XVII. Jahrg.wkx Berlin,QkarwWm-.»wden 13.eijtelirurn,«·19()9.»»W--..- .---.-x.-W«III-. 20.-.
Herausgehen-:
Maximilian Hardem
Inhalt:
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Nachdruck verboten.
f Erscheint jedenSonnabend.
Preisvierteljährlich5Mark;dieeinzelne Nummer50Pf.
VIIle Verlag der Zukunft.
WilhelmstpaßeZa.
1909.
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Reise-Artikel Hoohkeine Leder-waren
MORITZ MÄDLER
Berlin Hamburg Frankfurt e.M.
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Berlin, den 13.Isrbruar 1909.
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Die Vorurtheillosen.
WährenddereingeboreneTriebzumJdealeninderMasse unseresVolkes materialiftischentartet unddieNation derUnfreiheitgegensich selbst immermehrverfällt,weilfie nichtdieKühnheithat, sichdenlebendigen For- derungeneinerneuen ZeitmitfreigeborenerEthik hinzugeben,fehltesauchnicht
aneinerProbevom Gegentheil AucheinemißgeschaffeneAufklärungwird.der Nation zurGeißel. JstderBezirk,worindieseErscheinungsichaufdringlich zeigt, auzhverhältnißmäßignur klein, somußderdas Ganze Fühlende dochmit großer Sorge,dahinblicken;dennindiesemBezirk wohnen Prophetenneuer Kultur undApostelderZukunft.Eszeigt sich, daß Waffen selbst, dievoll heiligenEifers geschmiedetworden sind,umdenJrrthumunddieTrägheit derMengezubekämpfen,ihren Trägernverderblichwerdenkönnen.JmNamen derFreiheitundWahrheit hat sicheineSchaarvon Resormatorenleiden- schaftlicherhoben;abersiekonntenicht verhindern,-daßausderFreiheitWillkür wurde unddaßdieWahrheitliebe oftinkynischeZweifelfuchtentartete. Die schöneWallung hateinentrüben, giftigen BodensatzzurückgelassenZu Ehren höhererSittlichkeit isteinJdealgebildetworden,das vielJugendzusich hingezogenhat; doch herrscht-unterseinen Fahnennun einFanatismusderFrei- heit,derebenso verderblich iftwiestumpser Autoritätglaube
EinZugdesjanusköpsigenZeitgeistes,der zu dem Ausdruck des anderen Gesichtes paßt,eineFormdesJdealismus,die anderen Formender-entarteten nationalen Idealität nicht widerspricht, sondern sie natürlichergänzt.
Die Naturgeschichtedieserneuen Freigeisterei ist nichtebenschwer zuverfolgen.Wer ihrerEntwickelung nachgeht,sieht, daßdasUnkraut
19
2 36 DieZukunft.
aufdemselbenBoden steht, woraufeineschönePflanzung jungerFrucht- bäumewächst,und daß diese unerfreuliche Geistes-formaufdenKampfvon Vätern undSöhnen zurückweist,derindenletzten Jahrzehntendesneun-
zehntenJahrhundertsmitleidenschaftlicherHeftigkeit geführtworden ist.Nicht nur inDeutschlandAehnlicheEntwickelungskämpfekonntenwirinfastallen europäifchenLändernbeobachten;überallsahenwirdiefeindfäligeBegegnung zweier Lebensanschauungen,alsderenVertreter dieAlten und dieJungen- sich gegenüberstandenDieseBewegung müßteuniversalhistorischerklärtwer- den,wenn derVersuch,sieinihrem Ablaufgenau darzustellen,unternommen werden sollte.Man müßtevon derEntstehungderIndustrieundderGroß- stadt,von neuen ResultatenderNaturwissenschaften,von derDemokratisirung derVölker undvon vielenneugestaltenden Tendenzenin der modernen Ge- sellschaftsprechen. Auch müßte daraufhingewiesenwerden,daß dieseGeister- reovlution besondersheftigundschrankenlosin den Ländernwar,wonationale Traditionen undsozialeKonventionen nur schwachenEinfluß haben,unddaß diegeistige FluthwelleamFruchtbarstenvon Völkernmitallgemein giltigcn, festen Lebensformen genutztwerden konnte. Jndemnoch nicht konsolidirten Rußland hatdieBewegung,wenn man von einigenmysteriösherrlichen FrüchtenderepischenKunst absieht,dieFormeneinesdüsteren,gewaltfannn Nihilismusangenommen; inFrankreichund England dagegen hat siederso- zialenMoral undderKunst beträchtlicheFörderunggebrachtundnur zerstört
um gleich auchneu auszubauen. Deutschland liegt zwischendiesem östlichen Reichund diesen westlichenLändernnichtnur geographischin der Mitte. Es dankt demnothwendiggewordenenKulturkampf viel; dennoch istesohneEr- fchütterungdessittlichenGleichgewichtsnicht abgegangen.Wirhabeninun-
seremneuen Reich,wo derMaterialismus einesüberschnellenAufschwung-es feindlichmitdenneuen Geistesidealen zusammengetroffenist,dasNihilistische derBewegungbesserüberwundenals dieRussen,abernicht so gutwieEng- länderundFranzosen.
Als dieAuseinandersetzungbegann,beiunsum dieMitte deracht- ziger Jahreetwa,stand einganzesGeschlechtdenmitdenSiegeszeichenvon 1870roch geschmücktenVäternmitdemRechteinergroßwollenden Jugend gegenüber.BeidenSöhnenwar, imGegensatzzurwohlverdientenRuhe bedürftigkeitderVäter,dervom Tagesinteresse gelösteWillezufreiererSitt- lichkeit.Das, wogegendieJugendimMoralischen, Künstlerifchen,Soziaten und Gesellschastlichenkämpfte,war wirklichwerth,verneintzuwerden. Tarucn war eseinschönerAnblick, alssichderNachwuchsmitstürmischerBrgeis sterung erhobundfein Recht,WeltundLebenselbständigneu zubegreifen, geltend machte.AberdenVersprechungendieser erstenVegeisterungertspricht
TieVoturtheillosen 237·
:zurHälftekaumdie konkreteArbeit.Esistbezeichnend,daßdieneuen Jdeales sichbisheute sogar fastnur literarischundingewissenKreisen gesellschaftlich- durchgesetzthaben, daß sieabernirgends schon tiefins LebendesVolkes ge- drungen sind.Staat undGesellschaftruhen nachwievoraufdenalten Grund- -lagen;dieFundamente sindvon derBewegung,die alleWerthe umwerthen swollte, nicht erschüttertwordenJ SelbstimeigentlichenBezirkderrevolu--
·-·tionärenJdee,inderKunst, sindvielederGrundsätze,fürdie damals mit»
demAusgebotallerKraft gekämpftwurde,schonwiederpreisgegebenworden- und nachdenendlosen DiskussionenüberNaturalismus, Psychologieund Stoffwahl erwachtderalteDrang,mitHilfedamals grundsätzlichbekämpfter Traditionen wiederzurOrdnung,zurStilformzugelangen. Dem-christlichen LiebenGott hatdieatheistischwildeBewegung nichts anzuhaben vermocht und selbstdiegutealteGroßelternmoral hatdieJnfamirungen,dieihrzu Theilgeworden sind,bei guterGesundheit überstanden.DieUrsache dieser relativ geringen Wirkungeinerheftigenundgroß geplanten Anstrengung ist- ineinemfundamentalen Jrrthumzusuchen. JneinemJrrthum,der in einer- SchwächedesLebensgefühlswurzelt.ErbestehtinderAnnahme,die Kon-:
iventionen,UeberlieserungenundLebenssormen,gegendiederKampf sichrich-- tete,seienProdukte philistcöserWillkürund darumganzundgarauszurotten.·
DasichdasBeschränkendeimMoralischen, Religiösen,Künstlerischenund- Gesellschaftlichenoftalsschädlicherwiesen hatte, entstandderTrugschluß,die·
Beschränkungansich sei schädlich.Man kamzuderallzu wohlfeilen Fels-- gerung, diePersönlichkeitseinur sich selbstund ihrer freien Entschlußkrafts überlassen.Daß solcher unsozialeund jugendlich unoriginelleGedanke durch- dringenunddaßerbisheuteingewissenKreisenGeltung behaupten konnte-, ist durchausalsAnzeichenderUnkrastzunehmen. Denn dieVerneinung allenZwanges,miteinemHinweis aufdasNatürlichederpersönlichenLeiden- schaft, ist verkappteSentimentalität
Diese Halbheit hat verschuldet,daß denmeistenArbeiten derEr-«
neuerer dieStilmerktnalederNegation anhaften.Dassind: Kritizismusund Naturalismus,LustanderTendenzundam Prvsaischen. Nichtnur sürdie-—
GebietederKunst gilt Das; auchdieneuen Gedanken der Moral,derNe- ligionunddesStaatsgcfühleswaren immir mehroder weniger tendenzvolls naturalistisch Nirgends gingen sie eigentlichweitüberdie scharfsinnigeKon- ftatirung bestehenderZustände,bestehenderMißstände hinaus.Sievermochten fastniebis zumLetzten vorzudringen,weilNiemandEtwasvonGesetz,Noth- wendigkeitundBeschränkunghören mochte,weilwenigerausungeborenerkon- servativerGesinnungrevolutionirt wurde als aus einerSelbstsuchtderuns-
jiszipliniiten Begabung.SicherlichwurdeHohesund Reineserstrebt,etwas- 198
Ist-J TieZukunft
imInstinkt richtigEmpfundenes.DieWortführerderneuen Generation wollten- inallenDingendesLebenswiederdienatürliche Kausalitäterkennenund BlickeinsUrzuständlichethun. DieTriebe zumNatürlichensteigertensich biszurLeidenschaftundderKampfgegendiegeistige Trägheit nahm Züge heroischenZornesan. Aberdie Triebe waren nicht genialisch;dieEinsicht reichte zurAnalyse, nichtzurSynthese. DaderBlickdietieferen Kausal- gesetzeimReligiösen,Sittlichen, HistorischenundAefthetischennicht gleichvom neuerworbenen Standpunktauserkennen konnte,nahmman eilfertigan,Zu- sammenhängeseiengarnicht vorhanden.DieZuversichtzueinerewigenOrd- nunginWeltundLebenwurdeschwer erschüttert. HinterdenDingen sah
man dasChaosodereinennur mechanischenKreislaufderKräfte.Undaus solchenJdeenundausderdarin wieeinGift verborgenen heimlichenVer-—
zweiflungvermag dieSchafferskrast nichtdauernde Werkehervorzuzwingen.
WirmögendieResultatederErneuerer betrachten,von welcherSeite wirwollen:immer sehenwirunszuernster Achtung genöthigt,aberganz seltennur werden wirrestlos überzeugtunddemNeuen gewonnen. Wir- liebenund ehren einpaar starke Peisönlichkeiten,diefür sich selbstzuab- schließenderMeisterschaft gelangt sind;aberihre Bedeutung wurzeltimmer auchinihrer durchTradition starkenBürgerlichkeit,in ihrerSelbstbeschränkung,.
Vescheidenheitund HandwerkstüchtigkeitJn jeder Zeit hätten siedasbe- deutend Entwickelnde geleistetundsiesind alsonur bedingtalsZöglingeder·
neuen Freiheitbewegungzubetrachten.Ein Volkhatabernochkeine Kultur,
wenn eseinpaar starke Charaktere, hatkeineKunst,wenn eseinige vortreff- liche Künstlerhtt.UndDaseben wolltendie Erneuerer doch: eine Kultur, eine Kunst fürdieganzeNation,geistige Zustände,worinauchderSchwachezur Kraftgelangt.Dasneue Dramaundeinepsychologischvertiefte Epikwurden uns dargeboten;aberwelchen thätigenGeisttreibtesleidenschaftlichinsTheater,
um einmodernes Stück zusehen,wer greiftinkurzenFeierabendstundenzum Bucheinesdieserneuen Welterklärer,wenn ernach weisenWorten desLebens begierig ist?Wergeht nicht,beigrößtemWohlwollen fürdieneue architek- tonischeKunst,auch,wenn erallseine Kraftihrem Werden undWachsenwid- met,schließlichimmerwieder zurBaukunstderAlten, die nicht gute Grund- sätzeundTendenzendarbietet,sondern lebendig athmende Schönheit!Wer liebt diean uralten Traditionen erzogene Malerei desalten Hollandund Jtalienoderdesneuen Frankreich nichtmittemperamentvollererZärtlichkeit alsdiedeseigenenLandes! Wemimponirt nichteine rechte,männlicheGott- gtäubigkeitmehrals dermonistischdarwinistischeMischmaschganzmodernerPhilo- sophenlUndwem macht nichtdievon hundert Vorurtheilen durchsetzte««ein- facheMoral des Bauern mehr Freudealsdiemoralinfreie Aufgeklärtheitder.
DieVorurtheillosen. 239
-"Literarischen!EdleKulturversuchewerden uns jeden Tag nochinFülledar- geboten;doch bedeutet dieAufhäufungdieser Wertheimmer noch nicht den Anfangneuer Kultur. Starkeundmehr noch sehr beweglicheGeister umgeben uns,die in einemPunktmitihrer Erkenntnißkrafttiefgenugimmerdringen;
dennoch gelangendiemeisten dieser ewig ,,Jungen«nichtzuden Quellen,aus denen dieneuesLebengebärendeThat fließt.Wassieschaffen,isteinAn- gfangundaucheinEnde,nichtaber ein GliedzwischenGesternundMorgen.Weder imDenkennochimThunwerden sie klassischruhig;und dasieüber das Problematische nichthinauskommen,machensiedieProblematikzumeigent- .lichenKunst-undLebensmotio. Gelungen sieinihrer Spezialistenarbeitda- hin,ineinemPunkt dochdenWerthderTradition und derBeschränkung zuerkennen, sowenden sie diese Einsicht nicht aufs Ganzean,weilsie nicht fühlen,wie dasEineorganischamAnderenhängt,weilsiedieOrdnungin-
nerhalbderNatur nichtempfinden,sie nicht empfindenwollen. Und Daseben raubtallihremThundicheitere Ruhe,diebejahendeWeisheit; Eigenschaften, die alleinim Stande sind, ein Werk im edlen Sinn volksthümlichzumachen.
DerEwigkeitinstinktisteiner ganzen Generation getrübtunddarum auchder le- bendige Zeitsinn.Dievom Vorurtheil Befreiten sehen Chaos außer sich,weil esinihnen ist; siegelangen nichtzurhöherenFreiheit,weilderStolz auf -.ihrBischenFreidenkerei,dieFurchtvor derUnfreiheit siedaran hindert.Die Revolutionäre von einst vermögennichtkonservativ zuwerden: daist ihre UnzulänglichkeitAllegroßenErneuereraber,Luther,Crotnwell undNapoleon, Goethe,KantoderselbstJbsen habendasLebennurzu revolutioniren vermocht,
·weilsiedasewigNothwendigeinseinerUrbedeutung aufsNeuezuerfassen wußten,weilsiedieMenschheitineinerzeitgecnäßenFormmitsich selbstund mitihren ewigen Daseinsbedingungenbekanntmachten,weilsiedieWahrheit erkannt, die bei keinemEinzelnenist,sondernimmernurbeiAllen. Siekonntenre- .volutioniren, weilsiedasBleibende imWechselndenmeinten.JnGedankenkühn zusein, istansichnichtsGroßes. DerSchwächstekannsicheilfertigdazu bringen, dasUngeheuerlichezu denkenundauszusprechen.Nicht darausallein kommtesan.
AuchdieGefahr istzu vermeiden,sichindieKühnheitendesDenkens ihrer selbstwegenzuverlieben. UnerhörtenGedankengegenüberkannman Grabbes Faustwort dahinvariiren: »ZeigemirdieJdee,dieich nicht kühner,denGe- danken, denichnicht frecherdenkenkönnte.« DenkenohneThun ist Lehre ohneLeben,isteinSpiel fürUnmündigeund Gewissenlose. Aufgeklärtsein, heißt nicht, sich frechzumEinzigenzumachen; aufgeklärtist vielmehr,wer dieeigeneRelatioitätfühltunddieses GefühlzurBasisdessittlichenWol-
—:lensmacht,wer dasimInstinkt liegendePflichtgesetz,das derMenschheit
»einGesetzderSelbsierhaltung ist,mitBewußtseinnachschast
540 DieZukunft.
Esbrauchtnicht mitAugurentiessinnvonliterarischenGeisternverkündet zuwerden, daßansich nichts unsittlichodersittlich ist,daßesdazu erstvom menschlichenDenkengemachtwirdunddaßdiejeweilig herrschendenKonvn- tionen derSitte nur bedingte ,,Wahrheiten«sind. Man kann Daswissen .·unddoch dieseKonventionen sür segensreich,nothwendigundedelhaltenund
eineGefahrdarinsehen,wenn dieeinmalgiltigeLebenssorm ohne zureichen- desRecht verletztwird. DasistdasUnmoralische:giltigeKonvention ohne zureichendesRecht zuverletzen. Dieses Recht verleiht nichteinselbstgesälliger Freiheitidealismus, sondernnur dieselbstloseLiebezumGanzen,derEifer sürdasWohlderAllgemeinheit,die Einsicht insNothwendige.Wersüreinen sozialen Werth,denerverneint, derGesellschaft nichteinenbesseren,wenn- sauchnur vonfern, weist, ist frivol.DasGewissen sagt ihm auch stets,daß
eresist,magersich selbst nochsolaut überschreienJnAllem,wasirgend- wiehistorisch geworden ist,lebtauchNothwendigkeit;dieselbe Notwendig- -keit, die wireinerPflanze,einemThierorganismus gegenüberintuitio als SchönheitundZweckmäßigkeit,alskosmischeHarmonie empfinden.UndNoth-- wendigkeitenkönnennurdurchJhresgleichewersetztwerden. Wererkennt, daß auchdassozial,vonAltersherGewordene ,,geprägteForm ist,dielebendsich entwickelt«,oderdaß sieesdoch einmal war,Derweißauch,sdaß.dieMensch- heitohne Formen, ohneKonventionen nicht einenTag bestehenkönnteUnd ersegnetdenZwang,derunserWesenindieTiefe nöthigt. Erstvon solchem Standpunkt aus läßt sichfruchtbardann revolutioniren,läßt sichdasUr- sprünglicheundnothwendigSinnvolle wiederherstellen.
DaßderMann,demesum Thätigkeitzu thunist, seineFreiheitnur entfalten kann, indemerinhöhererWeise dient undgehorcht:Dasistes, rvas demSelbstgesühlunserer Ausgeklärtenbeschämendscheint. Daher diese epidemischgrassirendenVorurtheillosigkeitideen,indenendochebensoviel Vor- urtheil enthalten istwieimtrübstenPhilistermeinen. Darum istaus dem WillenzurFreiheitnur eineBohemekultur hervorgegangen,die nicht ins Volk, nichtin dieTiefeundnicht zurHöhedesnationalen Lebenszudringenver- .mag. DieApostel derFreiheitundVorurtheillosigkeitbleibenimHandeln- fastimmerBourgeoisGabenundTalent wachsenwildindieserZeit pathos logischerNervengereiztheit;abersie sindkaummehralskünstlichesSpielzeug iürgroßeKinder. Darum istdietalentreiche Zeit sobettelarm angroßen Charakteren.Die Ausgeklärtenhaben lebhaste Eindrücke,aberkeinenWillen;
überall wird analysirt,nichtgestaltet,man ist kritischund logisch,nicht- schöpserischDemlebhaftenJntellektualismus gesellen sichgernsemininesGe-
"schmäcklerwesen,KynismusundZweifelsucht;-.nebendergeistigenBeweglichkeit sehenwir überalleinschlaffesHinschlendernunddieheimlichheranschleichendes.-
DieVorurtheilloserr 211
Verzweiflung führtdenGeistunbemerkt in dieJrrgängeeitlerJchsucht hin- ein.Sogeschiehtes,daßderNeuerer, derdieKampfhahnderZeitalsFeind desPhilistermaterialismus betretenhat, selbstalseinüblerMaterialistda- steht.Noch mehr: daß durch ihn,dengeistigenVertreter einerlautbramar- basirendenMinorität, denVernichteraller»Vorurtheile«,die allgemeineGe- nußsuchtundZügellofigkeitmitvortrefflich klingender Logik legitimisirtwer- den.Währendertheoretischdie Staats- undGesellschafteinrichtungennegirt, gründeterdochfeineganzewirthschaftlicheundgesellschaftlicheExistenzdarauf;
und währendersichmitbrutalem Egoismus seiner Reizsamkeithingiebt, thut er,alsführeerdieMenschheitzuneuen, niegeahnten Zielen.
DasBohamehastederneuen Geisteskultur zeigt sichdarin,daß sie sich imWesentlichenliterarisch giebt.Sie stehtzudreiVierteln auf geduldigem Zeitung-undZeitschriftenpapier.Dieneue Kunst, Poesie, Kritik, Politikund Moral: Allesriecht mehroderweniger nach Holzpapier.EingoethischerGeist würde vieleMotive füreineliterarische Walpurgisnacht finden.Einganzes Literatengeschlecht,daszurHälfte dochausMännernbesteht,denendie Haare schongrauen, stürmt durch die Korridore derZeitgeschichtewiederBakka- laureus im»Faust«.AllesbleibtRaisonnement. Gelangteinerder Gedanken- reoolutionäre einmalzu einerStellung,woerdemkonkretenLebenpraktisch dienen muß,sowandelt ersichgleich,wieesder radikaleSozialistetwathut, deraufeinenMinistersesselgehobenwird. DasFreiheitideal schrumpftdann zumOrnament ein, zurSchaumünze,dieman bei derArbeitablegt.
Sosind,zumBeispiel,dieBegriffe PersönlichkeitundOriginalitätge- sälfchtworden, kaum daß siederPhilisterfesfeln ledigwaren. AlsJndivis dualität gilt nicht mehrderMann,derseine Kräfte aufs Höchsteentfaltet, währendersichalsWerkzeugderNothwendigkeit fühlt,und dervollständig imSachlichen auszugehen strebt, sondernEiner, dersichanders giebtalsder Durchschnitt,dergewisseSonderzüge auffallendwie einWappenzurSchau trägtund sichvon der,,Heerde«imDenkenundauch wohlinderErschein- ungaugenfälligabhebt. Qriginell istdemModernen dasNeue,nochnie Ge- dachteund Ausgesprochene,das"Unerhörte,womitderPhilister erschrecktwer- denkann. Dasführtdann konsequentzurLustameitelParadoxen,ander GeistreicheleiundBesonderlichkeit,zueiner Disposition also,woraus Sno- biemus,Geziertheit, ja, selbst LügeundGewissenlosigkeithervorgehen. Jeder, denOciginalitätsuchtzwingt,inParadoxenzudenken, verliertdiefeinereGe- wissensiulturund verfälltganzvon selbstderUnordnungund dergeistigen Bohememanien Er magnoch so RichtigesundEigenthümlichessagen: hart nebenderWahrheitwirdimmerdieLüge,neben demechtenGefühldie alberne Geckereistehen.DieLustanderwirksamen Pointe,anderSensationtritt
2 42 DieZukunft
vor dieSachvernunftundmacht, daßjedeneue Erkenntnißinihrer Bedeutung übertriebenundzu Todegehetztwird, alswäreAehnlichesnoch niegedacht worden;derLiterat,der miternsterMiene,alsRitter derFreiheitund -Wahrheit, daherkommt, verläßtdieArenaoftgenugmiteinemPurzelbaum,
alsHanswurft.
JmReligiösenbefiehltdasJdealderVorurtheillosigkeit seinen Jüngern, sichüber das Wort Gott,woimmeresaustaucht,unbedingt lustigzumachen.
Weranewige Dinge glaubtunddasChristenthum ehrt, isteinTrottel oder einHeuchler-.Wervon GesetzundNothwendigkeit spricht, isteinekomische Figur·Daman erkannthat, daßalleFormenderReligionrelativ sind,wird einfachverkündet:AllesSchwindel! Religion ist gut fürdieHeerdenthiere, Moralgefetze sindnur sürdie Dummen. GottfriedKellerläßtdiefromme Großmutterzudemheiter ungläubigenJukundus,densiebeimLesender Bibeltrifft,sprechen: »Mein Herr Philosoph, ich glaubeimmer, Duhastdoch einkleinWenig .Gottesfurcht!«Underläßt Jukundus gelassenantworten:
»Ich glaube,derSachenachhabe ichwohlEtwas wieGottesfurcht,indem ichSchicksalundLebe-ngegenüberkeineFrechheitzuäußernfähigbin.« Wie unbequemunmodern vonMeisterGottfried!DasWort Gottesfurchterregt bei einemrecht AufgeklärtennurHeiterkeitoderWuth. FrechheitengegenSchrei- salundLebenzuäußern:Dasist nachgeradezum Merkmal freier Gesinnung geworden.Ganz gewißändernGläubigkeitundUngläubigkeitnichtdasGe- ringsteamCharakterundamWilleneinesMenschen;man istmitundohne ChristengottgenauderSelbe. WohlaberverdirbtdieseeitleFreudeander eigenen GeistesfreiheitdenCharakter.WoKynismenundFrechheitengegen das Ewige Brauchwerden, damußdasEhrgefühlleiden. Daßeswirklich soist, beweistdiebourgeoismäßigliberaleKümmerlichkeitderEhrbegriffein denKreisenderunentwegtModernen. JederVorurtheilloseredetüber dieEhre ungefährwieFalstaff. Das Duelllehnter,,grundsätzlich«ab,verstehtes aberauchnicht, sichimUmgangmitMenschenmitnatürlicherWürdejede Kränkungfernzuhaltenz vielmehr bringt ihn feinvorlautes Weseninhundert zweifelhasteSituationen. Erist nichtbiszumAeußerftenmuthig,weilerdie Sache nichtübersich stellt.Beleidigerund Beleidigtersitzenzusammen auf demSophaunddebattiren literarischüberihren Fall;oder;vsie laufenvorden iRichter,wieGevatterSchusterundSchneider.GeradedieseFormlosigkeitaber, diefchutzlos macht, istdannschuld, daßdieVorurtheillosengegenAngriffe und Kränkungengrenzenlos empfindlich sind.DennwahrhaftePhilosophen sind sie ja auchnicht.Man erzürntundverträgtsichin denKreisenderFrei- denkerso oftundso leicht, daßEinemunwillkürlichdassehrbekannteSprich- wort in denMund kommt.Stoff füreinenaristophanischenGroteskendichter.