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Alfred Döblin: Die Flucht aus dem Himmel

3.4 Bedürfnis nach dem Identifi kationsangebot: Maria als Frau – Maria und

3.4.3 Alfred Döblin: Die Flucht aus dem Himmel

Der kurze Text431 aus dem Jahre 1919 des deutschen Schriftstellers von jüdischer Abstammung, der vor allem aus prägnanten, ausdrucksvollen Bildern besteht, wird von der Spannung konstituiert, die unter drei Figuren herrscht: Gott Vater, Jesus und Maria. Was hier im Vordergrund steht, sind die Vibration der komplizierten Verhält-nisse und die emotionelle Interaktion, nicht die EreigVerhält-nisse.

Gott Vater darf nur angedeutet, nicht aber beschrieben werden, seine Schilderung macht es deutlich, dass diese Figur in seiner totalen Unmenschlichkeit kein Ansprechspartner ist, seine Figur stamme aus einer ganz anderen Ordnung, sei völlig anders:

eine tiefe schwarze Regsamkeit, rauchend an das Himmeldach, eine mattblinkende Mas-se, Metallmasse von Blei und Zinn, ungeheuer. Schwache Linien, Biegungen, ein Knie umrissen, von einer Hüfte eine Falte abwärts gespannt, Bewegung wie der Sturz einer Sandlawine. Der Rumpf, wo mochte der Rumpf sein. Die Arme, wo mochten sie sich, bis zu welcher Höhe sich erheben. Keines Kopfes schien diese Masse, diese Wolkenwand zu bedürfen. Ihr Anblick so erschütternd, Zungen lähmend. Kein Ich konnte hier bestehen bleiben, tiefste Bewußtlosigkeit strömte die Masse aus.432

429 Zit. nach: BEINERT: Maria in der feministischen Theologie, a.a.O., S. 24.

430 Vgl. KOPALIŃSKI: Słownik mitów i tradycji kultury, a.a.O., S. 666.

431 Alfred DÖBLIN: Die Flucht aus dem Himmel, in: Ders.: Erzählungen aus fünf Jahrzehnten, hg. von Edgar PÄSSLER, Olten und Freiburg im Breisgau 1979, S. 291–295.

432 Ebd., S. 291.

Der Erzähler scheint selbst nach den Körperteilen als Anzeichen der Menschlichkeit zu suchen. Die einzige natürliche Reaktion kann hier nur die Furcht sein, in dieser Anwesenheit kann kein Mensch bestehen, kein anderes Ich ist im Stande auszuhar-ren. In dieser Zusammenstellung ist es klar, dass Jesus eher in einer Reihe mit Maria an der Seite des Menschlichen steht und nicht mit Gott Vater. Zu diesem Sohnsein bekennt er sich zweimal ausdrücklich genau an den Stellen, wo er seine Verbunden-heit mit der MenschVerbunden-heit unterstreicht: Als er nicht aufhören kann, zu weinen, als er die Erde und ihr Leiden sieht: „Wie wäre ich dein Sohn, Maria [...] wenn ich mich beruhigen könnte [...]“433 und als er ablehnt „sein menschliches Kleid von sich zu werfen“.434 Jesus als Gott-Mensch ist ein wahrer Sohn des Vaters und der Mutter.

Seine Liebe zur Menschheit stellt ihn an die mütterliche Seite, Maria steht hier also für das Menschliche, das dem unbegreifl ichen Göttlichen entgegengestellt wird. Bei diesem Vorrang der Mutter lässt sich auch eine Spur der expressionistischen Rebel-lion gegen den Vater erkennen: „Er [Jesus] schien eine neue Welt schaffen zu wollen unter den Menschen, den Überwucherten, ein Umschöpfer, Gegenschöpfer“.435 Maria ist die Einzige, die Jesus Beistand leistet: „Sie knieten nebeneinander, stierten abwärts, stierten die Erde an. Die Erde geöffnet, die Länder rauchten“.436 Die Welt wird aus einer kosmischen Perspektive betrachtet, in diesem Sinne bilden Jesus und Maria ein Paar, das zusammengehört. Sie sehen das Leiden der Menschheit und tei-len den Schmerz. Die Mutter will das Mitleid des Sohnes und das Leid der Welt mil-dern und entscheidet sich für die Fürsprache bei Gott: „Dumpf die Haare zerbeißend, barmte sie wie schon tausendmal um die Erde. Kein Laut. Schärfer, schneidend die Kälte. Sie wich“.437 Die kalte Andersartigkeit Gottes macht es unmöglich, mit ihm normal, menschlich zu kommunizieren. Der Mensch kann vor Gott nicht bestehen und die Distanz droht den Menschen zu zerschmettern, der es wagt, sich an Gott direkt zu wenden: „Maria sprach kein Wort, lag allein mit dem Gesicht im Gras“.438 Jesus verlässt den Himmel und scheint hier bewusst die Linie der Mutter zu wählen, also die Linie des Menschlichen, obwohl sein Verhältnis zum Vater von tiefster Ver-ehrung geprägt ist. Bei diesem „Elternpaar“ ist es traditionell die Mutter, die emotio-nell diesen Schwund des Kindes aus dem Himmel erlebt, Maria versucht den Sohn zu suchen: „Jesus verschwand aus dem Himmel, dem Ungeheuren aus den Augen verloren, Maria verzweifelt geworfen auf den Rücken zweier Wildgänse, damit Gott ihr Schreien nicht hörte vor dem Geschrei der Vögel“.439 Mensch sein bedeutet zu leiden und zu schreien, dies wird mit distanziertem Gott Vater kontrastiert, der den menschlichen Schrei einfach dämpfen will. Maria ist in diesem Text diese, die ihren Emotionen einfach Ausdruck gibt, an ihrer Figur sind die expressionistischen Züge

433 Ebd.

434 Ebd., S. 294.

435 Ebd., S. 293.

436 Ebd., S. 291.

437 Ebd., S. 292.

438 Ebd.

439 Ebd.

des Textes am stärksten deutlich, z.B. „schrillte vor Entsetzen“440, sie ist also leben-dig, „sie ging ihn [den Sohn] suchen über die Länder, lief, lief“.441

An der Figur Mariens wird gezeigt, was es eigentlich bedeutet, Mensch zu sein. An der Figur Gottes kommt dagegen sein Kein-Mensch-Sein zum Ausdruck, Er wird als eine undifferenzierte Masse beschrieben, aus der sich nur ab und zu einzelne zerstü-ckelte Elemente des Körpers abheben, sie bilden aber zusammen keinen normalen Menschenleib, sie bilden kein Ganzes: „Und das ungeheure Wesen oben, aus über-weltlichem Sinnen durch ihr Stöhnen geweckt [...] Seinen Rumpf warf er tief vor, daß ein Krachen erscholl, Bersten, Splittern eherner Gebirge“442 Es wird zwar darauf hingedeutet, dass dieser Gott auch einen Körper hat, der aber in seiner Dekomposi-tion noch unmenschlicher wirkt.

Gott erkennt die besondere Nähe und Ähnlichkeit, die zwischen Maria und Jesus herrschen: „Es geschah, wie er gefürchtet hatte. Hier wollte jemand die Menschen umgießen, gegen ihn, gegen Gott. Maria und Jesus liefen Arm in Arm über die Län-der, schienen nicht zu wissen, von wo sie stammten, nur die göttlichen Mächte, die in ihnen wohnten, zu verschütten“.443 Mit dem Verb „verschütten“ wird nicht nur ausgedrückt, dass sie diese Macht benutzen und auf diese Weise verteilen, sondern vor allem, dass sie sie los werden wollen und an der Seite des Menschlichen stehen.

Gott der Vater ist im Stande diese Opposition zu erkennen: „Die Erregung wuchs in dem Himmlischen oben. War dies eine Verschwörung wie vor grauen Zeiten?“.444 Jesus und Maria werden hier also als Gegenspieler Gottes betrachtet, was noch ihre Nähe zueinander unterstreicht.

Das Problematische fängt aber recht da an, wo Jesus und Maria erkennen, dass sie von der Menschheit auch nicht gebraucht werden: „daß sie ihn nicht mochten, seine Liebe nicht, Marias Liebe nicht. Und daß er sie reizte, weil er nicht von ihnen ging“.445 Es zeigt sich aber, dass Jesus weder in die Seite des Nicht-Menschlichen noch des Menschlichen integriert werden kann. Maria will ihren Sohn retten und versucht alle möglichen Mittel einzusetzen, ihr Verhalten ist fi eberhaft und emo-tionell:

Wie er seine Mutter tröstete, die sich entsetzt von den Menschen abwandte, die Menschen zu erweichen suchte, sich vor ihr Kind stellte, klagend. Er beschwor sie, er gebe nicht nach. Sie weinte über die Menschen hin, dies sei ein Gott, ihr Sohn, der sich verleugne.

„Ich hab es nicht gewollt“, schrie sie, „dies gab ich dir nicht auf den Weg“446.

Maria ist hier aktiv, sie versucht etwas zu tun und das Schicksal des Sohnes abzu-wenden.

440 Ebd.

441 Ebd.

442 Ebd.

443 Ebd., S. 293–294.

444 Ebd., S. 293.

445 Ebd., S. 294.

446 Ebd.

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