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Die Zukunft, 15. Februar, Bd. 38.

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Berlin, den 15.Februar 1902.

sd sts F s

MrS. Eddy.

Mnerhörh

geradezu unerhörthattederaufgeregtekleineHerrdieSache

. genanntundmich sprachlosdannaus spöttischenAugen angestarrt, alsichgestehenmußte,dasEreigniß,dasihnzumSprudeln brachte, seimir ganz unbekannt. »Eineneue SchmachdesJahrhunderts.Hier,in Berlin!

Also,wennSiewirklichnochnichtsdavonwissen...Eine alteMamsell hat inAmerikadieBehauptung aufgestellt, sie seivonschwererKrankheit,von der keinArztsiebefreien konnte, durchGebetegeheiltworden. Jm Ernst!

Mrs. Eddy heißtdie liebe Dame. DerFall machte Aufsehen,reizte wahr- scheinlichdenGeschäftssinneinesManagers,—kurz:diewürdigeMadame bekameinengroßenAnhangundinihreSprechstunde drängtensichdieLeute eifkigerals in dieWartezimmerderberühmtestenAutoritäten. Dabeiver- schriebsienichts, gab nichtdaskleinsteRezept;nur betensolltendieKranken, beten,bissie schwarzodergesundwurden. Riesensälewurden gemicthetund zUbestimmtenStunden Massenbetereienveranstaltet. Natürlichdie Dum- menwerdenja nichtallegabesauchNarren undnamentlichNärrinnen,die Steinund Beinschworen,dasBetenhabesiegesundgemacht.Als die Gründe-

Finder Sektenicht mehrim Stande war,dieraschwachsendeKundschaftper- lönlichzubedienen,gab sieeinBuchheraus, daßdenSchwindelineinSystem bWchteDawargenau vorgeschrieben,wann undwieoftman gegenjede Krankheitbetenmüsse;auchderInhaltderGebetewar angegeben.Und derSchmökerkosteteschweresGeld, gingaber ab wie warmeSemmel. Echt amerikanisch,nicht wahr?Hätteichauch gesagt.DasBestekommt abererst.-

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DerHumbugwurde,unter derFirmachristian Science, nachDeutsch- landimportirtundfandAnklangNicht aufdenDörfern, nichtbeimPöbel, nein: hier,inBerlin,unter denGebildeten. EinealteJungfer, Ida Schön, richteteeinenKurfus für ,Gesundbeten«ein undhatte riesigenZu- lauf. Sogar MitgliederderHofgesellschaftsollen sichan demUnfugbe- theiligt haben. Neulichist herausgekommen, daßdieVersammlungeneine Weilein derAulaeinesstädtischenRealgymnasiums tagten.Dahätten SieaberunserenLangerhans hören sollen!Derhats ihnen ordentlich gegeben. Ueberhauptwaren die Stadtverordneten tadellos. Esist auchzu toll.Wirsitzenin einemWagenmitelektrischerOberleitung;wenn wiraus demFenster gucken,sehenwirTelephondrähte,Automobile",Hochbahngleise.

Wirdurften stolzsein auf unsereErrungenschaften, aufdieglänzendenSiege derNaturwissenschaftund derTechnik.Undnun dieseBlamage! Jnder StadtVirchows,mittenin eineraufgeklärten,vonmodernem Geist erfüllten Bevölkerung,die alleVersuchederDunkelmänner stets abgelehnt hat..

,,Kaiser Wilhelm-Gedächtnißkirche!Augusta Viktoria-Platz!« Wirstampften durchdenschmelzendenSchnee.Aber derGrolldes Kleinenwar durchdiekühleAbendluft nichtzubeschwichtigen.»LesenSie dennkeineZeitungen?DieSachewirddochseitvierzehnTageninderPresse besprochen.DerKaiser ist empörtundhatbefohlen, daßSpiritisten,Okkul- tisten undAnhängerderchristjan science nicht mehrinsSchloß dürfen.«

»Der KaiseristHerrseinesHauses.UndPhiliundGenossenwerden wissen,wassiezuthun haben. Vielleichtkommendiespiritistischen,theoso- phischen,psychopathischenSpielereienausderMode, vielleichtwerdendie Offenbarungen berühmterSpiritsnur nochingeheimenKonventikeln ver- kündet. Warum aberstaunenSiedarüber,daß,sogar MitgliederderHof- gesellschaft«dieJhnen verhaßteSache mitgemachthaben?Daswar dochzu erwarten. DieseLeutesindnicht übermäßiggebildet,seheninjedemNatur- forscherdenleibhaftigenAntichristenundhaben sichseitderKindheitin den GlaubenanallerleiSpuk gewöhnt. Ohne solchenGlauben könntensie nichtleben· AllerPositivismus ist ihnen einGräuel, mußihnenein Gräuel fein;denndieHerrschaftderreinen, eiskalten,voraussetzunglosenVernunft würde dasKönigthumvonGottesGnadengefährden,dieFundamentedes alten Gemäuerslockern,andemsiesichmitEpheubehendigkeitparasitischauf- ranken.Jn dieserGeistesverfassungsindsiediebestenKundendesabenteucrn- denHeilkünstlers,dersieaus deriippigen Trägheit ihres Alltagslebens reißtundsie nachdemweisenDoktorrath Mephistos behandelt. Jetztwird

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wiederFrönnnigkeitverlangtzalsosindsiesromm, pilgern sonntagsmit dem GesangbuchindieKircheund halten Abendandachten,ehesieaufdenBall oder zurGalafütterunggehen.DaisteingeistlicherArzt ihnennochlieber als einer,dersienurObst essenoder mitHackeundSpatenarbeitenläßt.Das GebetfordertkeinebesondereDiät,keinenVerzichtaufdieguten,schmack- haften Dingeder Zeitlichkeit. Urchristenkönnensienicht werden,weilsie vonStandes wegenkriegerisch,stolzseinundnach weltlicher Ehre streben müssen.StellenSiesicheinenechtenGaliläer alsFlügeladjutanten,Cerc- monienmeister,Oberhofmarschallvor! SoentstehteinchristlicherSport, derhinterdenDogmenpfostenerbanlicheVergnügungensucht,undein im BuchstabensinnpraktischesChristenthu1n,dasfürseinefrommeAnstrengung auchEtwas habenwill.Ganzgesund sind dieseGourmets, dieseKorset- danienselten.Bei denAerzten haben siedauernde Heilung nicht gesunden, bei einemArzt auchnielange ausgehalten.Nunversuchensiesmal mit dem Beten.Undist erstEinergeheilt,dannfolgt ihmdie ganzeGesellschaft.«

»Ist erst Einer geheilt!WerSiehört,müßtewirklichglauben,man könneimzwanzigstenJahrhundert durchBetengesundwerden!«

»Das brauchternichtvon mirzulernen.DasisteinealteGeschichte;

Undeine,dieewigneu bleibt. HabenSieniemals vonLourdes gehört?

Nievondeannderkurcn gelesen,die da diefrommeBrunfteiner ingleicher Sorgevereinten Menge selbstanSchwerkranken sohäufiggewirkt hat?«

»Na,Lourdesist dochebenSchwindel!«

»UeberlegenSiegütigsteinmal,wie VielesvonDem,wassie für unerschütterlichwahrhalten,HunderttausendenJhreribiitmenschenSchwin-

delscheint.DerMann,der da drübenSchnee schippt,würdeindemGe- bäudeJhrerJdeologie nichteinenStein aufdem anderenlassen. AuchVer- Uadctte Soubirous, diebehauptete, ihr seiin derGrottevonMassabielle dicHeiligeJungfrauerschienen,brauchtkeineSchwindlerin gewesenzusein.

Sieträumtevielleicht,wardunbewußtvon einerHalluzinationgetäuscht.

Undwäre der GlaubeanLourdesselbstauseinerbewußtenLügeerwachsen:er hakhienwiesooftschon,dasWunder gezeugt. Daranistnichtzurütteln. Ber- nadettemögenSieeineBetrügerinscheltenzandieWunderkuren vonLourdes müssEUSieglaubenDiesindvonCharcot undBernheim,denHäupternder einander sonstimmerbefehdendenSchulenderSalpåtriiereundvonNaney, anerkanntworden.DieThatsachen,sagtenBeide,sindwah,r;falschistnurdie PfäffifcheAuslegnngJneinemschönenAufsatzüberdieKraftdesGlaubens

lWCharcotgezeigt,daßdiemodernenWallfahrtortenurdiePhänomenewieder- 19zk

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holen,dieunsausdenTempelnderSerapisundAsklepios überliefertfind.

DergroßeForscher sah dieses Schauspiel ohne Zorn,wardnicht müde,es physiologischundpsychologischzuerklären,undnahm,wasdaranbrauchbar war,inseineTherapeutik auf.Wennerdiehypnogenen,diehemmendenund reizendenEinwirkungen aufdasNervensystem,aufdiemotorischenHirn- eentren, dieGesetzederthnoseundSuggestion nicht so gründlichanden Ergebnissen religiöserEkstafestudirt hätte,wären dieberühmtenmiracles

delasalpåtriåreihm nichtgelungen,wäre die ganzesuggestiveHeilmethode noch heute vielleichtnichtwissenschaftlichausgebildet.«

»Sie sind also fürLourdesP Schön. Im nächstenSommer werde ichmeine krankenNerven hinschleppenundJhnen dann Bescheidsagen.«

»Sankt MoritzwirdfürSiebessersein«Sieglauben ja nicht, gehen mit demfestenVorsatz hin,,andenSchwindel nicht hereinzufallen«.Kann einAtheistausderKirche Erbauung, Trost, Muthzum Weiterleben heim- nehmen? VersuchenSiesmalmiteinemArzt,demSievonvorn herein mißtrauenzselbstwenn sie geduldigalleModemittel hinunterschlucken,die erihnen verschreibt:helfenwirdsnicht.Die Autoritätenkönnenauch nicht hexen,könnenmanchmal nicht mehralseinDurchschnittsdvktorund be- gnügen sichoftgenugdamit, DiagnoseundTherapiedesHerrnKollegenzu bestätigen;dennoch leisten sie fürdasgrößereHonorarmeistauchGrößeres:

fürsiewirkt eben derstarkeGlaube,derihnen entgegengebrachtwird.Nach LourdessollDernur gehen,derfrommeInbrunstund dieFähigkeitzu ekstatischerHingabemitaufdieReisenimmt. Dannkannergenesen.Sein sehnsiichtigerUeberschwangwirddurchdieMassensuggestiongesteigert,die erringsum sieht,hört,fühlt,undirgendeinReiz,eineHemmunglindertden Schmerz, hindertseinenWeg durchdieLeitungenderNervenbahnen. Auch hier thutsdasWasser nicht.Narkotikasind nichtnur in derApothekezu kaufen;undjedeleidenschaftlicheAufwallung,jede dominirendeVorstellung kannAnästhesiebewirken. Confer vitam Sanctorun1, die wederCocain nochMethylchloridkanntenunddochihr Gebrestenklaglos ertrugen.«

,,ErlaubenSte! EinHeiligerbinichzwarnicht, auchzumMärtyrer nicht geboren,abereinguter Christ; natürlichvonderliberalen Richtung.

AnGlaubenfehltesmirnicht;nurunterscheideichscharfundlassemirkeinen Hokuspokusvormachen. Dafür sindaufgeklärteProtestantennichtzu haben.

Wahre FrömmigkeithatmitkindischemWunderglaubennichtszuthun.Wo stehtdenngeschrieben,daßman durchBetenoderGlaubengesundwerden kann? Am Ende wollenSiemichnochzum triererHeiligenRockbekehren?«

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»Gewißnicht.Aberich könnteJhneneineMengeHeiligerRöckeauf- zählen,andieSiefelsenfestglaubenunddienichtbesserals der triererbe- glaubigt sind.UndHistJhnenwirklichdieErinnerunganalldieStellen ent- schwunden,wodieheilendeMachtdesGebetes demChristengepriesenwird?

AlsLutherdieFragedesbreslauer PfarrherrnJohannHcß,obeinevan- gelischerChristvorderPest fliehen dürfe,beantwortete, schrieber: ,Gott willselbstWärter, selbstArzt sein«Lieber,wassindalleAerzte,Apotheken, Wärter gegen Gott? Was hilfts,wenn alleAerzteda wärenundalle Welt Deinermüßtewarten,Gott aber wärenichtda?««Und alsFriedrich derWeisekranklag, sagte MeisterMartinus in derTrostschrift,dieer ihm auf Spalatins Bitte schickte: ,AusEuerKurfürstlichenGnaden Leib undFleisch höre ichChristiStimme mirzurufen: Siehe, ichbinhier krank! DennsolcheUebel,als dasind KrankheitenundDergleichen,leiden nichtwirChristen, sondern Christus selbst, unserHerrundHeilandfBei diesenSätzendenken wirdochwohl eheranTolstoisalsanVirchowsme-

dizinischeAuffassung.UndLuther ist nocheinschlechtesBeispiel. Wodurch wurden denn dieSiechcn gesund,diesichandenThaumaturgenvonNa- zareth drängten?Eine wissenschaftlichausgebildeteHeilkundegabesim dunklenOrientdamals nicht, obwohl fast schonfiinsJahrhunderte seitdem WirkendesHippokratesverstrichenwaren· Jesus operirtedieBlindenund Lahmennicht, verschriebdenAussätzigenund denEpilcptikernwederTränkc, PillenundPulver nochirgendeineäußerlicheBehandlungErheilte durch Berührung,durchAuflegenderHand,durchEinspeichelungdeserkrankten Gliedes.Erinnern SiesichdesBlinden ausdemMarkusevangeliu1n,der TochterdesJairus,desblutflüssigenWeibes,vondemLukaserzählt.Sie Alle machtederGlaube gesund;und Renanselbst,derdiesenTheil derThätigkeit desNazarenersmit demUnbehagcndesgebildetenEuropäcrs sieht, muß dennochzugeben, besseralsalleLatwergenwirkeaufdenKrankenoftdie NäheeinerstarkenPersönlichkeitNein: vomStandpunktedeszünftigen, hartumsDasein kämpfendenArztes,desHeilmittelchemikcrsundApothekers dürfenSiediegeistlicheTherapie ablehnen,aber alsChrist..

»Muß ich ihr zujubeln,weilIhnen beliebt,Mrs. EddymitJesu Namenzu decken.NahmChristus für seineKurenGeld? LießLuther sich für Betstunden bezahlen?Schricben sieBücher,die derLeidende,umEinlaß zUfinden,anderKassezuhohem Preis laufen mußte?«

»DieserVorwurf träfemit derselbenWuchtdenPrediger,demfür eineTaufe,eine Grabrede Geld insHausgeschicktwird. Kapitalistische

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Weltordnung, geehrterHerrzdaistsnun einmalnichtanders. Jhr Langer- hanswirdesnichtändern;undinsLagerderMarxistcntreibrSie die-Herzens- neigung wohl nicht, so lange ihreGesellschastnoch acht ProzentDividende giebt.JhreMrs.EddymagsammtderberlinerFiliale sein,wiesiewill.

Dasinteressiertmichgarnicht. JchwollteIhnennur beweisen,so gutes einLaieausdemGedächtnißvermag, daßessich hierumDinge handelt, die immerwaren, immerseinwerdenundderenAnblickmichnie zuWuch- ausbrüchenreizenkönnte. Diemeisten Menschenbetennur in derNoth.

Sollich sie verachten,weil desLeibes Noth siezuMassengebetentreibt, weilsievon frommen Ekstasen mehr erhoffenalsvonTheerpräparaten, Quecksilberundanderen spezifischenMitteln? Ich theile ihrenGlauben nicht leidernicht undseheinihnen doch konsequentereChristenals in denStaatskirchengängern,die denErlöser aufderLippetragen,sich aber,sobaldihrDarin etwas mittheilsam wird, zweiDoktoren undeinen GeheimrathinsHaustelephoniren. DieseSippe ist schulddaran, daßNie- mandmehrglaubt,dieChristensittlischkeitkönneauchdasHandelnbestim- men. DergiebtHabeundGut weg und will unter-Armen ein Armeesein?

Jns Narrenhaus! DerweigertdenDienst,derihnzwingenkönnte,Men- scheuzu töten?Ins Gefängniß!UndjenerDritte bautinSchmerzund SchwächeanseinenGott, ruftbetendihnausdemGewölk,statt sichschnell einbewährtesRezeptzuverschaffen?DeraufgeklärteProtestantkann da nurzweifeln,obereinenBetrogenenodereinenBetrügervorsichhat.Wa- rum ereisern Siesich denn,Sie guter ChristundOberlieutenantder Reserve?

AuchvorErfindungderCellularpathologiehabenMenschengelebt,rechtglück- lichsogar,vordemBaeilluswarmalderArcheusmodernunddieGemeindeder ParaeelsistenundMesmeristenwarnichtkleinerundnichtvielunkliigeralsdie derLuesjägervonheute. HundertausendBewohnerderneuen ville-lumiiere habenin einemSchauspielhausedenMann bewundert, dermitinbriinstigen FlehensGewaltdiekrankeFrauvomLeidensbettlockt.WardieserPastor SangeinSchwindler, sein himmelan strebender Wunsch eincSchmachdes Jahrhunderts?DieFrau starb·Siewiire auchohnedenVersucheinerSag- gestivkur gestorben. Nocheinmal aberhattedasGlücksie geküßt,als der geliebteMannleuchtendihr nahte.Und darumhalte ichMrs. Eddy..

»FüreineGlücksspenderinundAerzteundPfaffen für neidi.schcs, durchdieKonkurrenzgeärgertesVolk.Siesind bodenlosintolerant!«

»Sehr richtig. SchlaerSiewohl!«

Z

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DieKrisisdesDarwitiismiis.

Die Krisisdes Darwinismu5.

Wie

derMarxismusinderSozialwissenschaft,soistderDarwinismus

«

inderBiologievoneiner schwerenKrisis betroffen.Nuristvon ihr bisher noch wenigindasgroßePublikum gedrungen.Für dieMeisten istnämlichderDarwinismus gleichbedeutendmitderAbstammunglehre;für sie hatDarwin gelehrt, »daßderMenschvom Affenabstammt«,-undich glaube, nicht fehlzugehen,wenn ichbehaupte, daß diesepopuläreFormulirung

«

derDeszendenzlehretrotz allenrückschrittlichenBemühungenheuteunter den Laienmehr Anhängerzähltalsje vorher.

AberauchinwissenschaftlichenKreisen istdieEvolutiontheorievon der KrisisdesDarwinismus in keinerWeise berührt.Mit wenigen, recht vereinzeltenAusnahmen stehenvielmehrdieNaturkundigenaufdemStand- punkte,daß sichdiehöherorganisirten Lebewesennachundnachausprimi- tiverenUrsormen herausgebildethaben.AberJedermann,dernichtinvölliger Unkenntnißüber diehistorischeEntwickelungdieser Lehre gebliebenist, weiß auchgenau,daß sie nicht erstvonDarwin aufgestelltwurde unddahernur

fälschlichalsDarwinismus bezeichnetwird, daßsie vielmehr schon fünfzig Jahrevor Darwin von demgroßenZoologenLamarckinwissenschaftlicher Formbegründetworden ist.Das geistigeEigenthumDarwins istalsonicht dieEntwickelunglehre,sondernnur seineTheoriedernatürlichenZuchtwahl, dieer gleichzeitigmitWallaee ersonnenundzum erstenMale inseiner

»Entstehungder Arten«vorgetragen hat.LamarckhattedieEntstehungneuer Artenundneuer zweckmäßigerEinrichtungenbeidenOrganismenvon den erblich gewordenen Veränderungenabgeleitet,dieindenIndividuendurch Anpassungan geänderteLebensverhältnissesich herausbildenkönnen;Darwin aberhat diesenModus derTransmutation zwar ebenfallsanerkannt,erhat aber danebenauchdernatürlichenAusleseeinehervorragendeRollezugetheilt.

Indemdiebesser angepaßtenIndividuen am Leben bliebenund sich fort- Pflanzten,diewenigergeeignetendagegenvorihrer Fortpflanzung ausgemerzt wurden, sollendieheutelebendenArten mitihren bewundernswürdigenEin- richtungenaufreinmechanischemWege ohne Eingreifeneinerübernatürlichen Schöpfungskrasthervorgebrachtworden sein-

WährendaberdieAbstammunglehreimgeistigenLebenunserer Zeit immertiefere Wurzeln schlägt,istderanfänglicheEnthusiasmus fürden Darwinismusimengeren Sinne, alsosür dieSelektiontheorie, sichtlichim Schwinden.EsgiebtzwarberühmteForscherundGelehrte,dieauchheute nichthöherschwörenalsaufDarwins Naturauslese; so findenwirzum Beispielin denvorzweiJahrenerschienenen»Welträthseln«vonHaeckelnoch folgendenHymnus aus dieseLehre: ,,Darwin zeigte zuerst,wie dergewaltige

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270 DieZunme

Kampfums DaseinderunbewußtwirkendeRegulator ist,der dieWechsel- wirkungderVererbungundAnpassungbei derallmählichenTransformation derSpezies leitet;eristdergroße,züchtendeGott«,derohne Absichtneue

Formenebensodurch natürlicheAuslesebewirkt, wie derzüchtendeMensch

neueFormenmitAbsichtdurch künstlicheAuslese hervorbringt.Damit wurde das große philosophischeRäthsel gelöst:Wie könnenzweckmäßigeEin- richtungenreinmechanischentstehen, ohne zweckthätigeUrsachen?«

JnschroffemGegensatzzudieserApotheoseDarwins lassen sichaber seit einigen Jahrenimmer häufigereund immerkräftigereStimmen ver- nehmen,die die ganzeSelektiontheorie füreinengroßenJrrthumerklären.

SoschriebeinnamhafterdeutscherZoologeundbiologischerSchriftsteller1898:

»DerDarwinismusgehörtderGeschichtean wiedasandere Kuriosum unseresJahrhunderts, Hegels Philosophie;BeidesindVariationen über das Thema: ,Wieman eine ganze Generation anderNaseführt·,undnicht gerade geeignet,unser scheidendesJahrhundertindenAugen künftigerGe- schlechterbesonderszuheben«.Und-zweiJahre später schriebderselbeFor- scher,esseiendlich-anderZeit, daß sichdie ganzausgewachseneBiologie von ihrer»englischenKrankheit«erhole.

·

WenigerdespektirlichalsdieserAutorund alsein andererdeutscherZoo- loge,derDarwin alsden»KleinigkeitkrämervonDown«bezeichnet,äußertsich eindritter Fachmannüber Darwins Lehre: »Esbreitetsich allmählichdie ErkenntnißBahn, daßesmitdemDarwinismus eineargeTäuschungge- wesensei,undman sucht ihn möglichstanständigwiederloszuwerden,oder auch möglichstunanständig,indem»man thut,alshabeesihnniegegeben.«

Allediese Auslassungen,dieichleichtum manches kräftigeWörtlein aus denletztenJahren bereichernkönnte,richten sichaber,wohlgemerkt,

nur gegenDarwins ZuchtwahltheorieundnichtgegendieDeszendenzlehre, diebei Alledem außer Frage gebliebenist. WelcheWandlungenaberdie WerthschätzungdeseigentlichenDarwinismus geradeindenletztenJahren erfahren hat, siehtman vielleichtamBestenan derabruptenSchwenkung, dieEinzelneindieser Beziehung vollzogenhaben.

EsmagetwadreiJahre her sein, daßeinjunger Physiologe,dersich sowohl durch werthvolleForschungen aufeinem bestimmtenGebiet seiner Wissenschaftalsauch durcheineReihe glänzendgeschriebenerpopulär-wissen- schaftlicherEssayseinen ausgezeichnetenNamen gemachthat,diefolgende Theorieüber dieBedeutungderSpielebei denThierenentwickelthat,Die Spiele,denen sich manche Thierein derJugend hingeben,sindeineVor- bereitung für ernstere BeschäftigungendesspäterenLebens. Das Spielen desjungen Kätzchensmitdem KnäuelbedeutetnichtsAnderes alseine Ein- übungfürdasspätereErhaschenderBeutethiere. »Diese bewußteSelbst-

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DieKrisisdesDarwinismus. 271 täuschungbildet«,so schrieberwörtlich,»einen wesentlichenFaktorfürdie ErhaltungundEntwickelungderArten; denn dieThierewerden bei der natürlichenAuslese bevorzugtsein,dieinderJugend nichtnur anfangs bloßenBewegungspielen,sondern auch spätersichJllusionspielenamMeisten hingegebenhaben.«AusdiesenWortengeht alsoklarunddeutlich hervor, daßdamals derAutor invollemErnstangenommen hat, daßdieKatzen, die in derJugendaus irgendeinemGrunde versäumt hatten,mitrunden undrollenden Gegenständenzuspielen,wegen zugeringer Geschicklichkeitim MäufefangendemHungertode verfielenund denanderen dieFortpflanzung desKatzengeschlechtesüberlassenmußten.Der selbeAutor aber, dersich selbstindiesemkonkreten Fall alseinenüberzeugtenAnhängerderSelektion- lheorieeingeführthatte, sälltedreiJahre späterfolgendes vernichtendeUr- theil überdieseTheorie:»Jene Anpassung-undZuchtwahlphantasienwerden kommendenGeschlechterngenau so kindischunzureichenderscheinenwieuns diemosaischenoderempedokleischenSchöpfungmärchen.Siesindalswissen- schaftlichmehroderweniger werthlose Spekulationenerkannt und werden VondenführendenGeisternkaummehr so ernstgenommen, daßman sich Mühegäbe,siezu diskutiren.«

Jchbin nun sicherlichweitdavon entfernt,einem Forscherdaraus einenVorwurfzumachen, daßerauseigenemAntrieb oderinFolge besserer Belehrungfeine wissenschaftlicheAnsichtverändert, undich stehe nichtan, zu bekennen,daß ich selbst,bevorichdieFrageeinemeingehenderenStudium Unterzog,dieGiltigkeitderSelektiontheorieals etwas Selbstverständliches atlgesehenhabe.EinAnderes istesaber,eineTheorie,zuderman noch VorKurzem sointime Beziehungen unterhalten hat, nach erfolgterSinnes- äUderungmitHohnUndSpott zuüberschütten. Jedenfalls sehenwiran diesemBeispiel,daßMancheresbereitsanderZeit hält,dassinkendeSchiff des Darwinismus zuverlassen.

Wieistnun dieser Umschwungzuerklären?Eshat jaauch früher nichtanStimmen gefehlt,dieaufdieUnhaltbarkeitderVoraussetzungen derZUchtwahltheorieundaufdiezahlreichenwidersprechendenThatfachen hin- gewiesen haben.Warum hatman sie fo lange ignorirtodermitLeiden- schaftbekämpft,währenddieselben Argumente sichjetzt aufeinmal Gehör Verschaferkönnen?

MeinerAnsichtnach hat sichnichts geändert,alsdaßman allmählich zurEinfichtgelangt ist, daßdie enge Solidarität zwischenEvolution und Selektion,dieman so lange füruntrennbar gehalten hat,inderWirklich- keitgarnicht besteht,unddaßdieEntwickelunglehrevon einemSturzeder

FelektiontheorienichtimMindesten berührtwerdenwürde. So langees nch nochdarum handelte,dieum Anerkennung ringende Lehreder,,natür-

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272 DieZukunft·

lichenSchöpfung«gegendieDogmatikerderverschiedenenFakultäten zuver- theidigen, wagteman nicht,anderSelektiontheorie,inderman diefesteste undunentbehrlichsteStützedesEvolutionprinzipeserblickte, zu rütteln oder rüttelnzulassen· Heuteaber,wodieses PrinzipbereitszumeisernenVe- standedeswissenschaftlichenDenkens gehört, istdieseFurcht gewichenund man findetesnicht mehr bedenklich,diezahlreichenSchwächenderSelek- tionhypothese,dieman anfangs noch schonendverhüllt hatte,einerstrengeren Kritik zuunterziehen. Natürlich giebtes·auch heutenochMillionen, die demfrommenGlauben aneinebewußteschöpferischeKraftvor jederTheorie, wieimmer sie auchlautenmag, denVorzug geben. JnderWissenschaft aber hatdieLehrevon derallmählichenEntwickelungderLebewesen ohne EingreifeneinesübernatürlichenFaktorssotiefe Wurzeln gefaßtundauch außerhalbderwissenschaftlichenWeltistdieZahlDerer,denen,unbeschadet ihrerformellen AnhänglichkeitandiereligiösenUeberlieferungen,derEvo- lutiongedankeinFleischundBlut übergegangenist,sogroß, daß dieser Gedankesicherlichniewiederverschwindenwird. Man kanndaher heuteden KampfderMeinungenüber diesekundäreFrage, auf welchem Wegedie natürlicheEntwickelungderOrganismenreihenundihrer zweckmäßigenEin- richtungenvor sichgegangen ist,mitkaltem Blute verfolgen,weilman darüberberuhigt ist, daßdieEvolution auchdurchdiedefinitiveBeseitigung derSelektiontheorie nicht erschüttertwerden wird.

Jchwillmichnun bemühen,inmöglichsterKürzeundvollkommen leidenschaftledieGründeauseinanderzusetzen,diemichselbst bewogen haben, Darwins Selektiontheorie definitivundohne Vorbehaltzuverlassen-H

ZweiMomente namentlich haben dieser TheoriezuihremSiegeslaufe verholfen:dieverführerischeAnalogiemitderkünstlichenZüchtungunddas packendeSchlagwortvomKampfums Dasein, derbei derNaturzüchtung dieRolle desZüchtersübernimmt. So langeman nun keinenVersuch macht, tieferindasProblemeinzudringenund einen oderden anderen Spezialfallbisans Endedurchzudenken,so lange klingtdieSache leidlich vlausibelzunddanun immer wiederemphatischverkündet wurde,daßman

aufdiese WeisedieEntstehungneuer Formenund ihre Anpassungandie Umgebungreinmechanischerklären könne,gabmansichgerndamit zufrieden.

Sobald mansichaberernsthaftdieFrage vorlegt,ob dieDingeinderfreien Natur wirklichebenso verlaufenkönnen wie bei derkünstlichenZüchtung, mußman sofortdarüber klar werden,daßman durcheinefalscheAnalogie getäuschtwordenist.

F) Ausführliches hierüberimzweitenBande meiner AllgemeinenBio- logie: VererbuugundEntwickelung. Wien1899.

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