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Günter Grass: Katz und Maus

3.5 Bedürfnis nach dem Marienkultus?

3.5.4 Marienkultus an epischen Beispielen

3.5.4.2 Günter Grass: Katz und Maus

Die Marienfrömmigkeit bildet das augenfälligste Charakteristikum von Joachim Mahlke, dessen Eigenart zum wichtigsten Thema der Novelle von Günter Grass aus dem Jahre 1961 wird, von dem Anika Davidson behauptet: „daß nämlich die Er-innerungsfi gur ‚Maria‘ als zentrale Signatur seines Gesamtwerks erachtet werden kann“.600 Der Erzähler, Pilenz, Mahlkes Freund aus der Jugendzeit beobachtet neu-gierig alles, was das Wesen dieses außergewöhnlichen, ihm imponierenden Jungen ausmacht. Er ist von ihm bezaubert, und seine katholische Sozialisation erlaubt es ihm, die Elemente der Marienfrömmigkeit Mahlkes zu erkennen, obwohl sie für ihn selbst keine lebendigen Inhalte mehr darstellen. Ab und zu verlässt er die Er-Erzählform und wendet sich an Mahlke direkt. Die Jungfrau Maria erscheint auf allen Ebenen des Lebens von Mahlke, von dem Äußeren an: von den Gegenständen, mit denen er sich umgibt, über seine Gewohnheiten: gepfi ffene Melodien oder tag-tägliche fromme Andacht vor dem Marienaltar, bis zur Deklaration, wegen Maria nie zu heiraten, also bis zur Betrachtung der Jungfrau als Begründung bei einer folgen-reichen Entscheidung.

Die mit der Jungfrau Maria verbundenen Devotionalien bilden ein ständiges Attribut Mahlkes, weil er z.B. immer ein Kettchen trägt:

[E]in silbernes Kettchen, dem etwas silbern Katholisches anhing: die Jungfrau.

Nie, auch während der Turnstunde nicht, nahm sich Mahlke den Anhänger vom Hals; [...]

Mahlke [...] landete mit Kettchen und verrutschter Jungfrau schief auf der Matte und ließ Staub aufwölken. Wenn er am Reck Kniewellen machte [...], zog es ihm den Anhänger aus dem Turnhemd und das Silberding wurde siebenunddreißigmal, [...] um die knirs-chende Reckstange geschleudert, ohne vom Hals loskommen und Freiheit gewinnen zu können [...]601

Die Erzählweise präsentiert hier das Marienkettchen als einen materiellen Gegen-stand, der es auch eigentlich ist. Nichts ist hier noch absichtlich blasphemisch, aber die Reduzierung zur materiellen, stoffl ichen Ebene mit der Beibehaltung der abge-kürzten Bezeichnung „die Jungfrau“ für das Kettchen verursacht schon teilweise die Dekontextualisierung. Der Anhänger offenbart sich in seiner Dinglichkeit und löst sich von seiner Funktion als Kultgegenstand los. In der angeführten Passage wird dieses Verfahren nur leicht angedeutet, an anderen Stellen wird es im vollen Ausmaß verwirklicht. Mal wird die Jungfrau reifi ziert, das andere Mal wird das Kettchen belebt: „So mußte der Schraubenzieher im Umkleideraum am Haken überm Hemd warten, während die silberne, leicht abgegriffene Jungfrau an Mahlkes Hals halsbre-cherischen Übungen Beistand gewähren durfte“.602

Zu den Jugendschätzen Mahlkes gehört vor allem die Plakette mit der Jungfrau, die er auf dem Kahn fand:

600 DAVIDSON: Advocata Aesthetica..., a.a.O., S. 229.

601 Günter GRASS: Katz und Maus. Eine Novelle, Neuwied und Darmstadt 1974, S. 9–10.

602 Ebd., S. 10.

[...] jene markstückgroße Medaille aus Silber, mit Silberöse zum Aufhängen, deren Hin-terseite namenlos platt und abgewetzt, deren Vorderseite reich profi liert und geschmückt war: das stark erhabene Relief der Jungfrau mit Kind.

Es handelte sich, wie die gleichfalls erhabene Inschrift bewies, um die berühmte Matka Boska Czestochowska [...]603

Die Reaktion Mahlkes auf den Fund unterscheidet sich aber deutlich von den Reak-tionen der anderen Jungen, weil das Ding eine andere Bedeutung für ihn hat und in die religiöse Sphäre gehört:

Wir lachten, als er bibbernd und bläulich mit ausgelaugten Fingerspitzen das Kreuz schlug, die fl iegenden Lippen einem Gebet gemäß zu bewegen versuchte und etwas La-tein hinterm Kompaßhäuschen hervorklapperte. Ich glaube noch heute, es war damals schon etwas aus seiner Lieblingssequenz, die sonst nur am Freitag vor Palmsonntag laut wurde: „Virgo virginum praeclara, – Mihi iam non sis amara...“ [...] Er hängte die schwärzliche Silberjungfrau zwischen Pilsudskis Bronzeprofi l und das postkartengroße Foto des Kommodore Bonte, des Helden von Narvik.604

Die Anwesenheit der Freunde stört Mahlke nicht. Das Gebet scheint plötzlich aus ihm hervorzusprudeln und der Junge ergibt sich diesem inneren Zwang. Obwohl die Anderen in einer ganz anderen Stimmung verweilen, vermag er sie in seinen Bann zu ziehen und seine Sicherheit zwingt sie, wenn nicht zur Nachahmung und Affi rmation, dann mindestens zu einer gewissen Verwunderung. Paradoxerweise ist Mahlkes Autorität auf seiner Andersartigkeit aufgebaut, die Marienfrömmigkeit spielt dabei eine gar nicht geringe Rolle. Diese zum Teil verzeichnete Frömmigkeit ist aber zugleich ein Ausdruck der Ironie von Grass, mit der er dem katholischen Kultus begegnet.

An der Stelle empfi ehlt es sich auch den Status des Lateins zu refl ektieren. Es geht nicht um die offensichtliche Präsenz dieser Sprache in der Geschichte der Kirche, sondern um den Effekt, den seine Anwendung zur Enstehungszeit des Textes und danach hervorzurufen vermag. Die Zeit der Handlung ist der Zweite Weltkrieg und Latein war damals während der Messe offensichtlich (bis zur Liturgiereform 1970 der offi ziellen Sprache der Heiligen Messe), nicht aber unbedingt im privaten Gebet.

Sie konnotiert den gehobenen Stil, von den Meisten nicht mehr verstanden – wird sie zu einem Geheimkode. Sie ist die feierliche Sprache des Kultus, die sogar in die-sem Kontext nur noch äußerst selten auftaucht. Eine die lateinischen Sätze bewusst aussprechende Person ist eingeweiht, divergiert von der ganzen Menge, die manch eine lateinische Formel mechanisch wiederholt, ohne sie zu verstehen. Sogar nicht verstanden verfügt Latein über einen Zauber, der im Klang und Rhythmus besteht.

Eine nicht verstandene Sprache wirkt sogar stärker, weil ihre Wirkung der Magie eines Zauberspruches ähnelt. Die Sprache des Kultus kann über ihren separaten Reiz verfügen, der die Gebetsstimmung noch verstärken kann. Bei Anika Davidson heißt es: „Vom Katholizismus und seiner Kultus und Ritus, Geräusch, Geruch und

Ge-603 Ebd., S. 14.

604 Ebd., S. 15.

heimnis umfassenden Sinnlichkeit ist bei Grass immer wieder die Rede [...]“.605 Die Bezeichnung „der poetische Mehrwert“606 – wie es Davidson formuliert – ist das, was Grass am meisten am Katholizismus interessiert und vor jeder Kritik der Kirche, die er auch betreibt, den Vorrang gewinnt.

Die verzerrte Marienfrömmigkeit durchdringt die meisten Lebensbereiche Mahl-kes, er umgibt sich mit Gegenständen, die ihn daran erinnern. Es scheint Mahlke sehr an seinem Marien-Krimskrams zu liegen, alles muss den Umzug auf das Boot mitmachen:

Als er die farbige Reproduktion nach der Sixtinischen Madonna [...] vor unseren Augen eng rollte, in den Abschnitt einer Messinggardinenstange schob [...] und die Madonna im Tohr zuerst zum Kahn, dann in die Kabine schleuste, wußte ich, für wen er sich so anstrengte, für wen er die Kabine wohnlich einrichtete. Die Reproduktion muß das Tau-chen nicht ohne Schaden überstanden haben [...]; jedenfalls trug Mahlke, wenige Tage nachdem er den Farbdruck in die Kabine geschleust hatte, wieder etwas am Hals: [...] die Bronzeplakette mit dem fl achen Relief der sogenannten Schwarzen Madonna zu Tschen-stochau [...]607

Die Mariengegenstände werden in einer Reihe mit anderen Dingen aufgelistet, die zur typischen Ausstattung des Zimmers eines Jugendlichen gehören:

von der Schmetterlingssammlung bis zu den Postkartenfotos beliebter Schauspieler, ho-chdekorierter Jagdfl ieger und Panzergenerale; dazwischen aber ein ungerahmter Öldruck der Sixtinischen Madonna mit den beiden pausbackigen Engeln am unteren Bildrand, die schon erwähnte Pilsudskimedaille und das fromme und geweihte Amulett aus Tschensto-chau neben dem Foto des Kommandanten der Narvik-Zerstörer.608

Obwohl Mahlke so stark auf die Marienfrömmigkeit konzentriert ist, werden die-se Gegenstände in diedie-ser Aufl istung der Schätze eines jungen Menschen einerdie-seits entzaubert, weil sie nur unter anderen erwähnt werden, andererseits aber bekommen sie dadurch einen ganz persönlichen Wert. Die scherzhafte Bezeichnung „Amulett“

verweist auf den magischen Charakter der Frömmigkeit Mahlkes. Davidson schreibt von der „Fetischisierung der Jungfrau“609 bei Mahlke.

Auch die akustische Sphäre seines Lebens ist von Maria durchdrungen: „Mahlke [...]

summte sich ein Stück Litanei“610, wenn ihn die Freunde auf dem Boot bitten, eine Schallplatte aufzulegen, dann: „durften [sie] ein kaugummilanges und berühmtes Ave Maria hören“.611 Das Katholische wird zu einem nicht von jedem der Jungen verstandenen Kode, es baut eine Art Gemeinsamkeit zwischen Mahlke und Pilenz

605 DAVIDSON: Advocata Aesthetica..., a.a.O., S. 232.

606 Ebd., S. 233.

607 GRASS: Katz und Maus, a.a.O., S. 47.

608 Ebd. S. 17.

609 DAVIDSON: Advocata aesthetica..., a.a.O., S. 236.

610 GRASS: Katz und Maus, a.a.O., S. 107.

611 Ebd., S. 49.

auf, der im Stande ist, noch mehr von den Ausdrücken seiner Marienfrömmigkeit wahrzunehmen:

[...] nur ich, der einzige Katholik auf dem Kahn – außer ihm [Mahlke] – kam dem Pfeifen nach: er pfi ff ein Marienlied nach dem anderen [...]. Alle zehn Strophen vom „Stabat Ma-ter dolorosa“bis „Paradisi gloria“und dem „Amen“, leierte er wie am Schnürchen [...].612 Man muss beachten, dass Mahlke die ganze Sequenz kennt und auch pfeift, sie wird also als ein Ganzes vorgetragen und nicht in beliebigen Passagen zufällig gepfi ffen.

Die an sich lockere alltägliche Tätigkeit des Pfeifens wird mit der religiösen Form der lateinischen Sequenz kontrastiert, inwieweit aber das Religiöse dabei säkulari-siert und entweiht wird, steht offen, weil die Motivation Mahlkes nicht ganz ein-deutig ist. Einerseits ist es ein klarer Beweis dafür, dass Maria fast die ganze Zeit in seinen Gedanken anwesend ist, andererseits aber ist die Form als solche ziemlich nachlässig. Der Kultus wird hier schon zugleich zur indirekten Verspottung des Kul-tus. Die primäre Opposition „ernst gemeint – ironisch“ wird hier schon wieder ein-gesetzt, wobei es scheint, dass der zweite Pol die Oberhand gewinnt.

Für Pilenz ist es auffällig, dass das ganze Leben von Mahlke auf die Madonna zuge-spitzt ist. Der Erzähler deutet die Handlungen von Joachim als der Jungfrau gewid-met. Dies wird nie von der Figur selbst explizite bestätigt, aber spielt in der Inter-pretation seines Freundes eine vordergründige Rolle. In der Auslegung von Pilenz verhält sich Mahlke zum Teil wie ein mittelalterlicher Ritter der Jungfrau, der für seine Dame verschiedene Gefahren überwinden und Aufgaben erfüllen kann und nur ihr Lob zum Ziel hat. Die Idee des Marienritters ist auch im zwanzigsten Jahr-hundert in der Marienfrömmigkeit nicht ganz abwesend (z.B. in der Frömmigkeit des Hl. Maximilianus Maria Kolbe). Die Tätigkeiten, die Mahlke „Maria zu Ehren“, bereit ist, zu vollbringen, sind keinesfalls fromm wie z.B. der Diebstahl des Eisernen Kreuzes, das vor allem seinen großen Adamsapfel verhüllen soll. Wie unmoralisch der Diebstahl war, scheint Mahlke daran nicht zu verhindern, ihn der Jungfrau zu widmen. Er „prahlt“ vor der Jungfrau, also versucht ihr zu imponieren und so verhält er sich wie ein um eine Frau werbender Mann. Pilenz ist sicher, dass es einen deutli-chen Zusammenhang zwisdeutli-chen den Taten Mahlkes und der Jungfrau Maria gibt, die ihre Adressatin ist:

Er hatte immer, auch als er alleine auf dem vereisten Kahn seine runde Spur trieb, die Jungfrau Maria hinter oder vor sich, und sie schaute ihm auf das Beilchen, war begeistert von ihm, müßte mir die Kirche eigentlich recht geben; aber selbst wenn die Kirche nicht in der Jungfrau Maria die unentwegte Zuschauerin Mahlkescher Kunststückchen sehen darf, guckte sie ihm dennoch aufmerksam zu [...]613

Nicht ganz klar bleibt es, inwieweit diese Worte realitätsgetreu und inwieweit nur eine Auslegung von Pilenz sind. Fest steht, dass Mahlkes Benehmen so eine Inter-pretation zulässt.

612 Ebd., S. 47–48.

613 Ebd., S. 37.

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