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Die Zukunft, 28. Februar, Bd. 42.

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Academic year: 2022

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Berlin, den 28. Februar (903.

ff- sss I .

Goethes Gott.

Maturi

Wirsindvonihr umgebenundumschlungen, unvermögend,

·

ausihr herauszutreten,undunvermögend,tieferinsie hineinzudringen.

Ungebetenundungewarnt nimmt sieuns in denKreislauf ihres Tanzes aus undtreibtsichmituns fort,bis wir ermüdetsindundihremArmentfallen.

SieschafftewigneueGestalten;was daist,war noch nie;waswar,kommt nicht-wieder:Allesistneu unddochimmerdasAlte. SiescheintAllesauf Individualität angelegtzuhabenundmacht sichnichtsaus denIndividuen.

Siebaut immerund zerstörtimmer und ihre Werkstätteist unzugänglich.

SiespielteinSchauspiel;obsieesselbst sicht, wissenwirnicht;unddoch spielt sies füruns, die wir inderEckestehen.Es isteinewigesLeben, Werden undBewegeninihrunddochrücktsie nichtweiter· Sie verwandelt sich ewigundistkeinMoment Stillsteheninihr.Sie ist fest, ihrTritt ist gemessen,ihre Ausnahmen sind selten, ihre Gesetzeunwandelbar. Gedacht hat sieund sinntbeständig;abernichtalseinMensch, sondernalsNatur.

Siehat sicheineneigenen, allumfassendenSinn vorbehalten,denihrNiemand abmerkenkann.DieMenschensindAlle inihrundsieistinAllen.MitAllen treibt sieeinfreundlichesSpielundfreut sich,je mehrman ihrabgewinnt.Siespritzt ihre GeschöpfeausdemNichts hervorundsagt ihnen nicht, woher siekommen undwohin sie gehen.Sie sollennurlaufen:dieBahnkenntsie.Werihr zutraulich folgt,DendrücktsiewieeinKindanihr Herz—JhkSchauspiel istimmerneu, weilsieimmerneue Zuschauerschafft.Lebenistihre schönste Erfindung;undder Todist ihr Kunstgriff,viel Leben zuhaben.Siehüllt denMenscheninDumpfheitein undspornt ihn ewigzumLicht.Siemacht ihn abhängigzurErde,trägundschwerundschütteltihnimmerwiederauf.

SiegiebtBedürfnisse,weilsieBewegungliebt. Jedes BedürfnißistWohlthät, 25

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330 DieZukunft.

schnellbefriedigt, schnellwiedererwachsend.Sie läßtjedesKind ansich künsteln,jeden Thornübersichrichten,Tausendestumpfübersich hingehen undnichts sehen:undhatanAllenihreFreude undfindetbeiAllenihre Rechnung.SiehatkeineSprache noch Rede;abersieschafftZungenund Herzen, durchdiesie fühltundspricht.Siebelohnt sich selbstundbestraft sich selbst, erfreutundquält sichselbst.Sieist rauhundgelind, lieblichund schrecklich,kraftlosundallgewaltig.Allesist immerdainihr.Vergangenheit undZukunftkenntsienicht. Gegenwartist ihr Ewigkeit.Sieist gütig.Jch preise siemit allenihrenWerken.Sieist weiseundstill.ManreißtihrkeineErklärung vomLeibe, trutztihrkeinGeschenkab, dassienichtfreiwilliggiebt.Sieist listig, aber zu gutemZiele;undamBestenists, ihre Listnichtzu merken.Jedem erscheint sieineinereigenenGestalt.Sieverbirgt sichintausendNamenundTermen undistimmerdieselbe.Siehatmichhereingestellt:siewirdmich auch heraus- sühren. Jchvertraue michihr.Siemag mit mirschalten.SiewirdihrWerk nicht hassen. Jch sprach nichtvonihr. Nein;waswahr istundwasfalschist:

Alleshat sie gesprochen.Allesist ihre Schuld.Allesist ihr Verdienst.

q-

«-

DieseGedankensprachGoethe1782 aus, hundertundzwanzigJahre vorderEpochedeutscherGeistesgeschichte,derenreligiöserDrang, so lesen wireben, in demvon WilhelmdemZweitenanden Admiral Hollmannge- schriebenenBriefdenklarstenundstärkstenAusdruckgefunden hat.

Z

Vom Adel.

FueinemkleinenOrtederVereinigtenStaaten vonNordamerika zeigte

J man mireinenblassen,magerenMann mitlangweiligem Gesichtund sagte erwartungvoll: ,,Sehen Sie;DasistaucheinAdeligeraus Deutsch- land«. Jch dachte zuerst,derSprechererwarte, daß sicheinheftigesTat- Twam-Gefühlbeimirbemerkbar machen werde;eshatteaber nocheine andere Bewandtnißmitmeinem Standesgenossen.Derdurch irgend welche Stürme an diesenOrt verschlageneHerrvon Xhatte zuletztineinerbe- nachbarten FabrikstadtalsKonstruktionzeichnereineauskömmlicheAnstellung gefundenundwar, wiederDeutsch-Amerikanersagt:gutab; auch hatteer dasamerikanischeBürgerrechterworben. Daereigneteessichbei derLohn- zahlung, daß seinName aufgerusenwurde, undzwarohnedieAdelspartikel, dieihmalsamerikanischemBürger auch nicht mehr zustand.Von Xrührte sichnicht. Nach wiederholtemAufruferklärteer: Jch heißeVonX;und mitderselben BestimmtheitundgrößeremRechtwurdeihm jedesmaldie Antwort: SieheißenX.Ergab nicht mach,wurdeschließlichentlassenund bliebseitdem ohne feste Beschäftigung,biser denebensoehrenvollenwie wenig einträglichenPostendesNachtwächtersin einemwhole sale store

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VomAdel. 331

erhieltundseinLeben,abgeschlossenundabseitsvon anderenMenschen, auf kümmerlicheWeiseweiterfristete.

2.In denselbenOrtkam einreicherFabrikant, auchDeutschamerikaner, aberinAmerikageboren,umdorteineFabrikvonAxtstielenanzulegen.Als erhörte,daßich nach Europa zurückgehenwolle,suchteermichmehrfach aufunderklärte,erwisse bestimmt, daßereiner reichenadeligen Familie entstamme,dereinzigeErbeseiundmichbitte,ihmzudiesemErbe,natür- licheinem SchloßmitprächtigenWaldungen,zuverhelfen.Eine lange phantastischeGeschichtevon gestohlenenKindern,treuen Dienern,Auswan- derungausDeutschlandund—- abermals natürlich verlorenen Papieren.

SeinHauptargumentwaraber:Jchfühlemichimmerzu»vornehmen«Leuten hingezogenund weißam Gefühlganzbestimmt, daß ich adeliger Abkunft bin. JmUebrigenwar er,wiegesagt, sehr wohl situirt,inseinem Wesen völligAmerikaner undbenahm sichnachdenMahlzeiten sehrunappetiilich

Z.Jn Deutschlandhattemir einSchreibmaschinenfräuleinbeimEngage- mentSchilderungen ihresKönnens gemacht,diesich nachheralsnichtder Wahrheit gemäßherausstellten.Soschmerzlichesmirwar, mußteich ihr Vorhaltungen machenundwirtrennten unsimZorn;beimAbschiederklärte sie, sie gehörederältestenjüdischenAristokratieanundkönnesicheinesolche Behandlungnichtgefallen lassen.

»Typisch«find diesedreiFälle wohl nicht,ebenso wenigkannman ihnenaberwegendesungewöhnlichscheinendenMilieu eine allgemeine Giltigkeitabsprechen.UnterganzverschiedenenVerhältnissenließensichganz verschiedeneIndividuen durchdasselbe Gefühlleiten. Nummer 1handelte unter seinem Zwangedirektgegen dengesundenMenschenverstandnndfein eigenesInteresse, gab sichauf fürdie,,Jdee«.Nummer 2hatteeinlanges erfolgreichesGeschäftslebenhintersich, daßerauchalsanerkannt adeliger Schloßherrnicht aufgegebenhätte,undkonntetrotzdemnichtvonseinem stets konservirtenund gehegten Wahn lassen.Bei Nummer 3lagdieSache anders; ihr fehltediebona tides. Ihre ,,Aristokratie«(dieverdammten Fremdwörter!)holte sie erst hervor,alssie ihrdas Selbstbewußtseinder Leistungfähigkeitersetzen sollte,undwandelte höchstzeitgemäßdasSprich- wortumin: mnnoblesse t’oblige. Diese AusmünzungderadeligenGeburt fürs Geschäftist nichtvon dertippendenDame erfundenworden,sondern vieleihrer arischenStandesgenossenwissenweitbesserdas»Geschäft«daraus zuholen.Nummer1zeigteCharakterundrepräsentirteinenTyp,dernicht selteninDeutschlandzusinden istundumdieses »Eharakters«willensich aucheinergewissenAchtung erfreut.Das sinddie Leute, derenLebensich fernvonderOeffentlichkeitabspieltund dereneinzigerGenuß ist,vorihrem Fetischzuknien. Erst ihrenTodsindenwirunter »Lokales«verzeichnet,

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332 DieZukunft.

wo von dem,,Ableben einesalten Sonderlings« berichtetwird,derscheu diegekaufteDauerwurstunter demfadenscheinigenRock zuverbergenpflegte- EsgiebtunterihnenEinzelne,die ganzzufrieden sind,denndiese Existenz ist für sieeineArt, sich auszuleben;aber der»Charakter«entpupptsich schließlichals ererbte Zwangsläufigkeit,dieWillen undGeist aufeinen engen Kanal bornirt. DerentgleisteEisenbahnwagenbleibtimSande stehen oderliegen,weilertrotz demverändertenMilieu nichtaufhört,einEisen- bahnwagenzusein; ohne Gleisekommternichtvorwärts. Dabei giebtes unter ihneneineMengederehrenwerthestenLeute, fürdieimmoralischen Sinn derBegriffderEntgleisung durchaus nicht vorliegt. Mancheleiden schwerunter ihrer Lage,abersiekönnennichtanders,obgleichsie nichtdaran denken, andereBerufeoderBeschäftigungenalsihrer unwürdigzuerachten;

esist ihreNatur, diedenGabeln jeglicherGrößeund Art Stand hält- SiehabenmancheBeschäftigung,manchen Beruf versucht,aberihrererbtes Ichbleibtundder unüberbrückbareZwiespalt zwischenihmunddenäußeren VerhältnissenlähmtdenMann, macht ihn unglücklichund unfähig.Die Vergangenheit man kannauch sagen:dieGeschichteoder dieZucht rächt sichanihm, sobalderdiedurch sie gewiesenenBahnenverläßt. Esist eben so beliebt wie albern,voneinerEntartungdesdeutschenAdels—- wenn wirvorläusignoch diesenSammelnamen geltenlassenwollen zusprechen, denn der Adelist heute sogut undsoschlecht,wieerje gewesen ist,ebenso klugund ebensodumm. Die soziale Entwickelungund das freizügige Kapital sindaberimBegriff,überihn hinwegzugehen,weilernichtdie Elastizitäthatte, sichzumTräger wenigstensdersozialenEntwickelung zu machen;undwenn derBourgeoisüber denJunker jammert, zeigterdamit nur seine eigenekurzsichtigeEitelkeit, dienachbaldantiquirten Zielen strebt.

Jch beabsichtigenicht,demLeserjetztin lichtvoller, sozialpolitischerund historischerAuseinandersetzungmeinen »klarenundvorurtheillosenBlick«zu beweisen noch auch ,,mein Nestzubeschmutzen«,sondernwill nur einige Curjosa erwähnenundzubegründenversuchen.

Unendlich oft begegnetesEinem,daßeinBürgerlicherzwischenKassee undLiqueurmitjener stolzenund doch so liebenswürdigenReserve sagt:

»Ja, ich begreifevollkommen,daßSieaufJhrenStand undNamenstolz sind-« »Dasbinichgar nicht.« »Na, lassenSie nur; wiegesagt, ich habevollesVerständnißdafür,aberum nichtsinderWeltwürdeichden Adelannehmen,wenn ermirangebotenwürde-«»Gewiß;warum dennauch?«

,,Sehen Sie,Sie würdenmich nicht fürvollhalten. JchkannIhnen übrigenssagen imVertrauen aber, bitte—, daßmeineFamilie früher adeligwar« (ein mächtigerSiegelringundeineBerloquewerdenzurBe- kräftigunggezeigt);»einermeinerVorfahren hatdenAdelabgelegt,weilerver-

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VomAdel. 333 armte. Mein Vater wollteihnwieder annehmen,aberdiePapiereund Kirchenbücherwaren nicht mehr aufzufinden;verbrannt jedenfalls. Jch habe meinen Stammbaum ausgearbeitetund alleNachrichten,deren ichhabhaftwerden konnte, zusammengestelltundnachderhistorischenWahrscheinlichkeitergänzt.

..WennesSieinteressirt,schickeichJhnendiePapiereeinmalzu.«Esistimmer dieselbe Geschichte,vomAnfangbis zumSchluß.EineigenthümlicherWider- spruch, daß gerade dieseLeute, diesogerndas»Wörtchen,von·«, wie dies Marlitt sagt, ihremNamen vorsetzenmöchten,sichamMeistendarüberent- rüsten,daß der Adelso wenig »nachVerdienst«verliehenwerde,sondern, weilangeboren,dieEntwickelungeinesVerdienstes ersticke. Auch-sie sind- wiesie sind,undkönnennichtanders denken, alssie denken;aberdaß sie sodenken,ist schwernachzufühlen.BürgerlicheFamilien undBauerngeschlechter, zumBeispielinDithmarschen,existiren,diesich urkundlichbisin dasfrühe Mittelalter zurückführenkönnen,undin keinemvonihnenwirdjeein Glied denWunsch nachdem Adelgehegt haben.Siehaben,wieadeligeFamilien, bewußtodernicht,die FamilieJahrhunderte lang aus ungefährdemselben Niveau zuhalten verstanden.Undeben Dasist, theoretisch,der innereWerth des Adels: diereineZucht,dieBeständigkeitimWechsel. Praktisch hat sich dieEntwickelungvielfachanders gestaltet,undwieesalteEisenschiffegiebt, von denenman sagt, daßnur die dick undimmerwiederaufgetrageneFarbe sie zusammenhält,so auch hier.DieMaschinen leisten nichts mehr-unddie Manövrirfähigkeitist gering;nur reichlicherFlaggenschmuckmacht sie noch ansehnlichundzumGegenstandedesNeides. Deshalb gehört auch dieser Neid desselbstbewußtenBürgerszumLächerlichsten,wasdieNaturgeschichte bietet. NatürlichistesinersterLiniedieEitelkeit,dannäußererVortheil;

wieoft kehrt sich dieser äußereVortheil schoninderzweitenGeneration in dasGegentheilund nur dasfrohe Selbstgefühl,dem,,Adel« anzugehören, bleibt! Diestabilen Lebensbedingungen,dasgesundeLebeninfreier Luft trivial,aber wahr habendasWerden der»alten Familie«ermöglicht undthunesnoch,woGeldundGrundbesitz ist;woesnichtwar, bildete sichdieOffizierfamilie,derenZukunftalssolcheallemAnschein nach recht bedroht ist. Daßaber derKapitalreichthumnicht genügt,umindiesemSinn eineFamilie zubegründen,siehtman täglich.Esistdameisteinkluger undgeschickterMann,indem dieFamilie ihren Gipfelpunkt erreicht, während dieSöhneundEnkelsichaufdasTragenvonSackpaletotsundauf Automobil- fahren beschränken.DieHauptstärkederFamilie,dasZusammenhaltenals Clan,ist heutzutagekaummehrneu zuschaffen; auchdenalten Familien gehtesimmermehrverloren undmußesverloren gehen.Man könnteauf denerstenBlickannehmen,daß gerade heutzutageesimInteresseder,,Familie«

läge,auchsolcheGliedernochferneransichzufesseln,die innicht standesgemäßen

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334 DieZukunft.

Beruer arbeiten,umihren Einflußpolitisch aufsieauszudehnen.Dasistaber unmöglich,denn derAdel,wieerseinzumüssenglaubt,würdesichdamit selbst verneinen. AndiesemBeispiel zeigt sich anschaulich, daß nichtderName

unddieFamilienzugehörigkeitdenStandeszusammenhang machen, sondern lediglichdie materiellen InteressenunddieSicherheit, daß jedes Familien- gliedebendiese Interessenganzvertritt. Kann undthutesDas nicht, so fälltesentweder vonselbstausdemZusammenhang herausoderwirdhin- ausgesetzt;undumgekehrtistderfestepolitischeZusammenschlußAdeligerund Nichtadeliger,wieerimmer mehrhervortritt, sowohlein Beweis,daßder Kollektivbegriff,,Adel«eineInteressentengruppebezeichnet,alsauch, daßder Adelselbstmehrundmehr aufhört, diese Interessen fürsichallein inAnspruch zunehmen.WasaberaußerdieserGruppe noch adeligeNamen führt,wird ingenere, abgesehenvonRegenerationen durch hervorragendePersönlich- keiten,sichentweder assimilirenoder aber, beiunpraktischemHervortretendes ,,Standesbewußtseins«,untergehen.

DieVerleihungdes Adels, diefürdiePersoneineAuszeichnungsein soll,wirdalso fürfernereGenerationen entweder indifferent,wenn sie nicht mit Dotationen verbunden ist,oderabersie ist schädlich·Sie hatdenselben WerthwieeinOrden undkannnur denPersönlichkeitenFreudemachen, dieäußererAnerkennung bedürftigsind, seiesaus innerer oderäußerer Armuth.WieJemanddie,,Erhebung«alssolcheempfindenkann,istmir unbegreiflich;unddoch giebtessolcheLeute. Ebenso ungreiflich erscheint dasauch thatsächlichvorhandene GefühlderZugehörigkeitzu einem»Stande«.

Woist außerhalbderInteressengruppeder Stand? Esist richtig, daß lange Tradition ähnlicheLebensgewohnheitenhervorbringtunddieseeinegewisse äußerlicheGemeinsamkeitzurFolge haben,diezweiMenschenzuerst schneller einandernäherrückt, das Stadium, woman einander beriecht,verkürzt;fehlt aberdieInteressengemeinschaft,so kommtinnereSolidarität inFolgeder gemeinsamenadeligenAbkunftkaumzuStande;eherdasGegentheil. Ganz schlimmabersinddieNeuavancirten, diekeinenSatz sprechen, ohne»in unseremStande«einzuschalten.Nein:der AdelistkeinStand;mitgrößerer Berechtigungkönnteman dieKatholikeneinenStand nennen. Man wird mirhierdenEinwand machen,daßdochdasVorhandenseineines Standes- gefühlsnichtzubestreitensei.Dasthueichauch keineswegsundbinsogar vomStandesgefühlhier ausgegangen; ich bestreiteaber,daß sichdaraus auf VorhandenseindesStandes selbst schließenläßt. AbstrahirenwirdasZu- sammengehörigkeitgefühl,das dieVertretungundderKampf füräußereInter- essendenGliedern derInteressentengruppemitNothwendigkeiteinflößt, so bleibtalsreines und alsobegründetesGefühlnur dasderFamilie. Es hateinen vorwiegend retrospektivenCharakterund unterscheidet»sichschon

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VornAdel. 335 dadurchvon deminalldenFamilienvorhandenen,derenVergangenheitder lebenden Generation garnichtoderwenigbekannt ist; deshalb istesauch durchwegstärker.Wenn richtig angewandt, liegt hierineinunmeßbarerer-

ziehlicherWerth,wenn unrichtig,eineGefahr,diesichbaldzurächenpflegt, undzwaran derFamilie; ich habe darüberschonvorhin gesprochen.Die Möglichkeitderinneren UndäußerenFamilientradition wird aberbedingt durchSeßhaftigkeitderFamilie undeinen,um sichso auszudrücken,grad- linigen Verlauf durchdieGenerationen hindurch.Geradediesewerdendurch dasZeitalterdes Verkehrs undKapitalsimmermehr gefährdetundinFrage gestellt,undwenn dieadeligen Grundbesitzer aufs Aeußerstefür Erhaltung ihres GrundbesitzesunddieGlücklicheren,dieDas nicht nöthighaben,für weitereVerbesserungihrer Lage kämpfen,so kämpfensieinersterLinieauch fürdasWeiterbestehenderadeligenFamilie;diese verschwindetaberschnell bisaufdenNamen,wennGeldmangelvonGeneration zu GenerationBeruf undOrt zuwechseln zwingt.Die Einwirkung sonstiger, politischerund sozialer Verhältnisseist mir nichtunbekannt,dochderRaumverbietet,hier darauf einzugehen.Das Individuum wirdgleichwohlbeinaheimmerund unter allenVerhältnisseneinenRest diesesFamiliengefühlsbewahren,das je nach seinem WertheoderUnwertheentweder in derPersönlichkeitaufgeht oder»alsdersogenannte adeligeHochmuth sich innerlichverdummend oder äußerlichlächerlichbemerkbarmacht.Dassichdaraus aposterjori ablei- tendePseudo-Standesgefühl,wieichsnennen möchte,ist meisteinAttribut derzweiten Kategorie,desbeschränkten,derAnlehnung bedürftigenHeerden- thiereszdennanders kann man einIndividuumnichtnennen, das—- ich redenichtvon derVertheidigunggemeinsamerFutterplätze—für sein Selbst dieAnlehnunganundRubrizirunguntereinegrößereKategorievonMenschen nöthighat. DaßDasnichtnur von Adeligengilt, sondern überhauptdie

»ideale« SeitedesmitGemeinsinn behafteten Staatsbürgersbildet,brauche ich nichtausdrücklichzuerwähnen.Es giebt Wenige,diesichnicht»mit«

Stolz-«zUJrgendetwas zählen;dennDasistbequem;man erkenntanund wirdanerkannt;essind ihrer Viele, so daraufwandeln. ZudenNullen irgendeinerimaginärenEins zugehören,istimmereinZiel,dasViele lockt.

FürAdeligeundSolche,dieesgernwerden wollen,wirddieses PseudokStandesgefühldadurch besonders verlockend, daßderadeligeName fürdiegroßeMengederNichtadeligennochimmer miteinemgewissenNim- bUsUmgehenist; fürdiesogenannte Gesellschaft istereineEmpfehlungs- karte,währendderNichtadelige,dernichtMandarin irgend welchenGrades oderreich ist, erst sehr vorsichtigberochenwird. Wer Dasweißunderfahren hat, fühlt stolzeinfrohesStandesgefühlinseinHerz einziehen·

NützlichistderadeligeNameauch fürdiesogenanntesozialeExistenz,

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336 DieZukunft.

wofür dieHochstapler männlichenund weiblichenGeschlechtesdenbesten Be-·

weisliefern,dennsienobilitiren sich durchwegunderzielen bemerkenswerthe Erfolgedamit. DerName desauf qdenErwerb angewiesenenAdeligenwird mitVorliebe undErfolgvon,,weitblickenden«Geschäftsleutenunter Jnkauf- nahmederPersönlichkeitbenutzt;die»Repräsentationstellung«isteigensfür ihnerfundenworden« Natürlichrechnet auchersichzum»Stande«.Das istderSteckenundStab, derihn tröstet.

Eben so unbestreitbarwiederVerdauungmechanismusundebenso merkwürdigist,dasStreben,irgendwie aufdieNachweltzugelangen, sei esselbst durchden Adelskalender. DieEitelkeit, sichvonUrenkelnalsVei- spielaufgestelltzu denken, zuwissen,daßman ein,,hervorragendes«Glied derLiniegewesenist, giebteinenStimulus von großerWirksamkeit. Nicht eitle undaufrichtigeIndividuenwerdenüberhauptkeine innerenBeziehungen zwischensichundderNachwelt findenkönnen, ebenso wenigwie zur Mit- welt,esseidenn,daß starke AnlagendesGeistesundCharakters äußere Bethätigungfordern,dieohne Mitmenschenleidernicht möglichist«

Aberichhabeetwas Wichtiges vergessen:die Ideale, die »idealenBe- strebungen«!Sieverbinden vielleichtalsunsichtbaresMedium dieTräger adeligerNamen undstellendenStand her.»Ideal« ist nachdemheutigen SprachgebrauchEtwas, dasman nicht hat,abergernhaben will; hatman es,sokommtein Anderes daran. Unddie,,idealeBestrebung«gehörtin dieselbe Kategorie hinein,dadasJdealeseinereigentlichenBedeutung nach dieAusschaltungdesWillens verlangt. EineidealeGemeinschaft,diealso aufreininnerer Gemeinschaft beruht,könnte niemals mitdemweltlichen Namendes»Standes« bezeichnetwerden. Daß diese Gemeinschaftdefacto innerlich nicht bestehtundnicht bestehenkann,gehtaberauchaus demGe- sagten hervorzesistebennur dergemeinsameFarbenstrich,deraus einer Zeit stammt,inderderAdeleinStand war.

Jchbinsehrweitdavon entfernt,andereStände oderInteressenten- gemeinschaftenanderszubeurtheilen;derHeerdenthieregiebtesinihnennur bedeutend mehr, entsprechenddemgeringeren persönlichenSelbstgefühl,und dasliberaleJdeal istam letztenEndeeinsehrgreifbares Ding; sie haben esnur noch nicht.WasvieledieserGemeinschaftennoch minderwerthiger machtalsdenAdel,istdasSchielen nachdiesem,sobaldGeldund»hohe«

Verbindungeneserlauben. So lange dieseHoffnungeninErfüllunggehen undreiche TöchtermitgutenPapierenalle»inschwankenderErscheinung«

schwebendenaltenNamenbefestigen,können dieVertreterdesStandesgedankens ruhigundunbesorgtsein« Jn diesemSinn wirdauchderAdel weiterblühen;

undMangelanJdealenwirdnichteintreten.

Charlottenburg - s

Graf ErnstzuReventlow.

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DieZukunftderSoziologie 337

Die Zukunft der Soziologie.

Während

anden»rechts-undsiaatsunwissenschastlichenFakultäten« (so Assollten sieheißen!)dieöde »LeerevommodernenStaate« gähntnnd ,,juristische«Staatsrechtslehrer ihre scholastischen(um nichtzusagen-:tal- mudischen) Purzelbäumeschlagen: vollzieht sich fernvon den,,Stättender freien,voranssetzunglosenWissenschaft«(wer lachtdanicht?)derAusbau derWissenschaftdeszwanzigstenJahrhunderts, derSoziologie.Da keimt undsprießtesanallenEckenweithinüberzweiWelttheileundschießtüppig indieHalme:dieneueWissenschaftvonden»menschlichenWechselbeziehungen«

(Ratzenhoser).Dienoch nichteinJahrhundertalteLiteratur ist namentlich inden letztendreiDezennien so angewachsen, daß siederEinzelnekaum übersehenkann,zumalangelsächsische,romanischeundslavischeNationen hier mitgleicherEmsigkeitzusammenwirken.Mit Dank wird dennauch schon heutejeder Versuch begrüßt,dieOrientirung aufdiesemriesigenWissenschaft- gebietzuerleichtern.Einen solchen Versuch, freilichnur nacheinerSeite, nnternahmen Paul Barthinseinem verdienstvollenWerk: »Die Philosophie derGeschichtealsSoziologie«(1897)undneulich Goldsriedrichinseiner

»HistorischenJdeenlehreinDeutschland«. Doch berücksichtigendiesebeiden Schriftstellernur denTheilderSoziologie,dersichmitderDeutungund ErklärungderMenschheitgeschichtebefaßt.Einen recht praktischenVersuch, uns dasGesammtgebietderheutigenSoziologiezuerhellen, unternahmvor einem Jahr LesterWard ineinerArtikelseriedesAmerican Journal of Sociology. Ohne sichausdieFrage einzulassen,was eigentlichSoziologie sci,zählterunsgeradeeinDutzend verschiedenerRichtungen sozialwissen- schaftlicherUntersuchungenauf, denendieFlaggederSoziologievoranweht.

Schonein BlickaufdieBezeichnungendieserzwölfRichtungenistlehrreich;

dafindenwir: 1.SoziologiealsPhilanthropie;2.alsAnthropologie;3.als Biologie;4.alspolitische Oekonomie;5.alsGeschichtphilosophiez6.als spezielleSozialwissenschaftz7.alsBeschreibungsozialerThatsachen (Demo- graphie);8.alsGenossenschastlehre;9.alsTheoriederArbeitstheilung (Dürkheim);10.alsTheoriederNachahmung(Tarde);11. alsTheorie desunbewußtensozialen Zwanges;12.alsRassenkamps Jeder dieser Rich- tungenerkenntWardeine relative Berechtigungzu; dochist jedenur ein TheilderSoziologie. »DieseverschiedenenRichtungen«,sagter,,,gleichcn einerAnzahlkleinererFlüsse;die allebestimmt sind,ineinengroßenStrom sichzUergießen-derdie ganzeWissenschaftderSoziologiebildenwird,wenn einmaldieZeitdersozialenMyopievorbeiseinwird.« DieseWortetreffen denNagel ausdenKopf. Denn währendman beiuns häufigdieAnsicht hört,dieSoziologie seigarkeineselbständigeWissenschaft,dasiekeinen ein-

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