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Die Zukunft, 15. Dezember, Bd. 33.

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Berlin, den tö.Dezember 1900.

TI If

Deutsche Weltpolitik.

In derReichstagsdebattederdrittenNovemberwochestnd zweiUmstände

)nicht erwähntworden,von denendererstemindestensBeachtungver- dient, derzweiteaberfüruns DeutschedenKernderSachebildet. Die heutigen Kulturstaaten unterscheiden zwischenNaturvölkern,dieeinfachals primi ooaupanth behandeltwerden, undzwischenStaaten, denengegen- über derScheineinesRechtes gewahrtwerdenmuß.Bei dieserUnter- scheidungspieltdiewahre Kultur,die inderHumanitätbesteht, ausdem einfachenGrunde keineRolle,weilesvonihrkeinejuristisch verwerthbaren Kennzeichengiebt, sonderndabei kommtnur dietechnischeEivilisationin Betracht. EinStaat imSinn desmodernen Völkerrechtsist vorhanden, woeseineseßhafte,gewerblichthätigeBevölkerunggiebt,eineregelmäßige, wieimmer geordneteVerwaltungund eineRegirung,dieAnleihen auf- nehmenkann. Jn diesemSinn istChina zweifelloseinStaat,isteseiner gewesen,alsEuropa nochkeineneinzigenStaat hatte.Esistinhöherem GradeeinsolcherStaat alsRußland,dasnur militärischdenEhinesen überlegenist dankseinerwesteuropäischenNachbarschaft—, inallem Uebrigenihnenweitnachsteht.DieEhinesen sind sehrvielthätigeralsdie Rassenund habenweitmehr Schulbildung. Jhre Staatsverwaltung ist- nicht schlechteralsdierussischeznndvor Allem: siehaben ihr ganzesLand

neinenFruchtackerundFruchtgartenverwandelt,währendderRasseseinen Bodenauchzaufderfruchtbaren Schwarzerde verwahrlosenund versanden läßt.Die Acker- undGartenerdeistkeinNaturprodukt, sonderneinProdukt menschlicherArbeit. DieEhinesen haben sichihr Acker»-und Gartenland in Jahrtausenden mühsamerArbeit geschaffen,und wenn esirgendwoin der Welteinheiliges Eigenthum giebt, so istesdieses.UnddieHauptsache:

derchinesischeStaat istdereinzigeGroßstaatderWelt, derniemals einen 81

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anderen Großstaat geschädigthat. Jnvasionenhatererlitten,z. B.eine von denHunnen,dieerseiner Civilisation unterworfenundsich assimilirt hat,erselbstaberhatniemalswederEroberungskriegenoch Beutezügeunter- nommen, sondernsich friedlich aufdas ihmvon derNatur angewiesene Gebietbeschränkt.WelcherStaat unseres Kalturkreiseskann Das vonsich rühmen? Nichteineinziger!Darum sindalleEinfällederEuropäerins chinesischeGebiet,von denabscheulichenOpiumkriegenderEngländerange- fangen,derblutigsteHohn aufs Bölkerrechtundnichtsalsnackte Räuberei.

DaseinzigechinesischeErzeugnißherauszuholen,das dieEuropäerbrauchen, denThee,istihnenniemalsverwehrt worden;undeuropäischeErzeugnisse auszuschließen,die derEhinesewederbraucht nochmagundzu denenaußer denWaaren auchdieGedanken,Sitten undReligionen gehören,ist sein gutes Recht.DasEinzige,worübersich einzelneStaaten beklagenkönnen, istdieEinwanderungchinesischerArbeiter. Diekönnensiejedochverbieten;

undkommendiezudringlichenRackertrotzdem, sokannman siejainsMeer werfen; dagegenkönnte diechinesischeRegirung nichtdasGeringste thun.

Also:derEinfallderMächteinChinabedeutetdenamtlichen Verzicht aufdieDekoration,dieman dasVölkerrechtnennt. Und Dassollteimmer- hin registrirtwerden. Berwerflichwäreesdarum ansich noch nichtzu nennen, dennin derPolitik hatderBegriffdessittlich Verwerflichenkeine Geltung. Kultur, Humanität,Moral sindGüter desPrivatlebensund kleinerGemeinschaften.DiePolitik istderorganisirteKampfums Dasein, in demnur dasRecht,des Stärkerengilt. Wenigkommtdaraufan, ob dieHunnenbriefeWahrheit berichtenodernicht«WennesinChina hunnisch zugeht, so hatNiemandeinRecht, sichdarüber zuverwundern;untersolchen Umständenistesstets sozugegangen und wirdesstets so zugehen.Kein Menschzweifeltdaran,daß dieEngländerim Burenlande, unterAriern und Glaubensgenossen,einJahr lang hunnisch gehaust habenund heute noch hausen,unddoch sinddieEngländereinVolk,dassichimReichthuman

feinsten Blüthen echter Humanität,Dichtkunst, Wissenschaft,Nächstenliebe mitunsDeutschenmessenkann;undsiesindobendreinvielgläubigereChristen alswirDeutschen.DiePolitik,die imgrundsätzlichenUnrechtverübenbesteht, bringteben allesSchlechteundBöseandieOberflächeundzurHerrschaft.

Jch sage nicht:alleSchlechtenundBösen;dennDie in derPolitikSchlechtes undBöses thun,zuthungezwungensind, sindimPrivatleben oftdieedelsten, gerechtesten,vernünftigstenundliebreichstenMenschen.Dieganzepolitische GeschichtederMenschheitist,vom StandpunktedesKulturmenschenaus betrachtet,eineinzigerStrom von SchmutzundBlut, eineeinzigeKette dergräulichstenVerbrechen.Wennman DaszumerstenMal merkt, glaubt man ja,verrückt werden zumüssen.Beimir liegt dieserMoment über

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DeutscheWeltpolitik. 445 dreißigJahre zurück. WüßteesBebel, sowäreesumdieliebenswürdige naiveEntrüstung,die ihn beim Anblickjedes Unrechtes packt, geschehen.

DochalleHunnengräuelwürdennicht hinreichen,dasChina-Abenteuer zuverurtheilen,wenn eseinenpolitischenNutzen brächte;denn inderPolitik gilteben keine andereMoral wennman durchausvonMoral in derPolitik reden will—- als die denJesuitenmitnur sehrbedingtemRechtzugeschriebene.

AberdiesesAbenteuer nütztnichtsundrichtetnur Unheilan. Beidieser BerurtheilungdenkeichnichtandieDinge,dienachein paarWochenallen Gassenjungengeläufigseinwerden: daß unser winziges Bischen Handels- interessedadurchnicht gefördert,sondern geschädigtwird ;daßwirauf fried- lichemWegeganzsicherzudenchinesischenKohlenlagerngelangt seinwürden, ehe unsere deutschenderErschöpfungentgegengehenwerden; daßdieZwangs- erziehungderOstasiatenzugewerblichenKonkurrenten dieunbegreiflichste allereuropäischenDummheiten ist; daßman,um sichdiegeforderteGenug- thuunginPrinzenköpfenundTaelszusichern,ganzChinaerobernundin europäischeVerwaltung nehmen müßteund daßeinKondominium von siebenoderacht Großmächten,wenn eszuStande käme, einDingzum Totlachen seinwürde. Also diese selbstverständlichenDingemeineich nicht, sondern: daßdas ChinaabenteuerdenEntschlußderRegirungbedeutet, DeutschlandindieBahnderExpansion nach englischemMuster hineinzu- treiben. Das istmirdersKern derSache.

MitdemWirthschaftlebenverhältessichetwas anders alsmitder Politik;eszwingt nichtunter allenUmständenzurUngerechtigkeit,sondern

nur ingewissenAbschnittenseines Verlaufes. JmerstenStadium istes einRingenmitderNatur undeinProzeßfortschreitenderArbeitstheilung undArbeitvereinigung. Jn diesemStadium giltdasGesetzderBevölkerungs- kapazität:je stärkerdieBevölkerungwächst,desto mehr wächstdieFähigkeit desBodens, einenochgrößereVolkszahlzuernähren,weilinFolgeder fortschreitendenArbeitgliederungdieProduktivitätderArbeit noch stärker wächstals dieBolkszahlJn diesemglücklichenZustandewirdderneue Ankömmling,er mag einEinwanderer odereinneugeborenesKindsein, nichtalsKonkurrent gefürchtetundgehaßt,sondernalsnützlicherGehilfe undMitarbeiter liebreichundfreudig begrüßt.DerwirthschaftlicheNutzen stehtimEinklangmitderMoral. Dieses glücklichenZustandes haben sich nichtetwa blosdieGriechenderhomerischenZeitoderdiedeutschenBesiedler OstelbiensimzwölftenunddreizehntenJahrhundert erfreut, sonderninweit höheremGrade weil mit vollkommnerer Technikausgerüstet dieBesiedler Nordamerikas bisum dasJahr 1860zundheute noch erfreuensichseiner dieAnsiedlerineinigen australischenKolonien,in Neuseeland,inSüd- brasilien,inArgentinien(soweitsiedanichtschonvonKapitalisten ausge-

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beutetwerden); auchinChilelebtman noch behaglich.Das selbeGlück würdeaufsNeueerblühen,wenn dienochverfügbaren,theils jungfräulichen, theils verwahrlostenGebietebesiedeltwürden. Nochganzunbebaut sind die ungeheurenGebietedesAmazonenftromes,Orinocos und desOberlaufes derZuflüssedesLaPlata, verwahrlostdiemeistenLänderdesspanischen Südamerika, Borderasien, dieBalkanhalbinsel,UngarnundSüdrufland.

DieBevölkerungskapazitäthat,wieallesIrdische, ihreGrenze.Ueber diesehinaustritt Uebervölkerungein. »Siezeigt sichdarin,daß nicht mehr alleVolksgenossenproduktivDasheißt:nützlich beschäftigtwerden können.

EntvölkerungeinzelnerProvinzen,wie beiunsOstelbiens, isteinSymptom derUebervölkerung:weildieErzeugungundVerarbeitungderheimischen Bodenfrüchteaufderzu kleingewordenenScholle(Verschuldungmachtauch diegroßeScholleklein)den Mann nicht mehrnährt, istergezwungen,in dieindustriellenCentrenabzuwandern,wofürsAusland oderfürdenLuxus derReichenoderfürdiemilitärischenMord- undZerstörungmaschinenge- arbeitetwird. Wenn beiroher Technikneun ZehnteldesVolkes Bauern sind,lebendieseneun Zehntel,alsoderallergrößteTheildesVolkes,in jämmerlichsterArmsäligkeit.BeimittelmäßigerTechnik istdergesunde Zu- standerreicht,wenn derlandwirthschaftlichenBevölkerungeinegleicheZahl vonGewerbetreibenden undAngehörigendersogenannten freien Berufezur Seitesteht. JeeinelandwirthschaftlichthätigeFamilievermagaußer sichselbst einezweite FamiliemitNahrungmittelnundRohstoffenzuversorgen;und Das,was ihr dafürdie andereVolkshälfteanKunsterzeugnissenundgeistigen Güternliefert, reicht für ihren Komfortundihre BildungundGemüths- bedürfnissevollkommenaus. DiesesVerhältnißbleibtaberauchbeifort- schreitenderTechnikdasgesunde. Allerdingsmüßteman eigentlichfordern, daßdieZahlderGewerbetreibendenundgeistigProduzirendenimV:rhält- nißzu der in derRohproduktionBeschäftigtenstetigkleinerwürde, weil bei fortschreitenderTechnikzurHerstellungderselben Mengevon Gewerbe- erzeugnisseneineimmer kleinereAnzahlvonArbeitern erfordertwirdund weiletwazwanziginBuchdruck,Buchhandel,Buchbinderei, Papierfabrikation

u.s.w.Beschäftigtezusammenmitdem einenAutorgenügen,hundertMil- lionenmit dessenGedankenzuspeisen, währendinderZeitdesBücher- schreibenskaum200000 Arbeiterdazu hingereichthabenwürden.Abermit fortschreitenderTechnik vermehren sichauchdieBedürfnisse;undso lange diese nichtinsUnsinnigeundSchädlicheausarten, kannman jaderMenschheit eine immerreichlichereBedürfnißbefriedigung,schonalsZeitvertreib, gönnen.

DasVerhältnißbraucht sichalsobeifortschreitenderTechniknichtzu ändern.

AbersobalddieZahlderlandwirthschaftlichThätigenunter dieHälftesinkt, istan dieBeschäftigungallerübrigeninnützlicherProduktion nicht mehr

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Deutsche Weltpolitik. 447 zu denken. DannentstehendieZustände,dievonmir und Anderenoftgenug geschildertwordensindunddieja JedermannbeiunsvorAugen hat. Nicht mehrmitderNatur wirdgerungen, sondernmitdenKonkurrenten. Ein·

großerTheilderBevölkerungist nicht mehrdamit beschäftigt,etwas Nütz- licheszuschaffen,sonderndamiteinenAnderenausseinerArbeitstelle zu verdräv gen oderdieFrüchtederAibeitAndererdurchSpekulation, Schwindel, Spiel oderBetrug einzuheimsen.VondenArbeitenden produzirenViele theils ganzwerthlose, theils schädlicheLuxusgegenstände.DieNeklame,die neben derBeschwindelungderKäufer auchdieVernichtungderExistenzderKon- kurrentenzumZweckhat,wirdeineigenerErwerbszweig,dervielePersonen ernährt. Dieserbrutale undleidenschaftlicheKonkurrenzkampferzeugteine MengeKollisionen,dieman zuGesetzoerletzungenstempelt,indemman Gesetze dagegen erläßt. Zugleich wächstaus dergroßenZahlvon Schwächerenim Kampf,aus denLüderlichenundaus denSchlaueneineSchicht derDe- klassirten,dievomLumpenproletarierunddemgemeinenGewohnheitverbrecher biszumHochstaplerunddemvornehmenSpieler reicht.Das Allesmacht eineUnzahlvonGerichts-undPolizeibeamten(ein völliggesundesStaats- wesen würde garkeinebesoldeteBeamten haben)und eineUnmassevon Kosten nöthig,dieam letzten Endegleichallen Kosten Niemand alsder wahrhaft Produktive trägt. (Mandenkenur andieKostendervollkommen überflüssigenSkandalprozessederletzten Zeitl) Dassichimmerunlöslicher versitzendeGewirrzwingtdieBehördenunddieMenschenfreunde,Aufpasser zubestellen undGeld undArbeitkraft ohne Maßauf-Untersuchungenzu verwenden, dasErgebnißderUntersuchungzwingt dazu,neue Gesetzezu erlassen,zu derenDurchführungneue Aufpasser,neue Beamten anzustellen, derenvergeblicheThätigkeitzuneuen Enqueten zwingt, undso fortin inlinitum. UnddiePresse verführteinunendliches,zumgrößtenTheil ganzunnützesGewäschüber das Alles. BeiHunderttausendenwiewahn- sinnig SchuftenderundHastenderläßtsichgarnicht mehr beurtheilen,ob csetwas NothwendigesundNützlichesoder wenigstens Unschädlichesist, womit sie sichabrack2rn. WennicheinengroßstädtischenRangirbahnhof sehe, dieses unendlicheGewirr von Gleisen, Signalvorrichtungenund Lichtern, dessen bloßerAnblickschon schwindligmacht, sowundereich mich jedesmal darüber, daß nicht täglichein paarHundert Menschen gerädertundzermalmt werden. Selbstwenn dieEisenbahnverwaltungauf ihre berüchtigteSpar- samkeit verzichtete,würde beisolchemVerkehrdieZunahmederUnfällenicht abzuwendensein. Daß nichtweitmehrgeschehen,isteinglänzendesZeugniß fürdieSpannkraftundPflichttreueunserer Bahnbeamten.Undindiesem verwickeltenEisenbahnwesensehenwirnun sowohleinProduktalseinan- schaulichesBild unseres wirthschaftlichenZustandes.DieUeberkünstlichkeit

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desGetriebesunddieübermenschlichenLeistungenseiner lebendigenRädchen gewährenjademBeschauereineArtvon ästhetischemGenuß,deraberdoch vom GrauenundvonderAngstvorderZukunftweitüberwogenwird.

VermehrungderStrafgesetze,derPolizei,derRichter,derGesäng- nisse, Enqueten,Sozialreform, großstädtischeWohnungreformkönnenandem Zustandenichtsändern. All diesevonviel tausend braven Männern undFrauen mitbewundernswertherAufopferunggeübtePflichterfüllunggleichtdemFlicken einesaltenmorschenGewandes,in dasdieNadelderFlickerinneue Löcher reißt.Daß Gräuel,wiesieinFabrikenundGruben anKindern vorsechzig JahreninEnglandverübt wordensindundinItalien heute nochverübt werden, daßsolcheGräuelaufhören,kanndieGesetzgebungerzwingen;aber daß sichein immergrößererBodensatzvonElenden, Verkommenen, Deklassir- tenund vor Allemvon Unproduktivenund von Schädlingenbildetund daßdieProduktiven durchdieLastder Arbeit, diewachsendenAnsprüche,die ansie gestelltwerden, unddurchdieUnsicherheitihrer Existenzverbittertwerden- Das können alleGesetzgeber,ObrigkeitenundSozialreformer nicht hindern- DieSozialreformzumBeispiel beseitigtdasElendnicht, sondern jagtes nur auseinerGestaltindie andere. AusdenFabrikentreibtsiedie Kinder indieHausindustrieundindenStraßenhandel;undverbietetman Beides, sonimmt man ihnendas Brot· AufdiesozialdemokratischeUtopiehofftkein Denkender mehr. Unentbehrlichist freilichdieSozialdemokratie;wäresie nicht vorhanden, so müßteeineverständigeRegirung sie schaffen.Dennsie alleinkonntemitihren utopischen BersprechungeneineArbeiterorganisation zu Stande bringen,diestarkgenugwar, inderallgemeinenKonkurrenz- balgereidenLohnarbeiterneinenleidlichverhältnißcnäßigenAntheilamstei- gendenErtragederNationalarbeit zusichern; ohne siewürden dieMassen verelendetseinunddieProduktion müßte,um sichbei derVerminderungdes innern MassenkonsumseinigermaßenaufdenBeinen zuhalten,ganzver- rückte undverderblicheBahnen einschlagen.

DasAllesrührt janun wohldenkühlenStaatsmann nicht. Dafür wird ihndiebevorstehendeNeuordnungderHandelsverträgepacken,denn dabeimuß Miquels Sammelpolitik,der diegemeinsameFurchtderfeind- lichenBrüdervordenArbeitern zueinigenErfolgen verholfen hat, definitiv versagen.BeiUebervölkerunggerathen Jndustrieund Landwirthschaftin einenunlösbarenJnteressenkonflikt.DieaufExportangewieseneIndustrie muß,umkonkurrenzsähigzu bleiben,wohlfeileNahrungmittelfür ihreArbeiter fordern. DieGutsbesitzermüssenhohePreise für ihre Erzeugnisseerstreben, weilsichsonst ihr Anlagekapital nicht verzinst. Freilich machen siedadurch, wenn nicht ihre eigeneLage, so dochdieihrerNachkommennur schlimmer undunhaltbarenJede SteigerungderNahrungmittelpreisesteigertdieGrund-

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rente,jede SteigerungderGrundrente steigertdenKaufpreisderGüter,und zwarstärkeralsdie Grundrente, weilbeimGüterkaufdiesteigendeTendenz escomptirt wird,undderPreisfall, derunvermeidlichjeder Preissteigerung folgt, führtzu einemGüterkrach.Die alleinmöglicheLösungderAgrarkrisis ist zugleichdieLösungderallgemeinenwirthschaftlichenKrisis,indem sie den beschriebenenungesunden Zustandbeseitigt,dasGleichgewichtzwischenLand- wirthschaftundJndustriewiederherstellt,allenVolksgenosfendenZugangzu produktiverBeschäftigungwiedereröffnet. Nicht inderutopischenVergesell-

«schaftungderProduktionmittel liegtdasHeil, sonderninderVermehrung der kleinen unddermittleren Privatbesitzeyin derWiederherstellungeines Zustandes,wodieüberwiegendeMehrheitdesVolkesaufdemBesitz eigener Produktionmittel, namentlich eigenenAckers undeineseigenenHauses, sicher ruht. VonälterenZuständendieserArtwürdesichderneue durchdenReich- thumanWerkzeugen,Verkehrsmittelnund Vequemlichkeitenunterscheiden, dieunsereheutige TechnikauchdemkleinenBesitzerdarbietet. Das Wort ,,Weltpolitik«hat, richtig verstanden,einengutenSinn. Esbedeutet,daß, nachdemBismarck das europäifcheStaatensystem durchdieSchaffungdes DeutschenReichesunddessenErhebungzurVormachtvollendethatte, sofort auchdie Aerades europäischenGleichgewichteszuEndeging.Es zeigte sich,daßdieInteressenderStaaten, die zudieserFamiliegehörten,theils nicht mehr ausschlaggebendwaren, theilsaußerhalbEuropas lagen, daß Nuß- land,EnglandundNordamerika eineMacht entfalteten,neben der dieMacht Oesterreichs,FrankreichsundItaliens verschwand,undesfragte sichnur, ob dasdeutscheVolk in dieReihederWeltmächteeinrückensolleundwolle oder obessichmitdemRangeeinesMittelstaateszubescheidenhabe.Als ichzumerstenMale gesagt hatte, vorläufigsäßenwirimzweitenRange, wurde mirDas sehrübelgenommen. Jch hatteaberausdrücklichhinzu- gefügt,wirhättenAnspruch aufdenersten.DiedreiMachtfaktorender Staaten sind: Gebiet, VolkszahlundGeisteskraft- Jn derGeisteskraft sind wirallenNationen ohne Ausnahme überlegen. JnderVolkszahl (mitden außerhalbdesReiches wohnendenüber70Millionen) sindwirdenNord- amerikanern beinahe gewachsenunddenEngländern,wenn derenexotische Unterthanen nicht mitgezähltwerden,sogar überlegen.Was uns fehlt, ist einentsprechendesGebiet, das wirnichtblosumderpolitischenMacht willen, sondern auchaus ökonomischenGründen brauchen.Wounser Zuwachs- gebiet liegt, habe ich oft gesagtundwerdeich, so sehr ich auch ausgelacht werde, immer wiedersagen.Wirhabendie(alspolitischesGebildejämmer- liche) österreichischeMonarchie vorläufigwenigstensEisleithanien zu annektiren und vondaaus Ungarn,dieValkanhalbinsel, Vorderasienund Südrußlandzukolonisiren.DiedeutschenKolonienin dengenanntenLändern

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werdennichtunmittelbare ProvinzendesDeutschenReiches sein,aber unter seiner Oberhoheitstehenundwirthschaftlichso innigmitihmverbundensein, daß siedievorhin beschriebeneheilende Kraftüben. Undzugleichwerdensie demDeutschen Reichdieihm gebührendeWeltstellung sichern. Daßdie EhinapolitikdiefeierlicheJnaugurirungderWasserpolitik,damitaberden VerzichtaufdieAusdehnungDeutschlandszu LandeunddieEntscheidung fürdieSteigerungdesbeschriebenenunerträglichenZustandsinsUnmögliche bedeutet: Dasist ihr Haupt-undGrundfehler.

An und für sichdarfman esderRegirung nichtverargen,daß sie auf Ausdehnung unseres Exports bedachtistundsichkeineGelegenheitent- gehen läßt,ineinenoffenen ThürspalteinenFußzusetzen,wäreesauch in demmehrSchadenalsNutzenverheißendenChina. Nurhätte sieein gewagtes Experiment,zu dem stedieNothtriebundbeidemsiesichnoch dazu nicht besonders geschicktbenommen hat, nichtalsdieEröffnungeiner neuen, glorreichenAeraausposaunen sollen.DieNoth zwingt siezusolchen Experimenten,weildieLage fürdieExpansionzuLandenoch nichtzum zweitenMalreif ist (der großeMoment von 1848,der denDeutschendie EinigungallerdeutschenStämmesozusagen aufdemPräsentirtellerdar- botunddasThor nach Osten öffnete,hateinkleinesGeschlechtgefunden) undweil zurZeitallePotenzen unseresVaterlandes dagegen sind.Vor- läusigsteheichmit meinerSchrulle nochganz allein.Aberwenn in demInter- essenkonfliktzwischenIndustriellenundLandwirthendereine der beiden dem Staate gleich nothwendigenStände unterlegenundschwer geschädigtsein wird,wenn alleFarbigen theilsvom AntlitzderErde wegcivilisirt,theils mitderhinreichendenAnzahlvon Gigerlanzügenversehen,wenn derMont- blancunddieJungfraumitDrathseilbahnen, HotelsundPlakatenüberklebt seinwerden, wenn dasmitunserer »Kultur«beglückteChina Europamit wohlfeilen Jndustriewaaren überschwemmen,wenndieinternationale Kon- kurrenzbalgereium dieKunden ebenso blutigwieerfolglossein wird,wenn die VölkerbeimbestenWillen nicht mehrimStande seinwerden, dieZahl derRiefenmordmaschinenundschwimmendenFestungenzuvermehren,deren BaujetztdenScheinerweckenhilft,alsgebeesfüralleHände produktive.

Arbeitzuleisten—:dann werdensichdie Staatsmänner daranerinnern,daß inderZeitvon 1820 bis1860 Männer wieFriedrich List, Harkort,Rod- bertus,Lothar Bucher,Victor AimåHaber aufdenWeg nach Osten hin- gewiesenhaben. Mehr, schreibtListeinmal,lassen sichdiethörichtenento- päischenMächtedieAufrechterhaltungdertürkischenBarbarei kosten,als die KultivirungAnatoliens kostenwürde.

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Neisse. Karl Jentsch.

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LosvonRoml 451

Los Von Roml

WichtzumerstenMaldurchhalltjetztdieLande derRuf:LosvonRom!

«

Daswar schon oftderFall. Selbstverständlich.Jahrhunderte hin-

,durchbeherrschteRomdieeuropäischeKulturwelt mit derSchärfedesSchwertes.

DieMachtdieLegionen hielt EuropasVölkerunter seinem«Joch;bisphy- sischeMacht physischerUebermachtunterlag.WildeBarbarenhorden ergossen sichüberItalienundüberfluthetenRom. SeineHerrschaftwar gebrochen.

Dochnur dieHerrschaft,dieaufphysischeMachtmittel sichstützte. Unge- brochenbliebderGeistRoms,dasGeniederHerrschaft.Mit Schwertund Speerwar allerdings nichts mehr auszurichten:nun versuchteman esmit geistigenWaffen;undesgelang.

Vomfernen Osten her,vomniedergetretenen, verachtetenJudenvolk hatte sichwie eineböse Krankheit durchalldierömischenLandeeineLehre verbreitet,ordnungwidrig,umftürzlerisch,staatfeindlich,anarchistisch,eineLehre, die allenMenschenGleichheitpredigte, irdischenBesitzalssündhafterklärte, den Staat alsWerkdesTeufels darstellte,Undsiewar siegreich.Die Massen jauchztenihrzu;begreiflich;ausblindemHaßgegenjedeAutorität.

Immerweiterdrang sievor;sie drohte,Allesvon oberstzuunterstzukehren- DahalfenkeineVerfolgungen.Dieneue Lehre schmeicheltedensiegreichen Barbaren. Der Bundwar geschlossen:Romsankohnmächtigin den Staub.

DochDaswährtenicht lange.DasHerrschaftgenieRomsermannte sich.Wiewärs,sagteman sich,wenn wirdieseneue Lehre annähmenund sieals Mittelbenutzten,um unserealteHerrschaftwiederaufzurichten?Wie einPhönix stiegaus demSchuttedesaltenRomdieserGedanke empor.

Allerdings:keinImperatorschwingtinRomdasSzepterderWeltherrschaft.

AbersolltederBischofRoms nichtdenImperator ersetzenkönnen? Wie wärs,wenn eralsrömischer,alserster BischofdergesammtenChristenheit statt siegenderLegionensichderzahllosenBischöfeundKlerikerbedienen würde, um dasselbe Zielzuerreichen,daseinstmitihren LegionendieImpera- toren erreichten:alldie Länder sichtributpflichtigzumachen? Diplomatie istkeineHexerei. WohlraubtendieBarbarenkönigeden Römernihremateri- ellenHerrschaftmittel,abersiebliebendochBarbaren. DasGenieRoms konntensie nicht rauben;geistigwaren sieRomnicht gewachsen.Mit der neuen LehreimBunde, mitdemKreuz stattdesSchwertesinderHand könntenesjadierömischenBischöfeversuchen,dieverlorene Weltherrschaft Roms wiederherzustellen.

Der Gedankewar würdigderNachkommendereinstigenWeltbeherr- scher. WohldauerteesJahrhunderte,biserausgeführtwurde. Auchdies- malwurde RomnichtaneinemTagegebaut. DochimelftenJahrhundert wardasRiesenwerkvollbracht:GregorVII.kröntees.

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Lange, schwereKämpfe hatesgekostet. ,,LosvonRom!«schalltees durchdie Lande. DieBischöfeder Barbarenländerweigerten sich,ihre stolzen Nackenunter dasJochRoms zubeugen. Jederwollteunabhängigder geistlichenHerrschaftin seinerDiözese frohwerden. Docheshalf ihnen nichts.Das alteHerrschastgenieRoms war erwachtunderstarkt.Die römischeDiplomatiewar siegreich.Dierohen Barbarenfürstenködertesie mitgüldenenKronenundPurpurgewändern,mitrömischenTiteln undWürden, mitReliquienundheiligen Lanzen,mitSplitternundNägelnvomKreuze desHerrnundanderen gutenDingen,die,»von Rom her geschickt-Zder Eitelkeit roherBarbarenhäuptlingeschmeichelnkonnten. Sowar dennein neuer Bund gestiftet;die ,,weltliche Macht«derFürsten geselltesichzur

»geistlichenMacht«Roms unddasZielwar erreicht:Romherrschtewieder, indemesseine MachtmitdenBarbarenfürstentheilte,und wiederwaren die LänderEuropasRomtributpflichtig-

AusdiesenJahrhunderte langen Kämpfen,indenenRommeist sieg- reichblieb,willicheineEpisode schildern.OrtderHandlung ist Polen, ZeitderHandlungdaselfteJahrhundert.

Auf demStuhlPetrisaßder genialeGregorVII. Er war ein Realpolitikerim wahrstenSinne desWortes. KeinPrinzipienreiter.Er versuchte,-zubiegen,undverstand, zubrechen.SeineBundesgenossennahm er,woersiefand: aufBischofstühlenoderFürstenthronenzundauchräube- rischeNormannenhäuptlingewaren ihmwillkommen. Denn seiner kurzen Regirung(1073bis1085)sieldieLösungeinesweltgeschichtlichenProblems zu. Erhatteeingroßes,vonseinenVorgängernbegonnenesWerk zu voll- enden,daserallerdings schonalsKardinal vieleJahre lang mächtigge- förderthatte:dieWiederaufrichtungder altenWeltherrschaftRoms ingeist- lichemGewande. DamußtenalleKräftedesGeistes angespanntwerden, alleMittel einerersindungreichenPolitikmußtennebenundnacheinander zurAnwendungkommen· GütlicheUeberredung, geistreicheEpisteln, Hof- intriguen nichtohneHilfe mächtigerGönnerinnen—,politischeBündnissemit HochundNiederund im schlimmstenFall Androhungvon Kirchenstrafen undfeierlicheBannflüche.Alldiese schlauen Künste römischerPolitik ließ

erdemKaiser HeinrichdemViertengegenüberspielen,biserihnalsBüßer imSchloßhofevonKanossa sah.

Abernochimmerwars ihm leichter,zusiegen,woer,wie inDeutsch- land, mitder ecclesia miljtans gegen dieweltlicheMachtankämpfte.Einen schwererenStand hatteer,woKirchensürstenselbst, Bischöfe,gegen Romsich widerspenstigzeigten,RomsJoch sichnicht beugenwolltenundwoergegen siedieweltlicheMacht anrufen mußte.DasgeschahinPolenindenselben siebenzigerJahrendeselftenJahrhunderts,in denenerseinen Triumphüber Heinrichden Viertenfeierte-

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