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Die Zukunft, 22. Februar, Bd. 38.

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Berlin, den 22. Februar 1902.

7 I Js IT

Meteora. « v

mfünfzigPfennigenur brauchendie VerbündetenRegirungenden e-»o Minimaltariffür RoggenundWeizenzuerhöhen:dannist,wenn sieüberHaferundGerstemitsichredenlassen, Ursprungszeugnissefordern undsichverpflichten,denneuen Zolltarifbisspätestenszumersten Januar 1905 durchGesetz einzuführen,ihremSchmerzenskindimReichstageine Mehrheit gewiß.DasstandindenZeitungen. Ausregendists nicht. Daßes schließlichzuirgendeinerEinignng kommen, daßkeineParteiwagenwird, dieVerantwortung füreinenZollkriegmitdrei odermehrFronten auf sich zunehmen,war niezweifelhaft; undebenso wenig, daßman mithohen Tarifsätzen sehr gute,mitniedrigen sehr schlechteHandelsverträgeab- schließenkann.DieUngeduldigenaber,dieumeinendochnur zumSchau- gerichtbestimmten Tarif seitMonatenwieHungerndeumeinenBissenBrot raufen, müßtenjetzt,da zumerstenMal dieMöglichkeiteinesKompromisses auftaucht, eigentlichinWallung gerathenundmitdemAufgebot ihrer ganzenLungenkrastZeterundMordiozuschreien.DochvoneifernderLeiden- schaftist nichtszuspüren. LeisesWimmern nurhörenwir,dunkleLakaien- drohung, daßmans demHerrnundGebieternächstensschonzeigenwerde, unddenWiderhallderaltenSorge,obHerowohlbaldihrenLeanderum- armen oderob desSchicksalsdräuendeMachtihre Rechte furchtbar,uner- bittlich strengeintreiben wird.AuchandereVorgänge,diesonstWochenlang demBedürfniß nach Sensationen genügenwürden,werdenjetztkaumbe- achtet. Großbritanienhat mitJapaneinenVertrag geschlossen,derjedender

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beidenKontrahenten verpflichtet,dem anderen ineinemihmvoneiner Kna- litionaufgezwungenenKrieg beizustehen, einen derheutebeliebten Ver- träge,derenHauptzweckerfülltist,wenn sie veröffentlichtsind.Einganzes BündelsolcherVerträgeändertnichtsandenMachtverhältnifsen;und der begreiflicheBritenwunsch, durchdasneue Pergament Rußlands Lustzu einerVerständigungüberasiatischeLebensfragenzusteigern,wirdseinZiel nicht leicht erreichen.DenSchreibern aber,diesogernvom Götterthron herabdie Erdevertheilen,mußtedieserStoff höchstwillkommensein.Wer den Plantagenbetrieb einigermaßenkennt, sah schondieLeitartikel,in denenaufs Haarvorausgesagt würde,wasRußland,Frankreich, China jetztthunund wie dasDeutsche Reichimstolzen Selbstgefühl seiner Kraftdemunruh- vollenHaderzuschauenwerde. DenHarrendentrogdieHoffnung.Was instillerer ZeiteinweltgeschichtlichesEreignißgenanntworden wäre,ward srostigalsEpisodebehandelt.Warum? Weil diePressenun Wichtigereszu thun hatundwederanzollpolitischenochandiplomatischeKleinigkeitenZeit verschwenden«kann. DennPrinzHeinrichvon Preußen ist nachNord- amerika abgereist,undbiserheimkehrt, darfesfürdenrechtgläubigen Deutschenkein anderes weltgeschichtlichesEreignißgebenalsdiesen ersten BesucheinesHohenzollernim Lande desstaI«-spangledbannen

DerEntschlußzudieserReisekamrecht überraschend.ImNovember erst hatteHerrGastondeSågur erzählt,derlKaiser habemitihmanNor- wegens KüstevonderunheimlichschnellenEntwickelungdernordamerika- nischen Wirthschaft gesprochen. Diese Milliardentrusts, die ganzeIndu- strienunddiefruchtbarstenGebiete des internationalen Handelsder Willkür einerOligarchieunterwerfenwollten,seienfür Europa die«schlimmsteGe- fahr.EinesTageswerdeirgendeinMorgandieHauptliniendesatlanti- schenDampferverkehrsunter seine Flaggebringen, nachBeliebenschalten undwaltenund,alsPrivatmann,allenKünstenderDiplomatie,allenpoli- tischenAnsprüchenunzugänglichsein.NureineuropäischerZollbundkönne dieGefahrabwehren;dieKontinentalsperre,mit derBonapartedieBriten zu kirrenversuchte,müssezumSchutzgegen dieUebermachtderVereinigten Staaten geschaffenund-EnglandvordieWahl gestellt werden, Europas SachezurseinenzumachenoderAmerikasSchicksalzutheilen.DerKaiser, hießesin demBericht,nous entretient Surtout de1’Am(årique,pour laquelleilprofesseune sympathiemodåråe.WasWilhelm derZweite denFranzosenüber dies,amerikanifcheGefahr«sagte, stimmtmitder An- sichtdermeistenNationalökonomen undfastallerGroßindustriellenüberein.

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HiittenbesitzerundLandwirthe,RhedereienundElektrizitätgesellschaften blickenlängstsorgenvollinsYankeelandundmöchtenamLiebstenEuropens vereinteHeerhaufenüber denOzean schicken,um denVereinigtenStaaten einemilitärischeNiederlagezubereiten,von dersie sicherst nacheinem Menschenaltererholenkönnten. DerReichthumderneuen Welt,die rück- sichtloseKühnheitdesamerikanischenKaufmannes,derkeinBedenkenkennt, durchkeinenbureaukratischenZwang gehemmt wird,dieeuropäischerMaß- stäbe spottende SteigerungderMassengüterproduktion:dasAllesmußte unmuthigenGroll wecken. Wird die in derjungenDemokratieerwachsene Techniknächstensschonüberfeudalen Verfall triumphiren?"Solldie alte EuropaeineFiliale dertransatlantischenHandelsgesellschaftwerden, ein Riesenmuseumvielleicht,einAusflugsortmitgutenHotels, vorgeschichtlichen DichternundEdelleutenund allerlei Sehenswürdigkeitenaus alten, verschollenenKindertagenderMenschheit?OderwirddasBewußtseinge- meinsamer GefahrdieGroßmächtezuletzterNothwehrvereinen? ..Soun- gefährwar dieStimmung. Da kamplötzlichdieNachricht, FräuleinAlice Rooseveltwerdedieneue SegelyachtdesKaiserstaufen.EinartigerEin- fall, dachteman; dieYacht »Metcor«genügtderSportneigungdesMon- archen nicht mehr,drüben werdensolcheRennboote amBesten gebautund dieTochterdesPräsidentenwirdihr Pathensprüchleinebenso gut hersagen wieeinePrinzessinoder dieso hoherEhre gewürdigteFraueinesProvinzial- mandarinen. Dannwurdegemeldet,die»Hohenzollern«,dasKaiserschisf, werdehinüberfahrenundbei derTauffeierlichkeitdenSalut feuern.Das fah schoneher nacheinerpolitischenAktionaus. DieDiplomatenlächelten ungläubigundsagten:Ce sont- desballinismes. Doch ihrZweifelmußte verstummen,alsofsizicllmitgetheilt wurde, Prinz HeinrichwerdeimAuf- tragdesKaisersdieHauptstädtederVereinigtenStaaten besuchenundihn werdederStaatssekretärdesReichsmarineamtes begleiten. Vielleicht... Soweitsindwirjetzt.Keinervermaggenau zusagen,welchenErfolg diedeutschePolitikdennvon dieser-Missionhoffenkönne.HerrTirpitzwurde gefragt.»Wir erwarten«,spracher,»eineBesserungderBeziehungenzwischen zweigroßenVölkern,dienirgends aufder weitenWeltverschiedeneInter- essenhaben.« DiesesLiedhattevorihm schonderKanzlerangestimmt;

durch-dieWiederholung istesnicht wirksamer geworden.Die«besserenBe- ziehungen«kennenwirnachgerade;unserelBeziehungenwerdenimmerbesser, sindwährendderletztenJahre schon so oft bessergeworden, daßauch dieses BesserederFeinddesGuten zu werdenbeginnt.Und die MärvonderHar-

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moniederInteressen,andieselbstinDeutschlandnur deralteHerrvon Kardorffinseinen schwächstenStunden noch glaubt,wirdin derHeimath Carehs höchstensHeiterkeiterregen. Daweiß jeder Exporthändler,daß sein Interessedem desdeutschenKonkurrenten nicht durch schöneRedens- arten zu vereinenist,denktjederanGeldmehralsanguteWorte. Bei unsistsnichtanders. Keinnüchternrechnender Mensch glaubt,dieFreude über denPrinzenbesuch,derihnenalsSymptom ihrer Weltmachtstellung wichtigist,werdedie Amerikaner auchnur zurgeringstenTariskonzession, zumVerzicht aufdenwinzigstenGewinn bewegen.Siewerden sichdie Sachegernein paar Millionen kosten lassenunddenLeuten,dieihnen so oftHabgiervorwarfen,malzeigen,waseinereicheRepublik leistenkann. Das thätensie auch fürdenTürkensultan. Nochlieberthun siesfreilich fürdie- Deutschen,die vielstärkersind,immereinBischen nachSüdamerikahinüber- schieltenundnun genöthigtsein werden,vordemehrwürdigenGespenstder Monroedoktrin höflichdasHauptzuneigen. NachdemSiegüberSpanier undTagalen darfdasneue Jmperium sichsolchenTriumph gönnen; nach- herkehrtAlleswieder zur altenOrdnung.Wassollte sichändern? Amerika kann und wird dieEuropäerauf ihren eigenenMärkten unterbieten undmög- lichstvieleWeltmonopolezuerraffensuchen.DerabenteuerlicheGedankean einpolitischesBündnißistbisher erst schüchternangedeutet worden;inChina«

hießes, könntenDeutscheundAmerikaner zusammengehen. Schon jetzt kannmansichindemGewirrostasiatischerVerträgekaumnochzurechtfindenz wosovielPapier liegt, ist auch füreinneuesAktenstücknochPlatz. Auchin Ostasienaberwerden, trotzTirpitz, nachwievorderVerbrüderungdie KolonialkaufleutebeiderReichenur denWunsch haben,einander diefette Kundschaft abzujagen.UnddieKonjunktur istdenYankeesgünstig.Sie haben sichwährenddesKreuzzugessehr ruhig verhalten, stetszurMäßigung gemahntundihre Truppen früh zurückgezogen.Jetztwerden siesichbe- mühen,denPreis ihrer ProdukteunddieFrachtspesen sozuverbilligen, daßdieEuropäerdagegennichtaufkommenkönnen. DerKampfgehtweiter.

UnddiegroßenJndustriekapitänevonNew-YorkundPittsburgwürden DeminsGesicht lachen,derihnen sagte,dieArtigkeit hoherund höchster Herrenkönne dieEntwickelungeinerWeltwirthschaftaufhalten.

Thut nichts.Keinerweiß,was eigentlicherwartet wird,aber die Presse hat sichderSacheliebevollangenommen. FastalleBerleger größerer Zeitungen haben Berichterstatter hinübergeschickt eswäreinteressant,zu erfahren,ob denBotschafterndieserGroßmächtewieder Freibilletsoder

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Meteora. 305 wenigstensFahrpreisermäßigungenbewilligtsind unddenDepefchenetat beträchtlicherhöht. In derGeburtstunde dieses EntschlussesfieldieEnt- scheidung.WenneinZeitungbesitzerein paartausendMarkausgiebt,will erfür seinGeld Etwashaben. Jetzt mußdieReisedesPrinzenHeinrich Epochemachen. WehedemArmen,derihreBedeutung nicht schonanBord desSchnelldampfersinsrechteLichtrückte! Der kämegutan. Dochwird KeinersichderGefahr aussetzen,ooneifrigerenKollegenüberboten zu werden.

FrüherhättendieMeinungpflanzersichmitdenoffiziösenDepeschenbegnügt Undhöchstensnochdrüben einenbehendenLandsmann gemiethet,dessenAuf- gabe gewesenwäre,dasAllerwichtigsteaus denamerikanischenBlättern kurzherüberzukabeln;diepolitischenUrtheilewären imHauseangefertigt worden undoft gewißrecht freimiithig ausgefallen. Lang ists her.Demzu- tagemüssenRedakteure undHeimarbeiterihrUrtheilderSpefensummean- Pasfen,die derUnternehmerin dieSache gesteckthat. »Im Tageblatt ist dieAnsprachedesKonsulsdiebedeutsamstepolitischeKundgebungderletzten Monategenanntworden;warum habenwirnichtsdarüber?«DerRüffel wirkt:von morgen an»habenwir«Alles, lassenwiruns denRuhm nicht mehr rauben, aufdieunermeßlicheBedeutung jedes prinzlichenHändedruckes

»vor allenanderenBlättern« hingewiesenzuhaben.WerdiesesTreiben sieht,lernterkennen,wietief unsereliberale PresseimKampfumAbou- nentenundJnserenten allgemachgesunkenist. DerBerichterstatter freut sich dekschönen,reichlichbezahlten Reiseundmöchtenicht,alseinwortkarger, skeptischerHerr, künftigzuHause hocken.DerdaheimgebliebeneRedak- teurweiß,daßerseine Stellung riskirt,wenn erdieWirkungdertheuren Telegrammedurch kühleGlossen schmälert.Und derVerleger späht ängftlichumherundbangt jedenMorgenvordergrausen Möglichkeit, derNachbarkönne,,mehr bringen«,durch hellereTöne die Kunden locken undfangen.Ei voiläjustement comme onäcritl’histoire. Der Lärm der konkurrirendcn Marktschreier hat begonnen. Schon liestman aufder ersteuSeite großer ZeitungendenalbernstenDienstbotenklatsch. »Der StaatssekretärtrugvormittagsdieJackedesköniglichenYachtklubs,wäh- rendderPrinz einfacheCivilkleidung angelegt hatte.« »Auchdasgewin- nendeLächelnfeinesVatershatderPrinz-Admiral geerbt. Dieses freund- licheLächelnwirdihmin AmerikadieHerzenimSturm erobern.« Arme Schächer,die im Stande find,umsliebeBrotsolchesZeug niederzuschreiben, follenüber dieStimmungeinesfremdenVolkesurtheilen.Daskannhübsch werden. »SchonumwehtunsderAthemderWeltgefchichte.«

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Erhatuns imLanderletztenJahre recht oftumweht. Nutzen hat dieses Wehen nichtgebrachtundwirwollen froh sein,wenns diesmal ohne Schaden vorübergeht. GegendieReife ist ja nichts einzuwenden. Prinz Heinrichsolleinliebenswürdiger,frischerundbescheidenerHerrseinund wird den Amerikanern gefallen. Schade, daßunsere Prinzen nicht auchin derHeimathmitProfefsoren,Kaufleuten, JournalistenaneinemTischsitzen, Fabriken besuchenunddenGewerbebetriebaus eigenerAnschauungkennen lernen. Amerikaist schoneine Weile entdeckt undwissenswerthNeueswird dieReporterhordevonihrer meteorologischenStation nichtzumeldenhaben.

Hoffentlichhältsiefichandie»anerkanntvorzüglicheKüchedesNorddeutschen Lloyd«undkommtinNew-York so übersättigtan,daßsie nicht gleichder Versuchungerliegt, für jedes Lachsbrötchen,nachdemBeispiel Schmocks undPietfchs,mit derFeder ergebenftenDankzuftammelnzdieHausirer- sitte, schmatzendvor demPublikumzuerzählen,was man gesternbei Bülows undähnlichenReftaurateurenderöffentlichenMeinungzuesen undzu trinkenbekamshatsichvon Parvenupolis ausnochnichtüber den Erdkreis verbreitet. Wenn dieZeilenbotschafter dafür sorgten, daßder Deutsche nicht mehr jedenAmerikaner füreinen kalten,unkultivirten Gesellen hält,dervon frühbisspät, wonnig grinsend, seineDollarstücte zähltundnachneuen Profiten schnüffelt,dann thaten sieeingutesWerk.

MithoherundhöchsterPolitikabersollten sieuns verschonen.DieKränze desStaatsmannes sind sowenigwiedie desDichtersimSpaziren- gehenzuerreichen.DerAmerikaner,dermitSiebenmeilenstiefelnvor-·

wärtsschreitet, ift sehr stolz,garnicht pathetischundleichtzurLachluftge- stimmt. Erhatdiebestenmodernen BilderausEuropa geholtundkann sich,ohne daßersim Geldbeutelspürt,injedemJahrdasVergnügenleisten, einenKönigssohnzusichzu laden. Dann wirds immer genau sozu- gehenwiebei demEmpfangdesPrinzenHeinrichunddiePolitikwird von denselbenwirthschaftlichenWünschenundNothwendigkeitendeterminirt bleiben,dieihr vorherdieRichtung wiesen.Wirwollenunsnicht lächer- lich"machen, auchin derNachbarschaft nichtdengefährlichenGlauben aufkommen lassen,denunftetenMichellocke zuneuen Ufernwiederein- maleinneuer Kahn, sondernlautunddeutlichsagen, daßdiePrinzen- reife keine Staatsaktion ist,unddannandrängendeArbeitgehen.Des Kaisers »Mcteor«wirdgewißdieschnellsteRennyachtderWelt.Dasdeutsche Volk aber magsich,wenn hübenunddrübender Lärmlosgeht, erinnern, daßschonältere Weltenwanderer vonLustspiegelungengenarrtwordensind.

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Eine deutscheBeatrice Webbp

Vor

mirliegteinvornehm ausgestattetesBuch.Weres,ohne aufdas

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Titelblatt zuachten, aufschlägt,könnteesfürdasWerk einesgelehrten ProfessorsderNationalökonomie halten.Ueberall tritteineerheblicheBe- lesenheitindersozialpolitischenund statistischenLiteratur entgegen.Mit fachmännischemGeschickwerden die totenZiffernscharfsinnigkombinirt und zu einer beredtenSprachegezwungen. Aber undDaskommtinPro- fessorenbüchernseltenervor—- derblendenden Handhabungdesgelehrten Apparates stehteineoftgeradezu hinreißendeRhetorikzurSeite, diean

CarlyleundRuskin erinnert. DieSchilderungderFrauenbewegung,die sichwährendderfranzösischenRevolution abspielte, isteinewahreMarseillaife inProsa. KeinZweifel: nichtnur gelehrter Verstand, auchderFeuergeist einerKünstlerseelehatandemWerkegeschafft.Jn jähem Flugewerden wirinüberwissenschaftlicheRegionenmitfortgerissen.Einekünftigebessere OrdnungderDingewirdvor uns entworfen, »inderdie Arbeit derFrau sie nicht schädigenundschänden,sondernzurfreien GenofsindesMannes erhebenwird,indersie ihre höchsteBestimmung erfüllen kann,wie nie zuvor, und einstarkes, frohesGeschlechtdafürzeugenwird,daß ihmdie Mutterniemals fehlte.»

DiesesBuchistdasBucheiner deutschenFrau. Sie hatmeines WissenseinregetmäßigesHochschulstudiumnicht absolvirt, sondern sichaus- eigener KraftzueinerLeistung emporgeschwungen,diewohlnochvorzehn JahrenkaumJemandeiner deutschenFrauzugetrauthabenwürde. Jch kannmiteinergewissenGenugthuung auf diesesWerk blicken. Nichtallein, weilichals Nationalökonom jede Bereicherungder volkswirthschaftlichen Literatur dankbar begrüße;ich darfinderLeistungderFrauLilyBraun auchdieBestätigungvonAnsichtenfinden,dieichin meinerzüricherAntritts- rede überdas FrauenstudiumderNationalökonomie ausgesprochenhabe.

Gerade dieNationalökonomie,sagte ich1898, würde den Frauen einwachsendes Interesse einflößenundsiewürdenvielleichthier noch mehralsaufanderen Gebieten derWissenschaftimStande fein,sichund derGesellschaftüber- hauptnützlicheDienstezuleisten.Seitdem ist außereinerbeträchtlichenZahl kleinerer Arbeiten das ernste,scharfsinnig:kritischeBuchMarianne Webers überFichtes Sozialismusundsein Verhältnißzur marxifchenDoktrin erschienen.UndheutekannicheinBuchvon556Seiten über»Die Frauen- f1’age,ihre geschichtlicheEntwickelungund ihrewirthschaftlicheSeite«vonLily Braun anzeigen,dasbeiHirzelinLeipzig erschienenist.

Man kannvon sozialwissenschaftlichenStudien einerFrau nicht gut sprechen,ohneandieberühmteEngländeriazudenken,derenArbeitenzu

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denwerthvollstenResultatenderneueren Forschung gezähltwerden. Also:

Jst FrauBraun einedeutscheMrs. Webb?

Jchbin mirwohl bewußt,daßichmit dieserFragedendenkbarhöchsten MaßstabanihrWerklege. Dochwieaus demfrüherGesagtenhervorgeht, hießeeswirklich,FrauBraunUnrechtthun,wollteman ihre Leistunganders alsdie einesFachgenossenbeurtheilen.

Heute ist FrauBraun nochkeineBeatrice Webb. Sie besitzt nicht deren absoluteUnbefangenheit,nichtderenKenntnißdeswirklichenLebens.

Sie steht innerhalb, nichtüber den Doktrinen ihrer Partei. JhrWerkist nachAkten,nicht aufGrundeigenerBeobachtungengeschrieben.Frau Braun ist enragirteFrauenrechtlerinundSozialdemokratin.Siestehtauf dem Boden desökonomischenMaterialismus. »Von welcherSeiteman auchdasweit- verzweigteProblem (der Frauenfrage)betrachte:die realenExistenzbedingungen desweiblichen GefchlechtesinnerhalbderGesellschaftbildenfürdie Ver- gangenheitwiefürdieGegenwartdenorientircnden Ariadnefaden, ohneden dasUrtheil fehl gehen muß.Nurindemman dieökonomischenThatfachen nachderihnen zukommendenBedeutungwerthet, erschließtsichderZusammen- hangderFrauenfragemitdersozialenFrage,deren integrirender Bestand- theil sieist.«Deshalb schildert FrauBraun auch zuerstdiewirthschaftiiche Seite. Ein zweiterBand solldiecivilrechtlicheund öffentlich-rechtliche StellungderFrau, diepsychologischeund ethischeSeite derFrauenfrage, alsoden»ideologischenUeberbau«, zum Gegenstand haben. Jchwill nicht sagen, daßdasBekenntnißzur ökonomischenGeschichtauffasfungein Fehler sei.Man kannauchvon diesem Standpunktaussehr werthvolle wissenschaftlicheWerkeproduziren. BedenklicheristderUmstand,daßFrau Braun alsSozialistinundVertreterin desökonomischenMaterialismus einer etwas engen, durchdieneuere Kritik wissenschaftlichüberwundenen Anschauung huldigt. Sie stehtder orthodoxenGruppe Bebel-Kautsky- Luxemburg-Parst näheralsderkritischenRichtung Bernsteins.DenBann desBebel-ZetkinfchenGedankenkreises hat sieinderFrauenfrage noch nicht zudurchbrechenvermocht. Nach ihrer UeberzeugunghatBebel »bewiesen«, daß erstdiewirthschaftlicheBefreiungderFrauimfozialistischenZukunft- staatedieEmanzipationder Frau vollenden könne. DieseJdee istdas Leitmotiv ihrer Komposition.Was geeigneterscheint, diese Auffassungzu stützen,wirdmit großer GewandtheitindenVordergrund gestellt;was dagegen spricht,entwederignorirtoder kurz abgethan. Selbst sozialdemo- kratischenGenossen,die inBezug aufdieFrauenfrageeineranderenAnsicht huldigen, fliegt leichtein»alterreaktionärerPhilister«andenKopf.

Esist geradezupeinlich,mitwelcherKritiklosigkeitdieVerfasserinbei derDarstellungderpraehistorischenVerhältnissedemebenso oberflächlichen

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wieunsauberenMachwerkvonFriedrichEngels (Der UrsprungderFamilie) folgt.Von denHypothesenMorgansundBachosenswirdso gesprochen, alsobsiezudenunbestrittensten SätzenderWissenschaft zählten. Jch weißnicht,obFrauBraun dieentgegenstehendenneueren Forschungenvon Westermark,BrentanoundGrossewirklichnichtkennt.Jch weiß auch nicht, ob sieesnicht,wenn siedieseArbeiten studirt hätte, trotzdemmitEngels hielte. AufalleFällewürden wiraberdasRecht haben,zuerfahren, warum diese übrigensschonvon Darwin sür höchstunwahrscheinlicher- klärten Lehren für sie Dogmengebliebensind.

fLeiderbeeinträchtigtdiedogmatifcheBefangenheitderVerfasserinauch nochanvielen anderen Stellen ihre Ausführungen.Da solldiealte Familiensorm einfachinFolgederwitthschaftlichenEntwickelungunaus- bleiblichihrer Zersetzungentgegengehen.Die wirthschastlicheEntwickelung selbst habedieFrauenbewegunghervorgerufen. Diese untergrabeabermit ihrer TendenzderwirthschaftlichenBefreiungder Frau dieheutigeFamilien- sorm auchindenbürgerlichenSchichten.Beim Proletariatseischonlängst von einemFamilienlebenunddenhervorgebrachtenAnschauungenkeineRede mehr. Es sei nutzlos, diesen GangderDinge aushaltenzuwollen. Es könnesichnur darum handeln,neuen Formen fürdasGemeinschastleben zwischenMann, Weib undKindnachzuspürenundsie aufbauenzuhelfen.

SuchenwirnachBeweisen fürsoweitgehendeBehauptungen,so sind sieerstaunlich dürftigausgefallenJn den oberenGefellschastklassenlüberlasse man MädchenundKnaben mitVorliebeBonnenundGouvernanten. Man fende sie inInstituteundKadettenanstalten,wojeder mütterlicheEinfluß wegfalle.DasLebenderMänner, und zwar in denfortgeschrittenstenLändern

am Meisten, spiele sichzwischenBureau und Klub abunddieFrauen machtenesihnen schleunigstnach.

Niemand wirdbestreiten, daßdasFamilienleben,namentlichinden oberenundunteren Schichtenderstädtisch-industriellenGesellschaft, bedroh- lichenEinflüssenausgesetztist. AberhateseinZeitalter gegeben,wosolche Gefahrennicht bestanden hätten,wo nichtineinzelnenGesellschaftgruppeu die Familienbande inBesorgnisseerregender Weise gelockertgewesenwären?

Man weist aufdieFrauenarbeit in denFabriken,dieunzweifelhaftein Novumdarstelle. Nichtskannmirferner liegen,alsdiese Erscheinungen zuunterschätzen.Aberman muß sichdoch auchklarmachen, daß1899«im DeutschenReich884239 Fabrikarbeiterinnen gezähltwurden. Von ihnen waren 229334 verheirathet.Das heißtnicht mehrundnicht wenigerals:

daßvon denübervierzehn Jahrealtenweiblichen PersonenimDeutschen Reicheetwa5Prozent Fabrikarbeiterinnenwaren unddaßvondergesammteu verheirathetenweiblichenBevölkerung3,5ProzentFabrikarbeitleisteten. Diese

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Zahlen sind sogar nochzuhoch,weilsienur nachdenAltersaufbau-und CivilstandsverhältnissenderdeutschenBevölkerungnichtvon 1899, sondern von1890 berechnetwerden konnten. Fernersindwirnichtberechtigt,überall dort,woeine Frau in dieFabrik geht, schoneinevollkommene Auflösung desFamilienlebensanzunehmen. GehörenzudenFabrikarbeiterinnen doch auch solche,diekeine odererwachseneKinder besitzenoderderenAngehörige fürdieHauswirthschaftsorgen. IchwilldaraufaberkeinenWerthlegen, weilesaußerderFabrikarbeitnoch ErwerbsverhältnissederFrauengiebt, die eineähnlichungünstigeEinwirkung hervorruerkönnen.

SogroßdasGewichtseinmag, dasderFrauenarbeitinderJud-u- strie beigelegtwird:wirdürfen nicht vergessen,daßinfrüherenZeitenEin- richtungen vorhandenwaren, dienicht geringere Gefahren einschlossen. Auf demLandebestandendieFrohnden,dieZwangsgesindediensteundEhekonsense, inden Städten wurdefür dieGesellendasMeisterwerden durchdiezünf- tige Politikimmer weiterhinausgeschoben.Der Gesellekonntemeisterst heirathen, nachdemerMeister gewordenwar.

Frau Brauniwird vielleichtzugeben, daß heutedie alteFamiliensorm noch überwiege.Aberdieunaufhaltsam vordringendegroßindustrielleEnt- wickelungsetzedie altenFormendoch aufdenAussterbeetat. Gewiß:das GewerbebeschäftigteinenimmerwachsendenBruchtheilunseres Volkesund inderIndustrie istesderFabrikbetrieb,demdieZukunftzugehörenscheint.

Esist keineswegsausgeschlossen,daßmitderAusdehnungderGroßindustrie auch die Arbeit verheiratheterFraueninden Fabrikennoch zunimmt.Aber dieser GestaltungderDingewirkenauch wichtigeTendenzenentgegen.Die industrielle Entwickelungschmälertnichtnur denMittelstandundseinim AllgemeinengesundesFamilienleben:siebringt auchineinzelnenIndustrie- zweigen —-·namentlichindenen,dievorwiegend gelernte männlicheArbeit erfordern einerelativ gutbezahlteArbeiterschichtempor. Die diesem fortgeschrittenstenTheilder ArbeiterklasseAngehörigenhuldigenaber in Bezug aufdasFamilienleben,wieBernstein schon sehr richtigbemerkthat, nicht Decadence-Jdeen, sonderngutkleinbürgerlich:altmodischenVorstellungen.

WennEtwas aus denBerichtendesReichsamtesdesInnernüber die Be- schäftigungverheiratheterFrauenin denFabrikenmitSicherheit hervorgeht, so istesdieThatsache, daßdieverheirathete Frau inderRegelnur der Noth gehorchenddie Fabrikarbeitaufsucht.Nur,wenn derVerdienst schlechter- dings nicht entbehrtwerden kann,entschließtman sichzudiesemSchritt. Jn denKreisenderbessergelohntenArbeiteristdieFabrikbeschäftigungvielweniger üblich,wirdsogaralsanstößigbetrachtet. »Man findetebenso seltenFrauen dieserArbeiter in derFabrikbeschäftigt,wieman findet, daß sie Mädchen aus derFabrikheirathen.Diesebesser bezahltenArbeiter sehen vielmehr

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Diese relative Besserung darf aber doch nicht darüber hinwegtäuschen,daß die Geldverhältnisse erheblich schwieriger sind als in der selben Zeit früherer Jahre und daß die Lage erst

4. Die Hauptsache: Auch Großbritanien hat sich das Recht vorbehalten, beliebig hohe Zuckerzölle auflegen zu dürfen, und es hat sich das Recht gewahrt, das durch die Konvention

»Die ausschlaggebeude Bedeutung, die der Körnerban noch immer fiir den landwirthschaftlichen Betrieb besitzt, bringt es mit sich, daß die Forderung einer für die

Direktoren von ihrer Geschäftsführung erreichenwollen, auch wirklicherreicht wird- Gerade in einem Jahr, wie das letzte eins war, kommt es nicht in erster Reihe darauf an, einen

und als ob er jeden Griff genösse, wie etwas Neues, Angenehmes, zieht er sich- höher, als man gewöhnlich zu klettern pflegt. Er beachtet nicht die Aufregung des ohnehin

305 die einzige Quelle der Erkenntnißhingewiesen; da er aber noch nicht weiß, daß alle Logik in den Gewohnheiten der Sprache steckt und daß selbst der fprachliche Ausdruck für

Der Gegensatzzwischen einer wesentlich repräsentativen und einer mehr sachlich-sozialenRichtung wird sich ohne Zweifel in den nächstenJahren noch verschärfenz wenn er auch für

Der eingeschränktenForderung aber, daß rasch anwachfende städtische Gemein- wesen bei Zeiten Grund und Boden erwerben, um ihn als Bauland zu ver- werthen, kann auch