZiel zuzustreben,indem siediewillkürlicheBenutzungdesPrivateigen- thums durch Gesetzeimmermehr einschränke,diekommunalen undStaats- unternehniungenvermehreund allerleiFormen gemeinsamenundgenossen- schaftlichenBesitzesschaffe;abervorläufigmüsseman sichmit derschonerreichten Mifchung genossenschaftlicher,öffentlicherundprivaterBetriebe begnügen.

DieLesererinnern sich,indenZeitungen geleerzuhaben, welchen Sturm Bernsteins Auffätzeundsein Buchbei den DoktrinärenfeinerPartei erregt haben.Eslohnt nicht,dieVerlegenheitphrasenzuwiederholen,mit denen

man inderPresseundaufdenParteitagenum dieunumstößlichenThat- sachenherumzukommensuchte,die zwarJeder sehen mußundmitHänden grifenkann,die aberbisdahininsozialdemokratischenKreiernochNie- mand offen einzugestehengewagthatte.

AndenParteitag,derim Oktober1898 inStuttgart abgehalten wurde,richtete BernsteineinSchreiben,worin ersagt: »Die ZahlderBe- sitzendenist nichtkleiner,sondern größergeworden.«DasentlockteKautsky denklafsischenAusruf: »WennDas richtigwäre, dannwärederZeitpunkt unseresSieges nichtnur sehrweithinausgeschoben,dannkämen wir über- haupt nichtansZiel. WenndieKapitalistenzunehmenundnichtdieBesitz-

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Eduard Beinstein. 193

lofen, dannentfernenwiruns immer mehrvomZiel,dann festigtsichnicht derSozialismus,sondern derKapitalismus.« JI, esistnun einmalrichtig:

diesesUnglückkannNiemandvondemgutenKautslyabwenden; sein Ziel ist eben eine ganzunsinnige Utopie;undnoch dazu sind Soz«alismusund Kapitalismusgar keineGegensätze,dennSozialismusbedeutetdoch wohl nichtKommunismus Bervstein hat sichmitdemverbohrtenKautslyin einerlängerenPolemik herumgeschlagenundhat diese zusammenmiteiner ReihevonälterenAufsätzen,dieseineEntwickelungseit1890 darlegen,in Buchiorin herausgegebenunter demTitel: ,,ZurGeschichteundTheoriedes Sozialismus««-").Kautskywirdsich nicht bekehren;aberbeidenVerstän- digenderPartei,derenZahl nach Bernsteins Erfahrungen nicht gering ist (i"iescheinen sich, Kauiskys »Neue Zeit« verlassend,um die,,Sozialistischen Monatshefte«zusammeln)werden seine BelehrungendenDurchbruchder Vernunftbeförderm Es kannnicht fehlen,daß dieNabelschnur,dieihn nochmitdemMarxismusverbindet, vollends zerreißtunddaß derselbe Emanzipationprozeßbei derganzen deutschen Sozialdemokratievor sichgeht;

besonders,wenn Bernstein nach Deutschlandkommt,wasihm unsereJustiz jetzt gestattet;wiefreutman sich,wenn man von dieser wunderlichenGöttin einmaletwasGutes undVerständigesmeldenkann! DermarxistischeSozia- lismushatseineAufgabe,beiuns in Deutschlandwenigstens, erfüllt;erhat die Arbeiterorganisirt,hat den Staat zuReformengezwungen, hatdem gebildetenBürgerthumdieAugen geöffnetundinihmeineBewegung her- vorgerufen,die derArbeitetbewegungparallel geht; dieses Bürgerthumist auch hochherziggenug,sichinseinen arbeiterfreundlichenBestrebungen durchden Hohn,mitdemestäglichvom »Vorwärts« überschüttetwird,nichtbeirren zulassen.Man wirdnur allmählicheinsehen, daß,ummitBernsteinzu reden, dasZiel nichts,dieBewegungAllesist,daß Niemand wissen kann, wienach hundert JahrendieGesellschaftaussehenwird,und daß sichder Vernunftigedarauf beschränkt,dieheutigen UebelständedurchReformenzu befeitigen,wobeierja immerhineinGesellschaftidealalsLeitsternimAuge behaltenmag. Man wirdeinsehen, daßderSozialismus nur einneues Wortftir zweiuralte undstets wirksameDinge ist:dievernünftigeStaats- verftlssungunddieNächstenliebe,diedadurch, daßman sie heuteAltruismus nennt, wederschönernochwirksamer wird. Man wirdeinsehen,daßdiese beidenGrundkräfte:diepolitischeunddiesittliche,zu allenZeitendieselben bleibenunddaßnur dieAufgaben wechseln,an derenLösungsiesichzu bethätigenhaben.An derOrganisirung, HebungundEingliederungder

··)AkademischerVerlag fürsozialeWissenschaften,Dr.John Edelheim, BerlinundBern.

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194 DieZukunft.

Lohnarbeiterschaftwirdjanun beiuns imReichstagundinVereinenrüstig gearbeitet;und dasnächsteZiel, ihre gewerkschaftlicheOrganisationohne Rücksichtauf ParteistellungundKonfessiomwird, wieesscheint,balderreicht werden. Magnun diebesondereArbeiterparteiin dieanbrechendeneuePeriode mithinübergenommen werdenodermagdieMilderungderFeindschaft zwischenUnternehmernundArbeitern zurenglischenPraxis führen,daßdie Arbeiter auf eigeneVertreter verzichten, jedenfalls mußman wünschen, daßeinVorzugderheutigen Arbeiterparteiindenneuen Zustand hinüber- gerettetwerde: dierücksrchtloseKritikdesBestehenden,die dermolluskenhaft undbyzantinischgewordeneLiberalismus nicht mehr wagt.

WährendsodieLösungdesArbeiterproblemsin dierichtigeBahn geleitet ist,drängtsichunseine vielwichtigereFrageauf, die das ganze Volkangeht.

Möglichgeworden istdie zumTheil gelungeneHebungderenglischenuudder deutschenArbeiterdurchdenzunehmendenReichthum. Dieser wirdallerdingszu- nächstderProduktivitätderArbeit verdankt, aber denEngländern,die·drei Viertel ihresBrotkorns im Auslandekaufenmüssen,wärendurchdiegesteigerteProduk- tivität der ArbeitalleinihresozialenLeistungennicht möglichgewesen,wenn sienichtandereNationenausgebeutethätten:Kulturnationen durchdenHandel, barbarische durch Plünderung,AussaugungundVersklavung.Esfragt sich nun, obfüruns, wenn auchwirdemnächstunser Brotkorn imAuslande kaufenmüssen,solcheAusbeutungobjekteübrig seinwerdenund obauchnur dieEngländerdieerklommenewirthschastlicheHöhe behaupten können,wenn ihnen ihr Ausbeutungsgebietvon zweioderdreigleich starkenKonkurrenten streitig gemachtwird. DieUeberlegung,daß,wenn der ganze Braten kleiner wird,auchdieeinzelnenPortionenkleinerwerden,dürftedieGesandungder Arbeiterparteibeschleunigen;siewirdauf Revolutionphrasenundaufdiethö- richte BeschimpfungpatriotischerEmpfindungenverzichtenundanderFörde- rung desGesammtwohlsmitarbeiten. Welchen SchmerzwirdDas den Scharfmachern bereiten,die dannihre übermäßigenDividenden,Prositeund RentennichtmehrmitdemKampf für Monarchie,Religion, Ordnungund Sitte decken, mit demrothenGespenstnicht mehr Geschäftemachenkönnen!

Neisse. Karl Jentsch·

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