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Wie schon angedeutet wurde, gibt es nur wenige Arbeiten, die sich mit der Maria in der Literatur des 20. Jahrhunderts auseinandersetzen. Es fallen hier zwei Sachverhal-te zusammen; die bescheidene Anwesenheit Marias in der LiSachverhal-teraturwissenschaft ist eine natürliche Folge dessen, dass auch ihre Anwesenheit in den literarischen Texten im 20. Jahrhundert seltener als in den früheren Jahrhunderten ist. Diese Lücke ist für die literarische Anwesenheit der biblischen Frauen im Allgemeinen charakteristisch:

Was fehlte, war ein detaillierter Blick auf die literarische Rezeptionsgeschichte der bibli-schen Frauengestalten. Zu oft standen sie – schon in der Bibel selbst, auch in der Litera-tur und bis hin zur wissenschaftlichen Wahrnehmung – im Schatten der großen Männer.

Dieses selbstindizierte Desiderat wurde zur Verpfl ichtung. Im Jahr 2003 erschien ihre [Magda Mottés] Studie zu den „Biblischen Frauen in der Literatur des 20. Jahrhunderts“.5 Für die Marienmotive sind besonders die Arbeiten von Marianne Hendricks, Karl-Josef Kuschel und Anika Davidson von Bedeutung. Marianne Hendricks ist die Autorin der Dissertation Die Madonnendichtung des 19. und 20. Jahrhunderts6 aus dem Jahre 1948, die jedoch nur in Maschinenschrift blieb. Im Hinblick auf die Ma-rienmotive sind die informativen Arbeiten von Karl-Josef Kuschel wesentlich, vor allem sein umfangreicher Überblicksartikel im Handbuch der Marienkunde7, wo er chronologisch vorgeht und Maria als Lackmuspapier der außerliterarischen Wand-lungen betrachtet:

Ziel war vielmehr, dem Leser einen möglichst breiten Überblick über die Literatur des 20.

Jahrhunderts zu verschaffen und dabei Grundstrukturen der dominanten und relevanten Themen, Stoffe und Motive herauszuarbeiten. [...] Literatur wird dann zum Seismogra-phen für die geheimen oder offen zu Tage liegenden geistigen und gesellschaftlichen Erschütterungen, die die jeweilige Zeit bestimmen.8

Kuschels Vorgehensweise betrachtet also die literarische Maria als einen Spiegel für die Wandlungen der Zeit und soll auch eine gewisse Systematisierung erzielen, was auch aus den Titeln der einzelnen Unterkapitel zu ersehen ist:

1. Übergänge: Grundzüge des mittelalterlichen und romantischen Marienbildes; 2. Sym-bolistische und ästhetizistische Weiterführung bei Stefan George und Rainer Maria Ril-ke; 3. Prozesse der Mythisierung bei Hermann Hesse und Alfred Döblin; 4. Spuren der Marienthematik zur Zeit des Expressionismus; 5. Annäherungen aus dem Jüdischen; 6.

Elemente des Marienbildes in der traditionellen christlichen Literatur; 7. Strukturen des Maria-Bildes in der Literatur nach 1945.9

5 LANGENHORST: Theologie und Literatur, a.a.O., S. 82.

6 HENDRICKS: Madonnendichtung aus dem 19. und 20. Jahrhundert, a.a.O.

7 Karl-Josef KUSCHEL: Maria in der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts, in: Wolfgang BEINERT, Heinrich PETRI (Hg.): Handbuch der Marienkunde, Regensburg 1997, Bd. 2, S. 215–269.

8 Ebd., S. 215.

9 Vgl. ebd., S. 215–269.

Diese Unterteilung erfolgt sowohl aus der Chronologie als auch aus den gemeinsa-men Zügen der spezifi schen Verarbeitung der Figur Mariens in den einzelnen Texten.

Bei Heinrich Schmidinger in dem von ihm herausgegebenen Doppelband Die Bibel in der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts fi ndet sich ebenfalls ein Kapitel zu Maria von Karl-Josef Kuschel.10 Die Entwicklungstendenz der literari-schen Umgestaltung der Marienmotive wird wie folgt subsumiert:

Literatur macht Leser fähig, die je eigenen, festgefrorenen Bilder zu überprüfen und sich neu mit einer Figur auseinanderzusetzen, von der viele glauben, sie sei eine Gestalt von gestern, domestiziert von Dogma, Liturgie und Volksfrömmigkeit. Die Literatur zeigt im Gegenteil: Auseinandersetzung mit der Sache Marias heißt die politische Machtfrage stellen: Von welchen Kräften und Mächten wird unsere Welt beherrscht? Von der Macht des Schwertes, vom Wahn „männlicher“ Selbsterlösung und Selbstreproduktion? Von re-ligiösem Fanatismus, Haß auf Andersdenkende und Intoleranz? Welches Bild von Kirche entspricht der Sache Marias? Die Ecclesia triumphans, die triumphierende Kirche, oder die Ecclesia sub cruce, die Kirche unter dem Kreuz? Die männliche Macht- und Herr-schaftskirche oder die geschwisterliche Kirche, in der etwas vom Geist marianischer Dia-lektik zu spüren ist: der DiaDia-lektik von Macht und Ohnmacht, Scheitern und Sieg, Stärke und Schwäche? [...] Vielen Autoren [geht es] nicht um eine Zerstörung des Glaubens an Maria, nicht um eine wilde Bilderstürmerei, sondern um eine Aufarbeitung traditioneller Marienbilder, um zu der von der Schrift bezeugten authentischen Sache Marias immer wieder neu vorzustoßen.11

Zu den literaturwissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit der Marienfrömmig-keit gehört auch die Dissertation von Anika Davidson Advocata Aesthetica. Studien zum Marienmotiv in der modernen Literatur am Beispiel von Rainer Maria Rilke und Günter Grass.12 Schon aus dem Titel ist ersichtlich, dass die Untersuchungen hier sehr spezifi ziert wurden und keine Überblicksdarstellung leisten wollen: „Um Textverfahren soll es gehen, um Möglichkeiten des modernen Umgangs mit einem gleichsam als Prätext verstandenen, bestimmten biblischen Bild (‚Maria‘), nicht aber um Auf- oder Nachweis möglichst vieler Verarbeitungen desselben“.13 Obwohl das Hauptaugenmerk hier nur zwei Autoren gilt, scheinen sich die präzis und ordentlich beschriebenen Methoden der Arbeit an den Marienmotiven auch auf andere litera-rische Texte übertragen zu lassen: „Über das kollektive Urbild ‚Maria‘ wird man vielleicht nicht allzu viel neues erfahren, über die raffi nierten Textstrategien und eigensinnigen Marien-Gestaltungen der Autorensubjekte Rilke und Grass, über ihre Arbeit mit Vorbildern und darüber, wie Literatur im Grunde ‚funktionieren‘ kann, hingegen eine ganze Menge [...]“.14 Als Ziel der Monographie wird angegeben, „eine

10 Karl-Josef KUSCHEL: Maria, in: Heinrich SCHMIDINGER (Hg.): Die Bibel in der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts, Mainz 1999, Bd. 2, S. 413–434.

11 Ebd., S. 433.

12 Anika DAVIDSON: Advocata Aesthetica. Studien zum Marienmotiv in der modernen Literatur am Bei-spiel von Rainer Maria Rilke und Günter Grass, Würzburg 2001 (= Literatura. Wissenschaftliche Beiträge zur Moderne und ihrer Geschichte, hg. von Walter GEBHARD, Heinz GODEL, Bd. 12).

13 Ebd., S. 19.

14 Ebd., S. 25.

quantitativ-positivistische Findekunst“ durch „ein qualifi zierend-differenzierendes Interpretationsmodell“15 zu ersetzen. Die Autorin lässt es bei der bloßen Konstatie-rung der Anwesenheit der Marienmotive nicht bewenden.

Die Auffassung beruht hier auf einer primären semantischen Abgrenzung von zwei Sachverhalten, die jetzt nur sehr vereinfachend benannt seien: Maria wird einerseits als ein Signifi é, andererseits als ein Signifi ant betrachtet. Zum ersten Pol gehören die „typischen“ Marientexte. Maria steht hier im Zentrum des Textes, sie ist sein

„Ziel“, sie soll näher bestimmt werden. Um dieses Ziel zu erreichen dürfen auch neue sprachliche Bilder, neuer Wortschatz oder Bedeutungsverschiebungen ange-wandt werden; Maria bleibt hier aber das Bezeichnete. Die literarischen Verfahren werden herangezogen, um das Verständnis der Gestalt Mariens zu ergründen und sie zu deuten. Den Gegenpol bilden die Texte, die ein ganz anderes Zentrum haben, Maria wird aber als ein bezeichnendes Element herangezogen, es werden Elemente, Bruchstücke des zersetzten marianischen Stoffes erwähnt. Sie fungieren aber in ganz neuen Kontexten und es werden ihnen Funktionen auferlegt, die mit dem ursprüng-lichen Kontext der Figur Marias wenig zu tun haben. Die Monographie besteht also aus zwei Teilen: „A. Auf der Suche nach dem Signifi kat (Rainer Maria Rilke)“16 und

„B. Spiel mit den Signifi kanten (Günter Grass)“.17 Beispiele für die erste Vorgehens-weise bilden die Texte von Rilke, seine Erzählung Alle in Einer (1897), Gedichte aus den Zyklen Gebete der Mädchen zur Maria (1898) und Das Marien-Leben (1912), als Beispiele für das Signifi ant gelten vor allem die epischen Texte von Günter Grass (Die Blechtrommel, 1959 und die Novelle Katz und Maus, 1961). Es wird vor allem danach gefragt, welche Funktion ein Marienmotiv im Text hat und wie der jeweilige Autor daran arbeitet.

Aus den Untersuchungen von Davidson geht hervor, dass Rilke die traditionellen Bilder und Begriffl ichkeit in Frage stelle, er untersuche die Topoi und schaffe sein eigenes Bild von Maria. Er suche also nach einem neuen Signifi é. Er entwickle die Bilder aus dem Marienleben weiter und dekonstruiere die christliche Tradition. Ma-ria sei bei ihm eine Schönheit, die nur von den Künstlern verstanden werden könne.

Für Grass seien die traditionellen Bilder nützlich als Argumente, die als Amplifi -kation des eigentlichen Problems dienen. Er bediene sich der traditionellen Topoi und stelle sie mit anderen Inhalten zusammen. Nicht um Maria gehe es hier, auf sie werde kein neues Licht geworfen, zum Teil werde sie bei Grass rhetorisch genutzt.

Grass übernehme eher fertige Bilder und strebe nicht danach ein neues Marienbild zu schaffen. Maria würde bei ihm eher einer Märchenfi gur gleichen, die von Ge-heimnis und Wunder umwoben wird.

Die von Davidson eingeführte Gliederung scheint plausibel zu sein und sich auf andere literarische Texte applizieren zu lassen.

Eine weitere wichtige Publikation ist in diesem Bereich die Monographie von Mag-da Motté Esthers Tränen, Judiths Tapferkeit. Biblische Frauen in der Literatur des

15 Vgl. ebd., S. 23–24.

16 Ebd., S. 51.

17 Ebd., S. 229.

20. Jahrhunderts.18 Die Forscherin ist in ihrer Beurteilung der literarischen Anwe-senheit der weiblichen Figuren aus dem Neuen Testament ziemlich skeptisch: „Wie [...] in der Auswertung dargelegt wird, spielen die Frauen des Neuen Testaments in den literarischen Produktionen eine kümmerliche Rolle“19, an einer anderen Stelle heißt es direkt von der literarischen Maria: „Trotz dieser Versuche in jüngster Ver-gangenheit fehlt ein Werk von weltliterarischem Rang, in dem Maria als irdische Person ganz ernst genommen und die schwierige Beziehung zu ihrem Sohn aufge-arbeitet wird“.20 Sogar ganz oberfl ächlich gesehen nimmt der Maria gewidmete Teil der Arbeit einen ziemlich bescheidenen Umfang im Vergleich zu anderen biblischen Frauen ein. Bei Motté wird hervorgehoben, dass die literarischen Texte mit der Ma-rienmotivik überraschenderweise die in sie gesetzte Hoffnung des Forschers nicht sättigen: „Auf diese Art verehrender Darstellung oder Nachahmung wird hier nicht weiter eingegangen. Eine Gesamtübersicht würde ohnehin den Rahmen sprengen, ohne dem Motiv Maria Entscheidendes hinzuzufügen“.21

Obwohl die Arbeit von Motté die biblischen Frauen für die Forschung zurückzu-gewinnen versucht, hat das Kapitel zur Figur Mariens den Tenor, dass es in diesem Falle wahrscheinlich nicht besonders lohnenswert ist, weil die ästhetische Qualität vieler von diesen Texten viel zu wünschen übrig lässt. Im Rekurs auf Motté fasst Langenhorst zusammen:

Nur ganz wenige biblische Frauengestalten führen ein wirkliches Eigenleben in der lite-rarischen Rezeptionsgeschichte: Letztlich erschöpft sich das Spektrum jener Gestalten, die eine eigene Untersuchung rechtfertigen und reizvoll erscheinen lassen würden, in Eva, Rut, Judit, Ester, Maria und Maria Magdalena. Vor allem der Befund zu Maria, der Mutter Jesu überrascht. Zwar lassen sich hier zahllose Titel nennen, viel zu oft handelt es sich dabei jedoch um Beispiele „verehrender Darstellung oder Nachahmung“ [...] deren ästhetische Qualität sehr fragwürdig bleibt. Überhaupt wird das Kriterium der ästheti-schen Qualität zur Trennscheibe zwiästheti-schen der Rezeption männlicher und weiblicher Bi-belgestalten.22

Die Übersicht der wichtigsten Arbeiten, die sich mit den Marienmotiven beschäf-tigen, veranschaulicht, dass bisher eine Monographie fehlt, die sich eingehend mit diesen Motiven im ganzen 20. Jahrhundert befassen würde. Meistens werden sie ne-ben anderen biblischen Motiven erforscht, was aber nicht erlaubt, sich auch mit dem weiten Feld der Marienfrömmigkeit auseinanderzusetzen, denn es scheint, dass die Figur Marias im kulturellen Raum ganz anders anwesend ist als die sonstigen bib-lischen Motive. Die vorliegende Arbeit setzt sich zum Ziel, diese Lücke mindestens teilweise zu erfüllen.

18 Magda MOTTÉ: Esthers Tränen, Judiths Tapferkeit. Biblische Frauen in der Literatur des 20. Jahrhun-derts, Darmstadt 2003.

19 Ebd., S. 208.

20 Ebd., S. 217.

21 Ebd., S. 212.

22 LANGENHORST: Theologie und Literatur, a.a.O., S. 82–83.

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