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Die Zukunft, 8. Februar, Jahrg. XXVII, Bd. 104, Nr 18.

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(1)

Sie ÜSukunft

Herausgeber

Maximilian Harden

I N H A L T

Seit

a o t v il . Jahrg. Berlin, den 8. Februar 1919 Nr. 18

N o t i z e n ... ... 149

Swift. Von H a r r y K a h n ...170

W irrniß. Von L u d w i g O l l e n d o r f f ...172

R echt ,'und V aterland. Von H e i n r i c h S t r ö b e l ... 175

D eutsche Freiheit. Von E m i l L u d w i g ...176

Nachdruck verboten

E r s c h e i n t j e d e n S o n n a b e n d

Preis vierteljährlich 10,— Mk., die einzelne Nummer 1,— Mk.

BERLIN

Verlag der Zukunft

Großbeerenstraße 67 1919

(2)

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An« un d V e r k a u f von W e r t p a p i e r e n

K o ste n lo se A u sku n ftserteilu n g

B a n k h a u s

Fritz Emil Schäler

D Ü S S E L D O R F

Kaiserstraße 44, am Hofgarten

T e le g ra m m -A d re s s e ;

„ E f f e k t e n s c h U l e r "

Fernsprech-Rnschl. Mr. 8 6 6 4 , 8 6 6 5 , 5 9 7 9 , 5 4 0 3 fü r Stadt- gespräche, Mr. 7 3 5 2 , 7 3 5 4 , 7 3 5 3 fü r Ferngespräche

Besondere Abteilung für Kujce,

unnotierte Aktien und Obligationen

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Berlin, den 8. Februar 1919

N otizen

T

m A tch iv der w iener H o fb u rg sind zwei Schriftstücke ge* funden w orden, deren Inh alt uns näher als die O esterreicher angeht: zwei Briefe des ju n g en W ilhelm an den Kaiser Franz Josep h . D er erste, sehr lange, hier oft erw ähnte Brief, den der A d ju ta n t G ra f W ed el selbst nach W ie n trug, war so»«

gleich nach der Entlassung Bismarcks geschrieben w orden.

In dessen weißem Schädelkranz b leib t kein H aar ungezaüst.

„ D ie Eifersucht auf seinen arm en jun g en Kaiser hat ihn über*

m annt u n d er h a t beschlossen, dessen Erfolge zu zerstören!

D as M inisterium (P reu ß en s) sucht er in jedem V ortrag zu diskreditiren. D ie H erren, die er sich selbst seit zw ölf Jah ren ausgesucht u n d herangebildet hatte, beschim pfte er in der gröbsten W eise u n d versuchte, mich zu einer M assenentlassung zu zwingen, w orauf ich nicht einging. Z ornau sbrüche, Grob*

heiten d er schroffsten A rt m uß ten die M inister sich von ihm gefallen lassen, bis sie sich w eigerten, w eiter zu arbeiten.

D u rch M achinationen u n d Intriguen, Reibereien u n d A u fein*

anderhetzungen au f allen m öglichen G ebieten, auch durch das Fehlschlagen seiner kleinen , A m bassaden1 war der F ü rst in einen Z u stan d der A ufreg un g gerathen, der seinesgleichen nicht kannte. D ie G eschäfte stockten u n d häuften sich, nicht5 w urde m ehr erledigt, kein P ro jek t von noch so großer Dring*

lichkeit konnte m ir vorgelegt w erden, da der Imm ediatvor*

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150 Die Zukunft

trag (N o tab e n e : h in ter m einem R ücken) den M inistem ver*

b o ten w orden war. A lles m u ß te ihm vorgelegt w erden; u n d was er nicht haben wollte, wies er einfach zurück u n d ließ es nicht bis zu m ir dringen. In den B eam tenkreisen entstand eine allgem eine U nzu fried en h eit, die auch bis in die parla*

m entarischen Kreise hineinreichte. D e r Fürst, von Kampfes*

lu st beseelt u n d von den angeführten M otiven geleitet, be*

reitete im Stillen u n d zum Entsetzen der Eingew eihten, trotz m einer g e g e n te ilig e n Befehle, eineC am pagne gegen den neuen R eichstag vor. A lle sollten' geärgert u n d geprügelt, erst die K artellparteien abg etru m pft u n d d ann die Sozialisten gereizt w erden, bis d er ganze Reichstag in die Luft flog u n d S. M . nu n doch gezw ungen w urde, nolens, volens zu schließen 1 D azu kam die von dem Ju d e n B leichröder inszenirteE ntrevue m it W in d th o rst, die einen Sturm der E n trü stu n g im Vater*

land losließ u n d die offiziös m it einem M ysterium um geben wurde,, welches auf alles M ögliche schließen ließ.“

W as ist W a h rh e it? Schon im M ärz 1888 hat, als der alte Kaiser im Sterben lag, G eneral V on H eu d u ck gesagt, Prinz W ilhelm werde, w enn er Kaiser sei, auf die D auer sich kaum m it Bismarck vertragen. F ürst C hlodw ig Hohen*

lohe: „Es scheint, d aß konservative, Bismarck feindliche Ein*

flüsse sich geltend m achen w erden. D as wäre schlim m .“

G ro ß h e rz o g Friedrich von B aden im Jan u ar 1889: „Es ist nicht unm öglich, d a ß der Kaiser m it Bismarck hinterein*

anderkom m en w ird, w enn er m erkt, d aß m an ihm nicht Alles m ittheilt. V orläufig will er A lles verm eiden, weil er den Fürsten für die M ilitärvorlage b rau cht.“ D er M ann ist zu g ro ß gew orden. R edet nie von seiner Pflicht, dem H errn zu gehorchen. D e r richtige H ausm eier. U nhaltbar. H ohe Zeit, d aß die Leute an persönliches R egim ent ihres Kaisers un d Königs g ew ö hnt w erden. A lle paar Tage ist jetzt Vor*

trag, A udienz o d er K ronrath. Im A pril w ird G eneral V erdy d u V ernois zum preußischen Kriegsm inister ernannt; Wider den W u n sch des M inisterpräsidenten; au f Em pfehlung Wal*

dersees, der einen V ertrauensm ann im M inisterium haben u n d einen m öglichen N achfolger m it E hren abschieben will.

N o ch aber kom m ts nicht zum sichtbaren K onflikt. Im M a’

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Notizen 151

^beginnt der A u sstan d der westfälischen Bergarbeiter. A m .A chtzehnten spricht der Kanzler im Reichstag. (A h n t er, vdaß es das letzte M al ist? Er läß t sich im Foyer photo- graphiren.) Er verhehlt nicht, daß er m it fast allen Parteien sch lech t steht; auch der K onservativen nicht m ehr sicher ist.

T)er westfälische Strike, der beeendet schien, hat w ieder be- -gönnen. D e r Kaiser h at vierzehn Tage zuvor die D elegirten B unte, Siegel u n d Schröder im Schloß em pfangen u n d ge-

•sagt, w enn sich „sozialdem okratische T endenzen in die Be­

l e g u n g m ischen“ , w erde er m it unnachsichtlicher Strenge Einschreiten. Im K ronrath spricht er sehr schroff gegen die G ruben besitzer. „ W en n diese reichen Leute keine V ernunft .annehmen, ziehe ich m ein M ilitär zurück; w ird ihnen dann d er R othe H a h n aufs D ach ihrer V illen gesetzt, ists nicht m eine Schuld.“ Bismarck antw ortet, auch diesen reichen Leuten sei der Schutz der Staatsgewalt nach preußischer T rad itio n un d V erfassung nicht zu versagen; ihr Recht, ü ber die A rb eitb ed ingu n gen nach freier U eb erzeugung zu ver­

h a n d e ln , sei in einer nicht sozialistischen G esellschaft un- b estreitbar. D e r Kaiser habe geirrt, als er den D elegirten, d ie „decidirte Sozialdem okraten“ seien, lo b end nachsagte, sie hätten „sich der F ü h lu n g m it der Sozialdem okratie ent­

h a lte n “ ; der Kanzler fürchte eine neue T äuschung des A ller­

h ö c h ste n V ertrauens u n d m üsse, w enn er auch den Belage-

«rungzustand noch nicht für n ö th ig halte, doch für energische 'Schutzm aßregeln eintreten. Schon w ährend er sprach, fühlte '■er, d aß er nicht m ehr alle Kollegen hin ter sich habe, konnte

*es aber nicht beweisen. D e r Kaiser schied verstim m t. Eine ängstliche Excellenz ringt die H änd e. „ H ä tte n E uer D u rc h ­ la u c h t es ihm w enigstens un ter vier A ugen gesagt!“ A n tw o rt:

.„Soll ich im K ronrath vielleicht den O bersten d er Eunuchen spielen? D a n n hätte die G eschichte doch w irklich keine'n .Zweck, un d es wäre n u r schade um die verlorene Zeit. Ehre u n d R eputation kann ich dem A llerhöchsten D ienst nicht opfern.“

Im H erb st b egin nt die P reßfeh d e zwischen K anzler u n d G en eralstabschef (W aldersee: der sich aus P etersburg u n d Paris diplom atische Spezialberichte schicken und, nach einem

«Gewohnheitrecht, im A usw ärtigen A m t von H o lstein alles ii*

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1 5 2 D ie Z u k u n ft

ihn Interessirende vorlegen läß t). Bismarcks Blätter schel*

ten ü ber „politisch^m ilitärische U n terströ m u n g en “ , die d e » Frieden bedro hen, m unkeln von einer dem Kaiser überreich*

ten D enkschrift, die einen P räventivkrieg gegen R u ß la n d em pfehle, u n d vertreten, u n ter B erufung au f Clausewitzens.

„T h eo rie des K rieges“ , die A nsicht, der G eneralstabschef dürfe n u r der m ilitärtechnisch geschulte H elfer des dem V olk u n d dem K önig verantw ortlichen Staatsm annes sein, der»

die letzte E ntscheidung ü b er Lebensfragen der N atio n stets Vorbehalten bleiben m uß. D em K anzler? D ie letzte Ent«»

Scheidung, wisperts, g e b ü h rt doch w ohl dem Kaiser. Vom elften bis zum dreizehnten O k to b e r ist Z ar A lexander der D ritte in Berlin. Lange A ussprache m it Bismarck, der die Frage*

ob er sicher sei, im A m t zu bleiben, zuversichtlich b ejaht.

N ach der anderth albstünd ig en A udienz geht der K anzler zur G alatafel u n d (zum letzten M al) zur G alavorstellung (R heingold, C oppelia) ins O pernhaus. A ls der Z ar abge*

reist ist, begleitet der Kaiser den Kanzler in die W ilhelm * straße u n d berichtet unterw egs strahlend, er habe sich fü r die M anöverzeit in Spala zum G egenbesuch angesagt. Bis*

- marck hat Ein w ände; die Pause zwischen den Besuchen sei zu kurz, in Spala für einen so hoh en G ast kaum bequem»

Platz zu schaffen, A lex an der m it V orsicht zu behandeln u n d d urch tro p de zele leicht m ißtrauisch zu machen. (M it ahn*

liehen G rü n d e n hatte H e rb e rt die A bsicht bekäm pft, d e n K önig von Italien w ieder in der H a u p tsta d t zu besuchen.)«

D em Kaiser ist die Freude v erdorben; er fährt verstim m t ins Schloß. Zw ei Tage danach kom m t W aldersee ins Kanz*

lerhaus, um zu bew eisen, wie nützlich die Reise nach R uß*

land sein werde. Im Reichstag fragt Richter, ob der G ene*

ralstabschef, wie m an nach offiziösen A rtikeln verm u then müsse, die P olitik des Kanzlers durchkreuze. H err von Verdy- tritt m it klugem Eifer für W aldersee ein u n d H erb ert stim m t

„aus vollem H erzen “ der E rklärung des Kriegsm inisters zu . D as klingt wie Cham ade. G eb en sie den K am pf au f? B ill Bismarck fährt nach Berlin u n d w arnt den B ruder: „W em * Ih r den Kerl nicht totschlagen könnt, wärs besser gewesen, ihn ungeschoren zu lassen; was jetzt Eure Z eitungen machen, ist

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Notizen 153 Blech.“ D ie N ationalliberalen entschleiern nu n sacht ihre An*

Sprüche an die M asse. D e r verschlagene M iquel hält der alten Z e it eine G rabrede, sieht ein N eues, G ew altiges w erden; und ch arm irt den Kaiser. D er rü hm t ihn (in Potsdam , am elften D ezem ber) vor C hlodw ig s O h r; u n d schilt die berliner Korn»

m unalV erw altung. „In Berlin w erde m an es noch so weit bring en, d a ß die Sozialdem okraten die M ehrheit haben. Diese w ü rd e n dann die Bürger plündern. D as sei ihm gleichgiltig;

«r w erde Schießscharten ins Schloß machen lassen u n d zu*

sehen, wie g ep lü n d ert werde. D an n w ürden die Bürger ihn schon um H ilfe anflehen“ . Bismarck w ird vor berliner In*

trig u en gew arnt, sagt aber lä c h e ln d : „D iese Sachen kom m en a n mich nicht heran.“ G ra f Bill erzählt, er habe in H an n o v er a u f dem B annh o f den G eneral von C aprivi getroffen, d er unb em erk t nach Berlin fahren w ollte u n d verlegen w urde, als er sich vom Sohn des Kanzlers erkannt sah; denkt sich d ab ei aber nichts Schlimmes. D ie A rb e it m it dem neuen H errn , der „am Liebsten zugleich Kaiser un d Kanzler sein m öchte“ , brin g t zwar harte Z u m uthungen, m uß im Reichs*

interesse aber geleistet w erden. Schließlich hat der Kaiser sich offiziell ja gegen die H yperkonservativen und für die K artellpolitik erklärt. U n d der Brief, den er dem Kanzler zu N e u ja h r schreibt, rü h m t Bismarcks A n theil an der „Für*

sorge für die arbeitende B evölkerung“ u n d schließt m it dem Satz: „Ich bitte G o tt, er m öge m ir in meinem schweren un d verantw o rtu n gvo llen H errscherberufe Ihren treuen u n d er*

p ro b ten Rath noch viele Jahre erhalten.“ T rotzdem seufzt im Jan u ar H erbert, es sehe schlecht aus; der Kaiser wolle jedes D etail bestim m en, fordere von dem Staatssekretär, d er die halbe N ach t am Schreibtisch verbracht hat; in aller Herr*

gottsfrühe die V orlegung der neusten D epeschen und Be«

richte, o rdne dann sofort selbst an, wie Alles gemacht w erden m ü sse ; u n d die ruhige E rw ägung, die dem E ntschluß vor*

angehen sollte, sei bei diesen System fast unm öglich ge*

w orden. Schlimm sei auch, daß der hohe H err so o ft m it d en Botschaftern unter vier A u g en verhandle. D e r abgehetzte Sohn war m it der K ritik kaiserlichen W esens nicht im m er vor*

sichtig gewesen u n d die Kleinen der W ilhelm straße hatten den

(8)

154 Die Zukunft,

hoffenden Blick längst auf die „m aßgebende Z u k u n ft“ ge«

richtet. D as w ußte H erb ert nicht; fand aber nöthig, „daß*

m it dem Kaiser ein ernstes W o rt gesprochen w erde“ . W ie d e r w ird er (von H o lstein ) gew arnt: „Sorgen Sie nur dafür, da&

unangenehm e D inge dem Kaiser nicht vor Zeugen g esagt werden! D as verzeiht er nicht; u n d ist, als K önig von Preußen*, stärker als jeder M inister“ . Z u spät. A m vierundzwanzigsteno Ja n u ar kehrt, nach dreim onatiger A bw esenheit, d erF ü rst nach Berlin zurück. D a w eht nun andere Luft als noch im O k tober.

D ie K reaturen haben das Z ittern verlernt. H e rr von B oetticher sogar, sonst unerm üdlich im D ien st des H errn, sagt jetzt zu?

Allem Ja un d bleibt gelassen stehen; führt die A ufträge n ich t mehr aus. A m zehnten Februar geht der Kanzler zu dem Bot*

schafter G rafen Schuw alow ; er m öchte vor seinem R ü c k tritt noch den deutsch*russischen A ssekuranzvertrag verlängert sehen, um wenigstens die internationale Politik vor plötzlichen*

U eberraschungen zu sichern. A m Z w anzigsten ist Reichstags*

w ähl; große V erluste der K onservativen, der Reichspartei u n d ; der N ationalliberalen; die sozialdem okratischen Stimmen fast verdoppelt. A m fünften M ärz hält der Kaiser beim Festessette des brandenburgischen Provinziallandtages eine Rede, die m it der D ro h u n g schließt: „D iejenigen, welche sich m irb eim ein er A rbeit entgegenstellen, zerschmettere ich.“ U n d überall w ird geraunt, hier un d da auch deutlich gesagt: „D as geht a u f Bismarck!“ D er w ill den Rest seiner E influßsphäre gegen kollegialeT reibereien schützen, denV erkehr der M inister u n d Staatssekretäre m it dem Kaiser k o n tro liren ; u n d stö ß t auf un*

geduldigen W id erstan d . D er M onarch fordert die A u fh e b u n g der K abinetsordre vom achten Septem ber 1852, die dem Mi*»

nisterpräsidenten die straffeLeitung derG eschäfte sichern sollte.

„ W en n der K önig diesen Z u stan d ändern will, m u ß er se lb st sein M inisterpräsident w erden; die Befugnisse des A m tes ü b t e r ja ta ts ä c h lic h schon aus.“ M it solchen Redensarten*

heißts, sei nichts bew iesen; der Fürst solle ü ber den Gegen«*

stand eine ausführliche u n d objektive D enkschrift liefern»

A m fünfzehnten M ärz w ird die internationale A rbeiterschutz*

Konferenz eröffnet. D er Kanzler nennt sie im Privatgespräcb

„einegroße Phraseologie“ ; u n d der Kaiser erfahrts. A m Sieben»»

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Notizen 155 zehnten w irdB ism arck zweimal offiziell aufgefordert, schleunig seinEntlassungsgesuch einzureichen. A m A chtzehnten schreibt ers; weil er nach den M ittheilungen der H erren von H ahn ke u n d von Lucanus annehm en müsse, daß er dam it denW ünschen des Kai sers entgegenkom m e. S echsunddreißig Stunden danach liest er in einem H andschreiben Seiner M ajestät die W o rte :

„D ie von Ihnen für Ihren E ntschluß angeführten G rü n d e über­

zeugen mich, daß weitere Versuche, Siezur Z urücknahm e Ihres A ntrages zu bestim m en,keine A u ssich tau f E rfo lgh aben.“ W ei»

tere V ersuche? D e r„ E n tsc h lu ß “ war zweimal befohlen w orden.

A uch den Im m ediatvortraghattenicht, „h in ter dem R ücken des K aisers“ , Bismarck „v erb oten “ . N ach der K abinetsordre vom achten Septem ber 1852 m ußte der Ressortchef, der dem K önig V ortrag halten w ollte, diese A bsicht so frü h anzeigen, d a ß der M inisterpräsident, w enn ers n ö th ig fand, dem Vor»«

trag beiw ohnen konnte. Solche Bestim mung, sagt Bismarck in seinem Entlassungsgesuch, „w ar in der absoluten Mon*

archie entbehrlich u n d w ürde es noch heute sein, w enn w ir zum A b so lu tism us, ohne m inisterielle V erantw ortlichkeit, zurückkehrten. N ach den zu Recht bestehenden Verfassung*

m äßigen E inrichtungen aber ist eine präsidiale L eitung des M inisterkollegium s auf der Basis der O rd re von 1852 unent*

behrlich.“ D as ist W ah rh eit. D em ju n g en H errn aber der alte K anzler ein d er übelsten Z ettelei ü b erfüh rter W ü th erich , d en vor W ilhelm s Erfolgen der N e id verzehrt u n d d er seine Frechheit so w eit treibt, dem A b g eord n eten W in d th o rst, dem F ührer der stärksten Reichstagspartei, das erbetene G espräch zu gew ähren. Im m erhin geruh t Seine M ajegtät, dieser Schil*

d e ru n g des M annes, dem er die K aiserkrone dankt, die Sätze folgen zu lassen: „ D e r N achfolger ist nächst Bismarck d er grö ß te D eutsche, d en wir haben, m ir treu ergeben u n d ein felsenfester C harakter. D u w irst D eine Freude an ihm haben, w enn D u ihn einmal sehen w irst.“ D ie neue R angordnung h a t begonnen. G eneral V on C apriv i: d er g rö ß te D eutsche.

(V ier Jahre lang; dann schickt W ilhelm diesen Kanzler, der ih n langw eilt, w ährend des Essens weg.) Fünfundzw anzig J a h re danach w ird von dem selben M u n d G ra f Z eppelin zum

„ g rö ß te n M ann des zw anzigsten Ja h rh u n d e rts“ ernannt.

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156 Die Zukunft.

D er zweite Brief ist vom zw ölften Ju n i 1892 d atirt, also drei Tage älter als C apri vis Erlasse, die dem D eutschen Botschafter in W ien , Prinzen R euß, u n d dem Personal der Botschaft d en V erkehr m it dem Fürsten Bismarck, die An*

Wesenheit bei der H och zeit des G rafen H e rb e rt verboten.

D ie H auptsätze lauten: „ D e r F ürst Bismarck w ird Ende des M onats in W ie n eintreffen, erstens, um seinen Sohn zu ver»

heirathen, zweitens, um sich von seinen B ew underern vorbe«

stellte O vation en bereiten zu lassen. D ie A rt seines Ab«

ganges ist D ir ja durch m ich bekannt. D u w eißt auch, d aß ein H au p tstü ck von ihm d er geheim e V ertrag (ä double fonds) m it R u ß lan d war, der, h in ter D einem Rücken ge»»

schlossen, von m ir aufgelöst w ard. Seit der Z eit seines Rück«

tritts hat der Fürst in der perfidesten M anier in seiner Presse u n d in der frem der L änder gegen mich, C aprivi, m eine Mi«

n ister u n d so w eiter Krieg geführt. Er w ird dabei von vielen thatsächlichen bonafide*B ew underern u n d vielen F einden Ca«

privis unterstützt. U nbegreiflicher W eise lancirt er seine stärksten Bom ben gegen den D re ib u n d , sein eigenstes W erk , auf welches er so stolz gewesen, u n d vor A llem gegen unser festeres Zusam m enhalten u n d G ehen m it D ir un d D einem braven V olk. Seine geradezu em pörende H a ltu n g Euch g egenüber in der Frage der H andelsverträge ist ja noch genug«

sam bekannt, um d arü b er W o rte -zu verlieren. N achdem nu n m ehr alle seine A ngriffe u n d B eunruhigungversuche zu erlahm en scheinen, hat er den ,Versöhnungdrang* zu m ir in die W e lt gesetzt und w irbelt dam it Staub u n d G em iither aufs N eu e auf. Ich brauche D ir nicht erst zu versichern, d a ß D ieses ein neuer Schw indel von ihm ist, der blos a u f die Sensationlust u n d N eu g ierde d er b lö d en M asse berechnet ist. Er hat nicht den leisesten V ersuch einer A n d e u tu n g m ir g egenüber gemacht, um sich m ir zu n ähern u n d peccavi zu sagen, u n d versucht m it aller List u n d K unst, es so zu drehen, d a ß ich der Entgegenkom m ende sein soll u n d v or d er W e lt dastehen soll. Als H au p tn u m m er seines Program m es in dieser A ngelegenheit hat er sich eine A udienz bei D ir ausgedacht.

U n te r ungezogenster Ig n o riru n g meines H ofes u n d der Kaiserin begiebt er sich nach D resden u n d W ien, um d o rt

(11)

Notizen 157 sic h sofort vorzustellen u n d den alten treuen M ann heraus*

^u b eiß en . Einer Persönlichkeit gegenüber, die ihn auf das T ak tlo se dieses U nternehm ens hinw ies un d Eure Stellung 2 U ihm seit den V eränderungen betonte, erw iderte er weg*

•werfend: ,A h, K alnoky werde er schon herum kriegen,1 Ich m ö ch te daher in meinem u n d m einer R egirung Interesse D ich als den treuen F reund bitten, m ir nicht im Lande die Lage zu erschweren, indem D u den ungehorsam en U nterthan em pfängst, ehe er nicht sich m ir genähert und peccavi ge*

sa g t hat. Ich habe auch den zu verm itteln stets bereiten L euten erklärt, d aß ich vom Fürsten einen unzw eideutigen B rief erw artete, in dem er mich ersuchte, w ieder in G n aden angesehen zu w erden; eher w ürde ich mich auf nichts ein*

lassen. Er hat D as nicht gethan, vielm ehr an D ritte gesagt,

■er w ürde n u r eine form elle .A u ssö h nu n g '! machen, da er nach wie vor das Recht, mich zu kritisiren, sich Vorbehalte!1 A lso nach dieser Sachlage bitte ich D ich, den Fürsten nicht z u em pfangen. M it tausend G rü ß e n an die Kaiserin D ein tre u e r F reund u n d Vetter W ilh elm .“

Zw eck des zweiten Briefes: die U nw ahrhaftigkeit des ersten vor Entschleierung zu schützen. Bismarck wollte dem Kaiser Franz Joseph sagen, w eshalb er aus dem A m t ge*

schieden sei, m it welcher Sorge er in die Z u k u n ft des D eutschen Reiches schaue u n d w arum der D re ib u n d ihm kein Trost*

m ittel m ehr biete. D as m ußte um jeden Preis verhindert

•werden; auch um den w ürdigen A nstandes. „D ie A rt seines A bganges ist D ir ja durch mich b ek an n t.“ D ie A rt, wie Seiner M ajestät diesen A bgang darzustellen beliebt. D en A b g an g eines perfiden T rügers un d Schwindlers. D a ß der

<deutsch»russische R ückversicherungpakt auch der austro*

ungarischen M onarchie nur, im höchsten Staatssinn, nützlich w ar, braucht m an heute, leider nicht m ehr zu beweisen. D a ß d e r Kanzler m it K alnoky un d Szögyenyi ü ber einen Handels*

vertrag gar nicht erst reden wollte, mag die Schrulle eines Schutzzöllners gewesen sein; hat aber w eder den M inister noch den Sektionchef Franz Josephs je „em pört“ In dem G e re d e über Bismarcks „V ersöh nu n gd rang “ ist kein wahres W o rt. A ls W ilhelm sein schon damals geschmälertes An*

(12)

158 Die Zukunft

sehen durch den Schein von V ersöhnung breiten w o llte, w urde von F riedrichsruh aus m it unzw eideutiger G e b e rd e abgew inkt. Peccavi? D e r „ungehorsam e U n te rth a n “ hats n ie gesagt; vor diesem H errn sich nie einer Sünde schuldig gefühlt.

In W ien w u rd e ihm , wie nach dem angstvoll beschw örenden Brief begreiflich ist, die erbetene A ud ien z gew eigert. H o f und H ochadel blieben der H ochzeit H erberts fern. Franz Joseph sagte zu H o h enlohe ü b er C aprivi: „ G o tt gebe, d a ß dieser M ann noch länge au f seinem Posten bleibe!“ U e b e r Bismarck: „Es ist traurig, d a ß ein solcher M ann so tie f sinken k o n n te!“ D e n G esunkenen u m ju b elt in W ien, M ün*

chen, D resden, auf Jenas M arktplatz die M enge. Im Ja n u ar 1894 mwß W ilhelm ihn in B erlin, wie einen Sou verain, em pfangen. Am T ag danach sagt er zu H o h en lo h e: „D iese G eschichte w ird m ir nützen. Jetzt können sie ihm in W ie n u n d M ün chen E hrenp forten b au en : ich bin ihm imm er um eine Pferdelänge voraus. W en n jetzt die Presse w ieder schim pft, setzt sie sich u n d Bismarck ins U n rech t.“ D e r hat in Jena gesprochen: „ W ir k ö nnen nicht m ehr dynastische P olitik treiben. W e n n m an m ir den V orw urf m acht, d a ß ich antim onarchische P olitik treibe, so m öchte ich auf unsere bestehende Verfassung aufm erksam m achen, nach w elcher die V erantw ortlichkeit nicht bei dem M onarchen, sondern bei dem R eichskanzler u n d den M inistern ru h t. Ich halte nich t für n öthig, d aß w ir w eitere Kriege führen. W ir h ab en in ihnen nichts zu erstreben. Ich halte es für frivol oder un*

geschickt, wenn w ir uns in weitere Kriege hineinziehen lassen, ohne durch frem de A ngriffe dazu gezw ungen zu sein. Aggres*

sive K abinetskriege können w ir nicht führen. A uch ein sieg*

reicher Krieg hat für die N a tio n keine w o h lth uen den Folgen.“

A m sechzehnten Januarm orgen lasen wir, V olkszom , den- die Soldatenw ache nicht zu däm m en verm ochte, habe d ie au f Befehl der R eichsregirung verhafteten K om m unisten­

fü h rer Karl Liebknecht un d Frau L uxem burg auf der Straße lo h m ißhandelt. D ie Frau sei von der M enge getötet, d e r M ann von der W achm annschaft, der er im dunklen T h ier­

garten entfliehen wollte, nach dreim aligem A n ru f erschossen

(13)

Notizen 1 5 9

w orden. Alles, dachte w ohl M ancher, w iederholt sich n u r im Leben. A uch M arats G lück u n d Ende. D ie Personen ' u n d die D eko ratio n en sehen, freilich, jetzt anders aus als.

im Paris von 1793. C harlotte C o rday d ’A rm ans, die alt*»

adelige G iron distin, deren D olch den b ad end en M arat tötete u n d die in so stolzer R uhe dann auf die G uillotine trat, d aß der M ainzer Lux sie „g rö ß er als B ru tu s“ fand, hätte selbst auf diesen V erhaßten nicht aus dunklem H in terhalt, a u f einen schon U nfreien aus dem G edräng losgeschlagen.

A b e r schiens nicht das selbe Stück, in dessen V erlauf der Erlöser von der H a n d der von E rlösungdrang gestern ihm Z ug etrieben en fällt? Jean P aul M arat, der Sohn eines aus Spanien stam m enden A rztes, der zum Protestantism us über»

getreten, in die Schweiz ausgew andert w ar u n d in G e n f ein hohem Ideal zustrebendes M ädchen geheirathet hatte, sagt von sich selbst aus, d aß er als Fünfjähriger Lehrer, später Literat, als Zw anziger schlichtw eg „ein schöpferisches G enie“

w erden wollte. „R uhm war u n d blieb dieSehnsuchtundLeiden*

schaft meines Lebens; nicht eine Stunde lang erlosch sie, so oft auch die M ittel, sie leuchtend zu erhalten, w echselten.“ Ein kaum m ittelgroßer, kränklicher M ensch, der w enig schläft»

im m er in B ew egung ist, m it grauer H a u t un d flackerndem Blick stets in Fieberhitze, zu S prung u n d V orstoß bereit sc h ein t, den R uhe T o tsü n d e d ü n k t u n d der m it scharfer Z u n g e, m it hastigem G efuchtel von früh bis in tiefe N a c h t die T rep p e zim mert, au f der er in G lorie klettern will. Er h a t M edizin studirt, schreibt A rtikel, Rom ane, W issenschaft«

b ü ch er, schilt die g ro ß en G eleh rten , N e w to n , D escartes, Laplace, Lavoisier, Stüm per u n d N arren, ernennt sich zum Physiker, zum B ahnbrecher in N aturw issenschaft u n d k ü n d e t den Z eitgenossen, d aß die Ergebnisse seiner Studien in den Bezirken von Feuer, Licht, E lektrizität, M enschw esen „ W in d u n d W e tter überdau ern w erden“ . D e r Betriebsam e so rg t auch dafür, d a ß seine Schriften ins D eutsche u n d Englische übersetzt w erden. T rieb ein B edürfniß, vor den W agen m it d ieserW aareC ourierp ferd e zu span n en ? „Zw ischen Seele u n d Leib, deren Z usam m enhang n icht von N o th w en d ig k eit ge*

b o ten ist, schafft die flüssige N erv en sub stanz die einzige

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Die ZuKunft

V erbin du ng ; sie bew egt die Seele un d w ird von ihr, deren Sitz in den H irnhäuten ist, bewegt. D as Bändchen, w orin ich die T heorie von dem flüssigen Feuer, einem erst durch mich b e k a n n t gew ordenen D ing, rein, frei von Irrthum sschlacke, darstelle, w ird für imm er alles von G elehrtengesellschaften ü b e r diesen G egenstand Veröffentlichte aus dem G edäch tniß in D u n k el weisen. Ehe ich sprach, w aren die eigentlichen G ru n d farb e n unbekannt, w u ßte man nichts von der B edeutung, die, als W eltagens, die elektrische Flüssigkeit in d er N a tu r hat. A lle Z eitung en E uropas sprachen ü ber meine Feuer*

Studien. M eine A rzterfolge brachten m ir ungeheuren Z ulauf 'von Patienten u n d vor m einem H aus w ar ein ewiges G ew irr von W agen, die aus allen H im m elsgegenden K ranke zu mir

■trugen. Jede auf d en G eb ieten der M oral, der Philosophie, .der Politik dem M enschengeist m ögliche K om bination habe ich d u rch d ach t u n d erledigt. D e r H all m eines Rufes drang so weit, d aß auch gekrönte H äu p ter m einen Rath erbaten.

A ls die A kadem ie m erkte, d aß sie meine W erke nicht tot*

schw eigen könne, bem ühte sie sich, den Schöpfer dieser W erke in ihren Schoß zu locken.“ D as ist M arat; der, erzählt ein Physiker, heim lich eine N a d e l in einen W einstock steckte, ihn als Elektrizitätleiter zu erweisen. D er Physiker u n d Forscher. „D as Recht des M enschen w ird du rch sein Be*

d ü rfn iß um grenzt. W e r nichts hat, d arf dem in U e b erflu ß Schw im m enden das E ntbehrliche, sogar das U n en tbeh rlich e nehm en. U m sein Leben zu retten, d arf der M ensch den Besitz, die Freiheit, das Leben des M itm enschen vernichten u n d der von H u n g e rto d B edrohte ist n ich t zu tadeln, w enn er d en N ächsten u m b rin g t u nd dessen dam pfendes Fleisch ver*

schlingt. In sechs W o c h en brächte ich, m it ein paar Tau*

send entschlossener Kerle h in ter m ir, die politische Ma*

^chine in so flinken G ang, d aß nach einem Ja h r die N a tio n frei und glücklich wäre u n d fü r meines Lebens D a u e r in solcher B lüthe bliebe. Ich kann, leider, das M arschiren nicht vertragen; sonst w ürde ich, dem die K riegskunst nicht frem d ist, mich verpflichten, m it einem H äuflein zuverlässi*

ger T ru p p e n an einem T ag alle Rebellen, bis au f den letz*

ten M ann, auszu ro den.“ D as ist der P o litik er u n d Stra«

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Notizen 161 tege. D em M ilitärw esen ist er n u r als R oßarzt in der G a rd e des G rafen von A rtois nahgekom m en. N ach der R evolution giebt er Z eitungen heraus, deren berühm teste der „Am i d a Peuple“ w ird, u n d rastet nicht, ehe er in den Stadtrath, danr*

in den K onvent gew ählt ist. Uff! „A ls die Bastille erstürm t war, stellte ich mich der S tad tb ehö rde als das A uge des Volkes vor u n d sagte, den Sieg der Freiheit könne m eine Feder m ehr beschleunigen als ein H eer von h u n d erttausen d M ann. A b er das V olksauge d arf sich des in der R evolution E rrungenen nicht freuen. D as M eiste ist w erthlos; kaum, besser als die E inrichtung der Louiszeit. W e r sitzt denn in der N ationalversam m lung? H answ urste un d Kriecher,.

Schwätzer u n d Schufte, geldgierige W ich te u nd B luthunde.

G ucket doch um Euch! Lasset Ih r diesen N ecker, der das V olk aashungern u n d vergiften w ollte, diesen A u sw u rf d e r M enschheit rühm en u n d den H errn La Fayette, weil er int Am erika, wie T roß k nech te das G epäck, einen A rtilleriep ark überw acht hat, als selbstlosen H eld en feiern? Jede R egirung ist dem V olk feindlich, ist der gefährlichste Feind, den das V olk zu fürchten hat: dieser Satz enthält ewige W ahrheit,, die m an den M enschen nicht tief genug einprägen kann.

W e n n dem M inisterium nicht jede M öglichkeit zu Zette»

lung gegen das V aterland genom m en w ird, dann m uß jeder M inister schon nach zweitägiger A m tszeit als verdächtig gell­

ten. D e r R ücktritt solcher Kerle genügt nicht; ihr K opf muß- fallen. Steine in die . Taschen, w enn Ih r-in die N ational*

Versammlung geht! W affnet E uch! N u r der Schrecken bän*

dig t die Verräther. G enerale un d Generalstabsoffiziere, Bür*

germ eister u n d Stadträthe: die K öpfe herunter! A ch th u n d e rt G algen in den T uileriespark, fanget m it dem elenden Mira*

beau das G eh enk an und schichtet in das Becken des g ro ß en Springbrunnens einen Scheiterhaufen, die M inister und ihr G esinde drau f zu braten. A lle P atrioten m üssen starke M esser m it kurzer, zweischneidig starker K linge erhalten. Die Re*

girung hat ungeheure M engen solcher M esser bereit zu hal*

ten; denn das Volk m uß die Strafvollstreckung selbst in die H a n d nehm en. W enn man G egenrevolutionären die O hren o der wenigstens den D aum en abschneidet, sind sie nicht m e h r

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162 Die Zukunft.

au M ilitärdienst fähig; G anz aber wäre die öffentliche O rrl.

n un g erst gesichert, wenn man mich m it der Vollzugsgewait bekleidete u n d ich noch eine V iertelm illion Köpfe abschla*

gen ließe.“ D och Alles neidet seinem G enie den W eltru h m , die A erztezunft obendrein noch Z u lau f u n d Einkunft. W eil

«r den hohlen, nur im Schwanken beständigen Lavoisier, die Rechenmaschinen Laplace u n d M onge ü ber den H aufen ge*

ran n t hat, sind alle G elehrte u n d A kadem iker gegen ihn.

M ach t nichts A m T ag nach der großen chirurgischen Ope*

ration sieht die W e lt anders aus. .J e d e r G iro n d ist ist ein E örderer der G egenrevolution. In der Regirung sitzen n u r V erräther. N ehm et, endlich, den Besitzenden, was dem ar*

m en V olke gebührt, A u f M acht u n d auf Eigenthum h a t n u r die Volksmasse ein haltbares Recht.“ M it W affengew alt, kreischt er, m üsset Ihr den K onvent sprengen. A nklage.

Freispruch. D e r m it Eichenlaub Bekränzte w ird von Bür*

gern u n d Bürgerinnen au f den Schultern in den K onvent zurückgetragen. A b g o tt der Straße, D ie beherrscht im A pril 1793 kein A nderer so allgew altig wie „unser M arat“ . Z ehn W o chen danach tö tet ihn der D olch eines M ädchens.

„ D u rc h sic h tig e rT h a tb e sta n d “ : kon n te C harlottes Richter sprechen. Ist auch der V organg vom fünfzehnten Januar*

aben d flecklos k lar? „ U e b e r jed en Zw eifel hinaus. Volks*

justiz, sogar, leider, Lynchjustiz. D ie von der Spartakiden*

Verschwörung em pörte M enge h at im H a lb d u n k e l die F ührer erkannt, d en M an n m ißhan d elt, die Frau getötet. G räßlich.

A b e r d arf m an sich w u n d e rn ? T ag vor T ag hatten die Zw ei zu G ew alt aufgerufen u n d dem A u fru f w ar die T h a t gefolgt.

E ntw affnung von B ürgern. Besetzung von G eschäftshäusern u n d Proviantäm tern. G eschütze au f D ächern, in Kellern, hin*

ter Fensterscheiben. P lü n d eru n g . A n h u n d e rt Ecken d ro h t U nschuldigen der T o d . A u s jed e r Z eitu n g spalte ächzen Ver*

w undete. W e r das Schw ert zieht, d arf nicht klagen, wenn ihn des Schwertes Schärfe trifft. D as ist n ich t von dem Schw ert des G eistes gesagt, das der B rief an die Epheser erw ähnt, sondern von dem Erzschw ert, w om it, wie, glaube ich, D a n te sagt, der H im m el w eder zu früh noch zu spät die S ü n d e r . . A bgem acht. Z w ar sollens, in unserem Fall, nicht Schw erter

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N otizen 163 g ew esen sein, son dern K nüppel u n d Brow nings. D och wer

«darf sich unterw inden, heute zu ergründen, m it welchen W affen un ser H im m el ficht? N u r: die E m pörten m ü ßten im Besitz*

le c h t G efährdete sein. Leute, die fürchten m ußten, unter -die Pneum atics der Spartakidenautos zu kom m en, in ihren H äusern belagert oder, m indestens, auf der Straße überfallen u n d , wie neulich E iner, dicht vor der G naden pforte des B ridgegew innes b erau b t zu w erden. A lso , was m an jetzt

„ B o u rg eo isie“ nennt. D ie n u r konnte verlockt sein, G ew alt m it G ew alt zu vergelten. B ourgeoisie, die bewaffnete W a ch ­ m änner w egdrängt, m it Stöcken schlägt, auf fahrende A u to s springt, schießt, abspringt, in D u n k el taucht, einen röcheln­

d en Leib aus dem W ag en reiß t u n d m it ihm in die N ach t s tü rm t? U nw ahrscheinlich. N ic h t etwa, weil Edelsinn solche T h a t hindert, sondern, weil sie sich nicht in bourgeoise G e ­ w o h n h e it einfügt. O d e r sollens Proletarier gewesen sein,

M änn er u n d W e ib e r aus dem A n han g der Sozialistenm ehr­

heit, von W u th ü b er die stete B eschim pfung ihrer P artei' h äup ter D am p fen d e? W o llte n sie den U nglim pf rächen, der d ie Regirer Schergen der G egenrevolution, V olksverräther, B luthunde sch ilt? Schlim m genug, d aß w ir von A lledem n o c h nichts wissen. Zw anzig Tage sind seit dem Doppel#

totschlag verstrichen: u n d noch imm er m üssen wir uns m it -dem ersten Bericht begnügen. D e r klang seltsam. D essen

"W ortbild grell zu durchleuchten, zw ingt, endlich, nu n Pflicht.

„N ach acht U h r abends w urden in der W o h n u n g des Ehepaares M arcusson in der M annheim erstraße Liebknecht u n d Rosa L uxem burg verhaftet u n d in das nächste Stand­

q u artier der B ürgerw ehr am N ik o lsb urg erp latz gebracht, der s o fo rt nach allen Seiten abgesperrt w urde, weil m an einen U eberfall der Spartakiden verm uthete.“ W a s man verm uthet, w ird nicht; was w erden könne, verm uthet m an nicht. „G egen N e u n w urde L iebknecht in einem K raftw agen nach dem Stabsquartier der G ardekavallerie-Schützen*D ivision, in das E denhotel am K urfürstendam m , gebracht, wc er sofort ver­

h ö rt w urde. D e r D ien sth aben d e Offizier sagte ihm, man w erd e ihn ins m oabiter U ntersuchungsgefängniß bringen.“

W a ru m w urde er nicht aus M arcussons W o h n u n g sogleich

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164 Die Zukunft

dahin gebrach t? U n d w arum die Z w ischenstation bei a e r B ürgerw ehr, als wäre im E denhotel langw ierige V orbereitung nöthig gew esen? W e r ist für den Befehl verantw ortlich, einen, von h u n d e rt B ildern, aus V ersam m lungen un d U m zü g en stadtbekannten M ann, der des H o c h v e r ra te s angeklagt wer*

den soll, in Lift u n d H alle, au f der Rampe eines Luxus*

hotels m it K affeehausbetrieb zu Schau zu stellen? „D a sich auf das G erüch t von der V erhaftung eine große M enschen*

menge am K urfürstendam m eingefunden hatte, ließ m an einen stark bew achten offenen M ilitärkraftw agen an die Seiten*

pforte des H otels kom m en.“ G egen Z eh n abends. D er stillste T heil des K urfürstendam m es. U m diese Stunde fast ausge*

storben. W elch er Schwätzer, welche Petze hat das G e rü c h t von der V erhaftung a u f die finstere Straße getragen? W o h e r kam so schnell die „große M enschenm enge“ ? M u ß te n d ie H erren, die zuvor so voll von „ V e r m u tu n g “ w aren, n ich t m it der M ög lich k eit rascher M ensch enro ttung rechnen u n d für sichere Schirm ung des H äftlings V orsorgen? „L iebknecht w u rde an den K raftw agen gebracht. D ie M enge hatte jed o c h den V organg beo bach tet u n d im nächsten A ugenblick w ar der V erhaftete von einem schreienden M enschenhaufen um*

geben, der, m it dem R uf: ,N ie d e r m it L iebknecht!1 .Schlagt den M ö rd er to t!' auf ihn eindrang. Irgendjem and versetzte dem G efangenen m it einem Stock einen so schweren Schlag ü b er den K opf, d a ß Liebknecht eine stark blu ten d e W u n d e d av o n tru g .“ Irg en d jem an d ? W u rd e der Erbärm liche, der a u f einen G efangenen einhieb, nich t verhaftet, nicht einmal, zum Zw eck d er Personalienangabe, festgenom m en? HattenW ach*- m annschaft u n d Führer nicht schon genug, durch Fahrlässig*

keit, gesündigt u n d m u ß ten sie jetzt sich nicht im D ienst des Strafrechtes fü h le n ? W a s thaten sie? „Sie brachten Lieb*

knecht in das A u to , das dann schnellstens davonfuhr, um den G efangenen vor w eiteren M iß h a n d lu n g e n zu schützen.“

Ist höhere Barm herzigkeit d en k b a r? D as offene A u to fährt.

„Schnellstens.“ A b e r nicht lange. „ D e r T ra n sp o rtfü h re r hatte den Befehl erhalten, durch den T hiergarten nach dem U ntersuchungsgefängniß M o a b it zu fahren. A u f der Char#

lotten b u rg er Chaussee, etwa in der H ö h e des N eu en Sees, erlitt der K raftw agen eine Panne u n d der C hauffeur sagte.

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Notizen 165 d a ß die R eparatur längere Z eit in A nspruch nehm en w erde.“

Eden, C orneliusbrücke, H itzig stra ß e: ein „schnellstens“ fah*

irendes M ilitärauto kann bis auf die C h arlo tten b u rg er Chaussee kaum m ehr als drei, vier M in u ten brauchen. U n d schon ein nicht leicht zu heilender Schade. D iesen „ T ran sp o rt“ ver*

folgt M ißgeschick so unerbittlich wie den Jägerburschen M ax.

D o ch im T hiergarten giebts keine W olfsschlucht. „ D e r Trans*

p o rtfü h re r fragte d en V erhafteten, o b seine W u n d e ihm er*

laube, bis an die H ofjägerallee zu F u ß zu gehen. D o rt w ollte m an ihn in dem nächstbesten W agen w eiterbefördern.“ W e n n m an einen fand. U m Z ehn abends ungefähr so wahrschein*

lieh wie d er F u n d einer Z u n g en w u rst in d er Straßenbahn.

„L iebk n ech t sagte, er kön n e gehen, stieg aus dem K raftw agen u n d g ing etw a fünfzig M eter neben seinen Begleitern einher.

A ls deifT rup p in die N ä h e d er Bäum e kam , stieß L iebknecht im schützenden D u n k e l den T ran sp o rtfü h rer bei Seite u n d entfloh. D ie W achm annschaften riefen ihm dreim al ,HaltI*

nach u n d gaben d a n n , als er nicht stehen b lie b , m ehrere Schüsse ab. V on zwei K ugeln d u rch b o h rt, sank Liebknecht z u B oden u n d gab n u r noch schwache Lebenszeichen. M an rief ein D ro sch k en au to herbei u n d brachte ihn nach der Un*

fallstation am Z oologischen G a rte n , w o der A rzt n u r den bereits eingetretenen T o d feststellen konnte. D ie Leiche w urde nach dem Schauhaus gebracht.“ U n d d o rt als die eines U n b ekann ten eingeliefert, den eine Patrouille erschos*

sen habe. Seltsam. D a rf m an h in ter dieser Falschm eldung s tu tz e n ? Jed e Staunensregung käme schon ein Bischen spät.

D e r in diesen T agen wichtigste Staatsgefangene. Eden. Stark blu te n d e K opfw unde. D e r sie schlug, w ird nicht verfolgt, D e r sie empfing, ins offene A u to gepackt. O h n e V erband, o hn e H u t d urch die W internacht. H öfliche Frage: „Könn*

ten Sie ein W eilchen g e h en ?“ W e n n er verneint, kann er, m it blutendem Kopf, eine Stunde lang oder länger in dem unbew eglichen W agen kauern. Er bejaht. G eht. G ew iß

«ehr langsam. Zw ischen Bewaffneten, Rüstigen, deren H a n d ihn, w enn sein Schrittm aß sich auch n u r breitete, am Aer*

m el packen, zurückreißen konnte. Soll er in F lucht ver*

leitet w erden ? N ic h t nu r ein psychopathisch Belasteter mags glauben, w enn er, um diese Stunde, durch diesen Thiergar*

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166 Die Zukunft*

tentheil g efü h rt w ird. „E r stieß den T ran sp o rtfu h rer b ei Seite u n d entfloh.“ A u f den flinken F ü ß en eines Rehs, dessen Farbe sogleich in das W in te rb ra u n des Parkes verschwim m t.

U n d die M annschaft? Ein Sprung, der Rechte, der Linke, der in d er M itte, je ein S prung: der E ntw ischte zappelt n ic h t m ehr. N e in . H a iti D e r V erw undete w ird niedergeschossen*

H irn u n d Lunge d urch b o h rt. D ie Schüsse, sagt das Gut«

achten der A natom en, k ön n en von h in ten u n d b rauchen nich t „aus nächster N äh e (D a s h e iß t: u nter fünfundzw anzig C entim eter) abgegeben w ord en zu sein“ . U n d n u n liegt die Z u n g en w u rst im Straßenbahnw agen. „ M an “ kann ein Drosch*

k en au to herbeirufen. D essen F ührer h at ein Z eu gn iß von G ew ich t zu geben. W o h e r kam, w ohin w ollte e r? H a tte ihn W eisu n g , irgendein A n ru f oder unbestim m tes Ver*

sprechen nachts gerade an diese Stelle getrieben?

A u s der U nfallstation, spätestens aus dem Leichenschau*

h au s h a t der T ran sp o rtfü h rer doch w ohl ins E denhotel tele*

p h o n irt: „L iebknecht v o r Stabsquartier am K o pf verw un det, nach P anne ausgestiegen, nach Fluchtversuch erschossen.“

D anach k o nnte der F ührer des nächsten „T ransportes“ , d er eine S tunde später von Edens T h o r abging, sich im m erhin richten. T h a t ers? „ U m Frau L uxem burg vor ähnlichen M iß h a n d lu n g e n zu schützen, w ie Liebknecht sie erlitten hatte, begab sich der T ran sp o rtfü h rer auf die Straße, die n u r von w enigen Personen beleb t war, u n d rief m it lauter Stim m e:

»Gehen Sie nach H a u sl Rosa L u xem burg ist du rch einen anderen A usgan g fortgeschafft worden.* D a n n bestieg er seinen K raftw agen u n d rief dem C hauffeur zu: .N ach H ausT D a s A u to m achte an der Kaiser* W ilhelm *G edächtnißkirche eine Schleife u n d kehrte d an n v o r den selben Eingang des H o tels zurück.“ E in zu A ufsehensbereitung w irksam eres M ittel wäre n icht leicht erdenklich gewesen. G egen Elf lauter R u f ü b er die fast leere Straße, Schleife um die nahe Kirche, R ückkehr, ehe die paar G affer sich verlaufen haben konn*

ten. A ls der F ührer m it sechs M an n Frau L uxem burg aus dem Ersten Stock geholt hat, erw arten d en n auch „m ehrere H u n d e rt Personen den A b tran sp o rt d er F ührerin des Spar*

takus*B undes“ . Lift, hinauf, h eru n ter: höchstens fü n f Mi#

nuten. A us „w enigen P ersonen“ aber sind inzw ischen „meh*

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Notizen 167 rere H u n d e rt“ gew orden. D ie drängen a u f Frau Luxem*

bürg ein, reißen den T ransportführer, der, „m it ausgebrei»

teten A rm en“ vor ih r steht, weg u n d schlagen die G efangene so h art auf den Schädel, d aß sie b e w u ß tlo s zu B oden sinkt.

W o sind die sechs M a n n ? In B etrachtung des Sternenhim m els v ersunken? In die Bar ausgeschw ärm t? D e r B ericht n e n n t sie

„B edeckung“. K önnen sieben G ew affnete zwischen T h ü r u n d W agen nicht ein W eib chen vor M iß h a n d lu n g schützen?

N ein . D e n n erst „die hinzukom m enden V erstärkungen k onnten schließlich die M enge zurückdrängen u n d m an schaffte die Verletzte in das A u to , das eilig d av o n fu h r.“

W ied er ein offenes A u to. „E tw a in d er H ö h e der Nürn»

bergerstraße“ (also dicht beim H o te l) „sprang ein unbe*

kannter M an n auf das T rittb re tt u n d feuerte einen Schuß auf die .V erhaftete ab. Er verschw and im D u nk el, ohne d a ß er festgenom m en w erden k o n n te.“ D e r in voller F ahrt auf«*

springende Bürger*Schütze ist sehensw erth jsehensw erther der Soldat*Chauffeur, der ihm nicht nachjagen, ihn nicht übers holen kann. „D as A u to fu h r weiter, w urde jed o c h an d er H itzigbrücke von einer riesigen M enschenm enge aufgehalten.

M an stürm te auf die Soldaten ein u n d riß den K örper d er schon V erschiedenen aus dem W ag en heraus. N o c h ehe die Soldaten sich freim achen k o n n ten , w aren unbekannte Personen m it dem Leichnam im D u n k e l des U fers ver*

schw unden.“ W e r hatte die „riesige M enge“ an die Hitzig*

brücke b estellt? W e r w ußte, wer n u r k o nn te wissen, d a ß nach Elf Frau L uxem burg ü b er diese Brücke fahren w erde?

W esh alb bo g der Führer, der, tro tz dem D u n k el, die riesige M enge frü h genug sehen, sogar h ö ren m ußte, ih r nicht aus u n d fuhr über d en Lützow platz, d urch die Friedrich» Wilhelm«»

Straße? W a ru m ließ er die B ew ußtlose nicht im H o tel oder brachte sie auf die nächste U n fa llsta tio n ? U n d wer löst das R äthsel, daß sieben G ew affnete die Leiche einer G efangenen aus dem A u to stehlen lassen u n d aufdem schnell*

sten G efährt von der R äuberschaar n icht E inen greifen?

In dem ersten O ffiziösenbericht w ar gesagt w orden: d a ß die T ranspo rtfü h rer keine Schuld treffe, sei schon „einwand*

frei festgestellt“ . T ro tz dem U rsp ru n g fiel die dreisie A b keh r von aller Pflicht zu W ah rh aftigk eit auf. Kein Schwamm,

12«

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168 Die Zukunft '

keine aus der Etape aufgesparte Fettseife w äscht diesen son*

d erbaren F ührern die Schuldm ale vom Leib. "Waren sie n u r fahrlässig? Sind sie allein sch u ld ig ? So, w ie der V organg uns geschildert w urde, k an n er nich t gewesen sein. W e d er M iß h a n d lu n g noch L ynchjustiz; schon der Schwatz von blitzschneller M assenschaarung klang u n g laub w ürdig. D as am tliche D eu tsch lan d steht, noch im m er, im R u f d er Ver- logenheit. („C es professionnels m enteurs“ : schrieb vo r ein paar T agen H e rr Pierre Loti, der den Pfützen der Schimpf«

sucher auszubiegen pflegt.) D em am tlichen D eutschland w ird, überall, nachgezischelt, es sei m itschuldig an dem T o d e des D o k to rs Liebknecht u n d der Frau L uxem burg. V on der Schande dieses G eraunes w ollen w ir los. D e n Leuten, die noch in d er A g o n ie des Krieges französische u n d belgische G ru b e n a u f Jah re h inaus u n b rau ch b ar m achen ließen u n d die am Liebsten noch zwischen A n g e b o t u n d A nnahm e des W affenstillstandes den R and des Beckens von Briey*Longwy zerstört h ätten, tö tet W e ltv erd a c h t, u n d schiene er noch

■ so tie f b eg ründ et, nich t den Schlaf. T rieb aber nicht ge*

rade der D rang, v o n diesen entm enschten V ortheilsanbetem sich zu scheiden, in R ev o lu tio n ? U nb eq u em w ar a u ch M arat;

höchst lästig oft sogar im W o h lfah rtau ssch u ß . Robespierre hätte, w enn die C o rd ay nicht m it dem D olch der G iro n d e gekom m en wäre, den Q uengler u n d K reischer b ald a u f den Karren des H en k ers geliefert. D a n n läge das K erlchen w ohl noch im Pantheon. D e r G edanke, d er H irn u n d H a n d C har- lottes bew egte, h a t den eitlen M a ra t aus d er G u n s t gestoßen.

U n ser T a g sah A nderes. Z w ei M enschen, die in d er Ob»

h u t republikanischer G ard e, u n ter dem Schutz der von einer Sozialistenregirung bestellten W äch ter waren, sind getötet w orden. D u rc h wessen S ch u ld ? S putet Euch, alte u n d neue Regirer, da die Frage nich t erw ü rgt w erden kann, in öffent­

liche H au p tv erhan d lung . D ie W e lt w artet.

D a W eim ar die N ationalversam m lung hat: w ird Berlin, wie das auf Versailles eifersüchtige Paris einst, sich ein Palais- R oyal schaffen? D a gings 1789 hoch her. O b w o h l nicht, wie im D eutschen Reichstag, Lederstücke, Bücher, C igarren, W eine, T inte, B riefbogen zu neppen waren. Parlam ent unter

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Notizen 169 freiem H im m el; im G arten u n d au f den G alerien, zwischen Kaffeestuben u n d D irnenspelunken. W iß t Ihr, Idioten, nicht, d a ß hier die R evolution gem acht w orden ist? D och nicht etw a von den satten Bäuchen, deren W in d e den Saal von Versailles verpesten 1 D o rt sind Z w ö lfh u n d ert; hier Zehn«

tausend. Kein A pfel k önn te durch das M enschengeknäuel bis au f die E rde fallen. A llstün d lich , erzählt A rth u r Y oung, schw irrt eine neue Flugschrift heran; lo n d o n er Läden, die ich fü r üb erfü llt hielt, sind neben diesem G ek ribbel W üsten.

N atü rlich : das Bethlehem der Freiheit. H ie r ist die N a tio n gerettet, die neue Freiheit erfunden, ein Patriotism us, der nie zuvor war, gepredigt, der einfachste Soldat im N u auf die H ö h e der P hilo so phie gehoben w orden. N u r hier. W illst D u D esm oulins sehen? G anz o ben l G estern Rechtsanw alt ohne Praxis; heute G e n eralp ro k u rato r der Laterne. D rü b en ist der Baum, von dem er das Blatt, die K okarde der Frei*

heit, pflückte. N o ch m ehr B erühm te? So viele, wie Ih r w ollt.

Alles auf Lager. W e r eine Priese G enie in sich hat, geht hundertm al lieber hierher als u n ter die sechshundert Pfaffen u n d K önigsknechte nach Versailles. D o rt m uß er geduldig w arten, bis ein H e rr Präsident die G n ad e hat, ihm das W o rt zu gestatten. H ie r b rü llt er los, Rede, A u fruf, A ntrag: u n d m erktnach drei M inuten, ob er die M enge beim W ickel h a to d e r sichtro llen m uß. In B rokat oder in Lum pen, m it durchgescheu»

erten Ellbogen, A lt od er Tung: d arau f hu sten sie. Husaren»

Offiziere u n d andere betreßte G ecken w erden m it Steinen un d .Schemelbeinen b egrü ßt. Fin vierjähriges P roletarierkind hat die A nträge gelallt, die für einen ganzen H ofschw arm A cht u nd V erbannung heischten. Ein grim m es Pfäffchen flog, wie ein Federball, h in u n d her d urch die gew eihte L uft unseres Palais»Royal. D ie privilegirte Blase m ag sich einbilden, das w ichtigste O rgan Frankreichs zu sein. W ir lachen ihr in die Fresse. G edanken, Beschlüsse, V etoansage: Alles ent*

steht hier. W ir verkünden Gesetze, vollstreckcn die Strafen, th ro n en au f der Bank m ächtiger T rib u n en . H ie r ist Rom.

U n d auf uns, nicht auf die durchs B rühsieb Geseihten, blickt das A u g e der M enschheit . . . O b A ehnliches nicht bei uns versucht w ird ? Ein Schloß, ein Circus ist zu haben. U n d solches Fastnachtspiel wäre nicht gleich H ochverrath.

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170 Die Zukunft

Sw ift

C c h ö n ist häßlich, Häßlich schön". Fast genau ein Halbjahr- hundert, nachdem der Engländer, der diese .Urformei

«Iler Teufdsaesthetik und Tasclhenspielerethik geprägt hat, seine strahlenden Augen für immer geschlossen hatte, schlug eiru anderer Brite eins der schärfsten Blickpaare iauf, die je ein Sterblicher besessen hat: jener Ire, dessen Lebenswerk werden1 sollte, eben diesen teuflischen Taschenspielern, die, W orte ent- werthend und W erthe entwurzelnd, die Erdrinde überwimmeln, die Maske vom Schächerantlitz zu fetzen. Vor einem Viertel­

jahrtausend iwurde Jonathan Swift geboren.

Ueber !Wo und W oher dieser ““Geburt weiß idh nichts Näheres. Die Manen des, trotz Moliere, ätzendsten Verhöhners

"wissenschaftlicher Akribie werden mir verzeihen, we)nn ich keine Lexikalien, wälze, um Daten festzustellen. £ u (meiner ehrlichen Beschämung muß ich auch gestehen, daß ich seine

„Gesammelten Schriften/' (die Erich Reiß vor Jahren schon deutsch herausgab) nicht gelesen habe. Ich bin nur zu Haus in den Königreichen Liliput und Brobdignag, iauf der Luft­

insel der seelenlosen Mathematiker ulnd im Irgendland der seelenvollen Pferde. Ich weiß genau, wie viele Millimeter der Fingerhut tier Zwergenkönigin und wie viele Meter der Finger­

ring Üer Riesenprinzessin im Durchmesser mißt, was Serviette auf Yähu heißt und welchen Mützenknopf (der siebente Lo­

garithmenmandarin hat. Ich wußte es als Zehnjähriger und werde es noch als Hundertjähriger wissen. Die Phantastik dieser vier wie unter der Lupe geschriebenen Märchen, die mir heute ein Wenig trocken erscheint, war mein Kinderentzücken; und ihrer Sarkastik, die ich ^damals überhaupt nicht sah, gehört meine erwachsene Bewunderung. Wenn anders man auf diese tita­

nischen Pasquille einen Ausdruck anweaiden kann, der heute schon für die armsäligen Scherze wöchentlich erschwitzter Witz­

blätter verschwendet wird. (O daß Jonathan Swift doch dieses Satirikerbeamtenthum gekannt hätte! Ein weiteres Buch wäre gewiß die Paradoxie aller Paradoxien, die Neunte Symphonie geistiger Prismatik geworden: die Satire auf die Satiriker.

Wie Swift mit einer Geberde, jgjie die Horizonte errafft, buchstäblich das Unterste zu oberst und (.das Oberste zu unterst kehrt, wie er, recht nach Hekates Rezept, Groß zu Klein, und Klein zu Groß, Mensch zu Thier und Geist hr'Koth ver­

kehrt: Das findet in. (seiner schier unüberbietbaren Format­

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S w ift 171 weite nur bei dem Schöpfer jener abgründigst-irointschen ccm- iradkntk» Sn adjecto seinesgleichen, die „Der Ritter von der traurigen Gestalt" betitelt ist. Wem bew;ul?t bleibt, daß ein Oenoese Gullivers in Land und Läuften Lodke hieß, Der kann sich nicht wundern, daß in den Bezirken van Liliput und La- puta die herzblutrothe Blume des großen Mitleids nidht in so üppiger Blüthe steht wie auf den Aedkern der Mancha. Aber man müßte schon ein Dostojewskij sein, um Swift Kälte vor-

■werfen zu dürfen. Mit welch anderem Apparat und unter

■weldi anderer Temperatur als der des Eisreif verbreitenden

•Gebläses flüssiger Luft könnte man denn lauch den felshart gemörtelten Pyramiden beikommen, unter denen die Toten­

gräber der Werthe ihre Opfer verbergen? Womit anders!

sollten die Jahrhunderte alten Zwingthürme von fables con- venues zu stürzen sein, die die Masse der EwigbDurchschnitt- lichen «in unermüdlicher Kärmerei aufgeschichtet hat, als mit dem breitstirnigsten Sturmbock, dessen ein Saekulargenie hab­

haft werden und dessen allein ein solches sich bedienen kann?

Meter muß zu Millimeter und Meile aus Meter gemacht werden., um die immer wieder i einreißende Maß vermansch ung den Menschen vor ihre Maulwurfspupillen zu stellen; radikal muß ihnen erwiesen werden, wie aus Wohlthiat Plage, aus Geist Seuche, aus Zweibeiner Vierhänder wird; und radikal muß ihnen dagegen am Beispiel gezeigt werden, (wie die Zwerglei die größeren Hirne, die Riesen die ländlicheren Seelen, die Pferde die menschlicheren Herzen haben. Radikal, Das heißt:

aus der Wurzel muß das Unkraut gejätet und von deq Wurzel der Frifchtbaum auf gepflegt werden. Das ist kein, Geschäft für gallische Ziergärtner und holländisch bequeme Hyazinthen­

züchter. Es ist kein Zufall, daß eich der, zugegeben, etwas theatralische Wahrheitfanatismus der klassischen englischen Philosophie, ihr, zugegeben, oft marktschreierisches Moralpuri­

tanerthum vor der Wandelcoulisse des immer gewaltiger in die Weite wachsenden größten Kolonialreiches der Welt abwickelt.

Aristophanes war ein Zechgenosse (des Perikles und Moli£re ein Zeitgenosse des Sonnenkönigs; Cervantes ist im! Jahrzehnt vor dem Tode des Fünften Karl und Swift im Jahrzehnt.nach dem des Großen Cromwell geboren. Taugte in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts den Deutschen vielleicht der helldunkle Rembrandt als Erzieher, jetzt kann kaum ein W ür­

digerer in dieses Kronamt eingesetzt werden (als der Kelte^

«aus dessen Auge das Licht stahlgrell und fast überkonturiremJd

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171 Die Zukunft

5&*ie aus der Kinolampe fährt. Wollen die Deutschen ein Welt­

volk werden, dann müssen sie weg von der wehleidigen Be- Kitzelung des Pfahlbürgers und aufsteigen zur schmerzhaften Selbstverhöhnung des Demos; müssen sie die Tafeln der W erthe .wieder sichtbar allem Volk aufrichten. Nicht, daß immer klein­

lich-neue W erthe geschaffen werden, die ja meist doch n u r (besten Falls) Differenzirungen der dagewesenen bedeuten, son­

dern, daß von den aeonenalten großen der hemmende Tang gekratzt und der verdickende Kalk gehauen werde, der sich auf der Fahrt durch die Jahrhunderte eingesetzt hat: Das»

heißt Fortschritt und wahre Entwickelung. Schön soll wieder Schön und Häßlich wieder Häßlich sein, Hoch muß wieder Hoch heißen, Niedrig wieder Niedrig genannt und keine Katze darf straflos von krippenjägerischen Magen und magenlüstemett Sippen zum Königstiger umgetauft werden.

München. H a r r y K a h n .

W irrniß

1 ^ 1 eben den unheilvollen Maßnahmen einer eitlen, auf äußere Schau- Stellung deutscher We tgeltung und deutschen Weltwillens eingestellter?

Sprunghaftigkeit in Entschlüssen und Handlungen kann man durch die Regirthätigkeit Wilhelms des Zweiten und seiner Rathgeber ein führendem und treibendes Moment beobachten: die Furcht vor der rothen Fluth. Bis­

marcks Sozialistengesetz hatte sich als unzulänglichen Damm erwiesen, die steigenden Zahlen der sozialistischen Wähler weckten bei der Bureaukratie die Sorge um die Dauer ihrer Herrschaft, Ausstände und Lohnkämpfe das^

Mißtrauen der Großindustrie und ihrer Führer, die für ihren wirthschaft- lichen und politischen Einfluß zu fürchten begannen. Auf der anderen.

Seite empfand der natürliche Instinkt der Arbeiter, daß selbst jeder ver­

lorene Lohnkampf letzten Endes ein Zugeständniß brachte und daß zwar die ganze Gesetzmaschine auf ihre Zügelung eingestellt war, durch Ungeschick und Unbeständigkeit aber nicht nur nichts Positives erreiche, sondern zum Schluß jedem ernstlichen Ansturm nachgebe. Nicht nur in engen Kreiselt der sozialistischen Partei, sondern weit darüber hinaus gewöhnte man sich an den Gedanken, weite Erwerbszweige könnten «vergesellschaftet- , die Eigenwirthschaft durch beamtete, minder verantwortliche und nicht p«r- sönlich interessirte Leitung ersetzt werden. Das Eindringen juristischer

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