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Die Zukunft, 28. März, Bd. 42.

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Academic year: 2022

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Berlin, den 28. März i003.

ff »J» I T

Das Blumenmedium.

Haber

Gerichtshof so sprichtvorderErsten StraflammerdesLand- gerichtesBerlinIlein Anwalt desRechtes Hoher Gerichtshof- fern istmirdieAbsicht,dasErgebnißderlangwierigen Beweisaufnahme umständlichzukritisiren, fern sogarderWunsch,mit WortendasGewicht einzelner Zeugenaussagenzumindern, durchdasGegengewichtmeinerRede

dieWagschalenausannäherndgleicheHöhezubringenundsozubewirken, daßIhnenein denSchuldsoruch hemmender Zweifelbleibt.Auchwillich Sienichtins dunkle Gebietsupranaturaler Bedürfnisseundsupranormaler Fähigkeitenführen,nicht fragen, welchenWerthderpreußischeStaatsbürger deinSpiritismus, derTheosophie,allenwechselndenFormen oktultistischen Dranges beizumessenhabe.DieFrage schonwäreVermessenheitzundden Versuch, ihrinforodie Antwort zufinden, überlasseichgern demHöhen- wahn derJuristen,diesichalsAlloerwalter fühlen.Nein: AnnaAuguste Rothe,dieFraueinesKisselschmiedes,diehier vorJhnen kauert, hatkeiner- lei mediale Gaben. Mit ihrer Zunge sprachennieLuther, Zwingli, Flemining,dieKaiserWilhelmundFriedrich.KeinesVerstorbenenGeist hatsich jeinihr offenbart.DieBlumen, Früchte,Zweige, Christusbilder undanderen Gegenstände,dieGeister ihr apporiiithabensollten, holte sie ausdemllnterrock. Daran istnichtzuzweifeln,denn beeideteAussagenhaben festgestellt,daßdieAngeklagtediein denSitzungenverwendeten Blumen selbsteingekaufthat. Ebensowenig dürfenwirdaran zweifeln, daß ihr Managir, derfrühereCognachändlerundchorter MaxJentsch derdas bessereTheil erwählteund demnichtimmerlangenArmderGerechtigkeit

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490 DieZukunft.

entlief dieSachealseinträglichesGeschäftbetrieb. Erfandeinehyste- rischeFrauvonleicht geschmälertemBewußtsein,einekränklichaussehende Frau,derengroße,glühendeAugen auf schwacheSinnewirken;unddiese Frauwar in der WeltderOkkultisten schon berühmt.AusihremMund sprechen,mitihrerHandschreibenerlauchte Geister;ausdemSchattenreich ruft sie Gestalten,in denendieZuschauer theureTotenerkennen; auf ihr HauptregnenBlüthen herab undihrhagerer Fingergreift Früchte,Blumen, ZweigeausleererLuft.«Dasist viel, ist mehr,als dieberühmtestenMedien vermochten;EusepiaPaladino selbstscheintübertroffen.DieNachfragesteigt- überallwünschtman,dieGeheimkunstderneuen Seherinkennen zu lernen.

MaxJentschausZittauundAnnaRothe,geboreneZahl,ausAltenburgver- bündensich.VondenSpirituosenzumSpiritismusist, somögenWitzbolde denken,nur einSchritt.JentschtreibtdasHandwerkinsGroßeundwird der Ausbeuter derFrau,diehiereineAusbeuterin menschlicherDummheit genanntwordenist. Reichthümererwirbt sienicht;aber ich willannehmen, daßsiesammt ihrem EhemanneinbrquemesAuskommen hatte.Kannman demAnklägermehrkonzediren? Jchkönntemich aufdie Gutachtender SachverständigenstützenunddasMoment der verminderten Zurechnung- fähigkeit,daunserGesetzesleidernicht kennt, wenigstens fürdas Strafmaß, vielleichtauch für dieStrafart geltendmachen. Auch diesen letztenNothaus- gangbedrängterBertheidiger wähleich nicht.VomBodenderAnklageaus, .andenichmichfurchtlos stelle, fordere ichdieFreisprcchungderAngeklagten AnnaRothe, fordere sieim Namen desRechtesundderVernunft.

EinJahr langundlängerschonsprichtman vondieser Sache.Seit demBeginnderHauptverhandlunghörtman invielenGegendenunserer JntelligenzstadtüberhauptkaumnochvonAnderemreden.JnganzenStößen werdendieProzeßberichteverkauft· Nie, heißtes,habe sicheinsensatio- nellerer Prozeßin denrothenMauern vonAltmoabit abgespielt. Jch muß gestehen,daßmirfürdieverheißeneSensationjedesEmpfinden fehlt, daßich nichteinmalzuerkennenvermag,wosieeigentlichsteckt.SinddieThatsachen, dieuns hier vorgeführtwurden,etwaneu,sind sie nichtvielmehr so typisch, so oft gesehen,daßder«Kriminalist Mühe hat, ihnen noch gesammelteAuf- merksamkeitzuzuwenden? MußtcnwirlangeLenztagehier verbringen,um zuerfahren,waswirerfuhren? DaßesSchlauköpfegiebt,die neben der gra- denHeerstraßeihreGeschästchenmachen? DaßübersinnlicherDrangmanch- malinharte Thaler gemünztwird?Selbstdas»Kulturbild«,vondemRe- portereifer soviel zuschwatzenweiß,dünktmichnichtneu,verweilender Be-

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trachtungnicht werth. Ja:unterunslebenLeute,denen dieratio,denendas vomVerstand Meßbare längstnicht mehr genügtund diejeden Spukglau- ben demPositivismus vorziehen. JnderEisregionreinenDenkenserfröre ihr schlechtgenährterGeist;imFuselrausch entschlummerterwohlig.Das.

hättenwirgestern nochnichtgewußt?Typisch sinddieVorgänge, ohnedie Spurindividueller DifferenzirungdieGestaltendesMediums,desMana- gersundihrer Kundengemeindeundtypifch ist auchdieEntschleierung Schwindels. DashysterischeWeibwird vondenlauten Erfolgen den GebotenderVorsichtentfremdetttnddieKriminalkommissare,diesichindie-s Sitzungen einschlichen,können denBlumenspuk leichtentlarven. Sounge-

,fährwar esimmer,wirdsimmersein.Neuistnur Eins: der Versuch,die gelungene Spekulation aufdieErtragsfähigkeitblindenGlaubens alsVe- trugzustrafen.Neu unddochnichtindiesemFrühling erster-sonnen. Auch imJanuar gabseineSensation, einewirkliche sogar.Dasaßindiesem HauseinKurpfuscheraufderAnklagebank.WennmirdieAufgabezuge- fallenwäre,ihnzuvertheidigen,dannhätteichmeineganzeKraftdafür ein- gesetzt,daßdieserNardenlötternur verurtheiltwerde, weiler»ohnepolizeiliche ErlaubnißGifteoderArzeneien,soweitderHandelmitihnen nichtfreigegeben ist,zubereitet,feilgehalten,verkauft«hatte.Paragraph3673zGeldstrafebis zu«

einhundertfiinfzigMarkoderHaft.DerMann wurde desunlauierenWett- bewerbesund desBetruges schuldiggesprochenundaufJahreinsGefäng- niß gewiesen.Erhabe mehr versprochen,alserleistenkonnte.Dasthutein Wahlkandidat,einZeitungverleger,einapprobirterArztoderBazarinhabcr sichernie;undniehateinermeiner KollegeneinemAngeklagten gesagt:

WennSiemirIhre Sache übertragenunddennöthigenVorschußgeben, ist Jhre FreisprechungiogewißwiedasAmenin derKirche.Narbenlölter solltebetrogen haben,weilerohne ärztlicheKenntniß,meist, ohnedieKran- kenauchnur zusehen,Rezepteverschrieb;underkonntedochnachweisen, daß derProzentsatzdervon ihm erzielten Heilungen mindestensebensogroß warwie beiDurchschnittsdoltorcn,konntesichdarauf berufen, daß«erwieein richtigerDoktor...DerHerr Vorsitzendewillmich unterbrechen.Undich braucheüber denFallNardenlötterauch nicht mehrzusagen; icherwähnte ihnnur,um zuzeigen, wohindieReiiegehen foll.Damals forderten Aerzte

nichtalle; so gering schätzeichdenStandnicht—,jetztfordernVertreter okkulterWissenschaftdiestrengste Strafe. JnbeidenFällen regt sichdie ge- kränkteKonkurrent-inheller Wuth.JnbeidenFällen sollderStrafrichter leisten,was die MännerderW.ssenschaft,diedocheinMonopol für sich

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492 DieZukunft.

heischen,nichtzu leistenvermochten:ersoll desAberglaubensaltesBett wegschaffen.Dasaberkannniemals dieAufgabedesStrafrechtes sein;

und würdeihm dieseAufgabe gestellt,esmüßte,beiallerHärte,obnmächiig versagen.WerdieAnkåageschriftliest,magsichnachUtopiaträumen oder insZukunftlandderKommunisten,diesonstalsUmsturztrachter amPran- gerstehen.Seitwann verbietetunsereRechtsordnungdieAusnutzungder LeichtgläubigkeitPDasZielder anerkannten sozialenOrdnung ist, Rechts- güterzuschützen.Rechtsgüter,sagt Liszt, sind Lebensiiiteressen,Interessen desEinzelnenoderderGemeinschaft. Jst Blindheit, Dummheit-nennen Sies,wieSiewollen—- einRechtsgut,einLebensinteressedesEinzelnen oder derGemeinschaft?Wer einenBlindenzuFall bringt, beschädigt,im GebrauchderGlieder,inseinerErwerbsfähigkeitverkürzt,tasteteinRechtsgut an. WelchesRechtsgutaberistoerletzt,wenn derBlindein denGlaubenüber- redetwird,er habe seinAugenlichtwiedererlangt?Wenn eineWitwe,eiiieWaise aufathmendindieZivangsoorsti llukigkriecht,siestehemit ihremMann,mit demVater,derMutter inengemRapport,höredielange entbehrten Stimmen, empfangeaus lieberHanddusienden Gruß? Belleicht fanddesPriesters Wort taubeOhren. Vielleichtwar derGlaubeans Himmelreichfrühent- wurzelt,dieHoffnungauseinWiedersehenamThrondesHerrnschonin

.derKinderstubeoerblüht. Glaube ist persönlichsterBesitz;und derWahn, derunsthörichtdünkt, kanndemNächstenein starkerTrostsein,dereinzige, der ihnaufschsvankemGrundhält. Gelehrten Richternbrauche ich,solange nach Charcot, nichtnochvonderBedeutungderSuggestion und Autosug- gestionzureden;undichbinentschlossen,Alles zu meiden,wasmeine Rede mit deinBleigeioichtwissenschaftlicherundscheinivissenschaftlicherArgumente befrachten,demRuf nachGerechtigkeitdieResonanzhemmen könnte. Nur warnen willich,vordemersten,dementscheidenden SchrittaufeineinWege warnen, dessenEndeSie, geradeSiemitEntsetzensähen-—HinterdemRich- ter, der im NamenGottes,im Namen desKönigs Richt spricht, stehenAn- dere,denenderGlaube anGottundKönigWahn ist, eitler, längstveralteter Wahn,dernur inlichtloenHiinzellen noch nistet.Diehoichenauf Jhren Spruch. WeißderPrediger,daßeseinAuferstehenimJenseits giebt, weißnicht mancherTalarträger, daßseine Verheißungsichnieerfüllenkann?Undwenn dieGottlosenmitderberFaustnun einenPredigerpackten,ihm bewiesen, ausReden,ausBriefen meinetwegen, daßerdieSeligkeit,die seineLippe preist, nicht glaubt, daßerdieOblaie,dieeralsdenLeibdesHeilandsdem Gläubigenreicht,beim Bäckerbestelltundgekaufthat,inMassen,umsbilliger

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Das Blumenmedium. 493 zuhaben: istder,,Entlarvte«danneinBetrüger?Denken Sieandengroßen GlaubenskomplexunsererkatholischenMitbürger,andieWunderkraftder Gnadenbitder, Reliquien,HeiligenRöcke,anAlles,was derakatholiicheSinn Aberwitzschilt.Jst hier Betrug?Mankönnteeinwenden,indiesenFällenfehle der»rechtswidrigeVermögensvortheil«,den dasGesetzalsThaibcftands- merkmal verlangt Fehlteraberwirklich?Ohnedie alteGlaubensschatz- kammerkeineKirche; ohne KirchekeinePfründe.DerVermögensvortheih den dieVorspiegelung falscher Thatsachen gewährt, ließesich-in jedemder - angedeutetenFälle leicht nachweisen.Nureben:rechtswidrigwäreernicht;

dennmit unsererGesellschaftordnungwurde dasRecht geboren,dastrans- szendenteSehnen menschlicher Schwachheitzustillen,dem überlebenden GlaubenansupranaturaleKräfteNahrungzubieten, auchgegenEntgelt.

Vondiefiin Rechthat dieAngeklaate auf ihre Weise Gebrauchge- macht.ObsieimTrancesZustand silbft glaubte,wasihrMund sprach,ob sieimmer bewußtlog: ich frage nicht danach, frage hier auchdenMinister nicht,oberstets Wahrheit kündet,nichtdenHeerführer,oberin vollemBe- wusstseinnicht oftmitfalschenThatsachcn Vorstellungenerregt,dieihm selbst oderdervon ihmvertretenen Sache nützlichwerden können.FrauAnna Rothehat keinRechtsgut verletzt,dasVermögenkeines Anderenbeschädigt.

Wassiegab,war diezweioderdreiMarkreichlichwerth, fürdie derEinlaß insSitzungzininierzukaufenwar; wievieleJllufionenhaben wirAlleschon wesentlich theurer bezahlt!Wasists denn,daswir inDomen,inWahlver- sammlungenundSchauspielhäusernsuchen?DieWenigsten glaubendem Pfarrer aufs Wort,lauschender tönendenKandidatenrede wieHeilbringen- derBotschaft, haltendiegeschminlsteDame da obenfürMaria Stuart.

Unddoch wehtvonderKanzel,von derTiibüne undBühnetröstend ein frommerSchauderherabunddennoch schluchztimSaaldieMenge gebildeter Bürger-,wenn Maria auisSchaffot geführtwir d.DieschwacheMöglichkeit holderoderkräftigaufrüitelnderIllusion wiegt unsere Bedrängnißgern mit Goldauf;dieseMöglichkeitistihr so theuer, daßderhöchstePreis nichtzu hoch schien-wirschufen,wirstützenmitallerKraftdenGlauben anein Recht,dasmehrsein solleals der AusdruckwillkürlichherrschenderGewalt.

UndgenaudieselbeMöglichkeitsuchteundfanddieGemeindebeiFrauAnna Rothe.VorJhnen sitzteineFrau,dieihreKunden reellmitJllusionen bedienthat; keineBetrügerin:eineGestalt,wiesieim trübenZwielichtunserer Heuchclkulturinbundcrtfacher Differenzirungzufinden sind.Amhellen Tag erst schwindetderletzteSpuk...JchbitteumIhren Spruch-

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494 DieZukunft.

Die Lieder der neuen Frau.

insderstärkstenArgumentederGegnerderFrauenbewegungistder

sHinweis aufdiebisherdemweiblichenGeschlechtsehlende künstlerische oderwissenschaftlicheSchöpferkraft,aufdenMangelan weiblichenGenies.

Undesheißt,derSacheder Frauen mehrschadenals nützen, willman

versuchen,diesesArgument dadurchzuentkröften,daßman die»berühmten«

FrauenallerZeitenaus demmeistwohlverdienten ReichderVergessenheit heraufbeschwört.ThatsächlichhaltendieLeistungennurWenigereinerernsten KritikStand; und auch diese Wenigenkönnen,soweit meineKenntniß reicht. aufdenunverwelklichenLorber desGenies keinenAnspruch machen.

Begreiflichgenug: Jahrhunderte lang schliefdiePsychedesWeibes; zuweilen

nur andieRenaissance seierinnert,diemerkwürdigstarkgeistigeFrauen hervorbrachte durfte sie ihreFlügelregen. AndesWeibeswohlbehüteter KemenatebraustederStrom der Weltvorüber;nureinleises,ferncsRauschen drangvonihmanihrOhr.WoaberdieNothsieherausrißin den Strudel, dazehrtedermühsäligeKampfums DaseinallihreKräfteauf.

DieVertreter derTheorievom weiblichen Schwachsinn pflegen diese ErklärungdesMangelsanweiblicherSchöpferkraftnichtanzuerkennen.Das ganzegroßeGebietkünstlerischen.Schaffens,besonders dasderMusiknnd derDichtung, sei, someinensie, den Frauennieverschlossengewesenund nichtsbeweisemehrihre ursprünglichesgeistige Minderweithigkeitalsdie Thatsache,daß sie trotzdemdemDiensteder Musennur seltenundauchdann nur in unzureichenderWeise sich weihten.SolcheBeweisführungzeugt, meiner Ansichtnach,voneiner wahrhaft barbarischenUnkenntnißderBe- dingungen künstlerischerProduktion.EingroßerKünstlerrepräsentirtimmer einehöchsteKulturstufeundzudenBedingungen genialer Leistunggehört mitinerster Linie einhoherGrad psychischerFreiheit. Demmittausend schmerzhaftenFesselngebundenenWeibe konntekeinGottgeben,zusagen, wasesleidet. Der beste Beweis dafür ist, daß dasihreigenthümlicheGe- fühlsleben,indessen MittelpunktdieMutterschaft steht,trotzseiner Weite undTiefenichtzukünstlerischemAusdruckkam. Auch ihreLiebe zum Mann wurde nicht,wiedieLiebedesMannes zuihr,derZündsioff künstlerischer Begeifterung Statt Dessen findenwirbisindieneusteZeit hinein ein deutlichesZeichenfürihreinnereGebundenheit—, daß siesich,sobald sie Liebeslieder singt,indie SeeledesMannes hineinphantasirt. Muthgehört zurBeiahungderpersönlichenEigenart; Muthaber ist dieTugendderFreien.

Nun hatderBefreiungdrangder Frau immer mehrAnhängerge- sunden;wie weiterimStande war, eineBefreiungdesweiblichenGrschlechtes ausdenFesseln geistig-seelischerKnechtschastschonheute herbeizuführen:Das

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DieLiederderneuen Frau. 495 läßt sichamBesten aufeinemGebietederKunsterkennen,dasderEnt- wickelungunddemAusdruckderPersönlichkeitdenweitestenSpielraum läßt:

derLyrik.DieZahlderlyrischen Dichterinnen wächstvonJahrzuJahr;

daswachsendeBedürfniß, sich auszusprechen,dasmitderSchwatzhaftigkeit derFrauvon ehedem nichtszuthun hat,bedeutetansichschoneinenFOU- schritt.Esfragt sichnur, obsie »sich«aussprechen.Eintastendes Suchen nachAusdrucksfähigkeit,einmeistfruchtloser Kampfmitderhergebrachtem fastallein vom Mann geschaffenenAusdrucksform zeigt sichüberall. Wer eineGedichtsammlungnachderanderenvornimmt,wirdoftgarnicht-und wenn, meistnur durch Aeußerlichkeiten daranerinnert,daßderVerfasser weiblichenGeschlechteswar. Das scheintmireinwichtigesKriterium. Da- mittretexich auchderallgemein üblichenAnsichtentgegen,wonachderSatz-

»Sie schreibtwieeinMann«einLobsein soll.DerEintritt der Frau in dasgeweihteLand der Kunst würdenichtsalseinequantitative Bereicherung bedeuten,wenn sie nichtNeues,Eigeneszubietenhätte.

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Wosindnun dieAnzeichenfürdas Neue,Eigene?Jn demdichterischen Ausdruck derMutterliebe undderLiebedesWeibes zumMannes müssen wirsie zuerst suchen.DieMutterliebe kannderMann demWeibenicht nachempfinden:esfehlt ihmdafür die vollkommene lyrischeDarstellung- fähigkeitzunddie LiebedesWeibes zumManne ist durchSitteundKon- vention indastiefste Dunkel weiblichenWesenszurückgedrängtundinihrer natürlichenEntwickelung so gehemmt, daß auchderSeherblickdesGenies ihre Geheimnissenurseltenzuergründenvermochte.Undsie.selbstvermochte

nur seltendenSchatz ihres Innern zuheben;wenn esihraberauch gelang, wenn sieLiebeempfandmitderBollkraftihres Herzens,wenn sie sichder Liebessehnsuchtbewußt wurde,soversiegelteSitte undKonvention ihrden Mund: siebliebstumm. Chamissos »FrauenliebeundLeben«war typisch fürdie Art, wiesie zu liebenvorgabundwie der WeltihreLiebeerschien.

Dieneue ZeitmitihremKultus derschrankenlosenSelbstenthüllung, ihrem Suchen nach Räthseln und Räthsellösungen,ihremvielfachneugierig lüsternenJnteresseamWeibe konntenicht ohne Einfluß auf siebleiben.

WerkewieMarie BashkirtsewsTagebücheroder GabrieleReuters »Aus guterFamilie« sindDokumente fürdenerwachendenMuthzureigenenPer- sönlichkeit.Daesjedochunter denFrauen nur so verschwindendwenige Jndividualitäten giebt,esallenFrauen aberwieeineBefreiung erscheint, empfindenundsagenzudürfen,was sie empfinden,undnebenbeidafürbe- wundert zu werden,sowar eseineselbstverständlicheFolge, daß auch solche Frauen ihre Stimme erhoben,dienichtszusagen hatten,und anderewieder, indemBedürfniß,Etwas zusagen,derPhantasieundderOriginalität- suchtalleZügel schießenließen.Dasbeweistvor AllemdieerotischeLyrik dermodernen Dichterinnen.

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496 DieZukunft.

Als natürlicherRückschlagdersittlichen Verurtheilungdessinnlichen MomentesinderWeibesliebe unsere ganzeMädchenerziehungwarerfüllt davonHfindenwirzunächstseine AnerkennungundBetonungin der selben SchrofsheitundAusschließlichkeit,mitder früherdiekraft-undblutlose Sentimentalitätgefeiertwurde.

Komm,tanzemitmirl JndenFlackerschein Meiner wildenWünschehülI’ich Dichein.

DieGeigen locken so süß, so leis, Jchbinso jungundichbinsoheiß, Undich schenkeDirindereinenNacht, WasDeine Sehnsuchtniesterbenmacht... singt Eddy Beuth.«)

Jch habeaus demübervollen PokalderLieberasch gezecht, IchnahmimSturm,imheißen, tollen LenzselgenRauschmeinJugendrecht.

Dann hatderTrotzzurothenFlammen EmpörtinmirdaswildeBlut UndallmeinLebenbrach zusammen Jn schrankenloserLiebesgluth sagtKlara Müller. (,,Mit rothen Kressen«, Großenhain, 1899.)

Gegenüberiünstlerischwerthlosen,aberpsychologischinteressanten Aus- brüchen sinnlicher Leidenschaft erhebt sichAnna Ritter in ihremGedicht

»Weihe«(indemBande»Befreiung«)zuderHöheeinerSinnensreude,die zubekennen demWeibederVergangenheit unmöglichwar:

Jchliebediese Form,dieDich entzückt:

Dieweiße Brust,anderDeinHaupt gelegen, Unddiesen Nacken,denDeinArm umschlang- Seit Deines Kusses Wonne mich durchdrang, Liegtsübermir,wieeingeheimer Segen, EinFrühlingsglanz,dermeineGlieder schmückt.

Wir hörteninderLhrikderVergangenheitdie,ach, oft so verlogene, mühsamanerzogene »keusche«Hingebung feiern;die moderne Frau giebt sichschrankenlos, siebekenntsichstolzzuihrer Schönheit,die sie dem Geliebten schenkt,nichtalsSklavin,sondernalsFreie. Die Wiedererweckungeiner

ich möchtesagen: heidnischen Sinnensreudekommt auchinihrem ,,Brautlied«(,,Gedichte«)zumAusdruck:

Säumt mirdes«LagersLinnen Mitdunkler Rosen Zier, MitblühendenGewinden Umkriinztdie niedreThür

«)S.Paul Grabein, Liebeslieder modernerFrauen. Berlin 1902.

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DieLiederderneuen Frau. 497

UndöffnetweitdieFenster, DieSonne lacht herein:

VollLicht sollmeineKammer, MeinHerzvollJauchzenseint

Auf diesemMuthzur Liebe, diesem LösenvonallerKonventionberuht ein gutes Theil derEmanzipationdesWeibes. SiestelltdemaltenIdeal derschüchternenBraut,dienur vonSeufzernnndHändedrückenträumt, und demaltenTypusderGattin,diesichder Liebesfreudeschämt,falls sieüber- hauptvorhandenistundnichtzur elelnLiebespflichtentartete, daslebensvolle BildderGeliebtenundLiebendengegenüber.Sie erhebtdenBegriffderGe- liebten, den wiruns leidermitdem derkäuflichenEintagsmaitresse aufeine sittlicheStufe zustellen gewöhnthaben,zurHöhereiner Sittlichkeit,die immer mitderinneren Wahrhaftigkeit identisch sein muß.Wietief aber die Frauenselbstnochinder altenAuffassung befangen sind, beweisteine ArtihrerDichtungen,dieman nichtohne Grund Dirnenlyrikgenannthat.

Wäresie wenigstensalssolche wahrhaftig! Abersieträgt alleZeichendes AhiichtlichennndBerlogenenanderStirn. JhreVertreterinnen verwechseln ZügellosigkeitderBegierdenmitFreiheitvon derKonvention,oftbiszur Peroersität gesteigerteLüsternheitmitSinnenfreudezunddaesvielleichter ist,dieZungezu befreien alsdie Seele, undjedesmoderneMädchennach demRuhmgeizt,zuDenenzugehören,die»sichausleben«,soerwecktihr·

BeispielzahlreicheNachahmerinnen.Marie-Madeleine führtedenReigenan- Siehatan Pråvosts Demj-vierges, anLouys’ AphroditeundMirbeaus Iardjn dessuppliaes ihrePhantasie entzündet; sie hatFormtalent und einefarbig spiühendeSprachewiekaum einweiblicherDichtervor ihr.Das ist einenicht gering einzuschätzendeEroberung,diesiefürihrGeschlecht gemacht hat.Aberauchdieeinzige.Denn nur selten findetman einen echten Ton beiihr. NichtLiebeseiertsie hierwärederDichterin jeder GradderLeidenschaft,jederAusdruck sttrsie erlaubt—, sonderndieLaster der Liebe in allihrenVerzerrungen. Hier einige Proben:

...JchwillsovielSchmuckundsovielFlimmer Wieeinuratt heidnisches Götzenbild, Aus dessen Augenein dunklerSchimmer Vonseltsamen, grausamen Lastern quillt...

(Aus:EinePriesterinderAphrodite.) Ich sehnte mich so sehr nach Dir, Nach DeinerZimmer schwülenDüften, NachDeinen götterschlankenHüften, NachDeiner Ringe goldner Zier.

Dulächelststolz: »Ich habs gewußt«, Undweißt doch nicht,wieich michsehne, Zu grabenmeine Raubthierzähne Jn DeinenackteJünglinggbrust.

(Aus:IchsahDeinBild die ganzeNacht.)

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498 Die Zukunft

...Ichgab DirvondemGift,dasinmirist;

Jch gabDirmeiner Leidenschaften Stärke, Undnun,daDusoganzentlodert bist, Graut meinerSeele vordemeignen Werke»

Jch möchteknienvor einemderAltäre, DieichzerschluginfrevelhaftemWagen, Madonna rnitdenAugenderHetäre, Jchselber habeDichansKrenzgeschlagen!

(Aus: Kruzisian Wennaberhierdie FormdemJnhalt gegenübernoch versöhnlicher stimmt, so suchenandere»Dichterinnen«ihrVorbildnochzu überbietendurch Talentlosigkeit, durch noch wüstere, formlosere Phantasien, hinterdersie ihre Talentlosigkeitzuversteckenglauben.SosagtFrauElse Lasker-Schüler:

.. .EinGiftbeet istmeinschillernderLeib UndderFreveldientihmzumZeitvertreib, Mitseinen lockendenDüften DenLenzhauchderWeltzuvergiften.

UndMarie Stona ,,dichtet«:

...Und fälltesmirein, umprank’ ich Dich wild, Undpreß DichansHerz—- DuJünglingsbild, ZerfleischDir liebenddiezärtliche Brust JntollaufjauchzenderNixenlust, UndzucktDirimAugedesTodesGraus, Dann lache ich nochDein Sterben aus.

ZurpsychologischenErklärungsolcher Abnormitäten genügtesnicht, aufden mißleitten Freiheitdrang hinkutveisenz hier beginnt vielmehrdas BeobachtungseldfürdenPshchiater.Das zeigt sichvorAllemin demGedicht- band: Coniirmo teehrysmate von Dolorosa,einerFrau,diezuerstvon der berlinerLiteratengesellschaftder-Kommenden«entdeckt wurde. Abersie istkeine»Kommende«: sie isteineBertreterin deräußersten geistigenund seelischenDekadence,derlebendeBeweis dafür, wiegefährlichFreiheit für Krankeist.Nichts sprichtdeutlicher für dasdurchaus KrampfhafteimWesen dieser Dolorosa alsdieVerquickungvon Lüsternheitund·Frömmigkeitin ihrenDichtungen.EsisteinealteErfahrung,daßunbefriedigteFrauenin derMystik Ersatz suchen fürdas ihnenFehlende. Jcherinnere nur an Ehristinevon Schweden,AnnaMarie Schurmann undsomancheAndere- AusdereinenSeitekommt ihnenderKatholizismusmitseinerklugenBe- rücksichtigungderBedürfnissederSinne, ausderanderen derSpiritismus undalleseine Vorgängerentgegen.Dolorosaberauschtsich förmlichan den MysterienderKirche.SieschmelgtinWeihrauchdüstemOrgelklängen,Sünden- beichtenundDornenkronen. Undvonhieraussteigertsiesichinihrer hhsteri-

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