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Peter Henisch: Die schwangere Madonna

3.2 Das ästhetische Bedürfnis – ästhetische Dimension der Marienfrömmigkeit

3.2.2 Kunst der Ekphrasis

3.2.3.3 Peter Henisch: Die schwangere Madonna

Ein konkretes Kunstwerk steht im Zentrum des sich an der Grenze zur Popkultur platzierenden Romans Die schwangere Madonna214 (2005) von Peter Henisch (geb.

1943). Die Realität des 21. Jahrhunderts ist hier mit biblischen Motiven und kul-turellen Anspielungen durchwirkt. Religiöse Anspielungen und das Motiv des der Jugend entgegengestellten Alterns sind die am stärksten ausgeprägten Motive des Romans. Sie sind schon in der Grundstruktur des Textes enthalten: Der ältere Mann mit dem Namen Josef kümmert sich während einer Reise um die junge Maria, von der er weiß, dass sie infolge ihrer Affäre mit ihrem Religionslehrer schwanger ist.

Das Mädchen entwendet ihrem Lehrer die Autoschlüssel und legt sich auf den Rück-sitz in sein Auto. Josef sieht zufällig Autoschlüssel im Schloß, steigt ein und nutzt die Gelegenheit aus, sein bisheriges Leben, mit dem er nicht zurechtkommen kann, zu verlassen. Er weiß noch nicht, dass auf dem Rücksitz Maria schläft. Das Paar überschreitet die Grenze und so fängt seine mehrwöchige Reise über Italien an.

Das Verfahren, die Präfi gurationstechnik zu benutzen, das Zusammenfallen mit dem Bild der Heiligen Familie, in der sich ein als seine Ehefrau älterer Josef um sie kümmert, obwohl er weiß, dass sie nicht sein Kind trägt, ist absichtlich, so wie auch das, dass trotz vieler Momente der Nähe keine erotische Relation zwischen ihnen entsteht. Erst am Ende der Reise zeigt es sich, dass Maria bei sich falsch die Schwan-gerschaft diagnostizierte. Auf Schritt und Tritt liefert das Ambiente Italiens Zeichen der religiösen Kultur (darunter auch der katholischen Marienfrömmigkeit)215, die meistens nur am Rande des Bewusstseins der Protagonisten erscheinen. Diese Kunst ist unaufdringlich, sie gehört aber zum Lokalkolorit des besichtigten Landes.

Zum Beispiel an der Ecke mit der kleinen Marienstatue unter dem Erker. Sie saß hinter Glas, zu ihren Füßen brannte ein rötliches Licht. Mit der Dämmerung wurde das Licht immer deutlicher. Jedesmal, wenn wir erneut in seine Nähe kamen, sahen wir es schon aus größerer Entfernung.216

Die Handlung läuft auf das Fresko von Piero della Francesca (um 1410–20–1492) Madonna del parto in Monterchi zu, das in den sechziger Jahren des 15. Jh. entstan-den ist und von Kunsthisorikern als „erhaben und vereinfacht“217 bezeichnet wird.

Josef sucht seine junge Begleiterin, ist aber nicht im Stande sie zu fi nden, er ist sich schon dessen bewusst, dass jetzt keine Fortsetzung dieser Bekanntschaft folgt.

214 Peter HENISCH: Die schwangere Madonna. Roman, St.Pölten u. Salzburg 2006.

215 Vgl. Agnieszka SOWA: Nowoczesność a metafi zyka w powieści „Brzemienna Madonna“ Petera Heni-scha, in: „Roczniki humanistyczne“, Bd. 58, H.5 (2010), S. 155–168.

216 HENISCH: Die schwangere Madonna, a.a.O., S. 83.

217 Piero della FRANCESCA, in: STADLER, WIENCH u.a. (Hg.): Lexikon der Kunst,, a.a.O., Bd. 7, S. 168.

Der Text kommt zu seinem Ende vor dem Fresko, vor welches Josef ganz zufällig gelangt und das ihn plötzlich zum Anhalten und zur Kontemplation zwingt. Erst hier zeigt es sich, dass die ganze Handlung darauf zugelaufen ist, dass alles Chaotische und Unruhige an diesem Ort seinen eigentlichen Sinn erhalten könnte, den das Fres-ko wie eine Linse fokussiert. Josef verliert völlig sein Zeitempfi nden. Was Josef vor dem Fresko fesselt, ist vor allem die Ähnlichket der darauf dargestellten Mutter Got-tes mit dem Schulmädchen, dessen angebliche Schwangerschaft den eigentlichen Kern dieser Parallele bildet. Die Kontemplation des weiblichen Geheimnisses bildet den beruhigenden Ausblick des Romans:

Im Zentrum der Wahrnehmung war das Madonnenfresko. Je länger ich es betrachtete, desto tiefer versank ich in seinen Anblick. Die anderen Menschen empfand ich diffus als Störung. Ihr Kommen und Gehen stand im Gegensatz zu meinem Bleiben.

Nach und nach verschwanden die anderen alle. Ihre Anwesenheit hatte ich so weit wie möglich ausgeblendet, aber ihre Abwesenheit fi el mir nun doch auf. Nicht daß sie mich störte. Auch das Dunkel störte mich nicht. Die Madonna sah Maria im Dunkeln noch ähnlicher als im Hellen.218

Wir haben es hier mit einer gewissen Befreiung von der Zeitlichkeit zu tun. Alle Elemente spielen hier mit. Die Macht der religiösen Kunst hat mehrere, nicht mehr scharf zu trennende Quellen, die einander potenzieren, es ist die Wirkung der Kunst, der Schönheit der dargestellten schwangeren Frau, des religiösen Erlebnisses. Das Kunstwerk eröffnet den Kontakt mit der metaphysischen Dimension des Daseins.

Nicht ohne Bedeutung ist hier der äußere Rahmen, der den Empfang von Kunst und die Konzentration unterstützen soll:

Der abgedunkelte Raum, in dem ich mich dann fand, ähnelte einem kleinen Kinosaal.

Dort, wo ich die Leinwand vemutet hätte, war allerdings eine Vitrine aufgebaut. Hinter dem Glas das Fresko, ebenso dezent wie raffi niert beleuchtet.219

Es wird hier Aufmerksamkeit besonderer Art aufgeweckt, es ruft eine Assoziation mit einem sakralen Raum hervor, obwohl es sich hier um ein Museum und nicht um eine Kirche handelt.

[Josef] bekam soviel mit, daß sich das Fresko offenbar nicht mehr an dem Ort befand, an dem es sich ursprünglich befunden hatte, irgendeiner Kapelle, aus der man es zu Restau-rationszwecken entfernt hatte.220

Nicht nur die auf dem Fresko Dargestellte ist heilig, sondern auch die Kunst und das Mysterium der Schwangerschaft, das sich an dem Mädchen erfüllt.

Obwohl die Religiosität Josefs bestritten werden könnte, nähert sich sein Zeitemp-fi nden angesichts des Freskos dem Konzept der mythischen Zeit bei Mircea Eliade, bei dem es zwischen der heiligen Zeit und der profanen Zeit differenziert wird. Die

218 HENISCH: Die schwangere Madonna, a.a.O., S. 345.

219 Ebd., S. 333.

220 Ebd., S. 309.

erste ist die mythische Ur-Zeit, die immer wiederkehrt, die zweite ist linear und diese wird vom Menschen als die eigentliche Zeit wahrgenommen. Nur die im Grunde zeitlose „Zeit des Festes“ ermöglicht es dem religiösen Menschen in die mythische Zeit, in das ewige „Jetzt“ einzutauchen.221 „Für einen religiösen Menschen kann das profane Dasein zeitweise durch die einschreitende heilige, ahistorische Zeit »ange-halten werden«“.222 So eine stillstehende Zeit wird im Roman durch die Konfronta-tion Josefs mit dem Fresko erreicht. Er kontempliert und ist nicht im Stande, die ihn umgebende Welt wahrzunehmen. Dieser Zustand wird von ihm als etwas Positives empfunden. Einen Kontrast zu diesem Stillstand bildet auf eine natürliche Weise die Reise durch Italien, die mit einem ständigen räumlichen Wechsel verbunden war.

Henisch liefert eine Deskription des Freskos, in der diese Verschmelzung der Mutter Gottes mit dem Schulmädchen Maria im Vordergrund steht, weil es eine subjektive Sichtweise Josefs ist. Es ist nicht nur eine bloße Wiedergabe der objektiv feststellba-ren Eigenschaften, sondern auch der Eindrücke, die vom Werk hervorgerufen wurden:

Da stand also die Madonna in ihrem Zelt. Flankiert von zwei Engeln, die es geöffnet hielten.

Die Ähnlichkeit mit Maria war wirklich frappierend.

Zugegeben, so ins Zentrum gestellt war diese Maria etwas erwachsener. Doch näher be-trachtet erschien sie mir immer jünger. [...]

Schon wahr, die Frisur, die sie trug, war vollkommen anders. [...] Aber die Haarfarbe, der Gesichtsschnitt, der Teint, die Augen mit den langen Lidern, die etwas träg oder, in der Sprache heutiger Jugendlicher, cool wirken konnten, und der leicht gelangweilt oder genervt schmollende Mund – all diese Details kamen mir auf geradezu unverschämte Weise bekannt vor.

Zwei Engel also hatten das Zelt geöffnet, es sah tatsächlich aus wie ein Jahrmarktszelt [...]. Der Höhepunkt der Attraktionen – vielleicht hatte man zuvor Liliputaner und Riesen gezeigt, Siamesische Zwillinge oder Damen ohne Unterleib. Die da jedoch wurde darge-stellt als das große Wunder Gottes, die Tochter, ja Tochter des Allerrhöchsten auch sie, aber sie sollte dessen Mutter werden, das verstehe, wer kann, die schwangere Jungfrau.

[...] Den Tratsch, den Spott, der über sie in Umlauf ist, den hört sie nicht mehr. Sie trägt den Kopf hoch auf einem starken Hals, obenauf liegt der Nimbus, der Heiligenschein [...].

Den linken Arm in die Hüfte gestemmt, so steht sie da, ihr Kleid ist sowohl an der Seite als auch vorne geschlitzt, wer will ihr am Zeug fl icken, nichts da, hier wird nichts mehr verborgen, hier wird etwas offen gezeigt, eine nonchalante, rechte Hand öffnet den Spalt über dem sanft gerundeten Bauch.

Und auch die Engel werden sich auf keine Diskussion darüber einlassen, wie die so offensichtliche Schwangerschaft in die Wege geleitet wurde, ihr Gesichtsausdruck ist unerschütterlich. Signore e Signori, siamo lieti di presentare, Ladies and Gentlemen, we proudly present. Das Wunder der Wunder, dieser gesegnete Leib, siehe, die Jungfrau wird einen Sohn gebären. Mag sein auch eine Tochter, das würde eigentlich gut zu diesem Bild passen, das wäre einmal etwas Neues.223

221 Vgl. ELIADE: Sacrum i profanum..., a.a.O., S. 55–93.

222 Ebd., S. 56 [Deutsch von A.S.].

223 HENISCH: Die schwangere Madonna, a.a.O., S. 333–335.

Als das wichtigste Element dieses Gemäldes wird hier die Geste Mariens erkannt, mit der sie zeigt, dass sie schwanger ist. Es ist eine Schwangerschaft, aus der ihre größte Würde quillt. Es ist eine Qualität, der sie sich rühmen kann, eine Auszeich-nung. Die Weiblichkeit ihres Körpers präsentiert sich hier in einer ganz anderen Dimension, als es die Schönheit des sexuell anziehenden Körpers ist. Diese Weib-lichkeit ist ein den ganzen Menschen verklärendes Geheimnis und ist keinesfalls peinlich. Sie muss nicht – und mehr noch – sie darf auch nicht versteckt werden. Die Schwangerschaft ist für jede Frau eine Periode, da sie besonders stark mit ihrer Kör-perlichkeit konfrontiert wird. Sie wird nicht selten über diese sichtbar gewordene Funktion ihres Leibes defi niert und kann es nicht verhindern, dass auch die Anderen ihre hohe Schwangerschaft schon auf den ersten Blick erkennen. Ihr Körper fängt an, sich unabhängig von ihrem Willen zu verändern und sie ist dieser neuen mütter-lichen Funktion ausgeliefert. Der eigene Körper, der zur innigsten Identität gehört, wird jetzt redefi niert.

Das Fresko von Piero della Francesca zeigt eine Frau in völliger Integration mit ihr-er Körpihr-erlichkeit. Diese Außihr-ergewöhnlichkeit des Zeitraums dihr-er Schwangihr-erschaft steht hier im Vordergrund und korrespondiert mit der Inhaltsebene des Romans, mit der jungen Maria, die jetzt überzeugt ist, dass sie ihr Kind mit dem Religionslehrer erwartet. Die Zeit der den Alltag sprengenden Reise ist zugleich die Zeit ihrer angeb-lichen Schwangerschaft. Diese Körperzentriertheit des Freskos ist in der folgenden Passage sichtbar:

Ecco, sagte Francesco. E si vede la sua gravidanza. Man sieht das. Er lachte. Sie hat einen dicken Bauch. [...] Es sei aber, ganz im Ernst, ein bedeutendes Bild. Weil nämlich diese Madonna – wie sollte er das bloß sagen? She shows it, sagte er. Ihr Kleid ist vorn offen.

You know what I mean? This woman is proud of her body.224

Dieser Stolz Mariens auf ihre verklärte Körperlichkeit und Weiblichkeit auf einem berühmten und bewunderten Fresko sakralisiert die Schwangerschaft, indem hier ein Mechanismus wirksam ist, den auch Eliade beschrieben hat: „Die grundsätzliche Funktion des Mythos besteht darin, dass er die Mustermodelle aller Riten und aller lebenswichtigen Aktivitäten des Menschen (Ernährung, Sexualität, Arbeit, Erzie-hung) aufstellt“.225 Die Madonna aus dem Fresko gibt der vermeintlichen Schwan-gerschaft der Schülerin Maria eine neue Würde, obwohl der das Fresko betrachtende Josef schon in ihrem Tagebuch gelesen hat, dass sie sich in der Feststellung der Schwangerschaft geirrt hatte. An dieser „Musterschwangerschaft“ hat jede schwan-gere Frau ihren Anteil. Das Mirabile ist hier noch geheimnisvoller, da es mit den Augen eines Mannes betrachtet wird. Josef spricht „von der besonderen Art Magne-tismus, die [ihn] anzog“.226 Das Kunstwerk wird für ihn persönlich wichtig auf eine intime Art und Weise, nicht vor der Folie seines kunsthistorischen Werts, sondern eher inhaltlich, mit der Macht der dargestellten Storia.

224 Ebd., S. 145.

225 ELIADE: Sacrum i profanum, a.a.O., S. 80 [Deutsch von A.S.].

226 HENISCH: Die schwangere Madonna, a.a.O. S. 344.

Die Intimität liegt auch an dem Charakter dieses Freskos, die aber im Roman ein we-nig entkräftet wird, da es darin heißt, dass das Fresko zu Restaurationszwecken ge-rade verlagert werden solle. Eine zusätzliche Bedeutung kommt ihm in situ, weil es sich an einer der Wände einer Friedhofskapelle in Monterchi befi ndet, dem Heimat-ort der Mutter des Malers, was von den Kunsthistorikern als eine besondere Art Hul-digung von Piero della Francesca seiner eigenen Mutter gegenüber gedeutet wird.227

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