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Begründung für die Struktur der Monographie, „Bedürfnisse“ als Kriterien

„Bedürfnisse“ als Kriterien

Ich gehe davon aus, dass – wenn ein Motiv vorkommt, dann deshalb, weil es die (größtenteils psychischen) Bedürfnisse des Künstlers und des Textrezipienten befrie-digt, weil der Schöpfer spürt, dass es eine gewisse „Nachfrage“ in diesem Bereich gibt, was die Anwendung der Marienmotive aus rein ästhetischen Gründen nicht ausschließt. Es interessiert mich hier also eher die Tiefenstruktur als die Textober-fl äche. Die Konstruktion meiner Bearbeitung scheint zwar ziemlich riskant zu sein, aber im 20. und 21. Jh. wird die Nachfrage auf dem literarischen Markt zur Schlüs-selfrage. Es werden hier „Bedürfnisse“ genannt, weil das Schreiben unter anderem auch als ein kompensatorischer Akt verstanden werden kann, es ist hier auch eine gewisse Voraussage der Bedürfnisse des Lesers wichtig, u.a. wegen der Vermarktung der Literatur:

In Übereinstimmung mit zeitgenössischen philosophischen Deutungsansätzen läßt sich als eine wesentliche, ihr allerdings nicht eigentümliche Funktion von Religion bestim-men, daß sie die Erfahrung von Kontingenz, die als Konfrontation mit nicht nur materiel-lem Mangel erlebt wird, in Sinn verwandelt. Dies geschieht dadurch, daß das Individuum als Teil eines Sinnzusammenhangs gedeutet wird, der die Grenzen der eigenen Existenz transzendiert. Das Bedürfnis nach einem solchen Orientierungsangebot müßte eigentlich in dem Maße abnehmen, wie eine, sozialgeschichtlich gesehen, nie gekannte Sekurität es ermöglichte, das Leben in – wiederum nicht allein materiell zu fassender – Fülle zu verbringen.67

67 HARTMANN: Religiosität als Intertextualität, a.a.O., S. 15–16.

Die Figur Mariens scheint vorzuspiegeln, dass sie eine Hoffnung auf die Befrie-digung dieser in der Natur des Menschen tief eingewurzelten Bedürfnisse werden kann. Auf der Textebene wären es die auf den Leser projizierten, vom Dichter ver-muteten Bedürfnisse des abstrahierten Menschen im Allgemeinen. Ihr Wesen ist größtenteils psychisch, teilweise spirituell oder einfach geistig (wie z.B. das ästhe-tische Bedürfnis).

Eine problematische Sphäre ist in der Konstruktion der Abhandlung die Chronolo-gie, die nicht vordergründig ist. Sie darf natürlich nicht völlig ausgeschlossen sein, aber sie bildet kein Hauptkriterium bei der Ordnung und Aneinanderreihung des Ma-terials. Die Untersuchung umfasst den Raum von fast einem ganzen Jahrhundert der Kulturgeschichte, die zur Entstehung von äußerst unterschiedlichen Werken geführt hat. In der Literaturgeschichte werden in der deutschsprachigen Literatur nach 1918 zuerst Zwischenkriegszeit, Kriegszeit (auch die Exilliteratur), Nachkriegszeit ausge-sondert, separat für die deutsche, österreichische und schweizerische Literatur, die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts wird meistens nach den Jahrzehnten betrachtet68, z.B. Literatur der 80’, 90’ Jahre, oder nach den literarischen Gruppen, z.B. Gruppe 47. Nach dem Zweiten Weltkrieg kommt noch die DDR-Literatur als eine separate Erscheinung hinzu. Man darf aber sagen, dass hinsichtlich der Poetik nie so etwas wie ein gemeinsamer „Stil des 20. Jahrhunderts“ entwickelt wurde. Es sind eher kleinere Strömungen oder ganz individuelle Stile, aus diesem Grund erlaube ich mir hier, die Zeit nach 1918 zum Teil ganzheitlich aufzufassen, obwohl schon aus den außerliterarischen Gründen es unmöglich ist, vom einheitlichen Charakter dieser Pe-riode zu sprechen, was auch z.T. ihre Widerspiegelung in der Literaturwissenschaft hat, die das 20. Jahrhundert oft als ein Ganzes, nicht aber als eine literarische Epoche betrachtet.

Die Verdrängung des Zeitfaktors in den Hintergrund69 zugunsten einer anderen Ord-nung läuft Gefahr, das Gesamtbild zu falsifi zieren. Ich bin mir der Gefahr bewusst, manche Motive als unabhängig von den literaturgeschichtlichen Faktoren (literari-sche Konventionen), von den außerliterari(literari-schen Impulsen (z.B. deutliche geschichtli-che Zäsuren, die auf die Mentalität des Mensgeschichtli-chen im 20. Jahrhundert Einfl uss hatten, Etappen der Entstehung der Massenkultur usw.), oder von den aufeinanderfolgenden Phasen der Entwicklung der christlichen Konfessionen, z.B. den Ergebnissen der Konzilien, die für die Mariologie von Bedeutung waren, zu betrachten. Die arbiträre Begrenzung auf das 20. Jahrhundert ist sicherlich eine Annahme von einem künst-lichen Zeitrahmen. In dieser Hinsicht taucht die Frage auf, ob es überhaupt sinnvoll ist, von der Literatur des 20. Jahrhunderts nach dem Ersten Weltkrieg als von einer Ganzheit zu sprechen, ob es hier überhaupt eine Einheit gibt, die es begründen wür-de, vor ihrem Hintergrund die Präsenz der Marienmotivik auszusondern.

68 Vgl. Bernhard ZIMMERMANN: Epoche in der Literaturgeschichtsschreibung, in: Horst A. GLASER (Hg.) Deutsche Literatur zwischen 1945 und 1995. Eine Sozialgeschichte, Bern, Stuttgart u. Wien 1997, S. 713–724.

69 Obwohl es bei vielen lyrischen Texten nicht möglich war, das Entstehungsdatum zu bestimmen, habe ich mich bemüht sie innerhalb von einzelnen Unterkapiteln nach der wahrscheinlichsten Chronologie zu ordnen.

Obwohl es scheint, dass die quantitative Anwesenheit der Marienmotivik in der deutschsprachigen Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts im Vergleich zu den frühe-ren Jahrhunderten deutlich nachgelassen hat, sind die Marienmotive und sogar die Figur Mariens als Thema der literarischen Texte immer noch präsent. Nicht selten werden sie als ein interessantes Vehikel genutzt, soziologische Fragen und Erschei-nungen, oder sogar die Kondition des Menschen als solche zu schildern. Es scheint daher aufschlussreich zu sein, die Funktionen, die ihnen zugeschrieben werden, und dadurch eine Erklärung für ihre konstante – obgleich deutlich geschrumpfte – Anwe-senheit zu ermitteln. Im Folgenden wird nach den Gründen dafür in verschiedenen Bedürfnissen des Menschen gesucht, bei deren Sättigung der Figur Mariens, der Marienfrömmigkeit oder der Marienmotivik gerade eine Rolle zukommen kann.

Die Einordnung des Materials in dem analytischen Teil erfolgt unter Berücksichti-gung des Erwartungshorizonts, der auf die Leser projizierten Bedürfnisse, die von der nachhaltig präsenten Marienmotivik erfüllt werden. Es seien jetzt diese aufge-listet und vorläufi g bezeichnet als: Bedürfnis nach der Geborgenheit, das ästhetische Bedürfnis, Bedürfnis nach der Sensation, Bedürfnis nach einem Identifi kationsange-bot, Bedürfnis nach dem Kultus. Wie diese Begriffe im Weiteren verstanden werden, wird am Anfang des jeweiligen Kapitels näher gebracht. Den Ausgangspunkt bilden hier die allgemeinsten Defi nitionen des Bedürfnisses: „Sinngemäß meint die Psy-chologie mit Bedürfnis einen irgendwie gearteten Mangelzustand, der zur Herstel-lung von Ausgewogenheit dränge“70 oder „der Zustand eines Mangels, des Fehlens von etwas, dessen Behebung verlangt wird. B[edürfnis] ist der Ausdruck dessen, was ein Lebewesen zu seiner Erhaltung notwendig braucht“71 und noch anders formuliert ist Bedürfnis

[a]llgemeine, umfassende Bezeichnung für Mangelzustände, die das Verhalten und kognitive Prozesse der Verhaltenssteuerung an solchen Zielen orientieren, welche eine B[edürfnis]befriedigung nach sich ziehen oder zumindest in Aussicht stellen. Als primäre B[edürfnisse] (primary needs) gelten biologisch-physiologische Mangelzustände (z.B.) Hunger und damit verbundene Verhaltensweisen (z.B. instrumentelles Verhalten, um an Nahrung zu gelangen oder Suchen nach Nahrung). Sekundäre B[edürfnisse] (seconda-ry needs) umfassen aus primären hergeleitete bzw. auf der Grundlage der Befriedigung primärer B[edürfnisse] entwickelte B[edürfnisse], im weiteren Sinne alle persönlichen, intelektuellen, rationalen und irrationalen, sozial- oder kulturgeprägten Ansprüche, Be-gierden und Wünsche, von deren Erfüllung die Zufriedenheit des Individuums abhängt.72 Es scheint, dass die die Marienmotivik verwendenden Texte, gerade mit diesen Grundbedürfnissen des Menschen korrespondieren und dieses Mitspielen nicht ohne Bedeutung für die Weiterexistenz dieser Motivik ist.

70 Arnold SCHMIEDER: Bedürfnis, in: Siegfried GRUBITZSCH, Klaus WEBER (Hg.): Psychologische Grund-begriffe. Ein Handbuch, Reinbek bei Hamburg 1998, S. 61.

71 Bedürfnis, in: Friedrich DORSCH (Hg.): Psychologisches Wörterbuch, Bern, Stuttgart u. Toronto 1987, S. 79.

72 Bedürfnis, in: Werner D. FRÖHLICH: Wörterbuch. Psychologie, München 2000, S. 88–89.

Natürlich konnte es nicht verhindert werden, dass sich mehrere Kriterien innerhalb eines Textes überschneiden werden. Der Überschaubarkeit willen konzentriere ich mich jeweils auf den Aspekt, der im konkreten Werk am deutlichsten zum Vorschein kommt und blende dann bewusst andere Aspekte aus. Da aber im Prinzip die meisten Texte einmalig herangezogen werden, mag auch vorkommen, dass dabei auch ande-re Probleme signalisiert werden, obwohl sie zum eigentlichen Inhalt des jeweiligen Kapitels nur indirekt gehören. Die Kriterien überlappen sich, die Texte müssen sich natürlich nicht in einem Bedürfnis erschöpfen. Die Erinnerung ist auch Suche nach der Identität. In der Kunst (ästhetische Dimension) gibt es auch Erinnerung an die alte Welt, den Kultus und nach einem Identifi kationsangebot.

Zum Signum temporis ist es geworden, dass die Autoren des 20. Jahrhunderts nicht mehr eindeutig nach den Konfessionen zu trennen sind. Meistens wird es äußerst problematisch zu ermitteln, ob sich ein Autor einer bestimmten Konfession verbun-den fühlt. Die Sozialisation der frühen Lebensjahre ist hier nicht immer entschei-dend, die bloße Tatsache, dass jemand in der römisch-katholischen Kirche getauft wurde, reicht noch nicht aus, um sich zu erlauben, den Autor als einen katholischen zu bezeichnen. Vor der Frage nach der Konfession, müsste man zuerst eine Frage stellen, ob er überhaupt religiös war, was auch manchmal problematisch heraus-zufi nden ist. Es sei auch bemerkt, dass die Angabe der Konfession in den literatur-wissenschaftlichen Biographien auch immer seltener ist, was die Ermittlung dieser Informationen äußerst schwierig macht. Mit der Ausnahme von Fällen, wo die reli-giöse Thematik besonders häufi g ist, wird meistens die konfessionelle Zugehörigkeit in solchen Arbeiten als nicht relevant oder nicht eindeutig ausgelassen. An dieser Stelle sei zugegeben, dass auch der Autorin der vorliegenden Arbeit nicht immer gelingt, mit näheren Auskünften zu dienen wissen.

3.1 Bedürfnis nach der Geborgenheit – Maria in der

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